Von Drachen und Zauberern von Nifen ================================================================================ Kapitel 3: III. --------------- Trotz aller Recherche war Hermione überwältigt, als sie drei Monate später an der Zaubertaufe von Mia Viktoria Krum teilnahm und im Laufe der vielschichtigen Zeremonie ihre Patin wurde. Während man sich in England meist darauf beschränkte im Ministerium für Familienangelegenheiten einen entsprechenden Eintrag in die Geburtsurkunde vornehmen zu lassen, zog sich die traditionelle, bulgarische Zaubertaufe über drei Tage hin. Am ersten Tag gedachte man der Vergangenheit, den Wurzeln der Traditionen und bat in einem althergebrachten Ritual die Naturgeister um ihren Segen für das Kind. Hermione war sich sicher, dass dieser Teil in Form der segenspendenden Feen Eingang in die Muggelmärchen gefunden hatte. Von den Märchen hingegen nicht übernommen worden war das Stammbaum-Ritual, wo auf ein Pergament, das den magisch generierten Stammbaum der beiden Familien enthielt, ein Tropfen Blut des Kindes geträufelt wurde und es dadurch, dass alle Anwesenden laut den Namen des Kindes intonierten, an den Stammbaum gebunden und in die Familie aufgenommen wurde. Auch Hermione hatte in diesem Ritual Blut lassen müssen, denn da sie kein Familienmitglied war, hatte sie direkt ihren Schutz an Mia Viktoria binden müssen, um als Patin in die Familie aufgenommen zu werden. Aufgrund der Haltung gegenüber archaischer und dunkler Magie, Blutrituale eingeschlossen, die Hermione in Hogwarts kennengelernt hatte, war dies der Teil der Zeremonie, dem sie mit dem meisten Argwohn begegnet war. Nichts aber hatte sie darauf vorbereitet, dass ein solches Ritual sich so gut, so richtig und so natürlich anfühlen konnte. Dagegen fühlte sich das Ritual der Gegenwart, wo sie vor einem Zauberpopen und der versammelten Familie und weiteren geladenen Gästen schwor Mia Viktoria zu schützen und zu leiten, fast schon wie heuchlerischer Pomp an. Tatsächlich, so erklärte ihr Viktor beim anschließenden Fest, war dieser Teil der Zeremonie gleichzusetzen mit einer öffentlichen Bekanntmachung des Rituals am Vortag. Da aber zum ersten Teil der Taufe nur enge Familienmitglieder und die Paten zugelassen waren, hatte man die Bekanntmachung, wo auch Freunde und weitläufigere Verwandte zugegen waren, im Laufe der Zeit zu einem eigenen Ritual ausgeschmückt, damit die übrigen Gäste gleichfalls das Gefühl hatten, wertgeschätzt zu werden und ein Bestandteil der Gesamtzeremonie zu sein. Der letzte Teil der Zeremonie bestand aus einem ausgedehnten Frühstück, wiederum im engsten Familienkreis, einschließlich Paten, bei dem die Familie und Paten ihre Segenswünsche aussprachen und in Form eines Geschenks für das Kind überreichten. Das war der Teil, auf den Hermione sich am meisten freute. Sie hatte lange überlegt, was wohl ein angemessener Segen und ein entsprechendes Geschenk sein könnte und sogar diverse Überstunden geopfert, um jenes Kleinod zu finden, das ihren Wunsch repräsentieren sollte. Jetzt aber war sie sicher, dass das Medaillon, das im Deckel ein Bild von Sofiya und Viktor – aufgenommen auf ihrer Hochzeit – und im Boden eine magische Weltkarte enthielt, sich nicht hinter den übrigen Geschenken verstecken musste. Tatsächlich hörte sie das ein oder andere anerkennende Raunen, als sie Mia Viktoria das Medaillon mit den Worten „Mögest du stets der Welt gegenüber offen sein, aber nie vom Weg abkommen“ umhängte. Nachdem auch das letzte Geschenk überreicht war, trug Hermione in ihrer Funktion als Patin das mittlerweile quengelig-müde Baby in das angrenze Schlafzimmer der großen Suite des Warenska-Hotels, die Viktor für das Frühstück gemietet hatte, um die Kleine schlafen zu legen. Und obgleich Mia Viktoria scheinbar zu den Kindern gehörte, die problemlos einschliefen, sobald sie in ihrem Bett lagen – oder war das ein Zauber, der als Bestandteil des letzten Rituals wirkte? – schaffte es Hermione nicht sofort sich vom Anblick ihres Patenkindes loszureißen. Es kam ihr irgendwie so unreal vor, jetzt, wenn auch nur aus zweiter Reihe, für einen anderen Menschen verantwortlich zu sein. Später würde sie erkennen, dass genau diese Verwunderung und damit einhergehend ihr Zögern zu den anderen