Kid zieht nach Osaka von Kittykate ================================================================================ Kapitel 7: Einsam in Tokio -------------------------- Der heutige Schultag verging überhaupt nicht, dennoch störte es das braunhaarige Mädchen nicht großartig. Lang und anstrengend war zwar die Schule, der Montag war und blieb der längste Tag in ihrer Schulwoche, aber der Unterricht konnte ihrer Meinung nach noch viel länger andauern. Was sollte sie denn sonst den ganzen Nachmittag über alleine machen? Langsam, wirklich sehr langsam, schlenderte sie den Weg von der Schule nach Hause. Schon bald betrat die Oberschülerin das Wohnhaus, in dem sie mit ihrem Vater zusammen wohnte, und folgte den Treppenstufen hinauf in ihre Etage. Natürlich könnte sie auch den Aufzug nehmen, aber das Treppensteigen lenkte sie zusätzlich ab. Zuviel war in den letzten Wochen passiert und es ging schnell, viel zu schnell um alles zu verarbeiten. Ihr bester Freund war weggezogen. In eine Stadt in die sie mit dem Zug eine halbe Ewigkeit brauchte und nicht mal eben schnell hin fuhr um ihn zu besuchen. Sie dachte zurück an die Zeit bevor er sich mit ihr im Park traf, bevor er ihr diesen Brief in die Hand drückte. Seit der Grundschule waren sie befreundet, seit der Mittelschule fühlte sie mehr für ihn, wusste aber nicht so recht wie sie ihre Gefühle interpretieren soll und seit Anfang der Oberstufe wusste sie, dass es Liebe war. Sie liebte ihn nicht wie einen Bruder, sondern so richtig. Irrsinniger weise drehten sich auch ihre Gedanken vermehrt darum, wie es nach der Schule mit ihnen weiter gehen würde. Wenn es nach ihr gehen würde, dann würde sie ihn heiraten, aber wie sah er das ganze? Fragen konnte sie ihn einfach nicht. Zum einen musste sie sich ihre Gefühle gegenüber ihm eingestehen, zum anderen wollte sie ihre langjährige Freundschaft nicht zerstören. Sie wollte ihn nicht verlieren, dazu war er zu wichtig in ihrem Leben. Sie seufzte: Warum musste nur alles im Leben so kompliziert sein? Vor ihrer Wohnungstür angekommen, steckte sie den Schlüssel ins Schloss und trat ein. Sie spürte sofort die Leere, die ihr entgegenschlug. Heute morgen war ihr Vater sogleich nach dem Frühstück aufgebrochen um nach Osaka zu fahren. Dort blieb er bis Donnerstag. Durfte eine siebzehnjährige Schülerin überhaupt solange ohne Aufsicht alleine wohnen? Selbstverständlich war sie verantwortungsbewusst, konnte sich selbst versorgen, das hatte sie bereits in jungen Jahren gelernt, denn sie musste ohne Mutter aufwachsen und der Vater war die meiste Zeit arbeiten. Aber wie war das rechtlich gesehen? So ganz ohne Aufsichtsperson? Eigentlich war es ja auch egal, denn sie fühlte sich so oder so schon sehr einsam. Hatte sie sich früher beklagt, dass ihr Vater sie den ganzen Tag allein ließ, so war dies nun der Horror schlecht hin. Eine drückende Stille breitete sich aus. Vielleicht sollte sie sich einfach den Fernseher einschalten um überhaupt ein wenig Ansprache zu haben, aber sie verwarf den Gedanken wieder, zog ihre Schuhe aus und ging in ihr Zimmer. Sie setzte sich auf ihr Bett und ihre Augen starrten traurig auf das Foto auf ihrem Nachtkästchen. Es zeigte sie und ihren besten Freund. Sie beide lachten, während er sich mit seinem rechten Unterarm auf ihrer linken Schulter stützte, die andere Hand lässig zum Schnippen erhoben. Sein weißes Hemd trug