Denn sie wissen, was sie tun… von abgemeldet (von Susu-chan) ================================================================================ Kapitel 13: Kapitel 13 - It's only my heart ------------------------------------------- Kapitel 13 – It’s only my heart… Eine Zeit lang starrte ich ihm mit wachsendem Entsetzen in die Augen. Nein, bitte nicht. Das kann doch nur ein Traum sein! , dachte ich entsetzt, doch je mehr Zeit verging, desto klarer wurde mir, dass das die bittere Realität war. Er schien aber weder glücklich zu sein, mich zu sehen, noch schuldbewusst oder beschämt. Er wirkte nur erschöpft. „Marik.“, seufzte Nero, unendlich müde. Schwarze Augen, weiße Haare. Seine Leiche, die zerschnittenen Arme, der Abschiedsbrief – Alles nur eine Lüge. Die düsteren, wie betäubten Tage, an denen ich mich so einsam fühlte, so schuldig. An denen ich anfing mich selbst zu verletzen – Alles, alles Basierte auf einer Lüge. Nur eine raffinierte Art, mich loszuwerden. Ich ging auf meinen früheren besten Freund zu, vorbei an den anstehenden Leuten und Heriot, der die Situation nicht zu verstehen schien. Alles. Nur eine Lüge. „Du weinst ja.“, sagte er. Ich war so voller Wut, dass ich es nicht einmal gemerkt hatte. Noch immer kannte ich jedes kleinste Detail aus seinem Gesicht, denn es hatte mich nächtelang verfolgt. So viele Nächte hatte ich wach gelegen, weinend und schuldbewusst. „Ich kann dich verstehen, aber ich weiß, dass du auch sauer bist. So bist du nun mal.“ Ich hörte seine Worte, aber es fiel mir schwer, sie zu verstehen. Der erste Schock lag hinter mir. Tief innen in mir, gab es aber einen Teil der einfach nur sterben wollte. Und trotzdem tat ich das, was ich im Grunde immer tat: Ich suchte und ich fand die Wut in mir und steigerte mich hinein. „Alles, was ich dir sagen kann, ist, dass es mir leidtut. Ich weiß, dass du es mir nicht verzeihen wirst…“ Da schlug ich ihn. Den ersten Schlag ließ er noch zu, doch als ich ihn wieder schlagen wollte, griff er nach meiner Hand. Er war herzlos, man konnte ihm keinen Schmerz zufügen. „Du hast mich angelogen! “, wollte ich sagen, doch stattdessen schrie ich ihm entgegen: „Du hast gelogen! “ „Ja.“, erwiderte er einfach nur „Es tut mir leid.“ „Du hast doch…gesagt, dass ich…jemanden töten soll…der den Tod…verdient hat…“ „Weißt du eigentlich wie viele Nächte ich wegen dir wachgelegt habe!? Wie viele Albträume ich hatte!?“, schrie ich und riss meine Hand los „Und das alles wegen einer Lüge!?“ Seine schwarzen Augen waren immer noch genauso wie früher. Ich erkannte jedes kleinste Detail an ihm wieder, ich hatte ihn mir so eingeprägt… „Marik, ich…“ „Nenn mich nicht so! Wag es nie wieder meinen Namen auszusprechen!“ „Bitte, hör auf so ein Theater zu machen…“ „Ich habe das verdammte Recht darauf ein Theater zu machen! Du hast mir immer hin vorgelogen, dass du TOT wärst!!!“, ich ballte die Fäuste und hatte große Lust ihn nochmal zu schlagen. Er seufzte nur wieder erschöpft. Mir schnürte es die Kehle zu. Ich hatte Mühe, überhaupt noch zu atmen. Ich spürte wieder, wie es für mich als Kind gewesen war, wenn ich mich verletzt oder einsam gefühlt hatte oder meine Eltern anschreien wollte und sie mich mit ihren Erwachsenengefühlen zu ersticken drohten. Rasende Wut, so riesig wie der Himmel. Und so verloren wie der Ozean, in dem man jederzeit ertrinken konnte. Gewaltige Erwachsenengefühle, die einen vernichteten. Auf der Stelle. Marik, ich…“, fing er nur wieder an und streckte die Hand nach mir aus. Im nächsten Moment wurde er am Handgelenk gepackt. „Sie sagte, du sollst ihren Namen nicht aussprechen.“, Heriots Stimme war scharf und kalt wie das Kurzschwert, das er in der Hand hatte und Nero an die Halsschlagader hielt. Ich sah zu meinem Beschützer und hätte mich so gerne bedankt, doch mir fehlte die Kraft dazu. Neros Hand zuckte und er sah zu mir. „Du hättest es nicht so erfahren sollen…“ „Ach, und wie dann? Hättest du dich überhaupt je gemeldet!? Du hast bestimmt gedacht, dass ich längst tot wäre und deine Probleme vorbei sind!“, fauchte ich zurück „Du hast dich doch bestimmt darüber schlapp gelacht, wie ich reagiert habe, als ich dich gefunden habe!“ „Nein, wirklich nicht…“, fing er an und ich hätte ihn wieder unterbrochen, wenn er nicht einfach weitergeredet hätte. „Ich wollte dich nicht hereinlegen. Ich wollte auch eigentlich nicht die Stadt verlassen, es…es hat sich einfach so ergeben. Als du mich gefunden hast…ich…ich war wirklich tot. Für kurze Zeit…aber ich bin wieder aufgewacht. Und da war ich nicht mehr in der Stadt.“ Ich blinzelte. Sogar Heriot schien verwirrt zu sein, doch sein Griff lockerte sich nicht. Das sah ich daran, dass Neros Hand allmählich rot wurde, da das Blut nicht mehr richtig hindurch floss. „Wie meinst du das?“, fragte ich schließlich „Und hoffentlich hast du eine richtig gute Erklärung, sonst…“ „Ich weiß es nicht mehr genau! Ich bin einfach…aufgewacht. Als ob ich geschlafen hätte…und da war ein…Schatten oder so. Und ich war nicht mehr in der Stadt.“, versuchte er sich auszudrücken und sein Blick wurde wehleidig. „Ich habe nie aufgehört nach dir zu suchen.“ „Und warum hast du dann so reagiert? Du hast mich angesehen als wäre ich dein schlimmster Albtraum!