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About Imprinting and Re-Imprinting.

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Prolog oder : Die Party des Jahrhunderts?!

Hej:) Das ist also meine erste FF.. Ich werd auch gar nicht lange rumquasseln, nur soviel : Die Story ist nicht umsonst im Genre Humor UND Drama angelegt;)

Also, viel Spaß beim Lesen:) Eure Meinung zu dem Ganzen würde mich echt interessieren!:)
 

Dieser mit Anabolika vollgepumpte Typ starrte sie jetzt nun schon seit gut fünf Minuten an, ohne auch nur einmal wegzuschauen, ohne auch nur einmal zu blinzeln. Ihre Miene verfinsterte sich immer weiter, mittlerweile zog sie schon eine Schnute. Was sollte das? Wollte er sie hypnotisieren? Na ganz toll, ein Bodybuilder mit dem Beruf eines Hypnotiseurs.

Eine der abartigsten Mischungen überhaupt, wie sie fand. Dabei war sie eben nur kurz und unbeabsichtigt seinem Blick begegnet, und hatte sich für wenige Sekunden in seinen schokobraunen Augen verloren.. Doch waren es wohl einige Sekunden zu viel gewesen, denn seit dem schien er kurz davor, sie fressen oder ihr die Kleider vom Leib reißen zu wollen.

May hatte gleich von Anfang an gewusst, dass sie nicht auf die Party hätte kommen sollen. Erstens, weil ihre beste Freundin Ruby ihr schon seit geschlagenen drei Wochen damit in den Ohren hing, zweitens war sie müde und drittens kannte sie, bis auf Ruby, hier absolut keine Menschenseele. Sie hätte auf ihren inneren Instinkt hören sollen. Wenn sie keine Lust auf eine Party hatte, weil sie befürchtete, dass diese lahm werden würde, war das letztendlich auch meistens der Fall.

Auch der Alkohol, den sie schon seit zwei Stunden unaufhörlich in sich reinkippte, hob ihre Stimmung nicht.

Ihren Mojito schlürfend blickte sie sich suchend um. Wo zum Teufel war eigentlich Ruby abgeblieben? Sie wollte eigentlich „nur mal schnell für kleine Mädchen“, war aber schon vor über einer halben Stunde verschwunden.

May warf gerade wieder einen genervten Blick auf die Uhr, und entschloss sich, in einer halben Stunde mit dem letzten Bus nach Hause zu fahren, als hinter ihr eine rauchige, dunkele Männerstimme ertönte.

Sie drehte sich um, und blickte dem Möchtegern-Hypnotiseur verwirrt ins Gesicht.

„Bitte was?“ sie war so in ihre miesen Gedanken und baldigen Fluchtpläne vertieft, dass sie nicht gehört hatte, was der riesige Bär gebrummt hatte. Auch wenn er weniger einem Bär glich als einem... Sie wusste es nicht. Doch eins war klar : Bären waren kuschelig, er aber war durchtrainiert, stählern, heiß. Verdammt heiß.

Aber es ist ja allgemein bekannt, dass frau, wenn sie auf mehr aus ist, als ein paar Mal bedeutungslosen Sex und/oder irgendeine Geschlechtskrankheit, lieber die Finger von solchen Typen lassen sollte.

„Hast du vielleicht mal Feuer für mich?“ wiederholte er ruhig seine Frage. Seine Stimme war ein einziges Vibrieren und jagte May Gänsehaut über die Arme. Aber nein, auf so einen Mist war sie nicht aus. Auf so etwas würde sie sich nicht einlassen. Allein schon dieser Spruch, so alt, dass er schon einen Bart hatte, über den er eigentlich selber hätte stolpern müssen. Also nickte sie bloß knapp, und begann in ihrer Tasche zu kramen.

„Darf ich?“ stellte er gleich die nächste Frage, wartete aber gar nicht erst auf ihre Antwort sondern ließ sich einfach auf den freien Stuhl neben ihr fallen. Sie verdrehte die Augen. Also einer von der hartnäckigen Sorte…

Sie streckte ihm das Feuerzeug entgegen und er nahm es dankend an.

„Ich bin übrigens Sam.“ Stellte er sich vor. Ein winziger Funken Anstand schien ja doch irgendwo tief in ihm vorhanden zu sein.

„May.“ Wieder erhielt er nur eine knappe Antwort von ihr. Sie nickte ihm kurz zu. Irgendwann musste er ja mal locker lassen…

„Ein schöner Name.“ Ach du meine Fresse, das nahm ja gar kein Ende mehr. Einen schlechten Spruch nach dem anderen. Fuck.

Sie sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an.

„Aha.“ So langsam müsste er es aber nun doch kapiert haben…

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, schlich sich langsam Enttäuschung in sein Gesicht. „Tut mir Leid, ich bin in sowas nicht so gut. Hab das schon ewig nicht mehr gemacht, also eine fremde Frau angesprochen.“

Jetzt machte er also einen auf unbeholfen, unerfahren. Wieder zog May die Augenbraue hoch. Er versuchte sich also als jemand darzustellen, der gerade aus einer langjährigen Beziehung kam, und seit dem nicht mehr den Mut oder die Lust dazu gehabt hatte, eine andere Frau anzusprechen. Natürlich, klar, bei dem Körper hatte er es auch nötig, den ersten Schritt zu machen. Mays Gedanken trieften vor Sarkasmus.

Ihr Gegenüber scharrte nun nervös mit dem Fuß auf dem Boden herum und blickte sie forschend, aber auch ein wenig ängstlich an. Was, hatte er etwa Angst vor ihrer Reaktion?

Schauspielern konnte Sam… der Typ also auch noch. Wunderbar.

Mays Stimmung war nun wirklich am Tiefpunkt angelangt, und so beschloss sie, ihn mit einer ihrer berühmt-berüchtigten bösen Blicke, die Giftpfeile schossen, anzuschauen. Direkt in die Augen.

Doch was war das?! In seinen Augen lag etwas, was sie zutiefst verwirrte. Unsicherheit, ein wenig Angst, und noch irgendetwas anderes, was sie nicht deuten konnte. Und Augen lügen bekanntlich nicht, er schien das eben Gesagte also wirklich ernst gemeint zu haben.

Ungläubig blickte sie ihn an, er lächelte schief. Immer noch unsicher. Es war also keine Fassade, er spielte ihr gerade also nichts vor.

Wie sehr man sich vom ersten Eindruck doch manchmal täuschen lassen konnte…

Trotzdem gebot sie sich selbst weiterhin, vorsichtig zu bleiben. Man weiß ja nie… Vertrauen zu fassen war nur wirklich nicht gerade ihre Stärke.

Anabolika-Arnold

„Bist du alleine hier?“ fragte die indigene Version eines Möchtegern-Arnold-Schwarzeneggers.

„Aaaalter.“ Jetzt hielt sie es nicht mehr aus. Das konnte doch nun wirklich nicht sein Ernst sein!

Augenblicklich verwarf sie den dummen Gedanken, den Bus vielleicht “versehentlich“ zu verpassen und noch ein paar Stunden zu bleiben, oder zumindest so lange, bis Ruby sich auf den Nachhauseweg machte.

Sie schüttelte verständnislos den Kopf. „Meine Fresse, ein Fall für die Klischee-Police.“ Murrte sie mehr zu sich selbst als zu ihm.

„Bitte was?“ Sam schaute sie mit hochgezogener Augenbraue fragend an.

„Ach nichts. Ich geh jetzt. Tschüss.“ May erhob sich von ihrem Stuhl und nickte ihm kurz zu. Sie war bereits kurz vor der Tür, als sie sicherheitshalber doch noch einen Blick auf ihr Handy warf. Wirklich Lust, noch eine halbe Ewigkeit in der Kälte zu stehen hatte sie nämlich nicht.

Brauchte sie auch nicht. Zwar war es nach wie vor eiskalt draußen, aber ihr blieben nur noch sagenhafte drei Minuten, um die Bushaltestelle zu erreichen. Als sich diese Tatsache langsam einen Weg durch ihre alkoholverstopften Nervenbahnen zu ihrem Gehirn bahnte, fing sie augenblicklich an zu rennen und fluchte dabei laut vor sich hin.

Scheiß Anabolika-Typ. Scheiß Party. Scheiß Stress. Scheiß Rennen.
 

Völlig außer Atem und immer noch fluchend rückte die Bushaltestelle nun langsam in ihr Sichtfeld. May verlangsamte ihren Schritt, das Seitenstechen war mittlerweile unerträglich. Verdammte Raucherei. Sie hustete und hatte das Gefühl, dass ihre Lunge gleich aus ihrem Hals herausspringen, ihr einen ordentlichen Tritt in den Bauch verpassen und sich dann in die Karibik absetzen würde.

So schlecht war ihre Kondition eigentlich nicht, aber der Alkohol und die Kälte trugen nicht unbedingt positiv zu ihrem Durchhaltevermögen bei.

Der Bus war noch nicht in Sicht, und auch wenn klar war, dass sie sie nicht zu Ende rauchen können würde, ließ May sich auf die mit Raureif überzogene Bank der Bushaltestelle fallen und steckte sich eine Zigarette an.

Hallo Lunge, hallo May.

Hallo Hintern.

Sie sprang auf. Fuck, war das kalt. Ein Wunder, dass sie nicht augenblicklich an der Bank festgefroren war.

Prüfend schaute sie erneut die Straße hinunter, noch immer war kein Bus in Sicht.

Als dieser nachdem sie ihre Zigarette bereits beendet hatte und nun missmutig von einem Fuß auf den anderen trat immer noch nicht aufgetaucht war, beschlich sie langsam die Vermutung, dass die sportliche Meisterleistung eben absolut für die Katz gewesen war.

Nach weiteren fünf Minuten musste sie sich endgültig eingestehen, dass sie doch tatsächlich den Bus verpasst hatte. May grummelte irgendetwas Unverständliches vor sich hin.

Und wieder kam ihr nur eine Person in den Sinn, der sie den schwarzen Peter zuschieben konnte. Anabolika-Arnold. Auch bekannt als Sam.
 

Fluchend machte sie sich auf den Weg nach Hause. Zu Fuß, wohl bemerkt. Mit Grabesstimmung stapfte sie die Straße entlang. Und wieder schlich sich klammheimlich eine gewisse Person in ihren Kopf.

Arnold.. Sam sollte sich eigentlich geehrt fühlen, dass sie so fieberhaft über solch hübsche Umschreibungen für ihn nachgrübelte. Dass sie überhaupt noch einen Gedanken an ihn verschwendete, verwunderte sie.

Sie hatte doch schließlich ihre Prinzipien. Und dazu gehörte definitiv, keinem muskelbepackten, unglaublich scharf aussehenden Riesen über den Weg zu trauen.

May trottete bereits seit einer viertel Stunde eine Landstraße entlang und fragte sich allmählich, ob es wirklich so schlau gewesen war, zu Fuß zu laufen. Ein Taxi wäre zwar teurer, dafür aber um einiges wärmer und sicherer gewesen.

Sie seufzte. Zum Fluchen hatte sie keine Kraft, und auch keine Worte mehr, sämtliche Flüche die ihr bekannt waren, und das waren wirklich nicht wenige, hatte sie bereits aufgebraucht. Müde war sie auch, und sie bibberte vor Kälte.

Mama! Müde, kalt, Hunger, Pippi! Genau so fühlte sie sich.
 

Gerade hatte sie beschlossen, sich doch noch ein Taxi in diese Einöde zu bestellen, als hinter ihr ein Auto aufblendete. Sie wirbelte herum und Panik machte sich in ihr breit.

Wer zur Hölle fuhr um diese Uhrzeit diese verfluchte Strecke entlang?

Das Auto wurde langsamer und kam schließlich neben ihr zum Stehen. Das Fenster auf der Beifahrerseite wurde heruntergekurbelt und das Licht im Wageninneren angestellt.

Wäre ihr Kopf eine Talkshow, würden ihre Gedanken einem einzigen zensierenden Piiiiep gleichen. Entsetzt blickte sie auf die Personen im Wageninneren. Was war das heute nur für ein verfluchter Scheißtag? Das konnte doch wirklich nicht wahr sein, dieser Typ auf der Beifahrerseite sah genau so aus wie…

Nein, nein, nein, das konnte nicht sein.

Ohne Rücksicht auf ihr Make-Up zu nehmen, rieb sich May fahrig über die Augen. Sah sie doppelt?

„Tschuldige, ich dachte, du wärst ein Reh.“ kam aus dem Wageninneren, kurz darauf ertönte ein warmes, dunkles Lachen, welches ihr Gänsehaut über die Arme jagte.

Noch immer bekam sie kein Wort heraus, die Gedanken in ihrem Kopf wirbelten durcheinander. Wie viele von der Sorte gab es eigentlich?!

„Na was ist, willst du mitfahren?“ Noch immer bekam sie keine Antwort zustande.

„Ich weiß ja, dass du wortkarg bist, aber du hast eben nicht so gewirkt, als wärst du auf den Mund gefallen.“ Ihr Hirn ratterte. Sollte sie wirklich? Bei zwei Fremden? Gut, Arnold kannte sie ja schon, aber der andere…

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, schoss nun eine Hand aus dem Fenster und griff nach ihrer. „Ich bin Paul, hi.“ Der, dem die Hand gehörte und wohl Paul hieß, grinste sie breit an.

May seufzte. Was sollte schon groß passieren?

Genau, vieles, aber ihr Hirn und der Gedanke an ihr warmes Bett blockten sämtliche Anflüge von Vernunft erfolgreich ab und wenige Sekunden später saß sie auf dem beheizten Rücksitz der Klapperkiste, die sich Auto schimpfte.

Hat Arnold Schwarzenegger eigentlich einen Bruder?

Head meets Door oder : Morgen, du bist ein Arsch!

Als May am nächsten Morgen erwachte, versuchte sie zunächst einmal vergeblich das, was eigentlich ihrer Augen hätten sein sollen, und was die Kerle sonst so an ihr liebten, aufzubekommen. Doch dieser „Kampf“ war aussichtslos, da ihre Augen so vom Make-up verklebt waren, dass da ohne Seife und Wasser nichts zu machen war. Also verfiel sie erst einmal in eine ihrer geliebten Schimpftiraden.

Sie tapste grummelnd und fluchend in Richtung Badezimmer, auch wenn sie den Weg nur erahnen konnte. Erahnen, genau. Weil sie am Vorabend zu erschöpft, zu betrunken und halb erfroren gewesen war, hatte sie auf das allabendliche Abschminken verzichtet. Vom Zähneputzen mal ganz zu schweigen. Und was hatte sie jetzt davon? Fünf Minuten mehr Schlaf, dafür aber einen abartigen Geschmack im Mund und sehen konnte sie auch fast nichts.

Nachdem sie sich ihre Sicht zurück erkämpft hatte – und ja, es war wirklich ein Kampf gewesen – ließ sie sich wieder auf ihr Bett fallen und ließ den Vorabend Revue passieren.

Und schon wieder hatte sie einen Grund gefunden, sich selbst zu rügen, zu beschimpfen, sich mit der flachen Hand gegen die Stirn zu schlagen.

Wie naiv, wie blauäugig war sie eigentlich gewesen?! Einfach so zu fremden Typen in den Wagen zu steigen. Dummes Ding, dummes dummes Ding!

Was da alles hätte passieren können!

May verdrehte die Augen. Jetzt klang sie schon wie ihre Mutter.

Aber Recht hatte sie, die Aktion am vergangenen Abend war äußerst riskant gewesen, und es hätte verdammt, verdammt schief laufen können. Ihr wurde schlecht.

Aber mal wieder hatte sie mehr Glück als Verstand gehabt – wie so oft.

Ob das wohl der Alkohol Schuld gewesen war? Dabei hatte sie sich gar nicht so betrunken gefühlt…

Aber wenn sie einmal genauer darüber nachdachte... Verdammt, da fehlte was.

Ein Filmriss also. Sie stöhnte genervt auf. Das wiederum hieß wohl, dass sie um einiges mehr im Tee gehabt zu haben schien, als gedacht.

Sie zermarterte sich das Hirn, um die Bruchstücke ihrer Erinnerung wieder zusammenzufügen und die fehlenden irgendwo auszugraben. Nach zehn Minuten hatte sie den Abend soweit rekonstruiert. Aber etwas fehlte immer noch.

Sie erinnerte sich lediglich daran, aus Sams Auto ausgestiegen zu sein, sich bedankt zu haben und dann wild gestikulierend die Fahrer- und die Beifahrertür geöffnet zu haben.

Absolut sinnlos. May schüttelte den Kopf. Dummes betrunkenes Kind. Nur gut, dass Betrunkenen und Kinder nie etwas Schlimmes passiert, wie man so schön sagt.

Aber trotzdem wurmte es sie. Warum, warum zur Hölle hatte sie die verdammten Türen geöffnet? Zum Durchlüften? Absurd.

Halbnackt machte sie sich auf den Weg in die Küche. Ihr Körper lechzte nach Koffein.

Ein starker Kaffee würde ihr Hirn und ihren Körper sicher wieder zum Leben erwecken. Koffein war ihr Lebenselixir, durch und durch.

Sie hatte die Hand schon auf der Klinke, um die Tür aufzuziehen, doch diese war so nett und kam ihr entgegen. Mit voller Wucht.

Hallo Kopf, hallo Schmerzen, hallo May. Diese lag jetzt auf dem Boden, hatte die Augen geschlossen und stieß leise Flüche aus.

