Der Antagonist von Alma ================================================================================ Kapitel 1: Fuchs ---------------- Ein Gähnen schlich sich aus Fuchs Mund und erwärmte die frische Morgenluft. Nur langsam begann sie ihre Glieder zu strecken und sich umzusehen. Sie war die Letzte, die aus ihrem Schlaf aufwachte – wie immer. Die anderen waren bereits beschäftigt. Sajid und Berry bauten die ersten Zelte ab während Verona und Monada Tee kochten und etwas halbwegs Essbares aus den Resten von Käse, Dörrfleisch und Eiern zubereiten versuchten. Mit einem letzten verträumten Schmatzen schälte sie sich aus dem Zelt und begann ein paar Dehnübungen für ihre eingeschlafenen Beine. Sajid und Berry warfen ihr ein freundliches „Guten Morgen“ zu, aber die beiden Frauen schienen zu beschäftigt um sie zu bemerken. Sie stritten um das Essen, aber Fuchs interessierte sich zu wenig dafür um ernsthaft zuzuhören. Stattdessen tat das rothaarige Mädchen, was sie immer morgens tat: sie begab sich außer Sichtweite der anderen, einige Meter von ihrem Camp entfernt, und übte. Ihre Fähigkeiten mit dem Dolch hatten sie über Jahre von den Menschen schützen können, aber sie würden ihr nicht gegen das helfen, was sie nun erwarten würde. Magie war nichts, das man mit einem Pfeil oder einer Klinge durchbrechen konnte. Es war erst wenige Wochen her, seit Sajid sie in die Ebenen der Magie eingeführt hatte. Er hatte etwas in ihr gesehen, was sie selbst niemals erahnt hatte. Ein magisches Talent. Nur wenige auserwählte Menschen hatten magische Fähigkeiten und Fuchs hätte nie gedacht, dass sie dazu gehören würde. Vor nur ein paar Monaten war sie wie jeder andere gewesen, hatte sich nicht von der Menge unterschieden und hatte diejenigen bewundert, welche Dinge vollbrachten, von denen die Menschen nur träumen konnten. Vor nur zwei Monaten war sie eines von hunderten Waisen gewesen, deren Eltern von dem Antagonisten getötet worden waren. Manchmal fiel es dem rothaarigen Mädchen schwer sich zu erinnern, wie lange das schon her war. Sieben Jahre? Ja, das würde wohl passen. Sieben lange Jahre, in denen sie sich als Diebin hatte herum schlagen müssen. Weit abwärts, am Rand des Kontinents, an dem die Magie des Antagonisten schwächer wurde. Hier gab es keine Monster, keine schwarzen Schatten und keinen Tod. Nein, hier gab es nur Menschen und noch mehr Menschen, sie sich panisch an den Küsten horteten, um dem Magier zu entfliehen, der das Salzwasser fürchtete. Manchmal hatte sich Fuchs gefragt, ob es wirklich schlimmer sein konnte, dort wo seine Macht noch mächtiger war, als hier. Hier kämpfte man um sein Leben und die Gier nach Ruhe und nach Essen hatte schon so manchen Mensch mit einem Messer auf sie zustürmen lassen. Also, wie viel schlimmer könnte es dort schon sein? Sehr viel schlimmer, wusste sie. Resigniert ließ sie sich im Gras nieder und starrte hinab auf ihre Dolche. Sie hatte sich entschlossen in sein Gebiet vorzudringen, doch um dort zu überleben musste man Magie beherrschen. Und sie hatte ihr „Talent“ erst vor einigen Wochen entdeckt. Talent – wenn man das überhaupt so nennen durfte. Zwar spürte sie etwas in sich, um sich herum, wie es in ihren Fingern kitzelte, aber es fiel ihr schwer es zu leiten, es das tun zu lassen, was sie wollte. Sie war ein offensiver Typ, hatte Sajid ihr erklärt. Offensive Magier konnten Waffen mit Zaubern belegen, die ihre Wirkung verstärkten, ihnen einen Reif aus Feuer, aus Eis oder aus Elektrizität geben. Sie konnten Explosionen hervor rufen, konnten ihre