Und täglich grüßt das Murmeltier... von Rebi-chan ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Er war mir schon früher aufgefallen. Vor etwa drei Jahren. Es war Ende Oktober und das rotbraune Laub der Bäume segelte bei jedem noch so kleinen Windhauch von den Ästen herunter. Seine blonden Haare leuchteten in der Herbstsonne und seine Augen strahlten jedes Mal, wenn ich ihn sah. Jeden Tag, wenn ich auf dem Weg zur Arbeit auf meine Bahn warten musste, wartete auch er. Zuerst nahm ich ihn gar nicht richtig wahr. Er war einfach da, gehörte schon fast zum Inventar der Bahnstation. Doch dann gab es da diesen einen Moment, der alles veränderte... Es war kalt, der Winter hatte mit voller Härte eingesetzt und der eisige Wind blies mir die Schneeflocken ins Gesicht. Zitternd zog ich meinen Schal vor Mund und Nase, sodass ich die Kälte nicht so sehr einatmete und schlang meine Arme um meinen Körper. Meine Bahn hatte Verspätung. Ausgerechnet heute bei dieser Eiseskälte! Aber ich konnte nichts anderes tun, als zu hoffen, dass es bei den angekündigten fünf Minuten blieb und die Bahn bald einfahren würde. Wartend blickte ich mich auf dem Bahnsteig um. Es waren weniger Leute unterwegs. Scheinbar trauten sich nicht so viele in die Kälte hinaus oder fuhren lieber mit dem Auto. Ich seufzte. Hätte ich auch ein Auto, wäre ich vermutlich auch damit gefahren. Noch einmal ließ ich meinen Blick über die wenigen Personen auf dem Bahnsteig gleiten und blinzelte schließlich verwirrt. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Unwillkürlich sah ich zu der Stelle, an der ER ständig gestanden hatte. Zu meiner großen Verwunderung stand dort niemand. Immer noch grübelnd stieg ich in die Bahn, die schließlich doch eintraf. Was wohl mit ihm war? War er krank geworden? Oder vielleicht etwas schlimmeres? Lag er im Krankenhaus? Und was war, wenn er nun nie wieder auftauchen würde? Was, wenn ich ihn nie wieder sehen würde? Allein bei diesem Gedanken verspürte ich einen schmerzhaften Stich in meinem Herzen. Leise seufzend ließ ich mich auf einen leergewordenen Platz sinken, nur um gleich wieder aufzuspringen und einer älteren Dame meinen Platz anzubieten. Schließlich brauchte ein junger Mann von 27 Jahren wie ich einer war, keinen Sitzplatz, den andere viel nötiger hatten. "Vielen Dank, junger Mann...", hörte ich aus der Ferne die zittrige Stimme der alten Frau, lächelte ihr kurz entgegen und schlang dann meine Finger um die eisernen Stangen, um etwas Halt zu finden. Ich bereute es sofort, meine Handschuhe ausgezogen zu haben. Diese verflixten Stangen waren aber auch wirklich eisig kalt. Wann genau hatte ich meine Handschuhe eigentlich ausgezogen? Verwirrt prüfte ich meine Manteltaschen und fand in jeder einen. Scheinbar war ich so in Gedanken versunken gewesen, dass ich sie aus Gewohnheit einfach ausgezogen und in die Taschen gesteckt hatte. Normalerweise bin ich nicht so jemand, der sich über andere Leute den Kopf zerbricht. Allerdings konnte ich bei dem Murmeltier nicht anders. Ich schmunzelte. Murmeltier war meine Bezeichnung für den jungen Mann, den ich morgens bisher immer auf dem Bahnsteig gesehen hatte. Die täglichen Begegnungen erinnerten mich immer irgendwie an den Film ‚Und täglich grüßt das Murmeltier...’, sodass ich diesen Kosenamen einfach passend fand. /Die Frage ist jetzt nur, wo mein Murmeltier abgeblieben ist.../, dachte ich und spürte sofort, wie meine Ohren heiß wurden. Seit wann war er MEIN Murmeltier? Fast hätte ich meine Station verpasst und wäre weitergefahren, hätte ich nicht jemand angerempelt und mich so aus meinen Gedanken gerissen. Erschrocken darüber, dass die Türen schon im Begriff waren, sich wieder zu schließen, hielt ich sie fest und stieg dann aus. Draußen wurde ich von eisigem Wind begrüßt, der mich frösteln ließ. In der Bahn selbst war es warm und stickig gewesen, doch hier war es kalt. Allerdings war die Luft auch klar, sodass es mir diesmal nichts ausmachte, wenn ich ein wenig fror. Also machte ich mich auf den Weg zu meiner Firma, die glücklicherweise nicht weit von der Station entfernt war. Und obwohl ich relativ langsam lief, kam ich dennoch pünktlich. Auf die Arbeit konnte ich mich allerdings nicht wirklich konzentrieren. Immer wieder schweiften meine Gedanken zu Murmeltier. "Ben, kannst du das hier noch bis heut Abend fertig machen?", riss mich ein Kollege aus meinen Tagträumereien. Verwirrt blickte ich ihn an, nahm dann erst die Akte wahr, die er mir hinhielt und nickte. "Klar...", brachte ich nur heraus. "Danke. Es ist wichtig. Wir brauchen diese Unterlagen morgen bei der Besprechung." Wieder nickte ich, schlug dann die Akte auf und machte mich an die Arbeit. Erst im Nachhinein fiel mir auf, dass ich während der Zeit, in der ich mich mit den Unterlagen beschäftigt hatte, keinen Gedanken an irgendjemanden verschwendet hatte. Ich war sogar früher fertig als geplant und ging schließlich in meinen wohlverdienten Feierabend. Die Bahn war brechend voll und es war mir schon fast unangenehm, als eine junge Frau, die nicht einmal schlecht aussah, stolperte und gegen mich fiel. Sie entschuldigte sich mit geröteten Wangen und nahm wieder Abstand, soweit das hier überhaupt möglich war. Vielleicht sollte ich mir doch einmal überlegen, ob ich mir nicht ein Auto kaufen sollte. Dann müsste ich mir diese ständige Plackerei mit der Bahn nicht mehr antun. Als ich endlich aussteigen konnte, was mehr einem Herausquetschen glich, atmete ich zuerst einmal tief ein, ehe ich mich auf dem Bahnsteig umsah. Unwillkürlich sah ich genau da hin, wo ich morgens ihn immer hatte stehen sehen. Wieder war die Stelle leer. Was allerdings auch normal war. Abend hatte ich ihn nie gesehen. Er war nur morgens da gewesen. /Ob ich ihn wohl jemals wieder sehen werde?/, fragte ich mich die ganze Zeit auf dem Heimweg. ~Prolog ENDE~ TBC... Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Das Jahr neigte sich dem Ende zu und das neue begann genauso, wie das alte geendet hatte: kalt, verschneit und natürlich, wie sollte es auch anders sein, ohne einen Hinweis auf mein Murmeltier. Es war Anfang Februar, als es passierte. Die Tage waren langsam wieder wärmer geworden und die ersten Anzeichen des Frühlings zeigten sich ebenfalls schon, obwohl die Nächte immer noch bitterkalt waren. Zu dieser Zeit hatte meine Schwester Geburtstag und wie der Zufall es so wollte, hatte ich bisher noch kein wirklich gutes Geschenk für sie gefunden. Was also blieb mir anderes übrig, als mir einen Nachmittag frei zu nehmen und alle Geschäfte der Innenstadt, die glücklicherweise nicht weit von meiner Wohnung entfernt lag, abzuklappern um nach dem richtigen Geschenk zu suchen. Wie jedes Jahr stellte sich mir die Frage, was man einer Frau schenken sollte, die eigentlich alles hatte, was sie wollte. Ich hatte ein sehr gutes Verhältnis zu meiner Schwester Sophie und ihrer kleinen Familie, da unsere Eltern schon sehr früh gestorben waren und sie sich um mich immer rührend gekümmert hatte. Mit Frank, ihrem Mann, und Lea, deren kleiner Tochter und meiner Nichte, verstand ich mich sehr gut. Oft war ich bei ihnen eingeladen und stets willkommen gewesen. Zudem konnte ich mit Sophie wirklich über alles reden. Bisher hatte sie immer unterschwellig mitgeteilt, in welche Richtung Geschenke zu Geburtstagen und Weihnachten gehen sollten, doch diesmal hatte ich keinen Tipp erhalten. Suchend durchstöberte ich verschiedene Geschäfte, bis ich an einem Buchladen vorbei kam. Ich wusste, dass Sophie sehr gerne las. Mit einem guten Buch konnte man bei ihr so gut wie nie etwas falsch machen. Also beschloss ich, dort etwas für sie zu suchen. Im Geschäft war nicht sehr viel los, weshalb ich mir Zeit ließ und die Bücher in den Regalen betrachtete. Am Regal mit den Krimis blieb ich schließlich stehen und überflog die Titel, welche auf den Buchrücken aufgedruckt waren. Viele Titel kannte ich, hatte sie schon oft bei Sophie gesehen. Es war schwer, etwas zu finden, dass sie noch nicht in ihrem Regal stehen hatte. Trotzdem fand ich schließlich ein Buch, welches etwas versteckt in der obersten Reihe stand, und streckte die Hand aus. Genau in diesem Moment erschien eine zweite Hand neben meiner und wollte nach dem gleichen Buch greifen. Die fremde Hand war warm und ein Kribbeln ging von der Stelle aus, an welcher sie meine berührt hatte. „Oh, Entschuldigung...