Kill Me If You Can von Holofaye ================================================================================ Kapitel 2: ----------- „Wirt, ich nehme noch einmal das Selbe.“, sagte Alastair Lacroix, 24 sterbliche Jahre, Hauptmann der fürstlichen Garde und stellte den leeren Krug seines mittlerweile zweiten Maß’ Biers auf den hölzernen Tresen. Der Wirt des „Eberkopfs“ nahm schweigend den Krug entgegen und füllte ihn erneut mit der goldgelben Flüssigkeit. Alastair setzte den nun wieder randvollen, schweren Krug an seine Lippen und nahm einen großen Schluck. Wirklich, heute war einer dieser Tage an denen er nur schwer mit dem Glück seines Bruders und seiner bezaubernden Frau zurechtkam. Vivienne war mittlerweile im sechsten Monat und die Schwangerschaft nun deutlich sichtbar. Vorhin hatte sie so glücklich ausgesehen, als sie im Garten auf einer Bank saß und sich leise dem ungeborenen Kind vorsingend über den Bauch streichelte. Als sie ihn bemerkte, hatte sie ihn lächelnd herbeigewinkt, seine Hand genommen und auf ihren runden Bauch gelegt. „Da, merkst du, dein Neffe tritt mich. Er wird bestimmt mal genauso stark wie sein Onkel, so kraftvoll wie er bereits ist.“, scherzte sie ganz unschuldig. Alastair, der von diesem plötzlichen und unerwarteten Körperkontakt ein wenig aus der Fassung geraten war, nickte bloß unsicher. „Woher… ich meine wieso denkst du denn es würde ein Junge werden?“, fragte Alastair, um nicht nur dumm aus der Wäsche glotzend, eine Hand auf ihrem Bauch ruhend, rumzustehen. Vivienne lachte. Oh mein Gott, und wie es klang wenn sie lachte! Niemals würde Alastair diesen sanften und reinen Klang vergessen. „Das nennt sich weibliche Intuition, mein Lieber.“, antwortete sie. „Ich spüre es einfach.“ Sie schloss die Augen. „Ein hübscher Junge, mit braunen Haaren und grauen Augen. Er wird einmal groß und gutaussehend und schlau, so wie alle Männer der Lacroix Familie.“, fügte sie hinzu und stupste Alastair neckend in die Seite. Sie ahnt ja gar nicht, was sie mir damit antut, wenn sie so offen und unbedarft mit mir umgeht, dachte Alastair und leerte seinen dritten Krug. Als der Wirt fragte ob er noch einmal nachschenken sollte, winkte Alastair ab. Er hatte genug für heute Abend und irgendwie musste er auch noch den Weg nach Hause schaffen. Obwohl „nach Hause“ der Ort war, an dem Vivienne war und dort wollte Alastair ja eigentlich gerade nicht sein. Er erhob sich und trat aus der Schenke. Tessa verpasste dem aufdringlichen Kerl eine Ohrfeige. „Wenn ich nein sage, dann meine ich auch nein!“, rief sie wütend und machte auf dem Absatz kehrt. Doch der Mann griff nach ihrem Handgelenk und hinderte sie daran einfach wieder zu gehen. „Ach komm schon, du hast mir doch schon den ganzen Abend schöne Augen gemacht, jetzt tu doch nicht so als würdest du dich zieren!“ „Du hast eindeutig ein paar Gläser Wein zu viel intus!“, sagte Tessa und versuchte seinem Griff zu entkommen. Doch er war größer und stärker als sie, hielt sie weiterhin fest und griff bereits nach ihrem anderen Handgelenk. Langsam bugsierte er sie an die Wand und presste seinen Unterkörper gegen ihren. „Wer hat mir denn den Wein stets mit einem Augenzwinkern serviert, na?“, bemerkte der Mann gereizt. „Trag gefälligst auch die Konsequenzen für das was du dir eingebrockt hast.“ „Du bist widerlich!“, gab Tessa zurück und spuckte ihm ins Gesicht. „Und du bist eindeutig zu wild! Na warte, wenn du unbedingt gezähmt werden willst, das kann ich dir geben!“ Der Mann hob bereits die rechte Hand um sie zu schlagen. Tu es. Tu es und du wirst es bitterlich bereuen!, dachte Tessa und kniff die Augen zusammen, als sie auf seine Ohrfeige wartete. „Na na, wer wird denn hier eine wehrlose Frau schlagen wollen?“ Tessa öffnete die Augen wieder, als sie die unbekannte Stimme vernahm. Ein weiterer Mann war dazugekommen und hatte die Hand des anderen Mannes abgefangen bevor er sie hatte schlagen können. Augenblicklich ließ dieser sie los und konzentrierte sich auf den Störenfried. „Was geht dich das an, du Penner?“, rief dieser wütend und schlug mit der anderen Hand nach Alastair. Dieser wich geschickt aus und verdrehte seinem Angreifer den Arm auf den Rücken, so dass dieser vor Schmerzen das Gesicht verzog. „Eine ganze Menge. Falls du es nicht anhand meiner Uniform erkannt hast, ich bin Hauptmann der fürstlichen Garde und für den Frieden in dieser Stadt verantwortlich. Und ich schätze es überhaupt gar nicht, wenn Trunkenbolde wie du Frauen Gewalt antun wollen.“ Er verstärkte den Griff noch ein wenig. „Also verhalte dich gefälligst wie ein echter Mann und akzeptiere, dass du abgewiesen wurdest!“ Er gab dem Mann einen Schubs, dass dieser auf allen Vieren im Dreck landete. „Und jetzt verschwinde von hier und geh nach Hause! Heute drücke ich noch mal ein Auge zu, aber wenn ich dich noch einmal in so einer Situation erwischen sollte, dann nehme ich dich mit auf die Wache und stecke dich für ein paar Tage in eine Zelle.“ Mit einem Knurren rappelte sich der Mann wieder auf und warf Alastair noch einen bitterbösen Blick zu bevor er sich aufmachte die dunkle Seitengasse zu verlassen. Alastair blickte ihm mehr oder weniger zufrieden hinterher und vergewisserte sich, dass er sich auch wirklich entfernte. Für einen Moment hatte Tessa mit dem Gedanken gespielt sich einfach davon zu schleichen, als die beiden Männer sich nicht mehr auf sie sondern auf sich selbst konzentrierten. Doch dann war ein heller Strahl des untergehenden Mondes auf Alastairs markantes Gesicht gefallen und sie hatte es sich wieder anders überlegt. Er schien gut aus zu sehen. Anhand seiner Silhouette konnte sie erkennen, dass er groß und gut gebaut war. Seine Stimme war tief, klang aber dennoch jung. Und irgendwie traurig. Nachdem er den anderen Mann in die Flucht geschlagen hatte räusperte sie sich hörbar um seine Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken. „Ähm, vielen Dank für Eure Hilfe.“, sagte sie zaghaft und trat einen Schritt auf ihn zu. Alastair starrte weiterhin wachsam in die Richtung in die der andere Mann gegangen war und würdigte sie keines Blickes. „Gern geschehen. Das ist schließlich meine Aufgabe.“, sagte er drehte den Kopf in ihre Richtung. Es war zwar bereits kurz vor Sonnenaufgang, aber es war immer noch zu dunkel um ihre Gestalt ganz erfassen zu können. Sie war groß für eine Frau ihrer Zeit, gerade mal schätzungsweise zehn Zentimeter kleiner als er selbst und bewegte sich auf ihn zu. „Was für ein Glück, dass es Euch zufällig mitten in der Nacht in diese abgelegene Gasse verschlagen hat. Wer weiß, was er sonst mit mir gemacht hätte.“ Alastair drehte sich ihr ganz zu. „Wo wir gerade beim Thema sind; was macht eine junge Frau wie Ihr alleine mit einem Mann, der ihr offenbar nicht sonderlich bekannt ist, alleine mitten in der Nacht in einer dunklen Gasse?“ Er versuchte ihr Erscheinungsbild besser in der Dunkelheit zu mustern. „Es sei denn natürlich Ihr seid eine Vertreterin des nächtlichen Gewerbes, dann erübrigt sich meine Frage.“ Tessa hob gespielt entrüstet eine Hand auf ihre Brust. „Aber nein, Herr Hauptmann! Ich bin Schankmagd im „alten Rittersaal“.“ Der „alte Rittersaal war ein alteingesessenes Gasthaus, eines von der etwas edleren Sorte, und eine der wenigen Wirtschaften die bis spät in die Nacht geöffnet hatten. Alastair selbst zählte, obwohl er Hauptmann war, eher seltener zu deren Gästen, da er sich in Gegenwart der nobleren Gesellschaft nicht so hemmungslos betrinken konnte wie er es manchmal nötig hatte. Wenn er mal einen Fuß in dieses Haus setzte, dann war es eher am frühen Abend bevor er weiter zog. Die junge Schankmagd, der er da eben zu Hilfe geeilt war, hatte er dort jedenfalls noch nie gesehen. Sie musste demnach also neu sein oder stets die späte Schicht übernehmen. Vorausgesetzt sie sagte die Wahrheit. „Wie dem auch sei. Besser Ihr geht nun gleich nach Hause.“ Er ließ seinen Blick noch einmal durch die Umgebung schweifen als wäre er sich nicht sicher, dass der Unruhestifter wirklich verschwunden war. „Vielleicht sollte ich Euch begleiten.“, bot er Tessa automatisch an. Tessa lächelte angetan von seinem Angebot. „Das wäre wirklich äußerst beruhigend.“ „Fräulein Tessa, dieser Weg führt uns aus der Stadt hinaus. Ich kann mich nicht erinnern, dass es dort irgendwelche Wohnhäuser gibt.“, bemerkte Alastair verwundert, als Tessa ihn sehr zielstrebig aus der Stadt hinaus führte. „Lasst Euch überraschen, Herr Hauptmann.“, erwiderte Tessa begleitet von einem vergnügten Kichern. Sie lief ein paar Schritte vor ihm und er folgte ihr als wäre er ihr privater Leibwächter. Im Zwielicht kurz vor Sonnenaufgang betrachtete er ihre feminine Silhouette und sein Blick blieb mehr als einmal öfter an ihren schwingenden Hüften hängen statt dass er sich auf die Umgebung konzentrierte. Vorhin im dunklen hatte er ihr Gesicht und ihre Gestalt nicht richtig erkennen können. Nun sah er, dass sie ein dunkelgrünes, einfaches Kleid trug wie es einer Schankmagd gebührte, und langes dunkles Haar hatte, welches sie entgegen der üblichen traditionell hochgesteckten Haarmode offen trug und ihr bis zur Taille reichte. Nachdem er ihr nun seit einigen Minuten folgte, fragte er sich so langsam, wie wohl ihr Gesicht im Tageslicht aussah. Welche Farbe wohl ihre Augen hatten? Ohne es zu ahnen, hatte Tessa durchaus ähnliche Gedanken. Immer wieder reizte es sie sich umzudrehen und dem jungen Hauptmann, ihrem Retter in der Not, ins Gesicht zu blicken um seine schon im Mondlicht markant erscheinenden Gesichtszüge genauer zu betrachten. Seiner Stimme und seinem Tonfall nach schien er ein ernster Mensch zu sein, aber seinem Angebot nach sie zu begleiten und zu beschützen ließ auch auf einen fürsorglichen Charakter schließen. Tessa konnte nicht leugnen, dass sie seine Begleitung sehr genoss, dass Gefühl der Sicherheit das ihr seine Anwesenheit im Rücken vermittelte, obwohl er doch ein paar Meter Abstand zu ihr hielt. Aus diesem Grund wollte sie ihre unerwartete Begegnung mit ihm weiterhin ausreizen und führte ihn absichtlich an einen anderen Ort als ihr zu Hause, das eigentlich nicht weit von dem Ort ihres Treffens entfernt lag. „Eigentlich mag ich Überraschungen nicht besonders.