Die Trauerweide von Gurgi ================================================================================ Kapitel 26: Heimat ------------------ Heimat Genüsslich atmete Ryan den Geruch von Ayeshas Haaren ein. Süßlich roch es nach Kräutern, betörend war dieser Duft, verwirrte ihre Sinne. Sie lächelte scheu, Erinnerungen keimten in ihr auf. Glitten Monate zurück, sie erinnerte sich an jene Nacht, die alles verändert hatte. Zitternd hatte diese Frau vor ihr gestanden, Angst war in ihren Augen aufgelodert, wie die Glut eines Feuers. Ganz deutlich erinnerte sie sich, wie schön ihr damals dieses Wesen vorgekommen war. Selbst Schmutz, Verzweifelung und Angst hatten es nicht vermocht diesen Eindruck zu trüben. Fest hatte er sich in ihrem Gedächtnis eingebrannt, würde niemals verschwinden. Wie seltsam erschien es ihr, dass ihr nun solch Glück zu teil wurde, diesen Menschen lieben zu dürfen? Wie lange hatte sie sich ihrer unwürdig gefühlt. Ayesha wusste um die dunklen Seiten ihrer Seele, wusste um den Schmerz ihrer Vergangenheit, und dennoch erwiderte diese Frau ihre Gefühle. Sie verlangte keine Rechenschaft, keine Erklärungen, und doch hätte sie diese verdient. Zum ersten Mal seit vielen Jahren wollte Ryan aufrichtig sein, wollte nicht erneut die Fehler der Vergangenheit wiederholen. Sie wollte keine Geheimnisse vor der Person mehr haben, die sie liebte. Wie sehr hatte sie es gehasst Teleri immer wieder von neuem belügen zu müssen. Immer mit der Gewissheit, dass Teleri ohnehin die Wahrheit gekannt und ihre Lügen stillschweigend geduldet hatte. "Ich bin ein schlechter Mensch", dachte Ryan und lächelte bitter auf die zusammen gesunkene Person hinab. Friedlich schlief Ayesha an ihrem Schreibtisch über den Schriftrollen. Vorsichtig beugte sich Ryan hinab, beobachtete Ayesha aus traurigen Augen. "Wie viel Schmerz wäre dir erspart geblieben, wenn du mich nicht lieben würdest?" fragte sie die schlafende Frau. Sanft strich sie über die weiche Haut, vergrub ihre Hand in den langen, schwarzen Haaren. Seufzend senkte sie ihren Kopf, nachdenklich starrte sie die Spitzen ihrer Stiefel an. "Ich setze dich immer noch so großer Gefahr aus, Ayesha. Ich kann ihn spüren, er wartet, wie ich. Warum liebe ich dich nur so sehr? Ich ziehe das Unheil an, wie das Licht die Fliegen. So sehr fürchte ich mich vor dem Tag, an welchem er zurückkehrt. An jenem Tag wird sich auch in mir etwas verändern. Ich fürchte mich so sehr davor, so sehr." Bedrückt schlug Ryan ihre Augen nieder. Jeden Tag deutlicher fühlte sie die Präsenz Katlars. Wie ein gigantischer Schatten schien er sich zu erheben, ihre Sonne zu verdunkeln, all die Wärme, welche sie umgab, aufzusaugen. "Ich werde nicht zulassen, dass er dir weh tun", fest klang Ryans Stimme, doch ihre Hände begannen kaum merklich zu zittern. "Ich werde es nicht zulassen, bevor er dich auch nur berührt, werde ich ihn töten." Tief in Ryans Augen glüht etwas auf, eine Spur des alten Feuers, des alten Hasses, welchen sie so sorgfältig in sich verschlossen hatte. Fest umklammerte ihre Hand die Stuhllehne, weiß traten ihre Fingerknöchel hervor. "Ich werde es nicht zulassen", flüsterte sie und kniff ihre Augen zusammen. "Niemals, lieber würde ich sterben..." Fahrig begannen Ayeshas Augenlider zu flattern, um ihre Mundwinkel zuckte es leicht. Verschlafen öffnete sie ihre Augen, lächelte leicht, als sie Ryan gewahr wurde. "Seit wann bist du schon hier?" "Noch nicht all zu lange", versicherte Ryan und küsste flüchtig die Stirn ihres Gegenübers. Seufzend setzte sich Ayesha auf, fuhr sich durch ihr zerzaustes Haar. Nur langsam verschwanden die Schleier des Schlafes aus ihrem Denken. Wie lange sie wohl geschlafen haben mochte? Sie erinnerte sich nicht mehr daran. Sie hatte geträumt, unruhige, dunkle Träume hatte ihr Onone geschenkt. Sanft schloss sich ihre Hand um die Ryans, umfing sie liebevoll. "Was ist mir dir?" fragte Ayesha und furchte sorgenvoll ihre Stirn. "Du siehst so nachdenklich aus." Scheu lächelte ihr Ryan zu, führte ihre Hand an ihre Lippen und küsste sie. "Es ist nichts. Ich bin doch immer nachdenklich". Aufmunternd zwinkerte Ryan Ayesha zu, schloss sie in ihre Arme, vergrub ihr Gesicht in ihren Haaren. "Glaubst du wirklich, ich wäre so leichtgläubig?" hakte Ayesha nach, nahm das Gesicht Ryans zwischen ihre Hände und zwang sie ihr in die Augen zu sehen. "Wenn ich in deine Augen sehe", begann sie mit zitternder Stimme. "Dann sehe ich Dinge, die mich erschrecken. Dinge, vor denen ich mich fürchte. Ich kenne diesen Ausdruck bei dir, Ryan. Ich kenne ihn sehr gut." Schweigend starrte Ryan Ayesha an, versuchte ihrem forschenden Blick auszuweichen, doch immer wieder misslang es ihr. Wie war es möglich, dass diese Frau so tief in sie hinein blicken konnte? Verstört erwiderte sie den Blick Ayeshas, versuchte sich vor ihr zu verschließen, doch dieses Wesen vor ihr brach ihren Widerstand mit sanfter Gewalt. Zärtlich strich Ayesha über Ryans Wange, küsste flüchtig ihr Gesicht. "Oh, Ryan", flüsterte sie leise. "Du kannst mir doch vertrauen. Hast du das immer noch nicht gelernt? Ist es, weil mein Vater zurückkehrt? Was ist denn nur los mit dir?" "Ich weiß es selbst nicht. Irgendetwas stimmt nicht, aber ich kann nicht deuten, was es ist", bekannte Ryan leise. "Es ist so ein merkwürdiges Gefühl tief in mir. Ich kenne es und es erschreckt mich." "Ist er es?" Stille herrschte zwischen ihnen, alles, was zu vernehmen war, war ihrer beider Atem. Fest sahen sie sich in die Augen, versuchten zu begreifen, welche dunklen