“, meinte ich leise und sah neben mich, nur um zweimal nach Luft zu schnappen. Zwei hellblaue, leuchtende Augen blinzelten mich an, lächelten dann. „Nein, mir tut es Leid“, erwiderte mein Gegenüber. /Murmeltier!/, schoss es mir durch den Kopf. Ich schluckte trocken und versuchte meinen Herzschlag unter Kontrolle zu bringen. Es wollte allerdings nicht so, wie ich und schlug deshalb immer noch so laut und schnell, dass ich fast glaubte, man könnte es noch in Australien hören und dort mit irgendwelchen Buschtrommeln verwechseln. „Hier, bitte. Sie haben es zuerst entdeckt“, hörte ich wieder diese ruhige Stimme und bekam sogleich das Buch in die Hand gedrückt, welches ich selbst nehmen wollte. Blinzelnd betrachtete ich das Buch, sah dann wieder in diese wunderschönen blauen Augen und fand endlich meine Sprache wieder: „Sagen Sie... Kennen wir uns nicht?“ Zugegeben, es war nicht das Klügste, das jemals über meine Lippen gekommen war, allerdings war es das Einzige, was mir im Moment überhaupt in den Sinn kam. Beim näheren Überlegen kam mir dieser Satz eher wie eine dumme Anmache vor und nicht wie der Start eines Gesprächs. Murmeltier kicherte. Es hörte sich wunderschön an und ließ meine Knie weich werden. „Höchstens vom Sehen. Gesichter von Personen, mit denen ich schon einmal gesprochen habe, vergesse ich nur selten“, erwiderte er und grinste entschuldigend. Scheinbar hatte er mich nie auf dem Bahnsteig bemerkt. Warum sollte er auch... Seufzend nickte ich nur. Man konnte mir ansehen, dass ich etwas enttäuscht war. „Allerdings...“, begann er schließlich, „an Sie kann ich mich erinnern. Stehen Sie morgens eigentlich immer noch auf dem Bahnsteig um auf die Bahn zu warten?“ Wieder blinzelte ich ihn an, lachte dann leise auf. „Ja, das tue ich immer noch“, antwortete ich. Erleichtert drückte ich das Buch an meine Brust, bis mir einfiel, dass ich eigentlich auf der Suche nach einem Geburtstagsgeschenk war und gerade im Begriff war, ihm das Buch vor der Nase wegzuschnappen. Entschuldigend hielt ich es ihm hin. „Bitte, nehmen Sie es. Ich finde schon noch ein anderes, auch wenn es wohl schwierig werden wird...“ Er schüttelte den Kopf und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. „Ich bestehe darauf, dass Sie es nehmen.“ Ich seufzte, lächelte dann aber und nickte. „Gut, aber nur unter der Bedingung, dass ich Sie auf einen Kaffee einladen darf.“ Wieder lachte er und ließ meine Knie erneut weich wie Butter werden. Er nahm mein Angebot an und begleitete mich zur Kasse, wo ich das Buch, nachdem ich gezahlt hatte, noch in Geschenkpapier einwickeln ließ. Mit einem Lächeln nahm ich die Tüte entgegen und passte auf, dass die aufwendige Schleife nicht zerdrückt wurde, als ich zusammen mit Murmeltier den Laden verließ. Ich nannte ihn in Gedanken immer noch ‚Murmeltier’ und musste grinsen. „Ich bin übrigens Ben“, meinte ich schließlich, als wir die Straße hinunter liefen um nach einem gemütlichen Café zu suchen. „Freut mich. Ich bin Jonas“, entgegnete er. /Mein Murmeltier heißt also Jonas.../, dachte ich und lächelte ihn an. Wir brauchten nicht lange, bis wir ein geeignetes Café gefunden hatten, betraten es schließlich und ließen uns einen ruhigen Tisch geben. Es dauerte auch nicht lange, bis wir ein gemeinsames Gesprächsthema gefunden hatten. Irgendwie schwammen wir auf einer Welle, was alles sehr viel einfacher machte. „Darf ich fragen, wie Sie auf mich aufmerksam geworden sind? Ich meine, am Bahnsteig sind nicht gerade wenig Leute und dass gerade ich Ihnen aufgefallen war verwundert mich“, meinte ich schließlich irgendwann, nachdem wir unsere Getränke – er eine heiße Schokolade, ich einen Cappuccino – bekommen hatten. „Du...“, meinte er nur und sah mich über den Rand seiner Tasse an. Verwirrt blinzelte ich. „Wir sollten uns duzen, oder etwa nicht?“ Ich nickte, freute mich aber ungemein und zeigte dies auch. Er erwiderte das Lächeln. „Das gleiche könnte ich dich auch fragen. Ich bin dir schließlich auch aufgefallen...“ Ertappt ließ ich den Blick sinken. Er hatte schon recht, ich war schließlich schnell auf ihn aufmerksam geworden, wenn auch einfach nur, weil er eigentlich immer da gewesen war. „Du hast immer so gestrahlt. Egal ob es Regen, Schnee oder strahlender Sonnenschein gab...“, erwiderte ich etwas schüchtern, sah ihn dann aber wieder an und lächelte. „Jetzt bist du dran. Wie kommt es, dass ich dir aufgefallen bin?“ Er legte den Kopf schief und überlegte, suchte nach den richtigen Worten. „Ich weiß nicht... Anfangs habe ich die Leute beobachtet... Und du hast dich sosehr von den anderen Leuten unterschieden. Aber ich war immer zu feige, dich anzusprechen...“, gestand er schließlich und seufzte. Sein Blick wanderte zu der großen Wanduhr. „Ach du liebes Bisschen... Ich hab die Zeit ja komplett vergessen... Ben, es tut mir leid, aber ich muss los. Ich bin noch verabredet. Danke für die heiße Schokolade!“, haspelte er schnell herunter, schnappte sich seine Umhängetasche und seinen Mantel und war schneller aus dem Café verschwunden, als dass ich etwas erwidern konnte. Perplex blieb ich sitzen und starrte ihm nach, ehe ich in mich zusammensank und seufzte. War ja auch zu schön um wahr zu sein. Natürlich hatte er jemand anderen, was sollte er mit mir anfangen... Mit meinen düsteren Gedanken beschäftigt trank ich meinen Cappuccino aus, bezahlte dann und machte mich auf den Heimweg. Morgen war erst einmal Sophie’s Geburtstag angesagt. Dennoch ging mir Jonas auf dem ganzen Nachhauseweg nicht aus dem Kopf. Warum hatte ich ihn nur wiedergetroffen, wenn das Schicksal sich scheinbar gegen mich verschworen hatte. Die drei Jahre, in denen ich ihn nur von der Ferne aus morgens gesehen hatte, hatten bei mir nicht solche Spuren hinterlassen wie diese halbe Stunde, die wir zusammen verbracht hatten. Es wiedersprach meiner eigenen inneren Einstellung, doch ich musste mir eingestehen, dass ich mich Hals über Kopf in diesen jungen Mann verliebt hatte. Warum nur war das Schicksal so gemein und hatte ihn mir vorzeitig entrissen? Ich hatte noch so viel von ihm erfahren wollen... Ob ich ihn nun wieder sah, war fraglich. Außer seinem Vornamen wusste ich schließlich kaum etwas von ihm. Seufzend schloss ich die Tür zu meiner Wohnung auf und nahm mir vor, mich morgen mit Sophie zu beraten. Sie hatte in solchen Situationen immer die passenden Ratschläge für mich gehabt und ich hoffte, dass sie mir diesmal auch helfen konnte. ~Kapitel 1 ENDE~ TBC... Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Ich traf um die Mittagszeit bei meiner Schwester und ihrer Familie ein, wurde wie immer herzlich begrüßt und half schließlich bei den letzten Vorbereitungen. Um die Zeit, bis die restlichen Gäste eintrafen, zu überbrücken, spielte ich mit Lea einige Spiele. ‚Mensch ärgere dich nicht’ fand sie immer sehr lustig. Es war ihr Lieblingsspiel und ich liebte ihr Lachen, wenn sie eine meiner Figuren schlug. Der Nachmittag fand in geselliger Runde statt. Sophie hatte einige ihrer besten Freunde eingeladen, die auch ich kannte und mit denen ich mich gut verstand. So wurde es gegen Abend heiter, bis Lea schließlich zu mir kam und mich bettelnd ansah. „Onkel Ben, liest du mir eine Gute-Nacht-Geschichte vor?“, fragte sie. Ich lachte, strich ihr über die braunen Locken und nickte. „Na klar, Prinzessin. Such dir schon mal eine Geschichte aus, ich komme gleich...“, erklärte ich ihr und erhob mich dann. Eigentlich war es nicht meine Aufgabe, die Kleine ins Bett zu bringen, doch ich wollte Sophie oder Frank nicht von ihren Gästen fernhalten. Sophie lächelte mich dankbar an, als ich aufstand. Ich beugte mich schnell zu ihr herunter. „Hast du später etwas Zeit? Ich würde dich gern um einen Rat fragen...“, meinte ich leise, sodass nur sie es hören konnte. Sie nickte. „Natürlich.“ Sophie bedachte mich mit einem wissenden Blick, lächelte dann noch einmal und vertiefte sich wieder in das Gespräch mit ihrer besten Freundin, die ihr gegenüber am Tisch saß und an einem Glas Wein nippte. Ich betrachtete die Runde noch einmal, ehe ich Lea folgte. Die Kleine war bereits fertig umgezogen, hatte sich die Zähne geputzt und saß nun mit einem Märchenbuch auf dem Schoß in ihrem Bett und wartete auf mich. Wieder einmal bewunderte ich sie, wie selbstständig sie für ihre 5 Jahre bereits war. Sophie und Frank hatten mit ihrer Erziehung wirklich alles perfekt gemacht. „So, dann wollen wir mal. Welche Geschichte möchtest du denn vorgelesen bekommen?“, fragte ich sie und setzte mich zu ihr aufs Bett. Geschickt schlug sie das Buch auf und deutete auf eine Geschichte, während sie sich an mich lehnte. Sie hatte wirklich großes Vertrauen zu mir, was mich immer wieder rührte. Und das, obwohl sie um meine Neigungen, nämlich, dass ich Männer lieber hatte als Frauen, wusste. Ich weiß nicht, ob sie es richtig verstand, was dies bedeutete, aber es hatte ihr Vertrauen nur noch gestärkt, statt es zu erschüttern. Vielleicht, weil davon nicht viele wussten... Schmunzelnd blickte ich auf den Titel der Geschichte. „Rotkäppchen also... Gut, wie du möchtest...“, meinte ich und begann ihr vorzulesen. Es dauerte nicht lange, bis sie in meinem Arm eingeschlafen war. Um sie nicht zu wecken, legte ich sie vorsichtig richtig hin, deckte sie dann zu und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Schlaf schön, Prinzessin...“, meinte ich leise, machte dann das Licht aus und schloss die Tür zu ihrem Zimmer, ehe ich zurück zu der Geburtstagsgesellschaft begab, die sich langsam aufzulösen begann. „Lea schläft“, informierte ich Sophie und Frank und setzte mich wieder an den Tisch. Etwa eine viertel Stunde später waren alle Gäste gegangen und ich half meiner Schwester beim Tisch abräumen, während Frank das restliche Chaos ein wenig einzudämmen versuchte. Ich folgte ihr, beladen mit Tellern, in die Küche. „Also, was gibt’s denn, wobei du meinen Rat brauchst?“, wollte sie schließlich wissen. „Naja... Ich glaube, ich hab mich verliebt...“, begann ich leise und wurde sofort von ihr in den Arm genommen. „Das ist doch wunderbar! Wer ist der Glückliche? Kenn ich ihn?“ Ich schüttelte den Kopf. „Ich kenne ihn ja selbst nicht mal so richtig... Ich weiß nur, dass er Jonas heißt... Ich hab dir doch mal von ihm erzählt. Ihn habe ich drei Jahre lang auf dem Bahnsteig gesehen, erinnerst du dich? Und dann war er plötzlich nicht mehr da...“ Sie nickte verstehend. „Und dann hast du ihn wieder getroffen?“ „Genau. Gestern, als ich dein Geburtstagsgeschenk besorgt habe, hab ich ihn im Buchladen getroffen und ihn auf einen Kaffee eingeladen... Aber ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll... Ich kenne nun mal nur seinen Vornamen und mehr nicht... Aber ich würde ihn gern wieder sehen... Obwohl ich nicht weiß, ob es auf Gegenseitigkeit beruht, da er gestern ziemlich überstürzt weg ist...“ Verzweifelt raufte ich mir die Haare und lehnte mich an die Arbeitsfläche hinter mir. „Ben, ganz ruhig. Das wird schon wieder“, versuchte Sophie mich zu beruhigen und wieder einmal war ich froh, dass sie meine ältere Schwester war. „Hat er denn irgendetwas gesagt oder getan, das Aufschluss darauf gibt, dass er dich nicht wiedersehen möchte?“ Ich schluckte und senkte den Blick. „Er hat gestern gemeint, dass er verabredet sei... Ich weiß noch nicht einmal, ob er auch schwul ist.“ Sie strich mir über die Haare und nahm mich wieder in den Arm. „Mein armer kleiner... Tut mir leid, aber da weiß ich jetzt auch nicht weiter... Das Einzige, das ich dir raten kann, wäre zu warten. Er war doch zumindest nicht abgeneigt, sonst hätte er deine Einladung doch gar nicht angenommen. Wenn er dich also wiedersehen möchte, dann weiß er doch, wo er dich finden kann...“, ermunterte sie mich. Ich drückte sie, ließ sie dann los und nickte. „Hast Recht, Schwesterherz... Danke, dass du mir zugehört hast...“ „Dafür sind doch große Schwestern da, oder?“, sie grinste und sah damit richtig jugendlich aus. Dass sie heute bereits ihren 35. Geburtstag gefeiert hatte, konnte ich kaum glauben. Ich verabschiedete mich schließlich von den beiden, die den Abend für sich haben wollten und schlenderte zurück zu meiner Wohnung. Mitte März rief schließlich Sophie bei mir an und bat mich, ein Wochenende lang auf Lea aufzupassen. Als Grund nannte sie ein Wellness-Wochenende, das Frank ihr zum Geburtstag geschenkt hatte und das sie nun zusammen mit ihm gern einlösen würde. Natürlich stimmte ich zu. Ich konnte ihr diesen Gefallen nicht abschlagen und hatte den kleinen Sonnenschein gern um mich herum. „Hast du ihn inzwischen wieder gesehen?“, fragte sie schließlich zusammenhanglos. Dennoch wusste ich ganz genau, wen sie meinte. „Nein, bisher nicht. Ich halte meine Augen offen, aber er hat sich noch nicht blicken lassen...“, erwiderte ich etwas traurig und spielte mit der Schnur des Telefons. „Lass den Kopf nicht hängen. Er wird bestimmt bald merken, was er verpasst, wenn er dich nicht wieder sieht“, meinte sie und ich konnte ihr aufmunterndes Lächeln förmlich spüren. „Ja, ich hoffe, du hast Recht.“ „Sicher hab ich Recht. Wozu bin ich denn deine große Schwester? Also, ich bring dir Lea dann am Freitag Abend vorbei. Sie freut sich übrigens schon riesig.“ Ich musste lachen, nickte dann aber und besann mich schließlich, dass sie mich durch das Telefon gar nicht sehen konnte. „Alles klar. Dann bis Freitag Abend. Ich freu mich auch schon.“ Damit war das Gespräch beendet und ich legte den Hörer wieder auf die Gabel. Die restlichen drei Tage zogen wie im Flug an mir vorbei. Ich räumte meine Wohnung gründlich auf, bereitete dann das Gästezimmer für Lea vor, wobei ich wusste, dass sie vermutlich eh wieder bei mir im Bett schlafen würde, wie sonst auch immer, doch es war mir egal. Falls sie sich doch umentscheiden sollte, dann hatte sie das Gästezimmer als Ausweichmöglichkeit. Freitag Nachmittag um Punkt fünf Uhr läutete es schließlich bei mir an der Tür. Ich nahm den Hörer der Gegensprechanlage, drückte den dazugehörigen Knopf. „Ja?“ „Onkel Ben!“, rief da bereits Lea so laut, dass ich mir den Hörer etwas vom Ohr weghalten musste. Ich lachte. „Komm rauf, Prinzessin!