“, gestand Alastair als sie das letzte Haus hinter sich gelassen hatten und einen kleinen Hügel außerhalb hinauf stiegen. Tessa lachte auf. Ihr Lachen war ganz anders als das von Vivienne, viel tiefer und rauer. Dennoch spürte Alastair wie ihm ein leichtes, angenehmes Kribbeln über den Rücken lief. „Das wiederum überrascht mich gerade nicht sonderlich.“, gab sie zurück und war oben auf dem Hügel, auf dem sonst nur ein Ahornbaum und eine kleine Holzbank standen, angekommen. „Aber vertraut mir – diese wird Euch bestimmt gefallen.“ Als Alastair nur noch einen Meter von ihr entfernt war, drehte sie sich in seine Richtung und schaute auf die Häuser der Stadt hinter ihm. „Da, seht Ihr? Ist das nicht wunderschön?“, sagte sie und deutete ihm mit einem Nicken sich umzudrehen und einen Blick hinter sich zu werfen. Alastair hielt für einen Moment inne und betrachtete wie gebannt ihre Erscheinung. Sie war nicht unbedingt eine klassische Schönheit, dazu war sie insgesamt zu dünn, aber gerade die ausgeprägten Partien ihres Gesichts und Körpers hatten eine besondere Wirkung auf ihn. Sie hatte ein schmales Gesicht mit hohen Wangenknochen und eine gerade Nase. Ihre Lippen waren ein wenig voller und bildeten einen verführerischen Schmollmund. Und ihre Augen über deren Farbe er die ganze Zeit nachgedacht hatte, waren mandelförmig und goldfarben. Er schluckte schwer bevor er auch den letzten Abstand zwischen ihnen überwand und sich neben sie stellte. „Ja, das ist es.“, bestätigte er. Noch immer ruhte sein Blick auf Tessa. Sie schmunzelte geschmeichelt und drehte ihren Kopf nun zum ersten Mal zu ihm um ihm direkt in die Augen zu sehen. Ohne etwas zu sagen legte sie ihm die flache Hand auf die Wange und drehte seinen Kopf sanft in Richtung dessen was sie ihm eigentlich zeigen wollte. Leicht widerwillig ließ Alastair sie seinen Blick abwenden, tat ihr dann aber doch den Gefallen und widmete seine Aufmerksamkeit endlich ihrem eigentlichen Vorhaben. Sie hatte Recht gehabt – diese Überraschung gefiel ihm durchaus. Gemeinsam betrachteten sie fasziniert wie die Sonne in einer Mischung aus Feuerrot und violett über der Stadt aufging. „Es sieht aus, als stünde die Stadt in Flammen.“, murmelte Alastair gebannt. Tessa warf ihm einen kurzen Seitenblick zu. „Dann ist das bestimmt kein beruhigender Anblick für einen Hauptmann der Garde wie dich…“, vermutete sie. Alastair schüttelte den Kopf, als er die leichte Traurigkeit in ihrer Stimme vernahm. „Nein, nein. Ganz im Gegenteil. Ich finde es atemberaubend.“, sagte er und richtete seinen Blick wieder auf Tessa. „Das hatte ich gehofft. Das dir mein kleines Dankeschön gefällt.“, gab sie zu und erwiderte seinen Blick mit einem Lächeln. Bevor er etwas Weiteres sagen konnte hatte sie sich schon auf die Zehenspitzen gestellt und küsste ihn auf die Wange. Der flüchtige Augenblick in dem ihre sanften Lippen seine Wange berührten kam ihm vor wie eine kleine Ewigkeit und er schloss kurz die Augen um diesen Moment völlig zu genießen. Er sog den Geruch ihres Haars tief ein, Lavendel und Honig, und konnte nicht anders als seine Arme um sie zu legen um sie an sich zu ziehen. „Mein Name ist Tessa.“, sagte sie und legte auch ihre Arme um ihn. „Diese Tessa hatte es also geschafft dich von deiner Vivienne-Besessenheit zu befreien.“, schloss Kyle aus Alastairs Erzählung. „Nun, ich denke schon.“, bestätigte Alastair und schaute nachdenklich auf sein mittlerweile wieder leeres Weinglas. Begleitet von einem Seufzen beugte er sich vor, stützte seinen Kopf in die linke Hand und rieb sich mit der rechten über die Stirn, als bereitete ihm sein momentaner Gedankengang Kopfschmerzen. „Aber manchmal denke ich, ich habe Tessa vielleicht nicht wirklich vermitteln können, dass sie mir nun mehr bedeutete als Vivienne. Und genauso oft habe ich bereits darüber nachgedacht, ob Tessa nicht doch Recht mit ihrer Vermutung hatte, dass sie nur ein Ersatz für Vivienne wäre.“ Kyle musterte Alastair nachdenklich. „Hattest du vor Tessa zu heiraten?“, fragte er nach. Alastair drehte den Kopf zu Kyle und schaute ihn lange an, bevor er antwortete. „Nein, hatte ich nicht. Zumindest noch nicht. Ich war gerne mit ihr zusammen und ich denke schon, dass ich ihr irgendwann einen Antrag gemacht hätte, aber irgendwie war ich einfach noch nicht so weit.“ „Tze.“, machte Kyle und grinste Alastair wissend an. „Und da wunderst du dich, dass Tessa sauer wurde? Zumal, überleg mal in welcher Zeit ihr damals gelebt habt! Wann hättest du ihr denn einen Heiratsantrag gemacht? Wenn sie schwanger geworden wäre?“ „Ja doch! Ich weiß, dass ich damals ein Vollidiot war, also grins mich nicht so herablassend an. Ich weiß es ja.“, sagte Alastair und rieb sich wieder über die Stirn. „Hey hey, schon gut. Ich beurteile dein damaliges Verhalten gar nicht.“ Kyle legte Alastair eine Hand auf die Schulter. „Sag mal, geht es dir nicht gut?“, fragte er, als Alastair sein Gesicht in die Handflächen stützte. „Das war einfach nur zu viel Wein. Ich brauch ein wenig frische Luft.“, gab er zu und stand langsam auf. Er schwankte merklich und Kyle sprang gerade noch rechtzeitig auf um ihn zu stützen, als seine Beine nachgaben. „Ich fass es nicht, du bist tatsächlich einfach nur sturzbetrunken.“, kommentierte er und warf einen Blick auf die Weinkaraffe, die Alastair beinahe komplett allein geleert hatte. „Schon komisch, dass man dich zwar nicht töten kann und du auch nicht krank wirst, aber Alkohol dich immer noch weghaut.“ Dankbar ließ Alastair sich von Kyle gestützt in sein Schlafzimmer bringen. „Der einzige Vorteil ist, dass ich nie einen Kater bekomme.“, sagte er noch, bevor er sich aufs Bett fallen ließ und beinahe Augenblicklich einschlief. „Und ich finde es erstaunlich, dass du trotz dieser Menge Alkohol kein wenig lallst.“, sagte Kyle und stupste Alastair in die Seite. Nicht wahr, der ist mir schon wieder weggepennt!, dachte Kyle und seufzte. Na gut, dann hatte er wenigstens noch ein paar Stunden von der heutigen Nacht um ein paar Informationen zu sammeln und vielleicht noch einen weiteren kleinen, blutigen Snack zu sich zu nehmen. Er wollte sich schon aufmachen, als er noch eine Idee hatte, wie er sich den Abend erst Recht versüßen konnte. Letzte Nacht hatte er Alastair ja in Ruhe gelassen und einfach nur im Schlaf beobachtet. Ok, vielleicht hatte er auch ein wenig an ihm geschnuppert und gefummelt. Selbst schuld, wenn er in Gegenwart von einem Vampir so unbedarft schläft., dachte Kyle und grinste, dass seine spitzen Eckzähne ein wenig hervorlugten. Ich tu ihm nur einen Gefallen damit, wenn ich ihm sein Hemd ausziehe bevor es total zerknittert. Er schläft bestimmt nicht gerne in seinen Klamotten., rechtfertigte Kyle sein Vorhaben. Ohne zu zögern machte er sich bereits an den Hemdknöpfen zu schaffen. Er öffnete Knopf für Knopf und beobachtete neugierig ob Alastair irgendwie reagierte. Doch dieser schlief seelenruhig und bekam überhaupt nichts mit von dem was Kyle gerade mit ihm anstellte. Kyle grinste zufrieden und zog Alastair langsam das Hemd aus. Er ließ seinen Blick über Alastairs nackten Oberkörper gleiten und beschloss, dass er noch nicht so richtig glücklich mit seinem Werk war und machte sich kurzerhand auch an Alastairs Hose zu schaffen. Die Socken zog er ihm auch gleich noch aus. Die Kleidung warf er übrigens achtlos auf den Boden. Und jetzt? Sollte er, oder sollte er nicht? Unschlüssig starrte Kyle auf die seiner Meinung nach störende Unterhose. Er dachte auch wirklich ernsthaft ungefähr drei Sekunden lang darüber nach, bevor er seine linke Hand unter den Stoff schob und auch die Unterhose bei den anderen Kleidungsstücken landete. Da lag er nun, Alastair der Unsterbliche, in seiner ganzen Pracht. Kyle legte den Kopf schief und betrachtete ihn gründlich von oben bis unten. Gerade als Kyle weiter überlegte, was er nun mit dem nackten Alastair anstellen sollte, stöhnte dieser leicht auf, was Kyle auch nicht gerade kalt ließ. Oh Mann, wie soll man denn da noch widerstehen können?, fragte sich Kyle und legte sich seitlich neben Alastair. Ob er auch das nicht spürt? Er legte seine Hand auf Alastairs Oberkörper und ließ die Finger langsam tiefer wandern, über die Bauchmuskeln hinab zum Nabel; er zeichnete die feine Haarlinie die zu seinen Lenden führte nach bis er schließlich an seinem Glied angekommen war. Sanft ließ er seine Finger darüber gleiten, bis Alastair schließlich tatsächlich einen erregten Seufzer von sich gab. Na also!, dachte Kyle triumphierend und setzte seine besondere Behandlung fort. Heute Nacht bekommst du schöne Träume, mein Lieber. Alastair erwachte an diesem Tag erst wieder mittags. Er hatte erstaunlich gut geschlafen heute Nacht, ohne dass ihn weitere Fragmente aus alten Erinnerungen in seinen Träumen heimsuchten. Überhaupt fühlte er sich heute seltsam zufrieden und entspannt. Er setzte sich auf, streckte die müden Muskeln und gähnte. Und dann fiel ihm auf, dass er nackt war. Sofort schaute er neben sich, aber als er feststellte, dass er allein in seinem Bett war, fragte er sich wen er dort eigentlich erwartet hatte. Mit einem weiteren Blick durch den Raum sah er seine Kleidungsstücke vom letzten Tag als zerknitterten Haufen auf dem Boden liegen. Er runzelte die Stirn. Normalerweise legte er selbst in betrunkenem Zustand noch seine Kleidung ordentlich zusammen vor dem Schlafen gehen. Aber jemand anderes, also Kyle, der würde doch nicht…? Oder doch? Entschlossen schüttelte Alastair den Gedanken der ihm da gerade kam wieder ab. Wieso sollte Kyle so was tun? Und wie kam er überhaupt auf so einen Gedanken? Mit einem weiteren Kopfschütteln stand Alastair auf und griff schon nach seinem Morgenmantel. Dann fiel ihm ein, dass Kyle ja um diese Uhrzeit bereits schlief und ihn bestimmt nicht überraschen würde, also schritt er einfach nackt aus seinem Schlafzimmer ins Bad. Während er duschte überlegte er sich was er an dem heutigen Tag tun könnte. Er entschied sich mal wieder zu arbeiten. Seine Redakteurin lag ihm schon seit Tagen in den Ohren, dass er auch ja sein neues Manuskript bald fertig stellen sollte und ja, heute hatte er wirklich das Gefühl, er könnte gut mit seiner Arbeit vorankommen. „Was machst du da, Al?