Crystal Riders von Rainblue (Reanimation) ================================================================================ Kapitel 31: Countdown --------------------- Mako – Countdown Ivan Torrent - Fight for Life Gerade flimmerten die ersten Wände aus Einsen und Nullen auf dem Bildschirm, als ein klopfendes Geräusch erklang und der Monitor eine Fehlermeldung rauswarf. „Ach, komm schon!“, knurrte ich und schlug mit der flachen Hand gegen den Kasten, aber das rote Symbol mit der Aufschrift „Error“ rührte sich nicht vom Fleck. Mist. Und dabei war ich so kurz davor gewesen, handfestes Beweismaterial für meine Informationen aufzugreifen. „Ruhig, Mako“, flüsterte ich mir zu und lehnte mich in den Stuhl zurück. „Denk nach.“ Auf meiner Stirn hatten sich Schweißperlen gebildet. Es würde nicht mehr lange dauern, bis der Gorilla vor der Tür aus seinem Verstoppschläfchen aufwachte und sich mir an die Fersen heftete. Entweder das oder er gab direkt das Alarmsignal und ich würde wieder durch den Luftschacht entkommen müssen. Wenn sie diese Nummer nicht schon spitz gekriegt hatten. Aber im Notfall konnte ich auch den Aufzug manipulieren. „Fuck!“, zischte ich, sprang auf und verpasste dem Stuhl einen herzlichen Tritt, dass er gegen den Computer knallte, welcher sich röhrend beschwerte. Wie auf ein Zeichen hin, vernahm ich von draußen ein schleifendes Geräusch und einen dumpfen Aufprall – Dornröschen war aus seinem zeitlosen Schlummer erwacht. Hastig schoss ich einen Blick auf das Schlüsselloch ab, fixierte den Mechanismus, um zumindest die paar Minuten herausschlagen zu können, die er benötigen würde, um die Tür einzutreten und schlängelte mich zum Notausgang hinaus. Die Kameras in diesem Sektor hatte ich vorsorglich eingefroren, aber allmählich machte sie der häufige Einsatz meiner Gabe bemerkbar. Meine Finger zitterten bereits, als ich die Dietriche in die Öffnung zwängte und das Schloss klickend aufsprang. Jackpot! Ich hatte den Überwachungsraum gefunden und damit nicht genug, entdeckte ich nur eine einzige Schmiere, die sich so schnell außer Gefecht setzen ließ, dass ich anfing mich zu fragen, für wie unbesiegbar sich dieser Haufen von Lackaffen eigentlich hielt, um derart an Sicherheitsvorrichtungen zu sparen. Der Überwachungsraum war nicht einmal verwanzt. Aber ihre Arroganz kam mir nur gelegen. Ich schob den Bürostuhl mit dem bewusstlosen Mann zur Seite, gab seinem Kopf einen Stoß, damit er in den Nacken fiel und sein Mund aufklappte und schmiss ihm eine der Kapseln auf die Zunge. „Süße Träume, Wichser“, murmelte ich und machte mich daran, die Schubladen zu durchsuchen. Irgendwo musste es sein, Sommersonnenwende 2046… Dummerweise waren die Kassetten nicht nach Räumen geordnet, weshalb mir nichts anderes übrig blieb, als den Ersatzmonitor anzuwerfen und in jede, auf den Zeitraum datierte Aufzeichnung, einen Blick zu werfen, denn ich konnte sie unmöglich alle mitnehmen. Aber mir lief die Zeit davon. Als auf der fünften Kassette immer noch nicht der erhoffte Raum erschien, wurde ich nervös und stieß gegen den Kastenturm, der klappernd in sich zusammenstürzte und die Aufnahmen quer über den Boden verteilte. „Verdammt!