Was zur Hölle war denn hier los? Sie lebte alleine, niemand konnte in ihrer Wohnung sein, außer…

Sie riss die Augen entsetzt auf. Einbrecher! Scheiße, scheiße, scheiße!

Sie sprang auf die Füße, taumelte einen Schritt zurück, ihr Kreislauf war noch nicht so ganz auf der Höhe.

Die Panik, die sich innerhalb weniger Millisekunden in ihr breit gemacht hatte, verschwand aber sogleich wieder und wich einer Mischung aus Erstaunen und purem Entsetzen.

Was machte DER denn hier?!

Ein breites Grinsen, dann hielt ihr der Riese die Tür auf und bat sie mit einer übertriebenen Geste, in ihre Küche einzutreten. Ihre Küche! Sie schnaubte empört, verschränkte die Arme vor der Brust und stapfte in die Küche, geradewegs auf die Kaffeemaschine zu.

Die lief schon auf Hochtouren. Klar. Wenn er schon so dreist war, sie in ihre eigene Küche hereinzubitten, dann würde er auch ganz sicher nicht davor zurück schrecken, sich einfach an ihrem Hab und Gut zu bedienen. Wieder schnaubte sie.

Sie hätte einfach verdammt noch mal nicht aufstehen sollen. Sie grummelte vor sich hin, während sie sich eine Tasse Kaffee einschenkte.

„So so, ein Morgenmuffel also.“ Der rauen, dunklen Stimme folgte ein leises, warmes Glucksen. Sie wirbelte herum.

Nicht der auch noch! May schlug sich die Hände vors Gesicht. War sie noch immer betrunken? Sah sie schon wieder, oder immer noch doppelt?

Auch der andere, der ihr das Date mit der Tür verschafft hatte, war mittlerweile zu ihnen gestoßen und blickte verwirrt zwischen dem mittlerweile lachenden Sam und May hin und her, die ihren Mund vor Entsetzen weit geöffnet hatte.

Der andere… Paul, ging schnurstracks auf May zu, legte ihr eine seiner Riesenpranken unter das Kinn und drückte dieses sanft nach oben. „Mund zu, es zieht.“ Wisperte er und grinste sie immer noch, oder besser gesagt, wie immer breit an.

May ihrerseits war so perplex, dass sie sich erst mal auf einen der Stühle fallen ließ und die Tasse lauwarmen Kaffee auf Ex trank, um sich gleich darauf wieder zu erheben und sich noch eine Tasse nachzuschenken.

Allmählich erlangte sie ihre Fassung zurück – und wurde sauer.

„Was zum Teufel macht IHR hier?!“ schnauzte sie die beiden an, die sie zunächst erschrocken anschauten, dann aber in ein lautes Lachen ausbrachen.

Sie kriegten sich gar nicht mehr ein, und Mays Laune sank vom Keller bis zum Erdkern. Wütend kniff sie die Augen zusammen.

„Ja, was jetzt?!“ ihre Stimme war schroffer, lauter. Sie war wirklich stinksauer.

Was erlaubten sich die beiden eigentlich? Sich einfach zu ihr nach Hause einzuladen, sich an ihren Sachen zu bedienen und sie dann auch noch auszulachen? Und sie dachte immer, sie wäre dreist. Oder die Jugend. Sagt man doch so oder?

Das Autotüren-Mysterium.

Und weiter gehts;)
 

Sam hatte sich mittlerweile wieder einigermaßen beruhigt und strich sich eine verirrte Träne aus dem Augenwinkel.

„Nunja, weißt du.“ Er gluckste noch immer, aber als er Mays absolut tödlichem Giftpfeilblick begegnete, verstummte er sogleich, räusperte sich und setzte erneut an: 

„Das Ganze ist ganz amüsant, weil.. Naja, du hast uns eingeladen.“ 

„Ich habe was?! Nein!“ ihre Stimme war quietschig hoch. Nie im Leben würde sie…

„Doch. <Hej ihr swei, kommt doch rein. ´sch hab ne große Couch. Kannste.. Könnta, ausziehn. Müssta nich mehr nach Hause fahrn.> Kommt dir das irgendwie bekannt vor?“

Ooooh nein. Sie hatte doch nicht ernsthaft... gelallt?!  Sie hatte doch nicht ernsthaft irgendwelche fremden Anabolikajunkies, und dann auch noch gleich zwei von der Sorte, zu sich nach Hause eingeladen?!  Beim Gedanken daran schüttelte sie sich.

Nein, nein, nein! Das durfte wirklich nicht wahr sein! 

Allerdings würde das das Autotüren-Mysterium aufklären… Aber das war doch eigentlich so gar nicht ihre Art.. Sie seufzte.

Also gut, dass die beiden hier in ihrer Wohnung waren, ging also auf ihre vom Alkohol vernebelte Kappe. Aber wer zum Teufel hatte ihnen das Recht gegeben, sich hier gleich heimisch zu fühlen?!

Gerade wollte sie den Mund aufmachen, um die beiden wenigstens deswegen anzupflaumen, als Paul sich schnell einschaltete:

„Ja und, bevor du dich drüber aufregst : Bevor du in dein Zimmer gestolpert bist, hast du uns noch lautstark klar gemacht <´sch würd ja sagn, einer von eusch schläf bei mir..Aber s wär ungerecht und ´sch mag misch nisch entscheidn. Also.. Jungs.. Fühlt euch wie su Hause.>“ 

Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken, hätte geschimpft, geschrieen. Alles zusammen. Und danach hätte sie sich am liebsten in ihr Bett verkrümelt, sich die Bettdecke über den Kopf gezogen und den ganzen verfluchten Abend und den „Morgen danach“ verdrängt.

Nie mehr Alkohol, nie nie mehr.

Sie musste einfach ihre Gedanken ordnen, irgendwie. Frische Luft! Ja, gemischt mit ein wenig Nikotin wirkte die doch immer wieder Wunder!

May erhob sich, griff nach der Zigarettenschachtel, die auf dem Tisch lag und wollte sich gerade auf den Weg zum Balkon machen, als ein empörtes „Hej, das sind meine!“ hinter ihr ertönte. Paul. Sie wirbelte herum, funkelte ihn böse an. Sein Gesicht wechselte schlagartig die Farbe und er biss sich auf die Lippen. 

Innerlich triumphierend, da dieser Blick einfach unschlagbar war, machte May auf dem Absatz kehrt und stolzierte Richtung Balkon, der direkt an ihre Küche anschloss.

Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, sackte sie zusammen und schlug sich die Hand gegen die Stirn.

Was da alles hätte passieren können… Schon wieder die verfluchte Stimme ihrer Mutter in ihrem Kopf.
 

Nachdem sie die Schachtel halb leer geraucht hatte, ganz im Kettenraucher-Stil, stieß sie einen tiefen Seufzer aus und kehrte in die Küche zurück. Sie fühlte sich kein Stück besser. 

Wie lange genau sie weg gewesen war, konnte sie nicht sagen, auf jeden Fall zehn Zigaretten lang.

Erleichtert atmete sie auf. Die Küche war leer. Gott sei Dank!

Nach einem Streifzug durch die gesamte Wohnung – so ganz konnte sie noch nicht glauben, dass sie die beiden wirklich los war – kehrte sie zu ihrem Ausgangspunkt, der Küche, zurück und machte sich erst mal eines ihrer liebsten Avocadosandwiches, die wirkten bei einem Kater wirklich Wunder.

Gerade hatte sie es sich auf der Küchenzeile bequem gemacht und herzhaft – oder besser gesagt so, dass die Avocadocreme an den Seiten herausquoll – in ihr Sandwich gebissen, als ihr Blick auf einen fein säuberlich zusammengefalteten Zettel neben der Kaffeemaschine fiel. 

Sie glitt von der Ablage, ging schnurstracks auf die Kaffeemaschine zu, grabschte nach dem Zettel und entfaltete ihn:
 

„Hej Kleines.“ Sie schnaubte. Witzig, wirklich witzig. Sie könnte ihre Hand dafür ins Feuer legen, dass das auf Arnolds.. äh.. Sams Mist gewachsen war.

„Da wir irgendwie das Gefühl hatten, nicht wirklich…nunja.. erwünscht zu sein..“ Ay Blitzmerker! Na, immerhin hatte die Klette es diesmal früher verstanden als am vergangenen Abend. Aber verdammt, wer zum Teufel schreibt denn bitte in einem.. Brief? “Nunja“?! 

„..haben wir uns gedacht, wir lassen dich deinen Kater mal ausschlafen und uns schon mal auf den Weg nach Hause gemacht.“ Na dankeschön, zu gnädig, die Herren.

„Falls du uns aber vermissen solltest…“ Erneut entwich ihr ein empörtes Schnauben.

„Hier hast du unsre Nummern. Falls du mal wieder ein Taxi brauchst, oder den Abend nicht allein verbringen willst“ Und DAS war hundertprozentig auf Pauls Mist gewachsen. Idiot. Zischend stieß sie Luft aus. Was hatte sie sich da nur eingehandelt?!

Darunter standen gut lesbar zwei Handynummern, ihre Namen und eine abschließende Anmerkung.  Ein P.S. also . Sowas von out. Oder hieß das nicht mittlerweile over? Whatever. Over and out.

„P.S.: Paul wünscht dir übrigens noch ein paar angenehme Stunden mit seinen Zigaretten, er wird langsam schon ganz hibbelig, an der nächsten Tanke muss er sich wieder eindecken sonst wird er unerträglich.“ Pah! Noch unerträglicher?! Ist das denn möglich?

May grummelte sich etwas in ihren imaginären Bart und zerknüllte den Zettel in ihrer Hand. 

Gerade wollte sie ihn in den Mülleimer schmeißen als sie inne hielt. Sollte sie wirklich?

Wieder schlug sie sich die Hand gegen die Stirn. Was zur Hölle war nur los mit ihr?! Sie setzte erneut zum Wurf an, zog ihre Hand aber im letzten Moment zurück.

Schnieke waren die beiden ja schon, aber das Ego der beiden übertraf fast das ihrige, also wäre es wirklich keine gute Idee, wenn sie den Zettel behalten würde. Sonst käme sie vielleicht im betrunkenen Kopf auf die törichte Idee, einen der beiden wirklich anzurufen.

May öffnete den Mülleimer noch einmal, ein letztes Mal, und versenkte den Zettel in den unergründlichen Tiefen des Müllschluckers.

Dann machte sie sich mit einer Packung Kekse bepackt auf den Weg in ihr Schlafzimmer und ihr heißersehntes Bett. Vergessen. Den Mist einfach vergessen.

Nie mehr Alkohol, nie nie mehr. Das schwor sie sich, und es war ihr voller Ernst. Mindestens so voll, wie sie es am Abend gewesen war.
 

Und, was meint ihr? Reviews, Wertungen etc wären echt klasse;)

Coffee, Halleluja!

Das Erste, was man am nächsten Tag aus Mays Wohnung vernahm war ein penetrantes Piepsen gefolgt von einem lauten metallischen Scheppern und einem genervten „Ach, halt die Fresse!“.

Montag, 8 Uhr. Morgenstund hat Gold im Mund. Als sich diese Phrase in ihren Kopf schlich, hätte sie am liebsten direkt vors Bett gekotzt. Unglaublich, welchen Mist man als Kind eingetrichtert bekommt.

May rollte sich aus dem Bett und schleppte sich auf direktem Weg in die Küche aus welcher bereits engelsgleiche Geräusche ertönten. Das Surren und Brummen ihrer Kaffeemaschine, das leise Tröpfeln des Kaffees, das alles war Musik in ihren Ohren.

Zwei Tassen Kaffee und drei Zigaretten später fühlte sie sich einigermaßen gewappnet für den Tag.

“Himmel, du beschwerst dich, weil du um halb 10 auf der Arbeit sein musst? Jeder andere Normalsterbliche arbeitet da schon fast drei Stunden. Dir kann man es wirklich nie Recht machen.“ Das hatte Ruby mal gesagt.

Und sie hatte Recht. May beschwerte sich. Und ja, man konnte es ihr wirklich nie Recht machen. Zugegeben, ihr Job im Plattenladen war wirklich locker, aber diese verfluchten Montage, diese verfluchten Wecker, dieses verfluchte Aufstehen, darauf könnte sie wirklich verzichten.

Nachdem sie ihre allmorgendliche Dusche und die ebenso allmorgendliche nervenaufreibende Kleidersuche – sie hatte mal wieder vergessen, zu waschen – hinter sich gebracht hatte, schnappte sie sich ihre Schlüssel von der Kommode und schwang sich auf ihr Motorrad. Ein klappriges, rostiges Ding, das schon auseinanderzufallen drohte, und morgens meistens noch müder war, als die Fahrerin selbst.

Als sie dann endlich vor dem kleinen, unscheinbaren Laden ankam, war ihre Nase halb gefroren und ihre Ohren schmerzten vom Fahrtwind.

Manchmal verfluchte sie den Tag, an dem sie sich für ein Motorrad entschieden hatte, anstatt sich wie jeder normale Mensch ein Auto mit Sitzheizung zu kaufen.
 

Der Vormittag verlief ruhig, wie sollte es auch anders sein. Manchmal langweilte May sich wirklich zu Tode. Aber kein Wunder, selbst in einem verflucht kleinen Kaff wie La Push war die moderne Technik mittlerweile angekommen und kein noch so betrunkener Idiot kam auf die Idee, sich Schallplatten zu kaufen.

Gegen Mittag hatte dann auch der Besitzer, ihr Chef, endlich einmal die Güte, im Laden aufzutauchen. Eigentlich ein netter Kerl, aber dieses permanente Scheißgrinsen, dass an diesem Tag in seinem Gesicht klebte, welches durch keine noch so zynische Bemerkung ihrerseits aus seinem Gesicht zu wischen war, ging ihr wirklich auf den Geist. Sie grummelte missmutig vor sich hin und rührte in ihrer mittlerweile fünften Tasse Kaffee herum als das Klingeln der Glocke, die über der Ladentür hing, sie dazu brachte, überrascht aufzuschauen. Und was sie dann erblickte, ließ sie aus allen Wolken fallen. Das durfte doch wohl nun wirklich nicht wahr sein!

Indianer! Gott, nein! Diese indigenen Bodybuilder schienen sie wortwörtlich zu verfolgen.

„Hej, wie kann ich dir helfen?“ Ihre Fassungslosigkeit hatte sie schnell hinter ihrer „Ich-liebe-meinen-Job-und-meine-Kunden-und-es-ist-mir-eine-Ehre-sie-beraten-zu-dürfen“-Maske verschwinden lassen und ihr verhasstes künstliches, aber wirkungsvolles Lächeln aufgesetzt.

„Ich bin hier wegen der Schallplatten.“ – Oh nein, entschuldige, die sind uns leider ausgegangen… Junge, das hier ist ein Schallplattenladen!!!

„Ja…“ sie verlor ihr Lächeln für eine Millisekunde, konnte es sich aber gerade noch so verkneifen, genervt die Augen zu verdrehen. Sie seufzte leise. „Suchst du denn etwas Bestimmtes?“

„Jaaake, das bist du ja endlich! Lass dir das bloß nicht zu Gewohnheit werden!“ ihr Chef stürmte aus dem Hinterzimmer, in dem sich die Kaffeemaschine befand, und hüpfte regelrecht auf den bronzefarbenen Riesen zu.

May glotzte die beiden an wie ein Auto, ihr Mund stand sperrangelweit offen. Der Kerl, der wohl Jake zu sein schien, schaute in ihre Richtung, verzog seinen Mund zu einem schiefen Grinsen und zuckte die Schultern während ihr Chef, der ihm gerade mal bis zur Brust reichte, seine Arme um ihn schlang und ihm fest auf den Rücken klopfte.

Als er endlich von ihm abließ wandte er sich May zu : „Darf ich vorstellen? Jake – May. May, das ist Jake, die neue Aushilfe.“

Ihr fielen die Augen aus dem Kopf. „B..bitte was?! Aber..“ sie verstummte. Wozu verflucht brauchten sie eine Aushilfe? Der Laden erstickte schon im Staub, hier tauchte so gut wie nie ein Kunde auf! Der Kerl manövrierte sie geradewegs in den Ruin.

„Ach Liebes, ich dachte mir, um deine Kaffeesucht ein wenig einzudämmen und deiner Unterhaltung wegen sorge ich dafür, dass du ein wenig Gesellschaft bekommst.“ Ein verächtliches Schnauben konnte sie einfach nicht zurückhalten. Freundlich, zu freundlich.

Gesellschaft, ok. Aber doch nicht so einer!
 

Eine halbe Stunde später war sie allein mit dem Proteindrink-Abhängigen. Ihr Chef hatte die Güte gehabt, sie beide alleine zu lassen, damit „sie sich ein wenig beschnuppern konnten“. Den aufkommenden Würgereiz hatte May erfolgreich unterdrückt. Beschnuppern – Gott, sie war doch kein Hund.

Jake stand noch immer mitten im Laden, wie bestellt und nicht abgeholt, und schien sich das Gehirn, dass deutlich unter den immensen Mengen Anabolika gelitten zu haben schien, darüber zu zermartern, wie er ein Gespräch anfangen konnte. Natürlich hatte May das bemerkt. Aber sie machte keinerlei Anstalten, die für ihn peinliche Stille zu unterbrechen, geschweige denn ihm den Laden zu zeigen. Von Bodybuildern hatte sie wirklich genug. Das konnte er ruhig merken.

