Pirates von Votani ================================================================================ Kapitel 6: - Nest - ------------------- Es wäre zu einfach gewesen, Hook zu sich heranzuziehen und ihm ihre Lippen aufzudrücken. Isabela lechzte nach einem dieser dreckigen Küsse, die in den dunklen Ecken allerlei Tavernen ausgetauscht wurden. Zumindest galt das für die Lokale in Thedes, denn dieser verwunschene Wald erschien ihr lediglich wie ein prüder Abklatsch ihrer Welt. Trotzdem hatten sich plötzlich so einige ihrer Probleme in Luft aufgelöst, so dass sie Hook den gescheiterten Fluchtversuch beinahe verzeihen konnte. In erster Linie klopfte sich Isabela jedoch selbst auf die Schulter. Immerhin war es ihre Idee gewesen, Hook mitzunehmen. Sie hatte doch gewusst, dass ihr der Pirat noch von Nutzen sein würde. Nun galt es aber sich wichtigeren Dingen zu widmen: der Beschaffung des Dreizacks, dem sie furchtbar nah waren. Isabelas Blick heftete sich an das zusammengebundene Kraut, welches Rudolphus in den Händen hielt. Er sah es an, als würde er sich lieber die Zunge abbeißen oder ertrinken, anstatt sich ein Stück des grünen Algenbündels in den Mund zu stecken. Ein belustigtes Schnaufen entrann ihrer Kehle und Isabela entzog ihm das Kraut. „Das ist nicht zum Anstarren gedacht, Schätzchen.“ Mit der freien Hand gab sie dem Wolf einen Schubser, der ihn bei seiner Größe kaum einen Schritt vorwärts katapultierte. Rudolphus sah über seine Schulter zu ihr zurück. „Mach dich lieber nützlich und bring unsere Nixe zum Wasser“, fügte sie hinzu. „Oder willst du, dass sie austrocknet? Versuch wenigstens einmal in deinem Leben ein Gentleman zu sein.“ Das markante Gesicht verzog sich, als sich Rudolphus’ Finger in einem Versuch des Zeitschindens nach dem Flachmann angelten, der in seiner Tierfelljacke versteckt war. Auch heute war sich Isabela noch sicher, dass das Fell von unzähligen seiner Opfer stammte. Von all den wilden Tieren, die er in seinem Leben bereits gejagt und niedergestreckt hatte. In dieser zusammengeflickten Jacke zeigte sich Rudolphus’ wahres Gesicht. Er war halb Tier, halb Mann. Das Tier hetzte seine Beute und der Mensch sammelte seine Trophäen. Wäre er nicht so effektiv bei dem was er tat, hätte sich Isabela längst von ihm getrennt oder ihn erst gar nicht angeheuert. Selbst Isabela drehte ihm nur widerwillig den Rücken zu, obwohl sie augenscheinlich auf derselben Seite standen. Rudolphus nahm einen langen Zug aus der schmalen Flasche, der sie mindestens um die Hälfte des Inhalts beraubte, genüsslich und als hätte er alle Zeit der Welt. „Triton ist also dein Vater, Liebes?“, fragte Killian derweil. Er streifte seinen schwarzen Ledermantel ab und legte ihn sorgfältig auf den höchsten Stein der Höhle, um ihn vor der kommenden Flut zu schützen. Sein Schwert blieb jedoch an seiner Hüfte, ebenso wie Isabela ihre eingesammelten Dolche in den Halterungen auf ihrem Rücken behielt. Ob ihnen Waffen unter Wasser und gegen ein paar wendige Fische etwas bringen würden, stand jedoch auf einem anderen Blatt geschrieben. Ariel nickte. „Aber ich bin bei weitem nicht seine einzige Tochter.