Der Zweifel stirbt zuletzt... von Night_Baroness ================================================================================ Kapitel 4: Schicksal -------------------- Als Shiho schließlich aufstand und sich verabschiedete, war es schon weit nach Mitternacht. Trotzdem ging sie mit den federnden Schritten der Erleichterung, die die ständige Müdigkeit, die ihre Arbeit mit sich brachte, in die hinterste Ecke ihres Bewusstseins verdrängte, zur Tür und übersah in ihrer leichtsinnigen Freude Gin und Vermouth, die immer noch wie bedrohliche Wächter an der Bar saßen und sie beobachteten. Ein Spiel, dachte Gin und musterte Akemi, die immer noch an ihrem Tisch stand und mit melancholischer Nachdenklichkeit ihrer verlorenen Schwester hinterher blickte. „Wir sollten auch gehen.“ Er drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus und erhob sich ohne Hast. „Du wirst noch früh genug deine Chance bekommen.“ Nachdem meine Schwester gegangen war, fühlte ich mich seltsam, beinahe unwohl. Es gab diese ganz besondere Art von Trauer, diesen vollkommen irrationalen Abschiedsschmerz, der doch vollkommen unsinnig war, wenn man bedachte, dass man denjenigen sicher wiedersehen würde. Sicher? Nein, nichts im Leben war sicher, vielleicht war es insgeheim genau das, was mir Angst machte. Niemand garantierte uns, dass wir lebend aus dieser Sache rauskamen, nicht einmal, dass wir vor die Tür treten konnten, ohne von einem Auto überfahren zu werden, war uns garantiert. Diese Welt spielte selbst ein gnadenloses Spiel, würfelte um unser Leben und verspielte unser Schicksal. „Du hast etwas Besseres verdient.“, flüsterte ich. Das haben wir alle. Doch auch, wenn ich mich im ersten Moment entschlossen und voller Tatendrang fühlte, gab es in mir einen Zweifel. Eine Stimme, die flüsterte, dass ich keine Chance hatte. Wie sollte ich, nicht die Hübscheste, nicht die Intelligenteste, nicht die Mutigste, wie sollte so jemand eine Organisation wie diese bezwingen? Das hier war kein Märchen, das war die bittere Realität, eine Welt, die Helden schon früh an ihrem Eifer ersticken lässt und sie mit herausquellenden Augen und einem zahnlos geifernden Lächeln zurücklässt. Als ich das Lokal verließ und in die herbstliche Kälte hinaustrat, bemerkte ich auf einmal eine junge Frau, die neben der mit Kreide aufgemalten Speisekarte an der steinernen Wand lehnte und lächelte. Normalerweise wäre sie mir gar nicht aufgefallen, doch ein Lichtstrahl, der aus der geöffneten Türe fiel, tauchte ihr Haar in goldenes Licht und entlarvte sie als Ausländerin. Ihre blauen Augen schienen zu funkeln wie die einer hungrigen Katze, als sie mich erblickte. Alles Einbildung. „Möchtest du eine Zigarette?“ Sie streckte eine perfekt manikürte Hand aus, in der eine frische Zigarette lag, die angenehm nach Tabak duftete und nicht nach beißendem Rauch, der sich einem in die Kehle fraß. „Nein danke, ich bin Nichtraucherin.“ Ihr Lächeln wurde breiter. „Natürlich, wie dumm von mir.“ Sie sprach komplett akzentfrei, wie mir jetzt auffiel. „Du siehst viel zu brav aus für jemanden, der mit Zigaretten seine Gesundheit aufs Spiel setzt. Du trinkst nicht einmal Alkohol, nicht wahr?“ Ich dachte an die Cola, die ich mir eben bestellt hatte, obwohl es eigentlich schon zu spät gewesen war für ein solch koffeinhaltiges Getränk und wurde ärgerlich. „Das geht sie ja wohl nichts an.