Die Bank am Fluss von Eldeen (Die letzten Sommertage) ================================================================================ Kapitel 2: Versammlung ---------------------- Der nächste Tag war deutlich kühler, windiger, aber immer noch schön. Der Herbst schien sich zwar ein wenig anzukündigen, aber die Sonne hatte den Kampf gegen die Wolken gewonnen und auch wenn der Wind verhinderte, dass es wärmer als zwanzig Grad wurde, konnte man den Tag wohl getrost dem Spätsommer zuordnen. Vereinzelt waren zwar einige Blätter von den Pappeln gefallen und eines davon lag auch auf der Bank, die mit Blick auf den Fluss im Schatten der Bäume lag. Auf besagter Bank wartete ein alter Mann mit einem Sauerstoffkonzentrator. Er war in eine doch eher dicke Jacke gehüllt, im Alter fühlte sich schließlich alles deutlich kälter an, sodass sich keiner der Passanten darüber wunderte. Nach einer Weile näherte sich ein Junge der Bank. Sein Gepäck bestand aus einer kleinen Tasche, die einzig und allein Platz für seinen Tablet-Computer und einen Hausschlüssel bot und im Gegensatz zum Rentner trug er statt einer Jacke nur ein T-Shirt. Ein Blick auf die Montblanc-Uhr des alten Mannes offenbarte, dass der Junge auf die Minute pünktlich war. Von außen betrachtet sah es fast so aus, als ob ein Großvater mit seinem Enkel am vorletzten Ferientag einen Ausflug zum Fluss gemacht hatte. Dieses Bild wurde allerdings zerstört, als schließlich ein in Leder gekleideter Mann mit langen Haaren, einem Vollbart und einer Zigarette im Mundwinkel auftauchte und zielstrebig auf die Bank zusteuerte, auf der das Kind und der alte Mann saßen. Wie genau die drei nun zusammengehörten, war wohl kaum zu erraten und tatsächlich sahen mehrere Radfahrer und Jogger die kleine Gruppe interessiert an, kamen aber zu dem Schluss, dass es sich um ein zufälliges Aufeinandertreffen handeln musste. Und da es offensichtlich keinen Streit gab, hielt keiner der Passanten an, um nachzufragen. Kluger hatte sich auf der Bank zurückgelehnt und tat es einer Elster gleich, die unbemerkt in einer der Pappeln saß und beobachtete, wie der Rocker-Arnd versuchte, dem jungen Arnd zu erklären, was eine energische Körperhaltung war. Was bei dem Rocker wie eine lässige, aber dennoch bedrohliche Gestik aussah, wirkte bei dem Jungen schlichtweg aufgesetzt und irgendwie lächerlich. Das musste auch Arnd einsehen, der ahnte, dass Kluger ihm das Geld nur dann geben würde, wenn er sich tatsächlich Mühe damit gab, dem jungen Arnd zumindest den Anflug von Selbstvertrauen einzuflößen. „Wenn die Haltung nicht klappt, versuchen wir es eben verbal“, schlug der kleine Arnd schließlich vor, während er sich neben Kluger auf die Bank sinken ließ. „Ich war in einer Argumentations-AG und habe dort an diversen Wettbewerben mit durchaus nennenswertem Erfolg teilgenommen.“ „Wenn du so redest, nimmt dich sowieso keiner ernst“, entgegnete der mittlerweile reichlich frustrierte und noch immer eher unfreiwillige Lehrer, wobei er – noch während er die Worte aussprach – bemerkte, dass es sich hierbei tatsächlich um eine Art Lösung handeln konnte. „Vielen Dank auch“, erwiderte der Junge, dem das nicht aufgefallen war, patzig. „Es tangiert mich peripher, ob das intellektuelle Niveau meiner Mitmenschen nun ausreichend ist, um mit meiner sprachlichen Leistung mithalten zu können.