Gut, wenn sie ehrlich zu sich war, war das wirklich unfair. Er konnte schließlich nichts über ihre.. speziellen Erfahrungen an diesem Wochenende. Aber sie brauchte noch ein paar Tage, um sich von alle dem zu erholen. Und sowieso und überhaupt, es war Montag, verdammt! Sie zog eine Schnute und verschränkte die Arme vor der Brust. Und ja, sie war sich bewusst, dass das wirklich dämlich aussah, wie ein Kleinkind. Aber so war sie nun mal, wie ein Kleinkind. Wenn etwas nicht nach ihrem Willen ablief, wurde sie bockig.
 

Am Ende des ihr schier unendlich vorkommenden Arbeitstages - der Kater vom Wochenende war eben doch noch nicht ganz verschwunden – hatten Jake und sie dann doch einige Sätze miteinander gewechselt, und sie hatte ihre Trotzhaltung abgelegt. So übel war der Kerl gar nicht.

Was aber nicht hieß, dass sie beste Freunde werden würden. Auch nicht, dass die andern beiden Typen, Sam und Paul, auch ganz in Ordnung waren.

Aber Jake war es, glaubte sie zumindest. Und Ausnahmen bestätigen ja bekanntlich die Regel.

About Coffee, Beer, Friends and...

Sie hatte den Laden bereits abgeschlossen und nun standen die beiden fröstelnd in der Abenddämmerung vor der Ladentür.

„Also..“ setzte May an, schwieg dann aber. Sie wusste nicht recht, was sie sagen oder tun sollte, die Gesamtsituation war doch immer noch viel zu… seltsam.

„Was machst du heute noch? Hast du vielleicht Lust auf ein Feierabendbier im Pub?“ Jake strahlte sie hoffnungsvoll an.

„Ach Jake, ich weiß nicht.. Es ist schon spät und morgen..“ Gott, wer hatte sie denn verdammt noch mal so weich geklopft?!

„Es ist acht Uhr. Nur für eine Stunde, bitte.“ Bettelte er.

Sie schaute ihn mit hochgezogener Augenbraue an und trat einen Schritt zurück. Reine Vorsichtsmaßnahme. Bei Kerlen wie ihm wusste man ja nie…

„Es ist auch kein Date oder so, keine Sorge. Ich habe eine Freundin. Nur so unter Kollegen.“ Er grinste sie weiterhin schief an.

„Wenn du kein Bier magst.. Coke gibt’s da auch. Und Kaffee.“ Fügte er schnell hinzu. May seufzte. Eines hatten diese Kerle alle gemein : Sie waren unglaublich hartnäckig, wenn sie etwas wollten.

„Ja, gut ok. Eine Stunde, aber nicht länger. Ich hab noch Schlaf nachzuholen.“

Kaum hatte sie ausgesprochen, schlug sie sich die Hand vor den Mund. Sie hatte sich doch tatsächlich breitschlagen lassen! Sonst zog sie doch immer nur das durch, was sie wollte! Was war nur los mit ihr, war sie krank? Hatte sie Fieber? Sie fasste sich an die Stirn. Nichts.

Jake, der sie zunächst irritiert anblickte, schüttelte bloß den Kopf und hielt ihr den Arm hin. Jetzt war sie es, die ihn perplex anstarrte. Von ihm zu seinem Arm seinen Autoschlüsseln, die in seiner anderen Hand erwartungsvoll klimperten.

Verführerisch so ein bequemes Auto mit Sitzheizung… Sie grübelte.

„Ach verflucht nein, ich bin mit dem Motorrad hier. Hier stehen lassen kann ich s nicht, sonst komm ich morgen nicht zur Arbeit.“ Sie schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.

„Kein Problem. Bring es heim, ich fahr dir hinterher, hab ja die hier.“ Er zwinkerte ihr zu und klimperte bedeutungsvoll mit den Schlüsseln.

May nickte bloß. „Dann bis gleich.“ Wieder strahlte Jake sie an. Eine Frohnatur, durch und durch. Das könnte auf der Arbeit noch zu Problemen führen..
 

Sie nippte bereits an ihrem dritten Bier, als Jakes Handy klingelte und er sich kurz nach draußen verabschiedete. Der Abend war bisher – zu ihrer Überraschung – wirklich gut gelaufen. Und damit hätte sie allen Ernstes nicht gerechnet. Das Bier hatte wohl einen großen Teil dazu beigetragen, denn sie hatte ihren Zynismus fast schon abgelegt und scherzte mit ihm. So kannte man sie eigentlich nicht, so kannte SIE sich nicht.

„Ist´s okay für dich, wenn noch ein paar Freunde vorbei kommen? Sie wollen mich unbedingt über meinen ersten Arbeitstag ausfragen und meine neue Kollegin kennen lernen.“ Unterbrach Jake ihren verworrenen Gedankenfluss und bei dem Wort „Kollegin“ zwinkerte er ihr zu. Hatte der eigentlich irgendeine Nervenstörung?

May zuckte bloß die Schultern „Klar, von mir aus. Solang die Kerle sich benehmen und nicht MICH mit irgendwelchen nervigen Fragen löchern.“

Jake lachte auf. „Keine Sorge, so schlimm sind sie nicht.“ Dann tippte er schnell eine SMS.

Keine zwanzig Minuten später ging die Tür zum Pub auf und eine Horde groß gewachsener, Proteindrink- und Anabolika-Abhängiger Bodybuilder trat ein.

May runzelte die Stirn. Die Ähnlichkeit aller untereinander war erschreckend.

Im nächsten Moment wäre sie am liebsten schreiend rausgerannt. Sie war so dumm, so naiv. Wie hoch war denn bitte die Wahrscheinlichkeit, dass ausgerechnet DIE BEIDEN auch zu Jakes Freundeskreis zählten? Genau : 110 Prozent! Dummes, dummes Kind!

Ihr zuvor fast schon warmes Lächeln erstarb und der Zynismus kroch zurück in ihren Kopf. Dort fühlte er sich nun mal am wohlsten.

Im nächsten Moment war sie umringt von Jakes Freunden, die sich ihr vorstellten und als sie sich mit den Worten „Jungs, ich mach mich auf den Nachhauseweg. War schön euch kennen zu lernen, aber ich bin echt todmüde.“ Erhob, wurde sie augenblicklich wieder zurück in ihren Stuhl gedrückt und fand sich in Pauls Armen wieder. Paul.

„Kleiiines, schön dich zu sehen! Ich hoffe, du bist deinen Mörderkater wieder losgeworden. Aber mal ernsthaft, du kannst jetzt echt noch nicht gehen, erzähl erstmal, wie sich unser Großer hier macht.“ Er grinste sie breit an.

Sam stand noch immer im Eingang und starrte sie an. Seine schokobraunen Augen blitzten… erfreut? Beinahe hätte May sich wieder in ihnen verloren..

Im Nachhinein hätte sie den Beiden am liebsten eine runtergehauen, denn das was jetzt folgte, waren verblüffte, fragende Gesichter der anderen und ein Kreuzverhör. Wie, seit wann, woher sie sich kannten. Zum Kotzen. Fehlte wirklich nur noch die grelle Taschenlampe, die ihr ins Gesicht schien.
 

Als der Wissensdurst der anderen befriedigt war, einige sich schon auf den Nachhauseweg gemacht hatten, beschloss May, sich erst einmal einen Schnaps zu gönnen. Nein, zwei. Drei. Langsam fühlte sie sich wohler in ihrer Haut. Doch der Zynismus blieb.

Mit Sam hatte sie kaum ein Wort gewechselt, ihn geflissentlich ignoriert. War auch besser so. Ihrer Meinung nach zumindest.

Mittlerweile saßen nur noch sie, Jake und Sam um den runden, massiven Holztisch.

Es war schon weit nach 12, als Sam und Jake sich erhoben und May auffordernd ansahen. Doch die entschied sich, mit dem Taxi zu fahren und sich noch ein Bier oder einen Schnaps zu genehmigen. Nach dem Schock brauchte sie wirklich nur eins : Alkohol.

Jakes Überredungskünste schlugen diesmal nicht an, May blieb bockig.

Also zuckte der bloß die Schultern, wuschelte ihr unter starkem Protest ihrerseits durch das Haar und war dann auch schon verschwunden.

«

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Listen...

Kaum war die schwere Holztür hinter Sam und Jake zugefallen, vernahm man von May ein tiefes Seufzen.

Sie grabschte nach ihrem was-wusste-sie-wie-vielten Bier und ließ sich in den Stuhl zurücksinken. Ihr Rücken schmerzte, die ganze Zeit hatte sie stocksteif und verkrampft dort gehockt und mit „Dem da oben“ eine gedanklich lautstarke Diskussion darüber geführt, was sie denn bitte verbrochen hatte, dass er ihr DAS antat.

Gut, es war eher ein gedanklicher Monolog gewesen, sie hatte von „ihm“ kein einziges Mal eine Antwort bekommen – natürlich nicht.

Wie auch immer, jetzt hatte sie wenigstens das, wonach sie sich den ganzen Tag so gesehnt hatte : ihre Ruhe!

Sie schloss die Augen für einen Moment und genoss die Stille – es war innerhalb der letzten halben Stunde erstaunlich leer geworden, bis auf einen volltrunkenen Mitte-50er, der bereits seinen Kopf auf die Theke gebettet hatte und vor sich hin schnarchte und einem frischverliebten Pärchen, dass nur leise flüsterte, war der Pub wie leergefegt.

Als May das knarzende Geräusch der Tür zusammenzucken ließ, war klar, dass sich auch das Pärchen endlich auf den Heimweg gemacht hatte. Sollte sie wohl auch bald mal. Whatever.

Als dann auch noch einer der Stühle, der ihr direkt gegenüber stand, laut über den Boden schrabbte, schlug sie die Augen wieder auf. Der Besitzer hatte für heute wohl auch genug, es war ja schließlich schon.. WHAT THE FUCK?!

„Was machst du denn noch hier?“ zischte sie. „Der da oben“ hatte sie heute wirklich auf dem Kieker. Ihr Gegenüber – und nein, es war nicht der Wirt – ließ bloß sein wohlbekanntes, dunkles, warmes Glucksen vernehmen, welches May wohlige Schauer über den Rücken jagte.

Argh! Nein, nein, nein. Dejà-vue! Nicht schon wieder! Sie war betrunken, und mit ihm alleine.

Augenblicklich saß sie wieder kerzengerade auf ihrem Stuhl und blitzte ihn böse an.

„Hej, hej, Kleines. Keine Panik. Bin gleich wieder weg, hab nur meine Jacke hier liegen lassen.“ Sam grinste sie schief an und deutete auf den schwarzen Stoffhaufen neben ihm.

Als er ihn demonstrativ in die Höhe hielt, um ihr zu beweisen, dass es wirklich seine Jacke war – Himmel, der musste es auch immer übertreiben – fielen May beinahe die Augen aus dem Kopf. DAS war keine Jacke, DAS war ein Zelt.

Sie würde da mindestens fünf Mal reinpassen. Wieder gluckste er und seine schokobraunen Augen funkelten sie amüsiert an. Gott, wie sie das hasste. Er machte sie damit ganz…

Nein, nein, nein! Kind, das ist der Alkohol! Ab ins Bett mit dir!

„Aber, wenn ich schon mal hier bin, kann ich dich auch gerade mitnehmen. Ich glaub er“ Sam nickte in Richtung Bar, wo der Wirt genervt die letzten Gläser polierte „will auch gleich Schluss machen.“

Mays rechte Augenbraue schoss in die Höhe. Das Ganze hatte viel zu viel Ähnlichkeit mit ihrem ersten Aufeinandertreffen.

„Keine Sorge, ich setz dich nur ab und fahr dann wirklich nach Hause.“ Er zwinkerte ihr zu. Woher zur Hölle wusste er, was sie dachte?

Sie blickte ihn noch einmal skeptisch an, warf dann einen kurzen Blick auf die Uhr und seufzte. Jetzt noch ein Taxi zu bekommen dürfte nahezu unmöglich sein und da sich die Welt heute sowieso gegen sie verschworen zu haben schien, könnte sie gleich zu Fuß laufen. Um dann wieder für ein Reh gehalten zu werden,

„Jaaa.. Okay.“ Sie knallte ein paar Scheine auf den Tisch, erhob sich und verschwand durch die Tür. Auf den verdutzten Sam nahm sie keinerlei Rücksicht. War ja seine Idee gewesen, sie mitzunehmen.

Wenige Sekunden später hatte er sie eingeholt, sie war schon fast auf der Höhe seines Autos. Schlafen, endlich endlich schlafen.

Doch er stellte sich ihr in den Weg und legte eine seiner glühend warmen Riesenpranken auf ihre Schulter.

„Hör mal. Ich weiß, dass die ganze Aktion letztes Wochenende kein guter Start war. Aber warum bist du immer noch sauer? So schlimm wars doch jetzt auch wieder nicht. Mal abgesehen davon werden wir in Zukunft wohl öfter zusammen abhängen, jetzt, wo Jake dein Kollege ist und…“ den Rest hörte sie gar nicht. Öfter zusammen abhängen?!

„Ich hasse den da oben!“ fluchte sie. Sam sah sie nur irritiert an, fing dann aber lauthals an zu lachen, als er ihren verbitterten Gesichtsausdruck sah. Das war zu viel.

Giftpfeilmodus : On. Dem ganzen schickte sie noch ein bissiges „WAS?!“ hinterher, und Sam verstummte sogleich.

„Tschuldige.“ Er räusperte sich. „Ich mein doch nur.. Also, ich glaub, ich find dich echt in Ordnung, wenn du nicht immer so kratzbürstig mir gegenüber wärst. Was hab ich dir denn getan?“

„Was du mir getan hast?! WAS DU MIR GETAN HAST?!“ sie brüllte. „DU.“ Sie drückte ihm ihren Zeigefinger gegen die Brust. „DU hast dich einfach so bei mir zu Hause breit gemacht! DU hattest die Frechheit, dich dann auch noch einfach so in meiner Küche zu bedienen, als wäre das selbstverständlich! DU hast mich Kleines genannt! Und DU erinnerst mich zu sehr an IHN. DAS hast du getan!“ sie verstummte augenblicklich und schlug sich die Hand vor den Mund.

Verflucht, verflucht, verflucht! Das hatte sie doch jetzt nicht wirklich gesagt?! Das alles hatte sie ihm zwar schon lange sagen wollen, aber ein kleines Detail hätte eigentlich in ihrem Kopf bleiben sollen.

Jetzt lagen beide Pranken auf ihren Schultern. Sam beugte sich ein Stück zu ihr hinunter und fixierte sie mit seinem Blick. „Ich erinnere dich an ihn? Wen? Was ist passiert, Kleines?“

Verfluchte Mistkacke! Das Ganze lief total aus dem Ruder. May wich ein paar Schritte zurück, er hielt sie nicht fest, engte sie nicht ein, schaute sie bloß besorgt an.

„Nichts ist passiert!“ Fauchte sie. „Rein gar nichts ist passiert! Dieses Arschloch hat nichts getan. Absolut nichts!“

Things she´ll never say..

Sam´s POV:
 

„Was du mir getan hast?! WAS DU MIR GETAN HAST?!“ sie brüllte. „DU.“ Sie drückte mir ihren Zeigefinger gegen die Brust. „DU hast dich einfach so bei mir zu Hause breit gemacht! DU hattest die Frechheit, dich dann auch noch einfach so in meiner Küche zu bedienen, als wäre das selbstverständlich! DU hast mich Kleines genannt! Und DU erinnerst mich zu sehr an IHN. DAS hast du getan!“ sie verstummte augenblicklich und schlug sich die Hand vor den Mund.

Ich legte ihr meine andere Hand behutsam auf die Schulter und zwang sie, mich anzusehen. Und bereute es sogleich.

Da lag soviel Schmerz in ihren Augen, Wut. Und Angst. Es tat weh sie so zu sehen.

„Ich erinnere dich an ihn? Wen? Was ist passiert, Kleines?“ Ich wusste, dass sie es nicht mochte, wenn ich sie so nannte. Aber ich konnte nicht anders, sie war doch.. meine Kleine.

Sie wich einige Schritte zurück und ich ließ sie gehen. Sie jetzt festzuhalten wäre vermutlich lebensgefährlich.

„Nichts ist passiert! Rein gar nichts ist passiert! Dieses Arschloch hat nichts getan. Absolut nichts!“ Ihre Stimme brach und sie drehte den Kopf weg. Ich war mir sicher, dass sie weinte.

Ich knurrte. Was hatte dieser verfluchte Mistkerl mit ihr angestellt?

Erschrocken blickte sie auf, Tränen liefen ihre Wangen hinab.

„Was hat dieser Wichser dir angetan? Sag es mir!“ Ich trat einige Schritte auf sie zu. Die Wut machte sich in meinem Körper breit und ich begann zu zittern. Wer war dieser Mistkerl? Ich schwor, wenn ich ihn in die Finger bekommen würde dann…

Ich hatte gar nicht bemerkt, dass meine Stimme bedrohlich angeschwollen war, doch als May weiter zurück wich, hielt ich inne. Ich hatte sie nicht verängstigen wollen... Aber das hatte ich scheinbar schon, verflucht!

