Wonderland of Steam and Rust von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 2: turn your back ------------------------- Als Malik die Augen wieder aufschlug, war das Licht verschwunden. Verwundert blickte er um sich - sie waren in einem Wald. Wo zum Henker kam der verdammte Wald plötzlich her? Das Einzige, das er vorhin gesehen hatte, waren wenn es hochkam vielleicht drei verdorrte Bäume gewesen. Zwar schien das Licht nun fahl durch die dorren Baumkronen, aber die Bäume waren so hoch, dass nur wenig davon auf den Waldboden schien. Und verdorrt waren die Bäume immer noch, doch irgendwas war seltsam, dieser leichte Glanz ... sie wirkten nicht nur kahl und trist, sie wirkten fast wie ... verrostet? Unmöglich! Malik hatte zwar die Schule in seinem letzten Jahr geschmissen, aber er hatte immer noch soviel gelernt, dass etwas Organisches niemals oxidieren konnte, Fe + H2O, das ergab ... Rost? Glaubte er zumindest. Mit den Formeln hatte er es noch nie so wirklich gehabt. Malik trat ein paar Schritte näher an einen Baum heran und streckte die Hand aus um ihn zu berühren und tatsächlich - es fühlte sich metallisch an. Plötzlich ertönte ein lautes Zischen und vor Schreck stolperte er zwei Schritte rückwärts, nur um auf dem Hosenboden zu landen - aus einem hohlen Astloch des Baumes war ein Stoß Wasserdampf gekommen. "Gut, ich höre jetzt einfach mal auf, mich über irgendwas zu wundern", sagte er zu sich selbst, während er aufstand und sich den Staub vom Hosenboden klopfte. Dann sah er sich suchend um. "Ryou?" "Hier bin ich - ich warte schon auf dich - kommst du?" Malik wirbelte herum - Ryou stand auf dem Weg - war er eben noch nicht da gewesen, oder hatte er ihn nur nicht bemerkt, weil er so fasziniert von den merkwürdigen Bäumen gewesen war? Es regnete schon den ganzen Sommer über. Früher war es Malik immer aufs Gemüt geschlagen, denn er liebte die Sonne so sehr, aber jetzt? Jetzt war es anders. Er war seit einigen Monaten mit Ryou zusammen und da konnte seinetwegen die Welt trostlos sein, wenn nur er bei ihm war. Es war früher Abend, sie waren bei Ryou zuhause und saßen im Dunkeln aneinandergekuschelt, Ryou hatte das Gesicht leicht seitlich an Maliks Halsbeuge gebettet und dieser hatte einen Arm um Ryou geschlungen, ein Finger streichelte beständig liebevoll die eine nackte Schulter. Draußen gewitterte es gerade, so, wie es schon lange nicht mehr gewittert hatte. Es donnerte. "Ich mag Gewitter", sagte Ryou irgendwann leise. "Es ist jedesmal so ein befreiendes Gefühl, wenn man weiß, dass der Regen die Erde reinwäscht von ihrem Schmutz." "Was ist mit Blitz und Donner?", murmelte Malik, nachdem kurz darauf ein Blitz das Zimmer beinahe gänzlich erhellt hatte. "Als Kind haben sie mir Angst gemacht - auch, wenns in Ägypten nicht unbedingt oft Gewitter gegeben hat..." "Hm ..." Ryou lächelte, was Malik nicht sehen konnte, aber er spürte es. "Ich hab mir früher, als ich noch sehr klein war, immer vorgestellt, dass der Blitz die bösen Monster in meinem Schrank und unterm Bett enttarnt und der Donner schlägt sie dann in die Flucht." Eine Weile sagte Malik nichts. Hin- und wieder durchbrach ein Donnergrollen die Stille und der Regen war sein ständiger Begleiter. Dann neigte Malik den Kopf leicht zur Seite und hauchte Ryou einen Kuss auf den seidigen Haarschopf. "Ich liebe dich", flüsterte er. Und es war die kurze Zeit in seinem Leben, da er