“, meinte ich und drückte einen weiteren Knopf um die Tür zu öffnen. Als ich durch den Hörer hörte, wie die Tür aufgemacht wurde, ließ ich den Knopf los und hängte auch den Hörer wieder ein, ehe ich die Wohnungstür einen Spalt öffnete. Im Treppenhaus konnte ich die Schritte von Sophie und Lea hören, genauso ihr Lachen und keine Minute später wurde auch schon die Tür aufgestoßen und ein kleiner Wirbelwind sprang mir entgegen. Lachend fing ich sie auf und nahm Lea auf den Arm, drückte sie an mich. Erst dann sah ich zu Sophie, die in der Tür stehen geblieben war und grinste. „Dann viel Spaß euch beiden. Ben, falls etwas sein sollte, du weißt ja, wie du mich erreichen kannst. Und du sei schön brav, ja, Lea?“ Die Kleine nickte eifrig. Ich lächelte meiner Schwester zu. „Keine Angst, genieß du dein Wochenende. Wann kommt ihr wieder zurück?“ „Sonntag Abend. Ich werd wohl so um neun hier vorbei kommen und Lea wieder abholen. Falls es doch später wird, dann rufe ich an.“ „Gut, sag Frank einen schönen Gruß von mir.“ „Na klar!“, meinte Sophie und verabschiedete sich von mir und Lea. Als die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, sah ich Lea schließlich an. „Und was machen wir beide Hübschen jetzt?“, fragte ich sie und kitzelte sie am Bauch. Sie kicherte. „Hast du schon zu Abend gegessen?“, wollte ich schließlich wissen, nachdem sie keine Antwort wusste. Die Kleine schüttelte den Kopf. „Nein, noch nicht.“ „Gut, dann lass uns was essen. Und dann können wir ja noch etwas spielen. Wie hört sich das an?“ „Toll!“, lachte sie und ich setzte sie ab, nahm sie aber an die Hand und ging mit ihr in die Küche. „Was hältst du von Nudeln und Soße?“ „Tomatensoße?“ „Alles, was du willst, Prinzessin“, lachte ich. Gemeinsam kochten wir das Essen, wobei ich den größten Teil übernahm, da ich nicht wollte, dass Lea sich die Finger verbrannte. Nach dem Essen war noch eine Runde ‚Mensch ärgere dich nicht’ angesagt. Danach war Lea so müde, dass sie bereits auf dem Weg ins Badezimmer fast einschlief. Nur mit Müh und Not schaffte ich es, sie dazu zubringen, sich die Zähne zu putzen und sich umzuziehen. „Onkel Ben? Kann ich bei dir schlafen?“, fragte sie verschlafen, als ich sie ins Gästezimmer bringen wollte. Ich lächelte. „Natürlich“, meinte ich nur und trug sie in mein Schlafzimmer. Glücklicherweise hatte ich ein sehr großes Bett, sodass es überhaupt keine Schwierigkeiten machte, wenn sie bei mir schlief. Sie schlief bereits, als ich sie hinlegte und zudeckte. Mit einem letzten Blick bedachte ich sie noch, ehe ich das Licht löschte und zurück ins Wohnzimmer ging um ein wenig aufzuräumen und noch etwas fern zu sehen. Zwei Stunden später legte ich mich schließlich zu ihr und schlief relativ schnell ein. ~Kapitel 2 ENDE~ TBC... Kapitel 3: Kapitel 3 -------------------- Lea schlief ruhig neben mir und als ich am nächsten Morgen erwachte, hatte sie sich an mich gekuschelt. Schmunzelnd strich ich ihr über die Haare, warf dann einen Blick auf den Wecker, dessen Zeiger auf 9 Uhr zugingen und beschloss, dass wir nun lange genug geschlafen hatten. Sanft weckte ich meine Nichte, die mich verschlafen anblinzelte. „Guten Morgen, Prinzessin. Zeit zum Aufstehen“, lächelte ich ihr entgegen. Sie mochte es, wenn ich sie ‚Prinzessin’ nannte, deshalb tat ich ihr diesen Gefallen gern. „Wollten wir heute nicht in den Zoo?“, fragte ich sie, als sie keine Anstalten machte, wacher zu werden als nur minimal notwendig. „Zoo?“, wiederholte sie, war plötzlich hellwach und strahlte mich mit ihren braunen Augen an. Ich kicherte, nickte. „Ja, sicher. Oder magst du woanders hingehen?“ „Hm... Aquarium!“, rief sie plötzlich glockenhell, sodass ich mir fast die Ohren zuhalten muss. „Dann eben ins Aquarium“, lachte ich und krabbelte aus dem Bett. „Geh schon mal ins Badezimmer, ich mach uns solange Frühstück.“ Sofort war sie an mir vorbeigesaust und im Badezimmer verschwunden. Grinsend zog ich mich schnell um und verschwand dann in der Küche um ein paar Brötchen aufzubacken und den Tisch zu decken. Ein paar Minuten später tapste Lea zu mir, immer noch in ihrem mit Blümchen und kleinen Hasen bedruckten Schlafanzug, und krabbelte auf einen der Stühle, die eigentlich noch viel zu hoch für sie waren. „Magst du Kakao oder Saft?“, fragte ich sie und stellte gerade die Gläser mit Kirsch- und Erdbeermarmelade auf den Tisch. Das Frühstück verlief wie immer: ruhig, aber lustig. Und wie immer bewunderte ich sie wegen ihrer Eigenständigkeit trotz ihres Alters. Als wir fertig waren, schickte ich sie ins Bad, wo sie sich umziehen und fertig machen sollte. Ich räumte währenddessen den Tisch ab und tauschte dann mit ihr, als sie fertig war und sich schon fast ungeduldig auf das Sofa setzte. Zehn Minuten später verließ ich mit ihr meine Wohnung und spazierte mit ihr zur Bahnstation. Das Aquarium lag ein wenig außerhalb, sodass wir mit der Bahn hinfahren mussten. Ich war froh, dass mein Ticket am Wochenende Mitfahrer erlaubte, sodass ich mich nicht erst noch mit dem Ticketautomaten herumärgern musste. Lea schaffte es, meine gesamte Aufmerksamkeit nur ihr zu widmen, sodass ich nicht einmal auf die Leute um uns herum achtete, zumal ich die so gut wie eh nicht kannte, da die Bahn, mit der wir fahren mussten, vom Bahnsteig abfuhr, welcher meinem normalen gegenüber lag. Die Bahn fuhr ein und ich suchte mir mit Lea zusammen einen Platz, wo wir uns setzen konnten. Die Kleine fuhr nicht oft mit der Bahn, sodass es für sie immer wieder aufregend war. Aufgeweckt schaute sie sich um, deutete immer wieder aus dem Fenster um mir etwas zu zeigen. Am Aquarium angekommen nahm ich sie an die Hand, um sie im Gedrängel nicht zu verlieren. Es war voll hier, viel voller, als ich gedacht hatte. Vermutlich lag es aber daran, weil es gerade viel Nachwuchs gab und jeder die Kleinen sehen wollte. An der Kasse kaufte ich zwei Eintrittskarten und schlenderte schließlich mit Lea durch die Gänge, betrachtete die verschiedenen Fischarten und versuchte Leas Fragen so gut es ging zu beantworten. Ich las gerade eine Beschreibung zu einer bestimmten Fischart durch und wollte Lea es dann verständlich erklären, als sie plötzlich nicht mehr neben mir stand und ihr Näschen an der Scheibe platt drückte. Panik machte sich in mir breit und ich schaute mich suchend um. Es war überhaupt nicht ihre Art, einfach so davon zu laufen und glücklicherweise stand sie nur einige Meter von mir entfernt an einem anderen Becken und betrachtete dort die bunt schillernden Fische. Ein junger Mann beugte sich zu ihr herunter und schien ihr etwas zu erklären, da sie aufmerksam zu hörte. Ich ging zu ihr und kniete mich zu ihr herunter. „Kleiner Wirbelwind, einfach so zu verschwinden ist aber nicht schön...“, murmelte ich und lächelte sie an. „Die Fische sind schön... Und der Onkel hat mir gerade erklärt, dass das hier ganz seltene sind...“, erwiderte sie mit einem Glitzern in den Augen. Ich lachte leise auf, sah dann endlich den jungen Mann neben uns an, der sich als Angestellter des Aquariums entpuppte. Das Gesicht kannte ich nur zu gut und die Augen verschlugen mir mal wieder die Sprache. „Hallo, Ben...“, begrüßte mich Jonas und lächelte leicht. „Jonas...“, brachte ich nur heraus und schluckte trocken. Ich war überhaupt nicht darauf vorbereitet gewesen, ihn hier und heute zu treffen. Noch dazu hatte ich Lea bei mir. Wie das wohl für ihn aussehen musste, konnte ich mir schon denken. Lea zupfte mich am Ärmel und riss mich so aus meiner Erstarrung. „Du kennst den Onkel?“, fragte sie mit großen Augen. Ich lächelte, nickte dann. „Kennen ist zuviel... Wir haben uns schon öfters gesehen“, erklärte ich ihr und sah zu Jonas, dem die Enttäuschung sichtlich ins Gesicht geschrieben stand. „Du arbeitest hier?