Trust me von Flordelis (Eternal Chronicles) ================================================================================ Kapitel 5: Trust me ------------------- Ich wäre am Liebsten im Boden versunken. Den ganzen Weg zurück ins Wohnheim sprach Sorluska über das Ereignis in der Mensa als wäre es irgendwas besonders Erstrebenswertes, dem Schulliebling eine Gehirnerschütterung zu verpassen – so viel hatte ich durch Gerüchte erfahren, Zetsu war immerhin nicht ins Klassenzimmer zurückgekehrt. Thalia sagte nichts dazu, aber ihrem Schmunzeln war anzumerken, dass ihr das Thema ebenso gefiel. Vermutlich war sie auch kein Fan von Zetsu. Gut, das war ich auch nicht, aber dennoch... Agano-san erwartete mich mit einer standesgemäßen Standpauke, an deren Ende ich außerdem meine erste Verwarnung erhielt und erfuhr, dass ich davon genau drei Stück ansammeln durfte, ehe ich wieder nach Hause und dort vielleicht in eine Militärakademie gehen durfte. Wenigstens würden meine Eltern noch nichts davon erfahren, das geschah erst mit der zweiten Verwarnung. Auf deren Schimpftirade hatte ich nämlich noch weniger Lust. Wie jedes Mal, wenn ich für meine Taten eine Standpauke erhalten hatte, die mein ohnehin bestehendes schlechtes Gewissen noch ein wenig verstärkten, fühlte mein Innerstes sich dumpf und hohl an. Ich wusste ja, dass ich es verdient hatte, aber dennoch kam es mir wie jedes Mal auch so unfair vor, immerhin konnte ich nichts dafür. Ich wollte ja gar nicht so reagieren oder andere verletzen – aber manchmal sah ich eben keine andere andere Wahl, so wie an diesem Tag. Da das Abendessen mein schlechtes Gewissen nur verschlimmerte – immerhin war Sorluska nach wie vor sehr begeistert über meine Tat und musste selbst Takase-san in den schillerndsten Farben davon berichten – beschloss ich, im Anschluss noch ein wenig im Park gegenüber spazieren zu gehen. Zu jenem Zeitpunkt erinnerte ich mich nicht mehr an jene Gestalt, die ich an meinem ersten Abend dort gesehen hatte, genausowenig wie an das Blitzen und sogar die Leiche des Vortags war mir entfallen, sonst wäre ich mit Sicherheit nicht dort hingegangen. Da wir während des Tages zweimal durch den Park gelaufen waren, dachte ich mir nichts dabei, als ich ihn in der Dunkelheit betrat. Ich dachte mir auch nichts dabei, als ich bemerkte, dass niemand außer mir sich hier befand, sondern begrüßte diesen Zustand sogar noch, so konnte mich immerhin niemand nerven, während ich versuchte mich zu beruhigen. Während ich ziellos umherlief, überlegte ich, ob ich mich nicht vielleicht doch bei Zetsu entschuldigen und ihn bitten sollte, das alles zu belassen und uns fortan gegenseitig zu ignorieren. Wenn er mich in Ruhe ließ, würde ich mit Sicherheit auch auf lange Sicht gesehen keinen Grund mehr zum Ausrasten finden. Ich wusste nicht, ob er wirklich so vernünftig war oder ob er mir überhaupt helfen wollen würde, deswegen war ich mir nicht sicher, ob dieses Vorhaben wirklich eine gute Idee war oder überhaupt Chancen auf Erfolg bestanden. Mir blieb wohl nur, es zu versuchen, sobald ich ihn wieder sah, was hoffentlich am nächsten Morgen sein würde. Doch noch während ich das beschloss und wieder den Weg ins Wohnheim antreten wollte, spürte ich, dass ich plötzlich nicht mehr allein war – und wer sich immer noch hier befand, war eindeutig gefährlich. Die Aura der Feindseligkeit war derart stark, dass es sich nicht nur um irgendeinen Banditen handeln konnte, es musste etwas wesentlich Schlimmeres sein. Ich blieb stehen und sah mich um, doch das einzige, was ich sehen konnte, war eine Frau, die in der Nähe unter einer Laterne stand. Sie hatte weißes Haar, genau wie jene, die ich an meinem ersten Abend von meinem Fenster