“ „Natürlich habe ich das! Ich dachte, dass du mir nie im Leben verzeihen wirst…geschweige denn mir glauben wirst…ich hatte auch Angst davor dich zu treffen! Und ich hätte nie erwartet, dass du mir einfach so über den Weg laufen würdest…“ Ich starrte ihn an. Lange. Es war schon immer schwer gewesen herauszufinden, was Nero dachte. Die schwarzen Augen waren wie ein Spiegel: Ich sah alle Gefühle, die sich empfand, aber seine blieben mir verborgen. Aus diesem Grund war er immer ein guter Lügner gewesen. Sogar jetzt glaubte ich ihm fast. Obwohl so etwas wie Totenerweckung absolut lächerlich war und niemals wahr sein konnte. Trotzdem…es wäre so einfach, ihm zu glauben. Zu glauben, dass er mich nicht freiwillig verlassen hatte und mich nicht angelogen hatte. Aber es wäre feige. Ich musste mich der Wahrheit stellen. Er hatte mich nie geliebt. „Heriot, wir gehen.“, sagte ich nur. Mein Begleiter sah von mir zu Nero, ehe er ihn losließ und das Schwert in einer rotierenden Bewegung zurück in die Scheide steckte, welche sich an seinem Rücken befand. „Marik, warte doch…!“, hörte ich ihn noch rufen, als ich mit schnellen Schritten den Platz verließ. „Mareike!“ Es hatte sich nichts geändert. Die Leute redeten, lachten miteinander und die Kinder spielten weiter. Die Holo-Sonne schien über der Stadt, Wolken zogen vorbei und die Welt drehte sich weiter. Es hatte sich nichts verändert. Doch für mich war gerade die Welt zusammengebrochen. . Den ganzen Rückweg über sprach ich kein Wort mit Heriot. Er versuchte auch nicht mich zum Reden zu bringen. Vielleicht weil er keinen Wert auf Konversation legte oder keine Neugier besaß, doch ich war unendlich dankbar dafür. Hätte ich Raimi oder Sichi dabei gehabt, hätten sie mich die ganze Zeit über gelöchert. Meine Beine fühlten sich beim Laufen taub an und mein Kopf war schwer wie Blei. Warum hatte Nero das nur getan? Er hätte einfach gehen können…stattdessen musste er diese Horror-Show abziehen, damit ich jahrelange Albträume hatte. Ich konnte mich an jedes Detail erinnern…wie er auf dem Boden lag…blutend…mit zerschnittenen Armen… Doch das war nicht das schlimmste gewesen. Sondern seine Augen. Sie waren nicht trüb, dunkel, verschwommen oder leer gewesen. Nicht ängstlich, schuldbewusst oder traurig. Sie hatten gestrahlt. In den letzten Momenten seines Lebens…war er überglücklich gewesen. Ich hatte ihn noch nie so strahlen sehen, so lebendig. Er war im Tod glücklicher gewesen als jemals im Leben. Doch jetzt verstand ich warum es so war. Er war froh gewesen, mich los zu sein. „Danke“, sagte ich, als ich mit Heriot stehen blieb. Er schaltete die Taschenlampe an und gab damit einzelne Lichtzeichen in den Himmel, während wir darauf warteten, dass Shadow uns abholte. „Wofür?“, fragte er dann noch nach einem kurzen Moment. „Das mit Nero. Und das du nicht nachgefragt hast…“ „Es steht mir nicht zu, Informationen zu erfragen die nicht freiwillig herausgegeben werden.“, entgegnete er bloß. Vielleicht war er gerade der Einzige, der mir in einem solchen Moment Gesellschaft leisten konnte. Mitleid, Zuspruch…all das konnte ich nicht gebrauchen. Ich wollte nicht bemitleidet werden, ich hasste so etwas. Heriot war mit seinem nichts sagendem Schweigen das Tröstlichste, das es für mich im Moment gab. Im nächsten Moment tauchte am Horizont ein kleineres Shuttle auf, dass langsam größer wurde je näher es kam. Als es neben uns auf dem Boden landete, war es etwas größer als ein Auto. „MARIK!!“ Ich erstarrte, als ich die Stimme hörte und drehte mich ruckartig um. „N-Nero?“ Er blieb einige Meter weit entfernt keuchend stehen. Wie konnte er uns folgen? Hier war weit und breit niemand…Klar, ich hatte nicht auf meine Umgebung geachtet, aber Heriot… Ich warf ihm einen Blick zu. Durch die Maske war es unmöglich zu erkennen ob er überrascht war oder nicht. Dabei ging sie ihm nur über die Augen, verdammt! Konnte er den Mund nicht bewegen oder was!? „Was willst du noch?“, fragte ich Nero frostig und sah etwas nervös zu Shadow, der im Shuttle sitzen blieb. Wohl damit man ihn nicht sah… „W-Wenn du mir schon nicht glaubst…d-dann werde ich es dir…i-irgendwie beweisen…“, ächzte er und versuchte etwas ruhiger zu atmen „E-Egal wie…s-so leicht lasse ich mich nicht…abwimmeln…“ „Wie bist du uns überhaupt gefolgt!?“ „E-Es ist Dunkel…da konnte ich euch…einfach nachlaufen…“ Heriot schien widersprechen zu wollen, doch dann überlegte er es sich anders und verfiel wieder in sein Schweigen. Ich richtete die Taschenlampe auf Nero, sodass er uns nicht mehr sehen konnte. „Wer ist das?“, zischte Shadow daraufhin leise, als er aussteigen konnte ohne gesehen zu werden „Warum hast du ihn mitgenommen!?“ Ich starrte den Igel an. „E-Es ist…N-Nero…“ Sein Blick veränderte sich. Erst wurde er verwirrt, doch dann wurde dieser Blick durch…Verständnis ersetzt. Er war nicht wütend auf mich. Im Gegenteil…er schien mich zu verstehen. „W-Wer ist da noch?“, fragte Nero und blinzelte gegen das grelle Licht an „Kannst du…aufhören mir ins Gesicht…“ „Nero, geh wieder zurück in die Stadt. Es ist mir egal ob du lügst oder nicht, das mit uns ist vorbei.