“, fragte ich ihn und stand wieder auf. Er nickte. „Ja“, antwortete er schlicht und drehte sich etwas weg. „Tut mir leid, ich muss weiter. Die Fische müssen gefüttert werden...“, erklärte er. Ich widerstand dem Drang, ihn festzuhalten. Ich hätte eh keine Chance gehabt, da Lea um einiges schneller gewesen war als ich. Mit bettelnden Augen sah sie Jonas an, hatte ihn am Ärmel festgehalten. „Darf ich zuschauen?“, fragte sie und ließ ihren ganzen Charme spielen. „Lea!“, zischte ich und sofort ließ sie ihn los und sah mich an. „Tut mir leid...“, meinte sie leise. Sie wusste ganz genau, wenn ich sie bei ihrem Vornamen nannte, dann war es nicht richtig, was sie getan hatte. Sofort tat es mir leid, sie zurechtgewiesen zu haben, beugte mich zu ihr und nahm sie in den Arm. „Schon gut, Prinzessin. Mir tut es leid. Aber denk doch mal nach. Jonas hat bestimmt noch viel zu tun und wir dürfen bestimmt nicht beim Füttern zuschauen...“, versuchte ich sie zu beruhigen. Plötzlich tauchte sein Gesicht neben uns auf und lächelte uns an. „Das ist schon in Ordnung. Ich glaube, es würde niemanden stören, wenn ich euch beide mitnehmen würde. Wenn Lea so gerne zuschauen möchte, dann soll sie das auch dürfen...“, erklärte er und sah mir dabei tief in die Augen. Wie jedes Mal, wenn er mich so ansah, wurden meine Knie weich und mein Herz klopfte wie verrückt. Lea blickte mich bittend an und zupfte an meinem Pullover. „Och bitte...“, bettelte sie. Ich seufzte, sah sie an und lächelte. „Na gut. Aber nur, wenn es wirklich in Ordnung geht. Wir wollen schließlich nicht, dass Jonas nur wegen uns Ärger bekommt, nicht wahr?“ Ich sah Jonas an, welcher mich anlächelte. „Keine Angst, ich bekomme schon keinen Ärger.“ Nickend erhob ich mich, nahm Lea schließlich bei der Hand und gemeinsam folgten wir Jonas, welcher uns in einen ruhigen Gang führte und vor einer Tür mit dem Aufdruck ‚Personal’ stehen blieb. Aus einer seiner unzähligen Taschen seiner Jeans fischte er einen Schlüsselbund, schloss dann die Tür auf und ließ uns eintreten. Dahinter befand ich ein abgedunkelter langer Gang, der scheinbar viele Abzweigungen hatte. „Kommt mit...“, forderte Jonas uns auf und ging voraus. Ich folgte ihm, hatte Lea immer noch an der Hand, die sich neugierig umblickte. Vor uns wurde es heller und ehe ich mich versah, standen wir auch schon an der Oberkante deines riesigen Bassins, in welchem sich etliche Fische tummelten. Lea war sofort hin und weg, drückte sich das Näschen an der Scheibe platt und betrachtete die vielen Fische. „Wow...“, brachte ich nur heraus. Plötzlich spürte ich eine ungewohnte, allerdings nicht unangenehme Nähe, sah neben mich und beobachtete Jonas, der gerade einen kleinen Eimer mit Fischfutter füllte. Dabei hatte er sich neben mich gestellt, war allerdings voll auf seine Arbeit konzentriert. Erst als der Eimer halb voll war, drehte er sich um und bemerkte, dass ich ihn beobachtete. Lächelnd hielt er mir den Eimer hin. „Willst du helfen?“, fragte er. Ich schüttelte den Kopf, hob dann Lea auf meinen Arm, sodass sie nicht nur durch die Scheibe schauen konnte, sondern auch über den Rand um zu sehen, was hier oben passierte. Jonas stellte sich kichernd auf einen Hocker, damit er etwas höher stand, nahm eine handvoll Futter und verstreute dieses schwungvoll auf der Oberfläche des Bassins. Sofort war die Wasseroberfläche nicht mehr so ruhig wie anfangs, sondern schien fast zu brodeln. Die Fische kamen herauf und schnappten nach dem Futter. Lea quietschte vor Freude und brachte mich damit zum Lachen. Nachdem alle Fische satt waren, stellte Jonas den Eimer weg und wusch sich die Hände. Lea wurde langsam unruhig. Auch sie war nun hungrig und gab mir das auch unmissverständlich zu verstehen. Jonas lachte leise auf. Er hatte die Kleine wohl schon lange in sein Herz geschlossen. „Da hab ich einen Geheimtipp für dich. Die Spaghetti hier sind besonders lecker...“, meinte er an meine Nichte gewandt, die mich auch sofort mit Hundeaugen anschaute. „Na gut, lass uns Mittagessen“, gab ich mich geschlagen. „Aber nur, wenn Onkel Jonas mitkommt!“ Fragend sah ich ihn an. „Na gut, wenn du drauf bestehst...“, lächelte er und führte uns wieder zurück in die Gänge, die für die Besucher gedacht waren, und von dort aus zu dem kleinen Restaurant, das dem Aquarium angeschlossen war. Wir suchten uns einen ruhigen Tisch, welcher etwas am Rand lag. Während wir auf unser bestelltes Essen warteten, zog es Lea zu den Spielgeräten, die nicht weit von uns extra für die Kinder aufgebaut worden waren. Jonas und ich blieben alleine am Tisch zurück. „Süß, die Kleine...“, meinte er schließlich leise um ein wenig Konversation zu führen. „Ja, da hast du recht...“ „Deine Tochter?“ Ich schmunzelte, schüttelte den Kopf. „Meine Nichte. Meine Schwester und ihr Mann sind über das Wochenende weg und ich hab die Kleine solange bei mir aufgenommen...“, erklärte ich und sah ihn an. Seine Augen bekamen einen seltsamen Glanz. „Du kannst sehr gut mit Kindern, die Kleine scheint dich ja zu vergöttern... Magst du irgendwann mal eigene haben?“, wollte er wissen. Wieder schüttelte ich den Kopf. „Dann müsste ich schon welche adoptieren und ich glaube kaum, dass das Jugendamt da mitmacht...“ „Es tut mir übrigens Leid, dass ich letztens so überstürzt abgehauen bin... Mein Vater kann recht unangenehm sein, wenn man sich nicht an seinen Zeitplan hält...“, wechselte er sprungartig das Thema und brachte mich damit leicht durcheinander. Als ich mich gefasst hatte, lächelte ich ihn an. „Kein Problem. Ich dachte schon, es läge an mir, aber da hatte ich mich wohl getäuscht.“ Er lachte. „Nein, es lag überhaupt nicht an dir. Ich wäre gern länger geblieben. Aber na ja... Vater ist wirklich manchmal recht starrsinnig... Und Unpünktlichkeit kann er überhaupt nicht leiden...“ Ich nickte verständnisvoll, blickte dann auf, als das Essen gebracht wurde. Schnell bedankte ich mich bei der Bedienung und rief dann Lea zu uns, die sich auch sogleich über ihr Essen hermachte. ~Kapitel 3 ENDE~ TBC... Kapitel 4: Kapitel 4 -------------------- Nach dem Essen verzog sich Lea direkt wieder zu den Spielgeräten und ließ mir die Gelegenheit, mich noch etwas mit Jonas zu unterhalten. Dieser musste aber wieder an die Arbeit und stand auf. Fast schon schüchtern hielt ich ihn an der Hand fest. „Darf ich dich wiedersehen?“, fragte ich leise und hoffte sehr, dass er zustimmte. Lächelnd sah er mich an und drückte leicht meine Hand. Ich hoffte, dass sie nicht zu schwitzig war. „Gern, ich bin fast täglich hier...“, erwiderte er. Seine Augen glitzerten, als er meine Hand losließ und einen Stift aus der Tasche zog. Schnell kritzelte er etwas auf eine unbenutzte Serviette und reichte sie mir. „Ruf mich einfach an“, kommentierte er, winkte Lea noch einmal zum Abschied und verschwand dann schließlich. Ich blieb mit einem Grinsen zurück, drückte die Serviette an mich und hütete sie wie ein Schatz. „Warum ist Onkel Jonas schon weg?“, fragte Lea plötzlich neben mir. „Er muss weiter arbeiten. Sollen wir auch weiter gehen? Ich hab vorhin gesehen, dass es hier eine Delphin-Show gibt. Wollen wir uns die anschauen?