Herzschlag von Kalliope (Das Buch der Rose) ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Die Stimmen aus der Großen Halle ergossen sich wie eine Fontäne über das Gemüt der sechzehnjährigen Weasleytochter. Überall um sie herum wurde lautstark gelacht, geredet und natürlich auch getratscht – vor allem getratscht, wenn sie sich die Mühe machte und genauer hinhörte. Dabei ging es vor allem um die üblichen Dinge, die Jugendliche in ihrem Alter interessierte; wer ging mit wem, welche Beziehung stand kurz vor dem Ende und wie sexy James Sirius Potter in seiner Kluft als Kapitän der Gryffindor-Quidditchmannschaft doch aussah. Sobald Rose solche Gesprächsthemen bemerkte, distanzierte sie sich und widmete sich lieber dem Pudding, den sie wie jeden Abend als Nachtisch verspeiste. Da sie ohnehin als Mauerblümchen und Streberin abgestempelt wurde, nährte sie dieses Vorurteil aus vollem Herzen, indem sie einfach gar nichts dazu sagte, selbst wenn es sie in manchen Fällen doch interessierte. „Rose?“ Die engelsgleiche Stimme ihrer Cousine Lily erklang hinter ihr und sobald Rose ihr ihre Aufmerksamkeit schenkte, erstrahlte ein Lächeln auf Lilys Gesicht, das ihre Verehrer reihenweise zu Asche werden ließ. „Ich dachte, du könntest mir vielleicht bei meinem Aufsatz in Geschichte der Zauberei helfen. Magst du dir meinen Text mal durchlesen und verbessern?“ Noch immer lächelnd hielt Lily ihrer älteren Cousine den Aufsatz hin. Rose räusperte sich, legte ihr Besteck zur Seite, stand auf und strich ihren Umhang glatt. Obwohl Lily zwei Jahre jünger war, war sie größer als Rose und überragte mit ihrer Schönheit sowieso alle anderen. „Ich habe selbst noch sehr viel zu tun, Lily…“ „Oh…“ Enttäuschung machte sich auf dem Gesicht der Jüngeren breit. „Na gut, trotzdem danke. Wir sehen uns dann später im Gemeinschaftsraum.“ Gemeinsam mit einigen Freundinnen machte Lily sich auf den Weg aus der Großen Halle. Rose seufzte, hob die beiden Bücher, die sie noch zurück in die Bibliothek bringen wollte, von der Bank auf und folgte ihrer Cousine in einigem Abstand. Es war natürlich eine glatte Lüge gewesen, dass sie noch selbst so viel zu tun hatte, denn Rose erledigte ihre Hausaufgaben stets ordentlich, schnell und gewissenhaft. Es kam so gut wie nie vor, dass sie noch in den Abendstunden etwas zu erledigen hatte, ganz im Gegensatz zu ihrem kleinen Bruder Hugo, der in Lilys Jahrgang war und ebenso wie seine Cousine einige Schwächen in bestimmten Fächern besaß. Manchmal fühlte Rose sich sogar schlecht, wenn sie Gründe vorschob, um den beiden nicht zu helfen, aber sie bevorzugte oft einfach ihre Ruhe und vertrat die Ansicht, dass jeder für sich selbst verantwortlich war. Noch dazu wurde sie, gerade von Lehrern, oft mit ihrer Mutter Hermine verglichen, die in ihrer Schulzeit eine herausragende Schülerin gewesen war. Rose wollte es ihr gleichtun und den Erwartungen gerecht werden, auf diese Weise hoffte sie Anerkennung zu finden, denn womit sollte sie sich sonst von dem Rest des großen Potter-Weasley-Clans abheben? James Sirius war Sucher und Kapitän der Quidditchmannschaft von Gryffindor, ihr Bruder Hugo Hüter, Lily Luna war für ihre liebreizende Schönheit bekannt und selbst Albus Severus, den sie von ihren vielen Cousins und Cousinen noch am meisten leiden konnte, genoss als Sohn von Harry Potter ein gewisses Ansehen, das ihm keiner nehmen konnte. Aber wer war Rose Weasley? Die Antwort darauf war leicht. Ein Niemand. Kapitel 1: Gepflegte Feindschaft -------------------------------- Rose schenkte ihrem Spiegelbild ein strahlendes Zahnpastalächeln, während sie noch ein letztes Mal über ihre glatten Weasleyhaare kämmte und sich anschließend zügig auf den Weg machte. In den letzten fünf Schuljahren war sie an keinem einzigen Tag zu spät zum Unterricht erschienen und daran sollte sich auch in ihrem sechsten und kommenden siebten Schuljahr nichts ändern, wenn es nach der ältesten Tochter von Hermine Granger ging. Immerhin hatte diese ihrer Tochter Rose stets die Tugend der Pünktlichkeit eingebläut. „Rose, warte auf mich!