glücklich gewesen war. Und dann war Akefia gekommen und Mariku und alles hatte sich geändert. Malik schreckte jäh aus seinen Gedanken, als er abrupt an der Schulter zurück gerissen wurde. Er blickte auf und sah nur noch, wie ein Baum auf der anderen Seite des Weges, wenn man es überhaupt Weg nennen konnte, im Wald verschwand. "Vorsicht!", sagte Ryou warnend. "Die nehmen hier überhaupt keine Rücksicht. Du musst aufpassen, manch einer ist schon von einem Baum zu Tode getrampelt worden." "Von einem Baum", sagte Malik trocken. "Alles klar. Okay. Ist normal." "Früher haben sie das nicht gemacht", murmelte Ryou, "Da haben sie einem manchmal sogar noch den Weg gezeigt, aber jetzt führen sie einen gelegentlich in die Irre, indem sie sich einfach umstellen. Einfach nur so zum Spaß." Das Kaninchen seufzte, grinste Malik jedoch dann keck an und deutete auf seine Uhr. "Glücklicherweise kann ich die auch als Kompaß benutzen, also haben wir von daher nichts zu befürchten." "Na, wenn das so ist." Eine Weile liefen sie schweigend nebeneinander her. Gelegentlich war ein Zischen zu hören, wenn Dampf aus einem Astloch schoss und manchmal auch ein metallisches Quietschen, wenn einer der Bäume sich bewegte. Malik versank in Gedanken. Wenn er es so recht betrachtete, dann konnte er das, was er hier überall sah, auf das Leben übertragen, das er kurz vor seinem ... Tod? (Das musste er aufjedenfall noch herausfinden, diese Ungewissheit ging ihm langsam wirklich auf den Zeiger) noch geführt hatte. Genauso war ihm die Welt erschienen. Kahl, metallisch, besiedelt von gefühllosen Maschinen. Keine Herzen. Nur Profit. Sein Geld hatte er damals mit verschiedenen Dingen aufgetrieben, auf keines davon war er stolz. Nur seinen Körper verkauft hatte er nicht. Zumindest nicht an Männer. Nur an die Droge. Und das war so gesehen viel schlimmer. Er hatte die schönen, kleinen Dinge aus den Augen verloren, sein Denken hatte sich irgendwann nur noch um das Eine gedreht. Wie kam er so schnell, wie möglich an den nächsten Schuss, wie sollte er es noch soundsoviele Tage aushalten, bis er ... Unbewusst verengte sich sein Blick. Wieso musste man eigentlich an die Dinge, die einen am meisten schmerzten, am häufigsten denken? Malik schielte zu Ryou, welcher leichtfüßig neben ihm hertänzelte. Das Ryou-Kaninchen war so vollkommen anders, als der Ryou, den er damals zurückgelassen hatte und dann irgendwie doch wieder nicht. Er erinnerte sich an einen gebrochenen Jungen, der ihn mit solch enttäuschten und verletzten Augen angesehen hatte, dass er, diesen Anblick nicht mehr ertragend, sich abgewandt hatte. Malik hatte sich vom Licht abgewandt. In die Dunkelheit. Ryous großer Bruder Bakura, mit dem er zeitweise auch relativ gut befreundet gewesen war, hatte ihm einmal prophezeit, dass es nur eine Frage der Zeit wäre. Was ist nur eine Frage der Zeit?, hatte er ihn gefragt. Bakura hatte ihn daraufhin nur angegrinst und mit einem hinterhältigen Lachen gemeint, wirst schon sehen. Malik hatte damals nicht sonderlich viel darauf gegeben, da Bakura zu dem Zeitpunkt betrunken gewesen war, aber gerade jetzt schoss ihm diese seltsame Konversation in den Sinn. Und im Wein liegt die Wahrheit. Plötzlich wurde es dunkler auf der Lichtung. Ryou blieb wie angewurzelt stehen, sodass Malik beinahe in ihn hineingelaufen wäre. Ein Beben ging durch seinen Körper, seine Schnurrhaare zuckten nervös. "Was - was ist das?", zischte Malik. Ryou antwortete nicht sofort. "RYOU!" Das Kaninchen wirbelte zu ihm herum und Malik bemerkte, wie weit aufgerissen dessen Augen waren. "Es ist Er", murmelte es mit bebender Stimme. Dann griff er Malik um das Handgelenk. "Wir müssen schleunigst hier weg!" Abermals wurde Malik grob hinter dem anderen hergezerrt, aber diesmal erkannte er die präkere Situation als solche sofort, er spürte instinktiv, dass sich Gefahr näherte. Ryou schlug einen Weg mitten zwischen den Bäumen ein, dort, wo es noch dunkler war, was Malik wenig behagte, aber das war gerade nicht der Moment, um dumme Fragen zu stellen, außerdem war er vielmehr damit beschäftigt, nicht hinzufallen, denn im Gegensatz zu Ryou hatte er große Probleme, im Dunkeln zu sehen. Malik spürte einen Luftzug. "Können wir nicht wieder sprinten, wie vorhin?", rief er Ryou atemlos zu. "Nein, dafür reicht die Zeit nicht!" Flügelschlagen. Nah über ihnen. Aus einem unerklärlichen Grund bekam Malik es mit der Angst zu tun. "Verdammt, was ist das!?" Ryou steuerte auf eine Höhle zu. "Wenn wir es bis dahin schaffen, sind wir gerettet!" Und dann verschluckte sie das Dunkel, Malik hörte, wie irgendetwas Schweres und Großes in die Felsen schlug, das Geräusch war ohrenbetäubend. Wie riesige Klauen, die sich durch Eisen und Granit bohrten. Sie pressten sich zusammengekauert an eine Wand und Malik spürte plötzlich, wie der zierliche Körper neben ihm zitterte. Instinktiv legte er einen Arm beschützend um Ryou, zog ihn an sich. "Ich hasse ihn", wimmerte das Weiße Kaninchen. "Er kommt jedesmal näher!" "Was ist das?", hauchte Malik. Er spürte seinen Puls in seinen Ohren dröhnen. Ihm hatten sich die feinen Nackenhärchen aufgestellt. Was immer es auch war, er bildete sich ein, sogar seinen gewaltigen Atem gespürt zu haben. "Der Jabberwocky", wimmerte Ryou. "Er ist Alice' Lakai. Mit seiner Hilfe hat sie das Wunderland zerstört und sie wird niemals aufhören." Schon allein der Name klang nach etwas furchtbar Ungeheurem. Malik strich über das seidige Fell, welches sich vor Schreck aufgestellt hatte und spürte das Zittern. Ryou schien Todesangst zu haben. Richtige Todesangst. Malik wurde wütend. Niemand. Niemand hatte das Recht, Ryou solche Angst einzujagen. Ryou, der immer für ihn da gewesen war. Ryou, der ihm bis zuletzt seine Liebe geschenkt hatte, bis Malik es nicht mehr zugelassen hatte, dass sie ihn erreichte. Ryou, der an ihm zerbrochen war. Eine ungeheure Schuld überrollte Malik plötzlich. Mit einem Mal wurde ihm klar, dass er mit seiner Sucht nicht nur sein eigenes Leben zerstört hatte und der Schmerz, den er darüber empfand ließ ihn sich furchtbar elend fühlen. Das Flügelschlagen entfernte sich. Es wurde stiller. In der Höhle war es so dunkel, dass man buchstäblich die Hand vor Augen nicht sehen konnte. Er spürte nur seinen eigenen Herzschlag und Ryous Zittern, welches langsam weniger wurde. Er schluckte trocken. Seine Kehle fühlte sich an, wie Sandpapier. Eine Weile verharrten sie so in der Dunkelheit. Dann erscholl plötzlich eine höhnische Stimme, die Malik zu Tode erschreckte: "Ich hab dich schon vermisst, Honey-Bunny" Der helle Aufschrei, der kurz danach ertönte, ließ darauf schließen, dass das Ryou gegolten hatte und Malik wollte neben sich greifen, doch er griff ins Leere. "Ryou?" Stille. "RYOU?" Er war allein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)