Memori3s von _Myori_ ================================================================================ Die Bedeutung von Rosen ----------------------- Hätte ihn jemand in dieser Nacht noch einmal angesprochen, wäre dieser Jemand wahrscheinlich mit Knochenbrüchen und Platzwunden ins nächste Krankenhaus eingeliefert worden. Aber sein Gesicht schien so viel von seiner emotionalen Lage durchsickern zu lassen, dass alle Menschen, die ihm auf der Straße entgegen kamen, instinktiv einen sicheren Abstand von ihm einhielten. Wieder landete eine bis auf den Filter herunter gerauchte Zigarette achtlos hinter ihm auf dem Asphalt. Mit seinem jetzigen Konsum hätte man locker eine Schnitzeljagt durch das Rotlichtviertel veranstalten können. Zeus hatte kein Ziel, seine Beine wollten einfach nur in Bewegung bleiben. Gesprächsfetzen hallten wie ein Echo durch seinen Kopf und schürten die Wut. Er hasste Hades‘ Gleichgültigkeit. Er hasste sein skrupelloses Handeln. Sein Grinsen. Seine Taten, die Abgebrühtheit, mit der er ihm ins Gesicht log und doch im nächsten Moment die Wahrheit so kalt offen darlegte! Er hasste sich. Abrupt blieb er auf dem Gehweg stehen und starrte zu Boden, seine Hände erneut zu Fäusten geballt. Ja, am meisten hasste er sich selbst. Zeus, der Zeus, der stets alles selbst in die Hand nahm und die Zügel nicht abgab, Zeus, der nie die Kontrolle verlor – bis auf dieses eine verdammte Mal, das nun schon gute drei Wochen zurücklag, als er Izumis Aufnahme nicht verhindern konnte. Nein, korrigierte er sich in Gedanken, nein, es war ihm schon einmal passiert und damals, bei Hitomi, hatte er auch nichts mehr unternehmen können. Zumindest war ihm nichts mehr eingefallen. Wütend presste er die Lippen zu blutlosen Strichen aufeinander. Er war wieder zu spät gewesen. Knurrend griff er sich in die Haare, zerrte an seinem dichten schwarzen Schopf und biss die Kiefer aufeinander, um einen Aufschrei zu unterdrücken. Er schüttelte den Kopf, atmete tief durch die Nase ein und aus und versuchte sein rasendes Herz zu beruhigen. Es gab keinen Ausweg mehr. Er hatte die Fehler begangen, er, nur er, alles war von ihm aus gegangen. Er hätte es beenden sollen, er hätte die Entscheidung fällen sollen, damals, nach der Sache mit Hitomi. Er hätte niemals Hades wieder aufsuchen sollen, um weiter mit ihm zu arbeiten. Er hätte- „Hey!“ Der hohe Laut ließ ihn zum Teil erschrocken, zum anderen Teil wutentbrannt aufschauen, bereit, dem Besitzer dieser ekelhaft süß klingenden Stimme den Mund mit seinen eigenen Zähnen zu stopfen. Stattdessen hielt er sich einen Moment lang zurück und beließ es bei einem wütenden Blick. Das Mädchen, das vor ihm aufgetaucht war, schien einen Augenblick lang zu bereuen, ihn angesprochen zu haben, so unsicher wie es nun vor ihm zurückwich. Sie war anderthalb Köpfe kleiner als er, schien endlos lange Beine zu besitzen, was allerdings wohl den hohen Absätzen ihrer Stiefel zu verdanken war, und trug die auf niedlich getrimmte Lolita-Kleidung, die gerade bei den hier arbeitenden Damen so in Mode war. Ihre auffallend roten Haare hatte sie zu einer wirr aussehenden Frisur verknotet und unter dem feuerroten Pony leuchtete ihm ein dunkelgrünes Irispaar entgegen, in das der antrainierte Verführerblick langsam zurückkehrte. Etwas an diesen Augen ließ Zeus‘ angestauten Zorn an ein erträgliches Level angleichen; vielleicht war es aber auch einfach nur der lächerliche Versuch des Mädchens sexy auszusehen; das Kaugummi, auf dem sie dabei schmatzend herum kaute, zerstörte diese Illusion jedoch gänzlich. Das grüne Kaugummi, fügte Zeus innerlich kopfschüttelnd hinzu, als die Rothaarige zu grinsen anfing und das Ding deutlich mit der Zunge in ihrem Mund von einer Seite auf die andere schubste. „Du siehst aus, als könntest du eine Ablenkung brauchen.