“, fragte Kyle und schaute Alastair interessiert über die Schultern. „Arbeiten.“, antwortete Alastair knapp und tippte unbeirrt weiter an dem Manuskript für seinen neuesten Roman. „Guten Morgen. Oder besser: Guten Abend.“, fügte er noch hinzu. „Danke.“, sagte Kyle und lächelte ihm zu. Er schaute weiter über Alastairs Schultern und las ein paar Zeilen. „Ich fass es nicht, du schreibst ja wirklich solches Zeug.“ Er las noch ein wenig weiter. „Sag mal, du nimmst die Ideen für solche Szenen nicht zufälliger Weise von deinen wirklichen Liebesabenteuern?“, fragte Kyle neugierig. „Roman und Realität sind zwei ziemlich unterschiedliche Dinge.“, war nur die kurze Antwort darauf. Alastair stand auf und ging in die Küche um sich einen Tee zu kochen. „Wie soll ich das denn jetzt verstehen?“, rief ihm Kyle hinterher und hockte sich kurz entschlossen an den nun freien Platz vor dem Computer. Super, er hat den PC nicht gelockt., freute er sich und las ein wenig weiter. Als er hörte wie Alastair in der Küche beschäftigt war, tippte er aus Spaß ein paar weitere Zeilen dazu. „Was machst du denn da?!“ Kyle zuckte leicht zusammen. Mal wieder hatte sich Alastair angeschlichen ohne dass Kyle ihn vorher gehört hatte oder anders wahrgenommen hatte. „Deinen Roman aufpeppen. Du schreibst ziemlich gestochen, das kapieren doch die frustrierten Weiber die diese Romane lesen nicht so leicht.“ „Meine Romane verkaufen sich auch so ausreichend, vielen Dank.“ „Aber mit meinem Feinschliff verkaufen sie sich bestimmt noch besser.“, sagte Kyle und haute überzeugt von sich in die Tasten. Alastair seufzte. „Na, wie du meinst. Wer weiß, vielleicht hast du ja ein unerwartetes Talent.“ Entrüstet drehte Kyle sich ihm zu. „Was heißt denn hier unerwartet?“ „Apropos unerwartet; heute Morgen bin ich unerwarteter Weise nackt in meinem Bett aufgewacht. Hast du irgendeine Ahnung wieso?“, fragte ihn Alastair und durchbohrte ihn mit seinem scharfen Blick. Kyle hielt dem stand. „Du warst ziemlich betrunken.“ „Normalerweise ziehe ich mich nicht aus, wenn ich betrunken bin beziehungsweise bin ich in der Regel durchaus noch in der Lage mir einen Pyjama anzuziehen.“ Kyle grinste sein charmantestes Vampirgrinsen. „Was hat mich verraten?“ Er überlegte gespielt. „Dass ich deine Klamotten nicht ordentlich aufgehängt habe?“ Alastair sah in fassungslos an. Gestand er ihm da etwa wirklich gerade, dass er ihn einfach so ausgezogen hatte? Amüsiert las Kyle an Alastairs Gesicht ab was dieser gerade dachte. Er stand auf und stellte sich nah vor ihn. „Jetzt mal ehrlich, Al – denkst du wirklich ich würde dich im Schlaf einfach ausziehen und mich über dich her machen?“, fragte Kyle leise und schaute ihn mit Schlafzimmerblick an. „Das würde ich dir durchaus zutrauen, ja.“, antwortete Alastair und erwiderte seinen Blick. Unwillkürlich begann sein Herz ein wenig schneller zu klopfen. „Wie schmeichelhaft.“, erwiderte Kyle mit einem amüsierten Lächeln und wand sich wieder von Alastair ab um in Richtung Tür zu gehen. Schmeichelhaft? „Also hast du nun, oder nicht?“, hakte Alastair weiter nach. Ein weiteres schelmisches Lächeln war alles was Alastair noch von Kyle als Antwort bekam bevor dieser aus der Wohnung verschwand um seinen Blutvorrat wieder aufzufüllen. In dieser Nacht brauchte Kyle nicht mehr allzu lange für seine Jagd. Nicht, dass sie ihm weniger Vergnügen als sonst bereitete, aber er wollte nicht allzu spät zu Alastair zurückkehren um noch einen weiteren Teil seiner Lebensgeschichte zu erfahren. Bevor Alastair schon wieder eine Flasche geleert hatte und mitten in der Erzählung einschlief. Dennoch nutzte er seinen nächtlichen Ausgang um noch kurz einer guten Bekannten einen Besuch abzustatten. Schwungvoll öffnete er die Tür und betrat das Fast-Food-Restaurant. Er wuselte sich durch die an der Kasse wartenden Menschen und steuerte direkt auf das Büro des Filialleiters zu. Ohne anzuklopfen betrat er den kleinen, fensterlosen Raum und hob grüßend die Hand. „Yo, Emma.“ „Kyle.“, stellte Emma nüchtern fest und rückte sich die Brille auf der Nase zurecht. „Danke Uwe, du kannst jetzt gehen. Wie du sehen habe ich einen unerwarteten geschäftlichen Besuch.“, sagte sie zu dem Angestellten, mit dem sie gerade über die zunehmend schlechtere Qualität der Pommes während seiner Schicht geredet hatte. Nachdem besagter Uwe den Raum verlassen und die Tür hinter sich geschlossen hatte, schlenderte Kyle zu dem nun freien Stuhl vor Emmas Schreibtisch, drehte ihn um und nahm verkehrt herum darauf platz. „Und was kann ich für dich tun?“, fragte Emma mit ausdrucksloser Miene. „Emma, Emma. Meine Liebe, ich bin nur hier, weil ich Sehnsucht nach deinem reizenden Wesen hatte.“ Eine verkohlte Pommes landete in seinem Gesicht. „Du weißt ich kann Komplimente nicht leiden, egal ob ernst gemeint oder nicht.“ Sie feuerte eine weitere Pommes in seine Richtung. „Also sag schon warum du hier bist und halte mich nicht weiter von meiner Arbeit ab.“ „Genau deshalb hab ich dich so gern.“, erwiderte Kyle und grinste ihr zu. „Aber ich verstehe immer noch nicht, warum du in einem Fast-Food-Restaurant arbeitest. Jemand mit deinem Verstand und deinen Beziehungen könnte sich doch einen, na ja, besser bezahlten Job suchen.“ Emma inspizierte eine weitere Pommes. „Mir macht es eben Spaß.“, antwortete sie schlicht und schaute ihn ernst an. „Und jetzt komm zur Sache, Kyle.“ „Ach Emma, wären doch nur alle Frauen so unkompliziert wie du.“ Er legte die Arme gekreuzt über die Stuhllehne und legte das Kinn darauf. „Ich habe tatsächlich eine kleine Bitte an dich. Du musst etwas für mich nachforschen.“ Emma machte eine vielsagende Handbewegung. „Natürlich bezahle ich dich dafür.“, bestätigte Kyle. Misstrauisch zog Emma eine Augenbraue nach oben. „Sag bloß, du hast mal wieder Kohle? Du weißt, ich bin nicht billig. Und du weißt auch, ich finde dich auf jeden Fall solltest du mal wieder vorhaben dich einfach so ohne Bezahlung aus dem Staub zu machen.“ „Die Erinnerung an letztes Mal ist mir lebhaft im Gedächtnis geblieben.“ Ihm lief ein Schauer über den Rücken. Sie hatte ihn ein paar Tage später überraschend aufgespürt und windelweich geprügelt bevor sie ihn nackt an eine Straßenlaterne gekettet hatte. Doch er nahm es ihr nicht übel. Er hätte es wahrscheinlich genauso gemacht, wenn ihn jemand so schamlos beschissen hätte. Außerdem war sie eine seiner wenigen Vertrauten und auch wenn sie horrende Summen für Aufträge nahm, lieferte sie immer ein zufriedenstellendes Ergebnis ab. „Was ich von dir bräuchte ist einen Kontakt zu einem Labor, das sich hervorragend mit der Analyse von Blut auskennt. Und der Analyst sollte ein Vampir sein.“ „Meine leichteste Übung.“, sagte Emma und griff bereits zum Telefon. Diskret wie sie war, fragte sie nicht weiter nach Kyles Gründen. Wobei sich Kyle sicher war, dass Emma zu der Sorte Mensch, beziehungsweise Vampir, gehörte, die aus irgendeinem Grund sowieso immer über alles Bescheid wussten. „Sag mal, dein Weinvorrat ist wohl wirklich unerschöpflich.“, kommentierte Kyle. Gerade war er in Alastairs Wohnung zurückgekehrt, da fand er diesen auch schon wieder mit einem Glas Wein am Schreibtisch sitzend vor. Die nebenstehende Flasche war bereits halbleer. „Ich hoffe es trifft dich jetzt nicht allzu sehr, wenn ich dir die Augen öffne und dir sage: Du bist Alkoholiker.“ „Und wenn schon. Tot saufen kann ich mich ja nicht.“ Kyle trat näher und nahm die Weinflasche in die Hand. „Was du sicherlich schon ausprobiert hast, vermute ich mal.“ „Der Versuch läuft noch.“, antwortete Alastair trocken und wollte Kyle die Flasche wieder aus der Hand nehmen um sich ein weiteres Glas einzuschenken. „Nix da.“, sagte Kyle und trug die Flasche in die Küche. „Du wirst zwar wunderbar redselig wenn du trinkst, aber ich habe keine Lust darauf dich schon wieder ins Schlafzimmer zu tragen weil du mal wieder ohne Vorwarnung wegpennst.“ Er kam mit einem vielsagenden Schmunzeln wieder aus der Küche hervor. „Zumal ich nicht garantieren kann, dass ich meine Finger von deinen Klamotten lasse, wenn du schläfst.“ „Danke, auf eine Wiederholung kann ich verzichten.“, meinte Alastair und drehte sich wieder seiner Arbeit zu. „So wie es dir gefallen hat, hattest du wohl schon länger verzichtet.“, bemerkte Kyle gespielt unschuldig und schlenderte ins Bad um sich ein wenig frisch zu machen. Alastair schaute ihm wortlos hinterher. „Und dann erzählst du mir gleich noch, wie es mit dem Tessa-Vivienne-Drama genau weiter ging.“, rief ihm Kyle noch aus dem Bad zu, bevor das Plätschern der Dusche einsetzte. „Ich sehe doch, wie du sie ansiehst!“ Ein weiterer Teller flog in seine Richtung und zerschellte an der Wand. „Also tu nicht so, als würde sie dir nichts bedeuten!“ Wütend funkelte Tessa Alastair an. „Natürlich bedeutet sie mir etwas! Sie ist meine schließlich meine Schwägerin!“, verteidigte sich Alastair und wich einem weiteren Teller aus. „Dagegen hab ich ja auch nichts einzuwenden.“, sagte Tessa und ging gefährlich langsam auf ihn zu. Sie erinnerte Alastair an eine wilde Katze kurz vor dem Sprung auf ihre Beute. Hatte sie jetzt etwa vor ihm das Gesicht zu zerkratzten, nachdem sie schon ihr gesamtes Geschirr zerdeppert hatte? „Ich verstehe nicht, wo dann dein Problem liegt!