The Lost get found von Ashelia (Rise of the Brave Tangled Dragon | One-Shot Sammlung) ================================================================================ Kapitel 2: The girl who remembered ---------------------------------- „Mein Name ist Rapunzel.“ Sie zählte schon die Tage bis zu ihrem achten Geburtstag. Ihre Mutter war schon zu Bett gegangen, ohne die leiseste Ahnung zu haben, dass ihre Tochter noch lange kein Auge zugetan hatte. Kniend vor dem Bett hatte das Kind die Hände gefalten und die Augen geschlossen, während sie fest an ihren Wunsch dachte und flüsterte: „Ich weiß nicht, ob das funktioniert, aber in den Büchern steht, wenn man sich etwas wünscht könnte ich es dir erzählen und dass es ganz vielleicht wahr werden würde.“ Wenn sie ehrlich war, wusste sie nicht einmal mit wem sie genau sprach, aber sie hatte das Gefühl, dass sie es wenigstens versuchen musste.„Ich hoffe, ich störe dich jetzt nicht, aber da gibt es etwas, was ich mir wirklich sehr wünsche.“ Es sollte kein Geheimnis sein, dass ein Kind in diesem Alter, welches so oft alleine war, ohne Vater aufwuchs und ohne Möglichkeit nach draußen zu gelangen, Einsamkeit kannte. „Ich weiß, ich dürfte dich das nicht bitten - immerhin sollte ich rundum glücklich sein - aber nur ein Mal... nur ein Mal möchte ich mir die Lichter an meinem Geburtstag nicht alleine ansehen...“ Denn so lieb ihre Mutter war, die Lichter, die das Mädchen so faszinierten versuchte sie ihr jedes Mal auszureden. Es wäre nicht wichtig, sagte sie. „Kennst du jemanden, der so lieb wäre? Irgendjemanden?“ „Als Kind hatte ich einen imaginären Freund.“ Er kam. Nur an diesem einen Abend war er bei ihr, aber es war alles, was sie sich gewünscht hatte. Egal, wie unwirklich er ihr erschien mit seinem schneeweißen Haar und den hellblauen Augen, die selbst in der Dunkelheit zu leuchten schienen vor Freude. „Du kannst mich sehen?“, fragte er. Anscheinend hatte er dieses Ereignis für so abwegig gehalten wie sie. Auf ihr Nicken hin, hatte er Luftsprünge gemacht, wobei Schneeflocken durch die Luft gewirbelt war. Irritiert hielt sie die Hand auf um eine zu fangen, doch schmolz sie bei der Berührung. Sie versuchte es erneut, aber es war dasselbe Spiel. „Ist das Wasser?“ Ihre großen, grünen Augen waren nun auf ihn gerichtet, der stutzte. „Sag bloß, du kennst keinen Schnee“, erwiderte er ungläubig. „Schnee?“, wiederholte sie blinzelnd „Doch! Ich habe davon gelesen!“ Ein triumphales Grinsen streckte sich über ihr Gesicht, während er nur amüsiert den Kopf schüttelte. „Letzte Nacht war die Nacht vor meiner Hochzeit.“ ‚Sagenfigur‘ hatten sie gesagt. Jack Frost war ein Mythos. Nicht echt, nicht real. Der einzige Mensch, dem sie von ihm erzählen konnte, hatte gelacht. Ihre Mutter lobte sie nur für ihre blühende Phantasie. Aber sie wusste es besser. Er hatte ihr erzählt, er würde den Winter bringen. Und dann würde er sie mitnehmen, ihr den Schnee und den Frost hautnah vorstellen. Zu diesem Anlass begann sie sich Winterkleidung zu nähen, auch wenn sie nur mühsam mit der Hand nähte - aber bis zum Winter hatte sie viel Zeit. So fand sie eine Beschäftigung während sie wartete. Doch er kam nicht. Weder er noch das Winterwunderland, von dem er so geschwärmt hatte. Jahre vergingen und ein Dieb namens Eugene fand den Turm. Nach aggressiven Verhandlungen mithilfe einer Bratpfanne, schaffte sie es zusammen mit ihm den Turm zu verlassen. Es war das erste Mal seit zehn Jahren, dass sie die schwebenden Lichter mit jemandem zusammen betrachtete. Doch es blieb nicht so friedlich. Die Ereignisse überschlugen sich, als sie herausfand, dass Gothel nicht ihre Mutter und sie in Wirklichkeit die verlorene Prinzessin des Königreichs Corona war. Gothel zerfiel zu Staub als Rapunzels langen Haare mit einer Glasscherbe durchtrennt wurden und ihre magischen Fähigkeiten einbüßten. Eugene war es zu verdanken, dass sie alles heil überstanden hatte. Sie hatte ihren Weg zurück nach Hause gefunden, in die Arme ihrer Familie. Dabei wollte sie die Hand ihres Retters allerdings nicht loslassen. Sie beschlossen gemeinsam - laut ihm war sie es, die um seine Hand angehalten hatte - zu heiraten. Nur noch eine Nacht trennte sie vor dem großen Tag, doch diese Unruhe in ihr wollte nicht enden. Die Vorbereitungen waren perfekt. Sie müsste beruhigt sein. Jeder, der ihr nur ein wenig bedeutete war eingeladen (obwohl sie nie die Gelegenheit gehabt hatte, viele Freunde außerhalb des Turms zu finden). Und doch ließ sie der Gedanke nicht los, dass etwas fehlte. Oder jemand. Aber es war wichtig. Allein