Vorahnungen über ihnen schwebten. Je senkte Ryan ihren Kopf, sie konnte es nicht länger ertragen Ayesha an zu blicken. "Ja", flüsterte sie so leise, dass es kaum mehr ein Hauchen war. "Er ist es, ich spüre ihn. Er wartet irgendwo auf mich. Irgendwo lauert er..." "Aber woher weißt du das? Du kannst dir nicht sicher sein." "Mein Gefühl hat mich noch nie betrogen, Ayesha", beharrte Ryan zornig und stand auf, wandte ihr den Rücken zu, blickte in die kalte Winterlandschaft hinaus. Wind wehte einige Schneeböen auf, Zweigen knarrten. Die Welt schlief. Tief in Ryan brauste ein Sturm aus Wut und Angst. Ayesha verstand nicht wie ernst dieser Umstand war. Vielleicht wollte sie es auch nicht verstehen. Sie hatte Katlar gesehen, erlebt zu was er fähig war. "Wido", dachte Ryan und Tränen traten ihr in die Augen. "Dein Tod ist noch immer ungesühnt. Ich lasse ihn damit nicht durch kommen. Ich schwöre es dir, mein Freund. Auch du wirst bald in Frieden ruhen..." Sanfte Hände umfingen sie plötzlich, zogen sie zaghaft an einen anderen Körper. Fest hielt Ayesha Ryan umfangen, barg ihr Gesicht an ihrem Rücken. Sie fühlte die innere Anspannung, die in Ryan herrschte. Begriff, dass sie Angst hatte. "Es tut mir leid", raunte sie ihr leise zu. "Ich weiß wie sehr du dich vor ihm fürchtest. Wie viel er dir genommen hat. Verzeih..." "Du musst dich nicht entschuldigen", seufzend lehnte sich Ryan gegen sie, kraftlos legte sie ihre Hand über die Ayeshas. "Ich mache mir keine Sorgen um mich. Es ist mir egal, was mit mir geschehen könnte. Du bist mir nicht gleichgültig. Ich will nicht, dass du erneut leiden musst. Ich könnte es niemals verkraften, wenn er dir etwas antun würde." "Shhh", bestimmt brachte Ayesha Ryan zum verstummen, küsste ihre Wange. "Er wird mir nichts antun. Glaub mir, hier bin ich sicher vor ihm. Ryan, ich bitte dich. Lass nicht zu, dass er selbst jetzt noch einen so großen Einfluss auf uns hat. Bitte." Stumm betrachtete Ryan Ayesha, forschte in ihren Augen und fand die Furcht in ihnen. Sah diesen dunklen Schleier, welcher auch immer Teleris Augen verdunkelt hatte. Sie erinnerte sich genau, nur in wenigen Augenblicken war dieser Schatten gewichen. Nur in wenigen Momenten hatte Ryan Teleri glücklich gesehen. Bitter lächelte sie, es verzerrte ihr Gesicht beinahe zu einer Fratze. Starr blickten ihre Augen um sich, sahen durch Ayesha hindurch. . Fest ballten sich ihre Hände zu Fäusten, kraftlos schlossen sich ihre Augenlider. Warum kehrten diese Erinnerungen zu ihr zurück? Jetzt, da sie glücklich war? Sanfte Berührungen ließen sie zusammen fahren, als habe ein Blitz sie getroffen. Ein süßer Schmerz brannte auf ihren Lippen, während Ayesha sie küsste. "Nein, kämpfe, kämpfe. Verdammt, Ryan. Warum bekämpfst du diese dummen Gedanken nicht einfach?" schallte sich Ryan selbst, blinzelte die Tränen fort, spürte, wie der Stein seine Wärme durch ihre Glieder schickte. Laut schrieen ihre Gedanken auf, widerstanden der Wärme des Glücks. Kalt blieb ihr inneres. Kalt, wie der Schnee, welcher unter der Last der Sonne zusammenbrach und vom Dach des Hauses rutschte. Niedergeschlagen gab Ayesha Ryan frei, schluckte hart, sah die Frau vor sich genau an. Sorgenvoll furchte sie ihre Stirn, scheu schlug Ayesha ihre Augen nieder. Irgendetwas geschah, deutlich fühlte sie es. Doch was es war, konnte ihr Geist nicht deuten. Greifbar lag es über ihnen. Etwas, das weder Ryan noch sie aufzuhalten vermochten. Schweigend standen sie sich gegenüber, keine von beiden war in der Lage die Worte zu sprechen, welche die Schatten vertreiben würden. Sie wussten sie nicht. Stumm nahm Ryan Ayeshas Hand in die ihre, schmiegte ihre Wange fest in die zitternde Handfläche. "Ich liebe dich", flüsterte sie leise, lächelte ehrlich. Um die Mundwinkel Ayeshas bildeten sich kleine Fältchen. Kaum merklich nickte sie, zog Ryans Gesicht an das ihre und küsste deren Stirn. Schnelle Schritte nährten sich der Tür, ein heftiges Klopfen ließ beide zusammen zucken. Widerstrebend löste sich Ayesha von Ryan, atmete tief durch, versuchte wenigstens etwas der Beherrschtheit auszustrahlen. "Ja, herein", erklang ihre feste Stimme, doch in ihren Ohren war es kaum mehr als ein feines Flüstern. Knarrend öffnete sich die Tür. Peryan nickte ihnen kurz wohlwollend zu und trat ein. "Verzeih, dass ich dich störe, Ayesha. Aber es wurden Reiter gesichtet. Dein Vater kehrt zurück." Für einen kurzen Moment, kaum länger als ein Herzschlag, erzitterte Ayeshas Körper. Sie fing den fragenden Blick Ryans auf, erwiderte ihn kurz und wandte sich dann wieder Peryan zu. "Danke, ich werde gleich hinaus kommen, um ihn zu begrüßen." Schelmisch zwinkerte Peryan ihr zu. "Eile dich nicht, einwenig Zeit ist noch." Mit diesen Worten schloss er die Tür hinter sich und Stille kehrte wieder ein. Seufzend fuhr sich Ayesha durch ihr Haar. "Jetzt wird alles wie früher", dachte sie, bitter lächelte Ayesha in sich hinein. "Alles wie früher..." "Komm'", hörte sie die Stimme Ryans neben sich. Eine starke Hand umfing die ihre, drückte sie unterstützend. "Du solltest die erste sein, die deinen Vater begrüßt, nicht wahr?" "Ja, das sollte ich wohl sein", stimmte Ayesha zu, erwiderte den Druck kurz mit ihren Fingern und ließ sich dann von Ryan aus dem Zimmer führen. Stimmengewirr erfüllte die kalte Luft. Das Klirren von Waffen hallte, als wären es Vorboten des Unheils, über den kleinen Platz. Pferde scharrten unruhig mit ihren Hufen, zuckten nervös mit ihren Köpfen von einer Seite zur anderen. Die Tiere spürten deutlich die Anspannung, welche