Fuchsregen von woaini ================================================================================ Kapitel 1: 1 ------------ Fuchsregen Direkt vor meinem Dorf ist ein großer, dunkler Berg. Egal zu welcher Jahreszeit, er ist immer dunkel und irgendwie unheimlich. Die Bäume sind immer schwarz und flüstern furchterregend. Die Leute aus dem Dorf meiden den Berg, sagen, dass es dort spukt, sagen, dass man verflucht wird, sollte man auch nur einen Fuß in den dichten Wald setzten. Mit Geschichten von Geistern ängstigen Mütter ihre ungehorsamen Kinder. Irgendwo, weit, weit oben in Wald, soll es mal einen Tempel gegeben haben, dort wurde für reiche Ernte gebetet. Die Familie die dort oben gelebt haben soll, soll dem Fluch nach und nach erlegen sein. Niemand weiß es genau. Ob die Familie wirklich schon gestorben ist, oder ob sie noch lebt und weiterhin für unser Wohlbefinden betet. Zu gerne würde ich mich davon überzeugen, ob es noch Überlebende gibt. Ob es wirklich einen Fluch gibt. Ich kann mir nicht helfen, immer wenn ich in den dunklen Wald starre, meine ich einen einsamen Jungen wie mich zu sehen, der alleine durch den Wald streift auf der Suche nach jemandem zum Reden. Seufzend schüttele ich den Kopf, schultere mein gesammeltes Feuerholz und kehre ins Dorf zurück. Momentan lebe ich bei einer Witwe, deren Kinder vor zwei Jahren gestorben sind. Ihr Mann ging vor vielen Jahren auf den Berg, er suchte nach einem Schatz, der angeblich dort vergraben sein sollte von den Leuten des Tempels. Natürlich kam der Mann niemals zurück. Die Söhne folgten dem Vater, aber fanden auch ihren Tod. Die Witwe ist nicht besonders nett zu mir. Sie kann mich nicht leiden, vermutlich, weil sie mich seit ein paar Jahren an der Backe hat. Vor Jahren hatte ich einen Unfall bei dem ich mein Gedächtnis verloren habe. Ich kam aus dem Wald gestolpert, verletzt, ohne eine Erinnerung außer meinem Namen. Naruto. Seitdem lebe ich in diesem Dorf und will eigentlich nur weg. Ich will wissen wer ich bin. Aber dafür müsste ich auf den Berg. Ein bisschen Angst habe ich vor ihm, weil er so schwarz und unheimlich ist, er schreit direkt: Betrete mich nicht! „Wo warst du dummer Junge? Mir ist kalt, mach ein Feuer an!“, begrüßt mich die Witwe und hustet gequält in ihren Schal. „Geh du doch demnächst Feuerholz suchen ohne diesen Wald zu betreten!“, gifte ich zurück und mache mich daran ein schönes Feuer anzuzünden. Wir schweigen uns an. So wie wir es immer tun. Ich versuche mich zu erinnern. Doch da ist nur Dunkelheit. Ich lege mich schlafen. Habe wirre Träume. Ich werde gerufen, von einer Männerstimme, ‚Komm, komm in den Wald, hier beantworte ich dir deine Fragen!‘, flüstert sie mir zu. Meine Beine bewegen sich. Schon bald stehe ich im Wald und laufe wie in Trance durchs Gehölz. Ein kleines Licht leuchtet mir den Weg, flüstert mir immer mehr zu. Träume ich? Irgendwann bleibe ich stehen. Das Licht verschwindet. Wo ist es hin? Wo bin ich? Die Müdigkeit überfällt mich, ehe ich auch nur weiter denken kann, sinke ich in einen tiefen Schlaf. In meinen Träumen sehe ich bunte Lichter, die um mich herum tanzen. Ich stehe nur starr da, sehe den Klecksen zu. Es ist wunderschön. Ich habe das Gefühl, dass ich nicht allein bin. Die Müdigkeit weicht langsam aus meinen Knochen. Quälend langsam öffne ich meine Augen. Ich liege auf einer kleinen Lichtung im Wald. Die Sonne strahlt auf mich hinab. Verwirrt sehe ich mich um. Ich bin in den dunklen Wald gegangen. Ich bin geschlafwandelt. Ich muss verrückt sein! Wie komme ich zurück ins Dorf? „Da vorne gehst du rechts!