Schnelligkeit und ihre physische Kraft erhöhen und waren imstande einen Gegner mit einem Schlag alle Knochen zu brechen – vorausgesetzt dieser Gegner hatte einen Körper. Das alles sollte sie können, aber sie konnte es nicht. Sie bekam einfach nichts davon hin. Das Beste, das sie hatte zustande bringen können, war eine kleine Flamme an ihrem Dolch. Sie war ein Nichtsnutz. Auch jetzt, nach einer halben Stunde erfolglosem Training, fühlte sie sich nutzlos. Wütend warf sie ihren Dolch vor sich in das Gras, zog ihre Beine zu sich und schlug ihren Kopf verzweifelt gegen ihre Knie, dass es weh tat. Sie war nie dafür gemacht gewesen, nie für etwas Großes bestimmt und doch hatte sie sich an diese Menschen gehängt, um Heldin zu spielen. Aber sie war keine Heldin. Alles was sie war, war ein junges Mädchen, das zu viel Angst vor dem Antagonisten hatte und den Monstern, die er hervor brachte. Sie zeichnete nichts aus, sie war in nichts gut. Ihre Haare waren schulterlang, am Schopf zerstreut und wild gewachsen, zu allen Seiten abstehend und an den unteren Spitzen sanfte Wellen, die sich eng an ihren Hals schmiegten. Ihre Augen waren ein weiches Blau-lila, und ihr rundes Gesicht wurde von einer runden Nase und einem halbrunden Mund vervollständigt. Sie war klein und ihre Stimme war hoch. Sie war weder im Nahkampf noch im Fernkampf, nicht im Zaubern oder gar im Kochen gut. Sie war nicht stark, war nicht schnell, war nicht sonderlich intelligent oder gerissen. Kurzum: sie war ein ganz normales Mädchen, das eine fürchterlich falsche Entscheidung getroffen hatte. Wieso hatte sie sich nur von diesen Menschen überreden lassen mitzukommen? Wie kam sie nur auf diese abstruse Idee, dass sie diesen Leuten helfen konnte den Antagonisten zu besiegen? Das war wirklich einfach nur absurd. »Fuchs.« ertönte es plötzlich hinter ihr und erschreckte sie heftig. Sie hatte ihn nicht näher kommen hören, aber man konnte ihn selten hören, wenn er sich bewegte. Manchmal kam er ihr wirklich vor wie ein Geist. Nur langsam drehte sich das rothaarige Mädchen zu ihm um und versuchte ihre Enttäuschung nicht zu sehr zu zeigen. Vor ihr stand ein mittelgroßer Mann mit strohblonden Haaren, die sich wie Algen um seinen Kopf schlangen und ihm über die Ohren und bis kurz über den Nacken wuchsen. Eine dicke, schwarz umrahmte Brille versteckte seine grauen Augen hinter ihren Gläsern und schaffte es doch nicht seinen Blick weniger penetrant zu machen. Sajid hatte eine Art und Weise jemanden anzusehen, die einen gleichzeitig unwohl und geborgen fühlen ließ. Manchmal hatte Fuchs das Gefühl er schaue ihr direkt in ihre Seele, so tief ging sein Blick. Manchmal fand sie das angenehm, manchmal machte es ihr Angst. Sie wusste nicht, was es dieses Mal in ihr auslöste. Ein leichtes, stummes Lächeln kam über ihre Lippen, ehe sie den Kopf wieder abwand und auf den Dolch im Gras richtete. Ihre Stimme war leise und ausdruckslos. Sie wollte eigentlich nicht mit ihm reden, aber allein seine Präsenz drückte die Worte aus ihr heraus als wäre sie ein übervolles Fass. »Hey, seid ihr schon fertig?« »Ja, wir brechen bald auf. Übst du wieder? Wie geht es voran?