“ „Und Triton ist der König eures... Volks“, erzählte Killian, obwohl er das ganz genau wusste. Isabelas Augenbrauen schoben sich zusammen. Auf was wollte er hinaus? Die Böse Königin hatte ihnen das doch bereits gesagt, als sie ihnen den Auftrag, Tritons Dreizack zu stehlen, aufgetragen hatte. „Bedeutet das, dass du und deine Schwestern Prinzessinnen seid?“ Abermals nickte Ariel auf seine Worte hin, naiv und viel zu offen. Ein Lächeln tauchte auf ihrem Gesicht auf, während sich ein rosafarbener Schatten auf ihren Wangen ausbreitete. Auch Killian lächelte, tippte sich zeitgleich jedoch mit dem Zeigefinger nachdenklich gegen die Unterlippe. Diese Geste zog nicht nur Isabelas Blick zu seinem Mund herunter, sondern auch den der Meerjungfrau. „Und singen? Singt ihr alle? Dieses Lied, was ich beim Betreten der Höhle gehört habe, der stammte doch sicher von euch, oder?“ Sie klatschte in die Hände und ihre grüne, schuppige Schwanzflosse hob und senkte sich wieder. „Das Singen ist ein Talent, das uns allen in die Wiege gelegt wird. Das Lied, das ihr gehört habt, ist ein Sicherheitsmechanismus.“ Ihre Augen wanderten durch die Höhle, bis sie an eine Muschel hängen blieben, die halb im Sand vergraben lag. „Es ist in dieser Muschel gebunden. Ein bisschen wie in einem wiederkehrenden Echo, welches automatisch erklingt, wenn Menschen sich ihr annähren. Sie kann nur mit dem Klang einer anderen zum Verstummen gebracht werden. Sie ist uralt. Die meisten von uns haben bereits vergessen, dass es sie gibt.“ Isabela schlenderte zu der Muschel herüber. Bemerkt hatte sie die Muschel nicht, aber jetzt, da Isabela sie im Blick hatte, war sie unverkennbar. Sie hatte dieselbe Größe wie die, die sie von diesem Rumpelstiltskin bekommen hatte und womit sie die Meerestiere aus der Höhle gelockt hatte. Dabei musste sie diesen Schutzmechanismus, von dem Ariel sprach, versehentlich ausgeschaltet haben. Das blasse Violett verlieh der Muschel eine mysteriöse Aura, die Isabela auf die Magie schob. Isabela ließ sie unwirsch fallen und sie landete mit einem dumpfen Geräusch im Sand. Egal, in welcher Welt man sich befand, der Magie entkam man nie. „Ich hab ja sonst nichts gegen ein hübsches Pläuschen einzuwenden, aber uns steht das Wasser bald wortwörtlich bis zum Hals“, unterbrach sie jegliche weitere Unterhaltung und stemmte eine Hand in die Hüfte. „Ich denke, wir haben schon genug Zeit verschwendet.“ „Oh... natürlich“, stimmte ihr ausgerechnet die Nixe zu. „Euer Freund braucht dringend Hilfe.“ Ihr besorgter Blick galt Pedro, der sein Bewusstsein noch nicht zurückerlangt hatte. Das spielte ihnen aber nur in die Hände, weswegen Isabela nicht länger hier verweilen wollte, als es unbedingt nötig war. „Wie machen wir das nun, Fischchen?“ Isabela starrte auf das Kraut in ihrer Hand, anstatt ein paar Krokodilstränen für Pedro hervorzudrücken. „Du hast gesagt, wir brauchen uns davon nur etwas in den Mund zu stecken.“ Ariel streckte die Hand nach dem Kraut aus und Isabela reichte es ihr mit einem skeptischen Zögern. Doch die Meerjungfrau hatte keinerlei Fluchtmöglichkeiten, dafür war sie immer noch zu weit vom Wasser entfernt. Außerdem traute Isabela ihr beim besten Willen nicht zu, dass sie ein falsches Spiel spielte und sie an der Nase herumführte. Ariel löste das geflochtene Band, welches das Kraut zusammenhielt und riss drei gleichgroße Stücke ab, die sie Killian, Isabela und Rudolphus reichte. „Ihr werdet die Veränderung gleich merken und müsst euch dann sofort ins Wasser begeben“, sagte sie und ihr Gesicht wurde eine Spur ernster. „Danach führe ich euch zum Palast. Er ist nicht weit entfernt.