“, sagte ich zu ihm gewandt und sah dabei zu Boden. Ich war einfach nicht kaltherzig genug um so etwas zu tun. Ich konnte ihm nicht dabei ansehen…sonst würde ich meine Meinung noch ändern. „Nein, vergiss es! Ich will dir beweisen, dass ich nicht lüge….gib mir nur eine Chance! Ich bitte dich…“, widersprach er mir und klang energisch. Es würde schwer werden ihn abzuwimmeln, dass wusste ich. Und…wenn er mich belogen hätte…warum sollte er mir dann jetzt folgen? „Bitte, ich will nur noch eine Chance! Ich gehe sogar auf die Knie, wenn du willst“, fügte er hinzu und es klang ehrlich. Ich sah zu Shadow. Wenn Nero mit uns kommen sollte, brauchte ich sein Einverständnis. Er nickte leicht. Wenn auch zögerlich und mit warnendem Blick. Nero hatte mich schon einmal verraten und verletzt. Sollte ich ihm wirklich trauen? Oder war das hier nur ein Spiel für ihn? Ich ließ die Taschenlampe sinken und beleuchtete den Boden, sodass das Licht schwach auf uns reflektiert wurde. Nero blinzelte eine Weile, ehe sich seine Augen wieder an die Dunkelheit gewöhnten und sah zu uns. „Wenn du mich noch einmal belügst…“, ich ballte die Fäuste und sah ihn mit wütendem Blick an „Dann sage ich Heriot, dass er dir die Augen einzeln rausreißen soll…“ „Wer ist Heriot?“, wollte er wissen und ich wies mit einer leichten Kopfbewegung auf den Riesen neben mir. „Und…der neben dir…sieht aus wie…“, Neros Augen weiteten sich „Das…ist doch nicht etwa…?“ „Shadow.“, sagte er Igel knapp „Wenn du das jemandem erzählst, verlierst du noch mehr als deine Augen.“ „Was…was ist hier eigentlich los…?“ „Das erkläre ich dir unterwegs.“, seufzte ich und er kam langsam auf mich zu. „Das ist…erst mal auch egal.“, behauptete er dann bloß und blieb vor mir stehen „Verzeihst du mir…?“ Ich hob die Hand – Und gab ihm eine kräftige Ohrfeige. Sein Kopf ruckte zur Seite und er rieb sich die rote Wange. „Nein.“, erwiderte ich und ballte die Fäuste „Wie kannst du so was fragen!? Wegen dir konnte ich seit fast 5 Jahren nicht mehr schlafen! Du kommst nur mit, weil ich sehen will ob du deine Lüge aufrechterhalten kannst und wann ich Heriot seinen Befehl erteilen kann!“ Neros Gesicht wurde von einem schwachen Lächeln geziert. Und auch so sehr ich versuchte ihn zu hassen…ich konnte es einfach nicht. Egal wie sehr er mich verraten hatte, wie sehr ich gelitten hatte…ich konnte ihn einfach nicht hassen. Es ging nicht. „Du schlägst immer noch genau wie früher“, sagte er leicht grinsend und sah zu dem Shuttle „Und wohin bringt uns dieses Ding?“ „Du heißt Nero?“, Sichi starrte den Weißhaarigen an „So wie der Typ, von dem Marik ständig Albträume hat?“ Neros Grinsen wurde schmerzlich. „Ich habe ganz schön was angerichtet, oder?“ „Ach was, du hast ihr nur ein weiteres Messer ins Herz gerammt.“, bemerkte Raimi scharf. Irgendwie fand ich es lieb von ihnen, dass sie Nero auf Anhieb hassten. Es zeigte, wie sehr sie mich vor ihm in Schutz nehmen wollten… „Warum hast du ihn mitgenommen, Marik? Immer hin hat er dich verraten“, fragte Sichi. „Weil er behauptet es nicht getan zu haben. Und ich will sehen, ob das stimmt. Selbst wenn ich ihn die ganze Reise über am Hals haben muss, wenn sich am Ende herausstellt das er gelogen hat, habe ich meine Ruhe und Heriot was zu tun.“, antwortete ich bissig. Heriot neben mir rührte sich wie immer nicht, aber ich könnte schwören, dass ihn der Gedanke freute. „Ich bin wirklich froh, dass ihr mich mitnehmt. Ich weiß, dass ich mich sehr unbeliebt gemacht habe…aber das will ich wieder gut machen. Wirklich.“, sagte Nero und wie er es sagte, klang es ehrlich gemeint. „Das werden wir ja sehen“, meinte Shadow dazu nur und klang besonders kalt „Geh auf das Crewdeck, dort kannst du dir ein Zimmer aussuchen das noch nicht besetzt ist.“ „Und…wann erklärt ihr mir, was hier los ist…?“ „Das erzählt dir Marik, wenn sie will. Aus uns bekommst du nichts raus“, erwiderte Raimi knapp. Nero seufzte, ehe er zu dem Aufzug ging. Als er weg war, spürte ich die Blicke der Anderen auf mir. „Was…“, fing Ciel schon an, doch da rannte ich hastig aus dem Versammlungssaal um jeder Frage zu entkommen. Heriot war mir – wie immer – gefolgt und stand wie ein Schatten hinter mir, während ich mir mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht wischte und die Schluchzer unterdrückte. „Ich nenn‘ dich ab jetzt Marik!“ „Waas? Aber das ist doch ein Jungenname! Der passt doch gar nicht zu mir!“ „Klar tut er das, immerhin biste jetzt mein kleiner Bruder!“ Als ich die tränenverschleierten Augen wieder öffnete, merkte ich, dass Heriot mir ein Taschentuch hinhielt. „D-Danke…“, schluchzte ich und nahm es ihm ab, ehe ich mir die Nase putzte und mir die restlichen Tränen von den Wangen wischte. Er sagte nichts. Ich war ihm für dieses Schweigen einfach so dankbar. Keine Fragen, keine Blicke…das war für mich der Beste Trost. „I-Ich gehe schlafen…“, flüsterte ich bloß noch mit erstickter Stimme, ehe ich zu dem Aufzug lief und Heriot mir folgte. “On a wagon bound for market, there’s a calf with mournful eye, High above him there’s a swallow winging swiftly through the sky… How the winds are laughing, they laugh, with all their might, Laugh and laugh, the whole day through, and half the summer’s night…” Diesmal war es kein Albtraum, der mich aus dem Schlaf riss. Sondern eine Kindermelodie, die mir Nero immer vorgesungen hatte, wenn ich nicht schlafen konnte. Doch das war fast genauso