“ „Du kannst ja auf einmal doch den Mund aufmachen“, stellte Rocker-Arnd trocken fest, denn obwohl er nur die Hälfte der Äußerung verstanden hatte, war es nur allzu offensichtlich gewesen, dass es zumindest eine Art von Beleidigung gewesen sein musste. Amüsiert beobachtete Kluger die Szene. Dass aus dem jungen Arnd sicher etwas werden würde, war offensichtlich und Kluger war nicht der einzige, der davon überzeugt war, denn auch wenn Arnd das nicht wahrnahm, waren zumindest seine Lehrer begeistert von seinen Leistungen. Was dem Jungen fehlte, waren Selbstvertrauen, soziale Kompetenz und – wie der Rocker wundersamerweise festgestellt hatte – ein klarer, verständlicher Satzbau. Den restlichen Nachmittag verbrachten die beiden Arnds damit, über Fremdwörter im Wortschatz des Jungen zu diskutieren und während das Ganze eher an eine Unterrichtsstunde für den in Leder gekleideten Arnd aussah, bemerkte Kluger schmunzelnd, dass der junge Arnd sich zumindest anstrengte, um nicht gehoben, sondern möglichst einfach zu reden. Während der Rocker das Gespräch fast schon amüsant fand, war es in den Augen des Jungen fast schon etwas frustrierend und beide waren so in ihre Diskussion vertieft, dass keiner von beiden bemerkte, dass Kluger derweil eingeschlafen war. Erst das leise Schnarchen, das dem pensionierten Firmenboss nach etwa einer Stunde entwich, machte die beiden anderen darauf aufmerksam. „Wir müssen ihn wecken, ansonsten bekommt er einen grippalen Infekt!“ Nach einer kurzen Pause korrigierte der Junge seine eigene Äußerung. „Eine Erkältung.“ „Na bitte, geht doch.“ „Das ist nicht lustig“, erwiderte er und während der Arnd mit Geldproblemen sichtlich amüsiert wirkte, warf ihm sein jüngerer Namensgenosse einen düsteren Blick zu. „Ich weiß nicht, was mir das hier bringen soll! Ich werde meine Eltern sowieso nicht davon überzeugen können.“ „Wenn du es ihnen in diesem Tonfall sagst, hören sie wenigstens zu“, bemerkte der Rocker, während er sich eine weitere Zigarette ansteckte. „Und heute ist erst Freitag, das Internat fängt doch vor Montag nicht an.“ „Ein Internat kann nicht anfangen. Höchstens der dort stattfindende Unterricht“, murrte Arnd und wandte sich demonstrativ Kluger zu, um den alten Mann vorsichtig zu schütteln. „Sie sind eingeschlafen.“ „Tatsächlich?“ Dass der Renter verwirrt war, sah man ihm deutlich an und keiner der beiden Arnds wusste, wie man mit ihm umzugehen hatte, aber nach ein paar Minuten fand Kluger schließlich doch zu seiner Normalform zurück. „Verzeihung“, bemerkte er schließlich und strich sich über das Gesicht, während er noch immer etwas orientierungslos wirkte – und das auch war. „Wir sollten das morgen fortsetzen. Gleiche Uhrzeit.“ Die beiden Arnds tauschten einen besorgten Blick. Der Junge machte sich tatsächlich etwas Sorgen um den alten Mann, der Rocker fürchtete eher um sein Geld. Mit etwas Hilfe gelang es Kluger, von der Bank aufzustehen und nachdem ihm der erwachsene Arnd den Sauerstoffkonzentrator über den Bordstein gewuchtet hatte, verschwand er langsam. Kluger selbst war wütend darüber, dass er die Bemühungen der beiden Arnds verschlafen hatte und bemerkte nicht, dass beide ihm hinterher sahen. Nicht einmal Kluger und schon gar nicht die anderen beiden ahnten jedoch, dass dies erst der Anfang war. Das Wetter des Samstages war schlecht. Der Wind schien sich mit den Wolken gegen die Sonne verbündet zu haben, denn zielsicher hatte er einen dichten, hellgrauen Schleier vor die wärmenden Strahlen gelegt. Am Vormittag hatte es bereits kurz geregnet, aber zumindest die Regenwolken hatten sich der letzten, sommerlichen Kraft der Sonne beugen müssen, sodass es nun zwar immer noch kühl, aber immerhin trocken war. Es war einer jener Tage, die Kluger aus Angst vor Regen im Normalfall in seinem bequemen Ohrensessel verbrachte, begleitet von einem guten Buch und einem Scotch. Heute quälte er sich allerdings nach draußen in den schneidenden Wind und auf dem Weg von seinem Auto zu der Bank murmelte er unbewusst vor sich, beschimpfte das Wetter. Früher, ja, da hatte es noch richtige Sommer gegeben! Eine Frau mit einem kleinen Kind machte einen großen Bogen um den merkwürdigen Rentner mit dem Sauerstoffkonzentrator, der mit sich