Die Bank am Fluss von Eldeen (Die letzten Sommertage) ================================================================================ Kapitel 3: Vollendung --------------------- Der letzte Tag der Sommerferien war kaum als solcher zu erkennen. Regen, Wolken und Wind hatten sich endgültig durchgesetzt. Dicke Regenwolken zierten den Himmel und produzierten literweise dicke Tropfen, die zumindest endlich dafür sorgen würden, dass der Fluss mehr Wasser führte. Obwohl es noch Sommer war, zeigte sich das Wetter herbstlich und der böige, starke Wind riss Blätter aus den noch fast vollständig grünen Baumkronen. Der kleine Arnd und der Rocker kamen trotz des Wetters zu der Bank – der ein fühlte sich dazu verpflichtet, der andere wollte sein Geld. Die beiden trafen sich auf dem Weg zum Treffpunkt, der eine mit einer Regenjacke, der andere im üblichen Leder-Outfit, und gingen schweigend in Richtung Bank, wobei sie sich gegen den Wind stemmen mussten. Keiner von beiden ahnte, dass an der Bank nicht Kluger wartete, sondern ein Mann Mitte vierzig in einem Anzug, der stoisch unter den Pappeln wartete und seinen schwarzen Regenschirm in den Wind hielt, während sich in seiner linken Hand ein Aktenkoffer befand. Als die beiden Arnds die Bank erreichten, hielten sie inne. Normalerweise war Kluger überpünktlich gewesen, heute schien er sich allerdings zu verspäten, denn keiner der beiden zog den Schluss, dass der Mann im Anzug etwas mit dem Firmenchef zu tun haben könnte. Der Mann im Anzug hingegen trat zielstrebig zu ihnen, als sie die Bank erreicht hatten. „Ich nehme an, Sie sind Arnd und Arnd.“ Der Junge und der Rocker tauschten einen Blick, bevor der Rocker schließlich nickte. „Darf ich Sie im Namen von Arnd Kluger an einen trockenen Ort bitten?“ Als er erneut ein etwas unschlüssiges Nicken erhielt, machte er sich auf den Weg, wobei er seinen Schirm als Schild gegen den Regen verwendete und somit zumindest ein wenig Windschatten für die beiden Arnds produzierte. Wenige Minuten später saßen alle drei nass in einem nahegelegenen Café an einem Tisch und der Anzugträger hatte den beiden einen Kakao und einen schwarzen Kaffee bezahlt. Mit ernster Miene begann er in seinem Aktenkoffer zu wühlen und holte einige Dokumente hervor. „Es betrübt mich, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Arnd Kluger in der letzten Nacht verstorben ist.“ Sowohl der Junge als auch der ältere Arnd wirkten schockiert. Der Anzugträger vermutete, dass es beiden um das Geld ging, mit dem sie nun nicht mehr rechneten, lag damit aber falsch. Sogar der Rocker kam nicht umhin, den Tod des alten Mannes zu bedauern. „Ich wurde laut Testament angewiesen, Ihnen diese Briefe zu überreichen“, fuhr er sachlich fort und schob jedem der beiden Arnds einen Brief zu. „Desweiteren benötige ich Ihre vollen Namen, um sie korrekt im Testament eintragen zu können.“ „Im Testament?“, hakte der jüngere Arnd nach und wirkte ehrlich überrascht. „Wenn ich um die Nachnamen bitten darf?“ Die beiden Arnds nannten ihm die Namen und der Mann im Anzug trug sie fein säuberlich ein, um anschließend die Dokumente wieder in seinem Aktenkoffer zu verstauen. Zuletzt legte er den beiden reichlich verwirrten Arnds einen weiteren Brief auf den Tisch, bei dem es sich um die Einladung zu Klugers Beerdigung handelte. Mit einem höflichen Nicken erhob sich der Mann im Anzug und verließ das Café. Der Junge notierte sich die Daten der Beerdigung in seinem Tablet-PC, bevor er dem Rocker die Einladung hinschob. Schweigend nahm dieser sie an und noch immer wortlos verließen beide das Café, der eine Arnd eher traurig als verwirrt, der andere eher verwirrt als traurig. Genau eine Woche später standen beide vor dem Grab Klugers, in das soeben der Sarg gesenkt wurde. Keiner der beiden Arnds hatte damit gerechnet, dass viele Gäste kommen würden, aber dass sie die einzigen waren, die es an diesem eisigen Herbsttag zu der Beerdigung geschafft hatten, war denkbar traurig. Kluger hatte vorgesorgt. Am Abend nach dem dritten Treffen hatte er geahnt, dass er es nicht zu einem vierten schaffen würde und hatte an beide Arnds einen kurzen Brief verfasst. Dem Jungen hatte er geschrieben, dass er ihm eine gute Zukunft wünschte, dass er im Testament vermerkt hatte, dass er ihm das Internat finanzieren würde und erwartete, dass Arnd diese Chance zu nutzen wusste, dass er endlich den Mut aufbringen und seinen Eltern die Stirn bieten würde. Die Summe, die er im Testament für den Jungen vermerkt hatte, war vermutlich groß genug, um auch dessen Studium zu finanzieren und das war auch Arnd bewusst, als er nun an den alten Firmengründer dachte, während der Sarg schließlich den Boden des Grabes erreichte. Dem Rocker hatte Kluger geschrieben, dass er ihm eine angemessene Summer hinterlassen hatte, dass er hoffte, dass auch dieser Arnd auf den Gedanken kommen würde, etwas aus seinem Leben zu machen, denn irgendetwas musste er ja schließlich gelernt haben, dass er das Geld dazu nutzen würde, um endlich die seltsamen Kreise, in denen er sich ganz offensichtlich herumzutreiben schien, hinter sich zu lassen und selbst dem Rocker war bewusst, dass die hunderttausend Euro mehr als genug für einen Neuanfang waren, immerhin war er gelernter Schreiner und so warf er die Blüten aus der Schale nicht ohne Dankbarkeit in das Grab des alten Mannes. Keiner der beiden verbliebenen Arnds wusste, ob es sich um so etwas wie Schicksal gehandelt hatte, als sie an diesen letzten Sommertagen den alten Arnd Kluger getroffen hatten, ob es sich um Schicksal gehandelt hatte, dass Kluger auf seine alten Tage beschlossen hatte, Gutes zu tun, ob es sich um Schicksal gehandelt hatte, dass sie alle den gleichen Vornamen trugen, aber da der junge Arnd rein rational nicht an Schicksal glaubte, der Rocker sich über so etwas nie Gedanken gemacht hatte und man Kluger nicht mehr fragen konnte, blieb die Frage für die beiden unbeantwortet. Einzig das Geld blieb zurück – gemeinsam mit der Erinnerung an die letzten Tage dieses Sommers und an die letzten Tage von Arnd Kluger. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)