Trust me von Flordelis (Eternal Chronicles) ================================================================================ Kapitel 9: Kein guter Neuanfang ------------------------------- Shous Blick ging mir den ganzen Schultag über nicht aus dem Kopf und er erfüllte mich weiterhin mit geradezu brennendem Zorn, aus verschiedenen Gründen. Zum einen konnte ich es nicht leiden, dass jemand mich derart spöttisch ansah, nachdem er mich zuvor überrumpelt hatte und zum anderen war es gerade mal mein dritter Tag in Japan und schon gab es zwei Leute, die ich am Liebsten verprügeln würde. Kein guter Start für einen Neuanfang. Wenigstens nervte Zetsu mich nur mit seinen angeblich so charmanten Flirtversuchen, aber dadurch, dass wir in derselben Klasse waren, sah ich ihn an diesem Schultag natürlich wesentlich öfter, als mir lieb war. Das glich damit alles wieder aus und machte es somit nicht besser. Während des Unterrichts warf ich immer wieder einen Blick zu Zetsu, in der sicheren Erwartung, dass er schlafen würde. Doch er überraschte mich, indem er entweder aufmerksam zuhörte, was die Lehrer erzählten oder weil er gedankenverloren aus dem Fenster hinaussah. Die ersten beiden Tage war das nicht so gewesen – und der Gedanke, dass ich mich derart mit ihm befasste, machte mich nur noch wütender. Es war schon zu Hause so gewesen, dass ich mich viel zu sehr auf jene konzentriert hatte, die mich provozierten, damit ich noch mehr Gründe fand, mich über sie aufzuregen und es dann vor mir rechtfertigen konnte, sie wirklich zu verprügeln. An diesem Tag gelang es mir zumindest bei Zetsu nicht, was umso besser war, so konnte ich mich nach dem Ende des Unterrichts wieder auf Isoldes Drängen, einem Club beizutreten, konzentrieren. Wie Thalia angekündigt hatte, fand ich an der Tür der Sporthalle einen Zettel vor, der mir verriet, dass der Kendo-Club neue Mitglieder aufnahm. Ich wusste zwar, dass Zetsu ihn ebenfalls besuchte, aber vielleicht hatte er sich sein dämliches Vorhaben nach seiner Gehirnerschütterung aus dem Kopf geschlagen. Eigentlich hatte ich erwartet, dass eine geradezu ehrfürchtige Stimmung in der Halle herrschen würde, wenn man bedachte, dass Kendo eine sehr traditionelle Kampfkunst war, aber stattdessen gab es doch eine erstaunliche Geräuschkulisse, die von zahlreichen Schülern in voller Kampfmontur ausging. Durch die Masken konnte ich niemanden erkennen und die verschiedenen Stimmen verschmolzen zu einem kaum verständlichen Rauschen. Ich bahnte mir meinen Weg zu der einzigen Person, die keinerlei Kampfkleidung, sondern einen blauen Jogginganzug trug. Es war eine Schülerin mit langem schwarzen Haar und braunen Augen, die allerdings unablässig auf ein Klemmbrett gerichtet waren und sich mir erst zuwandten, als ich direkt vor ihr stand und mich räusperte. „Bist du hier, um dich für das Kendo-Team zu bewerben?“ Ihre Stimme klang überraschend dunkel, was ich ganz angenehm fand, wenn ich sie mit der hohen Tonlage der sonstigen Schülerinnen bisher verglich. Ich nickte. „Richtig.“ „Du bist Vartanian Leana, nicht wahr?“ Es ärgerte mich, dass sie meinen Namen kannte, aus welchem Grund auch immer sie das tat, aber statt mich darüber zu beschweren, nickte ich einfach noch einmal. „Das ist auch richtig.“ Obwohl ich nichts sagte, schien es ihr aufzufallen, dass es mich störte, denn sie holte sofort zu einer Erklärung aus: „Seraphca-san sagte mir, dass du Interesse haben könntest, dem Team beizutreten, deswegen habe ich mit dir gerechnet.“ Zumindest schien sie dann nicht zu wissen, was zwischen mir und Zetsu geschehen war, das beruhigte mich ziemlich. Es genügte immerhin, dass der Rest der Schule mich bereits nur noch mit diesem Ereignis in Zusammenhang brachte – aber immerhin war es auch erst wenige Tage her. „Ich bin Kashi Konara“, stellte sie sich vor. „Als Teamleiterin ist es meine Pflicht, dich willkommen zu heißen und dir jemanden zur Seite zu geben, der dir die Anfangszeit erleichtert.“ Ich hoffte mit aller Macht, dass sie nicht Zetsu meinte, während sie sich umsah und dann schließlich überraschend laut rief: „Setoki-san! Komm bitte her!