selbst sprach – so etwas musste ihr Kind schließlich nicht mitbekommen! Der Kleine würde in seinem Leben allerdings noch genug mit alten, dementen Leuten zu tun haben, immerhin würde es kaum mehr als zwanzig Jahre dauern, bis seine Mutter selbst diese Krankheit haben würde. An der Bank angekommen blieb der Rentner stehen, denn ein Junge ohne Gepäck und mit einer Herbstjacke saß bereits dort und winkte ihm zu. Der junge Arnd war schon seit zehn Minuten da, er wollte es schließlich hinter sich bringen – mit seinen Eltern hatte er derweil noch immer nicht über das Internat geredet. Er wusste nicht, wie er das anstellen sollte, er traute sich nicht. Unmittelbar nach Kluger tauchte auch der Rocker auf und das sogar mit einem Anflug von Motivation – wenn er sich heute ein wenig bemühen würde, würde ihm der verrückte, alte Mann sicherlich sein Geld geben und all seine Probleme wären gelöst. Kluger fühlte sich auch an diesem Tag müde, versuchte aber das zu überspielen, wobei es zumindest dem jungen Arnd dennoch auffiel. Der andere machte sich darüber gar nicht erst Gedanken. „Also, hast du schon mit deinen Eltern geredet, Kleiner?“, fragte der Rocker, während er sich eine Zigarette anzündete und sie wie üblich in seinem Mundwinkel platzierte. „Nein“, brachte der andere hervor, während Kluger sich darauf konzentrierte, nicht erneut wegzunicken. „Ich wusste nicht, wie.“ „Großartig“, murrte der Rocker. „Stell dir vor, ich bin deine Mutter.“ „Die Ähnlichkeit ist nicht sehr groß“, bemerkte der Junge mit einem verlegenen Lächeln. Ein genervtes Stöhnen entwich dem Rocker, wobei ihm fast die Zigarette aus dem Mundwinkel gefallen wäre. Kluger hingegen bekam das schon nicht mehr mit, denn er war auf seiner Bank eingeschlafen. „Also gut“, stöhnte der Junge schließlich und ließ sich widerwillig und ohne sich viel davon zu versprechen auf das Experiment ein. Der Rocker konnte kaum fassen, wie schlecht sich der an sich doch offensichtlich intelligente Junge dabei anstellte, aber was tat man nicht alles für Geld? Nach einer Weile schien es sogar halbwegs besser zu werden und trotz der kühlen Windböen waren beide Arnds schließlich doch in das schauspielerische Experiment vertieft. Selbstverständlich hatte Arnd sich die letzten Tage seiner Sommerferien anders vorgestellt, aber er konnte zu diesem Zeitpunkt schließlich noch nicht wissen, dass er davon profitieren würde. Der Nachmittag verging tatsächlich wie im Flug – und das für alle drei Arnds. Der eine schlief, der andere dachte an sein Geld und der dritte fühlte sich fast mutig genug, um seine Eltern mit dem Internatsthema zu konfrontieren. Kluger ließ sich dieses Mal nur schwer wecken. Er fühlte sich so, als hätte er seit Tagen nicht mehr geschlafen, dabei hatte er doch zuhören wollen, wie das Gespräch verlief! Dass sich mittlerweile sogar der Rocker Sorgen machte, konnte der Firmenchef nicht ahnen. „Du“, sagte er und zeigte mit zitterndem Gehstock auf den jungen Arnd. „Bis morgen hast du mit deinen Eltern geredet.“ Arnd nickte zögerlich, während sich der Gehstock auf den Rocker richtete. „Und Sie… Sie kriegen ihr Geld, wenn das funktioniert hat.“ Mühsam schleppte sich Kluger davon, machte sich auf den Weg zu seinem Auto, der ihm länger vorkam, als er eigentlich war. Sobald er auf dem Beifahrersitz saß, schlief der alte Mann ein. Der junge Arnd ging nach Hause und schloss sich in sein Zimmer ein. Selbst wenn er dem Rocker gegenüber seine Meinung hatte äußern können, fiel es ihm schwer, erneut zu versuchen, seinen Eltern das Ganze zu erklären. Er würde morgen einfach sagen, dass er es hinter sich gebracht hatte. Dann hätte der Rocker sein Geld, Kluger wäre zufrieden und er… würde spontan doch zu dem Internat aufbrechen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)