Seelensplitter von Zuckerschnute ================================================================================ Kapitel 10: Mögliche Verbündete ------------------------------- Noel Valentin? Sie sind wirklich neugierig! … Okay, ich erzähle Ihnen von unserer ersten Begegnung. … Wie bitte? Sie wollen lieber hören, in welcher Beziehung wir zueinander standen? Tja, Pech gehabt, jetzt erzähle ich diese Geschichte. *** In manchen Momenten war man einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Und dann gab es Momente, in denen man zu genau der richtigen Zeit am richtigen Ort war. Heute waren offensichtlich Augenblicke der letzteren Sorte dran. Alera lächelte zufrieden, während sie ihre Kamera ausschaltete und in die Tasche gleiten lies. Auf dem Speicherchip befanden sich einige Schnappschüsse, die Richter Alan Wake mit leicht bekleideter und vermutlich minderjähriger Begleitung zeigten, das perfekte Material für etwas ‚Überzeugungsarbeit‘! Ob er danach weiterhin solche Schufte wie Drogendealer aus ‚Mangel an Beweisen‘ freisprach? Naja, falls doch, würden diese Bilder eben den Weg an die Öffentlichkeit finden. Ihre Turnschuhe machten auf dem Asphalt fast keine Geräusche und so konnte sie sich unbemerkt von ihrem Beobachtungsplatz entfernen, wobei Alera sich die Mühe eigentlich hätte sparen können. Wake war so sehr mit dem Mädchen beschäftigt, dass es eine Blaskapelle gebraucht hätte um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Der verzweifelte Schrei eines Kindes ließ sie zusammenfahren und ehe sie sich versah rannte sie schon los. An der kleinen Seitengasse wäre sie beinahe vorbeigerannt, doch ein gequältes Stöhnen und ein verängstigtes „Opa!“ brachten Alera dazu, im vollen Lauf anzuhalten und nach rechts abzubiegen. „Bitte! Das sind meine Herztabletten, ich brauche sie! Sie verursachen kein Hochgefühl oder so was…“ ein verängstigter, älterer Mann mit Halbglatze redete auf einem bulligen Typen mit kahlrasiertem Schädel und jeder Menge Tattoos ein, der ihn an Kragen gepackt hatte und seine Taschen durchsuchte, vermutlich auf der Suche nach Geld. „Ach halt doch die Klappe! Für was die Pillen wirklich sind interessiert mich einen feuchten Dreck! Ich verhökere sie einfach an irgendwen, Hauptsache es springt Geld für mich heraus!“ Im Stillen verfluchte Alera sich dafür, keine Waffe eingepackt zu haben. Der Kerl war riesig und mit einem Messer oder zumindest einem Stock würden ihre Chancen wesentlich besser stehen. Suchend blickte sie sich nach einem Ersatz um. „Aber…“ „Habe ich nicht gesagt, dass du die Klappe halten sollst?“ Glatzkopf brüllte zwar nicht, aber Alera standen trotzdem alle Haare zu Berge. Bevor sie reagieren konnte hatte er den alten Mann mit seiner riesigen Pranke im Gesicht gepackt und seinen Hinterkopf gegen die Mauer hinter ihm geknallt. „Opa!“ wieder die Kinderstimme, doch Alera war vor Schreck wie gelähmt. ‚`Mama? Mama sag doch was, mach die Augen auf!