« Seine Stimmlage war tief und ruhig und jedes Mal, wenn sie sie hörte, fühlte sie sich sicher. Sajid war der einzige, dem sie bisher Vertrauen schenken konnte. Die anderen waren alle zuallererst auf sich selbst gerichtet, nur dieser Mann schenkte ihr wirkliche Aufmerksamkeit. Er war es auch gewesen, der sie eingeladen hatte mitzukommen. Der ihr gezeigt hatte, dass sie tatsächlich Magie in ihrem Blut fließen hatte. Er war der selbstloseste und gutmütigste Mensch, den sie jemals gesehen hatte. Und der beste Magier noch dazu. Er konnte Dinge vollbringen, die selbst ihre kühnsten Träume überragten. Seine Magie war weiß wie das Licht und Blau wie die Freundschaft. Er konnte heilen und beschützen, konnte schwarze Magie einfach in Luft auslösen. Und er konnte etwas, von dem sie noch nie gehört hatte. Er konnte die Zeit zurückdrehen – wenn auch nur für eine Minute. Sajid war alles, was sie nicht war und noch viel mehr. Und dennoch blickte er nicht auf sie herab, sondern ermunterte sie immer wieder nicht aufzugeben. Vielleicht war sie auch nur mitgekommen, um bei ihm zu bleiben. »Ich bekomme es einfach nicht hin.« erwiderte Fuchs resignierend und ließ den Dolch auf dem Boden sich einmal im Kreis drehen. »…Egal was ich versuche, ich fühle es einfach nicht. Es tut nicht, was ich will. …Manchmal habe ich das Gefühl, dass da gar nichts in mir ist.« »Oh Fuchs.« Nun hockte er sich zu ihr herunter und lächelte sie mit diesem ruhigen, warmherzigen Lächeln an, das ihr Herz etwas höher schlagen ließ. »Gib nicht so schnell auf. Magie benötigt Zeit und Ruhe. Du musst es ruhig angehen lassen, du musst dich hineinsinken lassen, als wäre es Wasser. Komm her…« Sie spürte, dass er ihre Hand nahm und zusammen mit ihr den Dolch vor ihr aufnahm. »Schließ die Augen und halte den Atem an.« Als sie es tat, spürte sie seinen Atem an ihrem Ohr und wie sich seine Stimme durch ihr Gehirn fraß und eine Welle aus heißem Blut durch ihre Adern schickte. »Du kannst es fühlen. So heiß, wie Feuer. Reinigend und doch tödlich. Ein Schlag, der brennt, Rauch und Schwefel… so rot wie deine Haare. Spürst du es, Fuchs?« Sie schluckte hart und spürte es tatsächlich. In ihrem Innersten brannte es, sie brach in Hitze aus und selbst ihr Atem sprühte wie Feuer. Ihre Muskeln begannen zu zittern. »J-ja…« Sein linker Daumen drückte sich an ihre Schläfe, zog eine brennende, langsame Linie herab über ihren Hals, ihre Schultern, ihre Arme, bis hinab in ihre Finger. Es brannte so sehr, dass sie fürchtete zu verbrennen. Doch sie tat es nicht, stattdessen spürte sie ein heftiges Brodeln in ihren Fingerkuppen. »Genauso. Und nun denke an den Dolch.« Sie tat es und mit einem Mal war das Brennen verschwunden – nur noch ein fader Rest von der Hitze schäumte noch durch ihre Venen, wie ein Echo an jeder Biegung zurück prallend. Erschrocken öffnete sie die Augen und bemerkte, dass der Dolch in ihrer Hand Feuer gefangen hatte. Es züngelte wie ein lebendiges Wesen an seiner Klinge entlang und versuchte nach etwas zu greifen. Ihre Hand jedoch blieb unberührt. Voller Überraschung schnappte sie nach Luft und starrte auf ihr Werk, während Sajid sich wieder von ihr entfernte und lächelte. »Siehst du? Es ist in dir.« Nachdem ihr Herzschlag sich wieder beruhigt hatte, zog sie die Unterlippe nach vorn und starrte unsicher auf den Stahl vor sich. »Es ist dein Werk, nicht meines.« Sie spürte seine Hand in ihrem Schopf, wie er ihr Haar noch mehr durcheinander brachte. »Habe Geduld, es wird kommen. Du musst nur daran glauben.« Glaube, was? Sie hatte den Glauben längst aufgegeben. Sie hatte die Hoffnung an Gott aufgegeben, als ihre Eltern von dem Antagonisten hingerichtet wurden. Sie hatte aufgehört zu beten, als sie zu stehlen begonnen hatte, um überhaupt noch etwas essen zu können. Sie hatte nicht mehr geglaubt, seit die zerstörten Gesichter der Menschen gesehen hatte, die aus dem Inneren des Kontinents kamen – aus seinem Herrschaftsbereich. Wie konnte sie also noch glauben? Ihr Kopf sank ab. »Komm schon, wir brechen auf. Wir haben noch einen langen Weg vor uns.