schlimm. Ich wollte mich nicht an die schönen Zeiten mit ihm erinnern, denn die Tatsache, dass er mich vielleicht so dermaßen verraten hatte, beschmutzte diese Erinnerung und verdrehte sie. Ich befühlte mein Kissen. Trocken. Komisch… Als ich mich etwas aufsetzte, merkte ich wie etwas von meiner Stirn rutschte und auf das Bett fiel. Zögerlich hob ich es hoch. Ein Lappen? Er war feucht…und mittlerweile etwas warm… Ich sah runter zu Heriot. Neben seinem Schlafplatz stand eine Schüssel mit Wasser. Als ich den Finger hineintauchte, war es kalt. Hatte er mir den Lappen auf die Stirn gelegt? Hatte ich Fieber bekommen? Außerdem…sein Kissen fehlte. Er hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und schlief scheinbar. Jetzt verstand ich. Er…hatte mir sein Kissen gegeben. Weil meins nass gewesen war… Gehörte das auch zu seinen Aufgaben? Sich so um mich zu kümmern… Ich tauchte den Lappen in das kalte Wasser und wrang ihn vorsichtig und möglichst leise aus, um Heriot nicht zu wecken, ehe ich ihn mir wieder auf die Stirn legte und meinen Kopf im Kissen vergrub. Ein paar Minuten später befand ich mich dank der Kühlung wieder im Halbschlaf, merkte aber wie Heriot sich aufsetzte und die Decke richtig über mich zog. Dann schlief ich ein. Am nächsten Morgen merkte ich, dass der Lappen auf meine Augen heruntergerutscht war und hob ihn hoch. Meine Augen…fühlten sich nicht geschwollen an. Wegen dem kühlen Lappen? Und warum war er überhaupt kühl? Er müsste sich doch längst erwärmt haben… Zögerlich sah ich zu Heriots Schlafplatz. Leer. Die Decke war zusammengefaltet und aufgeräumt. Wo war er hin? Vielleicht hatte er ja Hunger bekommen… Im nächsten Moment ging die Tür leise auf. „Heriot, wo warst…“, fing ich noch an, ehe ich inne hielt. Es war nicht Heriot, der den Kopf ins Zimmer steckte, sondern Nero. „Morgen…ähm…oder Mittag…“, sagte er zögerlich. „Raus hier!“, rief ich sofort und schmiss ihm mein Kissen an den Kopf, das er jedoch abfing. „Nicht so laut! Dein Leibwächter lässt mich nicht in Ruhe…vorhin hat er mich im Gang einfach um gerempelt und ich wette, dass er das mit Absicht getan hat!“ In Gedanken notierte ich mir, dass ich Heriot unbedingt danken musste. „Und ich…ich wollte mit dir reden…gestern hatte ich gar keine Zeit dazu…“, fügte er noch hinzu und legte das Kissen auf mein Bett. „Jetzt nicht…“ „Hey, ich versuche es wieder gut zu machen, okay? Gib mir wenigstens die Chance dazu…“ Meine krampften sich leicht in die Decke. Die wenigen Meter Abstand, die er von mir hatte, kamen mir vor wie eine tiefe Schlucht. „Meinetwegen.“, antwortete ich dann nur und er setzte sich vor das Bücherregal neben meinem Bett. Die erste Minute herrschte Schweigen. Er schien nachzudenken, was er jetzt am besten sagen sollte und ich wusste, dass das nur furchtbar schief gehen konnte. „Wie ist es dir so ergangen?“, fragte er dann einfach nur und ich schluckte den Ärger mühsam herunter. „So wie immer…“ „Und…warum reist du herum?“ „Weil ich es in der Stadt nicht mehr ausgehalten habe.“, erwiderte ich bloß und er seufzte. „Dann ist das Ganze meine Schuld…“ „Nein, ich wäre auch gegangen wenn du geblieben wärst. Der Weggang ist das Beste, was mir bis jetzt passiert ist.“ Nero lehnte sich zurück an das Bücherregal und starrte die Decke an. „Und was hast du gemacht?“, fragte ich nur zurück. Die ganze Unterhaltung war angespannt. Er wirkte nervös und unruhig…es war einfach nicht mehr wie früher. Früher hatten wir uns über alles Mögliche unterhalten, jetzt hingegen…wirkte es verkrampft und unnatürlich. „Ich…war auf Reisen. Ich hab‘ eine Menge Erfahrung gemacht und…ich hab‘ versucht dich zu finden.“, erzählte er langsam und sagte den letzten Teil seines Satzes nur sehr zögerlich „Ich…ich weiß nicht. Als ich wieder…aufgewacht bin…da bin ich zurückgegangen. Aber du warst nicht mehr da…“ „Wann war das?“ „Vor…2 Jahren…glaube ich…“ Ich starrte ihn an. Zwei Jahre…wie lange das her war. Ich wusste, dass ich mich sehr stark verändert hatte. Ich war größer geworden, hatte mehr erlebt und mehr verloren. Nero hingegen sah genauso aus wie früher. Nur hatte er jetzt einen Dreitagebart und etwas längere Haare. Aber seine Augen waren gleich. „Du bist ganz schön groß geworden“, bemerkte er grinsend, auch wenn das Grinsen aufgesetzt wirkte „Du bist jetzt…19, richtig?“ „Ja…und du?“ „25. Die Zeit vergeht echt schnell…eben noch war ich ein kleines Bettlerkind, heute bin ich ein alter Sack“ Ich fragte mich, ob er immer noch arm war. Es sah jedenfalls nicht so aus…er trug einen schwarzen Ledermantel, schwarze Stiefel, eine verwaschene Jeans und ein dunkelblaues Hemd. Von der Jacke hatte er die Ärmel bis zum Ellenbogen hochgekrempelt und die Stiefel wirkten abgewetzt. Trotzdem…die Sachen waren noch nicht so alt. Und sie waren bestimmt sehr teuer…Leder war generell sehr teuer. „Was hast du denn da an der Hand???“, fragte er plötzlich und klang entsetzt. Ich sah zu meiner rechten Hand. Sie war noch immer von fast schwarzen Brandnarben übersäht und sah wirklich schlimm aus. „Ich habe mich nur verbrannt“, antwortete ich und versteckte die Hand schnell unter der Decke, ehe ich mich ein Stück aufsetzte. „Das sah so aus, als ob du die Hand in Lava gesteckt hättest!“ „Hast du sie noch nicht gesehen?