Memori3s von _Myori_ ================================================================================ ... einer Freundschaft? ----------------------- Die Zelle war- wie eigentlich zu erwarten war- so klein und übersichtlich, das sie hart an der Grenze zum Menschenunwürdigen lag. An der einen Seite stand ein zweiteiliges Stockbett und ein paar Schritte davon entfernt, zur anderen Wand hinüber, befand sich ein hoher Schrank, daneben war ein kleines Waschbecken in die Wand eingelassen. Eine Toilette konnte Hideki nicht entdecken, wahrscheinlich gab es die nur draußen auf den Gängen. Nervös stand er auf der Türschwelle und musterte verunsichert sein Heim auf Zeit. Er hatte nie Probleme mit Platzangst oder dergleichen gehabt und dennoch fiel es ihm auf einmal schwer, diesen Raum zu betreten. Vielleicht, weil ihm in diesem Moment wieder deutlich gezeigt wurde, in welcher Situation er sich gerade befand- dass er im Gefängnis saß, eingepfercht mit gefährlichen Männern und niemand würde sich darum kümmern oder sich gar dafür interessieren, wenn ihm hier etwas zustieße. Für die nächsten Monate würde er kein wirklicher Mensch mit wirklichen Rechten sein; das einzige Recht, was hier galt, war das Recht des Stärkeren und Ranghöheren. Eine Hand legte sich auf Hidekis Schulter und holte ihn aus seinem Alptraum zurück in die kleine Zelle. „Home sweet home.“, sagte Zeus sarkastisch und auch wenn es dieser nicht beabsichtigt hatte, so hörten sich die Worte in Hidekis Ohren tröstend an. Zeus ließ ihn an Ort und Stelle stehen, kletterte auf das obere der beiden Betten und ließ die Beine wie ein kleiner Junge baumeln. „Ich hoffe, es ist okay für dich, wenn du unten liegst?“ Hideki verstand die Zweideutigkeit und hob grinsend die Schultern. „Ist mir egal, ich bin für alle Stellungen zu haben.“ Zeus` Brauen wanderten vielsagend in die Höhe. „Ein experimentierfreudiger Zellengenosse- so was hab ich mir schon immer gewünscht.“ Einen Moment lang versuchte Hideki noch ernst zu bleiben, doch dann fiel alles- die Nervosität, die Angst, der Kummer- von ihm ab. Er fing an zu lachen und kurz darauf fiel auch Zeus in das Lachen mit ein. Während sie Hidekis spärliches Hab und Gut in dem übersichtlichen Schrank einräumten, erklärte Zeus ihm einige Grundregeln; an welche Zeiten er sich zu halten habe, wo er sich aufhalten dürfte und welche Gefangenen er meiden sollte- Überlebenstipps, dachte Hideki bitter. „Warum bist du eigentlich hier?“, fragte Zeus dann irgendwann. Hideki blinzelte verwirrt über den plötzlichen Themenwechsel und brauchte erst einige Sekunden, bis er Zeus` Frage verstand. Unsicher schaute er zu Boden und nestelte wieder an einem Stück seines Shirts. „Ich habe etwas in einem Laden gestohlen…“, antwortete er kleinlaut. Zeus hob fragend eine dunkle Braue. „Was hast du denn bitte großartiges geklaut, dass du dafür gleich sitzen musst?“, sagte er und konnte nur schwer ein ungläubiges Lachen verkneifen. „Nen Wagen? Ne Waffe?“ Schockiert riss Hideki die Augen auf und schüttelte den Kopf. „Nein!“, rief er empört, sah dann aber wieder schnell auf den Boden, als Zeus` Blick noch bohrender wurde. „Ich…“, begann Hideki wieder und holte tief Luft. „Ich habe eine externe Festplatte gestohlen…“ „So `ne stinknormale?“, entgegnete Zeus verwundert und malte mit den Fingern ein handliches Rechteck in die Luft, woraufhin Hideki vorsichtig nickte. „Ich repariere Computer, um ein wenig Geld zu verdienen.“ „Scheint ja dann wohl nicht viel abzuwerfen.“, spottete Zeus glucksend und zog seine Braue weiter Richtung Haaransatz. „Gott, wegen sowas Banalem wird man heute schon hinter Gitter gesteckt?“ Hideki zögerte einen Moment, entschloss sich aber dann doch den Kopf zu schütteln. „Das… das war leider noch nicht alles.“ Zeus` Grinsen wurde breiter. „Warum? Haste noch `nen Paket Batterien mitgehen lassen?“ Beleidigt schaute Hideki auf und sah ihm wütend in die frech leuchtenden Augen, dass sich der Dunkelhaarige beeilte, die Hände schützend vor sich zu halten. „Sorry.“, sagte Zeus schnell und versuchte wieder ernst zu gucken. Für einen Moment blickte Hideki ihn noch warnend an, dann seufzte er und fuhr sich fahrig durch den braunen Schopf. „Ich bin wegen Diebstahl und… Körperverletzung verurteilt worden.“, brachte er zögernd hervor und setzte sich auf sein Bett. Stirnrunzelnd folgte Zeus seinem Beispiel und setzte sich neben ihn. „Körperverletzung…“, begann dieser langsam und deutete auf Hideki. „Du…?“ In seiner Stimme lag reinster Unglaube. Hideki spürte, wie ihm warm im Gesicht wurde und ungewollt sank er weiter in sich zusammen. Er nickte zustimmend. „Als die Leute von dem Kaufhaus bemerkt haben, dass ich etwas gestohlen habe, bin ich in Panik geraten und weggerannt und-“ Hideki unterbrach sich und holte erneut tief und zittrig Luft. „Und dann bin ich durch die Stadt gelaufen und hab mich an den Leuten vorbeigedrängt und… dann war da diese alte Frau und- die Fußgängerampel war rot und dann kam dieser Wagen und-“ „Stopp!“, unterbrach Zeus seinen hysterisch gewordenen Redefluss und hob fassungslos die Augenbrauen. „Heißt das… du hast jemanden vor ein Auto gestoßen?“ „Es war keine Absicht gewesen! Sie ist gestolpert!“ Hidekis Stimme überschlug sich bei den Worten und mit Tränen in den Augen sah er zu Zeus auf, der sich, nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, nicht entscheiden konnte, ob er schockiert oder amüsiert sein sollte. „Du verarschst mich. Du willst mir echt weismachen, dass du `ne Oma aufm Gewissen hast?“ „Ja… nein!“, erwiderte sein Gegenüber verzweifelt und vergrub seine Hände in den braunen Haaren. „Die alte Frau lag eine Woche auf der Intensivstation, aber ihr geht es wieder gut… das war alles ein Unfall- ich habe das nicht gewollt!“, schloss Hideki verzweifelt. Zeus schaute ihn noch einen Moment unschlüssig an, dann verfiel er in schallendes Gelächter. „Das glaub ich alles nicht- mein Mitbewohner muss sitzen, weil er jemanden angerempelt hat.