zurückzukehren, ihr und Mia das Leben gerettet hatte. In dem Moment aber war es lediglich so, dass in dem Augenblick, da im Wohnzimmer der Suite die Hölle losbrach, in Hermione tief schlummernde und beinahe vergessene Instinkte erwachten. Instinkte, die vor fast über sechs Jahren ihr Überleben gesichert hatten. Schon beim ersten Krachen der schweren Doppelflügeltür zur Suite hatte sie ihren Zauberstab in Händen. Doch noch ehe sie einen Schritt in Richtung Wohnzimmer hatte tun können, um ihren Freunden zu helfen, hörte sie jene tödlichen Worte, gefolgt von dem ekelerregenden grünen Schein, den sie nie wieder in ihrem Leben hatte sehen wollen. „Avada Kedavra!“ „Gheorgi!“, hörte Hermione Viktors Mutter schmerzerfüllt rufen und man musste nicht die klügste Hexe ihres Jahrgangs sein, um zu wissen, dass wer auch immer die Feier gestört hatte, soeben Krum Senior umgebracht hatte. „So“, sagte eine harte Männerstimme, „nun da wir die Fronten geklärt hätten, wo ist die Formel, Doktor Ristic?“ „Welche Formel?“, verlangte Viktor zu erfahren. „Ihre Frau weiß genau, welche Formel ich meine!“ Eine zweite Stimme, jünger, weiblich, mischte sich ein. „Professor Petrovic hat uns mit seinem letzten Atemzug versichert, dass Sie die einzige wären, die die Formel kennt!“ Ein Schluchzen ertönte, und Hermione, die wie angewurzelt im Schlafzimmer stand und alles mit anhörte, ahnte, dass das Sofiya war, die um ihren Doktorvater und Forschungspartner trauerte. „Also, wo ist die Formel? Oder soll Sergej hier noch ein Familienmitglied umbringen?“ Als habe ihr Geist ein Eigenleben entwickelt, registrierte Hermione, dass sich im Zimmer nebenan nicht weniger als drei Eindringlinge, zwei Männer und eine Frau, befinden konnten. Vermutlich waren es jedoch weit mehr, denn sonst hätte Viktor es auf einen Kampf ankommen lassen. Oder war es die Sorge um Mia, die ihn lähmte? Mia! Wenn es ihr gelang, ihr Patenkind in Sicherheit zu bringen und Viktor dies wissen zu lassen… Ein neuerlicher grüner Strahl schreckte Hermione aus ihren Gedanken. Doch sie wartete nicht länger, um an den Reaktionen zu hören, wen diese Monster jetzt umgebracht hatten. Sie richtete all ihre Konzentration auf Mia und den Schweigezauber, den sie stumm über das Kind legte. Wenn sie Mia retten wollte, durfte sie nicht riskieren, die Aufmerksamkeit der Eindringlinge durch Babygeschrei auf sich oder das Kind zu lenken. Der nächste Schritt bestand darin, ein geeignetes Versteck zu erschaffen, ehe man auf die Idee kam, nach Mia zu sehen und sie eventuell als Druckmittel einzusetzen. Denn was auch immer das für eine Formel war, die die Eindringlinge von Sofiya verlangten, sie musste so wichtig sein, dass Sofiya dafür sogar bereit zu sein schien, das Leben ihrer Eltern und Schwiegereltern aufs Spiel zu setzen. Und Hermione kannte Sofiya. Sie war einer der liebevollsten Menschen! Hermione zwang sich tief durchzuatmen und ihren Geist zu klären, ehe sie stumm begann, die unterste Schublade der Kommode mit einem komplizierten Muster an Zauberstabbewegungen zu vergrößern. Es war der gleiche Ausdehnungszauber, wie sie ihn seinerzeit bei ihrer Handtasche eingesetzt hatte. Nur, dass sie ihn mittlerweile so gut beherrscht, dass in die so erschaffenen Räume sogar Menschen passten. Zumindest für einen gewissen Zeitraum – etwa eine Stunde. Denn irgendwie schien die Anwesenheit von Menschen innerhalb des Zaubers selbigen zu schwächen und letztlich zum Kollabieren zu bringen. Wie genau es also möglich war, aus einem 3-Mann-Zelt eine 3-Zimmer-Wohnung zu machen, war Hermione immer noch ein Rätsel, zumal jedes dieser magischen Zelte mit einem Patentzauber versiegelt war, was nähere Untersuchungen unmöglich oder gar strafbar machten. Sie vermutete, dass die Schwächung mit dem Kohlendioxid zusammenhing, das der Mensch ausatmete, und die Hersteller eine Möglichkeit gefunden hatten, dieses Gas durch die Zeltwände zu entfernen und so den Zauber stabil zu halten. Doch jetzt war nicht die Zeit, diese Theorie zu testen. Sie wusste, dass ihr Zauber eine Stunde halten würde und das musste reichen. Wieder leuchtete es im Wohnzimmer grün auf und Hermione ahnte, dass es ihr nicht mehr gelingen würde, Viktor ein Zeichen der Kampfbereitschaft zu signalisieren. Kurz schoss ihr die