Mein schwarzer Tag von Gam ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Als Arthur sich zu Hause anzog, war er bereits nervös. Warum musste sich dieser verdammte Froschfresser gerade den heutigen Tag aussuchen? Gerade heute! Arthur war kein besonders geselliger Mensch, große Menschenmengen waren ihm ein Graus. Und jeder Idiot wusste, dass an Silvester in ganz Paris die Hölle los war! Allein der Gedanke daran machte Arthurs Hände schwitzig, während er seinen Mantel zuknöpfte und sich ein letztes Mal im Spiegel betrachtete. Ein dicker, schwarzer Wintermantel, und der alte Zylinder. Er konnte sich einfach nicht davon trennen, egal wie oft Alfred ihm das Ding lachend vom Kopf schlug. Irgendwie gehörte dieser Zylinder zu ihm. Er passte zu ihm, passte zu England, erinnerte ihn an die Zeit, als das United Kingdom noch ein Empire war. Das Land der Länder, nicht eines von vielen. Ein stolzer Seefahrer, kein nervöser Verehrer. Als man die Franzosen noch bekämpft, und nicht zum Abendessen getroffen hatte. Nun nahm Arthur seine heutige Waffe zur Hand: Einen Strauß Rosen. Er hoffte inständig, dass Francis nicht dasselbe gekauft hatte. Wie sähe das denn aus! Schlimm genug, dass sie sich trafen, wenn sie dann auch noch beide Rosen mitbrächten... undenkbar, er wäre völlig blamiert! Für einen Moment dachte Arthur daran, die Rose einfach zu Hause zu lassen. Sie waren schön, dunkelrot und in voller Blüte. Sie könnten auf dem Tisch im Salon stehen bleiben, unschuldig, ungefährlich... Arthur legte sich die Rosen in den Arm und fummelte seine Handschuhe aus der Manteltasche. Draußen waren es Minusgrade, selbst jetzt, am Spätnachmittag. Es dämmerte bereits. Verflucht, selten hatte er sich so kribbelig gefühlt! Wie hatte er all dem nur zustimmen können! Mit einem Ruck nahm Arthur die Rosen wieder zur Hand und trat aus dem Haus, zog die Tür fest hinter sich zu und betrat den Boulevard ohne weiter zu zögern. Frankreich war auch im Winter wunderschön, das musste Arthur einfach zugeben. Er hatte lange darüber nachgedacht, sich ein Haus hier zu kaufen, hatte alle Vor- und Nachteile sorgfältig abgewogen, hundertmal die Angebote durchsucht – und es schließlich doch getan, heimlich. Niemand kannte das Haus, und es lebten nur zwei Dienstboten darin, ein englisches junges Ehepaar, dass sich, solange er nicht hier war, in der Villa breitmachen konnte, als sei es ihre eigene. Normalerweise war Arthur altmodisch, verfügte streng über die ihm untergebenen und hätte ein solches Verhalten scharf getadelt – aber hier war es egal. Das war Frankreich, dass waren andere Sitten. Diese Menschen nahmen für ihn in Kauf, in diesem verrückten Land zu leben: Da musste man ihnen Freiheiten gönnen. Arthur schlenderte den Boulevard entlang, um ein gelassenes Tempo bemüht. Warum war er nochmal so nervös? Ach ja, der Froschfresser. Sofort krampfte Arthurs Hand fester um den Rosenstrauß. Er hatte ihn gefragt. Einfach so. Ganz unverbindlich! Unverbindlich, jawohl. Vielleicht sogar ohne Hintergedanken. Francis mochte ja ein erstklassiger Schauspieler sein, aber es hatte so freundlich geklungen. So... normal. Als wäre so vieles nicht passiert. An Weihnachten hatte er angerufen. Na gut, eigentlich am Abend vor Weihnachten – zumindest für Arthur. Himmel, er durfte nicht auch noch anfangen, mit den ausländischen Gebräuchen zu sympathisieren! Also, am Abend des 24. Dezembers, dem Abend VOR Weihnachten, hatte Francis angerufen. „Joyeux Noël, Arthür!“ hatte er ins Telefon geträllert. „Isch 'offe, dü bist reisch beschänkt wordän!