“ „Was?“ „Lavamonster…“ Nero starrte mich lange an. „Was? Lavamonster??“ „Ja. In einigen Gebieten gibt es Lavamonster…sie greifen einen mit Feuer an. Da habe ich mich verbrannt“, log ich, um ihm die Sache mit den Splittern zu verschweigen. „Die Viecher gibt es echt? Ich dachte…das seien Erfindungen…“, murmelte er und schüttelte leicht den Kopf, ehe er den Blick hob und mich zum ersten Mal direkt ansah. „Du hast eine Menge durchgemacht, oder?“ Bevor ich auf die Frage antworten konnte, ging die Tür auf. Heriot betrat das Zimmer und drehte den Kopf erst zu mir, ehe er zu Nero sah. „Heriot! Wo warst du?“ Als Antwort wies er nur auf seine nassen Haare. Ah…er war duschen…glaube ich. „Nero wollte mit mir reden“, erklärte ich, als er nicht aufhörte in meine Richtung zu starren. Als Antwort nickte er nur leicht. „Könntest du…?“, fügte ich noch etwas zögerlich hinzu. Er brauchte einige Sekunden, ehe er verstand und das Zimmer verließ, wobei er die Tür hinter sich schloss. „Der Kerl ist komisch“, bemerkte Nero, als einige Minuten verstrichen waren „Woher kennst du ihn?“ „Das ist eine lange Geschichte…Heriot hält mich für so etwas wie seine Herrin und will mich um jeden Preis beschützen. Ich werde ihn einfach nicht los…und er benimmt sich wie ein Roboter“, seufzte ich bloß „Er gehorcht nur meinen Befehlen…manchmal habe ich das Gefühl, dass er gar nicht selbstständig handeln kann…“ „Ein kalter, emotionsloser Koloss. Mit so einem kuschelt man doch gerne, was?“, meinte er bloß scherzhaft, doch diesmal konnte ich nicht lachen oder mich aufregen. Nero sollte bloß nicht glauben, dass ich ihm das so einfach verzeihe. „Wir sollten frühstücken gehen“, erwiderte ich deswegen nur, um dieses Gespräch so schnell wie möglich zu beenden. Er nickte und wandte sich zum Gehen, ehe er nochmal zögerlich zu mir sah. „Hey…ähm…Danke. Dass du mit mir geredet hast, meine ich.“ „Schon okay.“ „Hast du schon etwas gegessen?“, wollte ich von Heriot wissen, als ich das Zimmer verließ. Ich streifte mir meine Handschuhe über und zog mein Oberteil zu Recht. „Nein.“ „Warum nicht?“ „Ihr wart nicht da…“ „Und du kannst nicht einmal selbst entscheiden wann du isst?“, fragte ich und hätte am liebsten meinen Kopf gegen die nächste Wand gehauen. „Das ist es nicht. Ich warte.“ „Ach so. Na dann.“, machte ich bloß und er schwieg wieder. Doch im nächsten Moment fragte er: „Wieso habt ihr ihn an Bord geholt?“ „Ähm…wen?“ „Nero. Er hat Euch verraten und gedemütigt. Warum habt Ihr ihm verziehen?“ „Das habe ich nicht!“; erwiderte ich hitzig und spürte sofort den Ärger in mir aufsteigen. „Wenn Ihr es nicht getan hättet, hättet Ihr ihn auch nicht an Bord geholt.“ „Ich habe ihn nur an Bord geholt, weil…“, ich stockte und konnte meinen Satz erst nach einigen Minuten fortführen „Weil ich endlich Klarheit will.“ „Es ist unmöglich von den Toten wiederaufzuerstehen. Die einzige Person die das konnte war meinen Daten zufolge Christus und es gibt keinerlei Beweise dafür, dass er existiert hat.“, erwiderte in einem neutralem Tonfall, der mich aber trotzdem wütend machte. „Es ist meine Sache wie ich mich mit meiner Vergangenheit auseinander setze!“, fuhr ich ihn an „Das geht dich nichts an, verstanden!?“ „Zur Kenntnis genommen. Trotzdem…“ Kurz war ich verwirrt wegen seinem Einspruch. Ich nahm an, dass er sofort die Klappe halten würde – Immerhin war das eben so etwas wie ein indirekter Befehl. Oder er hatte es nicht verstanden. „…Ich habe gesehen wie Ihr geweint habt. Ich kenne mich nicht aus mit Emotionen und Menschen, aber Menschen weinen nicht grundlos.“, sagte er und ich zuckte zusammen. Mir fiel wieder ein, wie sich Heriot gestern Nacht um mich gekümmert hatte. Und trotzdem. Dass er mich auf diesen wunden Punkt angesprochen hatte, verletzte mich mehr, als dass ich ihm dankbar war. „Halt die Klappe“, erwiderte ich deswegen bloß und schluckte den Kloß in meinem Hals herunter. Diesmal blieb Heriot still. „Wow, endlich was, was nicht nach Chemikalien schmeckt“, Sichi biss in seinen Apfel und machte ein zufriedenes Gesicht. Wenn er so dasaß, mit etwas zu Essen in der Hand und dem glücklichen Gesichtsausdruck, wirkte er gar nicht wie jemand der tagtäglich mit Pistolen hantieren musste. Ich wusste noch, wie er mir mal erzählt hatte, dass sein Vater einer der Widerstandskämpfer war. Sichi hatte ihn nie kennengelernt, da er sich im Krieg befand als er geboren wurde und seine Mutter bei der Geburt starb. Seinen Namen wusste er aber noch - John Meyer. Dass ich diesen Namen in den Todesanzeigen der Zeitung gelesen hatte, hatte ich ihm aber bis heute nicht gesagt. Ich glaube, es würde ihn auch nicht interessieren. Trotzdem. Es war schön, wenigstens glauben zu können, dass irgendwo da draußen noch ein lebender Verwandter war. Mein Blick wanderte zu Raimi. Sie hatte ein ähnliches Schicksal erlitten wie Nero. Ausgesetzt in einer rassenfeindlichen Stadt. Raimi war bei uns Menschen aufgewachsen. Und bevor sich ihre Kräfte entwickelt hatten, war sie von allen gehasst worden. Doch als man herausfand, dass sie heilen konnte, wollte plötzlich jeder ihr Freund sein. Zum Glück war sie nicht dumm genug, um auf diese Masche hereinzufallen. Wenn sie etwas nicht ausstehen konnte, dann, dass man ausgenutzt wurde. „Du siehst so nachdenklich aus. Stimmt was nicht?