` Das Mädchen zog die Frau auf ihren Schoß, strich über ihre Wange, versuchte sie wachzurütteln‘. Ein leises Wimmern brachte sie zurück in die Gegenwart. Der Schlägertyp hatte das Kind, einen kleinen etwa acht oder neun Jahre alten Jungen, an der Kehle gepackt und hochgehoben. Oh Gott, er wollte ihn doch nicht etwa würgen? Ohne Nachzudenken (das hatte schon zu viel Zeit gekostet) zog sie sich die Kapuze ihres Sweatshirts über den Kopf und stürmte los. Alera machte einen Satz, krallte sich an den Schultern des Kerls fest, zog sich noch ein Stückchen höher und landete mit dem rechten Fuß in seiner Kniekehle, wo sie sich kräftig abstieß. Glatzkopf schlug hart auf dem Boden auf, sein Griff lockerte sich und der Junge kam frei, aber der Mann kam aber sofort wieder auf die Beine. Mist! Sie konnte gerade noch zur Seite springen und sich abrollen, bevor sie umgerannt werden konnte.. Im vollen Lauf knallte Glatzkopf gegen die Wand, schüttelte kurz den Kopf und drehte sich wieder zu ihr um, seine blutende und vermutlich gebrochene Nase sowie die Platzwunde auf der Stirn vollkommen ignorierend. Also entweder war der Typ auf Drogen, oder er hatte keine Schmerzrezeptoren! Jetzt raste eine Faust auf Alera zu und sie riss ihren linken Arm hoch um sie abzublocken und ihm Kante ihrer rechten Hand seitlich gegen den Hals zu schlagen. ‚Bitte lieber Gott, lass es funktionieren!‘ Tatsächlich, der Typ kippte um und blieb regungslos auf dem Boden liegen. Die junge Frau stieß einen erleichterten Seufzer aus und wandte sich den älteren Herren zu, kniete sich neben ihn um seinen Puls zu fühlen. Er war schwach, aber vorhanden, die Wunde an seinem Hinterkopf machte ihr mehr sorgen. Hoffentlich würde sie sich nicht entzünden. „Ist er tot?“ fragte eine ängstliche Stimme. Alera drehte den Kopf und blickte in ein paar große, dunkelblaue Kinderaugen. „Nein!“ sagte sie so sanft wie möglich und holte ihr Handy aus der Tasche. „Nur Ohnmächtig!“ Sie wählte den Notruf und bestellte einen Krankenwaagen sowie die Polizei und wendete dann ihre Aufmerksamkeit wieder dem Jungen zu. Er zitterte wie Espenlaub, schien aber keine Angst vor ihr zu haben. Stattdessen warf er immer wieder Blicke in Richtung des Gangsters, der immer noch Bewusstlos auf dem Boden lag. Immer noch kniend legte sie ihm tröstend die Hand auf die Schulter und ehe sie sich versah schlangen sich ein paar Arme um ihren Hals. Im ersten Moment wusste sie nicht, was sie tun sollte, dann legte sie vorsichtig die Arme um den zitternden Körper, strich sanft über seinen Rücken und murmelte beruhigenden Unsinn in sein Haar. Der Moment wurde jäh unterbrochen, als sich Schritte näherten und ein blonder Mann die Gasse betrat. Also entweder war die Polizei seit neusten schneller als die Feuerwehr, oder der Mann war zufällig hier. Wie auch immer, sie würde nicht hierbleiben um das herauszufinden. Vorsichtig löste sie die Arme des Jungen um aufzustehen, wuschelte noch einmal über seinen hellbraunen Schopf und rannte in die Gasse hinein, wo sie (wenn ihre Erinnerung sie nicht täuschte) eine Feuertreppe gesehen hatte. „Halt, stehen bleiben, Polizei!“ Der Kerl glaubte doch nicht etwa wirklich, dass sie auf ihn hören würde, oder? Alera war schnell, in Leichtathletik war sie schon immer gut gewesen, aber der Mann holte auf, als sie die Treppen hinauf rannten. Auf dem Dach angekommen schaffte er es, ihren Arm zu packen und sie zu sich heran zu ziehen. Kräftige Arme schlangen sich um ihren Oberkörper und drückten ihren Rücken gegen seine Brust. „Du bleibst schön hier!“ „Ach ja?