“ Selbst wenn sie ihre Stimme quer durch die Halle klingen ließ, war sie noch höflich – aber ich wusste nicht so genau, was ich bezüglich der Situation eigentlich denken sollte. Es war zwar nicht Zetsu, der mich anleiten sollte, aber ob dessen Freund viel besser war? Andererseits hoffte ich in dem Moment noch, dass es vielleicht mehr Setokis gab. Doch als er vor uns stehenblieb, nahm er die Maske ab und ich erkannte ihn sofort wieder, genau wie er mich. „Hallo, Vartanian.“ Ich sagte nichts und nickte nur knapp, er störte sich aber anscheinend nicht daran, zumindest änderte sich seine Miene kein bisschen. Er wandte sich Konara zu, als diese ihm eine Frage stellte, die nichts mit mir zu tun hatte, mich aber dennoch hellhörig werden ließ: „Wo ist Akatsuki?“ Ihn bedachte sie mit keinem Suffix und ich fragte mich, ob es an seiner Abwesenheit oder ihrer Abneigung ihm gegenüber lag. „Er sagte, er muss arbeiten und kann deswegen nicht kommen.“ Vielleicht war das der Grund dafür, dass er nachts so müde war. Das entschuldigte aber dennoch nicht, dass er während meiner Vorstellung erst zu spät gekommen und dann eingeschlafen war. Ich blieb also weiterhin wütend auf diesen Kerl. Konara quittierte das mit einem Nicken. „Setoki-san, ich möchte, dass du dich um Vartanian-san kümmerst. Sie ist neu im Club und du hast zumindest heute die Zeit dafür. Zeige und erkläre ihr bitte alles, was wichtig ist.“ „Natürlich.“ Damit ging sie zufrieden davon und notierte sich dabei etwas auf ihr Klemmbrett. Ich wandte mich wieder Nozomu zu, der für einen kurzen Augenblick gedankenverloren schien, sich dann aber auf mich konzentrierte. Doch bevor er etwas sagen konnte, kam ich ihm bereits zuvor: „Muss Akatsuki wirklich arbeiten oder behauptet er das nur?“ „Warum interessiert dich das?“, erwiderte er. „Ich dachte, du kannst ihn nicht leiden.“ „Genau deswegen interessiert mich das ja.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Du solltest deine Zeit für bessere Dinge einsetzen. Aber wie auch immer, er arbeitet wirklich.“ Ich wartete noch auf weitere Erklärungen, die aber verständlicherweise nicht kamen. Es hatte mich immerhin absolut nichts anzugehen, was Zetsu in seiner Freizeit trieb. Ich kam trotzdem nicht umher, mich ein wenig dafür zu interessieren. Statt einer Erklärung präsentierte mir Nozomu dann viel lieber die wichtigen Dinge, die ich über Kendo wissen musste, auch wenn meine Gedanken ihm nie so wirklich folgen wollten. Als das Training schließlich endete, verabschiedete ich mich von Nozomu und machte mich auf dem Rückweg ins Wohnheim. Subaru und Shou standen in der Nähe des Schultors und unterhielten sich gerade lächelnd miteinander, wenn ich auch nicht wusste, worüber. Ich versuchte, die beiden zu ignorieren, was mir aber nicht ganz gelang, als Subaru mir eine Verabschiedung hinterherrief und mir dazu auch noch winkte. Um nicht unhöflich zu sein, erwiderte ich den Gruß, bedachte Shou aber nur mit einem finsteren Blick und verließ dann eilig den Hof. Es wunderte mich langsam, dass ich dauernd diesen Kerlen begegnete, die ich nicht leiden konnte. Und Subaru noch dazu. Wobei mich dieser eher wenig störte, immerhin hasste ich ihn nicht, ich fand nur seine Freundlichkeit ein wenig seltsam, weil ich das nicht gewohnt war. Meine Eltern wären sicher begeistert von ihm und würden mich beständig zu überreden versuchen, mich in seine Nähe zu begeben, um in seinen guten Einfluss zu geraten. Mir wäre es aber lieber, während meiner Zeit in Japan, keine allzu großen Freundschaften oder auch nur Bekanntschaften einzugehen. Ich hatte das früher nie gebraucht und das würde auch so bleiben. „Findest du das wirklich so erstrebenswert?“ Isolde war den ganzen Tag so still gewesen, dass ich schon gar nicht mehr an diese gedacht hatte und deswegen erst einmal zusammenzuckte, als sie sich plötzlich wieder zu Wort meldete. Ja, finde ich. Aber es ist nicht dein Problem, oder? Sie lachte amüsiert und sagte darauf nichts mehr, wohl aber mehr, weil ich plötzlich eine gänzlich andere Stimme hören konnte, die mir nur allzu bekannt vorkam, an diesem Tag aber ziemlich genervt klang: „Ja, ich weiß!