“, sagte sie und verringerte den Abstand zwischen ihnen. Eine Hand legte sich auf seinen Oberarm und begann diesen mit dem Daumen sanft zu streicheln. „Ich kann dich auf andere Gedanken bringen.“, raunte das Mädchen nahe an seinem Ohr, wobei zwischen ihren leisen Worten das rhythmische Schmatzen laut erklang. Aus den Augenwinkeln musterte Zeus die Kleine einen Moment lang, ehe er sie von sich wegschob und an ihr vorbeiging. „Du würdest mir nur Gewissensbisse bescheren.“, erwiderte er noch unbeeindruckt, ehe er sich in Bewegung setzte und sie stehen ließ, doch da hatte sich erneut ihre Hand um seinen Arm geschlossen. Verärgert starrte er auf diesen Berührungspunkt herab. Sie hatte sich die Fingernägel in den grellsten Farben lackiert. Von dem Mittelfinger zwinkerte ihn ein Smiley zu. „Hast’ ne Freundin, oder was?“, fragte das Mädchen weiter und grinste breit. „Keine Angst, meine Lippen werden kein einziges Wort hierrüber verlassen.“ Schnell packte Zeus nach ihrem Handgelenk und drückte zu, dass sie die Luft zischend einsog. Er zog sie zu sich heran und sah ihr tief in die jadegrünen Augen. „Was hältst du davon, gänzlich die Klappe zu halten, und einfach nach Hause zu deinen verdammten Eltern zu gehen, anstatt dich hier für ein besseres Taschengeld an fremde Kerle heran zu schmeißen?“ Er sah, wie sie verärgert die Augen niederschlug. Also hatte er einen wunden Punkt getroffen. Umso besser, dachte er, vielleicht rüttelt sie das ja wach. Er ruckte noch einmal an ihrem Arm und beugte sich zu ihr herunter „Du bist eindeutig zu jung hierfür.“, zischte er. „Es mag Männer geben, die auf sowas stehen, aber ich gehöre da ganz sicher nicht zu.“ Zu seiner eigenen Verwunderung befreite sich die Kleine aus seinem Griff und funkelte ihn mit vorgeschobener Unterlippe grimmig an. „Ich bin längst volljährig, falls dich das stört!“, giftete sie zurück, was Zeus‘ Braue unweigerlich in die Höhe schnellen ließ. „Willst’e meinen Ausweis sehen?“ Sofort begann sie in einer kleinen Handtasche zu kramen, welche die Form eines plüschigen Schafes hatte, doch Zeus nutzte die Gelegenheit, um wieder auf dem Absatz umzudrehen; zu seinem Bedauern bekam die Rothaarige das leider mit und versuchte augenblicklich auf ihren zwölf Zentimeter Absätzen Schritt zu halten. „Du bist hartnäckig“, seufzte er, und ein Hauch von frechem Stolz huschte über ihr geschminktes Gesicht. „Aber es bleibt dabei: ich bin nicht in der Stimmung!“ Er griff in seine Jackentasche und holte eine neue Zigarette zum Vorschein, die er sogleich anzündete. Der Qualm wehte dem jungen Ding entgegen, sodass die kurz zu husten anfing, dennoch gab sie nicht auf. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sie ihm zuzwinkerte. „Du glaubst ja gar nicht, wie schnell ich daran etwas ändern könnte. Komm schon“, lockte sie ihn, und stellte sich Zeus erneut in den Weg, beugte sich vor und ließ ihn einen tiefen Blick in ihr recht übersichtliches Dekolleté erhaschen. „Was hast du denn schon zu verlieren?“ Zeus hielt inne, einen frischen Zug seiner Zigarette nehmend, und musterte sie von oben bis unten. Als sie seinen prüfenden Blick bemerkte, fing sie wieder an zu grinsen; und wieder leuchtete dieses Kaugummi hervor. Zeus tat nachdenklich, ehe er mit den Schultern zuckte. „Wahrscheinlich so um die 10000 Yen.“ Zum ersten Mal trat wahrer Zorn in ihr Gesicht und ließ dieses rot anlaufen. „Hältst du mich für `ne billige Nutte?“ „Wenn dir ein anderes Synonym einfällt, dann nur raus damit.“ Wütend stampfte sie mit dem Fuß auf, ging auf ihn zu und tippte ihm gegen die Brust. „Hör zu, Mister!“, fauchte sie aufgebracht und sah ihm tief in die Augen. „Ich lasse mich ganz sicher nicht von irgendeinem Arsch als billiges Flittchen beschimpfen! 10000 Yen, dafür erhältst du von mir nicht mal `nen verdammten Blowjob! So nötig habe ich dich und deine scheiß Kohle auch nicht, als dass ich mich unter meinen Wert verkaufen müsste!“ Schmunzelnd ließ er sie weiter zetern. Zeus‘ Wut auf die Welt war beinahe gänzlich verraucht. Vielmehr fand er die Kleine, die gerade zur Furie mutierte, äußerst unterhaltsam. Grinsend zog er an seiner Zigarette und blies ihr den Qualm ins Gesicht, sodass sie, mit der Hand den Rauch wegwedelnd, zwei Schritte vor ihm zurückwich. „Dafür, dass du mich nicht nötig hast, lässt du aber nicht locker.“, sagte er und hielt den glimmenden Stängel in eine andere Richtung, als er merkte, dass sie der Qualm wirklich zu nerven schien, so angeekelt, wie sie den Mund verzog. Das Mädchen lief von neuem Rot an, was sie hinter einem Schmollmund zu verstecken versuchte. Das brachte ihn noch mehr zum Schmunzeln. „Die bittere Wahrheit ist allerdings“, sagte er dann, „dass ich nicht mehr als 10000 momentan dabei habe.“ Er zuckte mit den Schultern und seufzte langgezogen. „Tja, da scheinen wohl du und ich heute leer auszugehen. Es sei denn du lässt dich auf einen Kaffee überreden. Oder bist du dir dafür auch zu schade?“ Mit innerer Genugtuung sah er es in ihrem verwirrten Gesicht arbeiten. Ihre schmalen Augenbrauen runzelten sich in Skepsis, und er bemerkte, dass sich ihr vorlautes Mundwerk wieder kauend in Bewegung setzte. „Nen Kaffee“, wiederholte sie ungläubig. „Ist das so ein ätzender Anmachspruch?“ „Eher mein letztes Angebot.“ „Du hast nicht einmal mit mir verhandelt.“ „Weil du mich gleich zu Anfang in Grund und Boden geschimpft hast.“ Sie kaute eine Weile nachdenklich, dann schüttelte sie den Kopf, dass sich ein paar Strähnen aus ihrer Frisur lösten, die sie sich eilig hinter das Ohr klemmte und die Arme vor der Brust verschränkte. „Was erhoffst du dir davon?“ „Ablenkung.“, antwortete er ihr sofort. „Ich muss auf andere Gedanken kommen. Und da kommt mir ein Gespräch mit einer Fremden ganz recht.“ Er sah, dass sie zögerte. Jedoch nur für einen kurzen Moment. Dann trat sie neben ihn, hakte sich bei ihm unter und ging mit ihm weiter. „Nur reden“, erinnerte sie ihn mahnend. „Für mehr-“ „Fehlt mir das nötige Kleingeld, schon klar.“, fiel er ihr lachend ins Wort und drückte die Zigarette schnell mit dem Schuh aus. „Wie heißt du eigentlich?“ „Rose, und du?