Azrael von _-Gaaras_Alissa-_ (Pfad eines Dämonen) ================================================================================ Kapitel 19: Proteus Geschichte ------------------------------ Es ist spät in der Nacht. Lillith öffnet ihre Augen. Ein weiterer, gescheiterter Versuch einzuschlafen. Zu viele Gedanken schwirren in ihrem Kopf. Lucifers Vorhaben, sie umzubringen, Die Reise ihrer Söhne ins Ungewisse, Proteus – Weshalb denkt sie nur ständig an Proteus? Warum wohl? Allein beim bloßen Gedanken an ihn schlägt ihr Herz schneller, der Anblick seiner klugen Stahlaugen raubt ihr den Atem. Er ist so anders als alle anderen Männer, die sie kennt. Das völlige Gegenteil von Lucifer. So Sanft und freundlich. Doch hinter dieser unglaublichen Güte verbirgt sich eine verletzte Seele. **Das habe ich schon damals bei unserer ersten Begegnung gespürt. ** Lillith starrt zur Decke und verschränkt die Arme hinterm Kopf. **Was mag ihm solchen Kummer und Pein bereiten? Sagte er nicht, dass seine Eltern ums Leben kamen, als er jung war? Steckt noch mehr dahinter?** Sich den Kopf darüber zu zerbrechen besänftigt ihre Neugier nicht. Sie muss es einfach herausfinden. Leise steht sie auf und schleicht aus dem Zimmer. Mit einem raschen Blick ins gegenüberliegende Zimmer vergewissert sie sich, dass Kira noch schläft. **Armes Ding … ** Kira wimmert. Sie umklammert ihr Kissen fest und presst ihr Gesicht in den Stoff. Lillith kann ihren Schmerz spüren. Und nachvollziehen. Betrübten Blickes wendet sie sich ab, geht durch den kurzen Gang und schleicht die Treppe zur Eingangshalle hinab. Sofort wendet sie sich nach links und steht schließlich vor Proteus´ Zimmer. Lillith atmet tief durch und nimmt all ihren Mut zusammen. Dann klopft sie an die Tür. Tok, tok, tok „P … Proteus? Sind Sie da?“ Im inneren schallt sie sich selbst. Blöde Frage. Wo soll er um diese Zeit sonst sein? Peinlich berührt wartet sie einige Augenblicke, dann schüttelt sie resigniert den Kopf und wendet sich zum Gehen. „L … Lillith? Was … machen Sie denn hier zu so später Stunde?“ Sein verblüffter, schlaftrunkener Blick begegnet dem ihren und hält ihn fest. Prompt beginnt ihr Herz wieder zu rasen. „Ich … Ich habe nachgedacht. Sie kennen ja unsere Geschichte. Lucifer, Azrael, Soto … Aber was ist mit Ihnen?“ Proteus lächelt:„Wieso? Was soll mit mir sein?“ „Ich sehe, doch dass Sie etwas quält. Ist es das, was damals mit Ihren Eltern geschah?“ Urplötzlich sacken seine Schultern herab. Sein Blick verdunkelt sich. „Kommen Sie rein.“ „Zögerlich tut sie wie geheißen und folgt ihrem Vordermann in sein Zimmer. Es ist genauso nobel und edel wie der Rest der Villa. Angefangen vom riesigen Kronleuchter an der Decke, über teure Pflanzen und Regale voller dicker Bücher bis hin zum riesigen Bett mit verziertem Gestell. Auf Letzteres gehen sie zu und setzen sich nebeneinander auf die weiche Matratze. Proteus Blick wandert zur Decke und nimmt einen Ausdruck des Schmerzes an. Sein freier, drahtiger Oberkörper strahlt matt golden im Schein der Nachttischlampe. „Ich war noch jung. Ein Kind von knapp einhundert Jahren. Ziemlich verwöhnt und eingebildet. Eigentlich kein Wunder, bedenke man den Reichtum meiner Familie. Aber ich war auch aufmüpfig und ungehorsam und lief öfter von Zuhause weg wenn ich meinen Willen nicht bekam oder Ärger hatte. So wie an diesem einen, schicksalhaften Tag:“ Er bricht ab und blickt traurig zu Boden. Lillith´ Hand wandert auf seine Schulter. „Sie können ruhig aufhören, ich …“ „Es geht schon. Irgendwann muss man sich einfach etwas Schlimmes von der Seele reden. Es ist so lange her, doch erinnere ich mich als wäre es erst gestern gewesen.“ Er atmet tief durch. „Ich hatte einen heftigen Streit mit meiner Mutter. Der Grund ist mir zwar entfallen, doch es war sicher wieder nur wegen irgendwelchen unnötigen Kleinigkeiten. Ich lief weg und quartierte mich fast eine Woche lang bei einem Freund ein. So lange war ich vorher nie weggewesen. Ich kaufte für meine Mutter also teuren Schmuck als Entschädigung für mein Verhalten und hatte mir vorgenommen mich zu bessern. Doch dazu kam es nicht.“ Lillith erkennt Tränen in seinen Augenwinkeln. Sie rückt näher an ihn heran und nimmt eine seiner Hände in die ihren. „Geht’s?“ „Ja … Ich denke schon.“ Er beißt die Zähne aufeinander und schluckt hart. Sofort ist Lillith klar, was mit seinen Eltern geschah. Sie waren tot. „Als ich zuhause ankam beschlich mich ein seltsames ,beängstigendes Gefühl. Ich ging also ums Haus herum und sah, dass die Hintertür sperrangelweit offen stand. Vorsichtig schlich ich hinein und durchsuchte die Zimmer. Dann fand ich sie im Schlafzimmer. Ausgeraubt und ermordet!“ „Was?!