« Ohne Worte tat das rothaarige Mädchen, wie ihm befohlen wurde. Sie sammelte ihre Dolche ein und verstaute sie sicher in den Taschen an ihrem Gürtel und an ihrem Bein. Dann folgte sie dem blonden Mann zurück zum Camp, wo die anderen schon warteten. Berry, der große braungebrannte und muskelbepackte Mönch, dessen bester Freund sein großer Kolbenspeer war; Verona, die Anführerin der Gruppe mit ihrem schulterlangen schwarzen Haar und ihren beiden Pistolen und ihre kleine Schwester Monada, ein hübsches Mädchen mit langen, aalglatten schwarzen Haaren, die ihr streng geschnitten über den Körper flossen. Der Mann und das hübsche Mädchen schenkten ihnen ein Lächeln, doch Verona hatte nur eine strenge Miene für sie übrig. Fuchs hatte sie noch nie lächeln sehen und manchmal fragte sie sich ob sie das überhaupt konnte. Verona und ihre Schwester hatten ihre Eltern ebenso wie sie verloren, vor vielen Jahren, als der Antagonist die Welt mit seinen Schatten erobert hatte. Jeder, der sich ihm widersetzt hatte, war gestorben. Seine schwarze Magie hatte ganze Städte verwüstet, hatte Tote wiederaufleben lassen, hatte Gewitter heraufbeschworen und die Erde aufbrechen lassen. Er hatte Menschen hingerichtet, sie versteinert, sie zu Staub zerfallen lassen, sie verbrannt oder sie vergiftet – zumindest erzählte man sich dies. Alles mit der Macht der Magie. Sajid hatte ihr erzählt, dass ein Mensch nur den Zauber wirken konnte, der in seinen Adern schlummert. Dass ein Mensch nur das zaubern konnte, was er wirklich war. Was für ein Mensch musste der Antagonist also sein, um so etwas hervorbringen zu können? Wie viel Hass und Verachtung musste er spüren, um solche Magie zu wirken? Fuchs war froh, dass sie keine Schwarzmagierin war. Nicht, dass sie deswegen glaubte sie könne „ihre“ Magie dafür besser. Vor einem Monat hatte sie diese Gruppe in der Hafenstadt von Oyaka getroffen. Sie waren einfach in eine Bar hineingerannt und hatten laut und deutlich verkündet, dass sie gegen den Antagonisten ziehen würden, um ihn ein für alle Mal das Handwerk zu legen. Fuchs erinnerte sich gut – die Hälfte der Leute hatte ihnen schallend entgegen gelacht, die andere Hälfte hatte allein bei dem Namen des Bösen die Flucht ergriffen. Sie allerdings hatte zugehört. Obwohl von den vieren nur Sajid zaubern konnte, waren sie mutig genug in die schwarzen Gebiete hervor zu dringen. Auch wenn ihr das imponiert hatte, hatte sie es doch für dumm gehalten. Niemand konnte gegen den Schwarzmagier ankommen, insbesondere niemand der keine Magie beherrschte. Eigentlich hatte sie sich abwenden wollen, doch sie hatte es nicht gekonnt. Sajid hatte sie angesehen – die ganze Zeit nur sie. Letztendlich hatte sich niemand der kleinen Partie angeschlossen und die Vier wurden unter Schimpfworten und fliegenden Gläsern aus dem Pub verjagt. Fuchs hatte sich unbemerkt aus der anderen Tür der Kneipe gestohlen. Sie hatte damit nichts zu tun haben wollen. Es musste wohl so etwas wie Schicksal gewesen sein, dass sie sich Sajids Blick letztendlich doch nicht hatte entziehen können. Auf dem Weg zurück zu ihrer Unterkunft in einer engen Seitengasse der Stadt war sie in den Mann gerannt, den sie am Tag zuvor bestohlen hatte. Sie hatte nicht genug Zeit gehabt ihm zu entkommen, der dicke Mann hatte sie einfach am Arm gepackt und ausgeholt. Doch in dem Moment, als der Schlag sie hatte treffen sollen, hatte der Mann geschrien und war wie ein Ball von