“ Ich wollte schnell weitergehen, damit sie nicht merkte, wie ich rot wurde, weil ich eben eine Fremde in einem derartig schroffen Tonfall angesprochen hatte, doch sie hielt mich zurück. „Akemi Miyano, nicht wahr?“ Ich drehte mich überrascht um. „Was?“ Da war wieder dieses katzenhafte in ihren Augen. „Woher wissen Sie das?“ Sie zwinkerte vergnügt, als hätte ich etwas besonders amüsantes gesagt und streckte mir wieder die Hand - diesmal ohne Zigarette - hin. „Mein Name ist Vermouth.“ Und wieder hatte sich ein ungewollter Beobachter in die Szenerie geschlichen. Ein Mann stand nicht weit von ihnen im Schatten eines großen Gebäudes, verborgen vor aller Augen, und musterte die beiden Frauen nachdenklich. War das vielleicht der Wink des Schicksals auf den er gewartet hatte? Die blonde Frau kam ihm bekannt vor, nein, er kannte sie. Obwohl es durch nichts begründbar war, entstand in seinem Kopf die Idee, dass das Mädchen, das bei ihr war, ihm helfen konnte. Sie wirkte anders. Anders als diese Brut. Sie war ihm völlig unbekannt, aber etwas an ihr, ließ ihn ihr vertrauen, seine Hoffnung in sie setzen. Es war wie ein geisterhafter Umhang, der um ihre Schulter lagen, das klischeehafte Strahlen einer reinen Aura, ein Gedanke, der ihn spöttisch grinsen ließ. Ja, das Mädchen wirkte tatsächlich wie ein gefallener Engel, wie sie da stand und die Frau mit aufgerissenen Augen anstarrte. Als hätte sie zum ersten Mal das Böse erblickt. Er wusste nicht wie, er wusste nicht warum, aber dieses Mädchen würde ihm helfen. Sie würde die ersehnte Erlösung verheißen und den Stein ins Rollen bringen, der die Organisation überrollen und in Schutt und Asche legen würde. Zweifellos ein Wink des Schicksals. Behutsam zog er sich in die Schatten zurück. „Vermouth? Sind Sie etwa…?“ Ich merkte, wie mir leicht schwindelig wurde. Ein Codename. Alkohol. Mein Mund wurde trocken. Sie lachte. „Ganz recht, Darling, ich bin eine von ihnen.“ Ich hatte das Bedürfnis wegzulaufen und mich zu verstecken wie ein kleines, ängstliches Kaninchen. Vielleicht war ich das auch. Ein Kaninchen, das dumm genug war, sich in einem Fuchsbau zu verstecken. „Aber keine Sorge…“, fuhr sie unbeirrt fort „ich tue dir nichts. Warum denn auch? Du bist jetzt eine von uns.“ Ihre Hand strich mit beängstigender Sanftheit über meine Wange. Ich zuckte zusammen, als hätte sie mich geschlagen. „Im Gegenteil, ich möchte dir helfen. Ich glaube nämlich, dass du mindestens genauso viel Potenzial wie deine Schwester hast.“ Genauso viel Potenzial, flüsterte es in mir. Hatte das überhaupt schon jemals jemand zu mir gesagt? Dass ich potenzial hatte? Ich war doch immer die graue Maus gewesen. Das Mädchen, das niemand sah. Ich war immer eine Magierin gewesen, die nicht einmal ihren Zauberstab zücken musste, um ihre wunderbar schreckliche Gabe zu entfalten. Ich war immer unsichtbar gewesen. Keine Magie, kein überlegener Zauber, nichts als ein Fluch. Ein Fluch, der mich zu einem Schatten machte, einer bloßen Idee, die hoffte, betete, aber niemals lebte. Ich existierte überhaupt nicht. Obwohl ich das bereits wusste, wurde es mir in diesem Moment auf so schockierende Weise klar, dass es mir auf einen Schlag meine gesamte Kraft nahm. Ich sank vor der blonden Frau auf die Knie. Diese blickte mich von oben mit einem mitleidigen Lächeln an. Pass auf die Krähen auf, sonst picken sie dir die Augen aus. „Keine Angst, mein Kind, vertraue mir und ich werde dich retten.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)