“, erwiderte Alastair und war versucht einen Schritt zurückzuweichen. Er liebte zwar gerade ihr Temperament, aber die Art wie diese goldenen Augen ihn gerade anfunkelten schüchterte ihn doch ein wenig ein. „Wo mein Problem liegt? Wo MEIN Problem liegt?!“ Sie stoppte kurz vor ihm und sah plötzlich unendlich traurig aus. „Mein Problem liegt darin, dass der Mann den ich liebe ganz offensichtlich in eine andere Frau verliebt ist. Und ich finde, ich habe es nicht verdient nur zweite Wahl zu sein, bloß weil seine Angebetete bereits vom Markt ist.“ Bevor Alastair etwas erwidern konnte, legte sie ihm den Zeigefinger auf die Lippen. „Du müsstest nur mal deinen Gesichtsausdruck sehen, wenn du sie ansiehst. So voller Sehnsucht. Jedes Mal wenn wir beide zusammen sind und du mir süße Worte zuflüsterst, frage mich, ob diese Worte eigentlich für sie bestimmt waren. Sagst du mir, was du ihr nicht sagen kannst? Berührst du mich, wie du dir immer vorgestellt hast sie zu berühren? Küsst du mich, wie du sie immer küssen wolltest?“ Sie ließ wieder von ihm ab. „Ich ertrage den Gedanken nicht nur ein Ersatz für sie zu sein.“, sagte sie noch bevor sie aus ihrer Wohnung stürmte und Alastair allein zurückließ. „Nein, Tessa! Jetzt warte doch!“, rief Alastair ihr nach und folgte ihr. Doch Tessa, die jede noch so kleine, dunkle Gasse der Stadt zu kennen schien, hatte ihn bereits im Straßenlabyrith der Stadt abgehängt. Zwar hörte sie noch wie er ihr nachrief, aber sie brauchte jetzt vor allen Dingen ein wenig Abstand. Ziellos spazierte sie einige Stunden durch die Straßen und ließ sich den gestrigen Abend noch einmal durch den Kopf gehen. Sie war nun bereits seit drei Monaten mit Alastair zusammen und anlässlich zur Geburt seines Neffen hatte er auch sie zur gemeinsamen Familienfeier eingeladen. Zunächst hatte sie sich sehr über seine Einladung gefreut und glaubte, dass dies ein Hinweis darauf war, dass er es durchaus ernst mit ihr meinte, wenn er sie schon seiner Familie vorstellte. Doch dann fiel ihr Blick auf diese Vivienne. Die junge Mutter sah aus wie ein Madonnengemälde, wie sie dort zufrieden lächelnd saß, ihren kleinen Sohn im Arm, und die Gäste begrüßte. Sie war klein und hatte die üppigen Rundungen eine Frau, die gerade erst ein Kind zur Welt gebracht hatte, doch Tessa beschlich der Gedanke, dass sie diese Kurven auch schon vor der Schwangerschaft besessen hatte und behalten würde. Und ihr Haar! Wie fein gesponnenes Gold! Ihr eigenes schwarzes, glattes Haar stand in keinem Vergleich zu dieser Pracht. „Deine Schwägerin ist wirklich sehr hübsch.“, bemerkte sie und schaute zu Alastair. Auch dieser hatte seinen Blick auf den bezaubernden Anblick gerichtet und schien sie gar nicht zu hören. „Wie bitte, hast du etwas gesagt?“, fragte er nach. „Ich sagte, dein Neffe ist sehr süß.“ „Ja.“, sagte Alastair und nickte zustimmend. „Er hat Glück gehabt und kommt sehr nach der Mutter.“ Tessa fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. Unbedarfte Bemerkungen wie diese und dieser Blick mit dem er Vivienne stets verfolgte sowie das Gefühl, dass er sie wie Luft behandelte, hatten ihren Verdacht gestärkt, dass Alastair und seine Schwägerin mehr verband, als nur das familiäre Verhältnis. Sie begann damit Vivienne an diesem Abend genauer zu beobachten. Wie sie redete, wie sie lachte. Wie sie mit Alastair plauderte. Wie sie ihre Hand dabei auf seinen Arm legte. Wie sie ihm Geheimnisse ins Ohr flüsterte. Wie sie ihn zum Abschied rechts und links auf die Wange küsste. Und wie sie Tessa mit einer Kälte behandelte wie sonst keinen der Gäste. Aufgrund ihres bisherigen Lebens hatte sich Tessa eine gute Menschenkenntnis angeeignet. Sie war sich absolut sicher, dass Alastairs, wenn auch eventuell mittlerweile verblassten Gefühle, von Vivienne durchaus erwidert wurden. Und dass Alastair nur sich und allen anderen etwas vormachte, indem er Tessa als seine neue Geliebte präsentierte. Ja, genauso hatte sie sich gefühlt. Als wäre sie nur eine Geliebte, nicht etwa eine ernsthafte Heiratskandidatin. Tessa schnaubte wütend und kickte ein paar Steinchen auf dem Weg vor sich her. Und überhaupt, wie konnte sie nur zulassen, dass Alastair ihr – einer selbstständigen Frau, die ihr Leben bisher auch gut alleine bestritten hatte – so dermaßen den Kopf verdrehte, dass sie gerade dabei war vor Eifersucht total den Verstand zu verlieren? Die letzten Jahre hatte sie mit Männern nur ihren Spaß gehabt und keinen Gedanken an eine feste Bindung verschwendet. Aber mit Alastair konnte sie sich durchaus vorstellen eine Ewigkeit zu verbringen. Wenn nur Vivienne nicht wäre. Tessa kehrte erst am frühen Morgen nach Hause. Leise schlich sie sich in ihre Wohnung und vergewisserte sich, dass Alastair dort nicht auf sie wartete. Sie hatte die ganze Nacht darüber nachgedacht was sie gegen Vivienne unternehmen sollte. Es musste doch einen Weg geben sie loszuwerden. „Am Besten, sie würde einfach verschwinden!“, schnaubte sie müde und setzte sich auf einen Stuhl an ihrem Esstisch. „Das sollte doch für dich kein Problem sein, liebste Tessa.“ Sie fuhr so erschrocken hoch, dass der Stuhl auf dem sie saß nach hinten umfiel und polternd auf den Boden schlug. Mit ihm, ausgerechnet mit ihm hatte sie in diesem Moment überhaupt nicht gerechnet. „Wa… was machst du denn hier? Wir hatten doch abgemacht, dass wir uns für eine Weile trennen. Beziehungsweise für immer.“ Der Mann trat aus dem Schatten in der Tür heraus und zuckte nur mit den Schultern. „Du hast mir gefehlt, Tessa.“, sagte er und näherte sich ihr langsam. Tessa schluckte, als das Licht auf sein Gesicht fiel. Wieso nur sah er immer noch so verdammt gut aus? Viel besser, als in ihrer almähnlich verblassenden Erinnerung. Er war groß und gut gebaut. Seine Haut war aus einem unerklärlichen Grund sonnengebräunt und seine hellen blonden Haare, die ihm in Locken ins Gesicht fielen, bildeten dazu einen wunderschönen Kontrast. Seine dunkelgrünen Augen waren direkt auf sie gerichtet und fesselten ihren Blick. „Es schmeichelt mir nicht sonderlich, dass dir diese Erkenntnis erst nach fünfzig Jahren gekommen ist.“, erwiderte sie trocken. „Und ich bin mir sicher, du hast davon die wenigste Zeit mit einem Gedanken an mich verschwendet.“ Er lachte. Götter, warum bereitete ihr sein Lachen immer noch solches Kribbeln im Bauch? „Meine Liebste, du kennst mich einfach viel zu gut.“, sagte er und lächelte sie an. „Aber sogar ich habe mich in den letzten Jahren verändert. Jahre, die mir ohne dich teilweise einfach nur öde vorkamen.“ Er nahm ihre Hand in seine und küsste ihre Handfläche. „Ich will dich wieder an meiner Seite wissen.“ Mit einem Seufzen entzog ihm Tessa ihre Hand. „Das tut mir Leid für dich. Ich habe bereits einen neuen Mann. Du bist zu spät dran, Adam.“, entgegnete sie. „Wie immer.“ Mit einem Knurren zog er die Augenbrauen zusammen. „Du meinst doch nicht etwa diesen Schwachkopf, der die ganze Nacht deinen Namen rufend durch die Straßen gelaufen ist?“ Er machte ein abwertendes Geräusch. „Ich hätte dir einen besseren Geschmack zugetraut.“ Er kassierte eine saftige Ohrfeige, die ihn einen halben Meter nach hinten gegen die Wand schleuderte. „Einen besseren Geschmack?“, wiederholte sie wütend. „Besser wie was? Wie du?“, fragte sie rhetorisch und sah ihn düster an. „Alles ist besser als ein Bastard, der einem plötzlich verkündet, er – ich zitierte – „will in seinem Leben auch mal wieder mit einer anderen Frau ins Bett.“ Was war mit deinem Schwur? Liebe bis in alle Ewigkeit!? Na, erinnerst du dich?“, hakte sie nach. Adam wischte sich ein wenig Blut aus dem Mundwinkel. Ihre Ohrfeigen waren wirklich immer noch weltklasse. Er grinste unwillkürlich. „Ich habe niemals aufgehört dich zu lieben, Tessa.“, antwortete er. „Aus diesem Grund wollte ich auch, dass wir uns trennen.“ Tessa runzelte die Stirn. „Ich kann deiner Logik leider nicht ganz folgen.“ „Dann gibst du mir eine Chance mich zu erklären?“, fragte er nach. Bei ihrem nicken atmete er erleichtert aus. „Um ehrlich zu sein, ich hatte schon Angst meine Kriegerprinzessin macht mich sofort einen Kopf kürzer bevor ich überhaupt zu Wort zu komme.“ „Freu dich nicht zu früh. Das hole ich nach, sollte mir deine Entschuldigung nicht gefallen.“ Sie legte den Kopf schief und ließ ihren Blick an seinem Körper hinab gleiten. Zwischen seinen Beinen blieb sie hängen. „Und vielleicht schneide ich dir im Schlaf auch noch das Teil weg, das für dein Ehebrechen verantwortlich war.“ „Wo wir schon gerade beim Thema sind“, sagte er unbeeindruckt ihrer Drohung. „In deiner Wohnung gibt es nicht zufälliger Weise einen dunklen Ort, an den kein Sonnenlicht dringt?“ Er blickte um sich. Das Morgengrauen war schon fast vorüber und er brauchte dringend einen Platz an dem er sicher schlafen konnte. „Du weißt ja, ich bin da leider nicht so unempfindlich wie du.“ Kyle trat nackt aus dem Badezimmer. Im Gegensatz zu Alastair machte er sich keine Gedanken darüber wer ihn eventuell sah und selbst wenn – dann hatte diese Person eben besonderes Glück gehabt ihn in seiner vollen Pracht bewundern zu dürfen. Dennoch ungesehen ging er in sein Zimmer und zog sich an. Sich mit einem Handtuch über die immer noch nassen Haare rubbelnd lief er wieder ins Wohnzimmer. Alastair saß dort, heute mal wieder in seinem Sessel und wartete bereits auf ihn. Vor ihm auf dem Tisch stand eine Tasse duftender Kaffee. Sehr gut, kommentierte Kyle zufrieden in Gedanken und setzte sich auf seinen Lieblingsplatz auf dem Sofa. „Also wo waren wir stehen geblieben?“, fragte er und überlegte kurz. „Ach ja, Tessa war also eifersüchtig auf Vivienne. Und was ist dann passiert?“ Alastair schaute ein wenig betrübt auf seinen Kaffee. Vielleicht hätte er doch einen Schuss Alkohol dazugeben sollen. „Tessa und ich hatten einen heftigen Streit. Sie warf mir eben genau solche Dinge an den Kopf, wie dass ich Vivienne immer noch liebte und sie nur ein Ersatz für sie wäre. Danach stürmte sie wütend aus dem Haus und ich habe die ganze Nacht nach ihr gesucht. Als ich am nächsten Morgen wieder zu ihrer Wohnung zurückkehrte, erwartete sie mich bereits. Wir redeten noch eine Weile miteinander – müde, und ohne Kraft uns weiter zu streiten – und sie gab unserer Beziehung noch eine weitere Chance.