über den Menschen lag, sie gen Boden drückte. Mit geübten Handgriffen verstaute Markos seine Waffen. Steif schienen seine Finger zu sein, die Kälte forderte ihren Tribut. Er hustete, sog scharf die Luft in seine Lungen, sah hinauf zum Himmel. Immer noch machte ihm seine Verletzung zu schaffen. Während den letzten Wochen wäre man fast dem Irrglauben erlegen, sie würde niemals wieder vollends heilen. "Du bist wahrlich ein bemerkenswerter Schütze, Gerin", dachte Markos zornig. Wut wärmte seine erstarrten Glieder. Wut und Hass, über das, was er im Begriff war zu tun. Aus den Augenwinkeln gewahr er seine Frau und seine Töchter. Nimas Blick war verschlossen, ihre Haare wehten sanft im Wind. Dicht standen ihre Töchter bei ihr, hielten sich an dem lagen Fellmantel ihrer Mutter fest. Die Blicke, mit welchen seine Töchter ihn bedachten, bereiteten Markos unendliche Pein. Enttäuschung las er in ihnen. Er hatte sein Versprechen gebrochen. Das Versprechen wenigstens bis zum Frühling seiner Familie zu gehören. Schuld war die schwerste Bürde eines Menschen, und Markos war sich der Tatsache bewusst, dass er sie alleine zu tragen hatte. Seufzend zog er den letzten Riemen fest, tätschelte seinem Pferd den Hals. Es würde ihn weit tragen müssen. Er spürte die Blicke seiner Kinder in seinem Rücken. Sie waren noch jung, dennoch war ihre Gabe bereits stark. Sie brauchten keinen Stein um ihren Vater zu erreichen. Langsam wandte sich Markos seiner Familie zu. Der Schnee knirschte unangenehm in seinen Ohren, erlächelte sanft, doch die Gesichter seiner Kinder blieben versteinert. Nur in den Augen seiner Frau regte sich etwas, es war so kurz, dass es kaum zu bemerken war. Doch es stach einer Klinge gleich tief in Markos Leib hinein. Tief in sich verspürte er Schmerz. Ob es der seine, oder der Schmerz seiner Frau war, vermochte er in diesem Augenblick nicht zu deuten. Traurig seufzte Markos auf, blieb einige Schritte vor seiner Familie stehen. Es war, als wäre die Zeit für diesen Moment stehen geblieben. Schweigend und anklagend begegneten ihm die Blicke seiner Töchter. Vorsichtig streckte Markos seine Arme aus, wollte ihre Häupter berühren. "Fass mich nicht an", zischte die feine Stimme Allessas zu ihm hinüber. Fassungslos starrte Markos seine älteste Tochter an. In ihren tief grünen Augen begann es zu glitzern, Tränen leuchteten in der schwachen Sonne wie Tautropfen auf. "Ich hasse dich", schrie sie laut, ihre kindliche Stimme zitterte. Schritt um Schritt wich sie vor ihrem Vater zurück, umfasste die Hand ihrer jüngeren Schwester, zog sie mit sich. Schnell flogen die kleinen Kinderfüße über die Schneebedeckte Erde, keine von beiden drehte sich noch einmal um. Niedergeschlagen ließ Markos seine Schultern hängen, er schluckte hart. "Sie hassen mich", wisperte er leise. "Ich dachte, sie würden es irgendwann verstehen." "Wie sollten sie?" entgegnete ihm Nima mit scharfer Stimme. "Sie sind noch jung, wie sollen Kinder etwas begreifen können, was nicht einmal ihre Mutter zu verstehen vermag." Bitter lächelte Markos, schüttelte ratlos seinen Kopf. "Ich habe mir das alles nicht ausgesucht, Nima", versuchte er sich zu erklären. "Das Schicksal hat mir keine Wahl gelassen." "Einst hat es dich vor die Wahl gestellt, Markos. Jedoch hast du das Werk deiner Schwester mit Freuden an dich genommen. Warum belügst du dich immer selbst? Willst du nun Karas Tochter in das gleiche Schicksal treiben, weil du nicht länger alleine damit leben willst?" Diese Worte trafen Markos härter als ein Schlag oder ein Stein jemals in der Lage wären ihn zu verletzen. Wahrheit strafte seiner Worte Lügen und er wusste es. Er alleine war nicht mehr in der Lage das Werk Karas fortzuführen, er brauchte Hilfe. Wo er diese erhalten konnte, wusste er nun. Doch er erkannte auch, was er im begriff war zu zerstören. "Ich habe recht, nicht wahr?" Zitternd drang die Stimme Nimas in seine Bewusstsein. Markos hob seinen Kopf an, blickte in ihre Augen, sah, wie sie in Tränen zu ertrinken begannen. "Du willst sie zu dir holen, sie gänzlich zu einer von uns machen. Du weißt, welche Auswirkungen deine Absichten auf sie haben werden. Karas Blut fließt in ihr, wir alle wissen, was das bedeutet." "Ja, ich ahne es. Aber willst du nicht, dass Allessa und Lia in einer Welt leben dürfen, die uns verwährt wurde? Willst du, dass auch unsere Töchter eines Tages kämpfen müssen und vielleicht ihr Leben verlieren? Das werden sie wenn ich nichts unternehme..." "Ein Leben für ein anderes, so ist es Brauch bei den Wölfen. Du bist nicht besser als die, die du so sehr jagst und verachtest. Der Krieg hat dich kalt werden lassen, Markos. Du kannst nicht ermessen, wie viele bei diesem Kampf ihr Leben geben werden. Womöglich wird es Ragan, Ryan oder gar du sein..." kurz hielt Nima inne, legte ihre Hand sanft auf Markos Wange. Ihre Augen suchten die seinen, verbanden sich mit ihnen zu einem ernsten Blick und ergänzte flüsternd: "Ist es das alles wert? Ist es das wert, dass du sie in eine Rolle drängst, vor der sie Kara einst bewahren wollte? Ist es das wert, dass du deine Familie verlässt und einige Männer sterben müssen?" "Ich weiß es nicht", gestand Markos, lehnte seine Stirn an die seiner Frau, schlang seine Arme fest um ihren zierlichen Körper, der noch immer der Leib einer Kriegerin war. "Aber, ich muss es doch wenigstens versuchen. Ich habe die Zukunft gesehen, Nima. Meere aus Blut, tote Körper, verbrannte Erde. So etwas kann ich nicht einfach ignorieren..." "Hast du gesehen, ob deine Opfer überhaupt