Berlin macht das Leben auch nicht leichter von Lilly1234 ================================================================================ Kapitel 3: 3 ------------ Das Gurgeln der Toilettenspülung vermischte sich mit dem lauten Pfeifen des Teekessels zu einem Geräuschkonzert, wie es schlimmer nicht hätte sein können. Es fühlte sich an, als würde jeder Laut bis ins Innerste meines angespannten Nervenkostüms vordringen. Mein Schädel dröhnte abartig. So schnell es mir möglich war, hastete ich zum Herd, wenn man diesen alten Kasten überhaupt noch so nennen konnte, und machte dem Gekreiche ein Ende. Ich war krank. Und zwar richtig. Und ich wusste auch genau, wem ich das zu verdanken hatte. Gerd. Mein Lieblingskollege. Gerd der Vorzeigehamster. Der größte Arschkriecher, der mir in meinem Leben begegnet war. Die meißte Zeit seines Arbeitstages war er damit beschäftigt, dem Chef hinterher zu watscheln wie ein liebeskranker Pinguin. Dreimal hatte er es so schon in den abgetrennten Kantinenbereich der leitenden Köpfe der Firma geschafft. Immer dabei natürlich sein breites einnehmendes Grinsen, welches wohl selbst Polkappen zum Schmelzen gebracht hätte und seine nagetierartigen Schneidezähne hervorhob. Eben diesen hatte er auch seinen wenig schmeichelnden Spitznamen zu verdanken. Er verstand es als Kompliment. Doch er verstand im Allgemeinen auch nicht viel. So einer erschien natürlich an jedem Arbeitstag. Auch krank. Und wenn er noch so ansteckend war. Und nun hatte ich den Salat. Beziehungsweise die Grippe. Meiner medizinischen Laienkenntnis nach hätte es aber auch das Hantavirus sein können. Mir tat alles weh. Heute Nacht hatte ich mich gefühlt, als wäre ich dem Tod nah. Mein angeschwollener Hals brannte wie Feuer und hatte mich alle 10 Minuten mit einem brüllendem Hustenkrampf aus dem Schlaf gerissen. Meine Fieber war so weit gestiegen, dass ich mir sicher war, innerlich zu kochen. Wie hoch genau meine Temperatur war, wusste ich nicht. Dirk und ich hatten das einzig vorhandene Fieberthermometer in einem Anflug von kindicher Albernheit beim dem Versuch, Zootiere aus Haushaltsgegenständen zu basteln, zerbrochen. Wir hatten die Idee, bei einem unserer Soilent Grün-Konzerte mit den Tierchen die Bühne zu verschönern. Hätte dem Rest der Band sicher weniger zugesagt. Doch das hat uns eigentlich noch nie abgehalten. Unsere Begeisterung war nicht zu bremsen gewesen. Leider war Soilent Grün dann aber zu schnell Geschichte geworden. Und so stand jetzt auf dem Küchenregal ein halbfertiges Kamel, zusammengeschustert aus zwei Plastikgläsern, drei Gabeln und einem Eierbecher, angemalt mit Buntstiften. Dass es irgendwann noch einen Schwanz oder gar ein viertes Bein bekommen würde, hielt ich für unwahrscheinlich. Dirk hatte es eines Tages zur abstrakten Kunst und somit wohl auch die Produktionsphase endgültig für beendet erklärt. Die anderen Zooprojekte waren in ihrer Entstehung nicht so weit fortgeschritten gewesen und waren daher auch irgendwann im Müll gelandet. Ich hatte mich gerade auf die Küchenbank gequält, als es an der Tür klingelte. Noch nie hatte mir dieses Geräusch so weh getan wie heute. Es war 5 Uhr morgens. Wer auch immer jetzt den Schneid hatte, hier zu klingeln, tat es umsonst. Aufstehen kam gar nicht in Frage. Auf keinen Fall. Nach reichlich Anstrengung hatte ich es endlich in eine halbwegs erträgliche Position geschafft, um meinen Tee zu trinken. Um nichts in der Welt würde ich jetzt zur Tür gehen. Wenn einem jeder Knochen weh tat, war das eine Weltreise. Einen Moment lang geschah nichts. Vielleicht hatte ich mir das Klingeln nur eingebildet. Ich zuckte umso mehr zusammen, als dieses grausame Geräusch erneut durch meine Gehörgänge schoss. Und nochmal. Und nochmal. Sturmklingeln. Früh um 5. Und mein Kopf drohte zu explodieren. „Jan!“ Es war Dirk. Und er klopfte und klingelte wie ein Wahnsinniger. „Jan ich bins! Mach die Tür auf!