“ „Und wie ging es dann mit euch weiter?“ Alastair überlegte kurz bevor er antwortete. „Gut. Überraschend gut. Wir hatten uns ausgesprochen und ich bemühte mich ihr gegenüber aufmerksamer zu sein. Ich dachte tatsächlich wir hätten unsere Krise überstanden.“ Er seufzte mal wieder schwer. „Ich wäre niemals auf den Gedanken gekommen, dass sie zu diesem Zeitpunkt bereits beschlossen hatte Vivienne zu töten.“ Na endlich wird die Geschichte interessanter, dachte Kyle und setzte sich wieder aufrecht hin. „Und, hat sie sie umgebracht?“, fragte er neugierig. „Sie hat es versucht.“, bestätigte er aber. „Mit Gift. Vivienne überlebte nur knapp. Ich war schockiert, als meine Ermittlungen mich zu ihr führten und sie mir den Anschlag sogar gestand.“ „Was hast du dann mit ihr gemacht? Sie endlich in den Wind geschossen und hinter Schloss und Riegel gebracht?“ „Nein.“, gestand Alastair. „Ich ließ sie gehen. Vielleicht, weil ich mir ein wenig selbst die Schuld an ihrem Handeln gab.“ „Und was hat sie dann gemacht? Ist sie aus der Stadt geflohen?“ Alastair schloss die Augen und sah das was danach passiert war wieder so real vor seinem Inneren Auge abspielen, als wäre es gestern gewesen. „Nein. Sie hat sich umgebracht.“ Adam beobachtete die jüngsten Ereignisse fassungslos. Nicht nur, dass seine Tessa ihn tatsächlich nicht zurückhaben wollte, jetzt gab sie sich auch noch den Flammen hin! Wozu war er denn den weiten Weg aus Amerika wieder zurück gekommen? Ganz sicher nicht dafür. Er schnaubte frustriert. In letzter Zeit klappte aber auch gar nichts wie geplant. Nicht mal sein sorgsam zusammen gemischtes Gift hatte richtig gewirkt, was beinahe unmöglich war. Diese Vivienne hatte wirklich einen verdammt guten Schutzengel. „Wieso ausgerechnet Feuer?“, maulte er deprimiert und sah dem Szenario von dem Hausdach aus zu welches er erklommen hatte. In sicherem Abstand natürlich. Das Feuer griff nämlich bereits auf die nebenstehenden Häuser über. Er hatte sie wirklich wiederhaben wollen. Er wäre ihr sogar treu geblieben. Vermutlich. Ganz bestimmt. Irgendwie. Doch sie war ja so versessen auf diesen Menschen! Was bitte schön hatte dieser Kerl denn, was er nicht hatte? Er blickte auf die Straße hinab, wie die Leute aufgebracht ihre Häuser verließen und schnellstmöglich Maßnahmen ergriffen das Feuer unter Kontrolle zu bringen. Mitten unter ihnen Alastair, der laut Kommandos rief um den Löschvorgang und die Evakuierung der umstehenden Häuser vorantrieb. Erst als die Löscharbeiten vorüber waren und von Tessas Haus nicht mehr als ein paar verkohlte Balken und sehr viel Staub und Asche übrig waren, löste sich die Menge auf und kehrte in ihre Häuser zurück. Nur Alastair blieb vor dem abgebrannten Gebäude stehen. Eine Stunde, dann zwei, drei... bis zum Morgengrauen verweilte er reglos dort und starrte paralysiert vor sich hin. Aus der Ferne ließ Adam ihn nicht einen Moment lang aus den Augen. Erst kurz bevor die ersten Sonnenstrahlen ihr Licht zu ihm finden konnten, verkroch er sich in seinem Versteck im Dachgeschoss des Hauses und wartete dort schlafend auf den Einbruch der nächsten Nacht. Erst als sein Bruder ihn am Vormittag aus seiner Trance wachrüttelte, nahm Alastair seine Umgebung wieder war. Was war passiert? „Tessa…“, überkam ihn langsam die Erinnerung an die Ereignisse der letzten Nacht. „TESSA!!“, rief er und stürzte sich in die Überreste des abgebrannten Hauses. „Nicht! Alastair!“ Philippe stürmte ihm hinterher und zog ihn wieder hoch, als Alastair sich in die Asche stürzte und mit den Händen zu graben begann. „Das hat doch keinen Zweck mehr!“ „Aber Tessa ist noch da drunter!“ Er riss sich los und setzte seine Ausgrabung fort. „Sie ist noch am Leben, das weiß ich!“ „Bruder!“ Alastair wurde unsanft erneut hochgerissen und bekam einen ordentlichen Schlag ins Gesicht. „Sie ist tot! Tessa ist tot! Bitte, komm wieder zu Verstand!“ Der harte Schlag brachte Alastair tatsächlich für einige Sekunden wieder in die Realität zurück. Er schaute mit weit geöffneten Augen zwischen seinem Bruder und der verkohlten Ruine hin und her. Dann begann er zu weinen und Tessas Namen immer wieder zu rufen, bis er schließlich völlig entkräftet das Bewusstsein verlor. Als er wieder zu sich kam, lag er in seinem Bett in seinem Elternhaus. Die Sonne war bereits wieder unter gegangen und nur eine Kerze erleuchtete den Raum. Er öffnete die Augen als er spürte, wie etwas angenehm Kühles auf seine Stirn gelegt wurde. „Du bist wieder wach, wie schön.“, hörte er eine leise Stimme sanft flüstern. Vivienne. Er sah sich um. Sie waren allein im Raum. „Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht.“, sagte sie und ihre Stimme zitterte kaum merklich. Dennoch meinte Alastair Tränen in ihren Augenwinkeln schimmern zu sehen. Ohne weitere Vorwarnung legte sie den Kopf auf Alastairs Brust und weinte. Da Alastair kaum Kraft und auch überhaupt keine Worte für so eine Situation parat hatte, hob er einfach nur die rechte Hand und strich ihr sanft über den Kopf. „Was wenn dir etwas passiert wäre? Wenn sie dich mit in den Tod genommen hätte?“, schluchzte sie. „Was hätte ich denn ohne dich machen sollen?“ Ihre hellblauen, tränenverschleierten Augen suchten die seinen. Und in diesem Moment, in dem Alastair körperlich und seelisch zu schwach war um irgendwelche der sonst so verwirrenden Gefühle zu empfinden, die ihn sonst in ihrer Gegenwart quälten, erkannte er, was Tessa schon die ganze Zeit befürchtet hatte. Viviennes Blick war nicht der einer Frau, die einfach nur froh um das Wohlergehen ihres Schwagers war. Sie sah ihn mit eben jener leidenschaftlichen Sehnsucht an wie er es sich immer insgeheim gewünscht hatte. Alastair wendete den Blick von ihr ab. „Mir geht es schon wieder besser.“, murmelte er überwältigt von dieser Erkenntnis. Erschöpft schloss er wieder die Augen. Wie sollte er denn nun damit umgehen? Ungeduldig tippte Adam mit dem Fuß auf den Boden. Warum dauerte das denn so lange diesmal, verdammt? Sie ließ sich doch sonst nicht eine halbe Ewigkeit Zeit mit der Regenerierung ihrer Zellen. Er wartete nun schon seit drei Tagen auf ihre Wiederauferstehung und so langsam fing es an ihn zu nerven. Man hatte bereits damit begonnen die Trümmer aufzuräumen und Tessas verkohlte Gebeine geborgen. Auch wenn es schon sehr lange her war, dass Adam ihren blanken Schädel gesehen hatte, so erkannte er ihn dennoch auf Anhieb wieder. Während er tagsüber geschlafen hatte, waren Tessas Überreste bereits beerdigt worden. Er hatte ihr den Gefallen getan und sie ausgegraben, da er wusste, wie sehr sie es hasste sich aus einem Grab mit bloßen Händen zu wühlen. Er war ein bisschen verwundert und frustriert gewesen, als er in dem hölzernen Sarg immer noch bloß ihre paar Knochen wiederfand. Er hatte sie gepackt, in einen Sack gestopft und sich damit an einen sicheren Ort zurückgezogen. Eine kleine, nette, dunkle Gruft in die schon seit Jahren keiner mehr einen Fuß gesetzt zu haben schien. Den eigentlichen Besitzer des steinernen Sargs hatte er rausgeworfen und in Tessas Grab verfrachtet, bevor er es wieder zuschaufelte. Nun lag Tessa, oder besser das was von ihr übrig geblieben war, in eben jenen Steinsarg und strapazierte Adams Geduld in dem sie sich eindeutig zu viel Zeit nahm sich wieder zusammenzufügen. Irgendwas stimmt doch da nicht, dachte Adam und lief nachdenklich auf und ab. Das letzte Mal als sie vollkommen verbrannt worden war, hatte sie sich innerhalb von drei Tagen bereits wieder komplett regeneriert. Adam dachte gerne daran zurück. Damals waren sie sich zum ersten Mal begegnet und er hatte sich sofort in sie verliebt. Über zweihundert Jahre war es jetzt her, als sie stolz, mit vorgestecktem Kinn auf dem Scheiterhaufen gebrannt hatte und bis zum Schluss nicht einen Mucks gemacht hatte. Den Inquisitor, der Schuld an ihrer misslichen Lage war, hatte sie die ganze Zeit über finster mit einem „Dafür wirst du bezahlen!“-Blick angesehen, bis sie wegen des Qualms das Bewusstsein verlor. Damals hatte er in der grölenden Menge gestanden und bis zum Schluss zugesehen. Auch damals hatte er ihre Überreste gestohlen und aus einer romantischen Laune heraus an einem schönen Ort bestattet. Dann war er zu dem Inquisitor gegangen und hatte ihm den Kopf abgeschlagen. Den er übrigens mit sich nahm und anstelle von Blumen auf ihr Grab legte. Zufrieden zog er daraufhin seines Weges in eine andere Stadt und war nicht wenig erstaunt, als sich eine quicklebendige Tessa ein paar Tage später an seinen Tisch, in der Gastwirtschaft in der er gerade verweilte, setzte und ihn anlächelte. Wieso also brauchte es diesmal so lange? Tessa war schon oft verletzt oder getötet worden, was nicht selten auf ihr temperamentvolles Wesen zurückzuführen war und der Tatsache, dass sie sich, ihrer Unsterblichkeit bewusst, quasi alles erlauben konnte wonach ihr der Sinn stand. War etwa ihre Grenze erreicht? Gab es etwa doch nur eine bestimmte Anzahl Leben für sie? Adam schüttelte den Kopf. Das konnte er nicht glauben. Das wollte er nicht glauben. Tessa wirklich tot? Für immer verloren? „Verdammt!“, rief er laut und schlug mit der Faust so hart gegen die Wand, dass alter Putz von der Decke bröckelte und auf ihn hinabrieselte. Er ging zu dem Sarg und schob behutsam den Deckel zu. „Tessa, was hast du da diesmal nur wieder angestellt?“ Kyle schnalzte mit der Zunge. „Also hat Vivienne dich letztendlich auch geliebt.“, schloss er. „Wie hast du darauf reagiert? Bist du mit ihr durchgebrannt?“, fragte er und erntete sofort einen entrüsteten Blick von Alastair. „Natürlich nicht! Ich meine, nicht, dass ich nicht daran gedacht hätte, aber das konnte ich meinem Bruder nicht antun.“ „Ich bewundere deine Selbstbeherrschung, wirklich.