einen Hauch von Erfolg mit sich tragen werden? Kannst du mir versichern, dass ich dich heute nicht das letzte Mal sehe?" "Nein, und würde ich dir andere Dinge versprechen, so wären es Lügen." Stumme nickte Nima, schloss den kraftlosen Körper ihres Mannes in ihre Arme. Sanftes Licht durchflutete ihre Adern, sie fühlte, wie der Stein ihrer Mutter sich leicht erwärmte. Liebe ließ ihn erglühen. Vertrieb für einen kurzen Moment die dunklen Schatten aus ihrem Denken. Sanft küsste sie Markos Stirn. Nima hatte damals gewusst, welche Entbehrungen auf sie zu kommen würden, wenn sie Markos zum Mann nahm. Ihr war bewusst gewesen, wie viel Schmerz und einsame Stunde ihr diese Entscheidung bescheren würden. Nie hatte sie bereut, selbst jetzt in diesem Augenblick nicht. Selbst wenn es das letzte Mal sein sollte, dass sie den Menschen, dem sie ihr Herz geschenkt hatte, sehen sollte. Tief gruben sich die Finger Markos in ihren Umhang, er suchte verzweifelt einen Halt, eine Bestätigung für sein Handeln, doch heute konnte ihm Nima diese nicht geben. Sacht hob sie sein Gesicht an, zeichnete die vertrauten Konturen nach. Strich sanft über sein Haar, seine Wange entlang und ließ ihre Hand letztendlich auf seinem Herzen ruhen. "Ich werde bei dir sein", versicherte sie und lächelte warm. "Ich werde immer bei dir sein, Markos. Egal was auch passiert." Schnell verschloss sie seine Lippen mit den ihren, kostete den Moment aus. Erinnerte sich an eine Zeit, in der all die dunklen Stunden weit entfernt in der Zukunft gelegen hatten. Wie schnell war diese Zeit nur verglüht... Der Winter begann bereits auszuklingen. Die Sonne wurde stärker, drängte die Schneemaßen mit sanfter Gewalt zurück. Noch einen Mondumlauf und er war gänzlich verschwinden. "Ich liebe dich", raunte Markos in ihr Ohr, ein Schauer jagte Nimas Rücken hinab. Sie zitterte sacht, schloss ihre Augen, nickte stumm. Wie töricht sie doch einst war. Ideale, Hoffnungen, Schwüre, all das war im Strudel aus Verwüstung und Leid untergegangen. Niemals würde es zurückkehren, es unwiederbringlich verloren. Beschützend hielt sie den Körper Markos' in ihren Armen, summte leise eine Melodie und in ihrem Kopf echote die zarte Stimme ihrer Mutter wider. "Sag mir was du siehst, wenn du dich umschaust. Siehst du die Flüsse, die Berge, die Wälder, das Licht. Erblickst du die unendliche Weite deiner Heimat. Den Horizont hinter dem feinen Strich aus Rot und Schwarz. Sag mir was du siehst, wenn die Nacht sich in den Tag verwandelt. Erkennst du endlich welch Geschenk uns Zert (*) und Moya (*) einst bescherten, oder bist du immer noch blind..." Klar und deutlich vernahm Nima das alte Lied, welches ihre Mutter immer zu singen gepflegt hatte, was sie selbst nun ihren Töchtern des Nachts sang. Sacht wiegte sie Markos zu dieser Melodie, spürte, dass sich sein erstarrter Körper langsam entspannte. "Hab keine Angst", flüsterte sie ihm leise zu, lächelte schief. "Ich bin bei dir, egal wohin dich dein Weg auch führen mag. Ich liebe dich, Markos. Das wird niemals vergehen." Ergeben küsste Nima Markos auf die Stirn, sah ihm für einen kurzen Moment in die gelbgrünen Augen, in denen langsam die Angst verschwand. Die Schatten krochen zurück, Hoffnung hielt Einzug und entkrampfte den kalten Blick. "Pass auf euch auf. Ich befürchte, dieses Mal werden sie selbst in solch einsame Regionen vordringen. Du weißt, was zu tun ist." "Natürlich", erklang Nimas Stimme leicht ärgerlich. "Wir werden weiter ins Hochgebirge hinauf ziehen. Und sollte es nicht anderes gehen, ich trage das Schwert meines Vaters nicht umsonst." Ein verhaltenes Lachen entfuhr Markos, er nickte, blickte sich um. Es war Zeit zu gehen. Zögernd nahm er das Gesicht seiner Frau zwischen seine Hände, küsste sie. Sein Verstand versuchte dieses Gefühl fest in sich aufzunehmen, es tief in einem geheimen Ort zu bewahren, damit er sich in dunklen Stunden daran erinnern konnte. Seufzend löste sich Markos von Nima, drückte ihre Hand und wandte sich zum gehen. Langsam rutschten ihre Hände auseinander, kurz berührten sich ihre Fingerspitzen. Je ließ Einsamkeit das Herz Markos schwer werden, doch er blickte sich nicht um. Mit unsicheren Schritten ging er auf sein Pferd zu. Unruhig tänzelte die braune Stute hin und her, blähte die Nüstern und schnaubte laut. Beruhigend tätschelte Markos den bebenden Hals des Tieres, schwang sich dann auf ihren Rücken. Unruhig wanderte sein Blick zu seinen Gefährten. Männer verabschiedeten sich von ihren Frauen, Kindern und Angehörigen. Wer konnte schon sagen, wann man sich wieder sah. Nachdenklich beobachtete Markos Ragan, wie dieser seinem kleinen Sohn die Stirn küsste und seine Frau fest in die Arme schloss. Trauer spiegelte sich in jedem Gesicht wider. Anklagend waren ihre Gesten, ängstlich ihre Mimen. Markos war sich der Tatsache wohl bewusst, dass er für jedes Opfer Rechenschaft ablegen musste. Nicht nur vor den Menschen, eines Tages womöglich auch vor den Göttern. "Vorwärts." Laut hallte die kräftige Stimme Ragans über den kleinen Platz. Sprach das Wort, für das Markos in diesem Moment die Kraft fehlte. Die Hufe der Pferde gruben sich tief in den Schnee, Schwerter klapperten und leise Stimmen schallten der Gruppe hinter her. Schweigend ritten Markos und Ragan an der Spitze, keiner von beiden war in diesem Moment in der Lage Worte zu finden. Stumm gaben sie sich Hoffnung. Verstört tastete sich Markos Hand zu seinem Stein, umschlossen ihn fest. Ein kräftiges Glühen ging von ihm aus. Durchflutete seinen Körper mit warmer