“ Zeus wollte schon zu seiner gewohnten Antwort, die er für jeden Fremden parat hatte, ansetzten, als er sich dann doch noch um entschied. „Zeus.“ Wieder runzelte sich ihre Stirn. Die übliche Reaktion auf seinen Namen. „Zeus? Echt?“ „Ja, echt.“, entgegnete er grinsend und sie fing an zu kichern. Sie verließen das Rotlichtviertel nach fünf Minuten und betraten den zivilisierteren Teil der Stadt. Sofort wurden sie schräg von der Seite gemustert; wer nun mehr Aufmerksamkeit auf sich zog – Rose in ihren auffälligen Kleidern und mit dem kindlichen Gesicht, oder Zeus in seinem dunklen Trenchcoat und mit wesentlich gepflegterem und viel älterem Aussehen, was zusammen eine grotesk wirkende Kombination ergab, die vermutlich viele Menschen den Kopf hätte schütteln lassen - konnte sich nicht wirklich sagen lassen. Beide störten sich nicht an den Blicken, dennoch zog es Zeus vor, so schnell wie möglich von der offenen Straße zu verschwinden, sodass er das erstbeste Lokal ansteuerte. Ehe sie eintraten, hielt er Rose noch einmal zurück, woraufhin sie ihn fragend ansah. „Was?“ Schweigend hielt Zeus ihr seine Handfläche unter die Nase, was sie dazu veranlasste, skeptisch auf seine Pranke zu schielen. „Spuck das Kaugummi aus. Das geht mir schon die ganze Zeit auf die Nerven.“, entgegnete er und klang dabei wie ein Lehrer, der eine ungezogene Schülerin belehrte. Ungläubig starrte sie zu ihm hoch, doch sein Blick blieb eisern und abwartend. Rose versuchte es kurz mit einem unschuldigen Augenaufschlag und einem lieblichen Schmollmund, doch das brachte Zeus nur dazu, die Braue noch höher zu ziehen. Kurzerhand gab sie sich geschlagen und ließ das Kaugummi augenverdrehend in seine Handfläche fallen. Ein zufriedenes Lächeln stahl sich auf seine Lippen, bei dem Rose kurz der Atem wegblieb. „Braves Mädchen.“, sagte Zeus und tätschelte ihr den Kopf. Wütend schlug sie seine Hand zur Seite. „Ich bin volljährig!“ „Schon klar…“ Es war bei dem Kaffee und ein paar Drinks geblieben. Nachdem Rose ihm dann doch ihren Ausweis unter die Nase gehalten hatte, lag den ganzen Abend über ein triumphierendes Grinsen auf ihren knalligen Lippen, da Zeus sich, in der Hinsicht, wohl oder übel geschlagen geben musste und ihr zur Wiedergutmachung einen Cocktail ausgegeben hatte. Trotz seiner Vermutung, dass Rose an Alkohol gewöhnt sein müsste, schien der eine Drink auszureichen, um ihre Zunge so weit zu lockern, dass sie beinahe ohne Luft zu holen stundenlang zu erzählen begann; zuerst hielt sie ihm lautstark einen Vortrag darüber, was er alles angesichts seiner derzeitigen Geldknappheit verpasste, wofür den beiden der ein oder andere schiefe Blick seitens der um sie herum sitzenden Gäste geschenkte wurde. Zeus hörte ihr nur schmunzelnd dabei zu, wie sie ihre bemerkenswerten Vorzüge anpries, und beinahe nahtlos dazu überging, ihre Kolleginnen in ein schlechtes Licht zu rücken. Sie plauderte über ihre noch weitestgehend rosige Kindheit im Waisenheim, über ihren ersten Freund, über ihr erstes Mal mit ihm und über ihr zweites erstes Mal mit ihrem ersten Freier, dessen Erinnerung sie peinlich kichern ließ, da sie sich, nach eigener Aussage, so dämlich angestellt habe. Zeus selbst saß ihr nur lächelnd gegenüber, nickte an den passenden Stellen oder lachte leise, wenn auch sie zu lachen begann. Sie fragte ihn kein