“, meinte Kyle ehrlich. „Ich hätte sie mir geschnappt und wäre mit ihr noch vor Sonnenaufgang über alle Berge.“ Alastair sah ihn an. „Ja, hätte ich auch von dir erwartet.“, sagte Alastair und seine Lippen deuteten ein trauriges Lächeln an. „Aber ich…“ „Du bist sicher allein davongelaufen, hab ich Recht?“, beendete Kyle den Satz für ihn. Alastairs Schweigen bedeutete ihm mal wieder, dass er mit seiner Vermutung richtig lag. „Ich gab meine Stelle bei der Stadtgarde auf und verließ die Stadt, meine Familie und Vivienne. Ich hatte nicht vor für immer fort zu bleiben, aber ich brauchte Abstand und Zeit um zu vergessen. Die Jahre darauf verbrachte ich als Söldner.“ Er sah Kyle erstaunt die Augenbrauen heben. „Ja, schau nicht so. Das war eine gute Gelegenheit zu Reisen und überall einen Auftrag zu bekommen um sich den Lebensunterhalt zu verdienen, egal wo man war.“ „Vom feschen Stadtgardisten zum coolen Söldner und schließlich zum Schundromanautor. Ich bin entsetzt über diese Entwicklung.“, neckte ihn Kyle und lachte. Alastair konnte nicht umhin ebenfalls darüber zu Lächeln. Für einen Augenblick hatte Kyle das Gefühl sein Herz bliebe ihm stehen. Er war nicht darauf vorbereitet gewesen, dass Alastair ihm bereits heute Nacht ein richtiges Lächeln schenkte. Und dass es ihm wirklich so gut stand, wie er bereits vermutet hatte. Unfähig sich noch länger zurück zu halten, griff er nach Alastairs Hand, zog sie zu sich heran und küsste die Handinnenfläche. „Kyle…“, war alles was Alastair noch überrascht hervorbrachte. „Schhhh…“, machte Kyle nur leise. „Wieso riechst du nur so gut.“, fragte er und biss sanft in das weiche Fleisch zwischen Zeigefinger und Daumen. „Was… was machst du?!“, stammelte Alastair entsetzt, als Kyle damit begann das Blut abzulecken, welches bereits aus den zwei kleinen Wunden die seine Zähne hinterlassen hatten, heraustrat. „Hör auf damit!“ „Das bisschen Blut wird dich schon nicht umbringen. Wobei, wäre das nicht sogar in deinem Sinne?“, fragte Kyle und schaute zu ihm auf, während er weiterhin dieses köstliche Blut saugte. Alastair entgegnete seinem Blick. „Mich vielleicht nicht, aber was ist mit dir? Hast du Lust wieder tagelang bewusstlos in meiner Wohnung rum zu liegen?“ „Es gibt schlimmeres als in diesem herrlich weichen Bett zu liegen und von dir im Schlaf beobachtet zu werden.“, antwortete Kyle ohne das Lecken zu unterbrechen. Mit seiner Zunge umspielte er die kleinen Bluttropfen bevor er sie aufschleckte. Alastair biss konzentriert die Zähne aufeinander, bevor er rot anlief. „Wie kommst du denn auf so etwas?“, fragte er und drehte irgendwie peinlich berührt den Kopf zur Seite. Kyle schmunzelte. Hah, voll ins Schwarze getroffen!, freute er sich und ließ seine Zunge weiter über Alastairs Handfläche tanzen und weiter hoch zum Handgelenk wandern, wo er erneut zu biss. Als Alastair aufstöhnte und das für Kyle so gar nicht nach einem Stöhnen vor Schmerzen klang, war ihm klar, dass er einer Nacht mit ihm ein großes Stück näher gekommen war. Kyle sah keinen Sinn darin, Alastair mit einer langsamen Strategie über mehrere Tage, Wochen oder Monate hin zu verführen. Er würde jetzt nicht mittendrin aufhören. Wenn sich ihm nun die Gelegenheit bot, dass Alastair sich ihm in diesem Moment hingab, dann würde er diese auch ohne zu zögern ausnutzen. Er ließ von Alastairs Handgelenk ab und stand von seinem Platz auf um sich, das Gesicht zugewandt, auf Alastairs Schoß zu setzen. Er legte ihm die Hände in den Nacken und sah ihm intensiv in die Augen. Unwillkürlich wanderte sein Blick über Alastairs Lippen hinab zu seinem Hals und der so köstlich pochenden Halsschlagader. Kyle beugte sich ein wenig hinunter und leckte ihm auch über diese pulsierende Stelle. Mit der sensiblen Zungenspitze konnte er Alastairs wilden Herzschlag spüren und es fiel ihm immer schwerer, nicht erneut zuzubeißen, wieder dem Blutrausch nach diesem so absolut herrlich schmeckenden Blut zu verfallen, wie beim letzten Mal. Gut, dass er an diesem Abend bereits etwas getrunken hatte. Trotzdem ließ er es sich nicht nehmen an Alastairs Hals zu lecken und zu knabbern. Er hatte eigentlich erwartet, dass dieser sich vehement gegen ihn wehrte, doch Alastair hatte einfach nur die Augen geschlossen und atmete unregelmäßig ein und aus. Hatte er ihn tatsächlich schon soweit? Kyle rutschte ein wenig auf seinem Schoß hin und her, so dass Alastair leise aufstöhnte. Kein Zweifel, Alastair war eindeutig erregt. Kein Wunder, niemand kann mir widerstehen, dachte Kyle zufrieden und klopfte sich selber mental auf die Schulter. Er küsste sich seinen Weg hoch über Alastairs Hals, über sein Kinn und ließ seine Lippen verheißungsvoll vor Alastairs verweilen. Als Alastair spürte wie Kyle inne hielt und er nur noch seinen heißen Atem auf den Lippen spürte, öffnete er die Augen wieder und suchte Kyles Blick. Alastair sog scharf die Luft ein, als er in rot glühenden Augen blickte. Ob er wohl immer diesen feurigen Blick hatte, wenn er erregt war? Fasziniert von dem Anblick hob Alastair die Hand an Kyles Wange. Dieser lächelte ihm zu und schmiegte seine Wange an ihn. „Alastair…“, hauchte Kyle und wollte gerade die letzten Millimeter Distanz zwischen ihren Lippen überwinden, als es an der Tür klingelte. Alastair zog verwundert seinen Kopf zurück. Wer konnte das sein? Um diese Uhrzeit? „Hey!“, beschwerte sich Kyle missmutig über diese Unterbrechung. „Hier spielt die Musik.“ „Aber…“ „Ist doch egal wer da draußen vor der Tür steht, soll er halt wann anders wieder kommen.“, sagte Kyle entschlossen und beugte sich wieder vor um Alastair zu küssen. Woraufhin er von einem nervtötenden Dauerklingeln unterbrochen wurde. Super, jetzt ist die ganze Stimmung dahin!, dachte Kyle wütend und sprang auf um zur Tür zu gehen und dem unerwarteten Gast zu öffnen. „Na warte, dem dreh ich den Hals um.“, knurrte er. Alastair schaffte es gerade noch so Kyle von seinem Vorhaben abzubringen, indem er ihn von der Tür wegschubste, als er das vertraute Klackern von High Heels auf dem Marmorboden des Hausflures erkannte. „Alastair, mein Lieber!“, sagte eine tiefe, aber eindeutig weibliche Stimme. Mit ausgebreiteten Armen und einem breiten Lächeln lief sie ihm theatralisch entgegen. Sie war gut gekleidet, trug einen echten Pelzmantel und hohe Stiefel. Der Hut im zwanziger Jahre Stil passte perfekt zu ihrer Gesichtsform und ihr Make-up war makellos. Sie war nicht mehr die allerjüngste, Kyle schätzte sie auf ungefähr vierzig, aber man konnte sie eindeutig als eine Schönheit erkennen. Nachdem sie Alastair rechts und links einen Kuss auf die Wange angedeutet hatte, fiel ihr Blick auf Kyle und ihr knallrot geschminkter Mund verzog sich zu einem lüsternen Lächeln während sie ihn ausgiebig von oben bis unten musterte. „Carla.“, sagte sie mit ihrer rauchigen Stimme und streckte ihm mit einer eleganten Bewegung die Hand entgegen. Mit einem missmutigen Blick – er war immer noch sauer, weil sie seine Liebesnacht mit Alastair vereitelt hatte – nahm er ihre Hand und deutete einen Handkuss an. Sie sieht aus, als steht sie auf so was, dachte Kyle und hatte Recht damit. Carla belohnte sein Benehmen mit einem weiteren breiten Lächeln. Alastair hörte die beiden vergnügt im Wohnzimmer rumalbern. Er war in die Küche gegangen um einen neuen Kaffee aufzusetzen und ein paar kleine Snacks für seine menschliche Freundin zuzubereiten. Er war froh, dass sich die beiden so gut verstanden, vor allem nachdem Kyle mit so einem entschlossenen Gesichtsausdruck verkündet hatte, er würde den Störenfried, der ihr kleines Intermezzo unterbrochen hatte, aus dem weg räumen. Alastair lief ein erneuter Schauer über den Rücken, als er sich die Erinnerung an dass was sie da gerade im Begriff waren zu tun ins Gedächtnis zurück rief. Wieso nur hatte sich das so verdammt gut angefühlt? Hatte Kyle etwa Recht, und er war wirklich einfach nur viel zu lange enthaltsam gewesen? Es kostete ihn eindeutig zu viel Mühe sich an das letzte Mal zu erinnern, also hatte Kyle vermutlich wirklich Recht. Alastair seufzte, als er die Sandwichs in kleine Dreiecke schnitt. Waren es tatsächlich schon ein paar Jahre? Oder vielleicht sogar Jahrzehnte? Er hatte bewusst eine Weile darauf verzichtet, weil ihm Schlicht und Einfach die Lust daran vergangen war. Er hätte nicht gedacht, dass dieser Vampir, den er sich in einer dreckigen Seitengasse aufgegabelt hatte, tatsächlich wieder ein solches Verlangen in ihm wecken konnte. Na super, nun war er also auch noch tatsächlich scharf auf ihn. Er konnte ja nicht leugnen, dass Kyle bereits von Anfang an eine besondere Anziehungskraft auf ihn gehabt hatte. Als er an dem Abend ihrer ersten Begegnung zufällig sah, wie der Vampir gerade in der Seitengasse sein Essen verführte, war er zunächst einfach nur neugierig gewesen und hatte aus den Schatten heraus beobachtet. Doch dann war er quasi wie von selbst auf die beiden zugelaufen um Kyle sein Angebot zu unterbreiten. Ja, im Grunde hatte er ihn abgeschleppt und wusste selber nicht, warum er auf Kyles Verhandlung darüber die nächsten Monate mit ihm zu verbringen eingegangen war. Lag es wirklich nur daran, dass er einfach nur mit Kyle schlafen wollte? Beinahe hätte sich Alastair mit dem Messer in den Finger geschnitten. Diese Erkenntnis festigte sich immer mehr in seinem Bewusstsein und er war noch nie der schnellste darin gewesen, sich seiner eigenen Gefühle bewusst zu werden. Moment mal; Gefühle? Alastair hielt inne. Er hatte doch nicht etwa wirklich Gefühle für den Vampir? Erst die Erkenntnis, dass er mit ihm schlafen wollte, und jetzt sollte er auch noch Gefühle – romantische Gefühle – für ihn empfinden? „Ich glaube, ich bin einfach nur müde und durcheinander von dieser ganzen Geschichtenerzählerei.“, murmelte er und goss sich einen starken Kaffee ein von dem er einen großzügigen Schluck trank, bevor er mit dem Essen und dem Kaffee wieder zurück ins Wohnzimmer ging. Verdrängung war schon immer eine seiner Stärken gewesen. „Hey, Al!