vertrauter Energie. "Ich bin bei dir", flüsterte die feine Stimme Nimas in seinem Bewusstsein. "Sorge dich nicht. Es wird eine Heimat auf dich warten, unsere Heimat. Ich weiß es, wir sehen uns wieder. Wo es auch sein mag, ich werde auf dich warten, Markos. Ich werde dort auf dich warten..." Schwerfällig stieg der kräftige Mann von seinem schwarzen Hengst. Die Sonne zauberte auf seinen Brustpanzer helle Lichtreflexe. Sein Gesicht wirkte müde, doch es strahlte gleichermaßen Stärke und Weisheit aus. Fasziniert beobachtete Ryan diese Erscheinung. Schon oft hatte sie sich gefragt, wie wohl Ayeshas Vater aussehen mochte. Hatte gerätselt, wem Ayesha ihre Anmut und von welchem Elternteil sie ihre Stärke zu verdanken hatte. Nun, da ihre Augen diesen Mann erblickten, wusste sie es. Ebenso wie einst Wido, strahlte er eine besondere Art aus. Es schien das normalste der Welt zu sein, dass auch Arlon diese allgegenwärtige beschützende Aura umgab. Er würde den Tod vorziehen, wenn es dadurch möglich war, sein Kind zu retten. Seine gesamte Haltung bestätigte Ryan in dieser Vermutung. Er war ein Krieger, selbst das Rad der Zeit hatte diese Ausstrahlung nicht trüben können. Angespannt atmete Ryan durch, ihr Atem bildete kleine heiße Wolken. Sie spürte den verwirrten Blick Arlons, der nur ihr galt. Nachdenklich schien er seine Stirn in Falten zu legen, musterte sie scharf. Nervös blickte Ryan zu Ayesha hinüber, die langsam auf ihren Vater zu lief. Ihre Gesichtszüge wirkten versteinert, ihre Körperhaltung angespannt. "Was hat sie nur, Loba?" fragte Ryan ihre Weggefährtin, die neben ihr saß und ihren Kopf an Ryans Oberschenkel schmiegte. "Sie wirkt verstört, fast als würde sie vor irgendetwas Angst haben. So kenne ich sie gar nicht." Leise jaulte die Wölfin, leckte mit ihrer rauen Zunge über Ryans Handrücken. "Du weißt es also auch nicht", sanft kraulten ihre Finger die Wölfin hinter deren Ohr. "Auch wenn es uns nicht gefällt, wir werden warten müssen, bis Ayesha gewillt ist, es uns zu erzählen." Augenblicklich schüttelte Loba ihren struppigen Kopf, ihre Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen. Ihr schien diese Feststellung nicht sonderlich zu gefallen. Seufzend beugte sich Ryan zu dem Tier hinab und flüsterte ihr zu: "Mir gefällt das auch nicht, altes Mädchen. Ich bin mir sicher, wir werden es früh genug erfahren." Sacht hob Loba ihr Vorderbein an, drückte ihre nasse Pfote gegen Ryans Schulter. Stumm gab die Wölfin ihr Einverständnis, sie würde ebenso warten, bis das gütige Mädchen sich ihnen aus eigenem Willen öffnete. Ryan lächelte warm, nickte Loba zu und schlang einen Arm um den Körper des Tieres. Nervös gruben sich ihre Finger in das dicke, schwarze Fell. Als lautloser Beobachter wohnte sie bei. Mehr war ihr in dieser Situation nicht zu gedacht, sie konnte Ayesha weder helfen noch ihr die Angst nehmen. Sie war dazu verdammt untätig auf ihrem Platz zu verweilen. Stumm sah sie zu, wie sich die Arme Arlons um den zierlichen Körper Ayeshas legten, sie fest an sich drückten. Zärtlich glitten kräftige Finger durch das schwarze Haar. Plötzliche Eifersucht brannte sich in Ryans Fleisch, ließ ihren Körper zusammen fahren. Was war nur los mit ihr? Woher kam dieser Unmut? Ayesha öffnete ihren Mund, ihre Lippen formten Worte, für welche Ryan zu weit fort war. Sie konnte nur ein schwaches Flüstern im Wind wahrnehmen. Je wandte Arlon ihr sein Gesicht zu. Die anfängliche Verwirrtheit in seinen Augen verwandelte sich in bittere Klarheit. Seine Mimik änderte sich nicht, sie blieb müde und ausdruckslos. Schweigend nahm er seine Tochter bei der Hand, gemeinsam liefen sie langsam auf Ryan und Loba zu. Mit jedem Schritt, den Vater und Tochter näher kamen, verkrampften sich Ryans Muskeln. Ihre Finger umklammerten den Leib der Wölfin. Ein Scharfer Windhauch jagte einen Schauder durch ihren Körper. Zitternd saß sie da, bemerkte anfangs nicht, dass Loba mit ihrer Schnauze energisch gegen ihre Schulter stupste. Irritierter setzte sich Ryan auf, blinzelte leicht. Dicht stand nun der Vater Ayeshas vor ihr. Sein Gesicht war genauso verschlossen wie das seiner Tochter. Ihre Wangen zierte eine ungesunde Blässe. "Seid willkommen in meinem Dorf", sprach Arlon und nickte Ryan zu. "Verzeiht, aber bevor ich mich mit euch befasse, müssen meine Tochter und ich einige wichtige Anliegen besprechen. Wir werden sicher noch öfter das Vergnügen haben." Bevor Ryan antworten konnte, ging Arlon weiter. Ayesha wandte ihr kurz das Gesicht zu, suchte ihre Augen, dann verschwand sie hinter der schweren Tür des Hauses. "War doch gar nicht so schlimm", brummte Ryan, ihre Stimme schwoll vor Sarkasmus beinahe über. "Komm Loba. Lass uns schauen, ob wir für dich etwas Essbares finden. Wir werden wohl warten müssen, länger als ich dachte." Drückend lag Schweigen über Ayesha. Unbeweglich wie ein Fels stand sie mitten im Raum. Tief in sich fühlte sie ein immer größer werdendes Unbehagen. Es lähmte ihre Zunge, ihr Atem presste sich zischend durch ihre geschlossenen Lippen hindurch. Ruhig folgten ihre Augen jeder Bewegung ihres Vaters. Arlon wirkte müde und ausgelaugt. Irgendetwas bereitete ihrem Vater unendliche Sorgen, deutlich nahm es Ayesha wahr. Sie vermochte allerdings nicht zu deuten, welche Gedanken Arlon in diesem Moment beschäftigten. Dumpf hallte das Geräusch seiner schweren Reitstiefel zu ihr hinüber. Als wären es kleine Schläge, die auf Ayesha niederfuhren, zuckte sie bei jedem Schritt zusammen. Seufzend wandte Arlon ihr den Rücken zu, starrte kopfschüttelnd