“, erklärte ich ihr. Die Kleine nickte eifrig und hüpfte vor mir auf und ab. Ich lachte wieder, ging mit ihr dann zur Kasse um zu Bezahlen. Die Kassiererin sah mich fragend an und meinte dann, dass das Essen bereits bezahlt wäre. Ich blinzelte, wusste aber sofort, dass das nur einer getan haben konnte und lächelte. Zusammen mit Lea suchte ich dann den Weg zur Delphin-Show. Die Kleine war hellauf begeistert und konnte kaum stillsitzen, als die Show endlich begann. Ich nahm sie auf den Schoß, damit sie besser sehen konnte, und hielt sie somit gleich fest. Der Tag verlief wirklich sehr gut und als wir wieder zu Hause waren, war Lea so ausgepowert, dass sie auf dem Sofa fast wegdöste. Ich hielt sie noch wach, bis sie etwas gegessen hatte, nötigte sie dann noch zu einer Katzenwäsche und brachte sie frühzeitig ins Bett. Als ich sicher war, dass sie tief und fest schlief, hüpfte ich unter die Dusche. Es war angenehm, das warme Wasser auf meiner Haut zu spüren und endlich etwas Zeit für mich und meine Gedanken zu haben. Diese schweiften natürlich sofort wieder zurück zu Jonas, der es schaffte, dass mein Herz höher schlug, wenn ich nur an ihn dachte. Mit feuchten Haaren und bequemen Klamotten ging ich zu meiner Garderobe, kramte die Serviette aus meiner Manteltasche und verzog mich damit ins Wohnzimmer, wo ich mich aufs Sofa sinken ließ. Ich schmunzelte, als ich die Nummer betrachtete, die er aufgeschrieben hatte. Darunter stand ‚Ruf mich an’ mit einem Herzchen am Ende. Es war für mich fast das höchste der Gefühle, das zu sehen. Am Liebsten hätte ich jetzt sofort die Nummer gewählt, doch aufdringlich wollte ich nicht sein. Also ging ich schließlich auch recht früh schlafen und träumte von einem Wiedersehen mit Jonas. Der nächste Tag verlief genauso, wie der vorangegangene: stürmisch. Ich war mit Lea auf dem Spielplatz, um sie zu beschäftigen und gleichzeitig meinen Gedanken hinterher hängen zu können. Wie versprochen kam Sophie gegen neun Uhr abends bei mir vorbei, um ihre Tochter abzuholen. Lea schlief bereits, weshalb ich meine Schwester hereinbat und ihr einen Tee anbot. Sie nahm dankend an und machte es sich im Wohnzimmer gemütlich, während ich den Wasserkocher anschaltete. „Ich hab ihn wieder getroffen...“, meinte ich irgendwann einfach und sah sie an. Zuerst wusste sie nicht, von wem ich sprach, doch dann stand ihr die Erkenntnis sprichwörtlich ins Gesicht geschrieben. „Wo denn?“ Ich lächelte, reichte ihr die Tasse Tee und setzte mich neben sie. Ruhig erzählte ich ihr vom gestrigen Tag. „Oh, Ben, das freut mich so für dich!“, meinte sie schließlich überschwänglich und fiel mir um den Hals. Ich freute mich ebenfalls, drückte sie. „Wann hast du vor, dich bei ihm zu melden?“, wollte sie, neugierig wie sie war, wissen. Ich lachte, schüttelte den Kopf. „Ich möchte nicht aufdringlich erscheinen... Deshalb dachte ich, ich melde mich erst in ein paar Tagen bei ihm...“, erwiderte ich. „Du hast doch schon so lange gewartet... Bist du dir sicher?“ Ich nickte, sah ihr in die Augen. „Wenn ich alle Zeichen richtig gedeutet habe, dann habe ich durchaus Chancen bei ihm... Die möchte ich mir nicht verspielen, nur weil ich nicht abwarten kann...“ „Dir ist es ernst, hab ich recht?“ „Ich war noch nie so verliebt...“, bestätigte ich lächelnd und wurde sofort noch einmal gedrückt. Wir unterhielten uns noch ein wenig, bis Sophie Lea dann auf den Arm nahm und sie zum Auto trug. Die Kleine wurde nur kurz wach, winkte mir verschlafen zu und schlief dann auf der Rückbank weiter. „Danke, dass du dein Wochenende geopfert hast“, meinte meine Schwester und umarmte mich. „Aber du weißt doch, das ist kein Problem. Ich hab die Kleine gern bei mir“, winkte ich schnell ab. Wir verabschiedeten uns von einander und ich sah zu, wie Sophie den Wagen auf die Straße lenkte und um die nächste Kurve fuhr. Ich seufzte, machte mich wieder auf den Weg in meine Wohnung und hing weiterhin meinen Gedanken hinterher. Es ist schon seltsam, wenn die eigenen Gedanken machen, was sie wollen und immer wieder zu der einen Person zurückwandern, die man sich so sehnlichst herbeiwünscht und doch zu schüchtern ist, um den ersten Schritt zu unternehmen. Früher als gedacht, nämlich bereits am Dienstag, nahm ich mir nach der Arbeit all meinen Mut zusammen und tippte die Nummer in meinem Handy ein, die Jonas mir zugesteckt hatte. Ich lauschte dem Freizeichen und war froh, bereits in meiner Wohnung zu sein, da ich vor Aufregung angefangen hatte, auf und ab zu laufen. Endlich wurde das monotone Tuten durch ein Klacken unterbrochen und eine Stimme meldete sich: „Ja?“ Ich schluckte. „Äh, ja, hallo Jonas? Ich bin es, Ben...“, begann ich und hoffte darauf, dass er mich noch nicht vergessen hatte. „Oh, einen kleinen Moment. Jonas ist gerade nebenan...“, hörte ich die andere Stimme, die mir so viel fremder vorgekommen war, als ich sie in Erinnerung hatte. Verwirrt blinzelte ich, hörte dann Schritte und wie eine Tür aufgemacht wurde. „Jonas? Telefon für dich... Nimm dein Handy nächstes Mal mit und lass es nicht im Wohnzimmer liegen...“, hörte ich, dann war es kurz still. „Oh, danke, Michi...“ Das war jetzt aber die Stimme meines Murmeltiers!! Im gleichen Augenblick hörte ich seine Stimme wieder, diesmal um einiges lauter: „Ja, hallo?“ Meine Hand zitterte und auch meine Beine wollten nicht so, wie ich es für richtig hielt, sodass ich mich einfach aufs Sofa fallen ließ. Wann zur Hölle war ich eigentlich hierher gelaufen?? „Äh, Jonas?“, fragte ich mit zittriger Stimme. Ich wollte diesmal erst die Bestätigung, ehe ich weitersprach. „Ja? Wer ist denn da?“, wollte er verwirrt wissen. „Ich bin es... Ben... Der vom Bahnsteig... Aus der Buchhandlung... Mit dem du am Samstag zu Mittag gegessen hast...“, sprudelte es aus mir heraus, was so vollkommen untypisch für mich war. Ein leises Lachen erklang und ließ mein Herz höher schlagen. „Hey Ben, schön dass du dich meldest!“, meinte er und ignorierte meine Aufzählung einfach. Dennoch konnte ich sein Lächeln deutlich vor mir sehen. „Ähm ja... genau... schön, dass ich mich melde...“, erwiderte ich und erntete wieder ein Lachen von ihm. Verdammt, was in drei Teufels Namen redete ich da überhaupt?! Das war ja mal peinlich und vollkommen bescheuert... „Tut mir leid...“, murmelte ich sogleich. „Dir muss nichts leid tun...“ „Hm, doch... Ich bin schließlich gerade dabei, mich zum Volldepp des Jahres zu machen...“ Wieder musste er lachen. War ich denn so witzig? „Ach was. Das bildest du dir nur ein. Aber sag mal, warum rufst du mich an?“ Ein ‚erst jetzt’ klang deutlich nach, blieb aber unausgesprochen. „Ich... würde dich gern wieder sehen...“, brachte ich einige Augenblicke und nur mit größter Überwindung hervor. Plötzlich wurde mir kalt, obwohl meine Wohnung gut geheizt war. Was war, wenn er mich nicht wieder sehen wollte? Zweifel keimten in mir auf, die sich aber bei seiner Antwort in Luft auflösten. „Klar, gern doch. Wann hast du Zeit?“ Ok, Ben. Einmal tief durchatmen. Und jetzt nichts falsches machen. Ich lächelte leicht. „Wie wäre es mit Freitag? Zum Abendessen bei mir?“, schlug ich vor. Zwei Wimpernschläge war es still am anderen Ende der Leitung. „Ich könnte um halb acht da sein, wenn du mir deine Adresse gibst“, erhielt ich dann als Antwort und hatte das Gefühl, dass mir die Steine zentnerweise vom Herzen fielen. Beflügelt nannte ich ihm meine Adresse. Kichernd hörte er mir zu. „Das ist ja ganz in der Nähe“, kommentierte er, als er plötzlich durch ein Klopfen unterbrochen wurde. „Jonas? Marie und Jules sind da. Kommst du dann zum Essen?“, hörte ich die gedämpfte Stimme desjenigen, der anfangs das Gespräch in Empfang genommen hatte. „Klar, bin gleich da.“ Auch Jonas’ Stimme war gedämpft. Scheinbar hatte er die Hand über das Handy gelegt oder so etwas in der Art. „Ähm, Ben?“ Jetzt war er wieder klar und deutlich hörbar. „Ja?“, fragte ich. „Tut mir leid, ich muss Schluss machen. Bleibt es bei Freitag Abend?