Gathering Storms von Starwings ================================================================================ Kapitel 1: Warum man während des Segelns nicht einschlafen sollte. ------------------------------------------------------------------ Hinter Rem lag eine ziemlich ereignislose Woche. Das Meer war bis auf den schwächeren Blizzard kurz nach seiner Abreise außerordentlich ruhig gewesen. Vielleicht sogar schon ein wenig zu ruhig. Bis auf ein paar kleinere Kurskorrekturen hatte er einfach nichts zu tun gehabt und ewig auf das Meer zu starren hatte ihm nichts als Ärger eingebracht. Zweimal war er dabei eingenickt und so jetzt ein gutes Stück von dem Kurs abgekommen, den er eigentlich vorgesehen hatte. Allerdings musste man, um ganz ehrlich und präzise zu sein, vielmehr sagen, dass er völlig vom Kurs abgekommen war und schlussendlich auf der Insel gelandet war, die er eigentlich unter allen Umständen hatte meiden wollen. Vor ihm lag eine Stadt aus weißem Stein und roten Dachschindeln, ohne nennenswertes Relief oder sonstige Sehenswürdigkeiten. Einzig und allein die hohen, blauen Mauern des Marineforts unterbrachen die Idylle der Insel. Seufzend blickte Rem also auf die Hafenstadt Taris auf der Insel Oliastris. „Da versucht man diesen Leuten aus dem Weg zu gehen und was passiert? Man rennt ihnen quasi vor die Haustür“, brummte er vor sich hin, während er sein kleines Boot mit einem Tau an dem steinernen Steg befestigte. Bevor er von Bord ging schloss er die Kabinentür ab und entfernte alle Wertsachen von Deck. Wer wusste schon, wer alles in so einer Stadt unterwegs war. Rem hatte nur einige Geschichten über die Stadt gehört, die eigentlich alle recht positiv waren. Im Gegensatz zu seiner Heimatinsel schien die Marine hier tatsächlich für so etwas wie Recht und Ordnung sorgen zu können. Um nicht gleich negativ aufzufallen ließ Rem seine Dolche und den Bogen auf dem Schiff, wurde aber trotzdem schief angesehen, kaum dass er die Stufen hinauf zur Promenade genommen hatte. Es blieb ihm jedoch nichts anderes übrig als die Blicke zu ignorieren und sich allein auf das zu konzentrieren, was gerade am wichtigsten war. Sobald er seine Vorräte aufgestockt hatte, würde er die Insel wieder verlassen. Während er über die Hauptstraße schlenderte nahm er sich die Zeit und schaute sich ein wenig genauer um. Taris unterschied sich vom Baustil her sehr von seinem Heimatdorf. Anstelle von Holzbauten dominierten hier Steinhäuser, denn trotz des Verkaufs der hochwertigen Felle, war die Stadt auf Kelkrym immer sehr einfach geblieben. Die Bauweise dort war massiv, um im Winter die Schneelasten tragen zu können. Hier legte man aber offensichtlich ein wenig mehr Wert auf den äußeren Schein. Überdachte Häusereingänge mit nichts als dürren Stahlstreben als Stützpfeiler, weit herausragende Balkone und Blumenkästen vor den Fenstern. Vom Meer her wehte ein kalter Wind hinauf in die Stadt, doch er war lange nicht so kalt wie auf Kelkrym. Außerdem konnte Rem bis auf ein paar Schneereste in einigen Häuserecken nichts finden, dass auf einen richtigen Winter hindeutete. Mit seinem üblichen ausdruckslosen Gesichtsausdruck lief er weiter die Straße entlang und schaute sich in einigen Schaufenstern die Ware der örtlichen Händler an. Auch hier warfen ihm die Leute hin und wieder leicht verängstigte Blicke zu. Der Braunhaarige konnte darauf jedoch nur sein linkes Auge verdrehen. Es mochte ja sein, dass er nicht unbedingt freundlich aussah, aber die sahen ihn ja an als wäre er ein Verbrecher. Rein objektiv betrachtet