“, ertönt plötzlich die Männerstimme aus meinen Träumen hinter mir. Ich drehe mich so schwungvoll um, dass ich hinfalle und starre den Jungen keuchend an. Er sieht aus wie ein Schatten. Ich, der ich auf der lichtbescheinten Lichtung sitze und er, der im schattigen, dunklen Wald steht. Er ist etwas größer als ich, trägt einen dunkelblauen Kimono, sehr heller Teint, etwas feminines Gesicht und rabenschwarze Haare. Besonders seine Augen ziehen mich an. In ihnen sehe ich Einsamkeit und Trauer, aber auch etwas Warmes. „Bin ich im verbotenen Wald?“, frage ich leise und stehe auf, wische mir den Schmutz von den Händen. Ein schiefes Lächeln huscht ihm über das Gesicht. „Hast du Angst?“, erwidert er leise und dreht sich um, geht in den tiefen, dunklen Wald hinein. Ehe mein Gehirn weiter nachdenkt, rufe ich schon „Nein!“ und stolpere ihm hinterher. Wir reden nicht. Er geht gemächlich vor, wann immer ich zu ihm aufschließen will, scheint sich der Abstand zwischen uns nur zu vergrößern. Er scheint sich genau auszukennen. Mit ihm zusammen sieht der dunkle Wald auch nicht mehr so schrecklich aus. „Warum folgst du mir?“, beginnt er schließlich und wirft einen Blick über die Schulter. Ich laufe rot an, räuspere mich nervös. „Ich hab keine Ahnung…“, gestehe ich und laufe schneller. Ich will ihn auf keinen Fall verlieren. „Wo gehst du überhaupt hin?“ Ich erhalte keine Antwort. „Wie heißt du eigentlich?“ Der fremde Junge bleibt urplötzlich stehen. Wie in Zeitlupe dreht er sich um. Die Geräusche um uns herum verstummen. Ich spüre mein Herz plötzlich wild schlagen. Es ist, als hätte ich ein Deja vu. „Sasuke! Du heißt Sasuke!“, flüstere ich zu mir selbst und bin sogleich erschrocken. Woher wusste ich das? Der Junge sieht mich ein wenig traurig an. „Geh nach Hause, Naruto…“, murmelt er, ehe er wieder in den Wald geht. Ich blinzele überrascht. Ich will nicht gehen. Dieser Junge, Sasuke, zieht mich magisch an. Er scheint alles zu wissen. Meine Beine tragen mich zu dem Schwarzhaarigen. „Ich hab mein Gedächtnis verloren!“, sage ich gehetzt und blockiere den weiteren Weg des Schwarzhaarigen. Dieser lächelt erneut traurig. „Ich weiß!“ Ich werde wütend. „Dann sag mir, wer ich bin! Du weißt es doch, oder?“, ich will den Schwarzhaarigen am Kragen packen und schütteln, aber ich greife nur durch den Jungen hindurch. „Geh… Es ist besser, wenn du es vergisst…“, erklingt die Stimme erneut und ich bekomme Panik. „D-du bist ein Geist?“ Ich betrachte den Jungen genauer. Ist er wirklich schon tot? Warum wird mir bei dem Anblick Sasukes dann so warm ums Herz? Ich brauche eine Antwort. Mein Kopf tut zwar weh, als wenn er mich vor etwas abhalten wolle, aber mein Herz lässt meine Beine dem anderen Folgen. „Warte! Ich brauche eine Antwort!“ Der Wald wird immer lichter. Das Licht nimmt trotzdem immer mehr ab. Ich glaube diese Umgebung zu kennen. Ich war schon einmal hier! Das Bauchgefühl nimmt zu. Ich bin ganz nah. Hier bin ich dem Jungen begegnet. Hier lebte ich mit Sasuke zusammen. Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Irgendwas an diesem Ort macht mir Angst. „Was ist hier geschehen...?“ Der Geist seufzt schwer. „Geh, Naruto… Bitte geh…“ Trotzig stampfe ich auf. „Nein, verdammt noch einmal! Ich hab ein Recht zu erfahren was passiert ist! Ich hab so viele Fragen! Dieser Ort, er kommt mir so bekannt vor! Ich hab hier gelebt, mit dir! Wir kennen uns! Also sag mir, warum du ein Geist bist!“ Der Schwarzhaarige schüttelt traurig den Kopf. Ich werde wütend. „Bedeute ich dir denn rein gar nichts?