“ Dieses Fischchen war so gutgläubig, dass Isabela sich beinahe der Magen umdrehte. Sie unterdrückte ein Augenrollen und schob sich stattdessen das Kraut in den Mund. Ihre Zunge navigierte es in die Wange, als sich der Geschmack von Algen ausbreitete. Zusammen mit dem Geschmack breitete sich auch ein Kribbeln auf ihrer Haut aus, an ihrem Hals und zwischen ihren Fingern. Schmerz folgte und Isabela krümmte sich, die Hände an ihre Kehle gepresst, da ihr das Atmen schwerer und schwerer fiel. Sie hatte sich geirrt, Ariel unterschätzt! Ihre Sicht verschwamm und die Stimmen im Hintergrund vermischten sich, bis sie kein einziges Wort mehr verstand. Eine Frauenstimme gab Anweisungen, ihr Ton schrill in Isabelas Ohren, als Hände sie an den Armen packten und an ihr zerrten. Plötzlich befand sie sich in einer sitzenden Haltung und Wasser kletterte ihre Beine hinauf, weichten abermals durch ihre Stiefel, bevor sie sich gänzlich im Wasser befand. Sie kämpfte gegen die Hände an, welche sie unter die Oberfläche drückten, sie zu ertränken versuchten. Nur... dass Isabela das Atmen plötzlich leichter fiel. Sauerstoff klärte ihre Gedanken, ihre Sicht, während das Adrenalin ihr Herz noch immer kräftig gegen ihren Brustkorb schlagen ließ. Die Panik wich, von Sekunde zu Sekunde mehr, als Isabela sich orientierte. Ihre Augen öffneten sich und brannten durch das Salzwasser. Blinzelnd sah sie auf und hinauf zur Wasseroberfläche, von der sie nur Zentimeter getrennt war. Rudolphus und Killian sahen zu ihr hinunter, da sie sich in dem engen, überfluteten Tunnel befand, in dem sie vorhin bereits gefallen war. Stetig atmend ruderte sie mit Armen und Beinen, um ihre Position unter Wasser zu halten, während sie sich drehte und ihr Blick über all die Korallen wanderte, welche die Wände zierten. Vorhin hatte sie keine Augen für ihre Schönheit gehabt. Nur kurz hob sie die Hand und ihre Finger berührten die Kiemen an ihrem Hals, die ihr das Atmen erlaubten. Das Kraut funktionierte, besser und ungewöhnlicher als erwartet. Sie machte eine grobe Handbewegung zu ihren Gefährten hinauf, die signalisierte, dass sie ihrem Beispiel folgen sollten. Mehr Zeit konnten sie wirklich nicht vertrödeln. Rudolphus’ Miene blieb unbewegt, doch er führte ihren vorigen Befehl aus. Ein paar Schritte führten ihn aus ihrem Sichtfeld, doch er kehrte mit Ariel in seinen Armen zurück. Eine raue Hand lag an ihrem nackten Rücken, während die andere ihre Schwanzflosse berührte. Seine Augen klebten auf ihrem Gesicht, selbst dann noch, als er sie langsam neben isabela ins Wasser gleiten ließ. Ihre Hände rutschten von seinen Schultern und ihre Finger glitten über das Tierfell seiner Jacke, welches sich ungewohnt gegen ihre Haut anfühlen musste. Er zog diese daraufhin aus und warf sie beiseite. Ariel lächelte ihr zu und berührte Isabelas Haare, die im Wasser ähnlich wie das der Meerjungfrau lebendiger als an Land aussah, trotz des Tuchs wild und ungebändigt. Killian und Rudolphus folgten ihnen, schoben sich das Kraut jedoch erst in den Mund, als sie ins Wasser sanken. Die Kiemen, die Isabela bei sich selbst nicht sehen konnte, wirkten bei Killian und Rudolphus wie groteske Abgründe in ihrer Haut, die sich öffneten und schlossen, als sie Wasser einsaugten und die Luft herausfilterten. „Wie fühlt es sich an?