musste er jedoch zugeben, dass er mit dem dunklen langen Mantel und der Augenklappe und dem chronisch abwesenden Lächeln auf seinem Gesicht vermutlich wirklich nicht sehr nett aussah. Kam diesen Leuten überhaupt der Gedanke, dass auch normale Leute so rumliefen? Aber es lohnte sich nicht, sich darüber aufzuregen, was die Leute von ihm hielten. Solange sie ihm keine Probleme machten, war es ihm egal. „Was für eine langweilige Insel“, lehnte Rem ein paar Stunden später an der steinernen Mauer der Promenade und schaute hinaus auf das Meer, das unter dem strahlend blauen Himmel silbern auf der Oberfläche schillerte. Im Hafen lagen kaum mehr Schiffe als sein eigenes und ein paar kleinere Handelsschiffe. Etwa einen Kilometer in westlicher Richtung lagen einige Marineschiffe vor Anker, aber auch diese waren nicht besonders eindrucksvoll. Hinter ihm führte der Weg zum Fort, dass auf einer kleinen Anhöhe lag. In der Mittagssonne war es ihm in seinem dicken Wintermantel fast schon ein wenig zu warm, also knöpfte er ihn auf und ließ ihn vom Wind nach hinten wehen. Darunter kam ein schwarzes enges Sweatshirt zum Vorschein mit einem ebenfalls eng anliegenden Kragen. Den dunkelbraunen Gürtel zierte eine silberne Gürtelschnalle und seine hellbeige Hose verschwand in ebenfalls dunkelbraunen Stiefeln, die ihm etwa bis zur Hälfte seiner Unterschenkel reichten. Froh aus der lärmenden Stadt heraus zu sein, wollte er eigentlich nur die Ruhe genießen, leider hätte ihm klar sein müssen, dass sich mal wieder jemand einmischen würde. Schon von weitem konnte er laute Stimmen hören, die von der Stadt her ausgerechnet in seine Richtung kamen. Und nicht nur das, auch die weißen Uniformen konnte man nicht übersehen. „Die Marine, natürlich…“, schnaufte Rem und beobachtete aus den Augenwinkeln heraus die Patrouille. Was auch immer sie da im Schlepptau hatten, beschwerte sich nicht gerade leise über seine Behandlung. Der junge Mann hatte silberne Haare und zerrte an dem Seil, das man ihm um die Handgelenke gebunden hatte. Gerade als Rem einen genaueren Blick auf ihn werfen wollte, dieser einem der Soldaten einen Tritt in den Magen und warf den mit dem Seil in der Hand einfach vornüber als er seine Arme schwungvoll nach vorne riss. Seine kurzen silbernen Haare leuchteten in der Sonne und ein verschmitztes Lächeln huschte dem jungen Mann über das Gesicht. Allerdings verging ihm der Spaß kurz darauf auch schon wieder als ihm jemand ein Gewehr ins Kreuz drückte und ihn freundlich darauf hinwies mit dem Unsinn aufzuhören. Wie Rem es jedoch nach dieser Aktion erwartet hatte, verpasste der Silberhaarige dem Soldaten hinter ihm eine saftige Kopfnuss, ehe man ihm mit einem Gewehr selbst einen über den Schädel zog. Fluchend ging der junge Mann in die Knie und kippte dann vornüber. „Schaffen wir ihn endlich ins Fort. Ich hab keine Lust mehr mich mit ihm herum zu schlagen. Dieser Typ hat einfach keine Ahnung, wann man aufgeben sollte“, murrte einer der Soldaten. Die anderen nickten kurz, hätten sich jedoch vorher überlegen sollen, wie sie jemanden, der in etwa 1,80 m groß sein musste und sicherlich nicht allzu leicht, überhaupt jetzt noch den Weg weiter hoch zum Fort bekommen sollten. Schließlich musste einer der vieren ihn unter lautem Protest schultern und wankte gefährlich seiner Truppe hinterher. Rem hatten sie nur eines kurzes Blickes gewürdigt, stutzig gemustert, aber schließlich einfach stehen lassen. Was hatten sie auch großartig sagen sollen, ihre Vorstellung war wirklich nicht besonders professionell gewesen