“, fragte mich Pandorra, während sie ihre Mandarine schälte. „Nein…nein, alles okay. Wie viele Splitter habt ihr gestern bekommen?“, wollte ich wissen und lenkte somit vom Thema ab. „Ganze 5 Stück! Du hättest diese Stadt sehen sollen…überall Lavaströme…und kaputte Häuser…“, Ciel seufzte „Die Leute tun mir so leid. Ich frage mich, wie die Stadt damals ausgesehen hat…bestimmt war sie wunderschön…“ „Ja. Man hat die Einsamkeit regelrecht spüren können…es war grausam“, murmelte Pandorra noch und musterte ihr Obststück „Manchmal frage ich mich ja, was aus der Welt geworden wäre, wenn Eggman nicht gewesen wäre. Denkt ihr, es wäre komplett anders gekommen?“ „Nein.“, sagte Nero und mischte sich somit zum ersten Mal in unser Gespräch ein. Ich starrte ihn an. Er hatte den Ellenbogen am Frühstückstisch abgestützt und biss in seinen Apfel. „Tatsache ist doch“, fuhr er fort, als er geschluckt hatte „Dass jeder von uns Schuld am Ende unseres Planeten ist. Klar, wenn Eggman net gewesen wäre, wäre das Ganze nicht von heute auf Morgen passiert, aber am Ende wäre es aufs Gleiche raus gekommen. Das Ende unserer Welt ist die Schuld von Allen, Eggman hat nur den Todesstoß gegeben.“ „Das ist doch Quatsch! Also ist es auch egal, wann ein Lebewesen stirbt? Wenn es wirklich so wäre wie du es sagst, ist es doch egal ob Kinder sterben. Am Ende sind wir doch eh alle tot.“, widersprach Sichi bissig. „Ganz genau. Ist doch egal ob man im Alter von 7, 16, 30 oder 80 stirbt.“, stimmte Raimi zynisch zu „Ist doch egal, ob wegen einem Krieg die Hälfte der Weltbevölkerung stirbt“ „Im Krieg sterben Menschen, das stimmt.“, erwiderte Nero ruhig und unbeeindruckt „Aber alle anderen Menschen sterben auch. Sie sitzen wie Einsiedler in dem Gehäuse ihrer Gewohnheit und warten.“ „So redet nur jemand, der lebensmüde ist“, Pandorra schüttelte entsetzt den Kopf „Wie kannst du so was sagen!“ Genau das Gleiche dachte ich mir auch. Ich sah zu Nero, der bloß irgendwohin in die Ferne starrte mit unergründlichem Blick. Es war nicht seine Art, so über Menschen – bzw. – Mobianerleben zu reden. Er war sonst immer derjenige, der am heftigsten gegen Krieg protestierte. Und jetzt…waren die Toten egal? „Wenn alle so denken würden wie du…“, fing Ciel wieder an, wurde aber unterbrochen als Shadow mit der Faust auf den Tisch schlug. „Schluss jetzt!“, rief er und die Gläser klirrten leise „Ich habe keine Lust mir noch länger diese Diskussion anzuhören!“ Totenstille kehrte ein. Ich hatte noch nie erlebt, dass Shadow die Beherrschung verlor. Klar, er war immer schlecht gelaunt und gereizt, aber…er war nie laut geworden. Jemand, der schon hundert Jahre lebte, verlor nicht einfach die Beherrschung. Er selbst wirkte aber unbeeindruckt von unserem Entsetzen. Er stand auf, schmiss den Rest seiner Birne weg und verließ die Küche. „Was hat er denn?“, fragte Sichi nur, als einige Minuten verstrichen waren. „Ich vermute, dass es ihn zu sehr an den Krieg erinnert“, behauptete Ciel langsam, wenn auch etwas unsicher. Anscheinend nahm sie es persönlich, dass Shadow ausgerechnet sie unterbrochen hatte. „Hat der Große eigentlich gar nichts dazu zu sagen? Immerhin war er doch beim Krieg dabei“, wollte Sichi wissen, während er sich den nächsten Apfel nahm. Erst wusste ich nicht, wen er meinte, doch da wies er auf Heriot. „Genau! Ich würde auch mal gerne wissen, was er denkt“, bestätigte Raimi und ich sah zu ihm. „Und, was denkst du darüber?“, ich wusste, dass er von sich aus nichts sagen würde und ich ihn deshalb fragen musste. „Ich kämpfe nicht für das Gute oder das Böse. Ich kämpfe einfach nur. Das Ergebnis des Kampfes ist mir gleichgültig.“, erwiderte Heriot in einem Tonfall, der zwischen Emotionslosigkeit und Kaltherzigkeit schwankte. „Ich bin ein Werkzeug. Mehr nicht.“ Nachdenklich starrte ich auf das Foto. Ich hatte Shadow noch immer nicht gefragt. Verglichen mit unserer Mission erschien dieses Bild hier, dass ich zwischen den Büchern im Zimmer gefunden hatte…bedeutungslos. Aber für Shadow war es vielleicht nicht so. Für ihn war es vielleicht sein Ein und Alles, seine…seine Familie. Eine Fledermausdame und ein kleines Igelmädchen. Konnte es wirklich sein? Konnte es wirklich sein, dass…dass Shadow ein Kind hatte? Zögerlich klopfte ich gegen die Tür zu seiner Kabine. Heriot konnte ich zum Glück abwimmeln – Ich hatte ihm befohlen alle „Gesetze“ aufzuschreiben, an die er sich binden musste und alle Befehle, die ich ihm erteilen konnte plus alle Informationen, die ich über ihn wissen musste. Er würde erst mal eine Weile brauchen, bis er überhaupt etwas zum Schreiben fand. „Was?“, war das erste Wort, dass Shadow an mich richtete als er die Tür öffnete. „Kann ich dir eine Frage…“ „Nein.“, erwiderte er bloß, aber ich stellte hastig einen Fuß zwischen die Tür, damit er sie nicht zu bekam. „Was willst du?“, fragte er gereizt und ich zog zögerlich das Foto aus meiner Tasche. „Ich…ich habe da was gefunden…“ Shadow starrte das Foto eine Weile lang an, ehe er die Hand danach ausstreckte. Doch ich zog es hastig wieder zurück. „Wer sind die Beiden Personen?“, wollte ich wissen „Die rechts kenne ich. Das ist Rouge, habe ich Recht?“ „Gib mir sofort…“ „Und die links? Ist das deine Tochter?