aus dem Fenster. Unentschlossen spielte Ayesha mit ihren Fingern, musterte ihren Vater. Sie ertrug dieses Schweigen, das sie eines Steines gleich zu Boden drückte, nicht länger. "Vater", zaghaft sprach sie dieses Wort. Hatte es ihr nicht Jahre lang Trost und Zuversicht gespendet? Nun fürchtete sie sich, es zu gebrauchen. "Was ist mit dir?" Ein verhaltenes Lachen schmückte Arlons Gesicht, sacht neigte er sein Gesicht dem Boden zu. Kraftlos war sein Körper. Nicht die langen Verhandlungen oder die beschwerliche Reise war der Grund dafür, dass er sich in diesem Moment alt fühlte. Nachrichten hatten ihn erreicht, aus allen Himmelsrichtungen drangen sie an seine Ohren. Es war vergebens sich zu wehren, es zu ignorieren. Dämonen flüsterten ihre Botschaften stets leise, aber allgegenwärtig. "Willst du mich jetzt die ganze Zeit hier stehen lassen und kein Wort an mich richten?" Ärger schwang in der Stimme seiner Tochter mit, genau konnte er es hören. Schweigend drehte er sich um, blickte Ayesha lange in ihr Gesicht. Plötzlich erkannte er neue Dinge in ihm. Der Schleier der Unschuld, der Kindlichkeit, war davon geflogen. Ihre Augen waren nicht mehr die, in welche er all die Jahre geblickt hatte. Ein härterer Farbton hatte in ihnen Einzug gehalten. Genau wie es damals bei ihm selbst geschehen war, als er das Erbe seines Vaters angetreten hatte. "Nein", sprach er leise und ging einige Schritte auf sein Gegenüber zu. "Ich will dich sicherlich nicht wortlos hier stehen lassen." "Was ist mit dir?" wiederholte Ayesha ihre Frage, strich über die raue Wange des alten Gesichtes. "Du wirkst so bedrückt." Sanft umfing Arlon die Hand seiner Tochter, schwieg jedoch auf ihre Frage. Wie sollte er ihr auch schlechte Nachrichten überbringen? Nachrichten, die ihn selbst so sehr ängstigten, dass es ihm die Sprache verschlug. Heftig begannen seine Hände zu zittern, fieberhaft suchte sein Geist nach den passenden Worten. Wie ein Kind, das erst überlegen muss bevor es ein Wort spricht, stand Arlon da. Doch in seinem Verstand existierte kein Wort, das schonend in der Lage war seiner Tochter zu berichten, welche dunklen Stunden ihnen bevorstanden. "Ist es wegen ihr?" Kaum zu vernehmen war die Frage Ayeshas. Ängstlich waren diese Worte gesprochen, von einer Furcht getrieben, die so alt wie die Welt war. Augenblicklich hob Arlon seinen Blick an, seine Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen. "Nein", seufzte er und ließ seine Schultern hängen. "Sie ist wahrlich nicht der Grund für meinen Unmut. Auch wenn mir zu getragen wurde, dass du deine Pflichten arg vernachlässigt hast seit sie hier weilt. Einige fürchten sich vor ihr, doch das ist es nicht. Über diesen Zustand werden wir noch sprechen, wenn die Zeit gekommen ist." Verwirrt stand Ayesha da, sie ahnte wer ihrem Vater Bericht erstattet hatte. Wut schäumte in ihr auf. "Leta", dachte sie und versuchte sich ihren Zorn nicht anmerken zu lassen. "Du alte Hexe. Dafür wirst du mir Rechenschaft ablegen müssen. Irgendwann..." "Ayesha." Die erstarkte Stimme ihres Vaters holte Ayesha zurück aus ihren Gedanken. Sie schüttelte die Wut von sich ab. "Der Hohe Rat der Wölfe wurde ausgelöscht. Alle sind tot, ermordet von einem der ihren." "Was", stieß Ayesha aus. Angst bemächtigte sich ihren Gliedern, ihre Finger verkrampften sich zu eisigen Klauen. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Blass und starr vor Schreck starrte sie ihren Vater an. "Die Stämme rotten sich zusammen. Boten reisen durch das Land, verständigen jeden fähigen Krieger. Dunkle Stunden kommen auf uns zu. Krieg wird unser Land überziehen ehe der Schnee vollends geschmolzen ist." Arlon vollführte eine hilflose Geste, fuhr sich dann ratlos mit seiner rechten über den ergrauten Bart. Der einst so stolze und kraftvolle Krieger wirkte in diesem Augenblick hilflos. "Man hat mich bereits um Unterstützung gebeten. Ein Bote überbrachte mir die Nachricht bereits vor einigen Tagen..." "Du hast diesem idiotischen Tun doch nicht etwa deine Zustimmung gegeben, oder?" unterbrach Ayesha ihren Vater barsch. "Doch", erwiderte Arlon ruhig und gefasst. "Ich habe mein Wort gegeben und dieses werde ich auch halten." "Vater, du bist wahnsinnig geworden", Zorn und Angst färbten eine zarte Röte auf Ayeshas Wangen. Fest ballte sie ihre Hände zu Fäusten. "Das kann nicht dein ernst sein. Du willst in den Krieg ziehen? Mit unseren letzten Kriegern, haben dich die Götter mit Verwirrtheit geschlagen?" "Hüte deine Zunge, Tochter", scharf durchschnitt Arlons Stimme die Luft. Für einen kurzen Moment kehrte etwas der alten Stärke in seine Glieder zurück. Bedrohlich baute er sich vor Ayesha auf. In seinen Augen funkelte Wut. "Ich habe mein Wort gegeben und zu diesem werde ich auch stehen. Du begreifst wohl nicht, dass wir es versuchen müssen. Der Untergang des Hohen Rates hat bei vielen ogronischen Fürsten Unmut und Verwirrtheit ausgelöst. Wenn wir diesen Umstand verstreichen lassen, wäre es Narretei!" Je zog Arlon seine Tochter fest in seine Arme, strich ihr verzweifelt über das schwarze Haar und flüsterte leise: "Ayesha, ich brauche nun deine Hilfe. Du hast deine Sache gut gemacht. Ich brauche dich hier, du musst die Stellung für mich halten. Bitte, Kind, hilf mir." Steif lag Ayesha in den Armen ihres Vaters. Lange brauchte ihr Verstand um all das gesagte zu ordnen. Sich den Ausmaßen dieser Ereignisse zu stellen. Krieg, Ayesha wusste was dieses Wort bedeutete. Sie war ein Kind des Krieges, ihr ganzes Leben lang war sie eine Gefangene gewesen. Wahre