Live to Rise von KISHIRA_22 (Like the sun we will live and die) ================================================================================ Kapitel 4: "Sie starb durch meine Hände..." ------------------------------------------- "Sie starb durch meine Hände..." Silberne Fessel umschlossen die schmalen, wundenübersähten Handgelenke, brachen die uralte Magie, die so ungezügelt durch seine Venen floss, als wolle sie ihren Herrn von den Ketten befreien, die der blondhaarige Thronfolger ihm in seinem blinden, kindlich naiven Gehorsam angelegt hatte. In der Ferne rief jemand seinen Namen, wisperte ihn schmerzerfüllt. Blankes Entsetzen hallte in der einst so sanften, liebevollen Stimme wieder und ließ den schwarzhaarigen Jotunen erahnen, welch elendigen Anblick er doch abgeben mochte, wie ein Tier gefesselt, vorgeführt und in seinem Stolz unwiderruflich gekränkt. „Erkennst du nun, was ich bin, was ich…schon immer war?“ Zu leise flüsterte Loki das Eingeständnis an sich selbst, als dass auch nur eine einzige Silbe an die Ohren der Umstehenden hätte dringen können. Niemand sollte Zeuge seiner eigenen, demütigenden Schwäche werden. Sie sollten ihm gedenken, ihn fürchten, den bloßen Gedanken an seine Existenz zu hassen lernen, wenn dies nur die Schande bereinigen mochte, die ihm seine eigene, unheilvolle Geburt an jenem Tage beschert hatte. Zwergensilber geschmiedet in den finstersten Tiefen ewiger Dunkelheit klang melodisch zu jeder einzelnen seiner Bewegungen, mochten sie auch noch so leichtfüßig sein und schufen ihm seine eigene, höchst verheißungsvolle Nocturne der Schatten. „Mein Sohn…“ Frigga näherte sich viel zu schnell, gab dem verwundeten Magier nicht einmal den Hauch einer Chance sich gegen ihre sorgevolle Umarmung zur Wehr zu setzen. Loki blieb starr, rührte sich kaum einige Zentimeter in dieser übertrieben herzlichen Geste, spürte, dass Odins Gefährtin nun keinerlei Widerstand duldete. Er war sich der Blicke der anderen bewusst, war sich dem Argwohn bewusst, doch was sollte er schon tun, was konnte er ausrichten, wenn man ihn doch mit all dem Wissen gebannt hatte, welches ihnen seit Jahrtausenden zur Verfügung stand? Und dennoch…eine Woge des Glücks, der inneren Zufriedenheit durchströmte den jungen Prinzen, lockerte die zum Zerreißen gespannten Glieder. In ihren Armen hatte er niemals ein möglicher Thronfolger, ein stolzer Krieger Asgards und Gegenstück des mächtigen Donnergottes sein müssen. Bei ihr war er stets er selbst ohne die Maske der unumstößlichen Selbstbeherrschung, deren blendendes Täuschwerk er sich bereits recht früh zu Nutzen gemacht hatte. Wärme, Geborgenheit. Für den Bruchteil einer Sekunde schien die Zeit still zu stehen. Verleumdung, Schmerz, Trauer, Wut… All das existierte nicht, war ausgelöscht, nichtig. Doch dann fielen nachtschwarze Tropfen in den Schnee, wurden zahlreicher, verunstalteten die Reinheit Friggas, in der sie ihren über alles geliebten Sohn eingehüllt hatte. Ein weiterer Tropfen färbte das unschuldige Weiß. Worte, schmerzhaft wie eine falsch gespielte Tonleiter erzeugten Chaos, wirbelten den bedeckenden Schnee in seiner Seele letztlich auf, förderten das zu Tage, was Loki beinahe vergessen hatte. Anschuldigungen, Unterstellungen, auf skurrile Weise gepaart mit der schmerzlichen Wahrheit selbst. Lügen schienen sein Gehör zerfetzen zu wollen. Die angsteinflößende Allmacht Odins riss an seiner Gestalt, ließ ihn unmerklich erstarren. Dennoch stand er ungerührt vor ihm, verkörperte ganz und gar den stolzen Königssohn, der er schon immer war, der er immer sein wollte. „Rechtfertige den Krieg und das Chaos, welches du geschaffen hast!