“ Er brauchte einige Sekunden, bis er sich soweit von seinem Lachanfall beruhig hatte, dass er wieder Luft holen konnte. Immer noch lachend wischte er sich über die tränenden Augen. „Hideki, wenn du mich fragst, solltest du mal zu einem Psychologen gehen, du hast ein echtes Aggressionsproblem…“ Der Angesprochene schniefte kleinlaut und sah weg. Sein Gesicht war immer noch heiß. Er bereute seine Tat zutiefst. In seinen Augen war sein Verhalten unverzeihbar und er hatte es nicht anders verdient, als hier im Gefängnis zu sitzen- immerhin hätte die alte Frau ja auch bei dem Unfall sterben können. Dass sich Zeus allerdings nun so darüber lustig machte, fand er nicht richtig. Trotzig sah er wieder auf. „Dann erzähl du doch mal, warum du hier bist…“, sagte er verärgert. Zeus hörte augenblicklich auf zu lachen und musterte den Jüngeren. „Ich war so doof und hab mich bei einem Handel erwischen lassen.“, antwortete der Blasse schulterzuckend. Hideki blinzelte fragend, woraufhin Zeus verdutzt die Braue hochzog und hinzufügte: „Drogen? - meine Güte, bist du so naiv, dass ich dich erst mit dem Zaunpfahl erschlagen muss?“ Mit dem aufkommenden Verständnis weiteten sich Hidekis Augen. „Du… du hast sowas genommen?“ „Ich deale mit Drogen.“, korrigierte Zeus bissig. „Das ist ein himmelweiter Unterschied, klar? Mein scheiß Partner hat mich verpfiffen und an die Bullen ausgeliefert… und hör auf, in der Vergangenheit zu reden, als wenn ich das nie wieder tun würde.“ „Heißt das, du willst damit weitermachen, wenn du hier raus bist?“, schlussfolgerte der Braunhaarige fassungslos. Zeus` Braue wanderte erneut nach oben. „Was hast du erwartet? Dass ich alles hinschmeiße, nur weil die Säcke mich einmal geschnappt haben?“, entgegnete Zeus und sah Hideki ungläubig in die Augen, als habe er einen schlechten Witz gemacht. Der andere deutete hilflos hinter sich zur Zellentür. „Du hast doch gesehen, wohin das führt. Willst du, dass sie dich wieder gefangen nehmen?“ „Glaubst du wirklich, dass das hier sowas wie eine Besserungsanstalt ist?“, fragte Zeus nüchtern und breitete die Arme aus. „Glaubst du wirklich, dass Leute wie Rex hier nach ein paar Jahren Rumsitzen geläutert rausgehen und nie wieder bei Rot über die Ampel fahren?“ Zeus schüttelte den Kopf und stand auf, um auf sein eigenes Bett zu klettern. Vorher machte er noch das grelle Deckenlicht aus, sodass ihre kleine Zelle in dämmriges Zwielicht getaucht wurde, allein durch das kleine Fenster in der schweren Eisentür erhellt. Hideki hatte nicht auf die Uhrzeit geachtet, aber es schien schon sehr spät geworden zu sein. „Verabschiede dich von dem Gedanken, dass die Leute das Gefängnis als Strafe ansehen, Neuer. Wir alle hier sitzen unsere Zeit relativ friedlich und geduldig ab und machen gute Miene zum bösen Spiel, bis die Deppen vom Gericht uns wieder entlassen wollen oder müssen. Bereue nie deine Taten; stehe zu ihnen und lerne aus deinen Fehlern- das ist es, wofür diese Irrenanstalt gut ist: dass du danach vorsichtiger bist!“ Hideki sah von unten, wie Zeus` Matratze sich knarrend ausbeulte, sodass er vermutete, dass sich der junge Mann auf ihr hinlegte. Von draußen hörte er, wie ein Wärter durch die Gänge brüllte, dass Nachtruhe sei, und keinen Augenblick später wurde ein Schlüssel von außen in dem Schloss ihrer Zellentür geräuschvoll umgedreht. Beide Jungen schwiegen und nach einigen Momenten tat es Hideki Zeus gleich und legte sich ebenfalls hin. Zeus` Worte hatten ihn zugleich schockiert, aber auch nachdenklich gemacht. „Glaubst du tatsächlich, dass alle hier so denken?“, flüsterte Hideki und sah zu der grauen Matratze hinauf. „Ich bin schon lang genug hier, um mir sicher zu sein. Vielleicht gibt es Ausnahmen, aber die sind selten.“, brummte der grobe Stoff über ihm. „Wie lange dauert deine Strafe denn noch?“ „Weiß nich… nen Jahr, vielleicht anderthalb?“ Kurz überlegte er, wie hoch die Strafe für den Handel mit Drogen nach Zeus` Aussage vermutlich war und musste hart schlucken. Er würde die nächsten drei Monate hier sein und das reichte ihm schon vollkommen. „Und du willst danach wirklich weitermachen wie bisher?“, fragte er vorsichtig und mit Besorgnis in der Stimme. Er fing an, Zeus zu mögen und bei dem Gedanken, dass er noch einmal im Gefängnis landen könnte, zog sich alles in ihm zusammen. Hideki hörte ein genervtes Seufzen, bevor Zeus brummend zur Antwort ansetzte. „Ich war gut in dem, was ich tat… würdest du aufhören, an Computern rumzuschrauben, nur weil dich diese Tätigkeit dazu verleitet hat, etwas zu stehlen?“ Hideki senkte den Blick und schwieg. Ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr Zeus leise weiter fort: „Wenn ich hier raus bin, werde ich mir erst einmal den Dreckskerl vorknöpfen, dem ich diese ganze Scheiße zu verdanken habe…“ Beim Klang seiner tiefen Stimme stellten sich Hidekis Nackenhaare auf. Er überlegte, etwas zu erwidern, doch es fiel ihm nichts Sinnvolles ein, also drehte er sich auf die Seite und schloss müde die Augen. Diesen Mann von seiner Meinung abzubringen schien ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Zeus schirmte seine Augen mit der Hand ab und schaute angestrengt über den Hof. Die Sonne stand tief und blendete ihn mit ihrem grellen Gelb, sodass es ihm schwer fiel, genaue Einzelheiten auszumachen. Es würde vielleicht noch eine halbe Stunde dauern, bis die letzten Strahlen hinter den dicken Betonmauern verschwunden waren. Er gab es auf, von seinem Standpunkt aus etwas zu erkennen und stieg seufzend die Treppen in den Hof hinab. Jetzt, wo die meisten schon wieder in ihren Zellen oder im Speisesaal waren, war die mit Kies ausgelegte Außenanlage wie ausgestorben und das Knirschen, das bei jedem seiner Schritte entstand, schwoll zu unerträglichem Lärm an. Auch hier, mitten auf dem Platz, konnte er nichts sehen und stirnrunzelnd verschränkte er die Arme vor der Brust. „Hideki?