“ Arthur hasste diesen übertriebenen Akzent, den Francis zu solchen Gelegenheiten an den Tag legte. Besonders, wenn er Englisch sprach! Wie konnte dieser Mensch, dieses Land, diese über alle Maßen weibische und affektierte Person, dieser Festlandgorilla, es wagen, seine, Arthurs, Sprache so zu verschandeln? Wenn er kein Englisch konnte, sollte er es doch bleiben lassen! Arthur jedenfalls war ganz sicher in der Lage, passables Französisch mit ihm zu sprechen. Er war kulturell versiert, nicht so wie dieser Kerl am anderen Ende der Leitung. „Guten Abend, Francis“, hatte er deshalb geantwortet. „Ich nehme an, du weißt es nicht, aber für mich ist noch gar nicht Weihnachten. Trotzdem, merry christmas, auch dir.“ „Aw, wie lieb von dir, danke schön!“ antwortet Francis, nun etwas ruhiger, was auch seiner Sprache zu gute kam. Der Akzent hatte sich nun auf ein erträgliches Maß reduziert, manchmal hatte Arthur sogar den Verdacht, dass Francis den on purpose behielt. Er hielt das wohl für elegant. „Ich hoffe, du genießt morgen also ein wunderbares Fest! Sei doch ein Schatz und heb mir ein paar Cracker auf, oui? Stell dir vor, in Frankreich sind die nicht zu bekommen, ich bedaure es jedes Jahr aufs Neue!“ Francis plapperte, munter wie immer. „Da hat deine Kultur dann einmal etwas Hübsches hervorgebracht, und dann wird es nicht mal exportiert! Das solltest du wirklich ändern, non?“ Arthurs Antwort war ein Schnauben gewesen. Und frech war er auch wie immer! „Vielleicht exportiere ich sie ja nicht, gerade damit du sie nicht bekommst! Meine Kultur behält ihre Schätze gerne für sich!“ Wie einfach dieser Kerl ihn jedes Mal auf die Palme brachte! Am anderen Ende der Leitung kicherte Francis. „Das hätte ich mir aber auch denken können, du alter Egoist! Mais oui, c'est ne pas grave.“ Francis kontrastiere seinen letzten Satz mit einem dramatischen Seufzer. „Aber nun zur Sache, cheri! Sag, was hast du an Silvester vor?“ Zu diesem Zeitpunkt war Arthur bereits halb wahnsinnig. Wenn er noch ein einziges dummes Wort Französisch mitten in seiner schönen Sprache hörte würde er platzen, das Telefonkabel aus der Wand reißen und es höchstpersönlich in einer okkulten Zeremonie verbrennen, um mit der Asche anschließend sein Abendessen zu würzen! Er knirschte mit den Zähnen. „Noch... nichts. Eigentlich. Wieso?!“ Das letzte Worte bellte er, alarmiert. Was das etwa...? „Nein, was für ein Glück! Ich gebe eine kleine Party am Silvesterabend, du weißt, ganz intern, nur wir Länder, unter uns... Es ist so lange her, dass wir einmal alle gemeinsam gefeiert haben! Aber am Silvesterabend wollen wir die Politik einmal beiseite lassen und all den Streit vergessen! Was meinst du, Arthur?“ Am anderen Ende war es für einen Moment still. Arthur war überrascht. Er lud ihn einfach so zu einer Party ein? Natürlich sahen sie sich öfters, Francis hatte es erwähnt – die liebe Politik. Aber nie war Arthur eingefallen, dass Francis, nach all dem Krieg, dem Ärger... den seltsamen Dingen, die zwischen ihnen... „Ich komme gern.“ „Ah, wie hübsch! Dann also in meinem Schloss, am Silvesterabend. Und vergiss die Cracker nicht! Au revoir, Arthur!“ Und dann hatte Francis aufgelegt. Arthur hatte das Telefon angestarrt. „... see you, frog.