“ Ich wollte nicht, dass er auflegte, wollte seiner Stimme noch viel länger lauschen. Doch am Allerliebsten hätte ich ihn hier bei mir, sodass ich ihn auch anschauen und berühren konnte. Dennoch konnte ich ihn nicht zwingen, weiterhin mit mir zu reden. „Ja, natürlich. Ich... ich freu mich schon...“, erwiderte ich und hoffte, dass man meine Enttäuschung nicht heraushören konnte. „Ich mich auch. Also dann, bis Freitag“, freute er sich hörbar und legte dann auf. Ich atmete tief durch, ehe mich das beständige Tuten aus dem Hörer darauf aufmerksam machte, dass ich mir immer noch das Telefon ans Ohr hielt. Seufzend machte ich es aus und legte es auf den Tisch vor mir. Jetzt musste ich nur noch die restlichen Tage bis Freitag überstehen, bevor ich ihn wiedersehen durfte. Mit meinen Gedanken war ich seit diesem Gespräch natürlich nur noch bei Freitag Abend und überlegte fieberhaft, was ich denn kochen könnte, um ihn zu begeistern. Da ich von Samstag schon wusste, dass er kein Vegetarier war, musste ich zumindest nicht darauf aufpassen, etwas fleischloses zu machen. Aber was war, wenn er irgendetwas anderes nicht mochte? Ich ging unsere Gespräche gedanklich noch einmal durch um auch sicher zu gehen, nichts übersehen zu haben und blieb schließlich bei dem Telefonat hängen. „Wer sind eigentlich Marie und Jules?“, fragte ich mich leise. „Und was hat er mit diesem anderen Kerl zu tun?“ Zweifel stiegen in mir auf, die ich für die restlichen Tage nicht abschütteln konnte. War er überhaupt wirklich an mir interessiert oder suchte er einfach nur jemanden, mit dem er sich unterhalten konnte oder jemanden, für eine kurze Affäre? Verzweifelt rief ich Sophie noch am gleichen Abend an und berichtete ihr alles bis ins kleinste Detail. „Ben, nun beruhig dich doch. Warte doch erst einmal den Freitag ab und spinn nicht irgendetwas zusammen, was dich verrückt macht“, sagte sie. Ich seufzte nur. Im Grunde genommen hatte sie ja recht damit. Ich bedankte mich, dass sie mich wieder zurück auf den Boden der Tatsachen geholt hatte, oder es zumindest versucht hatte, und legte auf. ~Kapitel 4 ENDE~ TBC... Kapitel 5: Kapitel 5 -------------------- Der Mittwoch und auch der Donnerstag verliefen ereignislos. Ich fragte meine Arbeitskollegen, ob sie irgendwelche Vorschläge hatten, was ich für ein Date kochen konnte und bekam recht gute Antworten. Keiner meiner Arbeitskollegen wusste, dass ich schwul war, und es war mir gerade recht, wenn sie dachten, dass ich Frauenbesuch bekommen würde. Ich musste ja damit nicht hausieren gehen, schließlich war es ja meine Privatangelegenheit, mit wem ich mich auf eine Beziehung einließ und mit wem nicht. Der Freitag Vormittag allerdings raubte mir letzten Endes fast die Nerven. Plötzlich gab es fürchterlich viel zu tun und ich hatte schon Angst gehabt, wieder einmal Überstunden machen zu müssen, wobei ich von selbigen noch viel zu viele hatte. Ich würde sie mir wohl irgendwann nehmen müssen... Dennoch schaffte ich es irgendwie, um halb drei die Firma zu verlassen und machte mich auf den Weg nach Hause. Ich hatte mich auch endlich für ein Gericht entschieden, wobei mir dafür allerdings noch ein paar Zutaten fehlten. Also ging ich nicht direkt in meine Wohnung, sondern nahm den kleinen Umweg zum Supermarkt um die Ecke auf mich, um den Rest zu kaufen. Als ich dann endlich doch zu Hause war, war es fast halb vier. Noch hatte ich genug Zeit. Dennoch machte ich mich schon einmal an die Vorbereitungen, räumte dann noch meine Wohnung auf, sodass ich mich nicht dafür schämen musste und wartete ungeduldig darauf, dass sich die Zeiger der Wanduhr auf halb acht zu bewegten. Punkt halb acht war das Essen dann auch fertig und bereit zum Servieren. Gehetzt blickte ich immer wieder von der Uhr in Richtung Wohnungstür und wieder zurück. Jonas war bisher noch nicht hier und ich hoffte inständig, dass er mich nicht versetzt hatte. Fünf Minuten lief ich unruhig in der Wohnung umher und machte mir die größten Vorwürfe, die man sich nur machen konnte. Ich gab mir die Schuld daran, dass er nicht aufgetaucht war, schließlich hatte ich mich bei unserem Telefonat nicht wirklich von meiner schlausten Seite gezeigt. Das Klingeln an der Haustüre ließ mich schließlich zusammenzucken. Im Eiltempo lief ich zur Tür, nahm den Hörer der Gegensprechanlage und drückte das Knöpfchen. „Ja?“, fragte ich mit zitternder Stimme. „Ähm, ja, hallo, ich bin es, Jonas...“ Ich atmete hörbar auf. „Komm hoch, dritter Stock“, antwortete ich und öffnete ihm die Tür. Als ich den Hörer zurück auf die Gabel hängte, bemerkte ich, dass meine Hand zitterte. So aufgeregt war ich schon lange nicht mehr gewesen und es wurde erst besser, als ich Jonas’ blonden Haarschopf im Treppenhaus sah und er schließlich vor mir stand. „Hey, tut mir leid, wenn ich etwas spät bin. Michael hat mich aufgehalten...“, entschuldigte er sich. Seine Wangen waren rot und er sah aus, als hätte er sich ziemlich beeilt um hierher zu kommen. Ich winkte nur ab, ließ ihn dann eintreten und bot ihm ein Paar Pantoffeln an. Nachdem er seinen Mantel aufgehängt und die Schuhe gewechselt hatte, führte ich ihn ins Wohn- und Esszimmer meiner Wohnung. „Ich hatte schon Angst, du hättest mich versetzt... Aber ich bin froh, dass du da bist...“, meinte ich nun endlich und lächelte ihn an. Sofort schüttelte er den Kopf. „Warum sollte ich dich versetzen? Wirklich, ich wäre schon früher hier gewesen, wenn Michael nicht ständig irgendetwas von mir gewollt hätte... Fast schien es so, als wollte er mich aufhalten hierher zu kommen...“ „Michael?“, fragte ich. Seine Erzählung ließ die wildesten Fantasien in meinem Kopf aufflammen und versetze mir einen schmerzhaften Stich mitten ins Herz. „Mein Mitbewohner. Der, den du am Dienstag an der Strippe hattest, weil er es nicht lassen kann, an mein Handy zu gehen, wenn ich es im Wohnzimmer liegen gelassen habe...“ Wieder seufzte ich, diesmal aber leise. Der Kloß in meinem Hals löste sich langsam wieder auf. „Ach so, der. Ja, er hatte sich ja nicht mit Namen gemeldet und zuerst dachte ich, ich hätte dich direkt dran...“, erwiderte ich unbeholfen und lachte leise. „Du liebes Bisschen, was bin ich für ein schlechter Gastgeber. Setz dich doch, möchtest du etwas trinken?“, besann ich mich schließlich wieder auf meine guten Manieren und deutete auf einen Stuhl am gedeckten Tisch. „Danke, gern. Aber du bist doch gar kein schlechter Gastgeber...“, lachte er leise und setzte sich. /Doch, bin ich.../, dachte ich nur und verschwand kurz in der Küche. Augenblicke später kam ich mit einer Weinflasche und zwei Gläsern zurück. „Ich hoffe, du magst Wein. Wenn nicht, dann kann ich dir auch etwas anderes anbieten...“ Wieder diese Unsicherheit auf meiner Seite. Konnte die mich nicht ein einziges Mal in Ruhe lassen?! „Ich trinke zwar kaum Alkohol, aber ein Gläschen ist schon ok“, erwiderte er. Ich nickte, füllte die Gläser mit dem Wein und reichte ihm eines davon. Erst dann setzte ich mich ihm gegenüber an den Tisch. „Auf einen schönen Abend?“, fragte ich und hielt mein Glas in seine Richtung, um mit ihm anzustoßen. „Auf einen schönen Abend,.“ bestätigte er und seine Stimme hallte in meinem Kopf genauso wider, wie das leise Klirren unserer Gläser, als diese aneinander prallten. Ich trank einen Schluck Wein, stellte dann mein Glas ab und sah ihn an. „Sollen wir gleich essen?“ Er nickte. „Ja, sonst sterbe ich noch vor Hunger...“, erwiderte er und brachte mich damit zum Lachen. „Das möchte ich aber nicht. Einen Augenblick, bin gleich wieder da...