“, rief Zeus und seine dunkle Stimme echote an den hohen Mauern wider. Es dauerte ein paar Sekunden und er wollte schon Luft für einen weiteren Versuch holen, als der Jüngere ihm endlich antwortete- auch wenn es zuerst danach aussah, als sei einer der großen Mülltonnen zum Leben erwacht. „Das kann doch nicht wahr sein…“, murmelte Zeus augenverdrehend und setzte sich wieder in Bewegung. Er blieb vor dem rechten Container stehen und schob diesen auf. Nichts. Ein weiteres, weitaus genervter, klingendes Seufzen entrang grollend seiner Kehle. „Hideki, sag mir bitte, dass du dich hinter den Tonnen versteckst.“ „…nein.“, murmelte der Container neben ihn, dass Zeus verwundert blinzelte. Der Schwarzhaarige zählte in Gedanken um Beherrschung bemüht bis drei, atmete noch einmal tief durch und öffnete dann den Müllcontainer für Plastikabfälle. Blinzelnd schaute der Braunhaarige zwischen stinkenden Beuteln zu Zeus hoch, der angewidert die Nase rümpfte. „Alter, was habe ich dir gesagt, sollst du tun, wenn dir jemand an den Kragen will?“, fragte er tadelnd und reichte Hideki seine Hand. „Ignorieren und weggehen…“, antwortete der Andere kleinlaut und kletterte staksig aus seinem Gefängnis. „Ignorieren und weggehen.“, wiederholte Zeus betont und zog mahnend die Braue hoch. „Welchen Teil von meinem Rat hast du nicht verstanden?“ Hideki sah Zeus teils verzweifelt, teils wütend in die Augen. „Das sagst du so leicht! Ich komm doch nie weiter, als bis zum Teil mit dem Ignorieren.“ Der Dunkelhaarige unterdrückte angestrengt ein Augenrollen und versuchte es, mit einem Kopfschütteln zu vertuschen. „Du raubst mir den letzten Nerv…“, brummte er, legte eine Hand an Hidekis Rücken und zwang ihn so, mit ihm mitzugehen. Der Jüngere versuchte erst gar nicht, sich dagegen zu wehren. „Kannst du nicht die ganze Zeit in meiner Nähe bleiben?“, fragte er stattdessen und klopfte seine Sachen sauber. Zeus lachte. „Klar kann ich das machen- gegen Bezahlung…“ „…ich kann dich aber nicht bezahlen.“ „Dann werde ich auch nicht vierundzwanzig Stunden um dich herumlaufen können…“, schlussfolgerte Zeus altklug und grinste, als er Hidekis Gesichtszüge ein Stockwerk tiefer rutschen sah. „Hör zu, es gibt zwei Möglichkeiten, wie du von nun an vorgehen kannst: entweder du bringst den Mut auf und stellst dich den Säcken entgegen oder du verkriechst dich in irgendeiner Zelle- wohlgemerkt nicht in unserer!“, fügte Zeus schnell hinzu. „Ich hab keine Lust die Metalltür wieder auszubeulen oder für das beschädigte Mobiliar geradezustehen, wenn die Typen dich gefunden haben.“ Er bemerkte, wie Hideki hart schluckte und wieder verängstigt Löcher in den Boden starrte und nun konnte Zeus ein tiefes Seufzen nicht mehr unterdrücken. „Du musst aufhören, so sensibel und ängstlich zu sein, Hideki- mit diesem Verhalten forderst du die doch geradezu auf, dir eine reinzuschlagen. Die wenigsten hier sind wirklich ernst zu nehmen oder gefährlich, glaub mir. Der Neue zu sein ist ein scheiß Gefühl, ich kenn das, aber du darfst dich nicht unterkriegen lassen.“ Unsicher schaute Hideki zu ihm auf. „Warst du auch mal der Neue?“ Zeus nickte. „Fast jeder, der nicht schon mehrmals hier gesessen hat, war das.“ Hidekis Augen weiteten sich staunend und er öffnete, nach Worten suchend, den Mund. „Aber… Rex hat dir kein Haar gekrümmt.“, entgegnete er fassungslos, dass Zeus anfing zu lachen. „Natürlich hat er das nicht, weil ich ihm sonst in den Hintern getreten hätte.“, sagte der Schwarzhaarige amüsiert und klopfte Hideki auf die Schulter. „Hör auf zu glauben, dass Rex ein harter Brocken sei. Er ist wie ein echter Wadenbeißer: reißt die Klappe auf, als sei er einer der Großen, und zieht den Schwanz ein, wenn jemand das Wort gegen ihn erhebt. Lästig, aber ungefährlich… Du stündest weit über ihm, wenn du ihm nur einmal ordentlich zwischen die Beine treten würdest.“ Hideki blieb stehen. „Glaubst du das wirklich?“, fragte er und legte ungläubig die Stirn in Falten. Auch Zeus verlangsamte seinen Schritt und drehte sich zu ihm um. Der Blasse begann wieder zu grinsen. „Klar glaub ich das, sonst würde ich so etwas doch nicht sagen.“ Er musterte den Jungen einen Moment lang mit schief gelegtem Kopf, dann ging er auf Hideki zu und blieb direkt vor ihm stehen. „Ich bin ehrlich zu dir: ich habe keinen Bock, die ganze Zeit an deinen Fersen zu kleben und ein Auge auf dich zu haben- zumal du unter meinem Schutz dein Opferimage wohl nie loswerden würdest. Aber wenn du willst, zeig ich dir ein paar Tricks, wie du Rex in seine Schranken weisen kannst.“ Hidekis Augen wurden noch größer, doch bevor er etwas sagen konnte, fiel ihm Zeus grinsend ins Wort. „Ich würde zu gern mit ansehen, wie diese Witzfigur von dir vorgeführt wird- und ja, ich traue dir das zu.“ Er hielt dem sprachlosen Braunhaarigen seine Hand hin. „Also, was sagst du?“ Schweigend sah Hideki auf die dargebotene Rechte. Er stellte sich den breitschultrigen Mann mit dem Hundegesicht wieder vor und wie er selbst vor ihm stand- ein kleiner, schmächtiger Jüngling, der nur ein Bruchteil des Kampfgewichtes dieses Hünen auf die Waage brachte. Was könnte er denn gegen so einen Gegner schon ausrichten? In seinen Gedanken nahm Rex die Größe einer gestandenen Eiche an, vor der er hilflos auf und ab hüpfte und mit kleinen Fäusten auf Rex` Schienbein eintrommelte. Die Vorstellung wurde von Sekunde zu Sekunde absurder. Dann suchte Hideki verunsichert Zeus` Blick. Die dunklen Augen sahen ihn selbstsicher und überzeugt an und mit einem Mal sprang ein Hauch dieses Selbstbewusstseins auch auf Hideki über. Zeus war kein Mann, der gedankenlos vor sich hin reden würde. Er log nicht, das wusste Hideki, und wenn er sich sicher war, dass Hideki es schaffen würde, dann würde er Zeus zumindest das nötige Vertrauen schenken und es wenigstens versuchen- was konnte er denn überhaupt großartig verlieren, was die letzten Tage ihm nicht schon längst genommen hatten? Hideki lächelte hoffnungsvoll, als er Zeus` Hand ergriff. Sein Gegenüber grinste noch breiter und nickte zustimmend. „Sehr gut.