“, fragte Ariel. Ihre Stimme war genauso klar, wie sie es an Land gewesen war, wenn nicht sogar einen Deut klarer. Es kam Isabela vor, als konnte sie Ariels Worte direkt in ihrem Kopf hören, dabei sah sie wie sich ihre Lippen bewegten. Konnten sie ebenfalls unter Wasser sprechen? „Das Kraut stellt eine Art Siegel dar. Wasser dringt nicht in euren Mund oder eurer Nase ein“, erklärte Ariel, als hätte sie Isabelas Gedanken gelesen. „Ich kann es schwer erklären. Es füllt euren gesamten Körper mit Magie.“ „W... Wieso“, begann Isabela, ihre eigene Stimme kratzig, beinahe unsicher, „hast du keine Kiemen, wir aber?“ Mit Eleganz und Leichtigkeit schwamm Ariel um Isabela herum, drängte ihren Körper zwischen ihre menschlichen Gefährten, obwohl der Tunnel kaum genug Platz für vier Leute bot. „Wir sind anders. Wir sind magische Wesen.“ Mit diesen Worten tauchte sie tiefer und ließ sie zusammen mit der Wasseroberfläche hinter sich zurück. Sie winkte ihnen zu. „Kommt.“ „Soweit so gut“, sagte Killian. „Jetzt kommt der einfache Teil.“ Seine Kehle entrannen keine Luftblasen, aber Isabela waren im Leben schon genug Magier über den Weg gelaufen und sie hatte schon genug Magie gesehen, um sich davon nicht abschrecken zu lassen. Sie hatten Kiemen und konnten unter Wasser problemlos miteinander kommunizieren – na und!? „Ich weiß nicht...“, bemerkte Rudolphus, der sich mit einer Hand am Felsvorsprung festhielt, um nicht tiefer zu sinken. Ob seine Wolfkräfte hier unten funktionierten? Aber auch das würden sie im schlimmsten Fall noch herausfinden, doch dazu mussten sie sich jedoch erst einmal in Bewegung setzen. Ein Grinsen zupfte an Isabelas Lippe und sie ignorierte Rudolphus unvollendeten Einwand. „Du hast recht, Hook-Darling. Der Dreizack wartet schon auf uns.“ Sie wandte sich, bis sie kopfüber war, und schwamm Ariel hinterher. Die Schwimmhäute zwischen ihren Fingern beschleunigten ihr Vorankommen. Ein Blick zurück bestätigte ihr, dass Killian und Rudolphus ihr folgten, als sie sich mehr und mehr von der Oberfläche entfernte. Es gab kein Umkehren mehr, denn der Tunnel endete und mündete in einem tiefen Abgrund, den kein Tageslicht mehr erreichte. Das Nest der Meermenschen brauchte kein Licht, denn die Steine aus der die Unterwasserstadt gebaut war, leuchteten in ihrem eigenen und tauchten alles in ein blendendes Weiß. ☠ Das Nest der Meermenschen befand sich in einem unterirdischen Tal, welches wie ein kreisförmiger Krater auf dem Grund des Ozeans lag. Kleine, muschelförmige Häuser lagen an den äußeren Rändern der weißen Unterwasserstadt, während in ihrer Mitte ein riesiger und offener Palast emporragte. Er glitzerte in seinem eigenen Licht und strahlte heller als all die kleinen Häuser. Trotz seiner Höhe reichte er nicht einmal bis zum oberen Rand des Kraters hinauf. Wie weit unten befanden sie sich? Von irgendeiner Gravitation spürte Killian nichts, obwohl der Mensch nicht dafür gemacht war, so tief zu tauchen. Lag