“ Lillith schluckt beim Anblick der Tränen, die Proteus´ Wangen herabrinnen. Der Griff um seine Hand wird stärker. Seine Stimme beginnt zu zittern. „Sie waren grässlich entstellt und lagen auf dem Boden in einem Meer aus Blut. Ihre Kehlen waren durchgeschnitten und ihre Augen weit aufgerissen. Sofort stürzte ich schreiend auf sie zu und rüttelte an ihnen. Schrie sie an, sie sollen aufstehen. Obwohl ich wusste, dass sie mich längst nicht mehr hören konnten. Ich sackte zusammen. Saß in ihrem Blut und heulte. Vor Verzweiflung und allumfassender Wut auf mich selbst. Wäre ich nur da gewesen! Ich hätte sie beschützen und kämpfen sollen! Stattdessen habe ich sie sterben lassen ohne mich entschuldigen zu können! Ich …!“ Seine Stimme bricht, die Hände ballen sich zu Fäusten bis sich die Nägel in die Innenflächen graben und Blut zu Boden tropft. Lillith legt ihre Hände auf seine und blickt ihm tief in die Augen. „Nein … Es ist nicht Ihre Schuld. Sie waren ein Kind. Einen Kampf hätten Sie nicht überlebt. Bestimmt hat Ihre Mutter ihnen längst verziehen, Proteus.“ „Glauben Sie?“ „Ich bin doch selbst Mutter.“ „Ich danke Ihnen …Das bedeutet mir viel.“ „Was geschah dann?“, ermutigt sie ihn weiter zu erzählen. Proteus schluckt hart und nickt. „Ich stürzte in tiefe Depressionen. Niemand interessierte sich für mich oder kam in meine Nähe. Ich wurde Einzelgänger. Verbrachte die Tage in meinem Zimmer, schlief wenig und nahm kaum zu. Wenn ich etwas brauchte, stahl ich es.“ Lillith schweigt und hängt an seinen Lippen. Noch immer halten ihre Hände die seinen fest. Proteus seufzt und fährt fort. „Eines Morgens verließ ich wieder den Schutz meines Heimes und machte mich auf in die Stadt, schlich mich auf den Markt. Es war früh am Morgen und noch recht dunkel. Ich glaubte Glück zu haben, denn einer der Stände war völlig leer. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass niemand zu mir rüber sah, schnappte ich mir soviel ich tragen konnte und nahm die Beine in die Hand. Ein paar Straßen weiter versteckte ich mich in einer Gasse und wollte essen. Doch ich wurde plötzlich von hinten gepackt und zu Boden geworfen. Als ich mich erschrocken umwandte starrte ich in die Gesichter dreier Kinder. Sie waren jünger als ich, trugen zerrissene Lumpen und wirkten völlig verwahrlost. Richtige Straßenkinder. Sie entrissen mir das Essen, schlugen auf mich ein und verschwanden dann. Ich blieb zurück. Lag auf dem Boden und hatte überall Schmerzen. Ich sah die Erwachsenen vorbeiziehen. Niemand würdigte mich eines Blickes oder half mir auf. Niemand bis auf einen.“ Ein Lächeln schleicht sich auf Proteus´ Lippen. Er schließt seine Augen. Vor mir tauchte ein Fremder auf. Ein junger Mann von knapp zweihundertfünfzig Jahren. Er half mir auf und sagte mir, ich müsse stärker werden, damit so etwas nie wieder geschehe und ich mehr verliere als nur mein Essen. Also nahm er mich auf und brachte mich auf den Trainingsplatz. Ich wurde einer seiner Schüler und eiferte ihm nach. Er erstaunte mich. Wie ich hatte auch er seine Eltern verloren. Doch nie verlor er seinen Lebensmut oder seine Freude. Leider wurde er eines Tages schwer krank und verstarb. Ich war damals knapp dreihundert und sah all die Kinder vor mir, die unter dem Verlust ihres Lehrers litten. Ich überlegte nicht lange, trat in seine Fußstapfen und wurde zu dem was ich heute bin.“ Lillith muss all das erst einmal verdauen und schluckt. Sie nimmt ihre Hände von seinen. „Sie mussten viele Rückschläge einstecken und verloren Ihre Kindheit noch ehe sie richtig begann. Doch dann fanden Sie die Stärke nicht aufzugeben und gaben Ihrem Dasein einen neuen, edlen Sinn. Ihr Lehrer und Ihre Eltern wären sicher stolz auf Sie.“ „Ich danke Ihnen. Jetzt, da ich diese Geschichte endlich jemandem anvertraut habe, fühle ich mich gleich viel besser.“ „Wenden Sie sich einfach an mich wenn Ihnen etwas auf dem Herzen liegt. Ich bin immer für Sie da … Proteus.“ „Lillith …“ Von einem starken inneren Impuls geleitet, bewegen sich ihre Gesichter aufeinander zu und ihre Blicke treffen sich, halten sich gefangen. Nie zuvor hat Lillith solche Augen gesehen. Sie verliert sich völlig in ihnen und schließt schließlich ihre eigenen. Dann treffen sich ihre Lippen und alles andere um sie herum wird bedeutungslos. Ihre Herzen schlagen im gleichen Takte, verschmelzen sich zu einem Ganzen. Der Kuss ist sanft doch fordernd. Schließlich zieht Lillith sich zurück, die Augen schreckgeweitet. „Äh … Ich …Es ist schon fast Morgen und ich …“ Sie räuspert sich verlegen und lächelt während sie sich zur Tür begibt. Auch Proteus räuspert sich und steht auf. Seine Wangen sind gerötet wie die eines kleinen Jungen. „Ja … Sie haben recht … Ich mach dann mal … Kaffee …“ „Ja …“ Sie verschwindet nach draußen. Glücklich wie schon lange nicht mehr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)