“, knirschte ich und griff wahllos nach einer der Kassetten. Als auch die den falschen Raum zeigte, knallte ich sie verärgert gegen die Wand und tastete angespannt nach der nächsten. Schnelle Schritte erklangen einige Flure vom Überwachungsraum entfernt. Scheiße, ich musste einen Zahn zulegen, wenn ich nicht als Kanonenfutter enden wollte, denn hier gab es keine anderen Fluchtwege als die Tür, aus der ich gekommen war. „Jetzt komm schon…“, stöhnte ich, als sich die nächste ebenfalls als Niete herausstellte. Die Schritte wurden lauter, sie kamen näher, mir blieben vielleicht noch ein paar Minuten, eher weniger. „Bitte!“ Doch auch die nächste zeigte nicht das erhoffte Bild und ich wollte schon die Flinte ins Korn werfen und auf gut Glück so viele Kassetten einstecken, wie ich tragen konnte, als mein Blick auf ein hervorstehendes Tonband an der gegenüberliegenden Wand fiel. Konnte es sein, dass…? Stimmen wurden laut und ich wirbelte erschrocken herum, während ich weiter auf das Regal zusteuerte. Mit einer Hand fühlte ich mich zur besagten Rolle vor, ohne die Tür aus den Augen zu lassen. Sie fiel klappernd zu Boden und als ich meine Finger in den Hohlraum schob, konnte ich tatsächlich einen Hebel ertasten. Am liebsten hätte ich aufgeschrien vor Freude. Infolge des Herunterdrückens, verschob sich die Regelwand und gab den Blick auf einen silbrigen Tresor frei. Das Zahlenschloss verlangte eine achtstellige Kombination. Aber darauf war ich gefasst gewesen und vorbereitet. Hastig drehte ich an den Reglern, bis die Folge auf 18. 04. 2027 stand. Der Haken ließ sich öffnen und als ich die Tür des Tresors öffnete, schlug mir das Herz bis zum Hals. Most Epic OSTs Ever: Everything Ends Here „Tatsache, endlich!“, stieß ich hervor und schnappte mir die Kassette mit der Aufschrift Experiment zu „Durch Magnetismus induzierte Impulssteuerung“ unter Leitung von Professor Drake. Ich stopfte den kleinen Kasten in meinen Ausschnitt und wollte gerade zur Tür zurückhasten, um mich rechtzeitig aus dem Staub zu machen, als einer der zahllosen Monitore meine Aufmerksamkeit in Beschlag nahm. Mit tauben Gliedern tappte ich auf das Board zu und konnte spüren, wie mir der Schweiß ausbrach, als ich den sich windenden, zarten Körper erkannte, der auf einen Stuhl gefesselt war, während ihre Lippen sprangen, so weit riss sie den Mund zum Schrei auf. „Du dummes Ding…!“, keuchte ich und schlug mit der Faust gegen das Bild, in dem sich Crystal unter einem neuen Magnetschlag krümmte. „Das darf doch nicht… Wieso hast du mir nur geholfen?!“ Ich hatte bereits gehört, dass Jace und sie wieder aufgewacht waren und hatte sie in Sicherheit geglaubt, aber offenbar passten dem Marionettenspieler die Ergebnisse nicht in den Kram… Zähne knirschend und Tränen zurückkämpfend, fokussierte ich den Bildschirm daneben, der die andere Seite des Polizeispiegels zeigte. „Diese perversen Bastarde…!“ Sie hatten ihn mit Ketten an der Decke festgebunden und er war dabei, sich vor blinder Wut die Handgelenke zu zertrümmern. Kein Wunder, denn er war dazu gezwungen, mitanzusehen, wie Crystal nach allen Registern der Kunst gefoltert wurde. Wutentbrannt packte ich den zweiten Stuhl und schleuderte ihn gegen die Computerwand. Glas zerschellte, Strom leckte heiß und zischelnd über den Tisch, Dampf ergoss sich aus der explodierten Wunde und kurz darauf durchnässte der Feuerlöscher meine Kleidung. „Hast du ja wieder toll hingekriegt, du vernagelte Göre“, herrschte ich mich selbst an und zerrte die Kassette wieder aus dem Ausschnitt. Es hatte keinen Sinn. Ich war die Einzige, die die beiden da lebend wieder raushauen konnte. Oder