“ Erschrocken zog ich mich auf die Beine. Ich dachte, er wäre längst zuhause. Es war normal, dass er mittwochs ins Ballhaus ging. Eigentlich taten wir das immer gemeinsam. Doch meistens waren wir nie später als 1 Uhr zuhause. Wir mussten beide morgens raus. Warum zum Teufel kam er jetzt erst? Und warum weckte er dabei die ganze Nachbarschaft? Er hatte doch einen Schlüssel. Irgendwie musste er ja auch ins Haus gekommen sein. Mit einer Mischung aus Wut, Neugier und Sorge zog ich mich am Küchentisch hoch und machte mich auf den Weg zur Tür. Schwarze Punkte flimmerten vor meinen Augen, weil ich zu schnell aufgestanden war. In meinen Kopf pochte es schmerzhaft und unaufhörlich gegen meine Schläfen. Am liebsten wäre ich einfach umgefallen. „Oh man.“ Vor mir stand ein nasser Sack. Sein Kajal war verlaufen, die stundenlang tupierten Haare waren jämmerlich in sich zusammengefallen und hingen leblos an seinem Kopf. Er trug keine Jacke . Stattdessen hatte er einen nassen schlammigen Lumpen um die Schultern, den er wohl irgendwo auf der Straße aufgegabelt hatte. Er sah erbärmlich aus. Und all meine Wut war verflogen. Dieses Bild war einfach zu komisch. Doch noch wollte ich meinen Gefühlen keinen freien Lauf lassen. Ich wusste ja nicht, ob es ihm gut ging. „Morgen Jan. Tut mir leid, dass“. Ich lies ihn nicht ausreden. Es ging einfach nicht. Ich brach in Lachen aus. Dirk blickte mich entgeistert an. „Wasn jetzt so komisch?“ „“Du!“, brachte ich atemlos hervor. Der Schwarzhaarige verzog genervt das Gesicht und klopfte mir anschließend kräftig auf den Rücken, weil mein Lachen ohne Vorwarnung in einen erneuten Hustenanfall übergegangen war. „Ja ja Herr Vetter. Dat kommt davon. Jetzt beruhigen wer uns erstmal wieder.“ Nachdem ich auch diesen Ausbruch überlebt hatte, schaute mich der Kleine mit verschwommenen Augen müde an. „Tut mir leid Felse, aber du siehst aus wie en Komondor.“ „En wat?“ „Dat is ne Hunderasse. Die sehn aus wie, naja wie du eben.“ Mein Grinsen konnte ich immer noch nicht runterschlucken. „Sehr witzig. Ich seh schon, du hast dir echt Sorgen gemacht, weil ick nich nach Hause gekommen bin.“ „Hab ick nich mitbekommen. Wie du siehst bin ick immer noch krank.“ Scheinbar fiel ihm das jetzt auch wieder ein und er legte mir beruhigend die Hand auf den Rücken. „Ja Mist. Tut mir leid, dass ick dich geweckt hab.“ „Haste nich.“ „Nich?“ „Nee. Wollte mir grad nen Tee machen.“ „Na wenn dat so is, ab ins Bett Herr Vetter. Dr. Bela bringt Ihnen deinen Tee.“ „Dr. Bela sollte lieber erstmal seinen Rausch ausschlafen. Oder willste morgen wieder blau machen?“ Die Frage gekonnt ignorierend, legte Dirk seinen Arm um meine Schulter und schob mich zu meiner Zimmertür. „Keine Diskussionen. Sie reden wirres Zeug Herr Vetter. Ab jetzt. Schließlich bin ick der beste in meinem Fach.“ Dann schwankte er in Richtung Küche, während ich mich wieder ins Bett bewegte. Die Decke war erfrischend kühl, würde sie aber wohl nicht lange bleiben. Es dauerte nicht lange, da tauchte die schwarzhaarige Elendsgestalt mit meiner Teetasse vor meinem Bett auf. „So bitte der Herr.“ Er tatschte mir mit seiner kalten, nassen Hand auf der Stirn herum. Ein Segen. „Viel zu warm Jan. Schlafen jetzt. Wehe ick erwisch dich nochmal in der Küche, bevor die Sonne aufgegangen is.“ „Dat würdest du in deinem komatösen Schlafzustand eh nich merken.“ „Sein se sich da mal nich so sicher.“ Nachdem der Kleine beim Aufstehen kurz das Gleichgewicht zu verlieren drohte, trällerte er ein fröhliches „Jute Nacht!“ und schloss die Tür hinter sich. Ich musste immer noch Grinsen und freute mich schon darauf, die Geschichte zu seinem seltsamen Auftritt zu hören. Ich rechnete nicht wirklich damit, dass er am nächsten Tag das Haus verlassen würde. Er schaffte es immer wieder, Abende auf die unkonventionelle Art und Weise zu beenden. Leider brachte er sich dabei oft genug in Schwierigkeiten, doch im Nachhinein war es meistens urkomisch. Wenn auch nicht immer für ihn. Mir fielen die Augen zu. Ich nippte noch ein paar mal an dem heißen Tee, bevor ich schließlich erneut in einen fiebrigen Traum versank. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)