Möglichkeit, einfach mit Mia zu disapparieren, durch den Kopf, doch Hermione wäre nicht Hermione gewesen, wäre ihr nicht sogleich eingefallen, dass Zauberhotels über eine Appariersperre, ähnlich wie in Hogwarts, wenngleich schwächer, verfügten. Und sie bezweifelte, dass sie magisch stark genug war, eine solche Sperre zu brechen. Oder wenn es ihr gelang, hinterher noch genug Kraft zu haben, zu apparieren, ohne Körperteile zu verlieren. Rasch fasste Hermione einen Entschluss. Sie griff sich Mia mitsamt dem Reisebett, in dem sie lag, dazu die Tasche, in der Sofiya die übliche Baby-unterwegs-Ausstattung verstaut hatte, und stieg dann selbst in die nunmehr bedingt, jedoch hinreichend geräumige Schublade. Dennoch brachte sie es nicht über sich, die Schublade sofort mit ihrem Zauberstab zu schließen. Ein makaberer Teil ihrer Selbst verlangte Gewissheit, wollte erfahren, dass ihre Freunde tatsächlich in diesem Moment umgebracht wurden. Der gleiche Drang veranlasste sie, eine knappe Stunde später das Wohnzimmer zu betreten und die sechs leblosen Körper mit eigenen Augen sehen zu müssen. Doch selbst wenn das Verhalten der Mörder noch einen Funken Hoffnung gelassen hätte, die Position und der Gesichtsausdruck der Leichen sowie die unheilschwangere Atmosphäre des Raums ließen keinen Platz für Hoffnung oder Zweifel. Stumm rannen Tränen über Hermiones Wangen und sie musste den Impuls unterdrücken, die Augen ihrer Freunde zu schließen und sei es nur, um den gebrochenen Blick nicht länger ertragen zu müssen. Doch sie durfte nichts tun, was später, wenn die Leichen entdeckt und die hiesigen Auroren an den Ort des Geschehens gerufen wurden, Hinweise auf ihre Anwesenheit bot. Sie dankte Gott, dass sie daran gedacht hatte, nicht nur Mia im Bett, sondern auch die Tasche mit in die Schublade zu nehmen. Sie zweifelte nicht daran, dass die Mörder, hätten sie auch nur das geringste Anzeichen für die Anwesenheit des Babys entdeckt, nicht eher geruht hätten, ehe sie nicht das Kind gefunden hätten. So aber gingen sie davon aus, Täufling und Patin seinen auf einem Spaziergang. Zu Hermiones Erleichterung hatte man beschlossen, nicht in der Suite auf ihre Rückkehr zu warten, sondern ihnen später aufzulauern, wenn sie als Patin ihre Aussage bei den Auroren gemacht hätte und sich in Sicherheit wähnte. Aber auf keinen Fall würde man sie und Mia entkommen lassen. Denn, so die Meinung einiger der Gruppe, was wenn Dr. Ristic die Formel an ihrem eigenen Kind angewendet hatte und dieses Kind somit der Schlüssel war? Eine Theorie, für die in den Augen dieser Mörder um so mehr sprach, als sie nirgendwo in der Suite die Formel, die sie suchten, hatten finden können. Und dass sie gründlich gesucht hatten, das bezeugte der Zustand der Suite. Doch Hermione hatte keine Zeit zu verweilen und sich die Verwüstung näher zu betrachten. Sie hatte noch nicht einmal Zeit, wirklich Abschied von ihren Freunden zu nehmen. Sie und Mia waren immer noch in Gefahr und es war nur eine Frage der Zeit, ehe das Hotelpersonal das Chaos entdeckte und die Fragen beginnen würden. Sie mussten fort von hier. Doch wohin? Und wie? Die Mörder hatten gewusst, dass Sofiya und ihre Familie wegen der Taufe hier gewesen waren, weshalb Hermione davon ausgehen musste, dass sie auch um ihre Identität wussten. Weshalb eine Rückkehr nach England, wie es ihre erste Idee gewesen war, nicht in Frage kam. In Bulgarien aber konnten sie auch nicht bleiben. Mias Medaillon fiel ihr ein und kaum hatte sie die Karte aktiviert, um ihren Standort zu visualisieren, als sie wusste, was sie tun würde. Widin, die Stadt aus der Sofiya stammte und wo die Taufe stattgefunden hatte, war lediglich durch die Donau von der rumänischen Stadt Calafat getrennt. Und Rumänien war für Hermione gleichbedeutend mit Charlie Weasley. Zwar war Charlie der Weasley, den sie am wenigsten kannte, aber sie zweifelte keine Sekunde daran, dass der Drachenhüter ihr helfen würde, selbst wenn sie nicht länger über Ron so etwas wie Familienzugehörigkeit für sich beanspruchen konnte. Sie würde also eine der Muggelfähren, die mehrmals am Tag zwischen Widin und Calafat verkehrten, nehmen und sich von dort aus zusammen mit Mia zum Drachenreservat durchschlagen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)