aus hatte entdecken können. Aus der Nähe betrachtet, stellte ich fest, dass ihr langes Haar leicht gewellt war, ihre Haut war fast genauso bleich und erinnerte mehr an Porzellan... aber das war es nicht, was mich so irritierte. Nein, es war die Feindseligkeit, die von ihr ausströmte, die so rein war, dass es selbst mir fröstelte. Ich zweifelte daran, dass man mit ihr in irgendeiner Art und Weise sprechen könnte. Ich wollte einen Schritt zurückmachen, um mir einen anderen Weg zum Wohnheim zu suchen, doch noch im selben Moment wandte die Frau mir den Blick zu, so dass ich wieder innehielt. Durch das Haar, das ihr ins Gesicht fiel, konnte ich ihre Augen nicht erkennen, was den unheimlichen Schimmer, der sie umgab, noch weiter verstärkte. Was mich aber an meinen eigenen Augen zweifeln ließ, war die Tatsache, dass plötzlich ein helles Leuchten in ihrer Hand erschien – und im nächsten Moment hielt sie einen weißen Stab darin, von dem eine unsagbar starke Energie ausging, die mir die Luft rauben wollte. Ich konnte nichts anderes tun als die Frau und den Stab anzustarren – und dabei zu denken, dass mir das alles auf irgendeine Art und Weise bekannt vorkam. Die Erinnerung war nur undeutlich, verschwommen, als käme sie aus einem vor langer Zeit erlebten Traum, aber sie war eindeutig da. Das half mir allerdings nicht weiter, denn die Bedrohung ging davon immerhin nicht weg. Einen kurzen Moment lang tat die Frau nichts mehr und ich hoffte bereits, dass sie fortgehen und mich ignorieren würde – doch stattdessen ging sie plötzlich doch einen Schritt auf mich zu, dabei hob sie den Stab, der in einem unheilvollen Licht zu glühen begann. Etwas Schreckliches würde gleich geschehen, das wusste ich einfach, es war deutlich spürbar und kündigte sich neben dem Licht auch durch ein Knistern in der Luft an. Doch plötzlich lenkte mich etwas von der düsteren Atmosphäre ab, etwas, das so unpassend war, dass es einen einfach herausreißen musste. Für einen kurzen Moment fühlte ich mich als ob ich vergessen hätte, im Kino mein Telefon auszuschalten, so dass es mitten während einer spannenden Szene zu klingeln begann und ich die verärgerte Aufmerksamkeit aller anderen Anwesenden auf mich ziehen würde. Das Gefühl war gar nicht mal so verkehrt, denn es war das Geräusch einer Nachricht, das mich so aus dem Geschehen riss. Ich wollte es ignorieren, immerhin stand ich hier gerade einer feindseligen Frau gegenüber, aber als ich einen kurzen Blick auf meine Tasche hinunterwarf, stellte ich fest, dass mein Handy sogar... leuchtete. Das war definitiv nicht normal, weswegen ich die Frau fast schon wieder vergessen hatte, da sie sich immerhin auch nicht mehr bewegte als würde sie ebenfalls nur darauf warten, dass ich mein Handy hervorholte. Also wartete ich nicht mehr länger, holte es aus meiner Tasche hervor und klappte es auf. Ich kannte die Nummer nicht, von der die Nachricht stammte, aber im Moment kümmerte mich das auch nicht weiter, das Leuchten des Telefons ließ in mir immerhin die Hoffnung entstehen, dass mir das hier irgendwie weiterhalf, so dass ich überleben könnte. Auch wenn mir die Vernunft im Nachhinein sagt, dass das eigentlich alles absolut... unlogisch ist. In jenem Moment schwieg meine Vernunft, so dass ich die Nachricht einfach öffnete – und dann irritiert wieder innehielt. Sie bestand lediglich aus zwei Worten: Trust me. Ich verstand nicht, wie mir das weiterhelfen sollte oder ob es überhaupt dazu gedacht gewesen war, mir zu helfen und mir nicht nur meine Hoffnung etwas vorgegaukelt hatte. Dennoch handelte mein Körper von allein, ich drückte auf Antworten – und noch bevor ich etwas anderes tun konnte, erstrahlte das Display in einem derart hellen