stand sie nun in ihrem dunklen Zimmer, nur das schwache Licht des Mondes erhellte die Räumlichkeiten spärlich. Sie fuhr mit den Fingern den großen Tisch entlang ehe sie stehen blieb. Vor ihr lag die Krone, die zu ihrer Geburt angefertigt worden war, auf einem dünnen Kissen gebettet. Sie hatte Eugene zu ihr und letzten Endes auch sie nach Hause geführt. Und am morgigen Tag würde sie sie zum Altar begleiten. Sie hob den Blick an. Ihre grünen Augen fanden sich selbst im Spiegel. Aber war sie es wirklich? Immer noch hatte sie Probleme sich an ihr Spiegelbild zu gewöhnen. Nie wieder würden lange blonde Locken ihr Gesicht umranden. Stattdessen fuhr sie mit der Hand, die bis eben auf dem Schreibtisch geruht hatte, durch ihre brünette Kurzhaarfrisur. Wenn man so wollte, konnte man es auch ihr ‚etwas Neues‘ nennen. Das ‚Geborgte‘ befand sich an ihrem Ringfinger. Eugene hatte darauf bestanden, selbst für den Trauring aufzukommen. Allerdings schien es schwer für einen früheren Dieb seine Gewohnheiten komplett abzulegen, wie sie feststellen musste. Als sie davon erfuhr, hatte sie mit der Besitzerin gesprochen, dass sie ihren Ring nach der Feier wiederbekam. Zum Glück gab es deswegen keine größeren Probleme und die junge Frau hatte sich geehrt gefühlt, dass es ihr Ring am Finger der Prinzessin war - wenn auch nur für ein paar Tage. „Etwas Altes, etwas Neues, etwas Geliehenes und“, murmelte sie „etwas fehlt.“ Sie war sich sicher, dass sie alles gehabt hatte. So sicher. Aber wie konnte sie es dann vergessen? „Etwas Blaues.“ Die Farbe blitzte in ihren Gedanken auf. Ein helles Blau wie der wolkenlose Himmel an einem sonnigen Wintertag, kalt und warm zugleich. Plötzlich fühlte sie sich an ein Paar Augen erinnert. Und etwas war in ihnen. Etwas, was sie vor diesem Tag nie bewusst gesehen hatte. „Wie konnte ich es vergessen? Etwas so wichtiges.“ Sie sah zu ihrer Handfläche, erinnerte sich an die sanfte Kälte bei einer Berührung. Sie hielt an dem Gedanken fest. Das Weiß, welches sich in seinen Augen befand, erstreckte sich ebenfalls über seine Kleidung, zeichnete verworrene Linien auf den blauen Pullover. Das Weiß, welches seine Haare ausmachte. „Ich erinnere mich... Jack Frost. Du warst nicht erfunden...“ Ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. Sie drehte sich um und sah sich dem meterhohen Fenster gegenüber. „Du warst echt. Ich erinnere mich!“ In aller Euphorie hatte sie ihre Stimme erhoben, ohne sich darüber zu sorgen, ob sie die Aufmerksamkeit von jemandem außerhalb auf sich zog oder nicht. Vielleicht würde er sie nicht wiederfinden, wo sie nicht mehr im Turm wohnte. Vielleicht hatte er sie ebenfalls vergessen. Die Stille legte sich bedrückend im Raum, bis sie ein Klicken hörte. Das Fenster schien sich wie von Geisterhand zu öffnen. Ein leichter Wind erreichte sie, streichelte ihre Wange. Dort war ein weißer Punkt in der Dunkelheit, der fast in Zeitlupe auf sie zuflog. Sie öffnete die Handfläche um es aufzufangen, doch sobald es sie berührte, war es verschwunden. Genau wie letztes Mal. Als sie aufsah saß er auf dem Fenstersims, seinen Stab fest in den Händen, seine blauen Augen auf sie gerichtet. Diese blauen Augen, die eine Schneeflocke zu verstecken schienen, wenn man sie genauer betrachtete. Ihre verblasste Erinnerung nahm immer mehr Gestalt an. Eine ihr längst vergessene Stimme drang an ihr Ohr: „Punz?“. Es gab nur eine Person, die sie so nannte. Nur einer einzigen Person hatte sie sich so vorgestellt. „Und mein imaginärer Freund kam zurück.“ „Rapunzel“, korrigierte sie ihn, da es niemanden gab, der sie noch ‚Punz‘ nennen würde, wo sie nun Prinzessin war. „Aber... du warst Punzie! Das kleine Mädchen mit den langen blonden Haaren“, warf er ein, als er sich vom Fenstersims abstieß. Die Augen groß vor Überraschung während er näher schritt bis es ihr unangenehm wurde und sie zurück wich. „Was ist passiert?“ Nun deutete er auf ihre Haare. Peinlich berührt wandte sie den Kopf ab, unterdrückte den Impuls sich in die Haare greifen zu wollen um sich selbst an diese Veränderung zu erinnern. „Ich... bin erwachsen geworden.“ „Oh, sowas tut man doch nicht“, tadelte der Wintergeist sie. Fassungslos blieben ihr die Worte weg, bis sie zwischen den Zähnen herausbrachte: „Zehn Jahre.“ „Was?“, machte er, da er sie akustisch wohl nicht ganz verstanden hatte. Es konnten doch keine Jahre vergangen sein... das hätte er doch bemerkt, auch wenn sein Zeitgefühl nach so vielen Jahren zu wünschen übrig ließ. „Über zehn Jahre sind passiert.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)