„Entschuldige, es ist nur… Ich... Bitte, sag mir, was er getan hat.“ Ich redete bemüht sanft auf sie ein, blickte sie ehrlich an. Es tat mir so unendlich Leid, sie verschreckt zu haben. Ich hatte mich für einen Moment nicht unter Kontrolle gehabt und jetzt…

„Ich.. ich kann nicht.“ Sie schluchzte und wieder spürte ich diese Wut in mir, die heraus zu brechen drohte. Nicht auf May, nein, auf diesen unbekannten Wichser, dem ich bei der erstbesten Gelegenheit den Kopf abreißen würde,

,Nicht jetzt, Sam.´ mahnte ich mich selbst. Sie wirkte so zerbrechlich, so schwach.

Ich hatte doch von Anfang an geahnt, dass da irgendetwas war. Niemand ist grundlos so... verschlossen, so zynisch. Was war nur mit ihr passiert?

Ich räusperte mich. „Ich weiß, dass es für dich keinen Grund gibt, mir zu vertrauen. Aber ich bitte dich darum, ich flehe dich an. Sag es mir. Ich schwöre, dass ich nicht wie er bin, auch wenn ich ihn nicht kenne. Aber ich könnte dir niemals wehtun, glaub mir.“ Ich schaute sie ernst an.

May lachte hysterisch auf. „Das hat er auch gesagt. Jedes Mal. <Kleines, ich werde dir nicht wehtun, versprochen.> Und dann..“ wieder brach sie ab und eine schreckliche Vorahnung überkam mich.

Jede einzelne Muskelfaser meines Körpers spannte sich bis zum Zerreißen bis und wieder schaffte ich es nur gerade so, meiner Wut Einhalt zu gebieten.

Besorgt fixierte ich May, die in sich zusammengesackt war.

„Hör zu, Babe..“ absichtlich umging ich das von ihr so gehasste „Kleines“, so langsam konnte ich den Grund für ihre Abneigung gegen dieses Wort erahnen..

Sie blickte auf und als sie merkte, dass ich sie mit meinem Blick nahezu röntgte, versteifte sie sich. „Es ist okay, wenn du jetzt nicht drüber reden möchtest, aber ich hoffe, es irgendwann zu erfahren...“ ,…damit ich den Wichser finden und bei lebendigem Leibe aufschlitzen kann.´ setzte ich gedanklich hinzu.

May stieß geräuschvoll Luft aus und von einem Moment zum anderen wandelte sich dass verletzte, geschundene, kleine Mädchen wieder zur unannahbaren, kratzbürstigen Frau, aus deren Augen von Zeit zu Zeit Giftpfeile schossen.

Die Veränderung war so offensichtlich und kam so überraschend, dass ich sie erst einmal vollkommen perplex anstarrte.

„Was?! Mir geht es gut!“ Es sollte wohl ein Fauchen sein, kam aber nicht ganz so wirkungsvoll rüber, wie sie es sich erhofft hatte.

Dann drehte sie sich um, stapfte die letzten Meter bis zu meinem Auto und vermied es bedacht, sich zu mir umzudrehen.

Ich seufzte und setzte mich in Bewegung.
 

Die Fahrt verlief ohne weitere „Zwischenfälle“ und Gefühlsausbrüche ihrer- oder meinerseits.

Genau genommen blickte sie verkrampft aus dem Fenster und ich starrte auf die Straße, ohne wirklich wahrzunehmen, was sich dort direkt vor mir befand. In meinem Kopf fuhren die Gedanken Achterbahn. Allerdings war es nicht diese spaßige Art von Achterbahn fahren, nein, mir wurde schlecht, mein Kopf schmerzte und ich wurde krank vor Sorge um dieses kleine Biest neben mir.

Was hatte er ihr nur angetan? Diese Frage drängte sich immer wieder in den Vordergrund und machte mich verrückt. Zu gerne hätte ich May noch einmal gefragt, aber in meinem Inneren wusste ich, dass es keinen Zweck haben würde, sie würde mir nicht antworten. Sie hatte mir ohnehin schon mehr gesagt, als sie eigentlich hatte tun wollen.
 

„Danke.“ Verwirrt blickte ich sie an. Hatte sie das gerade wirklich getan? Sich bedankt? Bei mir? Da kamen ja immer mehr Seiten an ihr zum Vorschein, die ich nicht kannte.

„Ja, bitte, gern geschehen.“ Stammelte ich.

Als sie sich zur Tür wandte um auszusteigen, hatte ich nur diesen einen Gedanken: „Ich will nicht, dass du gehst. Lass mich bei dir bleiben.“ Doch mein Mund blieb geschlossen und so verließ sie, ohne auch nur ein weiteres Wort zu verlieren, den Wagen und Sekunden später war sie im Haus verschwunden.

Ich seufzte. Diese Frau.. Diese haselnussbraunen Augen… Sie soll MEINE Frau werden. Im nächsten Moment schlug ich den Kopf wieder und wieder gegen das Lenkrad. Nein, nein, nein. Was war nur los mit mir? Es gab nur eine Frau für mich. Emily.

May tat mir Leid, ich wollte ihr doch nur helfen!

My scars remind me that the past is real.

ER war zurück. Zurück in ihrem Kopf.

Es hatte sie Monate, viele Tränen und noch mehr schlaflose Nächte gekostet, um ihn daraus zu verbannen. Und jetzt war wieder da, ganz plötzlich war er wieder in ihren Gedanken aufgetaucht und hatte sich schon häuslich eingerichtet. Das konnte nur eines bedeuten.. Er war wirklich wieder da. Und er würde sie suchen. Und finden.

Ihre Gedanken rasten, sodass ihr schwindelig wurde.

Doch sobald sie die Augen schloss, tauchte sein Gesicht auf. Sein Gesicht und dieses dreckige Grinsen, welches ihr auch jetzt noch kalte Schauer über den Rücken jagte.

Seine Worte halten in ihrem Kopf. Sie hatte sie nie vergessen können, hatte sie nur verdrängt. Jedes Einzelne hatte sich in ihr Hirn gebrannt. Ja gebrannt. Er hatte ihre Seele gebrandmarkt.

Jetzt lag sie also in ihrem Bett, die Decke über den Kopf gezogen und hoffte darauf, dass ihr Gehirn sich irgendwann einfach abschalten würde und sie so in den Schlaf gleiten könnte.

´Das alles ist nur Einbildung. Er KANN nicht zurück sein. Alles nur Einbildung.´ diesen Satz wiederholte sie wie ein Mantra. Doch die kleine fiese Stimme in ihrem Kopf wollte einfach nicht verstummen. ´Was, wenn er doch wieder da ist? Was machst du dann mh? Du bist nicht sicher. Das wirst du nie sein. Er wird dich finden.´

Scheiße. Warum hatte sie diese Wundertabletten nur entsorgt?

- Weil sie der Überzeugung gewesen war, sie nie mehr zu brauchen.

Und doch, sie brauchte sie, genau jetzt!

>Darling, Kleines.. Ich bin doch für dich da. Komm her..< Es stimmte, er war IMMER da gewesen. Er war niemals von ihrer Seite gewichen – auch wenn sie sich nichts sehnlicher gewünscht hatte, als das er genau das tat.

>Ich werde dir nicht wehtun, versprochen, Kleines...< Nie hatte er sein Versprechen gehalten.

>Es hat keinen Sinn, sich zu verstecken, meine Kleine. Ich weiß doch, dass du hier bist...< Immerzu hatte er sanft mit ihr gesprochen. Seine Worte waren sanft, seine Taten… nicht. Sie hatte die Hölle durchlebt, sich weinend unter ihm gewunden, während er mit einem breiten Lächeln im Gesicht lächerlich beruhigend auf sie eingeredet hatte.

Plötzlich wurde ihr schlecht. Stolpernd kämpfte sie sich ins Bad und übergab sich in die Kloschüssel.

Irgendwann sackte sie erschöpft zu Boden und rollte sich auf den kühlen, weißen Bodenfliesen zusammen.
 

Sam POV:
 

Ich blieb noch einige Minuten im Auto sitzen, bevor ich zu Emily ins Haus ging. Ich war verwirrt, aufgewühlt.

Mein Kopf schien zu explodieren, das Blut rauschte in meinen Ohren. Was passierte da gerade mit mir?!

„Sam, du bist übermüdet. Und Alkohol verträgt sich ohnehin nicht gut mit deinen Wolfsgenen. Du gehst jetzt nach drinnen und legst dich zu Emily ins Bett. Morgen sieht die Welt schon ganz anders aus.“ Ich kam mir fast schon lächerlich vor, während ich leise zu mir selbst sprach.

Ich atmete noch ein Mal tief ein, stieg aus dem Auto und trat ins Haus.

„Gott, Sam, da bist du ja endlich. Ich hab mir schon Sorgen gemacht.“ Emily fiel mir um den Hals. Sie trug bereits ihren Schlafanzug. Dies tat sie sonst nur, wenn ich die ganze Nacht auf Patrouille war. Meine Körperwärme reichte sonst für uns beide.

„Ich hab noch jemanden nach Hause gebracht. Gab keine Taxis mehr.“ Nuschelte ich in ihr Haar. Im nächsten Moment fragte ich mich, warum ich sie anlog. Gewissermaßen. Warum ich den „Jemand“ nicht beim Namen nannte. Emily fragte aber auch nicht weiter. Weil sie mir vertraute.

„Mh, okay. Lass uns ins Bett gehen ja? Ich bin totmüde.“ Ich nickte kurz.
 

Kaum lagen wir im Bett, umschlang Emily mich fest mit ihren Armen und kuschelte sich an meine Brust. Wenige Atemzüge später war sie bereits eingeschlafen.

Auch ich schloss die Augen und versuchte, dass seltsame Gefühl zu verdrängen, welches sich in meiner Brust ausbreitete. Doch es gelang mir nicht.

Eine leise, penetrante Stimme in meinem Kopf wiederholte immer wieder und wieder ´Das hier ist falsch. Du solltest nicht hier sein, nicht bei ihr.´

Ich sah immerzu Mays wundervollen braunen Augen vor mir, in denen solche Angst, solche Verzweifelung lag.

Es schmerzte. Sehr. Zu viel. Der Schmerz zerriss mir innerlich das Herz. Das Signal war eindeutig: May! Irgendetwas war passiert. Es ging ihr nicht gut. Ich wusste es einfach. Ich musste zu ihr!
 

Wenige Minuten später stand ich nackt vor ihrem Haus. Das Auto hatte ich stehen lassen und auch an Ersatzkleidung hatte ich nicht gedacht. Überhaupt hatte ich nicht nachgedacht. Ich wusste nur eins : May brauchte meine Hilfe! Einen kurzen Moment hielt ich inne und horchte in die scheinbare Stille.

„Nein, nicht. Bitte, nicht! Ich...“ ihre Stimme war dünn, für normale Menschen nicht zu hören.

WER war bei ihr?! Innerhalb von Sekunden erklomm ich das Dach und stand nun vor dem Fenster zu dem Zimmer, aus welchem ich ihre verzweifelten, erstickten Hilferufe vernahm.

Ich zerschlug das Fenster mit meiner Faust, und stand wenige Wimpernschläge später in dem Zimmer, welches sich als das Bad herausstellte.

Der Anblick, der sich mir bot, brachte mein Herz zum Zerspringen. May lag dort, zusammengerollt und stark zitternd, ihre Arme hatte sie um ihre Knie geschlungen. Ihr Kopf flog hin und her, schlug auf die harten Fliesen und wirre verzweifelte Worte verließen ihren Mund.

Ich kniete mich neben sie, hielt sie an den Schultern fest.

„May.“ Sprach ich leise. „Es ist alles gut. Ich bin da.“ Sie reagierte - allerdings nicht so wie ich es erwartet hatte. Sie begann wild um sich zu schlagen, warf sich hin und her und schrie. „Lass mich! Nein! Ich will das nicht!“

Sie träumte immer noch. „May.“ Jetzt schüttelte ich sie und sprach lauter. „May, wach auf! Ich bins, Sam!“

Augenblicklich schlug sie die Augen auf. Sie waren rot und geschwollen. „Sam.“ Krächzte sie und umklammerte Hilfe suchend meinen Bauch. Sie schluchzte laut auf. Ich ließ mich neben ihr sinken und strich ihr beruhigend über den Kopf.

„Sam.. Ich.. Er ist wieder da. Ich weiß es. Er wird mich finden. Sam, ich werde sterben.“ Tränen quollen aus ihren Augen. Plötzlich ließ sie von mir ab und übergab sich in die Kloschüssel.

Sterben.. Meine kleine May würde sterben?

Cause you are dear to me..

Als May am nächsten Morgen erwachte, wünschte sie es sich, zu sterben. Hier und auf der Stelle. Ihr Kopf schien zu zerspringen, der bittere Nachgeschmack von Erbrochenem lag noch immer auf ihrer Zunge und auch SEIN hämisches Grinsen tauchte augenblicklich wieder auf.

Sie hoffte darauf, dass das alles nur ein unheimlich realistisch wirkender Albtraum gewesen sei – bis sie den ersten bewussten Atemzug an diesem Tag tat und ihr ein angenehmer, herber Duft in die Nase stieg. Irritiert schlug sie die Augen auf und musste unweigerlich lächeln. Für einen kurzen Augenblick verschwanden die düsteren Gedanken.

Sam. Er hatte sie mit seinen starken Armen fest umschlungen und atmete ruhig und gleichmäßig. Er sah so zufrieden aus, so glücklich. Einfach wunderschön.

Für einen Moment ließ sie sich von seiner erstaunlichen Körperwärme und seinem Duft einlullen, als es ihr plötzlich wie Schuppen von den Augen fiel.

Das alles war kein Albtraum gewesen. Sie war tatsächlich im Bad zusammengebrochen, und auch der splitternackte Sam, den sie bis gerade noch für eine Illusion, eine kranke Fantasie gehalten hatte, war mehr als real gewesen. Verstohlen ließ sie ihren Blick tiefer wandern.

Die Bettdecke verdeckte nur seinen Körper nur dürftig…

- Er trug eine Jogginghose. Ihre Jogginghose. Kurz schnaubte sie auf. Dieser Mann hatte wirklich keinerlei Sinn für Eigentum und Privatsphäre.

Sie zuckte zusammen, als er sie näher an sich zog, sein Gesicht in ihr Haar drückte und leise seufzte.

Das war… seltsam. Seltsam, aber nicht unangenehm. Seine Nähe, seinen Duft, seine Wärme. Sie fühlte sich sicher, unheimlich geborgen.

´Sicher?! ´ die leise Stimme in ihrem Kopf schaltete sich ein und lachte hämisch.

´Er wird dich finden, das kann der Riese neben dir auch nicht verhindern. Sofern er das überhaupt wollen würde..´

- ,Aber er war doch hier, in dieser Nacht. Er hat mich getröstet, hat mich beschützt.´ setzte May dem entgegen.

Die Stimme in ihrem Kopf verfiel in einen unkontrollierten Lachanfall.

´So, so. Beschützt hat er dich? Schätzchen, wie blauäugig bist du eigentlich? Er stand mitten in der Nacht nackt in deinem Badezimmer und du wachst am nächsten Morgen neben ihm auf. Kind, er hat deinen schwachen Zustand ausgenutzt. Du hast es ihm ja auch nicht gerade schwer gemacht, hast dich ja regelrecht an ihn rangeschmissen.´

Das saß. May zuckte zurück. Diese Vermutung klang gar nicht so abwegig. Doch würde Sam wirklich…? Hatte er…? Während sie geschlafen hatte?

Augenblicklich saß sie kerzengerade im Bett und schaute ihn angewidert an. Sam murrte aufgrund der ruckartigen Bewegung kurz auf, seine Augen blieben aber geschlossen.

„Raus aus meinem Bett! Raus aus meiner Wohnung! Sofort! Du Mistkerl, was fällt dir eigentlich ein?!“ fauchte sie ihn an.

Jetzt saß auch er aufrecht neben ihr und stand einen Bruchteil von Sekunden später einige Meter von ihrem Bett entfernt.

„Wie was? May, was ist passiert? Geht’s dir gut? Hast du schlecht geträumt?“ er war verwirrt, besorgt und redete wie ein Wasserfall. Sie war gerührt, ungefähr einen Augenaufschlag lang. Dann wurde sie wieder sauer. Diese verfluchten Hormone.

„Was sollte das letzte Nacht? Was zur Hölle hast du mit mir angestellt?!“ Auch sie war nun aus dem Bett gesprungen und baute sich vor ihm auf – soweit ihr das mit ihren 1,63 möglich war. Sam wich einige Schritte zurück und starrte sie perplex auf sie hinab.

„Angestellt? Ich verstehe nicht. Warum..?“ May entfuhr ein verächtliches Schnauben.

„Ich bitte dich! Du tauchst einfach so mitten in der Nacht nackt in meinem Badezimmer auf, wartest, bis ich eingeschlafen bin und nutzt dann deine Chance. Du bist so was von widerlich!“ die letzten Worte spuckte sie ihm regelrecht entgegen.

Sein Gesicht nahm langsam wieder Farbe an. Er begann zu verstehen.

„May, ich glaube, hier liegt ein furchtbares Missverständnis vor..“ Erneut schnaubte sie auf und verschränkte die Arme vor der Brust.

„So? Ein Missverständnis? Na dann bin ich mal gespannt, wie du DAS erklären willst.“
 

Sams POV:
 

„…Na dann bin ich mal gespannt, wie du DAS erklären willst.“

– Das fragte ich mich allerdings auch. Ich durfte schließlich nicht zu viel verraten – noch nicht.