“ Zeus trat einen Schritt rückwärts. „Das Problem ist, dass Rex größer ist als du- viel größer.“, erklärte er, ballte die Linke zur Faust und bewegte sie langsam an Hidekis Kinn, als wolle er einen Schlag ausführen. „Du wirst es nicht schaffen, ihm ins Gesicht zu schlagen und zwar nicht nur, weil du zu klein bist.“ Und damit ließ er einen abschätzenden Blick über Hidekis Statur gleiten, um daraufhin mit dem Kopf zu schütteln. Er senkte seine Faust und drückte sie stattdessen gegen den Solarplexus des Jüngeren. „Hier musst du ihn treffen…“ Zeus stellte ein Bein hinter Hidekis Wade. „Du musst ihm das Gleichgewicht nehmen und zu Fall bringen. Die Beinstellung wird nicht ausreichen, damit er fällt, dafür ist die Töle zu schwer. Aber wenn du diesen Griff anwendest-“, begann Zeus und umfasste mit beiden Händen Hidekis Oberarm. Der Jüngere hörte aufmerksam zu und nickte hin und wieder. Hideki war seit ein paar Tagen nun schon Zeus` „Schüler“ und in jeder freien Minute, die Zeus bereit war, zu opfern, zeigte er ihm neue Methoden und Angriffstechniken und vertiefte die alten. Hideki konnte nicht beurteilen, ob er sich dabei vollkommen dumm oder sehr talentiert anstellte; Zeus geizte generell mit Lob oder Kritik während ihrer Übungen, sodass er es überhaupt nicht einschätzen konnte- er musste einstecken, teilte aber auch genauso gut aus, dass manchmal selbst Zeus überrascht war. Ihr Training blieb nicht unbeachtet, mit dem Ergebnis, dass immer mehr Insassen den beiden bei ihren täglichen Einheiten zusahen und Hideki mit teils belustigten, teils misstrauischen Blicken begegneten. Allerdings ließ man ihn zunehmend mehr in Ruhe- was aber natürlich auch einfach nur daran liegen könnte, dass sich Zeus häufiger in seiner Nähe aufhielt. Einen Nachmittag, den Zeus nicht mit Lehrstunden „verschwenden“ wollte, fand Hideki seinen Mitbewohner, wie der Blasse es immer gerne ausdrückte, in dem großen Gemeinschaftssaal an einem der unzähligen Tische sitzen. Der Schwarzhaarige hatte sich über ein Buch gebeugt und schien konzentriert zu lesen, als Hideki sich ihm näherte und neugierig auf die Seiten linste. „Was liest du da?“, fragte Hideki und runzelte die Stirn. Über die Doppelseite zog sich eine grotesk wirkende, farbige Abbildung von etwas, das er nicht ganz zuzuordnen wusste. Zeus sah verspätet auf und schaute ihn mit einem leicht gereizten Gesichtsausdruck an, als schien er über die Störung verärgert zu sein, dennoch zuckte er nach einem Augenblick mit den Schultern. „Neurobiologie.“, antwortete Zeus knapp und schob Hideki das aufgeschlagene Buch über den Tisch zu. Jetzt erkannte dieser auch, was das Bild darstellte- es war eine schematische Abbildung von einem Querschnitt durch das menschliche Gehirn; genauer gesagt durch den Frontallappen auf Höhe des Hippocampus- zumindest stand das in dem Titel des Bildes. Hideki starrte auf das Bild und konnte ein Schaudern nicht unterdrücken. Angeekelt schob er das Buch wieder von sich weg. „Für sowas interessierst du dich?“ Seine Stimme hatte ungewollt abstoßend geklungen, sodass Zeus eine Braue hob und ihn argwöhnisch musterte. „Was dagegen?“ Hideki beeilte sich, den Kopf zu schütteln und hob verteidigend die Hände. „Nein, nein! Es ist nur… ungewöhnlich. I- ich dachte… naja-“ Er unterbrach sein Gestotter, als sich Zeus` Gesicht noch weiter vor Skepsis verzog. „Du hast mir nicht zugetraut, dass ich solche Bücher lese.“, schlussfolgerte dieser nüchtern und verschränkte die Arme vor der Brust. Hideki schluckte und zog es vor, nicht zu antworten- die Konsequenzen wären, egal was er nun gesagt hätte, unschön geworden… „Wo… wo hast du das Buch überhaupt her?“, fragte Hideki stattdessen und hoffte somit, das Unheil abzuwenden. „Hat dieses Gefängnis eine Bibliothek, oder so?“ „Schön wär` s.“, lachte Zeus. „Ich hab mir das Buch vom Doc ausgeliehen.“ Die Augen des Jüngeren weiteten sich verstehend. ‚Der Doc’ war ihm ein Begriff- er selbst hatte auch schon das Vergnügen gehabt, bei diesem Mann auf der Couch zu liegen und ihm ausführlich seine Lebensgeschichte zu schildern. Es waren Routinesachen, die hier jeder über sich ergehen lassen musste. Der schlaksige, alte Mann war nicht gerade unsympathisch gewesen, aber Hideki konnte einfach nicht verstehen, wie man mit einem Typen, dessen Augen bei dramatischen Kindheitstraumata und Erzählungen von tragischen Todesfällen zu Leuchten beginnen, mehr Zeit als unbedingt nötig verbringen konnte. „Gehst du deshalb so oft zu ihm?“, fragte Hideki deswegen und nahm gegenüber von Zeus Platz. Der Ältere nickte, legte ein Stück Papier zwischen die aufgeschlagenen Seiten und klappte das Buch zu. „Er bringt mir ein bisschen was bei- hab ihn irgendwann mal darauf angesprochen und er hat sich einverstanden erklärt, mich zu unterrichten.“ Zeus streckte sich im Sitzen und gähnte. „Wer weiß- vielleicht schaff ich` s ja auch, ihn zu überreden, mir eine Referenz zu schreiben.“ Hideki runzelte die Stirn. „Wofür denn?“ „Für die Uni.“, antwortete Zeus schulterzuckend und seinem Gegenüber fiel die Kinnlade auf die Tischplatte. „Uni?“, wiederholte Hideki ungläubig. „Du meinst `ne Universität?!“ Zeus` Braue wanderte erneut fragend in die Höhe. „Kennst du noch `ne andere Bedeutung des Wortes, von der ich nichts weiß?“ Hideki schluckte und schüttelte wieder den Kopf. Zeus` Stimme hatte zunehmend schneidender und drohender geklungen und somit war ihm klar, dass er Zeus` Geduldsgrenze langsam erreicht hatte und jedes weitere Wort die Situation nur noch verschlimmern würde. Zeus musterte ihn noch einen Moment eindringlich, dann sah er weg, als er merkte, dass Hideki seine Warnung verstanden hatte, und steckte das Buch zurück in einen mitgebrachten Stoffbeutel. „Es reagieren viele wie du.