das an dem Ort oder an dem Kraut? Magie war hier jedenfalls eindeutig am Werk. Auf den ersten Blick wirkten die Gebäude aus Stein erbaut, aber beim näheren Hinsehen vermutete Killian, dass sie aus Korallen entstanden waren. Wenn die Meermenschen die Tiere kontrollieren konnten, lag es nah, dass sie mit jeglichem Leben unter der Wasseroberfläche in friedlicher Harmonie zusammenlebten. Der Tunnel war nur noch ein dunkler Fleck im Gestein, durch den sie das Nest gefunden hatten. Killian markierte ihn sich gedanklich, denn sobald sie den Dreizack hatten, mussten sie sich schnellstens aus dem Staub machen. Sie konnten Ariel nicht ewig vorspielen, dass sie ihn sich nur ausborgten, um Pedro zu heilen, bevor sie ihn zurückbringen würden. Auch Naivität hatte seine Grenzen. Die Meerjungfrau war aus der Ferne nur durch ihre grüne Schwanzflosse und ihrem feuerroten Haar erkennbar, welches wie ein Fächer um sie herum ausgebreitet war, wenn sie nicht durch das Wasser sauste. Als sie merkte, dass ihre neugewonnenen Freunde nicht mithalten konnten, verlangsamte sie ihre Geschwindigkeit. „Wir müssen uns beeilen. Mein Volk reagiert nicht gut auf Menschen. Für sie seid ihr Eindringlinge, die unsere Magie stehlen wollen.“ Ihre Augen waren genauso klar, wie das Meer um sie herum. Bunte Fische huschten um Steine und Korallen herum, die in riesigen Feldern in allerlei Farben um die Stadt herumwuchsen und in stetiger Bewegung waren. Es war ein verstecktes Paradies, das Menschenaugen für gewöhnlich versteckt blieb. Vielleicht war es aber auch das Letzte, was sie zu sehen bekamen, wenn sie ungefragt zu dem Nest der Meermenschen vordrangen, um es zu plündern. Killian verzog das Gesicht, als er weiterschwamm. Sie waren nur weitere Plünderer, die hoffentlich ein besseres Schicksal erwartete. Unter einem nassen Grab hatte er jedenfalls stets etwas anderes verstanden. Das Kraut hielt er in der Wange, während die Kiemen an seiner Halsseite es ihm erlaubten zu atmen, als würde er sich an Land befinden. Doch Ariel hatte recht gehabt, dass das Wasser weder in seinen Mund noch in seine Nase vordrang. „Wie soll uns niemand sehen?“, fragte Isabela. Der spöttische Unterton fehlte jedoch, denn die Umstände gingen auch an der Piratin nicht spurlos vorbei. Ihre Augen streiften vielsagend über die freie Unterwasserlandschaft, in der es nicht einmal umherschwimmende Algen gab, die von ihnen ablenken konnten. Sie servierten sich den Meermenschen praktisch auf einem silbernen Tablett, mussten jedoch auf ihre Führerin vertrauen. Besonders schwer aufzuspüren konnte der Dreizack jedoch nicht sein, denn er konnte sich nur irgendwo in dem riesigen Palast befinden. Auch der stille Wolf schien diesen Eindruck zu haben, wenn Killian seinen Blick richtig deutete, der starr auf den Palast gerichtet war, als könnte er durch die weißen Wände sehen. „Keine Sorge“, versicherte ihnen Ariel jedoch. „Alle sind mit den Festlichkeiten beschäftigt. Keiner wird je wissen, dass ihr hier gewesen seid.