“, grinste ich, sprang auf und verschwand erneut in der Küche. Wieder dauerte es nur wenige Momente, bis ich mit zwei gefüllten Tellern zurück kam. Einen davon stellte ich vor ihn auf den Tisch, der andere fand seinen Platz schließlich vor mir. „Oh, das sieht lecker aus. Woher wusstest du, dass ich Pasta liebe?“, fragte er und sah mich lächelnd an. Verlegen sah ich auf meinen Teller. „Ich wusste es nicht. Aber es freut mich, wenn ich deinen Geschmack getroffen habe...“, erwiderte ich und spürte, wie meine Wangen etwas rot wurden. Ein wunderschönes Lächeln erschien auf seinen Lippen, während er mir einen Guten Appetit wünschte. Ich murmelte eine Antwort und musste mich echt zusammenreißen, um ihn nicht unverhohlen die ganze Zeit anzustarren. Dennoch sah ich zu, wie er von der Pasta probierte. „Das sieht nicht nur lecker aus, sondern schmeckt auch so!“, meinte er begeistert. Ich freute mich. „Schön, wenn es dir schmeckt.“ So aßen wir gemeinsam zu Abend und nach dem zweiten Glas Wein stellte ich vorsichtshalber die Flasche weg um der Versuchung widerstehen zu können, unsere Gläser immer wieder neu zu füllen. Stattdessen stiegen wir auf Orangensaft um und ich war froh darüber, denn so wie er trank auch ich wenig Alkohol und vertrug auch dementsprechend nicht besonders viel. Irgendwann landeten wir schließlich auf dem Sofa, wo wir uns weiterhin unterhielten. Er erzählte mir von seiner Arbeit, seinem Mitbewohner und was der schon alles angestellt hatte. Auch ich erzählte von meiner Arbeit und wir fanden schließlich heraus, dass wir beide etwa die gleichen Interessen hatten, obwohl es da auch Unterschiede gab. Während er sich gern Actionfilme anschaute, blieb ich lieber bei Horrorfilmen und wenn er Rock und Pop Musik hörte, schwor ich auf Klassik. Ich erfuhr, dass seinem Vater das Aquarium gehörte und es deshalb vollkommen in Ordnung gewesen war, als er Lea und mich sozusagen mit hinter die Kulissen genommen hatte. „Aber am Dienstag hast du zu einem fast denkbar ungünstigen Zeitpunkt angerufen...“, meinte er schließlich. Ich blickte ihn nur fragend an. „Marie und Jules, zwei meiner besten Freundinnen, kamen ja zum Abendessen... Und Michi hat uns ja sozusagen unterbrochen... Dabei...“ „Dabei?“ Er lächelte und ein roter Schimmer zeigte sich auf seinen Wangen. „Dabei hätte ich gern noch viel länger deiner Stimme gelauscht...“, meinte er schließlich leise. Auch ich wurde rot, als ich endlich begriff, was er gerade gesagt hatte. Konnte es vielleicht sein, dass er das gleiche fühlte wie ich? Aber wenn es nicht so wäre, hätte er mein Angebot für den heutigen Abend gar nicht annehmen müssen... „Ich... ich weiß nicht, was ich sagen soll... Aber... mir ging es genauso...“, brachte ich hervor und senkte den Blick. Ich konnte ihn gerade nicht ansehen. Er schien aber anderer Meinung zu sein und ergriff die Initiative, indem er meinen Kopf hob und mich einfach küsste. Vollkommen überrumpelt erwiderte ich den Kuss, ließ mich schließlich ganz auf ihn ein und schlang meine Arme um ihn, sodass ich ihn näher an mich ziehen konnte. Er schmeckte süß, ein bisschen nach Orangensaft. Ich schloss, genauso wie er, meine Augen und genoss einfach nur noch seine Nähe und seine Lippen auf den meinigen. Der Kuss dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis wir uns von einander lösten. Eine angenehme Stille machte sich zwischen uns breit, während wir uns ansahen und lächelten. „Warum war ich nur immer zu feige, dich anzusprechen...?“, fragte er leise mehr sich selbst als mich. Dennoch antwortete ich ihm. „Ich weiß es nicht...“ Er kicherte, legte seinen Kopf auf meine Schulter. „Ich bin schon so lange in dich verliebt... Schon seit ich dich das erste Mal gesehen habe... Aber ich war eben immer zu feige...“ Mein Herz schlug so schnell wie noch nie, als ich ihn näher an mich zog und meine Finger sanft durch seine Haare gleiten ließ. „Jetzt ist es ja gut...“, lächelte ich. Er nickte und schmiegte sich an mich. Sanft hauchte ich ihm einen Kuss auf die Stirn. „Allerdings muss ich gestehen, dass ich mich nie in dich verliebt hätte, wären wir uns damals nicht zufällig im Buchladen über den Weg gelaufen...“, meinte ich leise und brachte ihn zum Lachen. „Glaubst du wirklich, dass das reiner Zufall war?“ „Etwa nicht?“ Er schüttelte den Kopf und sah mich mit einem Glitzern in den Augen an. „Ich hab dich zufällig durch die Innenstadt laufen sehen und bin dir gefolgt... Und als du dann vor dem Bücherregal standest, da konnte ich nicht anders, als dich auf mich aufmerksam zu machen...“, erklärte er. „Ich wollte einfach nur, dass du mich bemerkst...“ Ich lachte auf und drückte ihn an mich. „Das hast du ja geschafft...“ Er nickte und schmiegte sich wieder an mich. „Ja, und diesmal lässt du mich hoffentlich nicht so einfach wieder gehen...“ „Bestimmt nicht... So einen Fehler begehe ich nicht zweimal...“, hauchte ich, hob seinen Kopf und küsste ihn wieder. Endlich hatte ich denjenigen gefunden, der mich glücklich machte. Und auch ihm schien es nicht anders zu ergehen. „Mein Murmeltier...“, flüsterte ich leise, nachdem wir uns wieder voneinander gelöst hatten und nun kuschelten. „Murmeltier?“, fragte er mich und blinzelte verwirrt. Lachend strich ich ihm über die Wange. „So hab ich dich gedanklich immer genannt, weil ich ja nicht wusste, wie du heißt... Und weil ich dich täglich auf dem Bahnsteig gesehen hatte, hast du mich irgendwie an diesen Film ‚Und täglich grüßt das Murmeltier...’ erinnert...“ Nun lachte auch er. „Dann bin ich eben dein Murmeltier...“, erwiderte er zufrieden. Noch am gleichen Abend kamen wir zusammen und zwei Wochen später lud Sophie uns auf Kaffee und Kuchen ein. Frank hatte ein großes Projekt in seiner Firma endlich abschließen können und das wollten sie feiern. Natürlich hatte ich ihr gleich gesagt, was Sache war und so stand ich an einem Sonntag Mittag zusammen mit Jonas vor ihrer Haustüre. Wie immer wurde ich mit einer herzlichen Umarmung begrüßt und auch Jonas kam nicht drum herum und wurde von meiner Schwester gedrückt. Ehe ich mich versah, hatte ich auch schon einen kleinen Wirbelwind an mir hängen. „Onkel Ben!“, rief Lea ausgelassen und quietschte, als ich sie knuddelte. „Na, Prinzessin? Alles klar?“ Sie nickte und sah dann Jonas an. „Hallo, Onkel Jonas...“, meinte sie und ich konnte sehen, wie sehr es ihn freute, dass sie sich seinen Namen gemerkt hatte. Auch Frank begrüßte uns wie immer, klopfte mir auf die Schulter und reichte Jonas die Hand. Bei Kaffee und Kuchen war das Kennenlernen wesentlich einfacher und wir verstanden uns alle prächtig. „Da hast du dir ja jemand ganz süßen geangelt...“, grinste mir meine Schwester zu, als ich einen Augenblick alleine war, weil Lea unbedingt wollte, dass Jonas sich ihr Zimmer anschaute und ihn kurzerhand entführt hatte. Ich grinste zurück. „Danke für die Blumen. Aber komm nicht auf die Idee, ihn mir irgendwie wegnehmen zu wollen...“, lachte ich leise und erhielt einen Knuff von ihr in die Seite. „Das brauchte ich gar nicht. Wozu hab ich denn Lea...?“, fragte sie und deutete auf die Tür. In selbiger war gerade meine Nichte erschienen, die sich an Jonas geklammert hatte und ihn scheinbar gar nicht mehr loslassen wollte. Ich lachte. Es erfüllte mich irgendwie mit einem sehr guten, berauschenden Gefühl zu sehen, wie Jonas in meine kleine Familie integriert worden war. Aber warum sollten sie ihn auch ablehnen. Schließlich ist er das Beste, was mir passierten konnte. ~ENDE~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)