“ Ophelia Foley, Roses Klassenkameradin aus dem Hause Gryffindor, sauste aus dem Schlafsaal der Mädchen und schloss zu ihrer Freundin auf. „Puh, ich hoffe, dass Professor Longbottom uns nicht wieder mit dem Seelenleben der Alraune quält. Das Schuljahr läuft noch keine vier Wochen und ich bereue schon, dass ich meinen Kräuterkunde-ZAG mit Ohnegleichen bestanden habe und als weiterführenden Kurs gewählt habe.“ „Wie kann man denn bereuen, dass man in einem Fach die Bestnote hat?“, fragte Rose mit sichtlichem Unverständnis und konnte über Ophelias theatralischen Seufzer nur den Kopf schütteln. „Das habe ich ernst gemeint.“ „Ich weiß, Süße. Genau deshalb seufze ich auch.“ Die Brünette zwickte ihrer besten Freundin in die Wange, wofür sie einen empörten Blick erntete. Kurz darauf erreichten sie auch schon den Gemeinschaftsraum und gingen von dort weiter zum Kräuterkundeunterricht bei Professor Neville Longbottom. Ebenso wie Ophelia hatte auch Rose ihren ZAG in Kräuterkunde mit Ohnegleichen bestanden, wobei sie dafür unheimlich viel gelernt hatte, was sie nach außen nur ungerne zugab. Zwar stimmten ihre Noten in Kräuterkunde, aber es fiel ihr schwer und sie belegte den Kurs nur weiter, damit sie später eine schöne Sammlung an ausgezeichneten UTZ vorzeigen konnte. Rose mochte viel lieber die Fächer Verwandlung, Zauberkunst und Arithmantik. Auf dem Weg zum Gewächshaus von Hogwarts schnatterte Ophelia über das Frühstück und die beginnenden Planungen für den Halloween-Ball, der am 31. Oktober stattfinden sollte. Zwar waren es bis dahin noch fünf Wochen, doch die Gryffindor-Schülerin ließ sich keinesfalls die Vorfreude nehmen. „Allerdings weiß ich noch gar nicht, wen ich fragen soll. Alleine zum Ball zu gehen ist total blöd. Na ja, wenigstens können wir uns in Kräuterkunde in Ruhe darüber unterhalten.“ Rose brummte zur Bestätigung und zog die Augenbrauen ein wenig zusammen. Es war eine Tatsache, dass der weiterführende Kräuterkundeunterricht eine absolut slytherinfreie Zone war, denn sage und schreibe kein einziger Slytherin im sechsten Schuljahr hatte Kräuterkunde zu seinen UTZ-Prüfungsfächern hinzugefügt. Wie sagte ihr Cousin Albus doch gerne? „Man braucht Kräuterkunde nicht, um Zaubertränke zu verstehen.“ Und er hatte am Anfang seiner Hogwarts-Laufbahn behauptet, er wäre kein richtiger Slytherin, dieser Spinner. An den Kräuterkundeunterricht fügte sich in Rose‘ Stundenplan der Unterricht in Arithmantik an, danach hatte sie ihre Mittagspause und ging in die Große Halle, in der bereits das Essen aufgetischt war. Köstliche Gerüche flogen von überall durch die Luft und mit knurrendem Magen setzte sie sich an den Tisch von Haus Gryffindor. Zu ihrer Enttäuschung war Ophelia nicht zu sehen, weshalb sie schon einmal mit dem Essen begann. Wenige Minuten später gesellte sich Lily zu ihr. „Hey, Rosie“, sprach sie mit ihrer hellen, klaren Stimme und schenkte ihrer älteren Cousine ein strahlendes Lächeln. Derweil lud sie Reis und Rindfleisch mit Soße auf ihren Teller sowie zwei kleine Kürbismuffins. „Hugo redet ununterbrochen vom nächsten Quidditchspiel und geht mir damit tierisch auf die Nerven. Mittlerweile glaube ich, dass James ihn nicht ins Team hätte holen sollen.