“ Ein Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab, als sie über ihre Schulter zu ihnen zurücksah. Sie war wendig wie ein Fisch, wandte sich auf den Rücken und schwamm kurzzeitig rückwärts. Mit ihrer Eleganz zog sie selbst Rudolphus’ Aufmerksamkeit auf sich, den sie ganz genau im Auge behielt. Allerdings las Killian keinerlei Angst mehr in ihrem Gesicht. Dort befand sich nur noch Faszination, ganz besonders für den Wolf. Es war eine Leichtigkeit die Blicke zwischen ihnen zu interpretieren, denn Killian war ein Experte auf diesem Gebiet. Ob Isabela es ebenfalls bemerkt hatte? Er schenkte ihr einen Seitenblick, bevor er sich wieder auf die wirklich wichtigen Dinge konzentrierte. „Festlichkeiten?“ „Oh ja“, erwiderte Ariel, die sich in einer Rolle umdrehte und ihnen den Rücken mit zu viel Vertrauen kehrte. „Heute ist mein Geburtstag. Mein Vater lässt für jeden Geburtstag seiner Töchter eine Feier veranstalten. Jeder Bewohner ist eingeladen.“ „Das ganze Volk?“, stieß Isabela aus. Killian konnte die Skepsis aus ihrem Ton heraushören, die Ariels Ohren jedoch nie erreichte. Die Meerjungfrau nickte. „Ja, sie wird in einigen Stunden beginnen. Im Moment sind alle mit den Vorbereitungen beschäftigt. Ich eigentlich auch. Es weiß niemand, dass ich mich rausgeschlichen habe, weswegen wir uns beeilen müssen.“ Isabela und Killian tauschten einen Blick aus, denn Worte brauchten sie dazu nicht. Ihr Zeitfenster war ein weiteres Mal kleiner geworden, nachdem sie das Problem des Ertrinkens gelöst hatten. Selbst wenn die Felsformation von der Flut komplett unter Wasser gesetzt wurde, konnten sie mit dem Kraut entkommen. Allerdings stellte es ein weitaus größeres Problem dar, sich ungesehen aus dem Palast zu schleichen, sobald die ersten Gäste eintrudelten. Es war ironisch, dass sie unwissend diesen Festtag gewählt hatten, um den Dreizack des Königs zu stehlen. Nicht zu vergessen, dass sie ausgerechnet die Hilfe des Geburtstagskindes in Anspruch nahmen. Das wird ein Geburtstag, den Ariel nicht so schnell vergessen würde. Keiner von ihnen. „Dann sollten wir wohl die Beine und Flossen in die Hand nehmen“, gab Isabela von sich, als sie den Rand der Unterwasserstadt erreichten. Killians Stiefel berührten den sandigen Boden des Tals, aus dem hier und da Pflanzen wuchsen und sich in den sanften Wellen bewegten. Ariel legte den Finger an die Lippen, um ihnen Ruhe zu signalisieren, als sie zwischen den muschelförmigen Häusern hindurchschwammen. Es war ein Schwimmen und Schweben, so kam es Killian jedenfalls vor. Unendlich frei und federleicht. Gemeinsam suchten sie sich den Weg zwischen den Häusern hindurch, geführt von Ariel, die im Zickzack hin- und herhuschte, als vergaß sie gelegentlich, dass ihre Begleiter keine Flossen besaßen. Der Palast wuchs in seiner Größe, ragte weit über ihre Köpfe hinweg, obwohl sie ihn vor wenigen Minuten noch von oben betrachtet hatten. Majestätisch und glitzernd stand er in der Mitte des Nests der Meermenschen und bot mit seinen vielen Öffnungen Zutritt für jeden. Er lud sie in stummer Geste ein, um sich im Inneren umzusehen und ihn um ein paar seiner Schätze zu erleichtern. „Ich werde euch zu meiner Kammer führen. Von dort ist es nicht weit bis zum Thronsaal“, flüsterte Ariel, als sie den Palast erreichten. Sie schwamm zu einer der Öffnungen in dem Gestein und sah dem Gang auf und ab, ehe sie Isabela, Rudolphus und Killian heranwinkte. „Nahe des Thronsaals...