Ich seufzte. „Okay, ich gebe zu, dass ist alles sehr verwirrend, und meine Erklärung wird vielleicht auch ein wenig… abstrus klingen. Aber bitte, lass mich erst ausreden, bevor du ein Urteil über mich und die Situation fällst. Versprich mir das.“ Ich blickte sie fest an, wartete auf eine Reaktion ihrerseits.

May fuhr sich fahrig über das Gesicht, dann gab sie sich geschlagen und nickte.

„Sag es.“ Forderte ich sie auf. Sie stöhnte genervt.

„Gott, Sam, mach es doch nicht so spannend.“ Ich fixierte sie weiter und machte ihr deutlich, dass ich keine Anstalten erheben würde, mit der Geschichte zu beginnen, bevor sie mir nicht ihr Versprechen gegeben hätte.

Erneut entwich ihr ein lautes Seufzen. „Ist ja gut. Auch wenn es ganz schön dreist ist, in so einer Situation auch noch Forderungen zu stellen. Aber gut, ich verspreche dir, dich ausreden zu lassen. Ich werde meinen Mund halten, okay?!“

Ich nickte und schwieg weiter. Wo sollte ich nur anfangen?

May stand noch immer mit verschränkten Armen vor mir und tippte genervt mit dem Fuß auf den Boden. Innerlich schmunzelte ich. Geduld war wohl ihr zweiter Vorname – nicht.

„Ich… Ich weiß, es klingt seltsam. Aber als ich gestern im Bett lag…“ die Tatsache, dass eine gewisse Person mir dabei Gesellschaft geleistet hatte, überging ich galant. Warum? Ich wusste es nicht… Ich schob den Gedanken beiseite und sprach weiter.

„Ganz plötzlich wusste ich, dass irgendetwas hier nicht stimmt. Dass es dir schlecht geht. Dass du vielleicht in Gefahr bist.“ Mays Augenbraue schoss in die Höhe, doch sie unterbrach mich nicht. Sie hielt ihr Versprechen – kaum zu glauben.

„Ja, ja, ich weiß, es klingt verrückt… Jedenfalls.. Ich lag also im Bett, und hatte dieses Gefühl. Nein, es war mehr als nur ein Gefühl. Ich wusste es einfach. Also hab ich mich direkt auf den Weg gemacht.“

Mays Zeigefinger schoss in die Höhe. Ich brauchte einige Sekunden, um mich daran zu erinnern, dass dies eine Geste war, die ich noch entfernt aus meiner Schulzeit kannte, und dass diese Geste um die Erlaubnis bat, sprechen zu dürfen. Ich schmunzelte und nickte ihr zu.

„Wie bist du das Dach hochgekommen? Warum hast du das Fenster eingetreten? Und viel wichtiger noch: Warum zur Hölle warst du nackt?!“ Die Fragen sprudelten geradezu aus ihr heraus.

Beschwichtigend hob ich die Hände. „Immer langsam. Dazu wollte ich eigentlich jetzt kommen. Also.. Das Dach, nunja, ich bin hochgeklettert. Ich bin recht sportlich, falls dir das entgangen sein sollte.“ Es klang ein wenig spöttisch, das musste ich zugeben, aber die Frage war auch wirklich… Nunja.

May streckte mir bloß die Zunge raus. Ich schüttelte kurz den Kopf, dann fuhr ich fort.

„Das Fenster hab ich eingetreten, weil.. es war eine Kurzschlussreaktion. Ich hab dich da am Boden liegen sehen, zitternd. Hab deine Worte gehörte. Ich dachte schon, es sei sonst was passiert. Ich werde den Fensterschaden begleichen, versprochen.“ May schaute mich geradewegs an, ihre Gesichtszüge wurden weicher. Sie schien mir zu glauben, Gott sei Dank.

„Naja und nackt war ich weil… Ich habe ja schon im Bett gelegen, und habe in meiner Panik nicht mehr daran gedacht, mir etwas anzuziehen. Ich bin aufgesprungen, und dann direkt hierher gerannt..“ Ein kurzes Schweigen trat ein.

„Du bist gerannt?! Du bist doch verrückt! Ja, komplett bescheuert bist du!“ rief sie entsetzt. Doch da lag kein Vorwurf in ihrer Stimme, sie war gerührt... Auch wenn sie das wohl niemals zugeben würde.

Mays zuvor verkrampfte Haltung entspannte sich. Dann trat sie einige Schritte auf mich zu und starrte meine Brust an.

„Du… du hast mich also nicht angefasst?“ Röte stieg ihr ins Gesicht.

„Gott nein! Das würde ich ohne deine Zustimmung nie tun.“ Jetzt war es an mir, die Farbe einer Tomate anzunehmen. Nur gut, dass sie ihren Blick weiterhin starr auf meine Brust gerichtet hatte, so bekam sie davon nichts mit.

Ich räusperte mich. „Okay, so ganz stimmt das nicht..“ Ihr Kopf schnellte nach oben und sie starrte mich entsetzt an.

„Ich hab dich angefasst… und dich ins Bett getragen. Ich hätte dich doch nicht auf den kalten Badfliesen liegen lassen können.“ Entschuldigend schaute ich sie an. Sie lächelte und überwand die Distanz zwischen uns. Ihre schmalen Arme schlangen sich fest um meine Hüfte und sie drückte ihr Gesicht auf meinen nackten Oberkörper. Sie wirkte unglaublich erleichtert.

Die Spannung fiel nun auch endgültig von mir ab. Ich zog sie näher an mich heran und ließ mein Gesicht in ihrem Haar versinken. May… meine May..
 

Hier also der versprochene Auszug aus dem neuen Kap;) :
 

Ich zuckte zurück, als er mit einer Hand über mein Haar strich. Ich wagte es kaum, zu atmen. Er war zu nah. Meine Fluchtpläne hatte ich bereits verworfen. Es gab keinen Ausweg aus dieser Situation.

„Was ist los, Darling? Du redest so wenig. Und… du zitterst…“ Ich wusste ohne aufzusehen, dass er mich mit seinem Blick röntgte. „Hast du etwa Angst? Aber, aber, aber.. Du weißt doch, ich werde dir nicht wehtun...

The past will always catch you.

Sams POV:
 

Seit dem „Vorfall“ waren nun einige Tage vergangen, doch dieses seltsame Gefühl blieb. Es wurde sogar von Tag zu Tag stärker. Doch noch immer war ich nicht dazu in der Lage, das Gefühl und seine Bedeutung zu bestimmen. Nur eins wusste ich : Etwas stand zwischen mir und Emily. Und May ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Ich machte mir wahnsinnige Sorgen um sie.

Was, wenn ER, dessen Namen ich noch nicht einmal kannte, tatsächlich wieder zurückgekehrt war? Und wenn das nicht der Fall sein sollte: Was würde sein, wenn er eines Tages zurückkehren würde?

Trotz meiner Sorgen ging ich auf Abstand. Ich hatte May seit besagtem Tag nicht wieder gesehen. Das hatte auch einen anderen Grund.

Emily hatte mich zur Rede gestellt, als ich am späten Nachmittag des besagten Tages nach Hause kam. „Wo warst du?“ Sie hatte vor mir gestanden, die Hände in die Seiten gestemmt, und hatte mich vorwurfsvoll angesehen. Sie sorgte sich, aber sie war auch sauer – richtig sauer.

Und ich hatte ihr ziemlich erbärmlich gegenüber gestanden und betreten zu Boden geschaut, während ich mir eine schlechte Ausrede zusammenstotterte. „Ich.. Ich war bei einem Freund. Ihm ging es nicht gut.“

Bei EINEM Freund... Erneut hatte ich sie angelogen. Aber ich hielt es in diesem Moment für besser. Es hatte keinen Sinn, Emily von May zu erzählen, bevor ich mir nicht wirklich im Klaren über meine Gefühle war. Auch wenn das eigentlich total verrückt und abwegig war. Schließlich war Emily meine Geprägte! Mein Beschützerinstinkt sollte nur ihr gelten! Tat er aber nicht – er galt nun Zweien. Und wenn ich ehrlich zu mir war, dann war ich schon wieder auf dem Weg, wieder nur eine Person zu fokussieren. Und wenn ich tief in mich hineinhorchte, wusste ich, dass diese Person nicht Emily war..
 

Mays POV:
 

Die folgenden Tage verliefen recht ereignislos – zu meinem Bedauern. Die Tage zogen sich endlos in die Länge und die Nächte waren der pure Horror, ich tat fast kein Auge zu, denn noch immer wurde ich dieses flaue Gefühl in der Magengegend nicht los. Ich hatte wahnsinnige Angst, wenn ich abends alleine zu Hause war - als Sam da gewesen war, hatte ich die nicht gehabt. Ich hatte mich verdammt sicher gefühlt.

Nach zwei schlaflosen Nächten traf mich dann eine weitere Erkenntnis: Ich vermisste Sam. Auch wenn ich es mir nicht so recht eingestehen wollte, doch seine Nähe, sein Geruch und sein warmes, raues Lachen fehlten mir. Er fehlte mir – verdammt!

Ich pfefferte den Kaffeelöffel in die Spüle und warf seufzend einen Blick auf die Uhr. Eine Viertelstunde noch, dann hatte ich Feierabend.

Der Tag hatte wirklich nicht enden wollen und ich hatte mich fast zu Tode gelangweilt. Jake war heute früher gegangen, weil er „wichtige Familienangelegenheiten“ zu klären hatte.

Tz, sicherlich. Er hatte wohl eher einen der wenigen sonnigen Nachmittage im Jahr am Strand verbringen wollen. Gut, ich konnte es ihm nicht verübeln. Trotzdem hatte er mich hier sitzen lassen. Mich und die Kaffeemaschine, die nun wirklich nicht allzu gesprächig war.

Ich unterbrach meine Gedankengänge abrupt, als mein Handy klingelte.

Jake – wenn man vom Teufel spricht.

„Na, Großer, alles wieder im Lot?“ der spöttische Unterton in meiner Stimme war kaum zu überhören.

„Was? Wieso?“ tönte es aus dem anderen Ende der Leitung. Wusste ich es doch!

„Familienangelegenheiten?“ hüstelte ich. Das war der Wink mit dem Zaunpfahl. Mal sehen, wie er sich da nun wieder rausredet.

„Achsooo. Ja, ja, alles wieder gut. Friede, Freude, Eierkuchen.“ Der Mann konnte wirklich nicht lügen. Ich schmunzelte. Was für ein Schlitzohr…

„Weshalb ich eigentlich anrufe… Wie wärs mit einem Feierabendbier? Im selben Pub wie vor ein paar Wochen?“ Ich schwieg. Eigentlich war ich totmüde… Andererseits…

„Ich komm dich auch abholen und fahr dich nach Hause. Bin in 10 Minuten da.“ Schon hatte er aufgelegt. Ein Schlitzohr, ja, er war ein verdammtes Schlitzohr. Ich schüttelte grinsend den Kopf.

Nachdem ich meine Sachen zusammengesucht und sicher in meiner Tasche verstaut hatte, verließ ich den Laden.

Es war natürlich schon stockdunkel, aber noch angenehm, sodass ich meine Lederjacke in die Tasche stopfte, die bereits aus allen Nähten zu platzen drohte. Ich wandte mich gerade der Tür zu, um abzuschließen, als ich in meiner Bewegung einfror.

„Kleines! Wie schön dich zu sehen! Wie lange ist das jetzt her? Ein Jahr? Gott, ich hab dich vermisst.“

Ich wagte es nicht, mich umzudrehen. ´Das ist alles nur Einbildung. Du wirst einfach nur langsam verrückt. ER kann noch nicht zurück sein. ER kann noch nicht entlassen sein. Das ist alles nur Einbildung.´ Diese Sätze versuchte ich mir selbst einzubläuen.

„Was ist los? Willst du mich nicht anschauen? Ich finde, ich sehe ganz gut aus, dafür, dass ich neun Monate im Knast gehockt hab..“ Seine Stimme nahm diesen bedrohlichen Unterton an.

Ich atmete einmal tief ein und drehte mich im Zeitlupentempo um. Und versteifte augenblicklich. ER stand wirklich dort, mein Fleisch und Blut gewordener Albtraum.

„Dave.“ Ich hauchte seinen Namen beinahe, ich hatte Angst.

„Du erkennst mich noch, sehr schön...“ Er lachte auf und trat einige Schritte auf mich zu. Unwillkürlich wich ich zurück.

´Wie hätte ich dich auch vergessen können?´ dachte ich bitter.

„Ich habe feststellen müssen, dass du umgezogen bist. Du hast sogar deine Nummer geändert. Das hat mich nicht sehr gefreut, nein nein. Warum hast du das gemacht?“ Mittlerweile stand er direkt vor mir. Ich wagte es nicht, aufzusehen. Auch so konnte ich sein krankes Lächeln bildlich vor mir sehen. Jake, verdammt, wo bist du?!

„Sprich mit mir, Kleines.“ Dave hatte sich kein Stück verändert. Noch immer sprach er in demselben ruhigen Tonfall zu mir, der mir eiskalte Schauer über den Rücken jagte.

„Ja.. ich.. Wohnungsbrand..“ krächzte ich. Unauffällig schielte ich zu allen Seiten, suchte einen möglichen Fluchtweg. Ich war bereit. Bereit dazu, um mein Leben zu rennen.

„Na, na, na, Kleines. Du wirst mich doch nicht anlügen. Ich war da. Die Wohnung ist in tadellosem Zustand. Und auch dein Geruch..“ er sog hörbar Luft ein. „Ja, auch dein einzigartiger Geruch liegt noch in der Luft.“ Ich zuckte zurück, als er mit einer Hand über mein Haar strich. Ich wagte es kaum, zu atmen. Er war zu nah. Meine Fluchtpläne hatte ich bereits verworfen. Es gab keinen Ausweg aus dieser Situation.

„Was ist los, Darling? Du redest so wenig. Und… du zitterst…“ Ich wusste ohne aufzusehen, dass er mich mit seinem Blick röntgte. „Hast du etwa Angst? Aber, aber, aber.. Du weißt doch, ich werde dir nicht wehtun. Allerdings hast du mir nicht Bescheid gesagt, als du umgezogen bist. Das hättest du tun sollen. Warum hast du das nicht gemacht? Ich bin ein klein wenig sauer auf dich, Kleines. Das ist dir doch wohl klar, oder?“ er unterbrach seinen kranken Monolog und ließ seine freie Hand – die andere ruhte noch immer auf meinem Kopf – in die Hosentasche gleiten.

Ein leises Schnappgeräusch ertönte und ein schmaler, silbriger Gegenstand blitzte im Licht der Laternen auf. Sein Messer. Natürlich. Er verließ sein Zimmer niemals ohne sein Messer.

Ich schloss die Augen und ergab mich meinem Schicksal..

Someone call the ambulance..

Jakes POV:
 

Himmel noch mal, ich kam viel zu spät. May hatte sich sicher schon auf den Nachhauseweg gemacht. Und morgen… Ja morgen würde sie mir den Kopf abreißen, da war ich mir zu hundert Prozent sicher. Eine Frau wie May versetzt man nicht, das war ein ungeschriebenes Gesetz.

„Jake, ich weiß, dass du in Eile bist, aber, verdammt noch mal, konzentriere dich! Noch 5 Minuten, okay?!“ herrschte Sam mich an.

Warum zur Hölle musste er auch ausgerechnet jetzt die Patrouillen für die nächsten Tage einteilen?!

„Das weißt du ganz genau.“ Diese verfluchte Gedankenübertragung…

Sam war die letzten Tage aber auch wirklich mies drauf. So schlecht gelaunt hatte ich ihn schon lange nicht mehr erlebt.

Jede noch so winzige Kleinigkeit brachte ihn auf die Palme. Und genau dort hatte er sich mittlerweile schon ein kleines Baumhaus zusammengezimmert und warf von Zeit zu Zeit wild fluchend mit Kokosnüssen um sich.

Er schickte mir einen bitterbösen Blick, der meine Gedanken sofort verstummen ließ. Dann fuhr er fort.

„Jared, Leah, ihr werdet den Freitagabend übernehmen.“ Keiner der beiden wagte es, zu protestieren – auch wenn Jared am Freitag sein so-und-so-vieltes mit Kim feiern wollte und er bereits alles bis in kleinste Detail durchgeplant hatte. Aber Sams Stimmungsschwankungen waren momentan so unberechenbar, dass man wirklich lebensmüde sein musste, um sich in seiner Gegenwart auch nur zu räuspern. Also hielt Jared die Klappe. Um seiner Gesundheit Willen.

Sam plante unterdessen munter weiter.

„Den Samstagabend werden Embry und Seth…“

Er schaffte es allerdings nicht, den Satz zu beenden, denn plötzlich sackte zu Boden und krümmte sich vor Schmerzen.

Sofort standen alle mit besorgter Miene um ihn herum. „Scheiße, Sam, was ist los? Ist was mit Emily?“ Embry musterte ihn aufmerksam.

Sam krümmte sich noch immer am Boden, schaffte es aber dann doch noch, einen Namen zwischen den Zähnen herauszupressen.

„May!“ dann zwang er sich in eine aufrechte Position, wenig später stand er, noch immer mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht, auf beiden Beinen und hatte er sich bereits seiner Kleidung entledigt, die er nun um sein rechtes Bein band. Dann verschwand er in Wolfsgestalt im Dickicht des Waldes. Es dauerte einige Sekunden, bis ich begriff, was sich hier gerade abgespielt hatte, dann tat ich es Sam gleich. Nur am Rande nahm ich die verworrenen Gedankenfetzen der anderen wahr.