er offen, darunter ein hellblaues Shirt. Die wirren Haare so unzähmbar, der klare selbstsichere Blick. Seine ganze Haltung war selbstbewusst, strahlte Sicherheit und Gelassenheit aus, während sie hingegen, leicht nach vorne gebeugt stand, ihre Hände auf ihren Oberschenkeln lehnte und sein Gewicht stützte. Aber, sie erinnerte sich noch ganz genau an den Tag dieser Aufnahme, sie genoss diese Nähe zu ihm. Darum glänzten auch ihre Augen auf dem Foto. Seit er weg war, hatte sie dieses Glänzen eingebüßt. Und spätestens seit ihrem gestrigen Telefonat war es weg. Traurige Gedanken schoben sich in den Vordergrund. Gedanken die sie gestern noch verdrängen konnte, sie konnte sich ablenken mit ihrem Kinobesuch, ihre Freundin tat ihr bestes damit es ihr gut ging. Auch in der Schule war sie abgelenkt, aber nun, in dieser leeren Wohnung, so allein gelassen, traten sie hervor und waren schmerzhafter als alles andere was sie in den letzten Wochen hatte durchmachen müssen. Gedanken, die an ihr nagten, sie sogar innerlich langsam zerfraßen. Gedanken, die ihre Hoffnung auf ein gemeinsames Leben nach der Schule zunichte machten. Wobei konnte sie es ihm verdenken? Er war ihr bester Freund, nie mehr gewesen, hatte nie Anstalten gemacht, mehr sein zu wollen. Er kannte sie zu lange, darum erlaubte er sich einfach Dinge zu tun, die er bei keinem anderen Mädchen wagen würde. Das hatte aber nichts mit Liebe zu tun, sondern einfach nur mit Vertrauen. Vertrauen in eine langjährige Freundschaft, die für immer bestehen bleiben sollte. Zudem schien es ihm Spaß zu machen ihren Hitzkopf zu provozieren und es geradezu herauszufordern verhauen zu werden. Er war in einer anderen Stadt, lebte von nun an ein neues Leben, lernte neue Menschen kennen, nicht nur Jungs, sondern auch Mädchen. Konnte sie es ihm verdenken, wenn er sich mit einem anderen Mädchen traf? Konnte sie es ihm übel nehmen, wenn er sich mit einem anderen Mädchen anfreundete? Konnte sie es verkraften, wenn er sich in ein anderes Mädchen verliebte? Eine Träne löste sich aus ihren Augen und rollte langsam über ihre Wange. Ihr Herz krampfte bei dem Gedanken, er könnte sich in ein anderes Mädchen verlieben, dennoch musste sie das akzeptieren. Er war ihr bester Freund und das würde er immer bleiben... Oder? … Sollte sie die Freundschaft beenden, damit es für sie nicht zu schmerzhaft würde? Diese Option blieb ihr schließlich auch noch. Eine Möglichkeit um sich und ihre Gefühle zu schützen, auch wenn sie wusste, dass er ihre Gedanken nach wie vor beherrschen würde, vermutlich auch noch für eine sehr lange Zeit. Hakuba schlug ihr vor, dass sie ihn vergessen sollte, dass sie sich lieber einen anderen Jungen aussuchen sollte, einen der es wirklich ernst mit ihr meinte und nicht so einen Trottel wie Kaito. Ihre blauen Augen betrachteten lange das so vertraute Gesicht auf dem Foto. Kaito Kuroba, ihr bester Freund, ihre erste große Liebe... Konnte sie ihm den Rücken kehren? Zögerlich beugte sie sich zu ihrem Nachtkästchen vor und zog die obere Schublade auf. Ein kleines Blatt Papier faltete sie auseinander und ihre Augen betrachteten stumm die schöne Handschrift. Er hatte sich wirklich viel Mühe gegeben ordentlich zu schreiben, denn die Lehrer jeden Faches bemängelten seine Schrift. Ihre Augen begannen zu lesen, die Buchstaben, die sich zu Worten aneinander reihten. Sie fühlte sich wieder an