“, murmelte Isabela, selbst unter Wasser so verständlich, als würde sie direkt in Killians Ohr flüstern. Er fing ihren Blick auf – und war sich sicher, dass ihnen derselbe Gedanke durch den Kopf ging. Sie brauchten ein Ablenkungsmanöver, um Ariel loszuwerden. Es wäre einfacher, sie jetzt, da Ariel sie noch für gutherzige Samariter hielt, abzuschütteln, anstatt wenn sie mit dem Dreizack wieder in der Höhle waren und ihre wahren Absichten zeigten. Eine melodische Note von Ariel würde ausreichen, um ihnen die Meerestiere auf den Hals zu hetzen und ihre Flucht zu vermasseln. „Lenk sie ab“, wisperte Isabela und ihre Finger krallten sich in seinen Oberarm, so dass es selbst durch sein nasses Hemd spürbar war, welches wie eine zweite Haut an ihm klebte. Die Kiemen an ihrer Halsseite filterten unablässig den Sauerstoff aus dem Wasser und zogen Killians Blick auf sich. Sich losreißend schwamm er voraus, um mit Ariel aufzuholen. „Wie alt wirst du?“, fragte er, als seine Finger ihre nackte Schulter berührten. Ihre Haut fühlte sich so glatt wie Glas im Wasser an. „Zwanzig Jahre“, sagte sie, als sie Killian und die anderen in den Gang hineinführte. Auch im Inneren des Schlosses leuchtete das Gestein und tauchte alles in ein helles Licht, beinahe als würden sie sich an der Wasseroberfläche befinden. „Das ist ein reifes Alter...“, bemerkte Killian mit gesenkter Stimme und schwamm neben ihr her. Sie verlangsamte ihr Tempo für ihn, als sie ihn durch die verworrenen Gänge führte, aus welchen der Palast bestand. Glücklicherweise brauchten sie bei all den Öffnungen keine Befürchtungen zu haben, den Ausgang nicht mehr zu finden. Anders als die Schlösser von Königen an Land war der hier für das gesamte Volk zugänglich und erinnerte nicht im Geringsten an eine Festung. „Reif? Bei uns ist das fast noch Kindesalter.“ Ariel stieß ein Kichern aus, von dem Killian nicht wusste, dass sie dazu fähig war. Andererseits kannte er sie eine gute halbe Stunde, er kannte sie überhaupt nicht und wusste rein gar nichts über ihre Herkunft und Kultur. Ihre Worte allein bestätigten es ihm, obwohl es besser so war. Umso weniger er wusste, umso einfacher würde ihm der Diebstahl fallen. Er konnte dank seines Charmes schnell Beziehungen aufbauen, doch sie hielten meist nicht länger als eine Nacht. In diesem Fall würde es aber wohl eher einen halben Tag. Ein offener Durchgang führte in Ariels Gemach, das aus einem breiten Bett bestand, welches das Unterteil einer Muschel war. Ein kreisrundes Loch im Gestein bildete das Fenster und erlaubte einen Blick auf das restliche Königreich, während die Wände mit allerlei Algen und Unterwasserpflanzen geschmückt waren, die dort gewachsen waren. Auf Killian wirkte es eher wie eine moderige Höhle, wäre es nicht um den Glanz der Korallen gewesen, die sich in den Ecken angesiedelt hatten. „Das ist meine Kammer“, verkündete Ariel, die in ihrer Euphorie einen Kreis durch das Zimmer schwamm, welches sie bewohnte. Sie streckte die Arme aus, als wollte sie alles auf einmal umarmen. Dabei sah es für Killian nicht sehr persönlich aus, dieser kleine Schnickschnack fehlte, den Menschen nach Jahren mehr und mehr ansammelten. „Meine wahren Schätze befinden sich woanders. In einer Höhle. Ich war auf dem Weg dorthin, als ich euch getroffen habe“, entwich es ihr leiser, als sei sie in der Lage seinen Gedanken zu lesen. Aber das war unmöglich, denn ansonsten würde sie nicht dieses strahlende Lächeln auf ihrem hübschen Gesicht tragen und ihm dieses Geheimnis anvertrauen. Sie kam auf ihn zugeschwommen und ihre schmalen Finger berührten den Griff seines Schwerts, das an seinem Gürtel hing. Liebevoll strichen sie über das Metall. „Manchmal... da finde ich Sachen aus eurer Welt. Sie werden angeschwemmt.