“, kreische ich hysterisch und werfe mit Stöcken und Steinen nach dem Geist. Sasuke taucht urplötzlich hinter mir auf, streicht mir zärtlich über den Kopf. „Was glaubst du, wer dir die Erinnerungen genommen hat? Es ist besser, wenn du dich nicht erinnerst, glaube mir… Ich kann es ertragen ein Geist zu sein…“ Mit noch mehr Herzschmerz sehe ich den anderen an. „Ich will mich aber erinnern!“ Wieder verschwindet der Geist und taucht an einem ganz anderen Ort auf. Wortlos setzt er seinen Weg fort. Aufgewühlt folge ich ihm, finde mich alsbald vor einem verfallenen Tempel wieder. Ich bin hier gewesen. Hier hatte ich gelebt. Vor meinem Auge sehe ich vier Menschen in dunklen Kimonos, die mit mir lachen, sich mit mir streiten oder die ihre tägliche Arbeit verrichten. Ich sehe Sasuke. Wie er den Gang hinunter geht, jenen, der nun von Gras überwuchert ist. Ich sehe Sasuke, wie er im Garten Blumen auf das Grab seiner Eltern legt. Wann sind sie gestorben? Ich sehe Itachi, Sasukes großen Bruder. Mein Kopf schmerzt höllisch. Meine Erinnerungen kehren zurück, aber nicht alle. Es ist so, als würden alle alten Erinnerungen wie Heuschrecken über mich herfallen, aber alle neueren, jene, die ich kurz vor meinem Gedächtnisverlust hatte, sind immer noch hinter einem milchigen Schleier. „Was soll das?“, erschöpft lasse ich mich ins Gras fallen. „Was ist hier geschehen?“ Warum ist der Tempel verlassen? Warum sieht es so aus, als würde hier seit Jahren niemand mehr wohnen? Was ist passiert? Warum ist Sasuke ein Geist? Meine Atmung beschleunigt sich. Wann ist Sasuke gestorben? Keuchend stehe ich auf, taumele ins Haus, suche nach Hinweisen. Gerade, als ich ins Wohnzimmer eintreten will, taucht der Schwarzhaarige wieder auf. „Du solltest da nicht rein gehen. Du willst das nicht…“ Ich spüre, wie mein Herz in die Hose sackt. Irgendwas hinter der Tür macht mir Angst. Ich spüre, dass ich anfange zu weinen. „Sasuke, bitte, ich muss es wissen…“ Der Geist schüttelt erneut traurig den Kopf. „Dann lebe wohl…“, mit diesen Satz verschwindet er wieder, doch ich spüre, dass es ein Abschied für immer ist. Wieder spüre ich einen Stich in meinem Herzen. Trotzdem öffne ich wild entschlossen die Tür. Entsetzt sehe ich mich um. Blut, überall an den Wänden, dem Fußboden, klebt der rote Saft. Zwischen Schutt und kaputten Möbeln sehe ich einen Leichnam, indem ein großes Schwert steckt. Schluckend sehe ich zu dem nächsten Leichnam. Ein Skelett in einem dunkelblauen Kimono liegt auf dem Boden. Schwerfällig lasse ich mich neben das Skelett auf den Boden fallen. „Sasuke…“, die erste Träne suchen sich ihren Weg. Und plötzlich erinnere ich mich. Als Kind bin ich verstoßen worden. Das Dorf in dem ich lebte, jagte mich schließlich fort. Tagelang lief ich kleiner Mensch umher, bis ich schließlich den düsteren Wald erreichte. Mühsam hatte ich mich in den Wald geschleppt, in der Hoffnung hier etwas Essbares zu finden. Irgendwann hatten meine Kräfte mich verlassen und ich war zusammengebrochen. Als ich meine Augen öffnete, sah ich einen schwarzhaarigen Jungen in meinem Alter, der mir ein Reisbällchen vor die Nase hielt. Sasuke. Ich wurde zu diesem Tempel gebracht. Ich lernte Sasukes Eltern kennen, seinen großen Bruder Itachi. Ich lebte bei der kleinen Familie. Wuchs zusammen mit Sasuke auf. Schließlich verliebte ich mich sogar in meinen Freund. Als es mir bewusst geworden war, hatte ich versucht es zu verleugnen. Ich unterdrückte meine Liebe. Eines Tages geschah ein Unglück. Sasuke und ich waren im Wald Holzhacken gewesen, als wir am Abend zurückkehrten und Sasukes Eltern tot auffanden. Itachi erzählte uns, dass sie krank gewesen sein. Dass sie an der Krankheit gestorben waren. Traurig wurden die Gräber ausgehoben. Itachi kommandierte uns viel herum, ließ uns doppelt so hart arbeiten. Sasuke lächelte immer weniger. Er schien auch kränklicher zu werden. Oft übergab er sich oder klagte über Magenschmerzen. Ich wollte meinem Freund helfen, lief in den Wald um Heilpflanzen zu suchen. Als ich zurückkam, hörte ich einen Streit. Im Wohnzimmer tobte Itachi, schrie seinen Bruder an. ‚Ich jage ihn fort von hier!