“ mit diesen Worten trat Alera dem Polizisten auf den Fuß und sobald sich seine Arme lockerten machte sie zwei kleine Schritte zur Seite, sodass sie neben ihm stand, bückte sich und rammte ihm den Ellenbogen zweimal zwischen die Beine. Der blonde Mann schrie auf und sie schlüpfte aus seinen Armen, gab ihm einen Schubs und rannte davon. Leider rutschte ihr bei der Befreiungsaktion die Kapuze vom Kopf, und für einen kurzen Moment bohrte sich himmelbabyblau in grüngrau, dann wandte Alera den Blick nach vorne, gerade noch rechtzeitig um über die etwa zwei Meter breite Lücke zum nächsten Hausdach zu springen, anstatt vier Stockwerke tief zu fallen. Sich selbst verfluchend rannte sie die nächste Feuertreppe hinunter, durch dunkle Gassen und Gärten, bis sie zu einem der Zugänge zum Tunnelsystem kam. Dort angekommen lehnte Alera sich gegen die raue Steinwand und fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht. Wie hatte sie so dumm sein können? Wie hatte sie glauben können, die Kapuze würde einfach in jeder Lebenslage auf ihrem Kopf bleiben? Warum hatte sie sich nicht schon längst eine Maske zugelegt? Mit einem tiefen Seufzer stieß Alera sich von der Wand ab, zog die Haarnadeln aus ihrem Dutt und schüttelte die verschwitzten Locken aus. Da der Junge sie nicht identifizieren konnte, stand es Aussage gegen Aussage, daher mussten Selbstvorwürfe warten, jetzt mussten erstmal ein paar gute Ausreden her. Die sollten sich drei Tage später allerdings als völlig unnötig erweißen. Noel Valentin händigte Kommissar Swan ein Täterprofil aus. Wirklich viel stand zwar nicht drin, aber es war ja auch so gut wie nichts bekannt. "Eins fünfundsechzig groß, weiblich, kurvige Figur, Leichtathletin, Kenntnisse in Selbstverteidigung. Ein Racheakt kann aufgrund des hinterlassenen Zeichens nicht ausgeschlossen werden, was auf ein traumatisches Ereignis, extreme Enttäuschung über das Polizei- und Rechtssystem oder beides hindeuten kann." Der Kommissar hob den Kopf und durchbohrte Noel mit einem Blick aus eng zusammenstehenden Augen. "Ziemlich dürftig, oder?" Der Angesprochene ballte die Fäuste so fest, dass sich die Nägel in die Handflächen bohrten, sonst hätte er seinem Vorgesetzten vermutlich die Nase gebrochen. "Nur wenige Leute haben eine Begegnung mit ihr überlebt und an den Tatorten befanden sich kaum Spuren. Und als ich sie Samstagabend getroffen habe war sie zu sehr damit beschäftigt davon zu rennen um mir ihre Lebensgeschichte zu erzählen! Wir haben also mit sehr wenig Material arbeiten müssen!" Warum er allerdings niemandem gegenüber ein Wort über ihr Aussehen verlor konnte er nicht sagen, vielleicht weil sie ganz offensichtlich einem Kind das Leben gerettet hatte? Der Großvater hatte leider nicht so viel Glück gehabt, auf dem Weg ins Krankenhaus hatte sein Herz versagt, sämtliche Wiederbelebungsmaßnahmen waren umsonst gewesen. Der Kommissar stieß nur ein Schnauben aus und überflog eine Liste mit möglichen Verdächtigen. "Mir fällt noch eine zusätzliche Person ein!" mischte sich Sven, einer der Kollegen die an den Ermittlungen im Fall ‚Black Lady‘ beteiligt waren, ein. "Alera Benett von Siegel wäre noch eine Möglichkeit." "Alera Benett von Siegel? Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor..." "Wahrscheinlich hast du in der Zeitung über sie gelesen. Sie ist die Adoptivtochter der Familie von Siegel. Ich habe mich etwas über sie erkundigt: Es ist zwar nicht bekannt, dass sie Kampfsport macht, aber sie soll sehr gut in Leichtathletik sein. Die Größe passt auch in etwa und obwohl sie eine der besten ihres Jahrgangs ist, scheint sie mehr Kurven als Hirn zu haben. Außerdem hat sie sehr jung beide Eltern verloren, der Mörder ihrer Mutter wurde nie gefunden." "Passt ganz gut!" meinte Noel. "Wir sollten der Dame ein paar Fragen stellen!" Sven und er waren schon auf dem Weg zum Auto, als Kommissar Swan sie aufhielt. "Einem Moment meine Herren! Das ist eine extrem delikate Angelegenheit! Diese Familie ist zu einflussreich um sie zu verärgern, daher muss man bei der Befragung sehr behutsam vorgehen! Ich werde das übernehmen. Mayer, Sie bleiben hier, Valentin Sie kommen mit mir!" Mit diesen Worten erhob sich der Kommissar und machte und ging in Richtung Tür. Obwohl, watscheln traf es wohl eher. Wie immer wenn er es eilig hatte ähnelte sein Gang eher dem einer Ente als eines Menschen, was vermutlich an seiner beachtlichen Leibesfülle und den kurzen Beinen lag. Noel verdrehte genervt die Augen, was Sven mit einem Schulterzucken quittierte, bevor er zurück zu seinem Schreibtisch ging. Noel selbst schlug die gleiche Richtung ein wie sein Chef. Soso! Felix Swan war also hier um dafür zu sorgen, dass die Angelegenheit möglichst "delikat" behandelt wurde? Pah, da lachten ja die Hühner! Noels Meinung nach war er nur hier, um Beatrice von Siegel an zu schmachten. Zumindest war das die einzige plausible Erklärung dafür, dass er sie seit geschlagenen zehn Minuten vollschleimte. Allerdings war die Dame wirklich hübsch. Mit gerademal einem Meter fünfundvierzig war sie recht klein und außerdem extrem zierlich gebaut. Ihr rotbraunes Haar, in dem sich trotz ihrer etwa vierzig Jahre (die man ihr übrigens nicht ansah) kein bisschen Grau ausmachen ließ, war im Nacken zu einem eleganten Knoten gedreht, die leuchtend grünen Augen bildeten den Kontrast zu ihrer elfenbeinfarbenen Haut. Kurz: eine elfengleiche, klassische Schönheit. "... wirklich ein wunderschönes Heim!" "Vielen Dank Herr Kommissar!" Beatrice nahm einen Schluck Tee. "Was verschafft uns die Ehre ihres Besuchs?" "Naja, ähm, wir wollten ihrer Tochter Alera ein paar Fragen stellen." Die Tasse wurde abgestellt und sie richtete den Blick aufmerksam auf die Männer gegenüber. "Wieso denn? Hat sie etwas angestellt?" "Nein, nein!" eilig winkte Felix ab. "Sie haben doch sicherlich von dieser Mörderin gehört, dieser Black Lady!" Ein leichtes Nicken. "Es ist ein psychologisches Profil erstellt worden und ein paar Punkte decken sich mit ihrer Tochter. Reine Routine, wir müssen jeden befragen der irgendwie in Frage kommt, wir wollen ja schließlich nicht, dass der Mörder freigesprochen wird, weil man uns einseitige Ermittlungen vorwirft! Wir stellen dem Mädchen ein paar Fragen und das war’s dann, wirklich nicht weiter schlimm!" Himmel, wenn das so weiter ging müsste man bald ein Schild mit der Aufschrift "Vorsicht Rutschgefahr" aufstellen. Mit leicht hochgezogenen Augenbrauen erhob sich die Frau, ging zu einem kleinen Kästchen an der Wand und drückte einen Knopf. "Lucas? Sag Alera doch bitte, sie soll in den kleinen Salon kommen. Vermutlich ist sie im Wintergarten bei ihren Blumen." "In Ordnung!" Keine zehn Minuten später hörte Noel, wie die Tür sich öffnete. "Alera, da bist du ja!" Irrte