´Das kann nicht sein! May.. sie..´

´…ist nicht seine Geprägte, ja Jared, das wissen wir alle.´ Herrschte Leah ihn an.

´Ja, aber was zur Hölle hatte das gerade dann zu bedeuten?´ Embry stellte die Frage aller Fragen...

Was war hier gerade passiert? Konnte es denn sein, dass Sam…? - Niemals, unmöglich!

Oder…?
 

Mays POV:
 

Meine Haut brannte wie Feuer. Doch ich unterdrückte die Schmerzensschreie, die sich in meiner Kehle zusammenbrauten. Es würde ihn nur weiter anspornen. Verfluchte Scheiße, warum machte er einfach nicht kurzen Prozess mit mir?!

Insgeheim wusste ich die Antwort: Es wäre zu... unbefriedigend.

Ich sog scharf Luft ein, als die Klinge fast schon zärtlich, vor allem aber quälend langsam wenige Millimeter neben meiner Halsschlagader entlang strich. Dieses einfache „Streicheln“ reichte schon aus, sodass ich einen Bruchteil von Sekunden später spürte, wie warmes Blut an meinem Hals hinunter strömte.

Jeder seiner Schnitte war präzise. Sie würden mich nicht töten – nicht direkt. Das wäre zu einfach. Der metallische Geruch meines Blutes hing schwer in der Luft und brachte mich dazu zu würgen. Jake, wo bleibst du?! Ich war verzweifelt, und ich hatte Angst. Todesangst.

Ich lag zusammengekauert auf dem Boden, während Dave breitbeinig über mir stand und mich mit hunderten von feinen Schnitten „verzierte“. Von Zeit zu Zeit trat er einen Schritt zurück und begutachtete sein „Kunstwerk“. Er war Künstler, wie er zu sagen pflegte. Und er liebte seine Arbeit.

Als er mit dem Messer an meinem Oberschenkel hinauffuhr und sich immer weiter meiner empfindsamsten Stelle näherte, entwich meinem Mund ein ängstliches Wimmern. Fehler Nummer 1.

„Halt den Mund!“ fauchte er mich an. Vor Schreck ließ ich ein weiteres Quieken verlauten. Fehler Nummer 2. Er hasste es, bei seiner Arbeit gestört zu werden.

Dave verlor die Beherrschung und brüllte mich mit vor Wut verzerrtem Gesicht an.

„Sei!“ Er versenkte das Messer mit einem tiefen Stich in meinem Oberschenkel.

„Endlich!“ Stich.

„Still!“ Stich.

„du dreckige Schlampe!“ Erneut stach er das Messer tief in mein Bein, zog es diesmal aber nicht wieder heraus, sondern riss es regelrecht einige Zentimeter weiter durch mein Fleisch.

Ich schrie auf, dann wurde alles schwarz. Der menschliche Körper konnte nun einmal nur ein gewisses Maß an Schmerzen ertragen.
 

Sams POV
 

Ich rannte wie ein Verrückter, mein Blut rauschte in meinen Ohren und der Schmerz in meiner Brust, der von Minute zu Minute stärker wurde, vernebelte meine Sinne. Nur am Rande hatte ich mitbekommen, dass Jake mir gefolgt war.

Im Grunde war es mir egal. Die einzige, die nun zählte, war May. Sie schwebte in Lebensgefahr.

Am Waldrand angekommen verwandelte ich mich zurück und schlüpfte in meine Kleider. Ich wartete gar nicht erst auf Jake, rannte direkt weiter. Mein Instinkt wies mir den Weg. So kam es, dass ich wenige Minuten später vor dem winzigen Plattenladen stand, den ich nie zuvor betreten hatte. Die Tür war abgeschlossen, alles war still. May war nicht da.

Hatten mich meine Instinkte etwa getäuscht? Sie war schwer verletzt, da war ich mir sicher. Aber wo zur Hölle steckte sie?!

Laut fluchend kickte ich eine rostige Coladose aus dem Weg, als ich die dunklen Pfützen auf dem Boden entdeckte. War das…? Nein!

Ich kniete mich auf den Boden und tauchte einen Zeigefinger in die zähe Flüssigkeit. Blut. Scheiße! Das war Blut! Mein Magen drehte sich um und ich hinterließ eine Pfütze neben der Blutlache.

„Sam? Was ist passiert? Was.. was ist das an deinem Finger? Wo ist May?“ Jake war schwer keuchend neben mir aufgetaucht.

„Ich weiß nicht.. Überall Blut, Mays Blut.“ Ich zitterte wie Espenlaub. War sie..? Ich traute mich nicht, den Gedanken zu Ende zu führen. Nein! Das konnte nicht sein!
 

"Er ist wieder da. Ich weiß es. Er wird mich finden. Sam, ich werde sterben.“
 

Mays Worte hallten in meinem Kopf. Mit einem dumpfen Geräusch sackte ich erneut zu Boden. Ich hatte sie allein gelassen. Ich hatte ihr versprochen, auf sie aufzupassen, für sie da zu sein. Ich hatte mein Versprechen gebrochen. Und jetzt war sie…

„Sam.“ Jakes Stimme riss mich zurück ins Hier und Jetzt. „Hör mal hin. Da schlägt ein Herz.“ Ich blickte verwirrt zu ihm hoch. Das wäre mir doch aufgefallen, das..

Doch, da war er, der Herzschlag. Er war ungewöhnlich schwach und wurde von Sekunde zu Sekunde langsamer. Ich sprang auf, gefolgt von Jake, und sprintete in die Richtung, aus welcher ich das dumpfe Pochen vernahm.

Plötzlich tauchte neben dem schwachen Schlagen eines Herzen auch noch ein weiteres Geräusch auf: leise rasselnder Atem. Ich trat näher an den unförmigen schmutzigen Kleiderhaufen heran und keuchte. Das war May!

Sie lag in einer Pfütze aus ihrem eigenen Blut, ihr Gesicht, ihr Körper war übersäht mit Schnitten.

Ich wollte mir gerade die Kleidung vom Leib reißen, um May in Wolfsgestalt zum Krankenhaus zu bringen, als hinter mir eine glockenklare Stimme ertönte.

„Gib sie mir.“ Ich wirbelte herum und knurrte. „Warum zur Hölle sollte ich DAS tun?!“

„Es ist zu gefährlich, in Wolfsgestalt in der Innenstadt aufzutauchen. Mal abgesehen davon bin ich schneller da.“ Alice sprach ruhig, doch der Ausdruck in ihren Augen verriet ihre Aufgewühltheit.

„Ich soll sie dir geben, damit du sie aussaugen kannst? Für wie dumm hältst du mich eigentlich, du dreckiger Blutsauger?“ meine Stimme war bedrohlich angeschwollen. Dieses Monster sollte verschwinden, bevor ich mich vergaß.

„Sam, lass gut sein! Alice hat sich unter Kontrolle. Und hör verdammt noch mal auf zu diskutieren, während May uns unter den Händen wegstirbt!“ zischte Jake. Er fixierte mich mit seinem Blick, schaute mich eindringlich an. Ich gab mich geschlagen.

Widerwillig trat ich einen Schritt zur Seite. Augenblicklich stand Alice neben May, hob sie in ihre Arme und einen Augenaufschlag später war sie schon verschwunden.

Ich starrte ihr hinterher, nicht fähig, mich zu bewegen. Ich hoffte für Jake, dass er Recht behielt, und Alice sich trotz der Unmengen Blut, die aus Mays Körper strömten, unter Kontrolle hatte.. Wenn nicht, dann..

„Wir sollten uns auf den Weg machen.“ Unterbrach Jake ungeduldig meine Horrorvorstellungen. Ich nickte bloß.

Take me to the hospital.

Die Tage schleppten sich dahin. May war noch immer nicht aufgewacht. Seit dem Überfall – oder was auch immer dies gewesen war – waren nun schon fünf Tage vergangen. Jake und Sam wachten Tag und Nacht neben ihrem Bett – es kam für beide nicht in Frage, sie auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Denn wenn wirklich ER es gewesen war, der sie so zugerichtet hatte, dann würde er sie wieder finden – und sein „Werk“ vollenden. Jake erschauderte bei dem Gedanken. Dieser Kerl war ein Monster.

Und er hatte wirklich schon viele Monster kennen gelernt, doch die saugten ihre Opfer für gewöhnlich bis auf den letzten Tropfen aus und massakrierten sie nicht. Nicht so.
 

Die Dämmerung war bereits eingebrochen, als ihn eine kleine Bewegung aus seinen Gedanken aufschrecken lies. Sofort war er hellwach, beobachtete May, die noch selig zu schlafen schien. Er weigerte sich, das Wort Koma zu benutzen. May war einfach nur unglaublich müde und brauchte Unmengen von Schlaf. Sie lag nicht im Koma.

Er fixierte sie weiter mit seinem wachen Blick. Doch sie rührte sich nicht. War das gerade nur Einbildung gewesen?

Seine Augen wanderten zu Sam, der neben ihm auf einem dieser unbequemen Plastikstühle saß. Doch auch er starrte May gespannt an. Jake suchte seinen Blick, und als er ihn fand, nickte Sam ihm kurz aber unmissverständlich zu. Sie hatte sich tatsächlich bewegt!

Ein erleichtertes Seufzen entwich ihm. May hatte Unmengen Blut verloren, und die vergangenen Tage waren nervenaufreibend gewesen. Doch diese winzige, kaum merkliche Bewegung ließ Hoffnung in ihm aufkeimen. Sie würde wieder werden… Bestimmt.
 

Doch mit jeder Minute, die verstrich, drohte die Hoffnung wieder im Keim erstickt zu werden. May lag starr da, wie schon seit Tagen.

Nach einer halben Stunde wandte Jake enttäuscht den Blick ab. Seine Augen brannten. Er hatte es bedacht vermieden, zu blinzeln. Aus Angst, ihm würde eine weitere Regung Mays entgehen.

„Scheiße.“ Murmelte er. Sam grummelte zustimmend. Die Verzweiflung stand ihm ins Gesicht geschrieben.
 

Ein heiseres Keuchen ließ ihn hochschrecken. Draußen war es bereits stockdunkel, der Mond schien durch die Lücke zwischen den Vorhängen hell ins Zimmer. Vollmond. Und er war eingeschlafen, verdammt. Dabei hieß es doch immer, dass die meisten Menschen bei Vollmond kaum Schlaf finden. Er war eben nicht wie der Rest. Jake lächelte bitter.

„Nein, Dave. Nein. Ich..“ Es war May, die sprach. Was hieß Sprechen, die Worte waren kaum zu verstehen, ihre Stimme war nur ein leises Krächzen.

Dave – so hieß das Monster also.

Erneut ertönte ein kehliger Laut. Augenblicklich hockte er neben Mays Bett, stieß dabei den Stuhl um, der nun mit einem lauten Poltern zu Boden fiel. Nur am Rande bekam er mit, dass auch Sam aus seinem Tiefschlaf erwachte.

„May? May! Kannst du mich hören?“ Ihr Gesicht war schmerzverzerrt, doch ihre Augen blieben geschlossen.

Sanft strich Jake über ihren Unterarm. Er konnte und wollte sich gar nicht vorstellen, wie der Albtraum aussah, der sie quälte. Den sie so real zu erleben schien.

Dave… Er knurrte. Wenn er diesen Kerl in die Finger bekommen sollte, dann…

Plötzlich spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Irritiert blickte er zur Seite. Er hatte gar nicht bemerkt, dass Sam neben ihm kniete. Kurz tauschten sie bedeutungsvolle Blicke aus, dann wandte er sich May wieder zu, sprach weiter auf sie ein. In der Hoffnung, sie aus ihrer Tortur zu befreien. Doch sie presste nur weiter die Augenlider fest aufeinander, flehte um Gnade.

Sam saß neben ihr auf dem Bett, hielt sanft ihre Hand und strich mit dem Daumen beruhigend über ihren Handballen.

Es zerriss ihn innerlich, sie so leiden zu sehen – und ihr nicht helfen zu können. Sie nicht beschützen zu können.

Nach einigen Minuten, die den beiden Männern eher wie Stunden vorkamen, wurden Mays Worte weniger, ihr Gesicht entspannte sich allmählich und irgendwann verstummte sie ganz.

Enttäuscht darüber, dass sie nicht zu ihnen zurückgekehrt war, aber gleichzeitig auch froh darüber, dass sie die Qualen nicht länger durchleben musste, wachten Sam und Jake eine weitere Nacht über sie.

Und hofften, dass der morgige Tag weitere Fortschritte bringen würde…
 

„Alter, Jake. Runter von mir.“

Verschreckt hob er den Kopf, blinzelte der Sonne entgegen. Fahrig rieb er sich über sein Gesicht.

„Ich meins Ernst, du zerquetschst mich.“ Verwirrt schaute Jake sich um, und erkannte, dass er tatsächlich in Mays Bett eingeschlafen war.

May? May! Sein Kopf wirbelte zur Seite. May saß mehr oder weniger aufrecht neben ihm, ihr Gesicht war von Schmerzen entstellt, trotzdem grinste sie ihn schwach an und nickte bedeutungsvoll in Richtung ihrer Beine. Die durch seine eigenen verdeckt wurden.

Jake sprang auf. „Ach Scheiße, sorry. Tut mir Leid. Ich wollte dir nicht wehtun.“ Besorgt blickte er sie an.

Und dann fiel der Groschen. „ALTER, DU BIST WACH!!!“ er brüllte regelrecht und umarmte sie stürmisch. Im nächsten Moment ertönte ein dumpfes Krachen gefolgt von einem lauten Fluchen. Sam war aus dem Bett gefallen. Jake prustete los und grinste ihn auch noch weiter an, als Sam sich bereits langsam aufrappelte – weiterhin fluchend.

„Was?“ fauchte dieser. Ein Morgenmuffel, durch und durch. Jake grinste weiter und Sams Laune sank immer weiter in den Keller. Bis Jake verschmitzt in Mays Richtung nickte und Sam seinem Blick folgte. Und was dann geschah, hätte sich Jake nie im Leben erträumen lassen.

Ein erfreutes Quieken ertönte, und im nächsten Moment hatte sich Sam auf May gestürzt und übersähte sie mit heißen Küssen.

Zwischen den Küssen murmelte er immer wieder. „Du lebst. Du bist wach. Gott sei Dank. Du lebst.“ Himmel, war das kitschig.

May, die total überrumpelt war, fand erst nach einigen Sekunden ihre Worte wieder – und drückte Sam sanft von sich weg. Der blickte sie enttäuscht an.

Sie lächelte entschuldigend, deutete dann aber auf ihr Gesicht, welches noch immer mit zahlreichen, kaum verheilten Wunden übersäht war.

„Oooh.“ Sam begriff, wenn auch langsam. „Mist, verdammt. Entschuldige, ich wollte dir nicht wehtun, ich… hab mich so gefreut.“ Betreten blickte er zu Boden.

„Schon gut.. Ich..“ sie räusperte sich. Ihre Stimme war noch immer nicht richtig fit. Sie rieb sich mit dem Handrücken über die Augen.

Dann blickte sie die beiden offen an. Tränen liefen ihr über die Wange.

„Scheiße, Jungs. Ich bin so froh, euch zu sehen.“ Dann zog sie Sam wieder zu sich und vergrub ihr Gesicht in seinem Shirt, ignorierte dabei das Brennen, das die salzigen Tränen in ihren Wunden auslösten und schluchzte leise vor sich hin, während Jake ihr behutsam den Rücken streichelte.

Obwohl es ihr so schlecht ging, kam er nicht darum, zu lächeln. Sie war wieder da – May lebte.

I know that he doesn´t mind if I go away.

Sie war zu spät. Eine viertel Stunde schon.

Nervös trat Jake von einem Fuß auf den anderen während sein Blick hektisch von links nach rechts huschte.

Die Minuten zogen sich wie Kaugummi, und sie tauchte einfach nicht auf.

Zum vierten Mal in den letzten zwei Minuten zog Jacob sein Handy aus seiner Jackentasche, nur um festzustellen, dass er weder einen Anruf, noch eine SMS von ihr erhalten hatte.

Der Klos in seinem Hals schwoll immer weiter an, langsam machte sich Panik in ihm breit.

Wie von alleine tippten seine Finger ihre Nummer. Gespannt lauschte er dem monotonen Tuten während er auf seiner Lippe herumkaute.

„Der gewünschte Gesprächspartner..“ er drückte auf den roten Hörer, um dann eine andere Nummer zu wählen.

Er vergrub seine linke Hand in seiner Hosentasche, während er sich langsam in Bewegung setzte. Sein warmer Atem hing weiß vor ihm in der Luft. Doch wieder antwortete nur eine Computerstimme. Jake beschleunigte seinen Schritt.

Es war klar gewesen, dass Sam an seinem „freien Tag“ nicht erreichbar sein würde. Denn diese Tage nutzte er zur Zeit, um die Beziehung mit Emily wieder hinzubiegen.

Seit dem „Vorfall“ vor ein paar Wochen, war der Sockel ihrer Beziehung nämlich mächtig ins Wanken geraten. May hatte von alle dem keine Ahnung.

Aber nur, weil Sam ihm eingebläut hatte, dass es May in ihrem derzeitigen „Zustand“ den Boden unter den Füßen wegziehen würde, wenn sie von ihm und Emily wüsste.