eigentlich nur Crystal, denn sie war diejenige, die als Druckmittel herhalten musste. Unschlüssig drehte ich die Aufzeichnung in den Händen. Jace musste sie bekommen, um jeden Preis, sonst würde dieser Spuk niemals ein Ende nehmen. Aber jetzt war ich gezwungen, auf Plan Z zurückzugreifen. Irgendwie… irgendwie musste es mir gelingen, sie so zu verstecken, dass er oder Crystal früher oder später darauf stießen. Und auf einmal wusste ich es. Es war idiotensicher, aber ich konnte leider keine Garantie zugestehen, wie viel Zeit sie brauchen würden, um darauf zu kommen. Es konnten sowohl wenige Tage, als auch Monate sein. Aber eine andere Möglichkeit sah ich nicht, also quetschte ich die Kassette zurück in den Ausschnitt und eilte zur Tür. Kaum hatte ich sie aufgestoßen, rauschte eine Wolke von Agenten um die Kurve. Super, Mako, warum tanzt du ihnen nicht gleich auf den Tischen und rufst: Wer den Kopf trifft, darf nochmal schießen? „Da ist sie!“, wetterte der vorderste Mann und dann zogen sie simultan ihre Waffen. „Nah, noch nicht, Gentlemen“, rief ich ihnen im Umdrehen zu und sprintete im Zickzack den Gang entlang, während ich mich auf die Projektile konzentrierte und die Magnetkugeln stoppte, bevor sie mich erreichen konnten. War leicht gesagt, aber Pistolenkugeln waren nicht umsonst dafür bekannt, schnell zu fliegen. Eine streifte mich heiß am Arm und ich stieß gegen die Wand, schmierte eine Blutspur auf die weiße Tapete und nutzte das Adrenalin, das durch den plötzlichen Schmerz aufgescheucht worden war, um die nächsten Kugeln aufzuhalten. Dummerweise büßte ich dabei ein wenig an Tempo ein und dann schoss auch schon der erste Arm hervor, um mich zu packen. Okay, Zeit für den Überraschungseffekt, dachte ich grimmig und sprang mit aller Kraft vorwärts, um für Millisekunden den nötigen Abstand zwischen meine Verfolger und mich zu bringen, dann warf ich mich nach vorn, stützte die Hände auf und schwang mich in einen Salto. Wie erwartet, bremsten die Idioten irritiert ab und standen für ausreichend viele Atemzüge fix genug, um ihnen eine einmalige Frostschicht aufzustülpen. Diesen Aspekt meiner Gabe hatte ich erkannt, als ich das erste Mal ins Institut eingebrochen war. Es hielt nur wenige Augenblicke, dafür aber eine gute Fläche verstoppt, man musste die Subjekte vorher lediglich zu innerem Stillstand zwingen. Geistesgegenwärtig riss ich einem der Typen die Pistole aus der Hand und raste um die nächste Ecke. Leider hatte ich innerhalb der Treibjagd den Überblick verloren, da half auch der eingeprägte Grundriss nichts mehr, solange ich nichts fand, was ich wiedererkannte. Außerdem wurde mit jeder Sekunde, die ich hier verplemperte, mehr von Jace und Crystal abverlangt und wenn ich die Forschungsberichte über den Virus richtig verstanden hatte, sorgte er früher oder später auch noch für Nebenwirkungen ganz anderer Art, um seinen Wirtskörper am Leben zu halten. Physische Wunden mochte er schließen können, aber Menschen starben auch gern mal an Psychischen… Und ab hier begann die echte Horrorgeschichtenabteilung. Sean Redmond - Capsule Theme 2 Schwer atmend kam ich vor einer Tür mit einem goldenen Schild zum Stehen. Na, bitte, wer sagte es denn? Dann waren meine Orientierungssinne also doch nicht so verkümmert, wie ich immer angenommen hatte. „Bring mir bloß Glück, hörst du?