ihr zurück geprallt. Sie selbst hatte ein blaues Schimmern umgeben, wie eine zweite Haut, dass ihr das Herz in die Hose gerutscht war. Ein physischer Abwehrzauber, wusste sie nun. Ein Zauber, der jede Berührung, jeden Schlag, jede Waffe zurück katapultierte. Sajid hatte sie damit belegt, um sie zu schützen. Er war zwischen sie und den Mann getreten und hatte ihr in die Augen gesehen. Hatte in ihr Innerstes gesehen, als würde er sie aushöhlen wollen. Sie hatte sich so nackt gefühlt in diesem Moment, ausgebeutet und verängstigt, als hätte er tatsächlich ihre Gedanken, ihre Vergangenheit lesen können. Und dann hatte er etwas getan, das sie überhaupt nicht erwartet hätte. Er hatte gelächelt. Dieses warme Lächeln, das sie wie ein Zuhause anfühlte. Dann war alles viel zu schnell gegangen. Er hatte sie seinen Freunden vorgestellt und ihnen erklärt, dass er sie endlich gefunden hätte. Vollkommen verdattert hatte sie dagestanden und zugehört, wie er von magischen Fähigkeiten redete, die sie nie zuvor gehabt hatte, wie er davon redete, dass sie ihnen helfen könnte, obwohl sie das nie vorgehabt hatte. Und nun war sie hier. Warum? War es die Neugier nach etwas, das sie zu etwas Besonderem machte, zu einer echten Magierin? War es die Überdrüssigkeit des Lebens an der Küste und ihren zerstörten, kranken Menschen, die jeden Tag starben und geboren wurden nur um erneut viel zu schnell zu sterben? War es der Wunsch nach Rache an dem Antagonisten? Oder war es das Versprechen, das Sajids Augen ihr jedes Mal gaben, wenn sie in sie hineinsah – das Versprechen eines Zuhauses? Fuchs hatte es nicht gewusst und wusste es auch jetzt nicht. Aber nun war sie hier und es war zu spät, um sich noch einmal umzuentscheiden. Zuerst hatten die drei Anderen sie mit Vorsicht behandelt, hatten sie nur in ihre Gruppe zugelassen, weil Sajid ihnen das Versprechen auf eine wertvolle Mitstreiterin gegen die Magie des Bösen gab. Inzwischen waren Berry und Monada ein wenig aufgetaut. Nur Verona schien sie gar nicht zu beachten – aber sie schien niemanden besonders zu beachten. Sie sah Fuchs nie direkt in die Augen, aber selbst wenn sie die ihren nur aus dem Augenwinkel sah, konnte sie sehen, was in ihnen verborgen lag. Nichts weiter als die blutdurstigen Rachegedanken und eine solche Beharrlichkeit und Ausdauer, wie sie es noch nie gesehen hatte. Diese Frau schien nur noch für eines zu leben: für ihre Rache an dem Antagonisten. Nichtsdestotrotz war sie ihre Anführerin und jeder befolgte ihre Befehle. Sie war geschickter mit ihren Schusswaffen, als jeder andere, den sie je gesehen hatte. Sie war klug und durchtrieben und hatte etwas in ihrer Stimme, das keine Widerworte zuließ. Ihre Schwester war hingegen ganz anders. Monada war herzlich und sanft und innerlich genauso schön wie äußerlich. Sie lachte oft und lächelte immer und versuchte Tag um Tag ihrer großen Schwester etwas Ruhe auf die angespannten Züge zu zaubern. Bisher hatte sie keinen Erfolg gehabt. Berry ergänzte Monada auf eine perfekte Art und Weise, dass Fuchs die dunkle Aura ihrer Anführerin vergessen konnte. Sie mochte die lockere Art, wie er die Dinge anging, wie ihm nichts Angst zu machen schien und wie er jede Gefahr mit einem Lachen zum Schweigen brachte. Er war stark und überaus geschickt mit seinem Speer und wenn er lachte, bebte der Boden. In seinen dunklen Augen war die gleiche Wärme, wie sie sie in Sajids fand – nur impulsiver und unbarmherziger. Sie hatte begonnen ihn zu mögen. Veronas harte Stimme riss Fuchs aus ihren Gedanken und zog sie zurück in das Jetzt. Der scharfe Blick aus ihren eisig blauen Augen ließ keine Zeit ihr zu widersprechen. »Wir brechen auf.