“ Das Lächeln nahm etwas Trauriges an, als sie zu Killian aufsah und sich ihre klaren Augen in ihn hineinbohrten, so dass es Killian innehalten ließ. „Aber mein Vater verbietet, dass wir sie uns auch nur näher ansehen, geschweige denn behalten. Er sagt, dass sie unser Verderben darstellen. Dass sie schlecht sind und die Menschen auch. Aber das glaube ich nicht.“ Ariel war ihm so nah, dass er ihren Atem auf seiner Haut gespürt hätte, wenn sie sich nicht so viele Meilen unter der Oberfläche befinden würden. Seine Mundwinkel hoben sich. „Du solltest es glauben.“ Sie drehte den Kopf zur Seite und ließ den Blick durch ihre Kammer wandern, obgleich sie diese in- und auswendig kannte. „Ihr seid nicht schlecht. Ihr riskiert euer Leben, um das Leben eures Freunds zu retten.“ „Es gibt eben nur eine Handvoll Dinge für die es sich lohnt, sein Leben zu riskieren“, erwiderte Killian. Zu diesen Dingen zählte aber ganz bestimmt nicht Pedros Leben, denn Isabelas Handlanger konnte ihn kaum weniger kümmern. Er riskierte es nur für Liebe und Rache. „Da seid ihr ja“, ertönte Isabelas Stimme hinter ihnen, als sie ebenfalls die Kammer erreichte. Ihr Blick glitt umher, auf der Suche nach Kostbarkeiten, die man sich in den Ausschnitt stecken und herausschmuggeln konnte. „Habt ihr Rudolphus gesehen? Einen Moment schwamm er hinter mir, im nächsten war er fort. Ich dachte, er wäre bei euch.“ „Ich dachte, er wäre bei dir“, gab Killian zurück. Allerdings erkannte er ein Ablenkungsmanöver, wenn er eines zu hören bekam. Er wandte sich Ariel zu, die bei diesen Neuigkeiten auf den Rand ihres Bettes gesunken war. „Was, wenn er verloren gegangen ist und irgendjemand über den Weg läuft?“ „Ich...“, begann Ariel. Ruckartig schwamm sie auf die Öffnung im Gestein zu, die zu klein war, als dass sie hindurchpasste. Doch sie schielte hinaus, um nach dem Wolf Ausschau zu halten. „Ich... Ich werde ihn suchen. Ihr wartet hier. Wenn ich ihn gefunden habe, bringe ich ihn hierher und danach bringe ich euch zum Dreizack.“ Sie wartete nicht auf eine Antwort, sondern schwamm mit rasanter Geschwindigkeit aus der Kammer, so dass Isabela ihr ausweichen musste. Ihr Vater organisierte Geburtstagsfeste für seine Töchter, aber scheinbar besaß er auch ein außerordentliches Temperament, wenn Ariels Panik eine Andeutung dafür war. „Rudolphus?“, fragte Killian, als er um die Wand lugte, um sicherzugehen, dass sie allein waren. Isabela presste sich neben ihn an die Wand und lächelte ihm zu. „Irgendwo im Palast. Ich hab ihm gesagt, dass er außer Sicht bleiben soll.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Das ist unsere Gelegenheit, Hook.“ Killians Handgelenk packend zog sie ihn mit sich aus Ariels Gemach. Sie lachte den Risiken ins Gesicht, genau wie ein richtiger Pirat es tat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)