Licht, dass ich den Blick abwenden musste. Die Frau mir gegenüber stieß ein unmenschliches Kreischen aus, das mir in den Ohren schmerzte, aber ich sah erst wieder hin, als das das Licht erloschen war. Nur um überrascht festzustellen, dass die Angreiferin und ich nicht mehr allein waren. Vor mir stand plötzlich eine ebenfalls blasse Frau mit langem schwarzen Haar, einer weißen Rüstung mit lila Verzierungen – und einem Speer. Es war das erste Mal, dass ich einen echten Speer sah, der nicht aus einem Museum oder einer Filmkulisse stammte. Aber vor allem ging auch von dieser Frau eine enorm starke Welle an Energie aus, die ich zu kennen glaubte und gleichzeitig fühlte ich mich beschützt und sicher, ich wusste ganz einfach, dass diese Ritterin auf meiner Seite war. Die Fremde stieß ein erneutes Kreischen aus und ließ einen hellen Lichtblitz auf die Ritterin niedersausen, die sich allerdings nicht davon beeindrucken ließ. Der Zauber – in jenem Moment war ich mir nicht einmal sicher, ob es wirklich einer war, so etwas konnte doch gar nicht sein, sagte ich mir – prallte auf einem Schild auf, das aus mehreren weiß-glühenden Waben zu bestehen schien. Im Anschluss machte die Ritterin einen Satz auf die Fremde zu und stieß mit ihrem Speer zu. Die Fremde wich hastig aus, doch die Spitze des Speers traf sie dennoch an der Seite und riss eine Verletzung in ihr Fleisch – aber statt Blut strömten weiße Funken aus der Wunde, die sich in die Luft erhoben und sich langsam auflösten. Doch das schien die Fremde nicht weiter zu kümmern, sie reagierte nicht einmal darauf und ließ stattdessen einen weiteren Lichtblitz auf die Ritterin niederfahren. Dieses Mal baute sie nicht einmal ein Schutzschild auf, sondern lenkte den Zauber mit einer Bewegung ihres Speers um. Er traf auf dem Boden auf, wo er enorm viel Erde aufwirbelte. Ich wollte die Wucht davon gar nicht erst am eigenen Leib erfahren müssen. Die Ritterin schien derartige Kämpfe bereits gewohnt zu sein – und in einer undeutlichen Erinnerung sah ich sie auch tatsächlich in einen solchen Konflikt mit mehreren Feinden verstrickt – denn sie kümmerte sich nicht im Mindesten um das, was der Zauber anrichtete, sondern setzte der Fremden hinterher. Der Stab von dieser leuchtete erneut auf, doch diesmal stürmte keine Lichtblitz auf die Ritterin zu, statt dessen sammelten sich immer mehr weiße Funken um sie. Doch auch das schien ihr egal zu sein, denn sie wusste offenbar genau die richtige Abwehr dafür: Sie hielt inne und richtete ihren Speer der Fremden entgegen, die Funken, die zweifellos gefährlich sein mussten, so sagte es mir meine verschwommene Erinnerung, wurden geradezu wie magisch von der Waffe angezogen und versammelten sich auf... oder in... dieser, so dass es nun die Ritterin war, die einen leuchtenden Gegenstand in der Hand hielt. Die Macht war so darauf konzentriert, dass sich rasch weiße Energiekreise um den Speer sammelten – das war offenbar das Signal zum Gegenangriff, denn die Ritterin stieß die Waffe erneut vor, obwohl sie mehrere Meter von der Fremden entfernt stand. Aber es schien auch gar nicht ihre Absicht zu sein, sie mit der Speerspitze auch nur anzukratzen, stattdessen schoss ein weißer Lichtstrahl direkt aus der Waffe auf die Fremde zu, die mit einem röchelnden Schrei zu Boden stürzte – und im selben Moment war das Gefühl von Feindseligkeit verschwunden. Erst in diesem Moment, in dem sämtliche Anspannung auf einmal von mir abfiel, bemerkte ich, dass ich das Handy noch immer in meiner verkrampften Hand hielt. Inzwischen leuchtete es nicht mehr, aber auf dem Display war immer noch Trust me zu lesen. Hätte man mir zu einem früheren Zeitpunkt von so etwas erzählt, wäre ich davon ausgegangen, dass