“, winkte Kyle ihm gut gelaunt zu. „Carly ist ganz begeistert von meinen Verbesserungen an deinem Kitschroman.“ Alastair stellte die Servierplatte auf dem Wohnzimmertisch ab. „Das kann doch unmöglich dein Ernst sein, Carla.“, kommentierte Alastair und zog die Augenbrauen hoch. „Doch, doch! Der Junge hat Talent!“, bestätigte Carla begeistert und schnappte sich eines der köstlichen Sandwichs. „Und seine Ergänzungen sind sehr witzig.“, fügte sie noch hinzu bevor sie genussvoll hinein biss. „Ha, na siehst du!“, triumphierte Kyle. „Carly, ich kann dich echt gut leiden!“ Carla lachte laut auf und schnappte sich bereits ein weiteres Sandwich. „Also, hör mal Alastair, ich kann mir durchaus vorstellen, dass deinem neuesten Roman eine Zusammenarbeit mit Kyle sehr gut tun würde.“ Sie wechselte kurz mal in den professionellen Modus. „Als deine Redakteurin würde ich das sehr begrüßen.“ Was so viel hieß wie: Tu es und versuch gar nicht erst mit mir darüber zu diskutieren. Alastair seufzte, bevor er nickte. „Mal sehen, was möglich ist.“, kam er ihr entgegen und sie gab sich damit zufrieden. Bis Carla endlich wieder ging, war es bereits drei Uhr morgens. Alastair kannte ihre nächtlichen Besuche bereits. Zweimal im Monat ließ sie sich persönlich bei ihm Blicken um mit ihm über seine Arbeit zu sprechen und fand dafür immer die merkwürdigsten Zeiten. „Sie ist cool, aber wenn sie uns noch einmal unterbrechen sollte, kommt sie leider auf meinen Speiseplan.“, sagte Kyle, als Alastair wieder ins Wohnzimmer trat. Ohne Kommentar ging Alastair zum Tisch und räumte die leere Servierplatte ab. „Sag mal, geht es dir eigentlich gut?“, fragte er um vom Thema abzulenken. „Hö? Ja, wieso was meinst du?“, fragte Kyle ein wenig irritiert. „Na, ich meine weil du vorhin mein Blut getrunken hast.“ Ups, Mission vom Thema ablenken kläglich gescheitert. „Mir geht es prima, danke der Nachfrage.“ Kyle räkelte sich auf dem Sofa. „Ich weiß auch nicht warum es mich beim letzten Mal umgehauen hat.“ Er hob die Schultern. „Vielleicht lag es einfach an der Menge? Ach, keine Ahnung.“ Er grinste, als dieser Gedanke noch eine weitere Erkenntnis mit sich bracht. „Das heißt also vielleicht, ich könnte in Zukunft öfter von dir trinken.“ Alastair hielt einen Moment inne, wie als wäge er diese Idee tatsächlich ernsthaft ab. „Mal sehen.“, antwortete er leise und ging in die Küche um das Geschirr weg zu räumen. Mal sehen? MAL SEHEN? Kyle grinste. Und wie er mal sehen würde. Als Alastair wieder aus der Küche trat, sah er ganz schön müde aus. „Ich hoffe du siehst es mir nach, wenn ich jetzt ins Bett gehe.“, sagte er und rieb sich die bereits rot geäderten Augen. „Mit mir, oder ohne mich?“, fragte Kyle halb ernst, halb im Scherz nach. Alastair schüttelte nur leicht den Kopf, als er sich ins zunächst ins Bad und dann in sein Schlafzimmer begab. Kyle seufzte leise. Heute Nacht war also nicht. Schade. Er wartete noch ein paar Minuten, bis er sich zu Alastairs Schlafzimmertür schlich und lauschte. Als er sich sicher war, das regelmäßige Atmen eines Schlafenden zu hören, öffnete er leise die Tür und gesellte sich unmerklich zu Alastair ins Bett. Eine Weile noch beobachtete er ihn und malte sich bereits aus auf welche Art er Alastair wohl als erstes nehmen würde. Wie er es wohl mochte? Zärtlich, oder doch lieber grob? Nach allem was er nun schon von Alastair erfahren hatte, tendierte er wahrscheinlich eher in die grobe und masochistische Richtung. Perfekt, dachte Kyle. Er gehörte nun mal schließlich eher zu der Sorte, die gerne zubiss und kratze bis das Blut lief. Ja, das würde Alastair bestimmt gefallen, so wie er gestöhnt hat, als ich ihm in die Pulsader biss. Vorsichtig nahm er erneut Alastairs Handgelenk und überprüfte die Stelle aus der er vorher getrunken hatte. Nicht mal eine Narbe war übrig geblieben. Die Wunde war bereits wieder verheilt gewesen, als Alastair Carla begrüßt hatte. Kyle biss erneut zu. Diesmal ließ er seine Zähne sehr sanft in das zarte Fleisch des Zeigefingers hineingleiten, so dass er Alastair nicht weckte. Bevor er ab ließ, holte er ein kleines Röhrchen aus der Hosentasche und fing damit die kleinen Bluttropfen auf, die aus den Bisswunden tropften. Als er genug gesammelt hatte, was schwierig war, das die Wunden so schnell wieder verheilten, dass er sie noch zwei weitere Male öffnen musste, saugte er noch einmal genussvoll an dem Finger. Dann verschloss er die Blutprobe mit einem kleinen Pfropfen aus Plastik, warf noch einen letzten sehnsuchtsvollen Blick auf Alastairs im Schlaf leicht geöffnete Lippen, und ging hinüber in sein eigenes Zimmer. In der nächsten Nacht ging Kyle als allererstes Emma einen weiteren Besuch abstatten. Wieder einmal platzte er unangebracht in eines ihrer Meetings. „Das solltest du dir echt langsam mal abgewöhnen!“, schimpfte Emma, als sie endlich wieder allein im Raum waren. „Hier!“, sagte Kyle ungerührt und warf ihr das Röhrchen mit der Blutprobe zu. Emma drehte es neugierig hin und her. „Und was genau soll jetzt daran besonderes sein?“, fragte sie nach. Kyle verschränkte die Arme vor der Brust. „Wo ist deine Diskretion geblieben, liebste Emma?“ Der Pappkarton eines Burgers segelte treffsicher in seine Richtung. „Das sagt genau der Richtige.“, kommentierte sie. „Ich hab ja selber keine Ahnung ob irgendetwas an diesem Blut besonders ist oder nicht, deswegen übergebe ich es ja an dich, damit du es an das Labor weiterleiten kannst.“, erklärte Kyle sachlich. „Tatsache ist jedenfalls, es ist ziemlich lecker.“ Emma kicherte, wenngleich es auch nicht unbedingt amüsiert klang. „Und deshalb der ganze Aufwand? Weil es lecker ist?“ Sie kommentierte seine Aussage weiterhin mit einem Kopfschütteln und einem mitleidsvollen Blick. „Wenn es so gut schmeckt, dann mach die Person zu der es gehört doch einfach zu deinem Blutsgeliebten und gut ist.“ „Genau das habe ich auch erstmal vor.“, sagte Kyle daraufhin. „Aber ich will trotzdem wissen, ob dieses Blut irgendwelche Anomalien aufweist.“ „Dann werde ich mich darum kümmern, dass du bald eine Antwort darauf erhältst.“, bestätigte Emma in ihrem professionellen Ton. „Und wenn du mich jetzt bitte wieder entschuldigen würdest, ich habe noch einen Haufen Arbeit zu erledigen.“ Nachdem Kyle ihrer Bitte erstaunlich schnell folge leistete – was seltsam für ihn war, da er sie sonst immer sehr gerne ein wenig mit seiner Gegenwart reizte – betrachtete sie nachdenklich das Blutröhrchen. Eine Bitte dieser Art passte irgendwie gar nicht zu Kyle. Normalerweise hatten seine Anfragen immer irgendwas mit seinen momentanen Geschäften diverser Art zu tun, aber diesmal schien er aus persönlichem Interesse zu handeln. Und die Sache schien ihm so wichtig zu sein, dass er sogar ihre hohen Gebühren klaglos in Kauf nahm. Beziehungsweise sich an eine Person wandte, der er vertraute. Aus reiner Neugier öffnete sie, entgegen ihrer sonstigen von Kyle vorher schon erwähnten Diskretion, das Röhrchen und schnupperte an dem Blut. Roch eigentlich nach ganz normalem Blut, stellte sie fest. Ihr lief bereits das Wasser im Mund zusammen. Wurde Zeit, dass sie auch mal wieder etwas trank. Sie sog noch ein weiteres Mal den Geruch tief ein. Aber… war da nicht noch irgendein anderer, schwacher Duft? Ein wenig wie… Wildrosen und Karamell, Schnee und Regen. „Hm.“, kommentierte Emma und stöpselte das Röhrchen wieder zu. Muss wohl der Geruch der Person sein, von der er es hat. Na toll, jetzt hatte sie plötzlich richtig Appetit bekommen. Seufzend stand sie von ihrem Schreibtisch auf und suchte nach einem gepolsterten Briefumschlag. Vorsichtig steckte sie die Probe in den Umschlag, verschloss ihn sicher und klebte den bereits vorbereiteten Aufkleber mit der Adresse des Empfängers inklusive Frankierung darauf. Sie streifte sich noch ihre alte braune Lederjacke über und machte sich direkt auf den Weg das Päckchen persönlich zur Post zu bringen. Besser gesagt, zu dem Boten ihres Vertrauens dem sie ihre geheimen Sendungen anvertraute. Sie glaubte zwar nicht, dass eine extra gesicherte Lieferung und Übergabe in diesem Fall nötig war, aber sie wollte es später nicht bereuen, falls sie sich mit ihrer Einschätzung verschätzte und das Blut doch ein Geheimnis in sich barg und dann auch noch in falsche Hände geriet. Nun wartete er schon seit zwei Wochen und noch immer hatte sich Tessas Zustand nicht verändert. Die Nacht war gerade hereingebrochen und Adam eben erst wieder aus seinem Schlaf erwacht. Trübsinnig, wie es für ihn eigentlich nicht üblich war, starrte er auf die Knochen und drückte Tessas Schädel an seine Brust. So langsam musste er es einsehen. Tessa kam nicht wieder. Als sie ihm verkündet hatte, sie würde nun einen anderen Mann lieben und bis zu seinem Tod an seiner Seite bleiben, da hatte er sich dazu bereit erklärt ihr diese paar Jahre mit Alastair noch zuzugestehen. Schließlich hatte er sie damals verlassen. Aus guten Gründen, wie er immer noch fand, aber er hatte ihr auch nicht ihre eigene Wahl gelassen an seiner Seite zu bleiben, falls sie es gewollte hätte. Stattdessen hatte er ihren weiblichen Stolz verletzt, ihre Ehe und seine Liebe zu ihr verleugnet und war einfach abgehauen. Dass er damals einen großen Fehler gemacht hatte war ihm schnell klar gewesen. Im Grunde hatte er sie von Anfang an nicht verlassen wollen und sie vermisst. Dennoch hatte es fünfzig Jahre gedauert bis er sich wieder gefahrlos in ihre Nähe wagen konnte. Gefahrlos für Tessa, wohlgemerkt. Und, na ja, wenn er mal ganz ehrlich war, so ganz treu geblieben war er ihr wirklich nicht - zumindest was die körperliche Ebene anbelangte. Aber er hatte währenddessen immer an sie gedacht. Zumindest redete er sich das gerne ein. Deshalb war er auch bereit gewesen, dass sie sich erstmal wieder an den Gedanken gewöhnen konnte, dass er wieder zurück war und sie wieder haben wollte. Sollte