120 Ways of Deduction von _shinya ================================================================================ Kapitel 2: (05) Seeking Solace - Trost suchen --------------------------------------------- Etwas kürzer als üblich und mit zwei noch kürzeren Anmerkungen: Eigentlich bin ich strikt gegen die deutsche Sherlock Version in der sich grundsätzlich alles mit "Sie" anspricht, das der deutschen Sprache mächtig ist - auch ich hab' meine Ausnahmen und die offensichtlichste ist dabei Mrs. Hudson. Kein "du" für die Vermieterin von mir, würd ja auch nicht passen Und dann noch - STARKER Bezug auf "The Reichenbach Fall", ich würds nicht als Spoiler bezeichnen, aber angemerkt möcht ich das doch haben! ________________________________________ „Oh! Oh, John, wie konnte er nur?“ Zum wiederholten Male flüsterte sie diese Worte. Schockiert, fast wütend, aber auch mit einer Traurigkeit in der Stimme, die mir mit jedem Mal wieder vor Augen führte was passiert war. Die mich immer wieder vor meinem geistigen Auge miterleben ließ, wie es geschehen ist. Abwesend strich ich ihr über den Rücken, bemerkte wie sie sich für den Bruchteil einer Sekunde in meinen Armen entspannte. Tatsächlich schien sie sich langsam, sehr langsam, wieder etwas zu beruhigen. Es war ohnehin zu spät, es gab nichts mehr, das sie noch tun könnte. Das irgendjemand noch tun könnte. Meine Hand erneut beruhigend über ihren Rücken gleiten lassend, versuchte ich mich daran zu erinnern, wie sie vor Stunden völlig aufgelöst die Treppen nach oben gesprintet ist, vollkommen unüblich für die sonst so ruhige, schwer aus der Fassung zu bringende Vermieterin. Ich selbst stand in der Mitte des Raumes. Des Wohnzimmers, alles wie üblich. Alles. Nur eines fehlte. Einer. Du. Wie ich überhaupt nach Hause gekommen bin weiß ich nicht. Andererseits – war es das denn noch, ohne dich? Ein zu Hause? Doch dann drängte sich mir die nächste Frage auf, denn war es so auch noch ein Leben, ohne dich? Nun, die Welt würde wohl nicht so einfach beschließen stehen zu bleiben, nein mit Sicherheit nicht. Es würde Wochen dauern, vielleicht Monate oder Jahre bis das Gesicht – dein Gesicht -, bis der Name Sherlock Holmes aus dem Gedächtnis der Menschen und der Zeitungen gelöscht sein würde, doch keine dieser kleinen Welten würde stehen bleiben. Keine einzige, mit Ausnahme von einer. Habe ich Tränen vergossen? Vermutlich nicht, ich kann mich nicht mehr erinnern, doch ich habe das Gefühl auch jetzt noch nicht bereit zu sein, ihnen nachzugeben. Ich kann nicht, muss versuchen das schluchzende Nervenbündel in meinen Armen wieder auf die Beine zu bringen. Um mich selbst kann ich mich auch später noch kümmern. Ich war so verwirrt, meine Gedanken schienen frei durch den Raum zu schweben, mein Geist, meine Seele losgelöst von meinem Körper. Ich war nicht ich selbst, hörte die Schritte nicht, die eiligen, tappenden Schritte, die Tür, aufgerissen mit einer Wucht die ich der doch recht kleinen Vermieterin nie zugetraut hätte. All das habe ich nicht wahrgenommen, ich lebte nicht, existierte plötzlich nur noch. Und in allem war immer wieder nur die Frage „Warum?“ Irgendwann wusste ich nicht mehr, warum ich nach dem Warum fragte, doch ich hörte nicht auf. Mrs. Hudson kam auf mich zu, auch das bemerkte ich nicht. Erst als sie mich berührte, mich mit erstaunlicher Kraft – oder war ich so schwach? – zu ihr hinab zog und mich in eine Umjarmung nötigte fand ich zu mir zurück. Ich sah ihre Augen. Schreckgeweitet, rot von teils geweinten, teils unterdrückten Tränen. Sie konnte es nicht glauben. „Oh, John!