man sich nun Gedanken darum machte, woher eine derartige Nachricht kam, warum sie ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt geschickt worden war, aber in meinem Kopf herrschte in diesem Augenblick eine vollkommene Leere, während ich nach wie vor versuchte, dieses Ereignis zu verarbeiten, damit ich anfangen könnte, es logisch zu begründen, auch wenn das wohl kaum möglich wäre. Erst als ich bemerkte, dass die Ritterin auf mich zukam und wenige Schritte entfernt von mir stehenblieb, hob ich den Blick wieder von meinem Handy, um sie anzusehen. Zuvor war es mir nur möglich gewesen, sie von hinten und ein wenig von der Seite zu betrachten, aber mein Verdacht bestätigte sich nun: Obwohl ihr überaus blasses, fein geschnittenes Gesicht auf den ersten Blick ein wenig furchteinflößend wirkte, war sie ohne Zweifel wunderschön. Die schmalen Lippen, die aristokratische Nase und die wachen Augen, die nicht ganz geöffnet waren und doch alles zu erspähen schienen, kamen mir so überaus vertraut vor, dass ich keinerlei Angst verspürte, auch wenn sie nicht lächelte oder sonst eine Geste zeigte, um mich zu beruhigen und ich möglicherweise ihr nächstes Opfer sein könnte. Ihr Name lag mir auch auf der Zunge, ich müsste mich nur erinnern, ihn aussprechen, ihm eine Form geben, der sie – wieder? – an mich binden würde. „Isolde.“ Es kam mir mehr wie ein Hauch vor, als mir der Name über die Lippen kam, etwas, das kaum zu verstehen war – aber sie hatte es offenbar. Auf ihrem Gesicht erschien ein überraschend warmes Lächeln, sie streckte mir eine Hand entgegen, als ob sie mir aufhelfen wollte – und dann hörte ich ihre Stimme, die mir vertrauter schien als meine eigenen Gedanken: „Ich bin zurück, Leana.“ Salles atmete erleichtert auf und senkte endlich den Blick, der bislang gebannt das Geschehen beobachtet hatte. Diese Leana kümmerte ihn zwar nicht weiter, aber seiner einzigen Verbündeten bedeutete sie anscheinend etwas – und er wurde das Gefühl nicht los, sie beide kennen zu müssen – deswegen hatte er den Kampf doch ein wenig besorgt beobachtet. Glücklicherweise war es ihm gelungen, die Nachricht rechtzeitig nach Anweisung seiner Verbündeten, deren Namen er noch nicht einmal kannte, zu konfigurieren und sie Leana zukommen zu lassen. Mittels dieser Nachricht hatte er ihr Handy direkt mit der Log Domain verbunden und damit die von Yaga errichtete Firewall untergraben. Es half zwar nicht, dass sie damit den Turm nutzen und die Welt möglicherweise sogar verlassen könnte, aber immerhin war es ihr somit wieder möglich, ihr Shinken und ihr Shinjuu zu rufen und sich zu verteidigen. Außerdem- „Isolde wird nicht in der Lage sein, ihr von ihrer Vergangenheit zu erzählen.“ Die Stimme seiner Verbündeten ertönte plötzlich als wäre es ihr möglich gewesen, seine Gedanken zu lesen – obwohl ihn das nicht einmal überraschen würde. „Sind selbst derartige Dinge blockiert?“, hakte er nach. „So ist es“, bestätigte seine Verbündete. „Leana muss sich selbst daran erinnern, aber bis dahin könnte noch viel Zeit vergehen. Ich zweifle, dass es funktionieren wird, solange Yaga noch lebt.“ Diese Worte erfüllten Salles mit Zuversicht, auch was die Erinnerungen seiner Gefährten anging. „Dann müssen wir nur zusehen, wie Nozomu und die anderen Yaga töten.“ Sie hatten es schon einmal geschafft, da gab es für ihn keinen Zweifel, dass sie es noch einmal schaffen würden, selbst wenn sie nun in ganz anderen Konstellationen unterwegs waren und manche Personen vollkommen fehlten. Da seine Verbündete nicht widersprach, glaubte er, dass sie ihm zustimmte – und er begann damit, die Nachrichten für die Brigademitglieder vorzubereiten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)