“ „Er kann nerven, das stimmt. Aber James weiß schon, was er tut.“ Rose musste sich eingestehen, dass James als Kapitän des Quidditchteams immer den richtigen Riecher hatte, auch wenn das bedeutete, dass das halbe Team aus Anhängern der Weasley-Familie bestand. Er selbst war der Sucher, Hugo Hüter und die schlagkräftige und laute Roxanne eine ausgezeichnete Treiberin. „Außerdem gefällt es Hugo und er kann den Ausgleich gut gebrauchen. Mom ist der festen Überzeugung, dass er dadurch mehr Verantwortung lernt und sich auf die Schule konzentriert; Dad freut sich einfach nur, dass er den Slytherins eins auswischen kann.“ Lily kicherte und schob sich einen Muffin in den Mund. „Ja, das ist typisch Onkel Ron. Hugo und er sind sich wirklich total ähnlich.“ Als sie einige ihrer Freundinnen erblickte, beeilte sie sich mit dem Essen, verabschiedete sich von Rose und eilte zu ihrer Clique. Rose selbst war auch mit dem Essen fertig, stand auf und verließ die Große Halle, um noch ein wenig durch die Gänge von Hogwarts zu schlendern. Seit der ersten Sekunde in diesen Mauern hatte sie das Schloss geliebt und es als ihr Zuhause angesehen. Zu schade, dass sie bereits im sechsten Schuljahr war; ehe sie sich versah, würden die UTZ-Prüfungen anstehen, jedenfalls sagte ihre Mutter das andauernd und war bereits jetzt aufgeregter als ihr ältestes Kind, obwohl Rose noch eineinhalb Jahre Zeit hatte. Mit jedem Schritt, der sie weiter von den Schülern in der Großen Halle forttrieb, fühlte Rose sich freier und ruhiger. Es war nicht so, dass sie keine anderen Menschen mochte, aber gerade unter den Gryffindors gab es viele, die einem Haufen quirliger Ameisen gleichkamen. Das passte nicht zu ihrer ruhigen und leicht eigenbrötlerischen Art. Nachdem sie sich ein ruhiges Fleckchen gesucht hatte, holte sie ein Buch für den Arithmantik-Unterricht hervor und begann darin zu blättern. Allerdings kam sie kaum einige Seiten weit, als sie eine bekannte Stimme hörte, die sie leicht zusammenzucken ließ. „Immer am Lernen, Miss Weasley? Fleißig, fleißig.“ „Was willst du, Scorpius?“ Mit zusammengezogenen Augenbrauen schlug sie betont laut das Buch zu und fixierte stattdessen den Hellblonden, der sich lässig gegen einen Pfeiler lehnte und sie sichtlich amüsiert musterte. „Ich bin nur zufällig hier vorbeigekommen“, antwortete der Malfoy-Spross, doch weiter kam er nicht, denn just in diesem Moment kam Hugo zusammen mit seinem Kumpel Tomasz um die Ecke gebogen und blieb für einen winzigen Augenblick wie angewurzelt stehen. „Die ganze Familie ist zusammen, wie schön.“ „Malfoy!“, blaffte Hugo sofort, kam mit großen Schritten auf seine Schwester zu und stellte sich beschützerisch vor sie. „Verschwinde, na los.“ „Aber, aber, man muss doch nicht gleich so unhöflich werden. Auf der anderen Seite sollte ich das von euch Weasleys ja mittlerweile gewöhnt sein.“ Mit einer majestätischen Ausstrahlung schwebte er von dannen und ließ einen erbosten Hugo und eine missmutige Rose zurück. „Wieso unterhältst du dich überhaupt mit dem?