den Tag zurückversetzt, als er sich mit ihr im Park traf, als er ihr wortlos diesen Brief in die Hand drückte und einfach stumm zu sah, wie ihre Augen Wort für Wort folgten, den Sinn aber im ersten Moment nicht verstanden, nicht verstehen wollten, nicht einsehen wollten. Liebe Aoko, verzeih mir, dass ich dir nicht schon früher etwas gesagt habe, aber ich wusste einfach nicht, wie ich dir von dieser Neuigkeit hätte berichten sollen. Ich wusste nicht, welche Worte es hätten erklären können, darum habe ich mich hingesetzt und dir diesen Brief verfasst. Meine Mutter hat eine neue Anstellung in einer Redaktion in Osaka erhalten. Da ich noch nicht volljährig bin, werde ich mit ihr zusammen aus Tokio weg ziehen. Glaub mir bitte, dass ich widersprochen und mich gegen diese Entscheidung gestellt habe, aber gegen meine Mutter kam ich nicht an. Immerhin kennst du sie und weißt wie stur sie sein kann. Ich werde bis zum Sommer in eine Schule in Osaka gehen, dort meinen Schulabschluss machen, aber sobald es mir möglich ist wieder nach Tokio zurückzukehren. Immerhin habe ich hier meinen Freundeskreis und ich bin in dieser Großstadt groß geworden, sie ist meine Heimat. Ich werde mich regelmäßig melden, unsere Freundschaft soll nicht unter der Entfernung leiden. Ich werde dich in Tokio besuchen kommen und hoffe, dass du mich in Osaka besuchen kommen kannst. Auch verspreche ich dir, dass ich dich niemals vergessen werde, Ahoko. Bis bald dein Kaito Niemals vergessen... Natürlich würde er sie niemals vergessen... Ironisch rollte sie mit ihren Augen und schüttelte über sich selbst und ihre Naivität den Kopf. Sie war wirklich so dumm und glaubte auch noch daran, hielt sich an der Hoffnung fest, dass er sie wirklich niemals vergessen würde. Dennoch hatte es keine drei Wochen gedauert und er meldete sich nicht mehr, reagierte nicht auf ihre Nachrichten oder Anrufe. War zu beschäftigt gewesen mit, wie er selbst sagte, Hausaufgaben. Na klar, so konnte man Dates auch nennen. Wenn es auch keine besonders schöne Umschreibung ist. Ihre Hände verkrampften um das Blatt Papier. Sie schämte sich vor ihm geweint zu haben. Er sollte sie nicht weinen sehen und trotzdem hatte er es bemerkt. Eine leichte Röte legte sich auf ihre Wange, als sie an seine warme Hand und die zarte Berührung zurück dachte, die ihr eine Träne von der Wange wischte. Seine Berührung löste ein angenehmes Kribbeln auf ihrer Haut aus. Um sich von ihm und seiner Nähe abzulenken, fauchte sie ihn an. Statt ihm zu sagen, dass er nicht gehen durfte, sie nicht alleine in Tokio lassen durfte, verließ kein Wort, kein Laut ihren Mund. Sie war unfähig etwas zu ihm, ihre Gefühle betreffend, zu sagen. Und er ging, ging davon in ein neues Leben. Sein neues Leben in Osaka. Die Türklingel läutete. Überrascht blickte sie auf. Wer konnte das denn sein? Sie hatte mit niemanden etwas ausgemacht. Die Türklingel läutete erneut. Sie schluckte, wischte sich die Tränen aus den Augen und legte den Brief zurück in die Schublade. Sie stand auf und begab sich zur Wohnungstüre. Wieder klingelte es. Im Garderobenspiegel betrachtete sie ihr Äußeres. Das wilde zerzauste Haare, die leicht geröteten Augen, das blasse tieftraurige Gesicht. „Aoko, du sieht erbärmlich aus“, sprach sie zu ihrem Spiegelbild und streckte sich selbst die Zunge heraus. Im nächsten Moment öffnete sie die Türe und blickte auf den Flur. Vor ihr stand ihre beste Freundin. Keiko liebte es ihre braunen Haare zu Zöpfen zu binden, die große Brille auf der Nase umrandete die besorgten braunen Augen. Im nächsten Moment spürte Aoko die Oberschülerin fest an sich gepresst. „Oh, Aoko, ich habe mir solche Sorgen gemacht, als du nicht aufgemacht hast! Jag' mir nie wieder so einen Schrecken ein, ja?