Freiheit war ihr so unbekannt, wie für den Winter der Sommer. Doch, was würde sich alles verändern. Welche Entbehrungen würden auf sie zu kommen. Wie viele würden womöglich ihr Leben lassen. "Wird Ryan dann auch gehen", dieser Gedanke war kaum länger als ein Augenaufschlag. Er schnitt Ayesha so tief ins Fleisch, dass sie dem Irrglauben verfiel, sie würde davon bluten. "Hilf mir, Ayesha. Ich brauche dich jetzt." Zitternd nickte Ayesha, schlag ihre Arme fest um den Körper ihres Vaters. "Ich werde hier bleiben", raunte sie ihm zu und spürte, wie er lächelte. "Ich werde hier bleiben und dafür Sorge tragen, dass niemandem etwas geschieht." Arlon lächelte seine Tochter glücklich an, nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände und küsste sie auf die Stirn. "Ich bin stolz auf dich", sagte er und seine Augen verbanden sich mit Ayeshas zu einem liebevollen Blick. "Ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann." Widerstrebend nickte Ayesha, nahm Arlon wortlos in den Arme. Durch ihren Geist rasten Gedankenfetzen. Nur Bruchstücke, aber für Ayesha waren sie so deutlich wie körperlicher Schmerz. "Gefangen", dachte sie und verzog ihren Mund vor Bitterkeit. "Auf die eine oder andere Weise werde ich es immer sein." Gedankenverloren schweifte ihr Blick zu dem Fenster hinüber. Weit war der Ausblick, sie erkannte die Felsen, den See, den Wald. Es war wehrt dafür zu kämpfen, doch war es auch wert, sein Leben dafür zu geben? Ayesha schluckte hart, sie konnte sich diese Frage nicht beantworten. Es würde aber nicht lang dauern und man würde ihr Antwort geben. Die Welt selbst würde es tun, genau in dem Moment, wenn das erste vergossene Blut in die Erde einsickern würde. Ja, in diesem Augenblick würde sie eine Antwort erhalten. Scharf sog der dunkle Schatten die Luft in seine Lungen ein. Sein gesamter Körper vibrierte vor Anspannung und Vorfreude. Probeweise zog er sein Schwert aus der Scheide, schwang es ein paar Mal durch die Luft. Das Gewicht der Waffe lag schwer in seiner Hand, er genoss dieses Gefühl. Es war eine Art von Macht, die man nicht kaufen konnte. Überlegenheit, das war es. Die Überlegenheit über einen Gegner, bevor man ihm das Lebenslicht aushauchte. Er lächelte. "Einfältiger Welpe", spie Katlar verächtlich aus und steckte sein Schwert wieder fort. "Gerin, ich wusste es. Du wirst alles mit dir in den Untergang reißen. Dummer Junge." Wut übermannte Katlars Körper. Wut über diesen naiven, dummen Jungen, der sein Bruder nun einmal war und immer sein würde. "Ich hätte das alles verhindern müssen", schallte er sich selbst. "Einst hatte ich dir Chance dazu, doch ich vergab sie. Es tut mir leid, Bruder. Es tut mir leid..." Seufzend wandte Katlar der untergehenden Sonne sein Gesicht zu. Die roten Strahlen streichelten seine von Narben übersäte Haut. Genüsslich wärmte er sich in dem Licht. Seit er die Nachricht vom Sturz des Hohen Rates erhalten hatte, war er auf der Reise. Die Grenze zum Eismeer lag nun schon weit hinter ihm, in einer Woche würde er Kalmas erreichen. Die Götter schenkten ihm günstiges Reisewetter, als wollten sie, dass Katlar die Hauptstadt so schnell wie möglich erreichte. Was dort auf ihn warten mochte, darüber hatte Katlar sich noch keine Gedanken gemacht. Er wusste um den Unmut, die Wut und die Rachelust einiger ogronischer Fürsten und Generäle. Sein Bruder hatte sich nicht überall Freunde gemacht, viele Feinde versteckten sich hinter lächelnden und anerkennenden Masken. Darauf lauernd, wann sie Gerin eine Klinge in den Rücken rammen konnten. Menschen dürstete es von jeher nach Macht und sie vergasen selbst Familienbande und Freunde, wenn es darum ging, eben diese zu erreichen. Es waren nur unbedeutende Opfer auf einem langen Weg zum Ruhm, wer wusste das besser als er selbst? Über seine Schulter schenkte Katlar seinem Pferd einen prüfenden Blick. Das Tier wirkte müde, doch es hatte noch eine weite Strecke vor sich. Genau wie er gab es auch für die Stute keine lange Pause. Katlar würde erst zu frieden sein, wenn er in Kalmas unbeschadet ankam und seinen Bruder zur Rede stellen konnte. Ja, erst dann würde er Ruhe geben. "Das ist dein kleiner Bruder Gerin, Katlar. Du musst immer auf ihn achten und ihn lieben. Das tun Brüder so, mein Junge. Du darfst nie zu lassen, dass ihm etwas geschieht. Nie..." Klar erinnerte sich Katlar an die Worte seines Vaters, damals, als Gerin geboren worden war. Er hatte seinen Schwur gebrochen, nicht nur einmal. Versagt, das hatte er. Schwer atmete Katlar durch, wandte sich um. Sein schwerer, schwarzer Mantel wehte wie die Schwingen eines Rabens im Wind. "Was ist nur aus uns geworden, Gerin?" fragte er sich selbst. "Zu welchen Verlons (*) sind wir nur geworden?" Mit einem heftigen Ruck schwang er sich auf das Tier, tätschelte der erschöpften Stute den Hals und gab ihr die Sporen. Das Pferd wirrte laut auf und trabte los. Kalter Wind schnitt Katlar ins Gesicht, er zog die dunkle Kapuze über den Kopf, verbarg sein Gesicht in ihrem Schatten. "Der Schatten kehrt zurück", flüsterte er in seinen Gedanken. "Es dauert nicht lange, dann sehen wir uns wieder. Früher, als ich dachte." Schnell galoppierte die kräftige Stute über die schneebedeckten Anhöhen. Unermüdlich, wie ihr Reiter, zog es das Tier zu einem bestimmten Punkt. Zu dem Zentrum des Landes. Zu dem Ort, an welchem alles im Umbruch lag und wo das Schicksal von so vielen bereits besiegelt zu sein schien... Verschwommen zeichnete sich die dunkle Silhouette gegen den rötlichen Schein der untergehenden Sonne