“, fuhr Hugo seine große Schwester von der Seite an. Obwohl er zwei Jahre jünger war, überragte er sie und spielte sich gerne auf. „Komm runter von deinem hohen Ross, du bist nicht mein Aufpasser“, fauchte sie zur Antwort, schnappte sich ihr Buch und stapfte fort. Im Gegensatz zu Hugo und ihrem Vater hatte sie nämlich nicht aus Prinzip etwas gegen alle Slytherins. Ja, Rose war sogar der festen Überzeugung, dass auch in Scorpius Malfoy ein netter Mensch steckte, jedenfalls hatte sie diesen Eindruck ab und an in den letzten Jahren gewonnen. Vielleicht spielte er aber auch nur allen etwas vor und war ein Meister der Täuschung, das konnte man – und hier stimmte das Klischee – bei Slytherins nie so genau wissen. Mit schnellen Schritten stürmte sie durch den Gang, bis sie sich etwas beruhigt hatte und die irritierten Blicke einiger Mitschüler wieder nachließen. Rose strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr, atmete tief durch und lehnte sich mit dem Rücken gegen die kühle Wand. Bald ging der Unterricht weiter und sie musste später am Nachmittag noch einen Aufsatz über die Zubereitung von Zaubertränken schreiben, der ihrer Meinung nach wenig Sinn machte, aber da hielt sie sich bedeckt. Erst die Stimme ihrer besten Freundin Ophelia riss sie aus ihren Gedanken. „Rose, ist alles in Ordnung bei dir? Du siehst etwas blass aus.“ Die Rothaarige nickte und lächelte. „Sicher, alles in Ordnung. Lass uns zum Unterricht gehen.“ Ophelia schwieg auf dem Weg zum Unterrichtsraum, aber da sie noch relativ früh waren und außer ihnen noch niemand hier war, hatten sie noch Zeit zum Reden. „Mir ist gerade Hugo über den Weg gelaufen und er war irgendwie nicht gut gelaunt. Er hat etwas von Malfoy gemurmelt, ist dann aber wieder gedanklich zum nächsten Quidditchspiel abgedriftet. Mich würde es ja nicht wundern, wenn er bei seiner Motivation später als Profi spielt, meinst du nicht auch?“ „Kann schon sein.“ „Ach Rosie, du gefällst mir ganz und gar nicht, wenn du eingeschnappt bist.“ Ophelias fein geschwungene Augenbrauen senkten sich nachdenklich, dann erhellte sich ihr Gesicht wieder. „Oh, ich verstehe… Wieso gibst du dich überhaupt mit Scorpius ab?“ Als andere Schüler zu ihnen stießen, senkte sie ein wenig die Stimme. „Hugo hat Recht, mit einem Slytherin lässt man sich nicht ein. Außerdem weißt du doch, dass er als Sucher für Slytherin tätig ist; Hugo, James und Roxanne würden es dir niemals verzeihen, wenn du deine Hausmannschaft hintergehst. So etwas tut man nicht.“ Rose‘ Miene verfinsterte sich nur noch weiter, was zu ihrem Gesicht gar nicht passen wollte. „So langsam kann ich dieses ganze Gerede nicht mehr hören. Wieso müssen Gryffindors und Slytherins verfeindet sein? Albus ist auch in Slytherin und wenn ich mit ihm unterwegs bin, stört sich keiner daran.“ „Aber er ist doch dein Cousin, das ist etwas vollkommen anderes.“ „Ist es nicht.“ Rose schien noch weiter argumentieren zu wollen, doch sie verstummte, als auch die anderen Mitschüler eintrafen und die Geräuschkulisse bei Gesprächsthemen wie dem nächsten Quidditchspiel und dem Halloween-Ball immer weiter zunahm. Doch je länger sie zusammen mit den anderen Gryffindors im Flur stand, desto mehr war sie davon überzeugt, dass der Sprechende Hut einen Fehler gemacht hatte. Sie war keine Gryffindor, sie war eine Ravenclaw. Kapitel 2: Schlangentanz ------------------------ Die Sonne neigte sich gerade dem Horizont zu und berührte mit den letzten Sonnenstrahlen, die durch das große, bunte Glasfenster drangen, den Federkiel in Rose‘ Hand, als sie den letzten Absatz ihrer Hausarbeit beendete. Zufrieden las sie sich die gut zehn Seiten starke Argumentation für das aktuelle Thema in Geschichte der Zauberei durch. Ja, das war gut so. Nachdem sie ihre Sachen von dem Tisch geräumt hatte, machte sie sich auf den Weg in die Bibliothek, um die Bücher, die sie sich dort zum Thema ausgeliehen hatte, wieder zurück zu bringen. Rose mochte diese Uhrzeit zwischen dem Abendessen und der Bettruhe, wenn die Flure und Gänge sich immer weiter leerten und man nur noch wenigen Seelen begegnete, die in aller Eile noch Freunde treffen wollten oder hektisch an die Hausaufgaben für den nächsten Tag dachten. Es war eine Zeit der Ruhe und Entspannung, wenn sie am Ende des Tages wieder neue Kraft sammeln konnte, doch genau diese Ruhe wurde unterbrochen, als sie Lilys engelsgleiche Stimme hinter sich hörte. „Rosie, warte mal bitte!