“ Etwas überrumpelt, dennoch mit einem warmen Lächeln auf den Lippen erwiderte Aoko die Umarmung. Keiko lernte sie erst in der Oberstufe kennen, aber sie war ihr von Anfang an sympathisch. Sie wurde zu ihrer besten Freundin. Auch Kaito akzeptierte Keiko als Freundin, zwar konnte er mit ihr nicht so viel anfangen, aber zumindest mochte er sie. Vermutlich lag es auch daran, dass Keiko Kaito nicht hinterher rannte, wie sämtliche Mädchen der Schule. Keiko löste die Umarmung und blickte Aoko mitfühlend an. „Wie geht es dir? Ist dein Papa schon weg?“ Aoko nickte und ließ ihre Freundin eintreten. Hinter ihr schloss sie die Türe. „Ja, Papa ist heute vormittag gefahren. Er hat sich noch nicht gemeldet, also nehme ich an, dass er bereits in den Vorbereitungen steckt.“ Keiko nickte. Beide Mädchen gingen in Aokos Zimmer. Während sich Aoko auf ihrem Schreibtischstuhl nieder ließ, trat Keiko an das Nachtkästchen heran und betrachtete lange das Bild von Kaito und Aoko, die auf dem so glücklich und vertraut miteinander wirkten. „Schon komisch, das Kid in Osaka zuschlägt.“ „Was meinst du damit?“ „Naja, findest du es nicht auch einfach nur seltsam?“ Schulterzuckend wandte Aoko ihren Blick zum Fenster raus. „Papa meinte, dass er vor seinem Verschwinden in ganz Japan tätig war. Da gab es keine feste Stadt in der er dauerhaft tätig war. Erst nach seinem erneuten Auftauchen begrenzte er sich auf Tokio.“ „Vielleicht will er wieder nach und nach in anderen Städten zuschlagen“, überlegte dann Keiko und ließ sich auf das Bett nieder. Dabei griff sie nach dem Bilderrahmen und studierte das Foto eingehender. Aoko hingegen ließ ihren Blick aus dem Fenster schweifen. Vor ihrem Zimmer stand eine große Eiche und das dichte Blätterwerk versperrte ihr die Sicht auf den strahlend blauen Himmel. „Ist dir eigentlich schon mal aufgefallen das Kaito diesen Glanz in den Augen hat?“ Verwirrt richtete die Oberschülerin ihren Blick auf Keiko. „Was?“ Keiko sah ebenso auf, deutete aber auf das Bild. „Na hier, es ist mir noch nie aufgefallen, aber auf diesem Foto sieht man es.“ Sie sah wieder auf das Foto hinab und begann zu nicken. „Ja natürlich, wenn man sich seine ganze Art dir gegenüber vor Augen hält, liegt es ja eigentlich auch auf der Hand.“ Aoko wusste immer noch nicht, wovon ihre Freundin da eigentlich sprach. „Was?“ „Na, ist doch wohl klar.“ Keiko sah auf: „Hast du dich nie gefragt, warum er auf keine Avancen von Mädchen eingegangen ist? Immerhin ist er einer der beliebtesten Jungs unserer Schule.“ Aoko runzelte die Stirn. Das Mädchen mit den Zöpfen seufzte und stand schließlich auf. Sie ging auf ihre beste Freundin zu und hielt ihr das Foto unter die Nase. Eben das Foto, welches Aoko vorhin auch lange angesehen hatte. „Willst du es nicht kapieren, weil dein Sturkopf dir sagt dass es niemals so sein kann?“ „Was denn?“ Aoko wurde langsam sauer. Sie verstand nicht wovon Keiko sprach, worauf sie letztendlich hinaus wollte. „Kaito liebt dich!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)