« Hastig sammelte Fuchs ihr restliches Hab und Gut zusammen und schwang es sich in einem kleinen Rucksack über die Schultern. Sie gesellte sich an Sajids und Berrys Seite, während Monada in einem Gang, der wie ein Tanz aussah, versuchte mit ihrer Schwester Schritt zu halten und sie in ein Gespräch zu verwickeln. Auch damit schien das hübsche junge Mädchen keinen Erfolg zu haben. Die beiden Männer neben ihr schwiegen darauf nur. Fuchs hatte gar nicht erst versucht Kontakt mit ihrer Anführerin aufzunehmen, sie war kein Mensch der offenherzig auf andere zuging. Stattdessen hatte sie zuerst einmal beobachtet und ihre Kameraden zu analysieren versucht – eine alte Angewohnheit aus den Straßen Oyakas. Der große braungebrannte Mann und Monada schienen vertrauenswürdig und ehrlich, nur über Verona konnte sie sich partout kein Bild machen. Fuchs versuchte ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken und genoss stattdessen in der Mitte zweier Männer zu laufen, neben denen sie sich nicht fürchten musste. Diese Art von Sicherheit hatte sie lange vermisst und stürzte sich nun übermütig in die Endorphine, die sie auslösten. Sie wusste, dass diese trügerische Sicherheit bald vorbei war. Die Gruppe hatte innerhalb eines Monats bereits viel hinter sich gelassen. Die Küstenregionen waren weit weg und je näher sie der Mitte des Kontinents kamen, umso penetranter wurde das Gefühl beobachtet zu werden. Menschen und Dörfer sah man hier kaum noch und selbst die Tiere verhielten sich anders, als man es gewöhnt war. Die Schattenländer waren nah, die Grenze zum innersten Kreis seines Herrschaftsgebietes. Ab dort, das wusste sie, würde sich alles ändern. Der Tod würde ihnen auf Schritt und Tritt folgen und sie für jeden Fehler richten. Ihr Herz begann sich in ihrer Brust schmerzhaft zusammenzuziehen, als sie daran dachte. Sie war längst nicht bereit dafür. Sie konnte ihre Magie doch noch nicht einmal anwenden! Sie würde sterben, sobald sie in den inneren Ring trat. Sie war einfach nicht dafür gemacht eine Heldin zu sein. Doch die Angst vor dem Tod konnte sie längst nicht mehr lähmen. Sie hatte sie die letzten sieben Jahre begleitet – warum sollte sie nun also in der Lage sein etwas zu ändern? Fuchs hatte sich mit ihrer Furcht arrangiert, hatte mit ihr zu leben gelernt und sie akzeptiert. Und dennoch war dieses Gefühl ein anderes als all die Male zuvor. Sie kroch ihr bis unter die Haut und begann sie auszuhöhlen. Ihr Tod lauerte dort auf sie, wartete nur darauf, dass sie sich in sein Maul begab. Und sie würde es tun, nur um dem wahren Leben, dort draußen an der Küste, zu entgehen. Um sich der Illusion hinzugeben etwas verändern zu können. Die Sonne neigte sich dem letzten Drittel ihres Weges zu, als die Gruppe in ein Tal stieß, das an seinen Rändern mit großen Bäumen besetzt war, deren Wurzeln wie Finger nach dem Grasland griffen und seine Oberfläche zerfetzten, große Spalten der Zerstörung in sie rissen. Es wirkte beinahe wie ein Gladiatorium, so eingezäunt von hohen Bäumen war die ovale Grasfläche in der Mitte, fast so als wäre hier vor langer Zeit ein Meteorit gelandet. Fuchs strengte ihre Augen an, um die Umgebung auszuspähen, doch sie sah nichts Ungewöhnliches. Nichts, was einen Angst zu machen brauchte zumindest. Selbst wenn sie auch hier das Gefühl hatte beobachtet zu werden. Der Gedanke rieselte ihr kalt den Rücken hinab und lähmte für einen Moment ihren Schritt. Ehe sie jedoch etwas sagen konnte, stürmte ihre Anführerin bereits davon und watete hinab in das Tal, den Blick erbarmungslos nach vorn gerichtet. Sie ließ der Gruppe keine Zeit um stehen zu bleiben. Berry und Monada tauschten einen wissenden, unsicheren Blick aus und folgten Verona auf Schritt und Tritt. Sajid und Fuchs blieben einen Moment lang zurück, der Blick prüfend auf dem Tal gelegen. »Mir gefällt das nicht.