Deshalb hielt er den Mund. Und hasste sich dafür. Doch er wusste auch, dass Sam recht hatte, und sie die Wahrheit einfach nicht verkraften würde. Trotzdem musste eine Entscheidung fallen. Früher oder später würde May es rausbekommen. Für oder gegen May.

Jacob hatte Sam bereits klar und deutlich seine Meinung zu dem ganzen Spiel gesagt. Doch der hatte von alle dem nichts wissen wollen.
 

„Sam, hör endlich auf mit diesem scheiß Spiel.“ Er hatte keine Lust , um den heißen Brei herumzureden, damit würde er niemandem helfen.

„Ich hab keine Ahnung wovon du redest.“ entgegnete Sam ihm bissig,

„Tu nicht so. Du weißt genau, was ich meine. Sag May endlich was Sache ist.“ fordernd fixierte er den Alpha mit seinem Blick.

„Jake.“ seufzte der. „Das ist alles nicht so einfach.“ Jakes Augenbrauen schossen in die Höhe.

„Klar, zwei Frauen zu haben ist nichts, was man aufgeben wollen würde. Verstehe.“ Er war stocksauer.

„Darum geht es gar nicht!“ grollte der Alpha und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Sondern?“ provokant baute sich Jake vor ihm auf.

„Das verstehst du nicht.“ Jacob schnaubte spöttisch.

„Dann erklär es mir!“ für ihn war die Sache noch lange nicht erledigt.

Sam hielt kurz inne, musterte ihn eindringlich. „Nein.“

Dann wandte er sich ab und ging.
 

Im Laufschritt machte er sich auf den Weg zu Mays Wohnung, sein Handy an sein Ohr gepresst. Noch immer antwortete niemand. Eine schreckliche Vorahnung überkam ihn.

Doch er musste sich bremsen. Er durfte jetzt nicht in Panik verfallen. In Wolfsgestalt würde er ihr nicht viel nützen. Eins stand fest : Jake würde Sam den Hals umdrehen, wenn er ihn das nächste Mal sah. Er könnte seine Hilfe gerade wirklich brauchen. Gerade, weil Sam diese seltsame, einzigartige Verbindung zu May hatte, obwohl er nicht auf sie geprägt war.

Vor ihrer Wohnung angekommen, hielt er sein Ohr gegen die Tür und lauschte. Von drinnen war kein Mucks zu hören.

Vielleicht hatte sie ihr Treffen bloß vergessen, und würde ihn umbringen, wenn er das jetzt tat, doch er wurde das mulmige Gefühl nicht los, das irgendetwas nicht stimmte.

Entschlossen ging er ein paar Schritte zurück, nahm Anlauf und trat mit einem lauten „Rums!“ die Tür ein.

Und fand sich auf einem Schlachtfeld wieder. Der Spiegel im Flur lag in tausenden Scherben auf dem Boden, das Telefon war aus der Steckdose gerissen und achtlos zu Boden geworfen worden.

„May?!“ Jakes Stimme glich einem Krächzen. Er räusperte sich und rief erneut ihren Namen. Diesmal lauter. Doch noch immer erhielt er keine Antwort. Er trat in den Flur, schaute in die Küche. Auch hier sah es aus, als hätte ein Tornado gewütet.Wie auch in den restlichen Zimmern.

Als er ins Bad trat, wich er kurz einen Schritt zurück. Ein stechender Geruch stieg ihm in die Nase.

Schnell fand er die Ursache: Im Waschbecken befand sich eine große Pfütze von Erbrochenem, dass nicht abgeflossen war. Jake verzog angewidert das Gesicht.

Erneut rief er ihren Namen, verließ das Badezimmer und durchsuchte sämtliche Zimmer und Schränke. Doch von May war keine Spur.

Eine schreckliche Vorahnung machte sich in ihm breit und ein Welle von Fragen brach über ihn herein.

Jake drückte die Tür mehr schlecht als recht zurück in den Rahmen und spurtete zu Sam.

Der war über seinen Besucher, der plötzlich im Türrahmen stand, als er mit Emily im Bett zu Gange war, alles andere als erfreut.

„Was?“ fauchte er Jake an, während Emily, deren Wangen sich dunkelrot gefärbt hatten, sich die Decke bis zu den Schultern hochzog.

„May ist weg.“ ernst blickte er Sam an und gewährte ihm Zugang in seinen Kopf und somit zu den Bildern von Mays Wohnung.

Augenblicklich wich Sams genervtem Gesichtsausdruck ein besorgter. Er stand wortlos auf, drückte sich an Jake vorbei aus dem Raum und sammelte seine Kleidung, die überall auf dem Flur verteilt war, wieder auf.

Jacob wandte sich von Emily ab, die mit verständnisloser Miene und gerunzelter Stirn weiterhin im Bett saß. Es war nicht seine Aufgabe, ihr zu erklären, was los war.

Dann rannten sie beide los und verschwanden im Dickicht des Waldes.
 

„Ich konnte sie nicht spüren.“ durchbrach Sams dunkle Stimme die Stille.

Sie waren Kilometer um Kilometer gerannt, hatten alle Ecken nach ihr abgesucht, doch May war nicht aufzufinden. Nun saßen sie in ihrer Wohnung und jeder grübelte für sich, was geschehen war.

„Was?“ verwirrte musterte Jacob den Alpha.

„Ich konnte sie nicht spüren. Normalerweise merke ich immer, wenn es ihr schlecht geht. Wenn ihr Gefahr droht. Doch diesmal.. Da war nichts. Keine Gefühlsregung. Gar nichts.“ Er schien den Gedanken im Kopf weiter auszuführen, denn er wurde immer blasser um die Nase.

Jake lachte spöttisch. „Weißt du was ich glaube? Dass du nichts gemerkt hast, weil du mit Emily rumgemacht hast und alle anderen Sinne eingestellt waren.“

Sam kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und sprang auf. „Willst du mir damit sagen, dass es meine Schuld ist, dass May weg ist?!“

„Ja, genau das will ich! Und würdest du May endlich mal über die Prägung und Emily aufklären, hätten wir alle ein Problem weniger! Du kannst nicht mit May zusammen bleiben!“ fauchte Jake ihn an. Ihn und Sam trennten nur wenige Zentimeter, die Luft war zum Zerreißen gespannt. Der Alpha funkelte den Jüngeren finster an. Beide begannen zu zittern, das Blut rauschte in ihren Ohren. Als eine Stimme sie herumfahren ließ.

„Leute, was soll der Scheiß?!“

You won´t take my pride.

„Was willst DU denn hier?“ fauchten die beiden unisono.

Alice stand mit ernstem Gesichtsausdruck im Türrahmen.

„Euch von eurer sinnlosen Streiterei abhalten.“ antwortete sie trocken.

„Und wie zur Hölle hast du davon erfahren? Wir sind Wölfe verdammt, du kannst unsere Zukunft nicht sehen.“ Alice Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln.

„Nein, das kann ich nicht. Aber ich bin schließlich nicht blöd.“ sie ignorierte die Blicke, die die anderen beiden austauschten und fuhr fort: „Ich bin nur hier, um euch zu sagen, dass es May gut geht.“ Sie räusperte sich. „Verhältnismäßig.“

„Woher weißt du das? Wo zum Teufel steckt sie?“ Jake klang misstrauisch.

„Sie ist bei uns. Und dort wird sie auch erst einmal bleiben. Bis sich DER DA mal darüber im Klaren ist, was er eigentlich will!“ sie deutete mit einer abfälligen Geste auf Sam.

„Was soll das, Blutsauger? Wovon sprichst du?“ knurrte Sam angriffslustig.

„Wir haben sie aufgegabelt. Mitten im Wald. Sie war total fertig. Und das ist deine Schuld, Schätzchen.“ entgegnete Alice unbeeindruckt.

Hunde die bellen, beißen nicht. Sie hatte nichts zu befürchten.

„Sie hat euch gesehen, Sam! Dich und Emily, verdammt!“ Alice war mittlerweile sichtlich genervt von seiner Begriffsstutzigkeit.

„Ich hab dir doch gesagt, dass sie es früher oder später herausfinden wird!“ fauchte Jake ihn an.

Aber Alice ließ Sam gar nicht erst zu Wort kommen.

„Sie hat euch gesehen, bei eurem.. Techtelmechtel.“ sie spuckte ihm das Wort nahezu ins Gesicht.

„Aber weißt du, was das Schlimmste ist? Sie hat Schutz bei dir gesucht, deshalb war sie da. Sie hatte tierische Panik und wollte mit dir hier abhauen. Sie ist hier nicht mehr sicher Sam. ER hat sie wieder gefunden.“ Sams Kopf schnellte in die Höhe, sprachlos sah er Alice an.

Er brachte kein Wort mehr heraus, seine Lippen formten ein einziges Wort : Wie?

„Hör dir ihren Anrufbeantworter an. Ich melde mich bei euch, wenn wir sie aufgepäppelt haben.“ Sie drehte sich auf dem Absatz um und verließ die Wohnung.

Kaum war sie verschwunden, stürzte Jacob zum Telefon und drückte auf die Taste des AB´s.
 

„Kleines... Was machst du denn für Sachen? Ich hab gehört, dass du im Krankenhaus warst. Du musst wirklich besser auf dich aufpassen..

Und du bist schon wieder umgezogen, ohne mir Bescheid zu sagen. Kleines, mittlerweile solltest du doch wissen, dass ich diese Verbindung zu dir habe, und dich immer finde. Weißt du, es ist meine Liebe zu dir, die mich zu dir führt. Jedes Mal. Vergiss das nicht.

Und.. Ich kann dich riechen. Dein Geruch, ja. Er ist so einzigartig. Ich...

Ich denke, wir sehen uns bald wieder, Kleines. Ich vermisse dich.“
 

Sam und Jacob war jegliche Farbe aus den Gesichtern gewichen.

„Scheiße.“ entfuhr es beiden gleichzeitig. Sie starrten sich an.

„Scheiße, Jake, wir müssen ihn finden. Heute noch.“ die Panik ins Sams Stimme war nicht zu überhören.

„Und dann klärst du den ganzen Scheiß endlich mal.“ fügte Jacob vorwurfsvoll hinzu. Sams bedrohliches Knurren darauf hieß soviel wie „Lass das jetzt einfach mal aus dem Spiel!“.

Dann verließen sie fluchtartig die Wohnung und riefen das Rudel zusammen.
 

„Wir müssen mit ihnen zusammenarbeiten. Ohne sie finden wir den Dreckskerl nie.“ Seth schaute erwartungsvoll in die Runde und entdeckte bloß zerknirschte Gesichter. Ein siegessicheres Grinsen schlich sich langsam in sein Gesicht. Sie wussten, dass er Recht hatte.

„Also gut, ich schlage vor, dass wir; Seth, Jake und ich bei ihnen vorbeischauen.“ grummelte Sam, der noch immer wenig begeistert aussah.

Mit einem lauten Räuspern verschaffte sich Jake Gehör.

„Ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist. Du solltest hier bleiben, Sam.“

Der verengte die Augen zu Schlitzen und zischte „Wieso denn das bitte?“.

Seine Stimme schwoll gefährlich an.

„Na hast du Alice eben nicht zugehört? Sie ist unter anderem auch WEGEN DIR so fertig, man!“ war Jakes gnadenlose Antwort.

Sam sah so aus, als würde ihm gleich der Kragen seines nicht vorhandenen Hemdes platzen, doch im letzten Moment hielt er sich zurück.

„Gut.“ knurrte er. „Seth, Jake, macht euch auf den Weg. Ihr wisst wo ihr uns findet.“

Sofort setzen sich die Genannten in Bewegung.
 

„May, sie sind auf dem Weg.“ Alice stand mit besorgtem Gesichtsausdruck vor ihr und musterte sie.

Die versteifte sich augenblicklich und vergrub die Finger im Sofapolster, nickte kurz.

Dann erhob sie sich und trat in die Küche, wo Jasper bereits auf sie wartete.

Forschend beobachtete er jede ihrer Bewegungen. Sie kannten sich zwar erst seit wenigen Stunden, aber er wusste, dass die May, die vor ihm stand, nichts mit der eigentlichen May zu tun hatte.

Sie war fertig.

Der Angriff, das Koma, der ewige Krankenhausaufenthalt und dann diese.. Aktion von Sam.

Es war zu viel. Er verstand ihre Entscheidung.
 

„Alles klar?“ zeitgleich mit den Worten übertrug er die wärmsten Emotionen auf sie, die er jemals empfunden hatte. Sie hatte keine Ahnung, wer er war. Was sie waren.

Aber das war zu diesem Zeitpunkt vermutlich auch das beste.

May rang sich zu einem schiefen Lächeln durch. „Ja, es geht.“ dann ließ sie sich auf den Stuhl neben ihn fallen. Jasper wandte sich ihr zu und legte beruhigend seine Hand auf die ihre.

„Es wird alles gut gehen, vertrau mir.“ wieder schaffte sie es nur ein schwaches Lächeln zustande zu bringen.

Einige Minuten verstrichen, als Jasper sich plötzlich erhob.

„Wir sollten nach draußen gehen.“ Mays Herzschlag beschleunigte sich um ein Vielfaches, ihre Beine fühlten sich an wie Pudding. Ein Scheißgefühl war das.

Sie wagte es kaum, die Frage, die ihr am meisten auf der Zunge brannte, auszusprechen.

„Ist er dabei?“ Jasper schüttelte kaum merklich den Kopf.

Mit einem lauten Krachen viel ein tonnenschwerer Stein von ihrem Herzen. Das würde es leichter machen.

May hatte ihre Entscheidung getroffen. Sie musste sie nur noch durchziehen.

It chars my heart to always hear you calling..

„May! Es geht dir gut!“ stieß Jake erleichtert aus, als sie auf die Türschwelle trat.

Auch von Seth war ein lauter Seufzer zu vernehmen.

Ein breites Lächeln zierte ihre Gesichter, welches May nur zu gerne erwidert hätte, doch jetzt war wirklich der falsche Zeitpunkt für den Austausch von Freundlichkeiten, deshalb nickte sie bloß.

Seth, der nun auf sie zustürzte, um sie in eine Umarmung zu ziehen, wurde von Jasper und Alice auf Distanz gehalten, indem sie sich ihm blitzschnell in den Weg stellten.

Jake schnaubte. „Was soll das denn, Blutsauger?! Wir werden ihr schon nichts tun!“

„Reine Vorsichtsmaßnahme.“ Erwiderte Jasper kühl während er Jake abschätzend musterte.

„Haha, sehr witzig. Was soll das Theater?“ presste Jake zwischen den Zähnen hervor und wandte sich dann an May: „Dieses Theater tu ich mir keine Sekunde länger an. May, lass uns gehen.“ er streckte ihr seine Hand entgegen.

Zu gerne hätte May sie ergriffen, doch sie musste stark bleiben. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen.

Als sie den Kopf hob, blickte sie in Jakes irritiertes Gesicht.

Bevor er allerdings seine Aufforderung wiederholen konnte, atmete sie tief ein und flüsterte: „Ich komme nicht mit.“

„Was?“ Seth starrte sie entsetzt an.

„Ich komme nicht mit.“ wiederholte May geduldig und straffte ihre Schultern.

„A..aber wieso?“ stotterte Seth, der damit überhaupt nicht gerechnet hatte.

May schluckte den Kloß hinunter, der in ihrem Hals heranwuchs und ihn ihr zuzuschnüren schien.

„Jungs, es.. tut mir Leid. Ich komme nicht mit euch. Ich kann nicht.“

Nun fand auch Jake seine Worte wieder. Er glaubte, zu verstehen, was los war.

„Es ist wegen Sam oder? Keine Sorge, du musst ihn nicht wieder sehen. Ich werde ihn von dir fernhalten, versprochen!“

May lachte kurz auf, dann schaute sie in mitleidig an.

„Jake, du weißt, das wird nicht funktionieren. Du wirst ihn nicht davon abhalten können, mich zu treffen. Es tut mir leid..“

Er seufzte resignierend. May hatte Recht, das wusste er. Sam würde ihm den Hals umdrehen, wenn er auch nur versuchen würde, sich zwischen May und ihn zu stellen.

„Okay, okay. Aber was hast du jetzt vor? Willst du etwa bei diesen.. Blutsaugern bleiben?“ abschätzig musterte er Jasper und Alice, die May noch immer flankierten und ihn wachsam beobachteten. Fast so, als hätten sie Angst, dass er in der nächsten Sekunde auf May losgehen könnte.

Dann wandte er sich erneut May zu, gerade noch früh genug, um ihr leichtes Kopfschütteln zu bemerken.

„Verdammt noch mal, willst du etwa zurück in deine Wohnung?“ Ein erneutes Kopfschütteln war ihre Antwort. Sie senkte ihren Blick.

„May, du weißt, dass er dich aufspüren wird. Auch, wenn du dir hier eine neue Wohnung suchst. Er hat dich auch davor gefunden.“ Jake beobachtete sie besorgt.

May straffte ihre Schultern erneut und räusperte sich kurz.

„Genau das ist der Punkt, Jake. Hier wird er mich überall finden. Deshalb gehe ich.“

Seth klappte die Kinnlade hinunter.

„Wie? Du gehst? Wohin?“ sprudelte es aus ihm heraus.

May senkte den Blick. Er verstand einfach nicht. Oder wollte er es nicht verstehen?