“ Seine rechte Hand zuckte. Kurz hatte ich die Befürchtung, er würde mich einfach schlagen und mir dann das Foto mit Gewalt abnehmen, aber er ließ es. Vorerst. „Das geht dich nichts an!“, knurrte er gereizt und drückte leicht gegen die Tür, doch ich hatte das Gefühl, mein Fuß würde zerquetscht werden. „Es ist nur…ich hätte nie gedacht…“ „…das ich Kinder habe?“, erwiderte er bloß trocken. „Nein, das ist es nicht…ich dachte nur nicht, dass du Wert auf Beziehungen legst.“, ich hatte das Gefühl, meine Antwort wäre noch unhöflicher und schlimmer gewesen als seine Vermutung, weswegen sich wohl auch kurz seine Augen verengten. „Gut zu wissen.“ „So war das nicht gemeint! Ich meine…ich weiß, dass du kein gefühlloser Klotz bist, so wie du immer tust…aber ich hätte nicht gedacht, dass du als Widerstandskämpfer eine Familie hattest. Immerhin…Eggman hat zu der Zeit doch schon geherrscht, oder?“ Woher ich das wusste? Ganz einfach. Rouge wirkte auf dem Foto älter, etwa 20. Und als Sonic 18 war, hatte Eggman die Weltherrschaft übernommen. „Es war ein Unfall.“, entgegnete Shadow bloß und versuchte scheinbar ruhig zu bleiben, auch wenn er innerlich kochte. Mir war klar, wie gemein es war ihn so mit seiner Vergangenheit zu konfrontieren, doch ich hatte das dringende Bedürfnis, anderen zu zeigen wie es mir im Moment gerade ging. „Hast du bei ihr gelebt? Hast du dich deswegen versteckt…“ Im nächsten Moment spürte ich einen brennenden Schmerz im Gesicht und danach einen harten Aufprall, als ich mit dem Rücken an die nächste Wand klatschte. Tränen schossen mir in die Augen, aber ich blinzelte sie schnell weg, rieb mir die Wange und stand zögerlich wieder auf. Die Stelle, wo Shadow mich geschlagen hatte pochte schmerzhaft, aber trotzdem sagte ich nichts, weil ich wusste, dass ich zu weit gegangen war. „Ich habe mich nie versteckt!“, knurrte Shadow und hatte die rechte Hand noch zur Faust geballt. In seinen Augen sah ich den Zorn aufblitzen. „Sie hat mich nie kennen gelernt! Ich wollte, dass sie ein sicheres Leben hat und habe mich von ihr fern gehalten! Ich habe nie etwas für sie getan, geschweige denn mich für sie versteckt um für sie da zu sein.“ „Hättest du es gerne getan?“, fragte ich bloß. Er schien kurz zu zögern. All die Wut war auf einen Schlag verraucht. „Es war Krieg. Die ganze Welt hat von mir erwartet, dass ich Eggman besiegen würde…meine eigenen Wünsche waren bedeutungslos.“ Mir wurde klar, dass das hier nur die Spitze des Eisberges war. Warum auch immer er plötzlich mit mir darüber redete…es schien sich noch so viel mehr hinter seinem Leben zu verbergen. „Lebt sie noch?“, wollte ich einfach wissen. Das wäre meine letzte Frage, denn sogar ich sah ein, dass Shadow der Letzte war, der mit seiner Vergangenheit konfrontiert werden wollte. Vielleicht war es unfair von mir, in seinen Wunden zu bohren, doch ich hatte auch den Anschein, dass seiner Erinnerungen einen entscheidenden Teil dazu beitrug, das Geheimnis um den Krieg zu lüften. „Nein.“, antwortete er bloß. Und dann schloss er die Tür. Noch während ich auf dem Rückweg zu meinem Zimmer über die Unterhaltung mit Shadow nachdachte, merkte ich wie mein Gesicht wohl leicht anschwoll wegen dem Schlag. Hoffentlich ging das blaue Auge in einigen Tagen weg, wobei ich schon wesentlich schlimmeres erlebt hatte – Und mein Gesicht auch ohne blaues Auge demoliert gewesen wäre. Als ich die Tür zu meinem Zimmer öffnete, erstarrte ich. Gegenüber von meinem Bett am Ende des Raumes stand eine große hölzerne Pinnwand, an der lauter Karten hingen. Das war auch nichts Besonderes, denn sie hatte da schon immer gehangen. Das schockierend war, dass Heriot diese Karten abgehängt hatte – Und nun sämtliche Befehle, Informationen und ähnliches hineinritzte. Mit bloßer Hand. „Wa - Was tust du da!?“, ächzte ich entsetzt und rannte zu ihm, ehe ich seine Hände von der Pinnwand wegriss. Seine Fingernägel waren zum Teil abgebrochen und bluteten stark. Mir wurde schlecht. „Ich habe nichts zum Schreiben gefunden. Also habe ich…“, erklärte er und nach dem ersten Satz hörte ich nicht mehr richtig hin. „Er hat das auf meinen Befehl hin getan!“, dachte ich bloß und bei dem Gedanken wurde mir kalt. Natürlich gab es hier nichts zum Schreiben, denn nur die wenigsten bräuchten so etwas. Kaum einer konnte Schreiben. Mit diesem Befehl hatte ich Heriot doch nur ablenken wollen…hätte ich gewusst, dass er dann so was tat… „Wa – Warum hast du nicht die Bücher benutzt!? Buchstaben oder so rausgeschnitten“, stammelte ich nur. Das war zwar auch eine sehr mühselige Arbeit – Aber es war besser, als wenn er sie in sprödes Holz hineinritzte mit seinen Fingernägeln! „Ihr lest immer in den Büchern. Ich wollte sie nicht beschädigen.“, antwortete er und schien mein Entsetzen nicht zu verstehen. „Habe ich den Befehl missachtet?“ „Nein! Du hast…hör doch auf mit diesem Gehorsam! Ich wollte doch nicht…dass du dir so was antun musst!“, flüsterte ich mit einem Kloß im Hals. Anscheinend hatte ich nicht nur ein Talent dafür, den wunden Punkt bei anderen zu treffen, sondern sie auch noch physisch zu quälen. Kein Wunder, dass Nero es in meiner Nähe nicht ausgehalten hatte. „Entschuldigung.