“ Ihre Cousine kam etwas außer Atem bei ihr an, strahlte jedoch über das ganze Gesicht. „Rate, wer mich zum Halloween-Ball eingeladen hat! Lysander meint, wir könnten doch zusammen hingehen, soll ich seine Einladung annehmen?“ Etwas verdutzt starrte die Ältere in das Gesicht der Jüngeren, dann bildeten sich Denkerfalten auf Rose‘ Stirn und sie legte den Kopf ein wenig schief. Sie war irritiert, dass Lily ausgerechnet sie fragte, mit wem sie zu dem Ball gehen sollte, der noch nicht unmittelbar vor der Tür stand. Sicherlich war Rose klar gewesen, dass ihre hübsche Cousine schnell ein paar Angebote bekommen würde, aber seit wann bat Lily sie um ihre Meinung? Vor allem in Jungs-Fragen war Rose so hilfreich wie eine kreischende Alraune beim Umtopfen, das wussten alle. „Sicher, wieso nicht?“ „Na ja“, begann Lily gedehnt und strich sich eine der langen, roten Haarsträhnen hinter das Ohr, „ich dachte mir, dass du Lysander besser kennst als ich, immerhin seid ihr in einem Jahrgang. Er möchte, dass wir als Freunde hingehen, aber…“ Allmählich dämmerte es Rose, obwohl sie selbst nicht viel Ahnung in diesen Dingen hatte. Selbst ein mildes Lächeln konnte sie sich nicht verkneifen. „Ah, ich verstehe. Du würdest lieber mit jemand anderem als Paar hingehen, aber diese Person hat dich noch nicht gefragt?“ Lily nickte und errötete dabei, was sie in diesem Moment so kindlich wirken ließ, wie sie mit ihren jungen vierzehn Jahren vermutlich auch noch war. „Also, was meinst du?“ „Lysander ist nett, ihr werdet euch den ganzen Abend bestimmt gut amüsieren. Zu dem Rest kann ich dir nichts sagen, Lily, das ist deine Sache.“ Wobei Rose schon neugierig war, auf wen Lily ein Auge geworfen hatte. Zwar schien die Jüngere mit der Antwort nicht ganz zufrieden zu sein, doch bedankte sie sich für Rose‘ Ratschlag und begleitete sie noch bis zur Tür der Bibliothek. Liebe konnte so kompliziert sein, sagte man das nicht immer? Rose schaute Lily noch einige Sekunden hinterher, dann drehte sie sich mit einem leichten Kopfschütteln um und sog während ihrer nächsten Schritte den vertrauten Geruch alter Ledereinbände, goldenen Prägedrucks und vergilbter Papierseiten ein. Wenn der Abend ihre liebste Uhrzeit war, war die Bibliothek ihr absoluter Lieblingsort in Hogwarts – eine Leidenschaft, über die sie sich stundenlang mit ihrer Mutter unterhalten konnte. Ihre Augen wanderten geduldig über die Regalreihen, bis sie die gefunden hatte, aus der die drei Bücher auf ihrem Arm stammten. Gedankenverloren stellte die junge Weasley die Bücher zurück an ihren Platz, als ihr auf einmal bewusst wurde, wie sie beobachtet wurde. Ihre Nackenhaare stellten sich auf und sie spürte eine Gänsehaut unter ihrem Pullover, als sie sich zur Seite drehte und einen Blondschopf am anderen Ende des Gangs bemerkte. „Wenn du nicht aufpasst, fallen dir noch die Augen aus beim Anblick so vieler Bücher an einem Ort. Du bist doch bestimmt nicht gewöhnt von so viel Wissen an einem Ort eingeschüchtert zu werden.