“ Schweigend blickte Loki auf, trotzdem dem drohenden Auge und der allesverzehrenden Präsens des Königs. „Nicht doch…“ Wieder blieb die Zeit stehen. Die Situation glich einen Einatmen, einem Kräftesammeln, bereit den alles entscheidenden Schlag vorzuführen. „DEIN Krieg und dein CHAOS, herbeigerufen in einem Moment der eigenen, selbstgefälligen Überheblichkeit waren es doch, die MICH schufen.“ Die letzte Bande riss. Er hatte sich losgesagt, hatte Asgard auf ewig den Rücken gekehrt. Er hatte…das letzte Mal in seinem Leben…widersprochen. Unkontrollierter Zorn, das leise Wimmern Friggas, die donnernde Stimme Thors, aufgebracht, wie Loki sie selten zuvor erlebt hatte. Blut, Schmerz, versengende Hitze, die sich in sein verwundetes Fleisch brannte. Donner grollte und Mjölnir sang bedrohlich laut. Zufrieden schloss Loki die Augen und wartete auf das selbstgewählte Ende eines peinvollen, unwürdigen Lebens… Starr vor Schreck erwachte der schwarzhaarige Jotune in einer, ihm vollkommen fremden Umgebung. Die Traumbilder verschwammen bereits wieder, wichen dem klaren, stets berechnenden Verstand Lokis, bis dieser sich seiner jetzigen Lage vollkommen bewusst war, sie deuten konnte und bereits eine wage Vorstellung davon besaß, was in den folgenden Augenblicken zu tun war. Mit lautem Geächz schwang die eiserne Tür auf, zweifelsohne mit der Kraft des blonden Hünen beschleunigt, dem Geduld und Vorsicht ganz und gar fremd zu sein schienen. Natürlich war Loki aufgrund der plötzlichen Zusammenkunft überrascht und dennoch hatte er ihn…erwartet… „Bruder…“ Augenblicklich verzog Loki das Gesicht zu einer angewiderten Fratze. Scheinbar hatte der Schwarzhaarige bereits wieder genug seines benebelten Verstandes beisammen, um sich der fehlerhaften Verwandtschaftsbezeichnung gegenüber äußerst skeptisch zu zeigen, doch dies sollte den sorgevollen Donnergott nun keineswegs verunsichern. Zu viel war geschehen, zu viele Wogen galt es zu glätten. „Ich nehme an du bist nicht hier, um mich zurück nach Asgard zu zerren?“ Beinahe ertappt senkte Thor nun den Blick, waren doch die vergangenen Stunden, vor allem aber die eigens begangenen Fehler nur allzu präsent. „Du bereust es also?“ Lokis Stimme klang ernst, gefasst, entzog sich jeglicher Wertung. „Wir beide haben Fehler begangen, die es zu bereinigen gilt, Bruder…“ Eine wage Beweisführung, die genau genommen die Schuld an ihrer jetzigen Lage auf sie beide übertragen sollte und doch gestand der blonde Donnergott mit diesen wenigen Worten jeden Fehler ein, den Loki ihm jemals zur Last gelegt hatte. „Und wie gedenkst du deine…erdrückende Schuld auszumerzen?“ Verunsichert suchte Thor nach den blassgrünen Augen seines Bruders, versuchte den Blickkontakt wieder herzustellen, den er einige Sekunden zuvor so feige unterbrochen hatte. „Ich…verstehe nicht.“, gestand er aufrichtig. Was bezweckte Loki nun mit diesem äußerst unerwarteten Schwachzug? Woller er ihn am Ende von der Richtigkeit, mehr noch, von der Dringlichkeit seiner Moralvorstellungen und Pläne überzeugen? „Oh, du verstehst sehr wohl `Bruder`.“, spottete Loki beinahe amüsiert über den hasenhaften Blick des mächtigen Donnergottes. „Wie, frage ich dich, gedenkst du deine Schuld auszumerzen?