einziges Mal über seine Person aus und das fand er auch gut so. Ein wenig, ein kleines Bisschen nur, wenn sie so verträumt und in Vergangenes versunken dasaß, erinnerte Rose ihn an Hitomi und unweigerlich musste er an seine erste Begegnung mit ihr denken, wie sie die kleinen, stichelnden Anekdoten über sich und Hideki erzählt und sichtlich die unbeschwerte und ausgelassene Situation genossen hatte. Er ertappte sich dabei, selbst in schwer und tief sitzende Erinnerungen abzudriften, sodass er die Gedanken an die blonde Frau, an seinen und Hades‘ Fehler, schnell wieder zu verdrängen versuchte, ehe sie alte Wunden von neuem aufreißen konnten. Seine Armbanduhr zeigte schon vier Uhr an, als er Roses Redefluss unterbrach und bei der Bedienung nach der Rechnung fragte. Das Mädchen fing wieder an zu schmollen. Anscheinend hatte sie Gefallen an „nur reden“ gefunden. „Seh ich dich irgendwann wieder?“, fragte sie ihn, als er mit ihr zurück in ihr Viertel ging. Sie hatte sich wieder bei ihm wie selbstverständlich eingehakt. Die Worte versetzten Zeus einen Stich und unweigerlich hallten die Worte in seinem Kopf wider, nur diesmal war es nicht die Stimme des rothaarigen Mädchens neben ihm, welche sprach. Als er nicht sofort antwortete, sah Rose fragend zu ihm auf und für einen kurzen Moment leuchteten ihre Augen in einem kristallklaren Blau, sodass Zeus verwirrt stehen blieb. Einen Lidschlag später starrte er wieder in sattes Grün, das ihn immer erwartender anstarrte. Nein, sprach er sich beruhigend in Gedanken zu, nein sie ist nicht Hitomi. Sie würde es niemals sein. Und es würde niemals so mit ihr enden, wie mit Hades‘ und seiner gemeinsamen Freundin. Dafür würde er sorgen! Zeus lächelte Rose an und beugte sich zu ihr herunter. „Du bist immer noch hartnäckig“, raunte er neckend in ihr Ohr. „Bist du dir sicher, dass du auf mich verzichten kannst?“ Er hörte sie verschmitzt schnaufen. „Ich habe dir zu viel anvertraut, als dass ich dich jetzt einfach so gehen lassen könnte.“ Eine Hand legte sich auf seine Brust und fing an, an den Knöpfen seines Mantels zu nesteln. „Und ja, ich find‘ dich gar nicht so übel“, gab sie dann zögernd zu, was Zeus dazu verleitete, sie von der Seite her neugierig zu mustern. „Der Gedanke daran, dass du irgendwann mal eine meiner Kolleginnen flachlegen könntest, dreht mir den Magen um.“, grummelte sie auf einmal und sah ihn wieder mit funkelnden Augen an. „Ich teile nicht gerne, weißt du?“ Zeus‘ Braue wanderte skeptisch in die Höhe. Mit einem Mal erinnerte sie ihn nicht mehr an ein kleines, unbeholfenes Mädchen, sondern an das, was sie die ganze Zeit über gewesen war. Ihre gestellten Besitzansprüche zauberten ihm ein freches Grinsen ins Gesicht. „Wirklich? Und wie willst du das verhindern?“ Da war er wieder, dieser typische Verführerblick, den jede Nutte hier draufhatte. Und zum ersten Mal gab etwas in Zeus Verstand diesem Blick nach und verzehrte sich unweigerlich nach seiner Besitzerin. „Bring das nächste Mal genügend Geld mit und ich zeige es dir.