“ „Wenn mich etwas einschüchtert, dann bestimmt nicht die komplette Ausgabe über die Kriege von Hogwarts, meine Liebe.“ Priscilla Parkinson lächelte süffisant und entblößte dabei zwei Reihen perfekter Zähne, die in jeder Muggel-Zahnpasta-Werbung ein ausgezeichnetes Zuhause finden würden. „Darf ich?“ Noch immer lag ein Lächeln auf Priscillas Lippen und sie drängte sich an Rose vorbei, um nun ihrerseits ein Buch an seinen Platz zu stellen. Dabei glitt ihr abschätzender Blick über Rose und noch während sie sich zum Gehen abwandte, zuckten ihre Mundwinkel wieder nach unten. „Priscilla, wie lange brauchst du denn für so ein dämliches Buch… Oh. Hey, Rose.“ Albus fuhr sich durch seinen dunklen Wuschelkopf, nickte seiner Cousine zu und verschwand zusammen mit Priscilla außer Sichtweite. Aufgebracht schnaufte Rose, wobei ihr augenblicklich der Vergleich mit einem Walross in den Sinn kam und sie ihn als durchaus passend empfand. Diese Schnepfe Priscilla – in ihren Augen war sie das – war schon seit ihrem ersten Tag in Hogwarts so etwas wie ihre private Erzfeindin. Beide hatten ausgezeichnete Noten, waren bei den Lehrern beliebt und unterschieden sich doch in einem so wichtigen Punkt wie der Beliebtheit. Normalerweise redete Rose sich immer ein, dass ihr so etwas nicht wichtig war, aber selbst ihre Mutter Hermine wusste, dass keinem sechzehnjährigen Mädchen egal war, ob sie von anderen gemocht wurde oder nicht. Auch Rose Weasley nicht. * * * „Und dann fügen wir noch einige Aalaugen hinzu und lassen es weitere neuneinhalb Minuten köcheln.“ Rose schrieb die letzten Hinweise nieder, legte die Schreibfeder zur Seite und nahm vier Aalaugen aus dem Gefäß vor sich, die sie ihrem Zaubertrank hinzufügte. Danach drehte sie die kleine Sanduhr um. „Weißt du schon das Neuste?“ Ophelia beugte sich mit einem wahrhaft verschwörerischen Gesichtsausdruck zu ihrer Banknachbarin, wobei sie ihren Tonfall soweit gesenkte hatte, dass man sie über das Brodeln der Kessel hinweg nicht hören konnte. „Es geht das Gerücht um, dass Priscilla und Marcus sich getrennt haben. So kurz vor dem Halloween-Ball! Ist das nicht unglaublich? Man möchte meinen, die Gute sei am Boden zerstört, aber angeblich hat sie bereits ein Auge auf Scorpius geworfen.“ „Na und? Soll sie doch, das ist mir egal“, murrte Rose, nahm die Sanduhr in beide Hände und starrte hochkonzentriert auf den Sand – zumindest versuchte sie so zu wirken. Ophelia rollte mit den Augen, gab jedoch noch nicht auf. „Der Ball ist schon nächste Woche, stell dir das doch nur vor! Ich würde zu gerne sehen, wie Priscilla Parkinson ohne Tanzpartner auftaucht.“ „Was soll so schlimm daran sein, wenn man keinen Tanzpartner hat? Ich habe auch kein Date, macht mich das zur Außenseiterin?“ Als sie das minimale Zögern ihrer Freundin bemerkte, stellte Rose die Sanduhr auf dem Tisch ab. „Entschuldige mich bitte, ich muss mich um diesen Zaubertrank kümmern.“ „Ach komm schon, Rosie, so war das nicht gemeint. Du freust dich doch auch, wenn diese Slytherin-Tussi mal nicht absolut perfekt ist.“ „Perfektion sollte aber das höchste Maß sein, wenn man sich keine Ziele setzt, wird man nie etwas erreichen.“ „Du bist sauer, lass mich den Grund erraten. Also wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass du dich an dem allgemeinen Zickenkrieg bezüglich der Ballkleider beteiligst, aber ich kenne dich, Rose Weasley, das ist nicht dein Stil. Hast du Bertie Botts Bohnen mit Kotze-Geschmack erwischt? Roxanne hatte vorgestern Abend welche, als wir im Gemeinschaftsraum saßen. Sie sah aus, als würde sie sich wirklich gleich übergeben, total abgefahren.