“ Jedes einzelne Wort, jegliche leichtsinnige Versprechung blieb dem Älteren im Halse stecken, noch bevor er die Gelegenheit hatte etwas zu erwidern. Abermals stand er seinem Bruder vollkommen machtlos gegenüber. „Was willst du…dass ich tue?“ Endlich, so glaubte Thor hatte er eine möglichst diplomatische Antwort gefunden, doch der stechende Blich des schwarzhaarigen Jotunen verriet ihm, dass er sich einmal mehr trügerischen Hoffnungen hingegeben hatte. Elegant erhob sich Loki nun unter den wachsamen Augen seines Bruders. „Fühle die Selbstzweifel, die du als Lieblingsspross Odins niemals erdulden musstest, fürchte die Erniedrigungen, die ich als Bruder des mächtigen Donnergottes Tag ein, Tag aus ertragen musste, doch vor allem…“ Wenige Schritte trennten die nordischen Götter voneinander, schienen das einzige zu sein, was einem erneuten Zusammenprall noch im Wege stand. „Vor allem wisse in den Tiefen deines verabscheuungswürdig gutmütigen Wesens, Thor Odinson, dass du…ganz allein in diesen neun Welten sein wirst…“ „Was meinst du damit?“ Plötzlich umklammerte eine düstere Vorahnung das Herz des blonden Hünen und legte sich wie ein Schatten auf das hoffnungsvolle Gemüt, ließ Thors Gesichtszüge beinahe sekundenschnell zu einer Maske der Pein und des Kummers erstarren. Er hatte ihn nach dem Sinn seiner Worte gefragt, doch in seinem Inneren hatte er die Bedeutung längst verstanden. „Ich habe sie getötet Bruder.“, hauchte der Schwarzhaarige, belächelte seinen hünenhaften Gegenüber, als er in den blauen Augen erkannte, dass Thor zu verstehen begann. „Ich habe sie an den schönen, kastanienbraunen Haaren hinter mir hergezogen, habe ihre zierlichen Fingerknochen mit beinahe spielender Leichtigkeit gebrochen, einen nach dem anderen, bevor ich die feingeschnittene Klinge meines Dolches über die makellos ebene Haut streichen ließ und ihr mit feinen roten Linien auf den Körper zeichnete, was ihr Wesen treffender beschreibt, als du liebeskranker Narr es jemals hättest tun können.“ Loki hielt inne und Thor musste alles an Selbstbeherrschung aufbringen, was er in all den Jahrhunderten seines ewigen Lebens hatte sammeln können, um seinen Bruder nicht zu packen und ihm diese garstigen Lügen aus dem leibe zu schütteln. Er konnte ihm nicht glauben. Er wollte es nicht. Mit flehendem Blick folgte er den lautlosen Schritten Lokis , bat ihn diesen unmenschlichen Wahnsinn zu beenden, selbst, wenn der Ältere es mit keiner einzigen Silbe laut aussprach. „Nun Bruder, du siehst so aus, als könnest du diese angespannte Situation kaum noch ertragen.“ Plötzlich klang sie so versöhnlich, die silberne Stimme, die Lügen ebenso leicht zu formulieren wusste, wie die reinste Wahrheit selbst. „Ich will dich erlösen `Bruder`…“ Loki hatte innegehalten, war vor dem zimmerhohen Fenster stehen geblieben und blickte milde lächelnd zu dem blondhaarigen Thronfolger. Thor hingegen verkrampfte sich merklich. „Loki…“, flüsterte er mahnend. „Ich verrate dir das Wort, welches ich mit blutigen Runen in ihr helles Fleisch trieb `Bruder`.“ „Schweig still!“, donnerte Thor aufgebracht, doch es war bereits zu spät. Loki hatte seine Wahl längst getroffen. „Das Wort…es lautete…Hure…“ Noch ehe Thor sich versah hatte der schmerzhafte Nachhall in seinem Geiste jegliche Reglosigkeit gesprengt und den hünenhaften leib des Donnergottes ohne sein Zutun in Bewegung gesetzt. „SEI STILL!