er sich, oder klang Frau von Siegels Stimme leicht kühler als vorher? Allerdings hielt Kommissar Swans Gesichtsausdruck ihn davon ab, weiter darüber nachzudenken. Der Mann sah aus, als ob er gleich anfangen wollte zu sabbern. Neugierig geworden drehte der jüngere Polizist sich um und konnte sich nur knapp davon abhalten, sich seinem Vorgesetzten beim sabbern anzuschließen. Der knappe Rock und das bauchfreie Oberteil waren gerade lang genug um nicht nuttig ausgesehen, stattdessen wirkte es irgendwie schick. Die ebenholzfarbenen Locken waren gewollt verwuschelt auf ihrem Kopf aufgetürmt und kringelten sich teilweise um ihr Gesicht und den Nacken, während Kajal und Lidschatten jene grüngrauen Augen betonten, in die er vor drei Tagen geblickt hatte. Sah so aus, als hätten sie Black Lady gefunden! Aleras Gesicht blieb völlig unbewegt, nur ein leichtes weiten ihrer Augen verriet, dass sie ihn ebenfalls erkannte. "Frau Benett von Siegel, es ist mir eine Ehre, Sie persönlich kennen zu lernen!" Kommissar Swan war aufgesprungen, wuselte um seinen Stuhl herum, ergriff die Hand der jungen Frau und drückte einen schmatzenden Kuss auf den Handrücken. Eine eigentlich sehr galante Geste, die aber einfach nur lächerlich wirkte. Ihr ging es offenbar nicht anders, denn sie trat zurück und wischte ihre Hand am Rock ab. "Kann ich Ihnen irgendwie helfen?" "Ja, wir wollten Sie fragen..." Noel wurde mitten im Satz unterbrochen. "...ob Sie gestern Abend in der Nähe des Stadtparks waren!" "Nein, war ich nicht!" "Ich wusste doch, dass sie damit nichts zu tun hat!" Felix warf dem jüngeren Mann einen herablassenden Blick zu, als wäre es allein seine Schuld, dass sie die Zeit einer Unschuldigen verschwendet hatten. 'Hallo, schon mal was von Alibis gehört?' Doch diese Gedanken behielt er wohlweißlich für sich, während der Kommissar einfach weiter schleimte, wobei er seinen Fokus allerdings wieder auf Beatrice verlegte, die ihr Missfallen deutlich weniger zum Ausdruck brachte als ihre Tochter. "Möchten Sie sich vielleicht das Haus ansehen?" in der Stimme der älteren Frau schwang ein Hauch Verzweiflung mit. "Nein danke!" antwortete der unerwünschte Gast prompt. "Ich würde lieber noch eine Tasse Kaffee trinken!" Ihre Finger schlossen sich so fest um den Griff der Kanne, dass die Knöchel weiß wurden. "Dann könnte ich Herrn..." grüngraue Augen blickten ihn fragend an. "Valentin! Noel Valentin!" "Dann könnte ich Herrn Valentin das Anwesen zeigen! Natürlich nur wenn er möchte!" Als er zustimmte verzog sich ihr Mund zu einem Lächeln, bei dem er nicht wusste, ob er vor ihr auf die Knie fallen oder lieber davonlaufen sollte. "Hier im Westflügel befinden sich die Gästezimmer, sowie im Untergeschoss der Sportbereich mit Pool und Fitnessraum." erklärte Alera, während sie die Treppe zu besagtem Flügel hinaufstiegen. Noel hörte allerdings kaum hin, er war zu sehr damit beschäftigt, ihr nicht auf den Hintern zu starren. Himmel, hätte dieser blöde Rock nicht etwas länger und weiter sein können? Er war ja schließlich kein Heiliger und sie gerademal neunzehn! Er beschleunigte seine Schritte, bis er neben ihr herlief und lenkte sich ab, indem er an blutige Leichen und eingeritzte Balkenwaagen dachte. Na bitte, da starb doch jeder unsittliche Gedanke eines schnellen Todes. "Ich bin überrascht, dass ich noch keine Handschellen trage!" meinte das Mädchen plötzlich, noch während Noel noch darüber nachdachte, wie er das Thema am besten anschneiden sollte. "Ist das denn nötig?" fragte er, einfach weil er keine Ahnung hatte, was er sonst darauf antworten sollte. Ein überraschtes Lachen. "Sie sind der Polizist, sagen Sie es mir!" „Aha, spielen wir jetzt das Unschuldslamm?