“ Und jetzt stand er hier, direkt vor dem Schloss. Er hatte einen Strauß Rosen, und tief zwischen ihnen versteckt lagen drei Cracker. Wenn Francis nicht aufpasste, würden sie einfach im Wasser landen, in das er die Rosen stellte. Arthur grinste böse ihn sich hinein: Das würde dem Frosch ganz Recht geschehen. Das Schloss, weiß getüncht und mit allerlei Kinkerlitzchen verziert, sah auch im schneelosen Winter noch prächtig aus. Der üppige Garten lag ruhig und verwaist da, als warte er sehnsüchtig darauf, dass die Gärtner und Arbeiter, vielleicht sogar der Hausherr selbst zurückkehrten, ihn zu bepflanzen und ihm zu seiner alten Pracht zu verhelfen. Arthur schritt über die Auffahrt, und mit jedem Schritt wurde er schneller. Hier stimmte etwas nicht. Kein einziges Auto stand in der Auffahrt, nirgendwo war etwas geschmückt, kein Laut drang nach außen. Arthur ging schneller und läutete. Die Blumen versteckte er nun schüchtern hinter seinem Rücken. Waren die nicht sowieso völlig unpassend für eine Silvesterparty? Er hatte Klee mitbringen sollen, schalt er sich. Arthur musste noch zweimal läuten, ehe ein Dienstbote ihm öffnete. Dieser schien verwundert über sein Kommen, nahm ihm den Mantel ab und bedeutete ihm, im Vorzimmer zu warten. Arthur ließ sich in einen Sessel sinken. Was war hier los? Hier fand keine Party statt! Hier war niemand! Er sah sich um. Die Stille quälte seine Ohren, die auf Lärm, Musik und Feuerwerkskörper eingestellt gewesen waren. Wieso sollte Francis ihn belügen? Eine Silvesterparty war genau seine Handschrift! Nach einigen Minuten, die Arthur wie Stunden erschienen waren, kam der Dienstbote zurück und murmelte etwas auf Französisch in sich hinein. Arthur nahm an, dass der Dienstbote ihn erkannt hatte und davon ausging das er, Arthur, ihn nicht verstand. Muss ja nicht jeder so ein Kleingeist sein wie dein Herr, dachte er verächtlich. Der Mann führte ihn die breiten Stufen nach oben in die privaten Räume, die Francis bewohnte. Arthur wurde es immer mulmiger. Was hatte er denn zwischen Francis' Parfümsammlung verloren? „Bitte treten Sie ein, Monsieur.“ Der Dienstbote raffte sein letztes Englisch zusammen, um Arthur die Tür zu öffnen und sie anschließend hinter ihm zu schließen. Arthur sah sich um. Er befand sich in einem kleinen Salon, eingerichtet mit Polstermöbeln in sanften Rottönen. Er ging weiter durch eine angelehnte Tür und betat eine Art Studierzimmer, voll mit Büchern, Lesesesseln und einem wuchtigen antiken Schreibtisch. Die nächste Tür war mit reichem Schnitzwerk versehen, ihre Klinke war vergoldet. Drinnen hörte Arthur eine leise Stimme. Sein Magen drehte sich um. Was passierte hier? Welches Spiel trieb dieser Kerl mit ihm? Energisch klopfte er an die Tür und trat sofort ein: Was er sah, versetzte ihm einen Schock. Das Zimmer war abgedunkelt, und Arthur musste angestrengt blinzeln, ehe er das riesige Himmelbett wahrnahm. Francis lag darin, das Haar verwuschelt, die Augen müde, dennoch trug er ein tadelloses weißes Hemd. Als er Arthur sah, setzte er sich auf und lächelte. Eine Frau in Schwesterntracht verließ eilig das Zimmer. „Arthur“, Francis' Stimme klang heiser, „komm doch herein.“ Er setzte sich noch weiter auf und fuhr sich durchs Haar. „Setz dich“, er deutete auf einen Stuhl der neben dem Bett stand. Zögerlich ließ Arthur sich darauf nieder. Seine Wut von eben war verpufft. „Was ist passiert, Francis?“ Arhtur merke, dass er flüsterte. „Warum hast du mich zu einer Party eingeladen, wenn...“ Er wies um sich herum, auf die zugezogenen Vorhänge und das Bett. Francis lächelte matt. „Ich weiß, ich weiß. Du bist sicherlich wahnsinnig enttäuscht. Ich will dich auch nicht zu lange hier festhalten, nein, wirklich nicht. Ich mag ein Egozentriker sein, wohl war, aber es wird nicht lange dauern.