« wisperte Fuchs endlich. Sie spürte sein Lächeln, selbst wenn sie es nicht sah. »Du spürst die Magie des Ortes, dass etwas näher kommt.« Doch dann versiegte seine Freude. »Mir geht es ganz ähnlich. Etwas ist hier.« Das rothaarige Mädchen schluckte so hart, dass sie beinahe ihre Zunge verschluckt hätte. Die Angst streckte ihre Finger nach ihr aus und riss an ihrem Verstand, doch Fuchs drängte sie angestrengt zurück. Gerade als sie den ersten Schritt machen wollte, spürte sie Sajids warme Hand auf ihrer Schulter und schreckte zurück, als sie das angenehme Prickeln fühlte, das seinem Zauber inne wohnte. Von der Stelle aus, an der er sie berührt hatte, schlängelte sich nun ein blauer Schimmer über ihren Körper und ließ sie sich kalt und einsam fühlen. Defensive Magie, ein Schutzschild gegen physische Attacken. Fuchs schluckte und ließ ihre angstzerissenen Augen zu dem blonden Mann gleiten. Sein Lächeln war längst vergangen, er nickte ihr nur noch zu und setzte sich dann in Bewegung. Sie selbst brauchte einige Sekunden, ehe sie sich endlich überreden konnte ihm zu folgen. Als die beiden Magier endlich zu ihren Gefährten aufgeschlossen hatten, schrak ein Schwarm tiefschwarzer Vögel aus einem angrenzenden Baum auf und ergoss sich krächzend in den nahenden Sonnenuntergang. Ein leichtes Beben ertönte, die Erde begann sich zu bewegen und ein Donnern lag in der Luft als hätte jemand den Schall überwunden. Verona und ihre Schwester blieben stehen, während Berry sich bereits kampfbereit machte. Aus dem Augenwinkel sah sie wie die beiden Schwestern ihre Waffen zogen und Sajid begann die gleichen Abwehrzauber auf die Anderen zu wirken. Und dann, schneller als es ihr lieb war, tauchte etwas aus dem Wald aus, das ihren Körper vollkommen der Angst übergab. Mit einem dumpfen, tiefen Blöken das an einen Hirsch erinnerte, trat ein Koloss zwischen den Bäumen hervor und stampfte direkt auf sie zu. Es wirkte nicht menschlich und doch war es der Körper eines Menschen, der auf sie zukam. Riesig, aufrecht auf den Beinen laufend, mit einem Bauch und zwei Armen, mit annähernd so vielen Muskeln ausgestattet wie mit Haaren. Ein Fell überspannte seinen Körper, ähnlich der rauen Haut eines Büffels und eine Mähne wie bei einem Pferd hatte sich tief in seinen Rücken geschnitten und reichte bis hinauf zu seinem Kopf. Die Augen leuchteten gelb und furchterregend und das Maul war voller scharfer ebenso gelber Zähne, die sich knirschend aneinander rieben, als das Monstrum seine Beute erkannte. Fuchs Magen drehte sich um und sie war kurz davor sich zu übergeben. Es war nicht die Gestalt, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ, sondern sein trauriges, schmerzerfülltes Heulen und die Gewissheit, was es wirklich war. Ein unschuldiges Tier, vielleicht auch ein Mensch, übernommen von dunkler Magie, eine Mutation aus Hass, Angst und Verzweiflung. Eines der Monster des Antagonisten. Sie hatte viele Geschichten über die Schattenländer gehört und sie wusste, dass es egal war ob diese stimmten oder nicht. Was sie hier vor sich sah, war echt - es war das, was aus einem Menschen werden konnte, wenn er