und wenn man nichts Wichtiges zu sagen hatte, dann war es im Zweifelsfall immer ratsam einfach die Klappe zu halten. Allerdings beunruhigten Rem auch nicht die Soldaten, sondern vielmehr der flüchtige Blick, den der Silberhaarige ihm zugeworfen hatte. Es hatte etwas Gefährliches darin gelegen und dann dieses schelmische Grinsen. Warum hatte Rem das Gefühl, dass sie sich wieder sehen würden? Natürlich nur, wenn er aus dem Fort heraus schaffen würde. Und dann noch diese Klamotten. Eine schwarze Lederjacke, Turnschuhe und ein Totenkopfanhänger um den Hals, der ihm bei dem doch recht gelungenen Tritt aus dem Ausschnitt gerutscht war. „Ein wandelndes Problem auf zwei Beinen“, schoss es Rem durch den Kopf und er war froh nicht mit in die Sache hineingezogen worden zu sein. Er war nicht sonderlich darauf erpicht sich gleich am Anfang seiner Reise mit der Marine anzulegen. Wenn es irgendwie möglich wäre, würde er sich sowieso aus allen Schwierigkeiten heraus halten. Kopfschüttelnd starrte er wieder hinaus auf das Meer und machte sich bei Anbruch der Dämmerung in die Stadt auf. Nach Möglichkeit wollte er auf der nächsten Etappe keinen Fehler mehr bei der Navigation machen und darum war es besser sich Informationen zu beschaffen. Das ging natürlich nirgendwo besser als in einer anständigen Kneipe. Irgendwann nach drei Uhr machte sich Rem auf den Rückweg. Trotz den sechs Bier war er noch vollkommen nüchtern und hatte keine Schwierigkeiten auf dem Kopfsteinpflaster zu laufen. Nicht so wie ein bemitleidenswerter Mann in den Dreißigern, der anscheinend versucht hatte seinen emotionalen Stress in Alkohol zu ersäufen; denn während er die Straße herunter stolperte heulte er sich ungehört bei der nächtlichen Stadt aus. Kopfschüttelnd ging Rem an ihm vorbei und steuerte zielstrebig auf den Hafen zu. Er würde kurz nach Sonnenaufgang ablegen und sich hoffentlich endlich auf den Weg zu seinem richtigen Ziel machen. Wenn man den Worten der Seeleute trauen konnte, war es eine recht einfache Route, die er ohne Schwierigkeiten bewältigen sollte. Vorausgesetzt natürlich er würde nicht wieder einfach an Deck einschlafen. Bei dem Gedanken huschte ein gequältes Lächeln über Rems Züge. Das Rauschen des Meeres hatte einfach eine zu beruhigende Wirkung. Wenigstens konnte er beruhigt sein, dass er nicht einfach ertrinken würde, wenn das Boot kentern sollte, schwimmen konnte er immerhin. Am Hafen angekommen nahm er die Stufen hinunter zu den Stegen und vergewisserte sich durch ein paar Blicke in alle Richtungen, dass niemand sonst dort war. Es war zwar nicht zu erwarten, dass er auf dieser Insel in ernsthafte Schwierigkeiten geraten würde, aber er wollte sein Glück auch nicht unbedingt auf die Probe stellen. Außerdem war ihm nicht entgangen, wie man auch in der Bar hinter seinem Rücken getuschelt hatte. Nur weil er so finster aussah, hieß das nicht automatisch, dass er Ärger machen würde und vor allem noch lange nicht, dass er ein Pirat war. Aber vermutlich waren die Menschen für solche weiterführenden Gedankengänge einfach zu simpel gestrickt… oder zu betrunken gewesen. Mit einem dumpfen Geräusch sprang er auf sein Boot und ließ sich am Mast nach unten sinken. Es war eine sternklare Nacht und die Temperatur war zwar kalt, aber noch lange nicht so frostig wie in den Winternächten auf Kelkrym. Es sprach also nichts dagegen die Aussicht zu genießen. Rem hätte jedoch wissen müssen, dass er nicht lange wach bleiben konnte. Kurz darauf war er bereits eingeschlafen und wachte erst wieder auf als er in der Nähe ein