“ Francis saß nun kerzengerade, auch wenn diese Haltung alle Farbe aus seinem Gesicht vertrieb. Er nahm Arthurs Hand und streichelte sie. Arthur unterdrückte den Impuls, sie zurück zu ziehen. „Francis, ich verlange eine Erklärung.“ Arthurs Stimme klang härter als er es beabsichtigt hatte, verfärbt von Unsicherheit und Angst. Angst wovor? Arthur traute sich nicht, sich diese Frage zu beantworten. Angst vor der Antwort auf die Frage wovor er Angst hatte. Francis lächelte jedoch. „Ungeduldig wie immer, hm? Aber du hast Recht, ich schulde dir eine Erklärung.“ Francis griff Arthurs Hand noch ein wenig fester. „Es mag dir nicht bewusst sein, aber an Silvester bin ich stets allein. Den letzten Tag des Jahres verbringt Francis Bonnefoy in Gesellschaft seines Bettes und einer Tasse Kamillentee.“ Francis lächelte bitter. „Das fällt niemandem auf, denn wie wir alle habe ich keine richtige Familie, und noch immer trennt uns eine Kluft von den normalen Menschen, eine Kluft aus Unsterblichkeit und der gewaltigen Aufgabe, die jeder von uns jeden Tag aufs Neue erfüllen muss.“ Arthur schluckte. Francis hatte diese Art, immerzu albern zu sein und zu scherzen oder zu flirten, doch wenn er einmal ernsthaft wurde, zog sich jedermanns Herz zusammen. „Silvester, Arthur, ist mein schwarzer Tag. Jedes Silvester aufs Neue. Du kennst mich, Arthur. Ich lache gern, ich liebe das Leben, ich lebe für Schönheit, Glanz und Blüte. Ich lebe für Frankreich, so wie Frankreich für mich lebt. Aber... nicht an Silvester. An Silvester wird mir bewusst, wie fehlbar ich bin.“ Arthur biss sich auf die Lippe, aber er tat nichts, um Francis zu unterbrechen. Wenn er sprach... war da etwas. „An Silvester wird mir bewusst, dass ich nichts bin. Das wieder ein Jahr vergangen ist, in dem Menschen in meinem Land gelitten, geweint haben, Menschen gestorben sind, und es ist meine Schuld! Das ich nichts getan habe, ihnen zu helfen. Das immer noch Menschen diskriminiert, geschlagen, missbraucht werden, weil ich nichts geändert habe! An diesem Abend...“ Francis' Stimme brach. „An diesem Abend bin ich zerbrechlich, Arthur.“ Er ließ Arthurs Hand los und sank zurück. „Das ist mein Geheimnis. Und ich wollte es mit dir teilen.“ Stille senkte sich über sie beide. Arthur starrte Francis an, Francis sah entschuldigend zurück. „Du... du musst nichts sagen. Du musst auch nicht länger blei-“ Francis verstummte, als Arthur die Hand hob und ihm gebot zu Schweigen. Nach einer weiteren gefühlten Ewigkeit nahm Arthur wieder Francis' Hand. „Danke“, sagte er. „Ich danke dir, dass du mir vertraust.“ Verlegen zog Arthur seine Hand wieder zurück und griff hinter sich. Die Rosen. „Die sind für dich, Francis“, murmelte er schwach. „Ich... keine Ahnung, ich dachte, ich sollte dir was mitbringen, und...“ Er verstummte, als er das Lächeln auf Francis' Gesicht sah. Es war, als blühte vor seinen Augen eine Blume. „Die sind wunderschön, Arthur.“ Francis rutschte auf dem Bett nach vorn, und bevor Arthur wusste, wie ihm geschah, hatte Francis ihn in eine Umarmung gezogen. „Ich danke dir so sehr, Arthur. Du weißt nicht, was mir das heute Abend bedeutet.“ Arthur sah Francis von der Seite an. Nun war er ganz nah. Das letzte Mal, dass sie sich so nah gekommen waren... Arthurs Herz rumpelte, als Francis seinen Blick erwiderte. So nah. In Francis' Augen glitzerten Tränen. „Francis, ich...“ Arthur wollte sich lösen, plötzlich überfiel ihn Panik, Panik vor seinen eigenen Gedanken. Aber diesmal war er stärker, er besann sich, auch wenn er sich nicht beruhigte, ganz im Gegenteil. „Ich lass dich nicht allein heute Nacht.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)