ab. Je näher Ayesha der Gestalt kam, umso klarer wurden deren Konturen. Tränen verschleierten ihre Sicht. Ihr Körper fühlte sich leer und kalt an. Lange hatte sie mit ihrem Vater gebrochen. Seinen Ausführungen gelauscht und in ihr auf die Erkenntnis aufgekeimt, dass es kein zurück mehr gab. Für niemanden. Ihr Geist sehnte sich nun nach Wärme und Geborgenheit, nach einem tröstlichen Frieden. Zärtlich schlang sie ihre Arme um den anderen Körper, vergrub ihr Gesicht an dem starken Rücken. Tränen brannten auf ihren kalten Wangen. Eine weitere Hand legte sich auf die ihre, streichelte sie tröstend, beinahe wissend. "Dein Vater bringt schlechte Nachricht mit sich, oder?" fragte Ryan leise und wandte sich Ayesha zu. Erblickte ihre geröteten Augen, ihren zitternden Körper. "Was ist geschehen Ayesha? Sag es mir, bitte." Anstelle einer Antwort warf sich Ayesha in Ryans Arme, hielt sich an deren Körper fest. "Der Hohe Rat der Ogronier ist gefallen", wisperte sie mit erstickter Stimme. "Die Stämme wollen das ausnutzen. Es wird Krieg geben, Ryan. Krieg..." "Das war es also", murmelte Ryan leise und streichelte Ayesha beruhigend über ihren Hinterkopf. "Wie meinst du das?" "Ich habe gespürt, dass etwas in der Luft liegt. Etwas, dessen Ausmaße uns nicht bewusst ist. Jedoch hatte ich nicht im Entferntesten damit gerechnet." "Dich überrascht das alles nicht?" fragte Ayesha, sah Ryan verwirrt an. Ihr war schon aufgefallen, dass sich Ryan verändert hatte. Nur war ihr nicht bewusst gewesen, wie tief diese Veränderung zu gehen schien. "Nein, es überrascht mich nicht. Irgendwann musste es kommen. Es ist so gewollt, ich bin mir sicher." Schweigend senkte Ayesha ihren Blick. Immer noch war ihr Körper in dieser Angst gefangen. In der Angst, dass auch Ryan fortgehen könnte. Sie alleine ließ, womöglich den Tod finden würde. So sehr sie sich auch bemühte, sie konnte diesen Gedanken nicht verdrängen. Er kehrte immer wieder zurück, ängstigte sie bis aufs Mark und ließ ihren Körper erstarren. "Ich werde nicht gehen..." Vor Schreck zuckte Ayesha zusammen, musterte Ryan kritisch und furchte ihre Stirn. Konnte sie nun auch schon ihre Gedanken lesen? Sanft umfing Ryan Ayeshas Gesicht mit ihren Händen, zwang sie, sie anzusehen. "Ayesha, ich hab dir geschworen, dass ich nicht mehr fortgehen werde. Dieses Mal werde ich mein Versprechen halten. Mein Platz ist bei dir, wo das auch immer sein mag." Aufmunternd lächelte Ryan auf Ayesha hinab. Sie war sich im Klaren darüber, welch ein Versprechen sie eben gegeben hatte. Doch Ryan wollte es so, sie selbst wünschte sich aus tiefsten Herzen hier zu bleiben. Sie konnte diesen Menschen nicht mehr alleine lassen. Sacht zog sie Ayeshas Gesicht an das ihre und küsste sie. Die Kälte verschwand langsam aus den Gliedern ihres Gegenübers. Ein scheues Lächeln zeigte sich auf Ayeshas Lippen, für einen Moment schloss sie ihre Augen und barg ihr Gesicht an Ryans Brust. "Kannst du mich jetzt einfach einen Augenblick halten", bat sie und schlang ihre Arme noch fester um Ryans Leib. "Ich will einfach nicht mehr denken. Nur noch vergessen." Schweigend nickte Ryan, wiegte Ayesha leise hin und her. Ihr Blick verlor sich in dem Farbenspiel des Himmels. Sie presste die Lippen aufeinander, vermied es zu sprechen. Sie wollte diese tröstliche Stille zwischen ihnen nicht zerstören. Wozu auch sprechen, es war alles gesagt. Das Rad des Schicksals drehte sich unaufhörlich weiter. In welche Richtung es ausschlagen würde, dass konnte niemand sagen. Stunden des Schmerzes kamen unaufhaltsam auf sie zu, sich zu wehren war vergeblich. "Ich lasse dich nicht alleine", dachte Ryan, küsste flüchtig Ayeshas Haar. "Keine Macht der Welt wird mich dazu zwingen können. Egal was geschehen wird, ich werde bleiben. Bei allem was mir lieb und teuer ist, dieses Mal werde ich mich nicht in etwas ergeben. Die Zeit des Davonlaufens ist endgültig vorbei. Ich schwöre es dir, Ayesha. Ich werde dich nicht alleine lassen, nie wieder..." Erklärungen(*): Zert und Moya: Durch die Ehe von Zert (Nacht) und Moya (Tag) wurde am Anbeginn der Zeit das Land geschaffen. Durch die Verbindung der beiden Gegensätze entstand das Leben und die Götterwelt Barolons. So erzählen es Legenden und Lieder. Verlons: Geister der Unterwelt, Diener von Feron. Seelenlose Krieger des Schattenreichs. Sie sind es, die die rastlosen Seelen einfangen und in die Unterwelt entführen. Nachwort: So, nach langer Abstinenz, ein neues Kapitel. Wer hätte das gedacht, ich arbeite immer noch dran. Erst einmal möchte ich mich entschuldigen, dass ich mir so lange Zeit gelassen hab. Aber ich hatte leider zu viel um die Ohren, um weiter schreiben zu können, ohne das es ein Krampf wird. Und genau das soll es ja nicht werden, oder? Na ja, ich hoffe, einigen wird dieses Kapitel gefallen. Ich selbst weiß dieses Mal nicht so recht, was ich davon halten soll. Alles was ich hoffe, ist, dass das "Niveau" nicht nachgelassen hat. Kam das, was ich mit "Heimat" ausdrücken wollte ein bisschen rüber? Schade wenn nicht... Wie immer gehen Grüße raus, aber jetzt hoffe ich einfach mal drauf, dass diejenigen die ich meine, sich auch angesprochen fühlen! Ach, bevor ich es vergesse, ich hab das alles jetzt in zwei Tage abgetippt und die Uhrzeit hat mich nicht so scharf gemacht, alles noch mal nach Fehlern durch zu sehen. Deshalb, wenn ihr welche findet, sagt es mir. Werden 100 % verbessert! Danke, dass ein paar dieses Kapitel gelesen haben. Bis bald, seen. © 2004 by seen Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)