“, schnurrte sie leise und ging ein paar Schritte rückwärts, sodass sie Zeus von oben bis unten mustern konnte, als sei er ihr Eigentum. Ein siegessicheres Lächeln tauchte in ihren Mundwinkeln auf, als sie bemerkte, dass sie heute von Zeus wohl keine spitze Erwiderung mehr zu befürchten hatte und diese Runde für sich verbuchen konnte. Rose wartete noch zwei Sekunden, ehe sie in ihre Jackentasche griff und ein neues Kaugummi hervorzog, das sie sich, die jadegrünen Augen weiterhin verführerisch auf Zeus fixiert, langsam in den Mund schob, um dann auf ihren Absätzen umzudrehen und die Straße hinab zu stolzieren. Ungeniert schaute Zeus ihr noch eine Weile hinterher, ehe er das Grinsen nicht länger zurückhalten konnte und sich kopfschüttelnd abwandte. Oh ja, er würde wiederkommen. Und dann würde sich zeigen, wer hier wem hinterherrannte. Er ging nicht auf direktem Weg zurück, sondern wanderte noch für lange Zeit in den vielen Seitenstraßen auf und ab, seinen eigenen Gedanken ungestört nachhängend. Das alte Parkhaus wurde in die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages getaucht, als er den Heimweg antrat. Kurz blieb er vor dem Gebäude stehen und sah an Olymps grauer Fassade hinauf, welche in einen kräftigen Gelbton getaucht war, sodass es den Eindruck machte, als ob die lachende Sonne, die weit oben an der Fassade angebracht worden war, seit langem doch wieder strahlte. Zeus hatte dieses Ungetüm aus Neonröhren, die wahrscheinlich noch nie vollständig funktioniert haben, schon immer hässlich gefunden; aber warum sollte sowas auf einmal von einem angeblich verlassenden Parkhaus abgenommen werden? Die Straßen waren leer, kaum ein Auto fuhr noch. Für die normale Gesellschaft war der frühe Morgen der Beginn des neuen Arbeitstages; hier ging der alte gerade erst zu Ende. Nur zu dieser Zeit schien dieses Viertel friedlich zu wirken. Zwei Atemzüge lang genoss Zeus noch die Ruhe, die ihn schon immer irgendwie an die Stille auf einem verwüsteten Schlachtfeld erinnert hatte, ehe er Olymp betrat. Er ließ die Sonne und ihre wärmenden Strahlen zusammen mit der Erinnerung an Rose hinter sich und wurde im nächsten Moment gänzlich von der Dunkelheit des Parkdecks verschluckt. Als hätten sie nur darauf gewartet, schlugen die erfolgreich zurückgedrängten Ereignisse der vergangenen Nacht von neuem über ihn zusammen und kurz befürchtete er wieder an der Situation zu verzweifeln. Doch zu seiner eigenen Verwunderung blieb er ruhig. Fast schon gelassen. Er fühlte nichts, als er die Stufen in Olymps Herz hinunterstieg, keine aufwühlende Wut, keine nagende Verzweiflung, keinen Hass. Auf niemanden. Einer von Hades‘ Schützen kam Zeus in lockerer Sportkleidung entgegen, nickte ihm kurz im Vorbeigehen zu und verschwand dann wieder schnell aus seinem Blickfeld. Niemanden sonst traf er an. Die unterirdische Anlage war menschenleer. Ruhig wie ein Schlachtfeld nach dem Kampf… Auf dem Weg zu seinen Zimmern kam er an Hades‘ kleiner Wohnung vorbei und plötzlich wollten seine Beine nicht mehr weiter gehen. Etwas zog sich wieder in ihm zusammen, ließ ihn die Zähne aufeinander beißen und sein Herz einen schnelleren Takt anschlagen. Der Hass strich verführerisch sanft über sein Herz und wie von selbst hob sich seine Hand zur Türklinke. Kurz bevor sich seine Finger um das kalte Metall schließen konnten, zuckte er zurück und hielt inne. Was bringt mir das jetzt?, fragte er sich müde und ließ seine ausgestreckte Hand in der Luft ruhen. Gar nichts, war die nüchterne Antwort. Zeus war froh, endlich wieder klar denken zu können, war glücklich über seine