“, erwiderte Heriot bloß, als ob er den Fehler gemacht hätte und nicht ich. „Nein! M-Mir tut es leid! Immerhin habe ich dich dazu gebracht…e-es war nicht dein Fehler“, vorsichtig nahm ich seine rechte Hand und starrte sie an. „Ich bringe dich sofort zu Raimi!“ „Zum Sanitäter?“ „Ja! Sie muss das sofort heilen!“ „Warum?“ „W-Weil du dich verletzt hast! D-Das muss doch schrecklich wehtun“, stotterte ich und Heriot bewegte kurz seine Hand. „Aber ich bin ein Werkzeug. Werkzeuge fühlen keinen Schmerz“ „Du bist kein Werkzeug, verstanden!? Mir ist egal was dir diese gefühllosen Wissenschaftler eingetrichtert haben, aber du bist ein lebendiges, fühlendes Wesen, okay!?“, ich packte ihn am Arm „Und jetzt kommst du mit zu Raimi und lässt dich heilen, damit du keine Schmerzen mehr hast!“ Er blieb noch kurz stehen, ehe er sich von mir mitziehen ließ. Und ich hatte das Gefühl, dass meine Worte ihn nachdenklich gestimmt hatten…jedenfalls hoffte ich das. „Au! Mein Gott, alleine der Anblick ist ja schon grausam!“, quiekte Raimi entsetzt, als ich ihr Heriots Hände zeigte. Sofort legte sie ihre auf seine und sie fingen leicht an zu glühen, als der Heilungsprozess begann. „Wie hat er das denn geschafft?“, fragte sie mich, da sie wusste, wie passiv Heriot bei Gesprächen war, die er nicht mit mir führte. „Er hat…ich habe ihm gesagt, dass er alle Befehle aufschreiben soll, die ich ihm erteilen kann…als er kein Papier zum Schreiben gefunden hat, hat er sie einfach in die hölzerne Pinnwand in meinem Zimmer geritzt.“ Ihr klappte förmlich der Mund auf. „Was!? Das hat er getan!?“, je weiter die Heilung fortschritt, desto schwerer fiel es ihr, gleichzeitig mit mir zu sprechen, weswegen ich nicht antwortete, damit sie sich konzentrieren konnte. Und weil ich auch keine Antwort darauf fand. Während Heriots Hände wiederhergestellt wurden, zuckte er nicht einmal zusammen. Ich wusste wie schmerzhaft so eine Heilung war – Ich hatte oft genug welche bekommen. Entweder empfand Heriot einfach keine Schmerzen, oder er war sie gewohnt. Wobei mir das Letztere mehr Sorgen bereitete. „So. Es dürfte sich noch eine Weile lang komisch anfühlen, aber immerhin sehen sie nicht mehr so aus, als wären seine Finger in die Brotschneidemaschine gekommen.“, seufzte Raimi nach einer ganzen Weile und er zog seine Hände zurück. „Danke.“, sagte ich für ihn, da ich wusste, wie ungern er selbst sprach. „Keine Ursache. Dafür ist ein Sanitäter ja da, oder?“, erwiderte sie bloß und lächelte, jedoch leicht beunruhigt. Heriot bewegte seine Finger leicht und krümmte sie ab und zu, ehe er zu mir sah, mein Kinn zwischen Zeigefinger und Daumen nahm und es hochhob, sodass ich ihn direkt ansehen musste. „Ihr bekommt ein blaues Auge.“, stellte er trocken fest. „Was? Ich seh‘ da nichts“, Raimi spähte zu mir hoch und schüttelte leicht den Kopf „Wo siehst du ein blaues Auge?“ „Es bildet sich noch. Es wird anschwellen.“ „Zeig mal!“, Raimi stellte sich auf einen Stuhl, sodass sie auf meiner Höhe war und nahm mein Gesicht in die Hände, während Heriot zurück trat. „Hmm…tut das weh?“ „Au!“ „Aha. Okay, Punkt an deinen Bodyguard“, sie runzelte die Stirn und im nächsten Moment fingen ihre Hände leicht zu glühen an. „Wo hast du dir das denn geholt?“ „Bin gegen die Tür gelaufen“ „Du weißt schon, dass das die billigste Ausrede von allen ist?“, entgegnete sie trocken, während ich merkte wie die Schmerzen in meinem Gesicht schwanden. „Sei ehrlich! War das Nero?“ „Was!? Nein, natürlich nicht! Er würde mich nie schlagen“, ich merkte, wie ich in mein altes Verhaltensmuster zurückfiel und Nero automatisch in Schutz nahm. Natürlich, physisch würde er mich nie im Leben verletzen. Psychisch war da eine andere Sache. Doch wegen Raimis Frage machte ich mir auch Sorgen. Denn Heriot wirkte gar nicht von meinem Satz überzeugt und ich konnte mir gut vorstellen, dass Nero morgen mit Blutergüssen und Beulen zum Frühstück auftauchen würde. Natürlich hätte er das auch irgendwie verdient, doch das wollte ich ihm dann doch nicht zumuten. „Du hast Glück, dass dein Bodyguard so gut auf dich aufpasst. Sonst sähst du morgen nicht mehr so hübsch aus“, sagte Raimi, als sie fertig mit der Heilung war und stieg vom Stuhl. Ich hatte das Verlangen, sie hoch zu heben und dann ab zu setzen, doch dann fühlte sie sich immer wie ein kleines Kind – Und war meistens dann genauso beleidigt. „Danke…“, murmelte ich nur etwas nervös und verließ dann fluchtartig die Krankenstation, bevor sie mir noch weitere Fragen stellen konnte. Leider rechnete ich nicht mit Heriot, der wohl genauso wenig begeistert über mein blaues Auge war wie Raimi. „Wer war das?“, fragte er bloß, als wir den Gang zu unserem Zimmer zurück liefen. „Ist doch egal. Es war keine Absicht“, erwiderte ich ausweichend. „Warum verteidigt Ihr den Täter?“ „Er war kein Täter! Es war…keine Absicht.“, ich atmete tief ein und aus „Manchmal…Manchmal tun die Menschen Dinge, die sie gar nicht wollten oder sagen Dinge, die nicht so gemeint waren…“ Ich stockte und merkte, dass mir wieder Tränen in den Augen standen und wischte sie hastig weg. „So wie vorhin…i-ich wollte dich wirklich nicht dazu bringen, dir so was anzutun…w-warum hörst du auch auf mich…“ Er antwortete mir nicht, was ich auch nicht erwartet hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)