“ „Wieso spielen? Ich bin die Unschuld vom Lande!“ Ein spöttisches Lächeln begleitete ihre Worte und ehe der Polizist sich versah, hatte er sie gepackt und gegen die Wand gedrückt, ihre Hände hielt er über ihrem Kopf fest. „Wir zwei reden jetzt mal Tacheles! Ich habe dich vor drei Tagen gesehen und du mich auch!“ Noel merkte kaum, dass er die förmliche Anrede fallen gelassen hatte und zum du übergegangen war. Schien in dieser Situation aber auch irgendwie passender. „Und was haben Sie gesehen, Herr Polizist? Eine schwarz gekleidete Frau, die einen weinenden Jungen umarmt hat. Wenn es irgendeinen Hinweis auf mich als Täterin gegeben hätte, dann wären zumindest Sie mit Handschellen erschienen, oder?“ Wieder ein Lächeln, diesmal ein triumphierendes. „So steht mein Wort gegen ihres und das Kind ist von der ganzen Sache so traumatisiert, dass jeder Anwalt seine Aussage in der Luft zerreißen würde, ganz zu schweigen davon, dass er mich nicht identifizieren kann.“ Soviel also zum Thema ‚mehr Kurven als Hirn‘! Alera Benett von Siegel war intelligenter als sie aussah. „Nein, ich bin nicht hier um dich zu verhaften. Ich…“ Er blockte das Knie ab, kurz bevor es ihn zwischen die Beine traf. Die Lektion hatte er gelernt. „Sollten Sie mich nicht besser loslassen? Wenn hier jemand vorbeikommt könnte er die Sache… missverstehen!“ Die kurze Pause war Absicht gewesen, ebenso wie die Tatsache, dass ihr Gesicht immer näher gekommen war. Für jeden Außenstehenden musste es aussehen, als ob sie kurz vor einer wilden Knutscherei standen. Swan würde das nutzen, um ihn in der Luft zu zerreißen! „Tja, dann brauchen wir wohl einen etwas privateren Ort zum Reden!“ Mit diesen Worten ließ er sie los und trat einen Schritt zurück, schaffte es aber nur mit großer Willensanstrengung, den Blick von ihrer vollen Unterlippe loszureißen. Verdammte Hormone! Er kam sich von wie ein verknallter Fünfzehnjähriger! Der Raum in den sie ihn führte überraschte ihn. Es war ein großer Wintergarten in dem alle möglichen Pflanzen standen. Farne, eine Palme, Orchideen, ein Rosenbusch? Komische Wahl für eine Zimmerpflanze, oder? Alera strich sanft mit der Fingerspitze über die Blätter eines Bonsais. „Also, was wollen Sie, wenn Sie mich nicht verhaften wollen?“ „Warum? Warum hast du getan, was du getan hast? Warum mussten diese Menschen sterben?“ Als sie schwieg redete er weiter. „Tom Marshall verstehe ich, er hätte eigentlich noch viel Schlimmeres verdient. Auch Roman Petricov hatte offenbar Dreck am Stecken aber warum musstest du zwei Kinder zu Waisen machen? Warum unbescholtene Bürger töten? Warum?“ Die schwarzhaarige schloss die Augen und stieß einen tiefen Seufzer aus. „Geben Sie mir ihre Adresse!“ mit diesen Worten ging sie an ihm vorbei auf die Tür zu, ihre bloßen Füße machten kaum Geräusche auf den Fliesen. „Und schauen sie morgen Abend in ihren Briefkasten!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)