‘ ‚Wir brauchen ihn nicht!‘ ‚Er ist ein Eindringling!‘ Sasuke schrie genauso laut zurück. ‚Naruto bleibt hier!‘ ‚Naruto ist mein Freund! Wenn er geht, gehe ich auch!‘ ‚Du hast mir nichts zu sagen! Denkst du, ich weiß nicht, dass du Vater und Mutter umgebracht hast? Du willst doch, dass dieser Tempel unser Grab wird!‘ Der Streit eskalierte. Ich hörte, wie Itachi Sasuke verprügelte. Wie Sasuke mit den Möbeln um sich warf. Und urplötzlich hörte ich gar nichts mehr. Panisch riss ich die Tür auf, sah noch, wie Sasuke wie leblos an der Wand hinunter rutschte, während Itachi ihn kalt anlächelte. Dann ging der Herr des Hauses auf mich los. Ich hatte Angst, bekam Panik. Irgendwann, ich wusste gar nicht mehr wie, bekam ich etwas Scharfes zu fassen: Das Schwert von Sasukes Vater. Gerade, als Itachi mir mit einem Brett erschlagen wollte, stieß ich zu und versenkte die Klinge bis zum Griff in den Körper vor mir. Doch es war nicht Itachi, sondern Sasuke, der da vor mir stand. In seiner Hand befand sich ein kleines Küchenmesser, welches er seinem Bruder in den Hals gestochen hatte. Röchelnd sackte der große Bruder in sich zusammen, zuckte, doch das war nicht mehr wichtig. Der Schwarzhaarige lief ein paar Schritte. Sein Blut tropfte laut auf den Boden. Ich saß immer noch wie versteinert auf dem Fußboden. Erst als Sasuke blutspuckend zusammenbrach, erwachte ich. Laut aufheulend eilte ich zu meinem Sasuke, hielt ihn in meinen Armen, entschuldigte mich tausendmal. Sasuke zog die Klinge aus seinem Rumpf. „Bring es zu Ende, Naruto…“, hatte er mich traurig gebeten und nur ein Nicken geerntet. Itachi lebte noch, als ich mich über ihm befand. Mit tränenverschleiertem Gesicht stand ich vor ihm, das Schwert genau über dem Körper des Verletzten. „Warum?“, hatte ich gehaucht. „Weil er nur mit gehört!“, wurde mir geantwortet, danach stach ich erneut zu. Sasuke lag schwer blutend da. Die Augen zur Decke gerichtet. „Naruto…“ Ich lief wie in Trance zu ihm. Nahm ihn erneut in den Arm. Weinte. Warum war das passiert? „Ich liebe dich…“, schluchzte ich leise und schmiegte mich an den Schwarzhaarigen. Wieder lächelte der Schwarzhaarige traurig. „Das weiß ich…“ Mein Weinen wurde kräftiger. Der Körper meines Freundes wurde immer kälter. „Ich will das nicht! Ich will dich nicht verlieren!“ Ich spürte die Hand des Schwarzhaarigen in meinen Haaren. Spürte, wie ich sanft gestreichelt wurde. „Dann vergiss mich…“ Ich komme wieder zu mir. Wische mir die Tränen von der Wange. Es ist also wirklich geschehen. Hier, an diesem Ort habe ich ihn verloren. Und weil er seine ganze Willenskraft aufgebraucht hat, um meine Erinnerungen zu löschen, ist er ein Geist geworden, der immer zu in diesem Wald umher spukt. Er kann nicht ins Jenseits. Und trotzdem ist er jetzt fort. Weil ich mich erinnern musste. „Es tut mir so leid, Sasuke!“, schluchze ich erneut, nehme das Skelett in den Arm, obwohl es auseinanderfällt. Nach einer Ewigkeit sehe ich hinaus. Es scheint die Sonne über dem düsteren Wald, der nicht mehr düster aussieht, nicht von hier. Obwohl die Sonne mich trösten will, ihn, mich, der in diesem Wald alles verloren hat, was ich jemals geliebt habe, regnet es. Der Regen wischt meine Tränen hinfort. Es ist wunderschön und traurig zugleich. 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