“, sagte er auf einmal wieder ruhig und gelassen. Hideki brauchte eine Sekunde, um den Sinn seiner Worte zu verstehen, doch dann holte er Luft und wagte es, zu antworten. „Naja… wenn man dich hier so sieht, glaubt man zuerst gar nicht, dass du vorhaben könntest zu studieren- ich mein… du sitzt immerhin im Gefängnis, weil du mit Drogen dealst …“, entgegnete er vorsichtig. Zeus begann zu grinsen und schüttelte lachend den Kopf. „Wie gesagt: du bist nicht der Erste.“, sagte er und sah Hideki wieder an. Das Bedrohliche war aus seiner Erscheinung verschwunden und ihm saß wieder der hilfsbereite, wenn auch immer etwas genervt wirkende Schwarzhaarige gegenüber, dem Hideki in den letzten Wochen einiges zu verdanken hatte- unter anderem vielleicht sogar sein Leben. „Ich versteh nicht, warum alle Leute denken, dass sich das gegenseitig ausschließt.“, fügte Zeus seufzend hinzu. „Naja… Studenten haben in der Regel andere Nebenjobs.“ Zeus begann wieder zu grinsen. „Du würdest dich wundern, Hideki. Auch Studenten sind in der Lage, Morde oder schwere Autounfälle zu begehen und du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viele meiner Stammkunden zur Uni gehen.“ Er machte eine kurze Pause und beugte sich über den Tisch zu Hideki. „Mein Schnitt war nicht gut genug für den Studiengang, weshalb ich erst einmal angefangen habe, zu arbeiten. Ich war Kurierfahrer und irgendwann bin ich halt den richtigen Leuten begegnet.“ Zeus` Grinsen wurde breiter. „Oder den falschen; je nach Standpunkt.“ Hideki wusste nicht so recht, was er darauf antworten sollte, weshalb er einfach nickte und versuchte, nicht ganz so entsetzt und verständnislos zu schauen. Er konnte nicht gerade von sich behaupten, in wohlbehüteten Familienverhältnissen aufgewachsen zu sein, aber auch so wusste er, dass Zeus` „Berufswahl“ weit ab von jedweder Moral und sein Verhalten im Grunde nicht vertretbar war. „Also hast du nicht vor, dein ganzes Leben lang Drogen zu verkaufen…“ „Neurobiologie ist zwar nur ein Hobby von mir, aber es schadet nie, ein zweites Standbein zu haben.“, wich Zeus seiner Frage aus und zwinkerte. Nun verzog Hideki doch den Mund und schüttelte den Kopf. Nach knapp einem Monat Aufenthalt in der Strafvollzugsanstalt erhielt Hideki den ersten Brief. Er hatte immer darauf gehofft, endlich ein Schreiben zu erhalten, doch daran geglaubt hatte er kein einziges Mal. Somit war die Überraschung, als man ihn eines Morgens bei der Postvergabe aufrief, umso größer. Strahlend hatte er den Brief entgegengenommen und sich sofort in eine stille Ecke verzogen. Er wäre zwar lieber in seine Zelle verschwunden, allerdings waren seine vier Wände auf Zeit um diese Uhrzeit abgeschlossen und Zeus, der dank „guter Führung“ vor kurzem einen Zellenschlüssel erhalten hatte, war gerade beim Doc, womit auch diese Möglichkeit, an den Luxus vom Alleinsein zu gelangen, wegfiel. Mit hektischen Fingern riss er den Umschlag auf und ließ ihn achtlos zu Boden fallen. In ihm befanden sich mehrere Seiten weißen Papiers und Hideki erkannte sofort die filigrane und vertraute Schrift seiner Mutter, als er die gefalteten Blätter aufklappte. Er begann zu lächeln, als er sich die vielen geschriebenen Zeilen durchlas und zum ersten Mal seit Wochen fühlte er sich wieder glücklich und zufrieden. Es waren keine atemberaubenden Themen, die seine Mutter in dem Brief schilderte, das meiste davon war eher belanglos und alltäglich: dass sie vor ein paar Tagen beim Einkaufen eine alte Freundin endlich wieder getroffen hat, ihre Nachbarn auf dem Balkon Geranien und Begonien gepflanzt haben, und dass sich der Hausmeister zum hundertsten Mal darüber beschwert habe, dass Hidekis Fahrrad im Hinterhof eine Stolperfalle sei. Sie fragte ihn, wie es ihm ginge und sie hoffe, dass er genug aß und sich ausreichend warme Kleidung anziehe, denn es würde ja wieder kühler werden und- Hideki sah von den Zeilen auf, holte tief Luft und unterdrückte mit Mühe die Tränen. Es waren belanglose, langweilige Dinge, ja, aber wenn man eine Zeit lang von dem normalen Alltag abgeschnitten war, so begann man diese Sachen zu schätzen und zu vermissen. Die Erzählungen seiner Mutter erschienen ihm hier, hinter dicken Betonmauern und Stacheldraht, so unwirklich, dass er sich nach seinem alten, nichts sagenden Leben sehnte, welches er am Eingang des Gefängnisses abgelegt hatte. Er hatte sich mit seiner Situation langsam abgefunden und arrangiert, doch nun wollte er sich mit seiner Mutter zusammen an den Blumen des Nachbarn erfreuen, mit dem Hausmeister die ewig gleiche Litanei abhalten und einfach seiner Mutter dafür danken, dass sie sich weiterhin um ihn sorgte, trotz der Enttäuschungen, die er ihr beschert hatte. Er wollte hier raus und zwar sofort… Tränen nahmen ihm die Sicht, sodass er Rex zuerst gar nicht bemerkte. Erst, als ihm der Brief aus der Hand gerissen wurde, nahm er seine Umgebung wieder wahr. Erschrocken starrte er in Rex` grinsendes Hundegesicht. „Sieh an! Der Neue hat Freunde, die sich an ihn erinnern können.“, lachte Rex und überflog die Zeilen des Briefes. Mit einem Satz war Hideki auf den Beinen. „Gib das her!“, rief er zornig und wollte nach den Blättern greifen, doch der Mann war schneller und hielt den Brief, ohne dabei den Blick von den Seiten zu nehmen, aus Hidekis Reichweite. Sein Zähneblecken wurde immer breiter, dann begann er zu lachen. „Das glaub ich nicht!“, platzte es aus Rex übertrieben laut heraus. Immer noch lachend wandte er sich an ein paar andere Gefangene, die um die beiden herumstanden. Mit der freien Hand hielt er den tobenden Hideki spielend auf Abstand. „Hört euch den Krampf an: ‚Hitomi lässt dir ganz liebe Grüße ausrichten und sie freut sich schon auf den Tag, an dem du wieder bei uns bist’…“, trug Rex mit gekünstelt herzerweichender Stimme vor und die Männer begannen theatralisch zu seufzen oder stießen hohe Pfiffe aus. Rex sah auf Hideki herab und zog erstaunt die Brauen hoch. „Sag bloß, du hast `ne Freundin, Neuer. Dann solltest du dich aber lieber gut benehmen, damit du schnell wieder rauskommst- die Kleine scheint` s ja ziemlich nötig zu haben, wenn sie schon nach einem Monat so heiß auf dich ist.