sie doch noch ein paar Jahre mit diesem Kerl verbringen mit dem sie erst seit ein paar Wochen zusammen war. Der Typ war ja auch nicht mehr der jüngste. Zudem hatte er auch noch einen Beruf in dem er getötet werden konnte und die normale Lebensdauer lag sowieso nur bei circa fünfzig Jahren. Weitere fünfundzwanzig Jahre hätte er da auch noch warten können. Nur eine kurze Zeit, wenn man noch eine Ewigkeit zu leben vor sich hatte. Doch nun war die Chance auf eine Ewigkeit mit Tessa wohl wirklich gestorben. Er gönnte sich noch einen weiteren melancholischen Seufzer, bevor der den Sargdeckel zur Seite schob und sich raus in die Nacht begab. Die letzten Tage hatte er nur noch auf dem Friedhof rumgelungert, um sich nicht zu weit von Tessa zu entfernen, und sich von dem Blut von Tieren ernährt um nicht unnötiges Aufsehen auf sich zu ziehen. Leider verirrten sich in der Dunkelheit eher weniger Menschen auf dem Friedhof von denen er hätte trinken können. Dementsprechend groß war sein Hunger nach menschlichem Blut nun. Um nicht völlig zu entkräften und letztlich einem Blutrausch zu verfallen, brauchte er heute Nacht dringend menschliches Blut. Ja, er konnte auch nur durch Tierblut überleben, aber die Gefahr seinen Verstand zu verlieren war es ihm nicht wert. Er hatte Tessa verloren, aber nicht seinen Lebenswillen. Er klopfte sich den Staub von der Kleidung, ordnete sein Haar so gut es eben ohne Kamm ging und begab sich hinunter in die Stadt. Wer sollte den heute mal sein Frühstück sein? Er verzog die Lippen angeekelt. Er hatte Hunger, ja, aber trotzdem keinen Appetit. Anscheinend hatte ihm das ganze doch ein wenig auf den Magen geschlagen. Also entschloss er sich, ein Opfer zu finden, dass ihn zumindest so sehr reizte, dass er vielleicht ein paar Schlucke davon trinken konnte, ohne dass es ihn allzu sehr anwiderte. So eine Phase hatte er schon einmal durchgemacht. Als er Tessa verlassen hatte. Zu der Zeit als sie noch zusammen waren hatte er am Ende nur noch ausschließlich ihr Blut getrunken. Nichts schmeckte herrlicher, nichts duftete so verlockend und nichts machte mehr Spaß als ihrem Stöhnen zu lauschen während er an ihr saugte. Der Umstieg wieder auf normalesterbliches Blut war ihm sehr schwer gefallen. Nun, immerhin hatte sie ihm bei ihrem Wiedersehen nicht erlaubt von ihr zu trinken. Sonst wäre es ihm jetzt bestimmt noch schwerer gefallen. Worauf also hätte ich zumindest ein klein wenig Lust?, fragte er sich und streunte durch die Straßen. Die Nacht war ja gerade erst hereingebrochen und demnach waren immer noch einige Menschen unterwegs. Doch nichts was er sah gefiel ihm so richtig. Ob Alastair wohl irgendwo hier herumschlich und sich vor lauter Trauer einen hinter die Binsen kippte? Alastair! Ja, genau! Warum war er da nicht schon eher drauf gekommen. Er grinste böse. Wegen ihm hatte er Tessa verloren. Was sprach also dagegen, dass er sich an ihm rächte? Ok, sollte Tessa doch noch irgendwann wieder auferstehen und dann feststellen, dass er Alastair getötet hatte… das würde sie ihm wahrscheinlich nie verzeihen. Er überlegte weiter, was er unternehmen sollte, während er sich auf den Weg zu Alastairs Haus machte. Den Weg kannte er, als er Alastair heimlich aus den Schatten heraus nachgeschlichen war, kurz vor Tessas dramatischem Abgang. Vielleicht sollte er ihn am Leben lassen? Er könnte ja diese Vivienne töten, von der Tessa behauptet hatte, dass sie Schuld an der ganzen Sache gewesen wäre. Ja, das würde er machen! Er würde Vivienne vor Alastairs Augen umbringen! Damit hätte er seine Rache an Alastair ohne ihm körperlichen Schaden zuzufügen und würde Tessa sogar noch einen Freude machen indem er ihre selbsterklärte Erzfeindin beseitigte. Adam war ein Mann von Format, wie er immer gerne selbst von sich behauptete, und ein solcher benutzte natürlich den Vordereingang. Er klopfte bestimmt an die Tür. „Ja, bitte? Wer ist da?“, antwortete ihm eine weibliche Stimme hinter der Tür. „Verzeihen Sie die späte Störung. Mein Name ist Adam. Ich diene zusammen mit Alastair bei der Stadtwache und würde gerne mit ihm reden.“ Eine junge Frau, sie hatte glattes, braunes Haar und graue Augen – vermutlich die Schwester dieses Trottels – öffnete die Tür einen Spalt und spähte vorsichtig hinaus. Als sie den großen, schönen jungen Mann erblickte, öffnete sie die Tür noch ein wenig mehr. Nervös zupfte sie sich an den Haaren. Süß, dachte Adam und vergaß beinahe sein Vorhaben. „Mein Bruder hat vor ein paar Tagen die Stadt verlassen.“, sagte sie zu ihm. „Es wundert mich, dass Sie als sein Kumpan nichts davon wissen.“ „Er ist weg?“ Verdammt! „Nun, ich hatte für ein paar Wochen einen Auftrag außerhalb und bin eben erst zurückgekehrt. Dann habe ich von den jüngsten Ereignissen erfahren und bin natürlich sofort hierher geeilt um ihm meine Anteilnahme auszudrücken.“, log Adam gekonnt. „So was aber auch.“, sagte er ehrlich enttäuscht und schaute der jungen Dame in die Augen. „Wo ist er denn hingegangen?“, fragte er und versuchte so zu klingen als wäre er einfach nur aus Nettigkeit daran interessiert und ganz ohne Hintergedanken. Alastairs Schwester kaufte ihm diese Tour anscheinend ab. „Er wollte zunächst in die Hauptstadt und von dort nach freien Aufträgen suchen.“ „Das heißt, er ist aus der Garde ausgetreten?“ Sie nickte. Verflucht, das würde es um einiges schwerer machen seinen schönen Plan durchzuführen. „Das schmerzt mich wirklich sehr zu hören.“, behauptete er. „Ein wahrer Verlust.“ Er verneigte sich leicht. „Wenn das so ist, dann entschuldigen Sie bitte nochmals die Störung.“ „Christine?“ Eine helle Stimme klang an sein Ohr. „Mit wem redest du da? Du sollst doch bei Dunkelheit nicht einfach Fremden die Türe öffnen!“, tadelte sie. Christine drehte den Kopf. „Kein Fremder, ein Mitglied der Stadtgarde. Er wollte zu Alastair.“, berichtigte sie kurz. „Oh.“, machte die liebliche Stimme und eilte zur Tür. „Das ist natürlich etwas anderes.“ Adam erkannte sie sofort, als sie sich neben Christine in den Türrahmen gesellte. Das war sie also. Vivienne. Entgegen der Abscheu, die er für diese Frau empfand – schließlich trug sie mit Schuld daran, dass seine Frau so durchgedreht war – lächelte er ihr charmant zu. Vivienne war hübsch, keine Frage, aber kein Vergleich zu Tessa, fand er. „Christine“, er zwinkerte ihr leicht zu, „was so nett mir bereits zu berichten, dass Alastair sich nicht mehr in der Stadt aufhält, es ihm aber soweit gut geht.“ Vivienne nickte. „Ja, das ist wahr. Wir haben alles Mögliche versucht damit er bleibt, aber er ließ sich nicht umstimmen.“, erwiderte sie traurig. „Das tut mir Leid für Ihre Familie.“ Pech gehabt, Süße! „Danke sehr.“ „Nein, ich danke Ihnen.“, verabschiedete sich Adam mit einer erneuten Verneigung und machte auf dem Absatz kehrt. „Ich wünsche den Damen noch einen guten Abend.“ Er hörte wie die Tür wieder ins Schloss fiel und entfernte sich. Dann hörte er plötzlich, wie sie wieder geöffnet wurde und drehte sich grinsend um. Bestimmt kam ihm diese kleine Christine nachgelaufen weil sie sich sofort in ihn verliebt hatte. Er war ja so toll. Er staunte nicht schlecht, dass entgegen seiner Vermutung Vivienne in seine Richtung lief. „Mein Herr.“, rief sie ihm zu und kam entschlossen auf ihn zu. „Ich hätte eine Bitte an Sie!“ So? Nun war Adam ernsthaft neugierig. „Wenn es im Rahmen meiner Möglichkeiten ist, wäre es mir eine Freude Ihnen behilflich sein zu dürfen.“ Vivienne lächelte ihm dankbar zu. „Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen.“, sagte sie und hielt ihm einen Brief entgegen. „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass Sie nach Alastair suchen werden. Wenn Sie ihn finden, würden Sie ihm dann bitte diese Nachricht überbringen?“ Stirnrunzelnd nahm Adam den Umschlag entgegen. „Ihre Intuition erstaunt mich.“, gestand er offen. „Aber ja, Sie haben Recht. Ich werde Alastair suchen. Ich bin ihm noch was schuldig.“ Er steckte den Brief ein. „Und wenn ich ihn gefunden habe, dann werde ich ihm Ihre Botschaft überreichen.“ Vivienne machte dankbar einen Knicks. „Und bitte sagen Sie ihm, dass wir ihn alle sehr vermissen.“, sagte sie noch bevor sie zurück ins Haus verschwand. Adam sah ihr noch kurz nach, bevor er sich wieder aufmachte etwas zu Essen zu suchen. Sein Gedanke kam unwillkürlich wieder zurück zu dieser Christine. Die hatte ganz lecker ausgesehen. Kein Wunder also, dass letztlich seine Wahl auf eine junge Frau mit braunem Haar und grauen Augen wie Christines an diesem Abend fiel. Wieder gesättigt kehrte Adam noch ein letztes Mal in die Gruft zurück bevor er sich auf die Suche nach Alastair machen würde. Ein letzter Blick in den Sarg zeigte ihm, dass mit Tessa immer noch nichts weiter passiert war und er verschloss den Deckel wieder. Er schwang sich darauf und stellte eine Kerze neben sich auf. Er konnte zwar auch im Dunkeln ganz gut sehen, aber mit Kerzenlicht war es eben doch ein wenig angenehmer. Außerdem verbreitete das Flackern der Flamme eine wohlig düstere Atmosphäre. Ohne schlechtes Gewissen zog Adam den Brief aus seiner Tasche hervor. Schließlich hat sie mit keinem Wort gesagt, dass ich ihn nicht lesen darf, bevor ich ihn Alastair gebe. Er riss den Umschlag auf und überflog die ersten Zeilen der geschwungenen Handschrift. Der Inhalt wich stark von dem ab, was Adam erwartet hatte. Zumal er, mit seiner jahrhunderte langen Erfahrung was Frauen anging, eindeutig zwischen den Zeilen lesen konnte. „Dieses Miststück!“, entfuhr es ihm und ein unbändiger Zorn brodelte in ihm auf. Entschlossen sprang er von dem Sarg. „Auf Wiedersehen, meine Liebste.“, sagte er noch bevor er in Windeseile wieder zurück in die Stadt rannte. Er hatte noch ungefähr eine Stunde bis Sonnenaufgang. Er grinste böse, so dass seine spitzen Eckzähne gefährlich aufblitzten. Das würde reichen um Viviennes Leben in einen Albtraum zu verwandeln. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)