sich dem Hass ergab und sich in seinem Schmerz suhlte. Es war pures Leid, das eine physische Form angenommen hatte. Verona und Monada waren die ersten, die in den Angriff übergingen. Der erste Schuss der Pistole ertönte zeitgleich mit dem Zischen des Pfeiles aus Monadas Bogen. Und in dem Moment als sie ihr Ziel trafen, rammte Berry seinen Speer gegen das Bein des Kolosses, auf dass dieser stöhnend und wütend in die Knie ging und mit seiner gewaltigen Pranke nach ihm schlug. Mit nur einem einzigen geschickten Sprung wich der braungebrannte Mann dem Angriff aus und setzte sogleich erneut zu einem Angriff an. Weitere Schüsse ertönten und ein Hagel aus Pfeilen segelte auf das Monster herab, das Fleisch bereits an duzenden Stellen durchbohrt und heraus gerissen. Doch statt Blut leckte nur eine schwarze, dicke Flüssigkeit aus seinen Wunden, die das Gras verbrannte, als es zu Boden tropfte. Entsetzt starrte Fuchs dem Schauspiel entgegen und konnte sich nicht bewegen. Sie war starr vor Angst. Sie stand einfach nur am Rand, während die anderen kämpften und sich Befehle zu schrien, mit jedem Angriff etwas mehr Schaden verursachend. Ihre Beine wollten sich einfach nicht bewegen. Plötzlich ertönte erneut das Erdbeben und die Luft begann zu erzittern, als der Koloss das Maul öffnete und einen schmerzhaften Schrei ausstieß. Er war in so einer hohen Frequenz, dass Fuchs glaubte ihr Trommelfell würde heraus gesprengt, war so laut, dass nicht einmal ihre Hände über ihren Ohren den Schmerz dämpfen konnten. Ihr wurde schwindlig und je länger das Jaulen ging, desto weniger Kraft spürte sie in ihren Beinen. Kraftlos sank sie zu Boden, die Hände noch immer gegen ihre Schläfen gepresst und schrie. Sie schrie all ihren Schmerz heraus und hoffte so, die Angst zu verdrängen. Doch ihr Wunsch erfüllte sich nicht. Stattdessen bebte die Erde so sehr, dass es in ihren Knochen nachbebte. Jemand schrie und dann ertönte ein Schlag, der den Boden aufriss und Fuchs beinahe in seinen Schlund gerissen hätte. Das Mädchen öffnete ihre Augen, aber es ging alles viel zu schnell. Sie erkannte, dass Berry und Monada wenige Duzend Meter neben ihr lagen und schwer aufkeuchten, konnte Verona sehen wie sie sich den blutenden Arm hielt und Sajid, der auf sie zulief. Und vor sich den Koloss, seine Augen auf ihre kleine Gestalt gelehnt, den Arm ausholend und mit dem gewaltigen Bein auf den Fleck zielen, auf dem sie stand. Sie hatte nicht einmal mehr Zeit zu schreien. Der Boden erbebte so schlimm, wie nie zuvor, als sein massiger Körper fiel und noch mehr der Grasnarbe aufriss. Sie spürte heißes Blut und kalte Finsternis auf sie hinab regnen, sie vollkommen bedecken und ertränken. Ihr Körper war umrahmt von Dunkelheit, die Hände schmierig von dem Blut des Kolosses und ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Neben ihr lag der Körper des Monstrums, links seine rechte Körperhälfte, rechts seine linke – einfach entzwei geschnitten wie ein Stück Butter. Sie kniete in seinem Tod, war über und über bedeckt mit dunkler Magie, die kälter war als jedes Eis. Und vor ihr stand ein Mann, genauso dunkel wie ebendiese Magie. Gekleidet in schwarzen Stoff, die dunklen Haare glatt und bis zu seiner Schlüsselbein in feinen Linien über seine Schultern fallend, vom Ansatz bis zu den Spitzen hin gerahmt von blutroten Strähnen. Seine stechend gelben Augen auf sie gerichtet, bis oben angefüllt mit Arroganz, Unmut und Dunkelheit. Und ein Lächeln, so böse wie sie es noch nie gesehen hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)