“ Er brachte das Kunststück fertig, noch breiter zu grinsen, sodass er seine kompletten Zahnreihen entblößte. „Nicht, dass sie sich noch bei einem anderen austobt.“ Hideki wurde rot und presste wütend die Kiefer aufeinander. „Das geht dich nichts an!“, knurrte er und sprang an dem Hünen hoch, doch Rex hielt die Zettel einfach über seinen Kopf und las weiter laut vor: „’Ich vermisse dich, mein Sohn, und ich hoffe, dass du bald gesund zurückkehrst.’ Wie süß!“ Rex lachte kehlig und fast alle um sie herum stimmten sofort mit ein. „Hör endlich auf!“, schrie Hideki gegen das Gelächter an und ballte die Fäuste. „Ich will, dass du mir meinen Brief zurückgibst, oder-“ „Oder was?“, fragte Rex auf einmal düster und schaute abschätzend auf ihn herab. Jedes Geräusch um sie herum erstarb augenblicklich. Hideki spannte sich an und sah entschlossen zu Rex hoch. Der Mann wartete drei Sekunden geduldig auf eine Antwort, dann stahl sich wieder ein Grinsen auf seine Züge und er stieß den Jüngeren mit der Rechten so hart gegen die Schulter, dass dieser ein wenig zurückstolperte. „Hä, was hast du vor?“, fragte er provokant. Hideki schwieg immer noch und so trat Rex erneut auf ihn zu, um ihm noch einmal einen Stoß gegen die Schulter zu verpassen. „Mir geht es am Arsch vorbei, was du willst, Neuer. Hock dich in eine Ecke und heul rum, oder schreib deiner Mami, wie gemein doch hier alle zu dir sind- mir scheißegal.“ Hideki zitterte vor Zorn. „Gib mir den Brief zurück, Rex…“, wiederholte er langsam und um Beherrschung kämpfend, doch das schien den Mann kalt zu lassen. Mit sichtlichem Genuss zerriss er im nächsten Moment die Zettel in mehrere Streifen und ließ dabei Hideki nicht aus den Augen. „Hol sie dir, wenn du dir nicht vor Angst in die Hosen pisst.“, schnurrte Rex und warf die kläglichen Überreste des Briefes über seine Schulter. Von da an setzte Hidekis Denken aus. Er ließ seinem Zorn mit einem lauten Aufschrei Luft und stieß Rex mit voller Wucht zurück. Er hörte, wie der Größere erstaunt nach Atem schnappte und sich leicht nach vorne beugte. Blitzschnell wandte Hideki einen Griff an, den Zeus mit ihm bis zum Umfallen geübt hatte, und riss Rex tatsächlich so von den Beinen. Der Mann war zu überrascht um sich zu wehren, sodass er es nur mit Mühe schaffte, sich im Oberkörper zu drehen und seinen Sturz mit den Händen abzufangen, doch Hideki ließ ihm keine Zeit, zu handeln. Rex war vor ihm auf die Knie gegangen und stützte sich mit beiden Händen am Boden ab, sodass er mit weit aufgerissenen Augen Hidekis Tritt kommen sah und nichts dagegen tun konnte. Ein unglaublicher Schmerz durchfuhr Rex` linke Gesichtshälfte und für einen Moment war alles um ihn herum schwarz. Er flog nun endgültig zu Boden, spürte den kalten Beton an seiner unverletzten Wange und schmeckte Blut. Sein Unterkiefer brannte und vor seinen Augen tanzten helle Lichtflecke. Er hatte nicht einmal mehr die Luft zu schreien, da der Kleinere ihm immer wieder in den Magen oder ins Gesicht trat. Niemand rührte sich, alle starrten fassungslos Hideki an, der zornig brüllend auf den viel größeren Mann einprügelte. Dann plötzlich drängte sich Zeus durch die erste Reihe hindurch, packte Hideki unter den Armen und zog ihn von Rex weg. „Bist du wahnsinnig geworden? Lass den Scheiß, Hideki!“, schrie Zeus den Jüngeren an und drückte den zappelnden jungen Mann zu Boden. Endlich erwachten auch die umstehenden Männer zum Leben; einige rannten auf Rex zu, um ihm zu helfen, andere liefen aus dem Gemeinschaftssaal und riefen nach einem Arzt. Zwei Männer, die mit Rex befreundet waren, kamen auch wütend auf Hideki zu, doch Zeus schaffte es, sie auf Abstand zu halten, sodass er den Braunhaarigen ungestört wieder auf die Beine zerren und mit ihm verschwinden konnte, ehe die Wärter mit dem stationierten Arzt auftauchten. Zeus zog Hideki, der sich in der Zwischenzeit wieder etwas gefangen zu haben schien, raus auf den leeren Hof und warf ihn zornig in den staubigen Boden. Wie ein geprügelter Hund blieb der junge Mann liegen und wagte es nicht, zu Zeus aufzuschauen. Dieser stand schnaubend und mit geballten Fäusten über ihm und sah wütend auf ihn herab. „Kannst du mir mal verraten, was das sollte?“, zischte er und beugte sich etwas zu Hideki hinunter. Der Angesprochene presste die trockenen Lippen aufeinander und starrte weiterhin in den Dreck. Als Zeus merkte, dass er keine Antwort bekommen würde, deutete er über seinen Rücken zurück zu dem Gefängnisblock, aus dem sie gerade gekommen waren. „Ist dir eigentlich bewusst, dass du Rex beinahe umgebracht hättest?“ Nun fuhr Hidekis Kopf doch in die Höhe. Seine hellen Augen glänzten vor Tränen und Zorn. „Er hat mir meinen Brief weggenommen und zerrissen!“, rief Hideki hysterisch und versuchte sich aufzurichten. Mit gespieltem Entsetzen zog Zeus die Brauen hoch. „Nein, wie kann er nur!? Das ist natürlich ein Grund, jemanden ins Gesicht zu treten…“ „Er war von meiner Mutter, klar?“, knurrte der Jüngere, woraufhin Zeus nickend die Arme verschränkte. „Na, das ist doch eine Prügelei wert! Was machst du als nächstes? Läufst du mit einem Küchenmesser Amok, weil sie jemand als Schlampe bezeichnet?“ Hideki verengte wütend die Augen. „Du selbst hast doch gesagt, dass ich ihn fertig machen soll.“, erwiderte er, doch kaum hatte er die Worte ausgesprochen, beugte sich Zeus zu ihm herunter und packte ihn am Kragen. Nach dem Ausdruck in seinen Augen zu urteilen, musste sich Zeus stark zusammennehmen, um Hideki nicht selbst ins Gesicht zu schlagen. „Ich habe gesagt, dass du ihm zeigen sollst, dass du dir von ihm nicht alles gefallen lässt und nicht, dass du ihm solange den Schädel eintreten sollst, bis er erstickt!