“ Ich hielt inne und sah in die Gasse, an der ich gerade vorbeilief. Zuerst entdeckte ich nur einige Mülltonnen, die mir überraschend sauber erschienen, weswegen ich sie länger als unbedingt nötig ansehen musste. Dann wanderte mein Blick weiter und ich fand endlich die Person, der die Stimme gehörte. Zetsu lehnte gegen die Wand und hielt ein Handy an sein Ohr, um mit jemandem zu reden, der ihn sichtlich aufregte. Seine Stirn, so weit ich es sehen konnte, war gerunzelt, sein Mund verkniffen, er bemerkte mich nicht einmal. „Du kriegst dein Geld ja“, fauchte er in das Telefon hinein. „Man könnte meinen, es bringt dich um, mich auch mal zu unterstü-... Nein! Ich bin mit dem Kopf aufgeschlagen, weil ich nicht aufgepasst habe, das ist alles! Mir ist egal, was irgendwer sonst dir erzählt hat!“ Nach diesem Schlagabtausch blieb er für einen Moment still und lauschte offenbar seinem Gesprächsteilnehmer, nur um dann entnervt zu seufzen. „Ja, fein. Ich kümmere mich darum.“ Er legte auf, klappte in einer wütenden Geste das Handy zu und wollte sich dann abwenden. Dummerweise fiel sein Blick genau in diesem Moment auf mich, so dass er innehielt. Während er nun so vor mir stand, konnte ich sehen, dass er eine grüne Schürze trug, also arbeitete er gerade wirklich und befand sich nur in seiner Pause. An diesem Tag war zumindest der Verband um seinen Kopf fort, also ging es seinem Kopf wohl schon wieder besser. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, auch wenn seine Lippen kurzzeitig zuckten, als würde er versuchen wollen zu lächeln. „Hast du das eben gehört?“ „Warum sagst du der Person nicht einfach, dass ich dich geschlagen habe?“ Es kam mir vor als würden sich seine Augen noch mehr verengen. „Es gibt Dinge, die ihn nichts angehen und außerdem könnte ich mir sonst wieder eine Standpauke anhören.“ Er zuckte mit den Schultern und steckte endlich das Handy ein. Zumindest wusste ich nun, dass die andere Person ein Mann war, aber nicht, in welcher Beziehung Zetsu zu ihm stand. Es sollte mich eigentlich nicht interessieren, aber vielleicht konnte ich das gegen ihn verwenden... irgendwann. War psychische Gewalt ein Besserungsfortschritt im Vergleich zur körperlichen Gewalt? „Das ändert jedenfalls nichts an meinem Plan“, sagte er dann. „Ich bin weiterhin daran interessiert, dein Herz zu gewinnen.“ Langsam frustrierte er mich wirklich. „Was bringt dir das denn?“ Er hob die Augenbrauen, aber bevor ich weiter ausholen konnte, schmunzelte er bereits wieder. „Das sage ich dir, wenn ich es endlich geschafft habe. So lange wirst du dich noch gedulden müssen.“ Dann tippte er sich zum Abschied gegen die Stirn und ging davon, um nach wenigen Schritten durch eine Tür zu gehen und damit aus meinem Blickfeld zu verschwinden. Ich wurde einfach nicht schlau aus diesem Kerl. Mit wem stritt er sich nur derart am Telefon, statt ihm einfach zu sagen, dass das meine Schuld war, damit ich zur Rechenschaft gezogen werden konnte? Und warum bestand er trotz allem noch darauf, mein Herz zu erobern? Eigentlich wäre es dann doch auch für ihn leichter, diese ganze Sache und mich so schnell wie möglich zu vergessen. Wenn das so weiterging, würde ich ihn vermutlich noch erwürgen, trotz all meiner guten Vorsätze. „Nozomu hat recht, du verbringst wirklich viel zu viel Zeit damit, an Dinge zu denken, die dich aufregen. Das ist wirklich ungesund.“ Das ist mir total egal. Das war schon immer so. „Du brauchst wirklich ein Hobby...“ Ich war mir nicht sicher, ob sie sich Sorgen machte oder ob sie mich ärgern wollte, aber zumindest für diesen Tag wollte ich mich damit nicht mehr abgeben. Ich war müde und hungrig, deswegen machte ich mich auf den weiteren Weg, um endlich wieder ins Wohnheim zurückzukehren. „Vergiss nicht, dass du heute Abend wieder in den Park musst.“ Schon wieder? „Vielleicht treibt sich wieder ein Lakai herum, du musst dich darum kümmern.“ Mir war nicht danach, zu diskutieren, deswegen dachte ich nichts weiter dazu – aber ich war entschlossen, an diesem Abend sicherlich nicht wieder in den Park zu gehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)