“, hauchte ich. Die Kameras hatte ich instinktiv während des Laufens eingefroren – was sich jetzt mit Magenkrämpfen rächte – und derweil ich erneut mit den Dietrichen am Schloss herumhantierte, setzte ich auch die Kameras in diesem Zimmer auf Stunde null. Kaum hatte ich die Tür geknackt und hinter mir geschlossen, löste ich das Stoppen aller vorherigen Kameras wieder auf – auf diese Art wurde ich auf den Aufzeichnungen unsichtbar. Es war stockfinster in dem Büro und der Lichtschalter funktionierte nicht. Ein paar Kisten standen auf dem Boden, der Schreibtisch und die Schränke waren mit weißem Tuch abgedeckt worden, auf denen sich Staubschichten gesammelt hatten. Ich trat in die Mitte des Raumes und drehte mich ein paar Mal um die eigene Achse. Wo konnte der Geheimgang sein? Von seiner Existenz zu wissen war die eine Sache, ihn dann aber noch zu entdecken, eine andere. Eine völlig andere. Denn hier wurde von einem Geheimgang sondergleichen gesprochen, einem, von dem die Mitglieder des Instituts bis Dato nichts wussten. Aber es musste einen Hinweis geben, irgendeinen. Aufmerksam durchwanderte ich die Stille, aber außer kahlen weißen Wänden und Laminatboden ließ sich nichts ausmachen. Und die Minuten verstrichen… „Streng dein Hirn an“, nuschelte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Blau war die eine Farbe und die andere…“ Und da rutschte mir die Erkenntnis wie ein heißes Bügeleisen die Wirbelsäule entlang. Weiß! Der Raum an sich! „Du bist ein verkapptes Genie!“, stieß ich fasziniert hervor und holte die Kassette aus dem Ausschnitt, sowie einen Filzstift. JACE, schrieb ich auf die Hülle und wusste, er würde diese Schrift als meine erkennen. Ein letztes Mal gestattete ich mir, durchzuatmen und drückte die Kassette an mich, um zum ersten und vermutlich letzten Mal in meinem Leben ein Gebet zu sprechen. Und zwar dafür, dass Jace klug genug war, eins und eins zusammenzuzählen, wenn der richtige Zeitpunkt kam. Mindestens ein Dutzend Waffen richteten sich auf meinen Kopf, als ich die Tür aufstieß und schwungvoll eintrat. Es hatte mich einiges an Kraft gekostet, aber lieber arrangierte ich mich mit Bauchweh, als diesen Pennern die Genugtuung zu schenken, mich gefasst zu ihrem Anführer geschleift zu haben. Die einzige Person im Raum, die in sich geschlossene Ruhe bewahrte, war der Drache mit den blauen Augen. Er machte fast den Eindruck, gewusst zu haben, dass ich früher oder später aus freien Stücken hereingeschneit käme. „Professor Drake, nehme ich an?“, platzte ich ungeniert hervor, hakte die Daumen in die Hosentaschen und grinste ihm direkt ins Gesicht. „Oder wäre Diktator passendender?“ Es schien, egal, wie man diesem Mann gegenübertrat, er ließ nie auch nur den Hauch seiner Karten sehen. Weder Körperhaltung noch Miene ließen irgendwelche Schlüsse auf seine Gedanken zu. Er hatte diesen Ausdruck in den Zügen, bei dem man anfing zu glauben, dass Leere im Kopf tatsächlich möglich war. „Na, was wollt ihr jetzt mit mir anstellen?“, fuhr ich fort und stolzierte quer durch den Raum. Die Anzugträger setzten sich in Bewegung, aber Drake hob die Hand und die Männer zogen sich ungetaner Dinge zurück. „Wollt ihr mich auch an einen Stuhl fesseln und ordentlich mit Magnetismus durchbrutzeln? Ihr seid ja ein richtig tapferer Haufen, was?