“ Zornig schüttelte er den Kopf. „Herrgott, Hideki, kapierst du es immer noch nicht? Es ist jedem hier egal, was du da draußen getan hast, um hier drin zu landen- sowohl den Gefangenen, als auch den Wärtern… vor allem denen! Hast du dich noch nie gefragt, warum sie kein einziges Mal eingeschritten sind, wenn du wieder den Sündenbock spielen musstest, warum sie die meiste Zeit hier nicht einmal anwesend sind? Die Erklärung ist ganz einfach: weil es sie einen Dreck interessiert, was hier mit uns passiert!“ Zeus machte eine kurze Pause und sah Hideki noch tiefer in die Augen, sodass sich dieser verzerrt in den dunklen Pupillen des Schwarzhaarigen widerspiegeln sah. „Es gibt nur eine Regel seitens der Wärter: wenn du hinter diesen Mauern jemanden umbringst- sei es nun willentlich oder aus Versehen- bist du für alle Zeit hier eingesperrt! Prügeleien und Mobbing werden geduldet- das zu regeln überlassen sie uns Häftlingen- aber wenn an die Öffentlichkeit gerät, dass hier ein Mensch zu Tode gekommen ist, schadet das der guten Fassade des Gefängnisses und das, Hideki, kommt für den Schuldigen einem Todesurteil gleich…“ Zeus ließ einige Sekunden noch schweigend verstreichen, dann ließ er Hidekis Kragen los und richtete sich wieder auf. Hideki wandte wieder den Blick ab und sah verschüchtert auf seine verkrampften Hände hinab. Er verspürte immer noch Zorn auf Rex in seinem Herzen, doch Zeus` Worte hatten ihn soweit ernüchtert, dass sein Gewissen wieder die Kontrolle über seinen Körper und sein Denken übernommen hatte und ihm die Folgen seiner Taten langsam bewusst wurden. Hatte er tatsächlich beinahe jemanden getötet? Der Gedanke schnürte ihm den Hals zu und ließ ihn dagegen mühsam an schlucken. Zeus hockte sich vor Hideki hin und suchte mit ernsten Augen seinen Blick. „Du wirst zu Rex gehen und ihn um Verzeihung bitten.“, sagte er und teils erschrocken, teils empört, starrte Hideki ihn an. „Was? Nein, ich-“ „Du wirst dich entschuldigen, basta! Wenn Rex den Mund wieder aufbekommt und dich bei den Wärtern verpfeift, bist du weg vom Fenster, Hideki- und zwar endgültig!“ Der Angesprochene wollte protestieren, doch weiter, als bis zum Luft holen, ließ Zeus ihn nicht kommen. Abrupt stand der Blasse auf und schenkte Hideki einen Blick, der keine Widerworte duldete. Kurzerhand gab sich der Jüngere geschlagen, klappte seinen Mund wieder zu und stand schmollend auf. Zeus nickte zufrieden. „Du kannst dich glücklich schätzen, dass die anderen dicht halten werden.“, fügte er hinzu und ging wieder in Richtung Gebäude. Zögernd folgte Hideki ihm. „Und warum bist du dir da so sicher?“ „Du kannst den Typen hier vieles vorwerfen, aber nicht, dass sie den Wärtern irgendeine Art von Loyalität zukommen lassen würden. Das letzte, was du hier sehen wirst, ist, dass jemand zu den Aufsehern rennen würde, um einen Mitgefangenen anzuschwärzen.“ Zeus blieb stehen und drehte sich zu Hideki um. Sein Blick war todernst, als er nun weitersprach. „Das ist eine Sache zwischen Rex und dir. Niemand wird sich da einmischen. Rex ist der einzige von uns, der das Recht hat, dich bei den Wärtern zu melden- verstehst du jetzt, warum es so wichtig ist, dass du die Angelegenheit mit ihm rechtzeitig aus der Welt schaffst?“ Hideki senkte den Blick und nickte leicht. Seufzend kam Zeus die wenigen Treppenstufen, die in die Halle führten, wieder hinunter und legte Hideki eine Hand auf die Schulter. „Ich verlange ja nicht von dir, dass du vor ihm im Dreck kriechen und um Gnade winseln sollst.“, begann er und zwinkerte Hideki verstohlen zu. „Denn wenn du mich fragst, hat der Köter sich deine Abreibung dafür doch zu sehr verdient.“ Da das Gefängnis keine eigene Krankenstation besaß, die für die Behandlung solch schwerer Verletzungen, die Rex davongetragen hatte, ausgelegt war, wurde der Mann für mehrere Wochen unter Aufsicht in das örtliche Krankenhaus gebracht. Der Grund für Rex` Kopfverletzung wurde nicht weiter in der Öffentlichkeit erläutert- die Ärzte des Krankenhauses verpflichten sich zur Verschwiegenheit und Rex konnte, durch seine jetzige Lage, kein Wort über den Vorfall verlieren, sodass die Verwalter des Gefängnisses die ganze Sache als unglücklichen Unfall hinstellten und Zweifler mit einem mitleidigen Lächeln oder Schulterzucken abzuwimmeln versuchten. Als Hideki Rex einen Tag nach seiner Rückkehr im Aufenthaltsraum entdeckte, hätte er am liebsten wieder auf dem Absatz kehrt gemacht. Der breitschultrige Mann saß mit einem Mitgefangenen an einem der Tische und spielte Karten. Er trug einen dicken Verband über der Nase und selbst aus mehreren Metern Entfernung heraus, konnte Hideki seine blutunterlaufenen Augen sehen, die sich grotesk in seinem ungesund blassen Gesicht abzeichneten. Er schluckte. Rex schien ihn noch nicht bemerkt zu haben, er könnte also immer noch umkehren… Zeus` mahnende Stimme hallte auf einmal durch seine Gedanken, sodass er sich verbittert auf die Unterlippe biss. Er musste mit Rex reden, da führte kein Weg dran vorbei. Hideki holte tief Luft und durchschritt mit eiligen Schritten den Gemeinschaftssaal. Erst, als der Jüngere fast vor dem Tisch stand, wurde man auf ihn aufmerksam- zumindest schaute der andere Mann auf, den Hideki nicht mit Namen kannte, von dem er allerdings wusste, dass er öfter mit Rex zusammen gesehen wurde. Zuerst zeigte sein Gesichtsausdruck Überraschung, die jedoch schnell wieder verblasste, um tiefer Verachtung Platz zu machen, die Hideki unsicher in seiner Bewegung, näher auf die beiden zuzugehen, stoppen ließ. Auch Rex schien ihn endlich bemerkt zu haben, vermied es jedoch ihm direkt in die Augen zu sehen und starrte weiterhin sein Gegenüber an. Hideki riss sich von dem hasserfüllten Blick des Anderen los und sah stattdessen zu Rex. Aus der Nähe betrachtet war das verhärtete und mürrische Gesicht des Mannes noch beängstigender. „Kann… ich mit dir reden?