“ Obwohl Rose wütend auf Ophelia sein wollte – sie kannte nicht einmal einen genauen Grund dafür –, war sie es nicht und musste schließlich schmunzeln. „Ernsthaft? Kotze-Geschmack?“ „Oh ja, wirklich, du kannst sie nachher fragen. Diese Anekdote wird sie vermutlich noch ihren Enkelkindern erzählen.“ Ophelia gab Rose einen freundschaftlichen Stoß in die Seite, dann wandte auch sie sich wieder ihrem Zaubertrank zu. Die Braunhaarige mochte Rose seit dem Moment, als sie beide in das Haus Gryffindor eingeteilt worden waren. Auch wenn es nicht immer leicht mit Rose war, so freute Ophelia sich doch immer über Rose‘ Gesellschaft, immerhin waren die beiden auf ihre verquere Art und Weise so etwas wie beste Freundinnen, auch wenn sie sich nicht immer alles erzählten. Am Ende der Stunde packten beide Mädchen ihre Sachen zusammen, lieferten die Glasflakons mit Proben ihrer Zaubertränke ab und verließen den Kellerraum. „Geht es dir nicht auch so, dass du nach jeder Stunde Zaubertränke das Gefühl hast, dass die Luft hier draußen viel frischer ist?“ „Das kommt dir nur so vor“, murmelte Rose, die Nase noch in ein Buch gesteckt, das sich um den Zaubertrank der gerade beendeten Stunde drehte. Schließlich blieb Rose stehen, hob den Blick und schaute ihre Freundin unmittelbar an. „Glaubst du, dass ich jemals ein Date habe, solange wir noch zur Schule gehen?“ Ophelia konnte einen überraschten Gesichtsausdruck nicht verbergen und biss sich auf die Unterlippe. Sie wollte Rose nicht verletzen, aber sie kannte das Gerede der anderen und sie kannte Rose. „Schon gut, dumme Frage.“ Rose klappte das Buch zu und marschierte schnurstracks auf die Treppen zu. „Rosie, warte doch.“ Sie beschleunigte ihre Schritte, schloss zu Rose auf und berührte sie am Arm. „Natürlich wirst du ein Date haben und es wird wundervoll werden, ganz sicher.“ „Mir ist die Schule wichtig und mir sind meine Zensuren wichtig, wieso müssen mich alle als langweilige Streberin abstempeln? Denkst du, ich weiß nicht, was über mich geredet wird?“ Ophelia ließ Rose gehen, als diese sich losriss und mit großen Schritten voran ging, sodass sie schon kurze Zeit später irgendwohin verschwunden war. Ein Seufzer entkam ihrer Kehle, als sie zurück in ihr normales Tempo fiel und darüber nachdachte, wie Rose sich gerade wohl fühlen musste. Als ihre beste Freundin wusste sie, dass Rose darunter litt, dass ausgerechnet Priscilla alles bekam, was sie wollte. Die beiden konnten sich auf den Tod nicht ausstehen und das alleine war schon Grund genug dafür, dass Rose regelmäßig wegen Priscilla an die Decke ging, doch manchmal vermutete Ophelia noch mehr hinter der ganzen Sache. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass ausgerechnet Rose, die sonst für ihre ruhige und zurückhaltende Art bekannt war, nur wegen so einer dämlichen Weiber-Fehde die Beherrschung verlor und zu einer unerträglichen Zicke mutierte. Da musste mehr dahinter stecken – und je mehr Ophelia darüber nachdachte, wer oder was der Grund für Rose‘ seltsames Verhalten war, desto mehr wurde ihr klar, dass sie dieses Geheimnis nicht alleine lüften konnte. Es gab auch nur eine Person, der sie genug vertraute, um mit ihr diese Sache in Angriff zu nehmen, denn nur diese eine Person kannte sowohl Priscilla als auch Rose gut genug. Sie fand Albus Potter am Abend auf dem Rückweg vom Astronomieturm – Astronomie war das einzige Fach, das Rose nicht als UTZ-Kurs belegte, Albus und Ophelia hingegen schon, weswegen sie bis jetzt nach dem Unterricht gewartet hatte. „Albus, kann ich dich kurz sprechen?