“ Den letzten Satz schrie ich halb, denn der Zorn auf alles, was sie in ihrer Machtgier Jace und Crystal und allgemein jedem Rider angetan hatten, kochte wieder empor. „Ich bin aufrichtig beeindruckt von deinen Fähigkeiten“, sagte Drake unvermittelt und ich hielt inne, als seine Augen dabei meine streiften. „Ich hätte nicht gedacht, dass das Wort ‚aufrichtig‘ in Eurem Wortschatz vorkommt.“ Diese Bemerkung überging er gekonnt. „Du bist ganz auf dich allein gestellt, zweimal hier eingebrochen und das obwohl du deine Gabe noch nicht lange anwendest.“ „Vielleicht hab ich aber auch ein bisschen gelogen, was das Datum meiner Infizierung angeht“, erwiderte ich gelassen, obgleich ich es innerlich mit der Angst zu tun zu bekam. Es konnte gut sein, dass alles, was ich hier und jetzt von mir gab, meine letzten Worte waren. Two Steps from Hell – Could’ve Been „Hört mal, wie wär’s, wenn wir uns das Kaffeekränzchen schenken und Nägel mit Köpfen machen?“ Da erkannte ich zum ersten Mal die schwache Andeutung eines Lächelns in seinen betonharten Mundwinkeln. Er schien nicht einmal davon irritiert zu sein, dass ihm meine Augen jedes Mal, wenn er mich anschaute, ein Spiegelbild seiner eigenen zeigten. Aber ich hätte den letzten Rest meines gesunden Menschenverstandes drauf verwettet, dass es ihm irgendwo tief drinnen gewaltig gegen den Strich ging. „Das nenne ich ein akzeptables Angebot, Selenite.“ Bei Aussprache des Namens fiel mir das Grinsen aus dem Gesicht und machte einer hasserfüllten Maske Platz. „Spart Euch den Mist mit dem Edelstein, klar?!“, fauchte ich ungezügelt. „Wir sind keine systematisierbare Setzkastenware. Wir verhandeln auf einer Augenhöhe, Drake, oder wir verhandeln gar nicht.“ Ich warf einen Blick herum. Grob geschätzt waren an die fünfzig Bodyguards anwesend und wir befanden uns im fünften Stock. Der Aufzug lag nur einen Katzensprung entfernt. Die Chancen lagen also fünfzig zu fünfzig, denn ich war noch von dem Affentanz vorher geschwächt. Aber im Bluffen hatte mir noch nie jemand das Wasser reichen können. „Es wäre mir ein Leichtes, Eure Mannschaft von Schoßhündchen auf den Kopf zu stellen – denn gegen meine Gabe sind auch keine Brillen gefeit. Ich wäre weg, bevor ihr auch nur einen Finger rühren könntet und zufälligerweise ist dieses kleine, verdorbene Hirn hier“ – ich tippte mir an die Stirn – „bis unter die Decke voll mit Infos, die in der Öffentlichkeit und vor allem auf dem Internat ohne großes Vorheizen zünden würden. Und Ihr wollt euch bestimmt nicht den Sonntag davon verderben lassen, wenn Eure Schmucksteinsammlung sich dazu entschließt, gesammelt den Tyrannen vom Thron zu stoßen, oder?“ Treffer versenkt. Das Gesicht des Drachen spannte sich an und ich wusste, er würde Feuer speien, wenn ihm jetzt die Kontrolle entglitt. Ich lächelte so gewinnend wie ich nur konnte, um ihm klarzumachen, dass ich nicht zum Scherzen aufgelegt war. „Wie lautet deine Bedingung?“, gab er sich verbissen geschlagen. „Simpel und bündig: Ab jetzt lasst ihr Crystal und Jason in Ruhe. Ihr lasst beide gehen und fasst sie nie wieder an, sie erhalten Unverwundbarkeit.“ Ich suchte direkten Augenkontakt. „Und ich will nichts von Knebelverträgen oder Kleingedrucktem hören. Ihr. Lasst. Sie. In. Frieden. Haben wir einen Deal?“ Drake seufzte mit einem Blick auf die Glasfront und mir fiel auf, dass er für sein Alter bemerkenswert jung aussah, selbst für einen Japaner. Warum mir das ein ungutes Gefühl in der Magengegend verursachte, konnte mir ich jedoch nicht erklären. „Bevor wir ins Geschäft kommen können“, meinte er schließlich und trat ein Stück auf mich zu, „müssen beide Seiten ihre Voraussetzungen erbracht haben.