“ Als der Ältere nun wieder zu Sinnen kam, stand er bereits vor seinem Bruder. Keine halbe Handlänge trennte sie mehr. Lokis Augen schienen starr vor Schreck, blickten ihm fassungslos entgegen. Ein gefrierendes, markerschütterndes Knirschen drang durch die gespannte Atmosphäre. Feine Risse zogen sich durch allzu feste Materie. Ein weiteres Knirschen durchschnitt die Stille, ähnlich dem Singsang des starrgefrorenen Eises ehe es nachgab. Den rechten Unterarm gegen Lokis Kehle gedrängt stand Thor da, hielt den schwarzhaarigen Jotunen mit der linken Hand an der Schulter und drängte den schmalen Leib unaufhörlich gegen das reißende Glas des Zimmerhohen Fensters. „DU LÜGST!“, donnerte der Kronprinz Asgards aufgebracht. „Ist dem so?“ Lokis Stimme hingegen klang ruhig. Zweifelsohne hatte der junge Magier sich wieder gefasst und hielt weiterhin an seinem ursprünglichen Vorhaben fest. „DU…LÜGST…“ Thor war außer sich, spürte nie zuvor empfundener Groll gegen seinen einmaligen Bruder. Ein weiterer Riss schlängelte sich durch das dicke Glas. „Akzeptiere die unvermeidliche Wahrheit Thor!“, befahl Loki noch immer ruhig, jedoch mit einem schneidenden Unterton in der silbernen Stimme. „NEIN!“ Der Druck auf Lokis Hals wurde fester. Das Glas in seinem Rücken ächzte bedrohlich. Reflexartig griff der junge Magier nach dem Arm, der ihn zurückdrängte, versuchte Halt in der glatten Panzerung zu finden, die ihm die Luft zum atmen nahm. „Sie starb durch meine Hände…“, spottete er mit einem, von Wahnsinn kündenden Lächeln. „LÜGE…“ Drei neue, silberne Fäden wanden sich durch das Glas der Fensterscheibe. Kurz gestattete sich der Schwarzhaarige einen prüfenden Seitenblick. Das Glas würde bersten. Es war nur noch eine Frage der Zeit. Es gab keinen Stoff in dieser Welt, kein Material, welches dem Wüten des nordischen Donnergottes standhalten konnte. „Wenn du mir nicht glaubst…“, begann Loki erstickt, bevor er den Blick wieder zu den unverschämt blauen Augen seines Gegenübers wandte. Wut sprach aus ihnen, nicht enden wollender Zorn, gepaart mit tiefsitzender, alles überschattender Trauer. „…dann sieh her!“ Die rechte Hand des gefallenen Prinzen ließ von der Rüstung Thors ab, verschwand unter dem Leder und zog schlussendlich etwas hervor, was jeglichen Zweifel ausradierte. Es war das ihre, Thor erkannte es. Dieses kleine Ding war jenes, welches er ihr selbst einst zurückgebracht hatte. Janes Notizbuch. Thors Gemüt flammte augenblicklich auf und der Druck auf Lokis Hals ließ den Jüngeren aufkeuchen. Kurz schloss er die Augen, denn der situationsbedingte Luftmangel forderte seinen Tribut. Eine unumgängliche Ohnmacht zerrte an seinem Verstand, griff nach ihm, wie finstere Klauen, die zu ersticken versuchten. Das Glas sprang. Risse breiteten sich strahlenförmig aus. Bald würden sie die Ecken erreichen und den letzten Zusammenhalt zerreißen. Bald würde die dichte Schreibe auseinandersplittern. „SAG…sag, dass das nicht wahr ist!“ Thor flehte ihn an, bat nun inständig um die eine Lüge, die er willkommen heißen konnte. „Du hast noch keine Zeit gefunden dich des Wohlergehens dieses dümmlichen Frauenzimmers zu versichern, nicht wahr?“, hauchte Loki, öffnete die blassgrünen Augen, um keinerlei Zweifel an seinen Worten aufkommen zu lassen. Ein letztes, ersticktes Keuchen, Glas splitterte, barst unter dem enormen Druck des nordischen Gottes und das Tagebuch der dunkelhaarigen Geliebten…es fiel… ----------------------------------------------- Ein großes Dankeschön an alle Menschen, die meine FF lesen. Ihr gebt mir den Mut über mich hinaus zu wachsen =) Glg, Kishi Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)