„Ich gehe fort. Weit weg von hier. Wohin weiß ich noch nicht. Ich werde irgendwo untertauchen. Es tut mir leid Leute, ehrlich. Aber ich kann das so einfach nicht. Ihr seid mir wirklich wichtig geworden. Aber sucht nicht nach mir, versprecht mir das.“ Ohne eine Antwort abzuwarten drehte sie sich auf dem Absatz um und verschwand zurück ins Haus.

Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, wie Jake versuchte, ihr nachzustürmen, aber von Jasper und Alice festgehalten wurde.

„Wenn wir dir so verdammt wichtig sind, wieso zur Hölle gehst du dann?! Wir können dir helfen! Wir..“ brüllte Sam noch, dann schlug die Eingangstür hinter ihr zu und May verschwand schluchzend in ihr Zimmer.
 

Eine halbe Stunde später klopfte jemand zaghaft an ihre Tür.

„Komm rein, Jazz!“ rief May dumpf durch die Bettdecke, die sie sich über den Kopf gezogen hatte.

Sie befand sich in ihrer ganz persönlichen „Höhle“.

Die Matratze senkte sich ein wenig, als Jazz sich neben ihr nieder ließ. Im nächsten Moment zog er ihr die Bettdecke weg, was sie zu einem lauten Murren verleitete.

Er lächelte leicht. „Wie geht es dir?“ Sofort hatte sie das Gefühl, von seinen Blicken geröntgt zu werden.

Sie lächelte gequält: „Gut, denke ich.“

Jaspers rechte Augenbraue schnellte nach oben. „Denkst du?“ er musterte sie weiterhin kritisch.

May stieß scharf Luft aus. „Na was denkst du denn, wie es mir geht?!“ Der Satz verließ ihren Mund härter, als sie es beabsichtigt hatte.

„Diese ganze Aktion hier ist verflucht nochmal feige. Das weiß ich. Und, was es noch schlimmer macht: Ich habe nicht nur ihm damit wehgetan, sondern auch ihnen. Das war nie meine Absicht.“

Jasper blickte ihr mitleidig in die Augen, und im nächsten Moment durchflutete sie eine wohlige Wärme.

„Lass das. Jetzt nicht.“ fauchte sie. Und bereute es sogleich. Jasper sah aus wie ein getretener Hund. Oder eine getretene Fledermaus. Aber wer wusste schon, wie eine getretene Fledermaus aussah?

„Entschuldige.. Ich.. ich muss einfach hier weg.“ murmelte sie.

„Schon in Ordnung“ entgegnete Jasper „Deine Sachen sind gepackt oder? Wir sollten bald los. Es dürfte nicht lange dauern, bis die Hunde hier auftauchen..“

Sie nickte bloß, stand auf und straffte erneut die Schultern. Haltung bewahren, das war das A und O.

„Lass uns gehen.“ sagte sie entschieden.

When we´re over, can I still come over?

Sie seufzte. Kanada also. Otawa, um genau zu sein.

Sie war sich nicht sicher, ob es wirklich eine schlaue Idee gewesen war, in eine Großstadt zu ziehen. Aber so hatte sie wenigstens den Bruchteil einer Chance, dass die Anonymität der Metropole auf ihrer Seite stand.

Nun saß sie hier in ihrem neuen, winzigen Appartement auf einer cremefarbenen Couch und zappte durch die TV-Sender, ohne etwas annähernd Brauchbares zu finden.

Ein weiterer tiefer Seufzer verließ ihre Lippen. Sie vergrub sich tiefer unter der Decke und schloss die Augen. Wenige Augenblicke später war sie bereits in ihr skurriles Traumland abgedriftet.

Die Reise nach Vampirmanier steckte ihr noch immer in den Knochen.
 

Plötzlich setzte ein schrilles Klingeln ihrem Schönheitsschlaf, der seine Wirkung leider verfehlt hatte ein jähes Ende.

Murrend richtete sie sich auf, schälte sich aus der dünnen Decke und tapste in Richtung Wohnungstür.

Wer zu Hölle konnte das sein?

Der einzige, der ihr auf Anhieb einfiel war Jasper. Doch was könnte er von ihr wollen?

Niemand anders kam in Frage, denn sie hatte ihren ersten Monatslohn aus dem kleinen Café in dem sie nun arbeitete, darauf verwand ihren Namen zu ändern. Ihre Telefonnummer hatte sie niemandem gegeben. Pizza hatte sie auch keine bestellt. Wer zur Hölle sollte also..?!

Es klopfte laut an der Tür. Sie stöhnte genervt.

Wer auch immer sich auf der anderen Seite befand, es musste sich um die Ungeduld in Person handeln.

„Komme ja schon!“ maulte sie und fluchte im nächsten Augenblick, als sie sich den kleinen Zeh an der Kommode stieß, die im Flur stand.

Für die würde sie noch einen anderen Platz finden, das war nun schon das zweite Mal an diesem Tag, dass ihr Fuß hatte leiden müssen.
 

Angekommen riss sie die marode Tür nahezu aus den Angeln, nur, um sie im nächsten Moment wieder zuzuknallen.

Nein. Das war unmöglich. Er konnte nicht hier sein. Nicht hier, bei ihr.

Sie lugte durch den Spion, nur um im satten Braun seiner Augen zu ertrinken.

Ihre Hand lag schon auf der Türklinke, ihr Herz schrie nach ihm. Und selbst ihr Kopf wiederholte unaufhörlich nur ein und das selbe Mantra : Lass ihn rein. Lass ihn verdammt nochmal endlich in deine Wohnung!

Noch bevor sie sich versah, stand er auch schon vor ihr. Mit seinem ernsten Gesicht und seinem weichen Blick, der sie liebkoste.

Mit diesen Muskeln, die sich unter seinem dünnen Shirt abzeichneten. Mit diesem Körper, der sie verrückt machte.

Er stand nur dort, sprach kein Wort und brachte sie um den Verstand.

May löste sich aus ihrer Schockstarre, trat einen Schritt auf ihn zu und krallte sich an den Saum seines Shirts. Sie vergrub ihr Gesicht in seiner Brust und atmete tief ein.

Wie sehr sie ihn vermisst hatte, wie sehr sie ihn brauchte, wie sehr... Wie hatte sie ihn nur verlassen können?

Sie presste ihre Lippen auf seine. Sehnsüchtig, fordernd, hungrig.

Und er antwortete. Mit heißen Küssen, seinen warmen Händen an ihrem Körper und zufriedenen Seufzern.

Einen Wimpernschlag später fanden sich die beiden nackt, eng umschlungen, schwitzend und unverständliche Aneinanderreihung von Lauten austauschend auf dem Teppichboden im Wohnzimmer wieder.

Endlich. Endlich hatte er sie wieder...
 

Sie lagen beide auf dem Bett und wie in Trance malte er kleine Kreise mit dem Zeigefinger auf ihr Schlüsselbein.

Von Zeit zu Zeit stöhnte sie zufrieden auf. Dann ließ sie sich wieder von seinem betörenden Blick umhüllen.

Die Stunden schwanden so dahin, ohne dass sie auch nur ein einziges Wort wechselten.

Worte waren hier ohnehin fehl am Platz. Alles was er wissen musste, las er aus ihren Augen heraus – und umgekehrt.

Er sah die Reue, das Bedauern, welches sie empfand und nickte kaum merklich.

Auch er bereute es. Nicht genug für sie da gewesen zu sein, sie belogen zu haben. Er hatte sie beinahe verloren – zwei Mal. Ein drittes Mal würde er dieses Risiko nicht eingehen.

Doch Sam war sich bewusst, dass noch ein Gespräch ausstand. Und ein Geständnis.
 

In den Wochen, in denen sie beide getrennt gewesen waren hatte er einige Nachforschungen angestellt.

Hauptsächlich sie betreffend, aber er hatte auch versucht, diesem seltsamen Gefühl auf den Grund zu gehen, welches ihm die Sinne vernebelte, seit er sie das erste Mal getroffen hatte und welches er einfach nicht zu deuten vermochte.

Zunächst war er nicht fündig geworden, hatte nur vage Informationen gefunden.

Doch dann war er auf einen Namen gestoßen : Ephraim Uley, ein entfernter Verwandter von dem er noch nie zuvor gehört hatte.
 

Seine Informationsquelle war eine alte verblichene Seite eines Buches gewesen, von welcher er nur noch wenige Worte entziffern konnte.

Doch das, was noch lesbar war, ließ seinen Puls höher schlagen.

Es war von Umprägung die Rede. Noch nie zuvor hatte er dies irgendwo gelesen, ja, wäre gar nicht auf die Idee gekommen, dass dies überhaupt möglich sei.

Sam war immer der Meinung gewesen, dass Prägung etwas endgültiges, irreversibles sei.

Doch mit dieser zerfledderten, gelblichen Seite geriet sein Weltbild ins Wanken.

Und zwar so sehr, dass er sich noch am selben Abend auf den Weg nach Kanada gemacht hatte, wo Ephraim Uley seiner Quelle zufolge gelebt haben sollte und es vielleicht immer noch tat.
 

Es war eine harte, lange Reise gewesen, und Sam war kurz davor, die Flinte ins Korn zu werfen, als er durch Zufall in einer Bäckerei auf eine ältere Frau traf, die wirres Zeug redete.

Zunächst hatte er ihr keine Beachtung geschenkt, aber als sie sich ihm mit dem Namen „Gwen Uley“ vorstellte, hatte sie seine volle Aufmerksamkeit gehabt.

Gwen Uley war die „Neuprägung“ von Ephraim. Und so führte eins zum anderen.

Er traf Ephraim und hörte die wohl unglaublichste, aber zugleich berührendste Liebesgeschichte seines Lebens.

Und nun war er sich sicher : Er hatte sich auf May geprägt.

Inside you´re ugly, ugly like me.

Wieder einmal zappte sie durch die TV-Programme.

Ihren nächsten Monatslohn würde sie wohl zum Großteil in ein paar anständige DVDs stecken, denn das Fernsehprogramm war einfach nicht auszuhalten.

Realityshows, Talkshows, Kochsendungen, Eishockeyspiele. Und selbstverständlich Werbung für Ahornsirup.

Zugegeben, sie übertrieb ein wenig und war wohl noch etwas klischeebehaftet, aber ihre Lieblingsfilme würde sie sich trotzdem noch zulegen.

Sam war schon eine gute halbe Stunde unterwegs, um etwas zu essen zu besorgen. Und eine Flasche Wein, um ihr Beisammensein zu feiern.

Denn nun war es endgültig entschieden. Sie würden zusammenleben, ohne Geheimnisse, ohne Heimlichtuerei und ohne einen sadistischen Psychopathen-Exfreund.

Sie hatten die ganze Nacht bis in die späten Morgenstunden geredet.

Zugegeben, Sam hatte sie ein wenig überrumpelt. Mit der Prägungssache und so weiter.

Aber May hatte von Anfang an das Gefühl gehabt, dass er ihr etwas verheimlichte, und dass irgendetwas anders an ihm war.

Doch sie hatte etwas anderes erwartet, was – ihrer Meinung nach bedeutend „schlimmer“ gewesen wäre, als diese „simple“ Prägung.

Sie hatte damit gerechnet, dass sich ihre Anabolika-Theorie, die sie bei ihrem ersten Aufeinandertreffen aufgestellt hatte, Bestätigung finden würde. Dass Sam vielleicht sogar mit einem Drogenkartell in Mexiko zusammen arbeiten könnte.

Irgendwie sowas in der Art. Ihre Fantasie kannte nunmal keine Grenzen.

Da kam ihr diese Ewige-Liebe-Sache gerade recht.

Und zugegebenermaßen beruhigte es sie. Diese wispernde Stimme in ihrem Kopf, die ihr Stunde für Stunde, in der sie nicht mit Sam zusammen gewesen war, ins Ohr geflüstert hatte, dass er sich womöglich in eine andere verguckt hatte und sie sitzen ließ, hatte nun endlich Ruhe gegeben.

Doch das würde sie vor Sam niemals zugegeben.

Natürlich hatte sie sich ihm gegenüber geöffnet, aber mit ihren verdammten Selbstzweifeln wollte sie ihn nun wirklich nicht belasten.

Dass er den dunkelsten Schatten ihrer Vergangenheit kennen gelernt hatte, hatte ihr schon gereicht – und ihm sicherlich auch.
 

Die Minuten verstrichen und allmählich wurde May unruhig. Wo blieb er nur?

Mittlerweile war Sam schon eine Stunde unterwegs. Hatte er etwa vor, einen Jahresvorrat an Lebensmitteln anzulegen?

Sie kicherte. Ihr sollte es recht sein, wenn sie beide das Bett erst mal nicht mehr verlassen mussten.

May streckte sich aus und vergrub ihre Zehen in der Sofaritze nur um im nächsten Moment zurück zu zucken. Die Couch schien etwas verschlungen zu haben, was sie nun unangenehm in den Fuß piekste.

Sie richtete sich auf und ließ ihre linke Hand ins Sofa gleiten.

Im nächsten Moment hielt sie die Wohnungsschlüssel in der Hand.

Sie zog eine Grimasse. Sam hatte also die Schlüssel vergessen. Das war ja mal wieder typisch.

Bloß, weil er in seinem ehemaligen Zuhause nie die Tür hatte abschließen müssen. Weil sich das Haus mitten im Nirgendwo befunden hatte. Naja und weil er ein Wolf war. Er brauchte vor nichts und niemandem Angst zu haben.
 

Die schrille Türklingel riss sie aus ihren Gedanken. Das musste er sein, na endlich!

Sie sprang von der Couch und wenige Sekunden später riss sie die Haustür voller Euphorie beinahe aus den Angeln.

Und erstarrte.

Noch bevor sie die Tür zuschlagen konnte, stand er auch schon im Flur. Ein breites Grinsen zierte sein Gesicht.

„Hast du mich vermisst?“ fragte er und sie presste die Lippen eng aufeinander.

Jegliche Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen, sie atmete schwer.

Wie? Wie war das möglich?

Sie spurtete in Richtung Wohnzimmer, wisch seinen Händen aus, die sich nach ihr ausstreckten und griff nach dem schnurlosen Telefon. Gerade hatte sie die Nummer der Polizei gewählt und hielt ihren Daumen auf dem grünen Hörer, als die Wohnzimmertür mit einem lauten Knall gegen die Wand prallte.

Im nächsten Moment stand er vor ihr und grinste spöttisch.
 

„Meine Güte, Kindchen, wo hast du nur deine guten Manieren gelassen? So begrüßt man seine Gäste nun wirklich nicht...“ Sie konnte ihn kaum hören, so laut pochte das Blut in ihren Ohren.

Für einen Moment beschlich sie der Gedanke, einfach aus dem Fenster zu flüchten.

Als Fleischhaufen von der Straße gekratzt zu werden wäre immer noch besser, als das, was sie jetzt erwarten würde.

Doch sie riss sich zusammen. Vielleicht konnte sie Zeit schinden. Sam müsste bald wieder hier sein. Vorausgesetzt er war nicht auf Dave getroffen. Vielleicht hatte der ihn irgendwo in einer Seitengasse abgefangen und... Oh Gott.

Ihr Herz überschlug sich und schien ihr aus der Brust herausspringen zu wollen.

Das Telefon hielt sie hinter ihrem Rücken, sie drückte den grünen Hörer.
 

„Dave...“ sagte sie langsam. „Wie..?“

Er unterbrach sie sogleich. „Wie? Wie ich dich gefunden habe?“ er lachte kurz.

„Liebes, du weißt doch, ich passe gut auf dich auf. Ich habe dir doch gesagt...“ Er verstummte und schaute sie auffordernd an.

„...dass du mich immer finden wirst.“ beendete sie seinen Satz.

Er nickte. „Braves Mädchen.“

Wieder schwieg er und sie überlegte fieberhaft, wie sie ihn weiter bei der Stange halten konnte, doch in ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken und sie brachte kein Wort heraus.

„Miss? Miss?! Sind Sie dran? Was kann ich für Sie tun?“

Verwirrt blickte Dave sich um.

„Liebes.“ zischte er. „Wer spricht da?“

May riss die Augen weit auf. Das Telefon. Scheiße.

„Nie..niemand.“ stotterte sie wenig glaubwürdig. Blitzschnell stand er vor ihr und griff ihre Hand, die sie hinter dem Rücken hielt.

„Hallo?“ fragte er, unschuldig wie ein Lamm und drückte den Knopf für den Lautsprecher.

„Die Notrufzentrale hier. Was kann ich für Sie tun?“ Daves Blick schnellte zu ihr.

„So so.“ zischte er „Du willst die Bullen rufen?! Sag mal, bist du denn komplett bescheuert?“ nun schrie er.

„Mister? Alles in Ordnung?“ erkundigte sich die Stimme aus dem Hörer.

„Jaja, alles bestens. Wir haben uns verwählt.“ antwortete er forsch während er May mit seinen Blicken erdolchte.

Die nahm nun allen Mut zusammen, atmete tief ein und schrie:

„Nein, nichts ist in Ordnung! Sie müssen mir helfen verdammt, er wird mich umbringen!!!“

„Tut, tut, tut.“ er hatte aufgelegt. Und nun kam er bedrohlich langsam auf sie zu.
 

,Sam!´ flehte sie in Gedanken. ,Sam, wo bleibst du nur?´

Er hatte irgendwas von Telepathie erzählt.

Sie hoffte, dass es funktionieren würde.

Vergeblich.



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