verräterisches Geräusch hörte. Sofort war er hellwach und versteckte sich hinter der Kabine am Heck des Schiffes. Seine Hand wanderte in die Innenseite seines Mantels und zog den Revolver hervor, den er dort verborgen hielt. Aus den Schatten heraus beobachtete er, wie eine recht große Gestalt auf das Schiff sprang und versuchte so leise wie möglich über das Deck zu gehen. Rem konnte am Gang erkennen, dass er damit nicht einmal so unerfahren zu sein schien. Hinzu kamen die beiden Schwerter, die an seiner Seite befestigt waren. Rem war sich ziemlich sicher, dass es ein Mann war und dieser kam ihm zu allem Überfluss auch noch bekannt vor. Besonders als im Mondlicht eine der Strähnen, die unter der Kapuze hervor lugten, silbern schillerte. Der Braunhaarige verengte die Augen und legte einen Finger auf den Abzug. Ohne das geringste Geräusch von sich zu geben, schlich er nach vorne und wartete darauf, dass der junge Mann ihm den Rücken zudrehte. Offensichtlich glaubte dieser, nachdem er an dem Schloss zur Kabine gerüttelt hatte, dass er allein auf dem Schiff war. Das unerwartete Klicken von Rems Revolver ließ ihn herum fahren und seine beiden Schwerter glitten in einer beachtlichen Geschwindigkeit aus ihren Scheiden. „Ich würde die Waffen wieder einstecken und verschwinden. Mich anzugreifen ist sinnlos. Ich bin ein sehr guter Schütze und an bewegliche Ziele gewöhnt“, sprach Rem tonlos und baute sich in voller Größe vor dem jungen Mann auf, auch wenn sie fast gleich groß waren. Der Silberhaarige war erstarrt, hatte aber keinesfalls vor einfach aufzugeben, das konnte Rem deutlich spüren. Unter dem Schatten der Kapuze konnte er die Züge kaum erahnen, aber er erinnerte sich an die kurze Begegnung am Nachmittag. Er durfte ihn nicht unterschätzen. „Glaubst du, ich hab Angst vor nem Revolver?“, erwiderte der junge Mann provozierend. Rem schwieg. Es schien ihm nicht notwendig darauf zu antworten. Er hatte die Waffe mit ausgestrecktem Arm auf den jungen Mann gerichtet und sein Arm zitterte nicht im Geringsten. Dem Silberhaarigen musste also bewusst sein, dass er nicht bluffte. Jedoch schien sich dieser ebenfalls sehr sicher zu sein, was seine Fähigkeiten anbelangte. „Verschwinde von meinem Schiff“, hob Rem erneut die Stimme, dieses Mal mit einem drohenden Unterton. Sein Gegenüber grinste: „Das kannste vergessen. Ich glaub eh…“ Der laute Knall von Rems Revolver hatte ihn zum Schweigen gebracht und der Silberhaarige nahm ungläubig wahr, wie ihm ein Blutrinnsal über die Wange lief. „Damit sollte die Marine auf dem Weg sein. Und jetzt runter von meinem Schiff.“ „Ich dachte du bist Pirat!“, wurde der Silberhaarige lauter. „Bin ich nicht…“, presste Rem angepisst hervor. Die Wirkung seiner Taktik war jedoch leider nicht so groß, wie Rem gehofft hatte. Der Silberhaarige schien nicht übermäßig nervös zu werden und auch die Schwerter in seiner Hand blieben ruhig. Entweder hatte er ihn also unterschätzt, oder dieses Katz und Maus Spiel machte dem jungen Mann Spaß. „Stell dich nicht so an. Keiner wird erfahren, dass du mir geholfen hast. Also gibt’s auch keine Probleme für dich. Ich will nur zur nächsten Insel, danach bin ich weg“, versuchte er es jetzt ein wenig höflicher, was ihm offensichtlich nicht gerade einfach fiel. Rem rührte sich kein Stück und ließ sich auch sonst nicht anmerken, was er denken mochte. Die Zeit arbeitete für ihn. Nicht er hatte eine Problem, sondern sein Gegenüber. „Nenn mir einen guten Grund, warum ich dich mitnehmen sollte.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)