“ Sie ignorierte zwei seiner Kumpel aus Slytherin, die bereits hämische Kommentare abgaben. „Es ist wichtig.“ Als Albus noch immer nicht stehen blieb, brummte Ophelia leise. „Bitte, es geht um Rose.“ „Also gut. Geht schon vor, wir kommen gleich nach.“ Albus nickte seinen Freunden zu, wartete auf Ophelia und gemeinsam gingen sie etwas langsamer die gewundene Treppe hinab. „Was ist mit Rose?“ „Dasselbe wollte ich dich fragen.“ Sie suchte in seinem Gesicht nach irgendeiner Regung, die darauf schließen ließ, dass er mehr wusste als sie, doch sie sah nichts als eine Spur Langeweile, die der Potter-Spross in diesem Kurs immer an den Tag legte. „Sie benimmt sich in der letzten Zeit so merkwürdig und ich denke, dass es am Halloween-Ball liegt. Verstehst du, Rose hat keinen Tanzpartner und du weißt ja von dieser Feindschaft mit Priscilla und…“ „Also geht es mal wieder um Priscilla, ja?“ Albus unterbrach Ophelia genervt und wurde wieder schneller. „Ich halte mich aus diesem Mädchenkram raus, davon bekommt man nur Kopfschmerzen. Wenn meine Cousine sich mit ihr streiten will, soll sie das tun. Versteh mich nicht falsch, Rose liegt mir wirklich am Herzen, aber was genau willst du eigentlich von mir?“ „Ich möchte doch nur, dass Rose sich besser fühlt. Vielleicht wäre ein Date genau das Richtige für sie, vielleicht auch nicht. Ich weiß ja nicht, weshalb sie in letzter Zeit so schlecht drauf ist. Wobei nein, eigentlich kippte ihre Laune erst, als ich ihr erzählt habe, dass Priscilla und Marcus Flint sich getrennt haben. Wenn du mich fragst, waren sie eigentlich ein ganz niedliches Pärchen.“ „Ich habe dich aber nicht gefragt.“ Albus blieb stehen, sodass Ophelia beinahe in ihn hineingelaufen wäre. „Lass mich wissen, wenn ich etwas tun kann, um Rose‘ Laune zu heben, aber halte mich aus dem ganzen Beziehungskram und dieser Privatfehde raus.“ Ophelia setzte einen flehenden Hundeblick auf. „Kannst du nicht wenigstens mal bei Priscilla nachforschen, ob Rose einen Grund hat sie noch mehr zu hassen als sonst?“ „Ophelia…“ „Ja, schon gut, ich hab’s verstanden. Danke für die Hilfe.“ Die Gryffindor-Schülerin ignorierte Albus‘ Rufen und eilte die restlichen Stufen nach unten, wo sie den beiden wartenden Slytherins vernichtende Blicke zuwarf. Wie die meisten anderen aus Gryffindor pflegte sie die traditionelle Feindschaft zum Haus Slytherin nur zu gerne. Die Oktobernächte waren kalt und es fröstelte sie, als sie endlich einen wärmeren Flur erreichte, der sie zum Treppenhaus bringen würde, doch auf halbem Weg wurde sie von zwei Gestalten abgelenkt, die sich in dem Säulengang an einer der Säulen breit gemacht hatten. „Wenn man vom Teufel spricht…“ Eigentlich wollte sie Priscilla und Scorpius ignorieren und ging wortlos an ihnen vorbei, aber im letzten Moment, bevor sie in einen anderen Quergang einbiegen wollte, fiel ihr ein roter Haarschopf zwischen den Säulen des Quergangs auf. Sie schaute zurück zu den beiden Blondies, die sich über irgendetwas unterhielten, dann wanderte ihr Blick wieder zum Quergang. Sie hätte schwören können, dass dort in den Schatten Rose gestanden und die beiden anderen beobachtet hatte. Die Gedanken darüber, wieso Rose das getan hatte, bereiteten ihr Sorgen. Es passte einfach nicht zu Rose den beiden nachzuspionieren. Allmählich begann Ophelia sich zu fragen, wie wichtig Rose dieser Halloween-Ball wirklich war – und ob es hierbei nur um den Ball ging oder noch andere Dinge im Spiel waren, von denen sie nichts wusste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)