“ „Logischerweise“, entgegnete ich spitz und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich wusste längst, wie sein Vorschlag ausfallen würde, aber der Haupttext musste gesprochen werden, damit der Subtext leben konnte. „Was wollt Ihr?“ „Nur deinen Tod.“ Klare Ansage, das hätte ich ihm ehrlich gesagt nicht zugestanden, aber es war mir nur Recht. Ich schmunzelte, obschon mein Puls angefangen hatte, zu rasen und meine Hände zitterten. „Deal“, gab ich schlicht zurück und reichte ihm die Hand. Wenn er ein Gefühl von Triumpf empfand, war er gut darin, es nicht zu zeigen. Ich wandte mich von ihm ab und ging langsam hinüber zur Glasscheibe, um vor meiner Abreise wenigstens noch einmal die Sonne gesehen zu haben. Gold Delirium Music – Memories „Jetzt mach schon!“, bluffte mich einer der Agenten unwirsch an, aber ich warf ihm nur einen scharfen Seitenblick zu. „Über ein Zeitlimit wurde nicht verhandelt, Arschloch, also halt die Backen. Keine Sorge, vorm Abendessen wirst du wieder zuhause bei Mami sein.“ Der Mann schnaubte, gab aber keinen Kommentar und ich drehte mich wieder dem Glas zu, während ich die Hand hob und auf meiner Brust ablegte, genau da, wo das Herz war. Jetzt war es also soweit, das Ende meines Lebens. Unweigerlich fragte ich mich, ob sich Mum damals auch so gefühlt hatte, als sie zum Rider geworden war und ihre Gabe anwandte, um ihr eigenes Blut einzufrieren. Ich erinnerte mich noch detailliert an diesen Tag, der Tag, an dem ich aufgehört hatte, an Superhelden zu glauben oder sonst irgendetwas. Oder irgendwen. Eine Superkraft war nichts Fantastisches in der heutigen Welt. Sie wurde nicht dazu eingesetzt, Bösewichte zu jagen und für Frieden zu Sorgen. Wie die Filme wohl gelaufen wären, wenn man Batman oder Superman geschnappt und eingesperrt hätte, um Experimente an ihnen durchzuführen? Wenn sie niemals zu den toughen Männern mit diesem hohen Sinn für Gerechtigkeit geworden wären, sondern man sie wie Jace an Ketten dabei zusehen ließ, wie ihre Geliebte Todesqualen erleiden musste? Warum dachte ich darüber eigentlich nach? War das dieses Phänomen, das man die Dinge kurz vor seinem Ableben in einem völlig neuen Licht sah? Es musste so sein, denn diese Mako, die ich jetzt war, von der hatte ich jahrelang geglaubt, sie nie wiederzusehen. Dass diese Mako mit meiner Mutter gestorben war. Meine Gabe fing an, zu wirken. Ganz leise und behutsam. Mein Puls beruhigte sich, das Zittern verebbte, ich schloss langsam die Augen. Jetzt liegt es an dir, Jace. Vermassle es nicht, okay? Ein nasser Streifen zog sich auf meiner Wange entlang und ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass es eine Träne war. Wirst du jetzt etwa auch noch sentimental, du dumme Pute? Ich musste lachen. Zumindest… zumindest konnte ich somit eine Wiedergutmachung geben. Jemanden entschädigen, der allein gelassen worden war. Treffen wir uns irgendwo da oben? Wenn ich denn oben landen würde. Vielleicht schlug ich auch die Augen auf und fand mich inmitten von Lavaströmen und Peitschenhieben wieder. Dass ich in die Hölle käme, wenn es eine gibt, wäre an sich ja kein verwunderlicher Ausgang gewesen, aber er war mit absoluter Sicherheit im Himmel gelandet. Dieser herzensgute Idiot. Dann find ich halt einen Weg. Im Notfall brat ich Satan eins über, klau mir eine