innere Ruhe. Hätte er Hades nun wieder zur Rede gestellt, hätte es nur böses Blut gegeben. Wieder. Er sah auf seine Hand und die Klinke hinab. Es würde gar nichts bringen. Er würde nicht mehr zu Hades vordringen können. Wieder einmal nicht. Warum also die Kraft aufwenden für einen weiteren erfolg- und hoffnungslosen Versuch? Leise seufzend ließ er die Hand sinken und wandte sich ab. Nein, er musste der Wahrheit ins Gesicht sehen. Und er musste zu seinen Taten stehen. Aus ihnen lernen. Er musste endlich handeln. Nicht, indem er sinnlos gegen Hades‘ Sturheit anrannte, nein! Er schloss seine eigene Tür auf und betrat die kleine beschauliche Wohnung dahinter. Im Gehen zog er sich seinen Trenchcoat aus und ließ diesen achtlos zu Boden fallen. Sein Blick fixierte den unaufgeräumten Schreibtisch, auf denen sich Papier- und Aktenstapel türmten. Aus einer kleinen Schublade holte er das alte Diktiergerät hervor und suchte nach einer neuen Kassette. Er musste mit dem Vergangenen abschließen. Er musste nach vorne blicken und endlich handeln. Seine Hände begannen zu zittern, sodass es schwieriger wurde, die Kassette in das kleine Gerät zu stecken. Er konnte sich nicht auf Memoria setzen, sosehr ihn die Erinnerungen auch quälten. Alle, nur nicht Hades und er, dafür war ihre Verantwortung viel zu groß. Aber ich muss dennoch abschließen. Und vorbereiten. Lange ruhte sein Finger auf der Aufnahmetaste. Dann, nach gefühlten Stunden, drückte er sie mit klopfendem Herzen runter. Langsam begannen sich die Spulen des eingelegten Tapes zu drehen und nervös leckte er sich ein letztes Mal über die Lippen, ehe er Luft holte. „Wenn … das hier jemand hört, dann … dann…“ Er stockte, seine Stimme fing an zu zittern und schnell stoppte er die Aufnahme wieder. Bebend schloss er wieder die Augen. Reiß dich zusammen, schollt er sich in Gedanken. Hunderte von Gefühlen brachen von neuem über ihm zusammen und gegen diese versuchte er verzweifelt standhaft zu bleiben. Wie schwer es doch manchmal war, sich seine Fehler einzugestehen. Rose tauchte vor seinem geistigen Auge auf und diese Erinnerung ließ ihn wieder schmunzeln. Die Kleine schien sich als ein verdammt gutes Ventil für ihn herauszustellen. Hoffentlich brachte sie das nicht in Zukunft in Schwierigkeiten; die schien er ja irgendwie magisch anzuziehen. Sein Herzschlag beruhigte sich langsam und mit einem klaren Kopf löschte er die angefangene Aufnahme und drückte ein weiteres Mal die Taste herunter. Er konnte nichts gegen Hades und seine Taten ausrichten. Nicht mehr. Aber er würde dennoch kämpfen. Es war schon lange kein Geheimnis mehr, dass diese ganze Situation, die schlimmer werdenden Streitereien mit Hades, die angespannte Stimmung, nur ein Spiel auf Zeit war. Irgendwann würde diese Farce eskalieren und bis dahin muss ich Vorkehrungen getroffen haben. Ich lasse das alles hier nicht umsonst gewesen sein! Er wird alle an das erinnern, wofür Olymp stand, was Olymp für ihn bedeutet. Die kalte Maske, in das sich nun sein Gesicht verwandelte, legte sich auch auf seine Stimme: „Wenn das hier jemand hört, heißt das, dass ich entweder nicht mehr zu Olymp gehöre oder tot bin … egal, was nun zutrifft, es bedeutet, dass Olymp dem Untergang geweiht ist oder schon gefallen ist.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)