“, fragte Hideki vorsichtig und begann nervös an seinem Hemd zu zupfen. Rex sah ihn immer noch nicht an, dennoch verengten sich seine Augen und als er nun seine Karten, die er in der Hand gehalten hat, auf den Tisch warf, verkrampfte sich Hidekis ganzer Körper. Rex gab dem anderen Mann einen bedeutenden Wink, auf den sich dieser sofort von seinem Platz erhob und ging, jedoch nicht ohne Hideki noch einmal einen herablassenden Blick zuzuwerfen. Er versuchte es zu ignorieren. Seit seiner Auseinandersetzung mit Rex reagierten die meisten Mitgefangenen so oder so ähnlich auf ihn, wenn er ihnen begegnete. „Was willst du?“, brummte Rex mürrisch, als der andere außer Hörweite war. Hideki schluckte seine Unsicherheit hinunter und stellte sich etwas gerader hin. „Ich wollte mich entschuldigen für… für…“ Hideki holte noch einmal tief Luft und wollte den Satz gerade vollenden, als Rex in diesem Moment seinen Kopf zu ihm drehte. Seine linke Wange, die Hideki die ganze Zeit über abgewandt gewesen war, lag unter einem dicken Verband und an den Stellen, die der weiße Stoff nicht verbarg, war Rex` Haut tiefblau. Das Weiß seines linken Auges war durchzogen von geplatzten Adern und an seiner linken Schläfe erkannte er die feinen Stiche einer frisch vernähten Platzwunde. Hastig Luft holend konnte Hideki den Drang nicht unterdrücken, vor Rex zurückzuweichen. Er starrte aus geweiteten Augen auf das entstellte Gesicht des Mannes und brachte kein Wort raus. Rex zog erwartungsvoll die Braue seiner bis aufs weitere unverletzten Gesichtshälfte hoch. „Sprich ruhig weiter…“, sagte er etwas undeutlich, wobei er fast nur die Lippen bewegte. Erst jetzt sah Hideki, dass auch sein Kiefer angeschwollen war. Er sah bedrückt zu Boden und seine Hände fassten stärker um sein Hemd. „Es tut mir wirklich leid, dass ich dich so getreten habe…“ Hideki wagte es kurz, wieder aufzusehen. Rex` Blick war von Hass zerfressen. „Ich wollte das nicht- ehrlich…“, fügte er verschüchtert hinzu und trat unsicher von einem Bein aufs andere. Rex sah ihn einen Moment lang noch an, dann schüttelte er langsam den Kopf und begann, die Karten vom Tisch aufzusammeln. „Bring mich nicht zum Lachen.“, knurrte er, steckte das Kartenspiel weg und stand auf. Da Hideki direkt vor ihm gestanden hatte, musste der Kleinere nun den Kopf weit in den Nacken legen, um Rex weiterhin in die Augen sehen zu können. „Geh mir gefälligst aus dem Weg.“, brummte der Hüne und in seinen Augen lag der gewohnte Hauch von Mordlust, der Hideki so stark an einen Rottweiler erinnerte. Schnell beeilte er sich, Rex` Aufforderung nachzugehen, sodass der Hundemann an ihm vorbei durch den Gemeinschaftssaal gehen konnte. Nach ein paar Metern blieb er stehen und drehte sich noch einmal zu Hideki um. „Wie lange muss ich dich eigentlich noch ertragen?“, rief er so laut durch den Raum, dass es die umstehenden Männer mitbekamen. Hideki zuckte vor Schreck über den abwertenden Tonfall zusammen und starrte verschüchtert in die Gesichter der anderen, deren Blicke nun alle auf ihn gerichtet waren. „Ich… also- meine Haft geht noch einen Monat…“, antwortete Hideki. Er konnte einen kurzen Blick hinter Rex werfen und sah, dass Zeus in diesem Moment den Saal betrat und stirnrunzelnd stehen blieb. Rex` Augen verengten sich gefährlich. „Dann rate ich dir eins: Verkriech dich für diese Zeit in irgendeinem Zellenloch und bete, dass ich dich nicht finde- hast du verstanden, Hades?“, knurrte Rex so düster, dass Hideki wieder den Drang verspürte, vor dem Hünen wegzulaufen. Warum hatte er sich auch nur von Zeus dazu hinreißen lassen, sich mit diesem Monster von Mann anzulegen? Hideki wollte schon heftig nicken und dann seinen Instinkten nachgeben und die Beine in die Hand nehmen, als ihm etwas auffiel, das ihn verwundert aufblicken ließ. „A- aber mein Name lautet doch Hi-“ Doch da hatte sich Rex schon umgedreht und bewegte sich weiter in Richtung Ausgang. Als er Zeus entdeckte, blieb er einen Moment lang stehen und starrte den Kleineren an. Hideki konnte Rex` Gesicht zwar nicht sehen, dennoch glaubte er zu erahnen, dass der Mann den Blassen mit seinen Blicken zu erdolchen schien. Der Blickkontakt währte nicht länger als eine Sekunde, dann war Rex an Zeus vorbeigegangen und aus Hidekis Sichtfeld verschwunden. Wie auf ein stummes Kommando hin löste sich die bedrückende Situation wieder auf und niemand schenkte dem Braunhaarigen mehr die geringste Beachtung. Hideki stand perplex da und versuchte seinen rasenden Herzschlag durch tiefe Atemzüge wieder zu beruhigen. In diesem Moment kam Zeus mit einem breiten Grinsen auf ihn zu. „Alle Achtung, du lebst noch!“, sagte der Schwarzhaarige, als er bei Hideki ankam und klopfte ihm auf die Schulter. Sein Grinsen wurde ein Stück weit breiter. „Glückwunsch, du hast dir gerade offiziell einen Namen gemacht.“ Hideki blinzelte verwirrt. „Ich habe was?“ Aber dann erinnerte er sich und mit geweiteten Augen starrte er Zeus an. „Moment! Das… das war gerade kein Versprecher gewesen?“ „Gott, bist du schwer von Begriff!“, lachte Zeus laut und schlug Hideki erneut auf die Schulter. „Ich hatte zwar gehofft, dass du einen Namen kriegen würdest, der weniger mit mir in Verbindung steht, aber so was kann man sich ja nicht aussuchen.“ Die Essensglocke ertönte auf einmal und alle anwesenden Insassen strömten aus dem Gemeinschaftssaal hinaus und auch Zeus zog Hideki am Arm mit. „Komm, das wird erst mal ordentlich begossen- ich kenn einen, der schmuggelt schon seit Monaten Alkohol hier rein, den werde ich später mal fragen, was er so da hat… irgendwelche Wünsche, Hades?“ Abrupt blieb Hideki stehen. „Warum kann man mich nicht einfach mit meinem normalen Namen anreden?“, rief er empört. Augenverdrehend kam Zeus wieder auf ihn zu und schob ihn kurzerhand vor sich her. „Weil der langweilig ist, deswegen.“ „Aber ich will nicht ‚Hades’ heißen!“ Zeus lachte hinter ihm. „Wäre ‚Mr. Hyde’ mehr nach deinem Geschmack gewesen?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)