von diesen menschenähnlichen Fledermäusen und komm zu dir hochgeflogen. Die Engel krieg ich auch noch irgendwie umgeholzt, wenn sie mich nicht durchlassen. Himmel, was dachte ich da bloß? War das eine Art Todesdelirium? Wurde man etwa high, bevor einen die Skelettsense traf? Wenn das mal einer in seiner Nahtoderfahrung gebracht hätte, hätte ich die Welt mit ganz anderen Augen gesehen. Mein Herz schlug jetzt nur noch in hallend weiten Abständen und der Schwindel kam so plötzlich, dass mir die Beine wegknickten. Wie nach tausend Kilometern Marathonlauf brach ich zusammen und fiel auf die Seite, meine Hand lag vor mir auf dem Boden und ich starrte auf die noch zitterten Finger, während die Schläge immer ferner und gedämpfter wurden. Die Farben quollen auf, schwarze Schatten flogen quer hindurch, alles beschlug wie durch dichten Frost. Ein angenehmer Tod, wenn ich ehrlich war. Keine Schmerzen, keine anstrengenden Todeskämpfe. Es war, als entschlafe ich. Ob er auch so friedlich sterben konnte? „Oh, eines habe ich noch ganz vergessen“, hörte ich auf einmal Drakes Stimme. Er musste sich neben mich gekniet haben, denn sonst hätte ich seine Stimme womöglich nicht hören können. Schon so war es sauschwer. „Was sollen wir am besten deinem Vater erzählen?“ Bei seiner Erwähnung sah ich ihn unvermittelt vor mir. Gut möglich, dass er gerade unwissend in seinem Büro saß, sich mehrere Tonnen Instantkaffee reinpfiff und dabei seine herben, für mich irgendwie stets nach gemähtem Gras riechenden, Zigarren verheizte. Der alte Wichtigtuer. Er war mehrere Jahre ohne mich ausgekommen, also würde er auch die nächsten hundert überstehen. Aber trotzdem spürte ich, wie bei diesen Gedanken eine neue Welle von Tränen aus meinen Augen schwappte. Du bist der größte Hornochse der Welt, Dad. Scheiße, ich glaube, ich liebe dich doch noch… Ich hoffe, du bist nicht so dumm, zu glauben, dass ich es ernst meinte, als ich gesagt habe, ich würde dich hassen. „Sagt ihm… er soll… sich statt Bier… auch mal… einen Whiskey… gönnen… einen Guten…“ Ich wusste nicht, wie Drake darauf reagierte, das Einzige, was ich noch vernehmen konnte, war ein Satz, wenige Sekunden später, der am Ende wie ein weißes Echo ausklang. „Dann eine gute Heimreise, Miss Crowe.“ Ein dumpfes Tappen verriet mir noch, dass er aufgestanden war und fortging. Dann verstummten endgültig alle Geräusche und ich ließ die Augen etappenweise zufallen. Mein Herz war nur noch ein Flüstern und die Zeit verlor sämtliche Bedeutung. Ich bin fast da, warte noch einen kleinen Moment. Jetzt müssen wir beide von da oben auf Jace aufpassen, meinst du, das kriegen wir hin? So viele Dummheiten wie der macht, da hätten wir als Schutzengel einen echten Fulltimejob. Aber das passt schon. Ich kann dich schon fühlen… oder bilde ich mir das ein? Ich war ja nie der Typ für Zärtlichkeit, aber du darfst mich jetzt gern in den Arm nehmen und mich ordentlich an deiner Brust ausflennen lassen, ich glaub, das hab ich bitter nötig. Jace… Crystal… bitte macht keinen Unsinn und schaltet euren Kopf ein. Die Wahrheit muss ans Licht – das darf nicht totgeschwiegen werden. Und da hörte ich es. Den letzten Schlag meines Herzens, so sanft, fast tröstlich. Auf Wiedersehen, Leben, war schön mit dir. Es war Zeit, die Uhr zurückzudrehen und neu anzufangen. Wir sehen uns bald… Jamie. ~ To be continued… ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)