“, rief sie nur. Ich wusste was sie sagen wollte, nickte nur, fühlte wie meine Knie schließlich nachgaben. Mit dem letzten Rest Kraft in mir zog ich mich selbst, mehr als ich ging, zum Sofa, die ältere Frau noch immer in meinen Armen. Aneinander festgeklammert saßen wir minutenlang, schweigend, verstehend. Wir wagten nicht zu sprechen, hatten Angst vor der Realität die ein Gespräch so bringen würde. Ich wollte nur fliehen, fliehen vor einer Welt ohne dir, von einem Leben ohne dir, auch nur einer Sekunde ohne dir. Warum? Mrs. Hudson – eine so starke Frau, eine Person mit einem Leben wie es nicht schnell ein zweites geben würde – sie zerbrach, sie weinte, zitterte. So stark und doch mit einem Mal so sehr am Boden. Doch hieß das nicht auch, dass ich zerbrechen durfte? Zerbrechen, weinen und zittern? Schreien und mich beklagen. Ich wollte das nicht, ich wollte doch nicht so enden, nicht ohne dich enden. So viele Wege hatte ich mir ausgemalt dich zu verlieren. Irgendwann würde es einen Verbrecher geben, der selbst dir die Stirn bieten könnte, der selbst dich in die Knie zwingen würde. Ich habe damit gerechnet, irgendwann würde es passieren, das war mir klar. Doch nicht jetzt! Nicht SO vor allem! Ich hatte noch deine letzten Worte im Ohr, sie schienen mich nicht verlassen zu wollen und zugleich musste ich sie vor mir selbst verschließen, um nicht dem Wahnsinn zu verfallen. Was hast du mit mir gemacht? Warum? Immer wieder nur, warum? Sie begann plötzlich zu reden, immer mehr, flüsterte, Fragen, so viele, unendlich viele Fragen! Ich konnte nichts antworten, konnte ihr nicht zuhören, strich beständig um ihre zitternden Schultern, den angespannten Rücken. Versuchte Trost zu vermitteln. Kann man denn etwas vermitteln, von dem man selbst nichts mehr besitzt? Du hattest mir so unendlich viel genommen mit deiner Tat. Trost wie Hoffnung, Freude und Ärger, es schien mir als hätte ich keine einzige Emotion mehr in mir. Doch am schlimmsten war, dass du dich mir selbst entzogen hattest. Ohne dich. Warum? Dir selbst zum Opfer gefallen, der Falle die dir gestellt war nicht entronnen und so der Weg der am abwegigsten und doch einfachsten schien in deinem genialen, verkorksten Gehirn? Nicht nur warum war jetzt in meinem Kopf. Auch „Wie?“. Wie sollte es weitergehen, ohne dich? Wie? „Ach John“, Mrs. Hudson wurde von einer erneuten Welle an Tränen ergriffen, doch ihre nächsten Worte erreichten mich plötzlich. „Sie beide, Sie und Sherlock, Sie hätten doch so glücklich werden können! So viel Zeit und erst die Blicke! Oh, John glauben Sie nicht, dass ich es nicht gesehen hätte wie Sie sich angesehen haben! Warum, John? Warum tut dieser dumme Junge so etwas?“ Wäre die Lage nicht so ernst gewesen, hätten sich Gefühle anstelle eines tiefen, dunklen, schwarzen Loches in meinem Inneren befunden – vielleicht hätte ich darüber lachen, zumindest lächeln können. Doch es bohrte sich ein Schmerz in meine Brust, wie ich ihn nur selten zuvor verspürt hatte. Sie hatte Recht, mit allem was sie sagte. Dass sie die Worte schluchzend, unter Tränen hervorbrachte verminderte ihre Wirkung in keiner Weise. „Ich weiß es nicht“, ein Flüstern, zu mehr bin ich nicht im Stande. Sie versteht, drückt mich nur noch mehr an sich. Stunden vergingen, langsam, eine nach der anderen. Stille unterbrochen von gelegentlichem Flüstern der Vermieterin, ich blieb stumm, wagte es nicht mehr zu sprechen. Doch irgendwie war etwas geschehen, das ich nicht für Möglich gehalten hatte – der Trost war wieder zurück. Ein Hauch seiner selbst doch kam es mir vor als würden wir ihn pflegen wie ein zerbrechliches Pflänzchen, zwischen uns pflanzen und versuchen ihm eine Chance zu geben. Es half nicht viel, es würde nicht lange anhalten, doch in diesem Moment wussten wir beide, dass wir diesen Spross hatten. Er war da und versuchte uns zu ermutigen. Gab uns die Sicherheit dass wir nur zusammenarbeiten mussten, um unsere Welten am stehenbleiben zu hindern. Um den Schmerz hinter und zu lassen, dir zu verzeihen, uns zu verzeihen. Mrs. Hudson strich mir sanft eine Träne von der Wange. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich ihnen nun doch erlegen war. Bei ihrem verständnisvollen, zugleich noch immer so traurigen, Blick wurde mir ein Stück wärmer. Ja, wir würden uns gegenseitig den Trost spenden, den wir brauchten. Den du mir genommen hattest, den ich schon verloren glaubte. Es würde dauern, es würde noch so lange wehtun, vielleicht niemals ganz verschwinden, dieser Schmerz, der so tief ging dass ich beinahe Angst hatte an den Grund zu gelangen. Und trotzdem würden wir uns aneinander klammern wie wir es jetzt taten, Mrs. Hudson und ich, in Gedanken bei dir und unser kleines Pflänzchen zwischen uns. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)