Itsuwari no Kamen / The World is ugly (but you are beautiful to me) von abgemeldet ((Frank x Tsuzuku)) ================================================================================ Kapitel 5: We are all a bunch of liars, tell me baby, who do you wanna be? -------------------------------------------------------------------------- We are all a bunch of liars, tell me baby, who do you wanna be? Tsuzukus POV Der Abend des dritten Tages nach meiner eher unfreiwilligen Bekanntschaft mit Frank war düster und verregnet, doch ich mochte es. Es spiegelte meine Verfassung wieder, eintönig und trist. Wie so oft stand ich an dem Fenster neben meinem Bett, blickte auf die grauen, nassen Straßen der Stadt nieder und genoss den Geschmack des Tabaks, welchen mir die Zigarette in meiner rechten Hand stiftete. Es war meine letzte und eigentlich hätte ich schon längst neue kaufen sollen, doch wovon? In den letzten Tagen hatte ich keine noch so erniedrigenden Arbeiten bekommen, um mir wenigstens etwas Geld zu verdienen, welches ja bei mir ohnehin schon knapp vorhanden war. Auf meine Besuche in meiner Stammbar hatte ich dennoch nicht verzichten müssen, hatte ich mir doch immer wieder die richtigen Frauen gesucht, die nur zu gern dazu bereit waren mir einen Drink auszugeben, doch dabei war es auch geblieben, nach mehr stand mir einfach nicht der Sinn, weshalb ich die Nächte letztendlich doch allein verbracht hatte. Die Schwellung an meiner Lippe war zwar bereits etwas abgeklungen, trotzdem bereiteten sie und meine Nase mir permanente Kopfschmerzen. Verärgert über die Gesamtsituation blies ich ein wenig Rauch in die frische Novemberluft, da meldete sich mein Magen zu Worte. Emotionslos drückte ich den Glimmstängel aus und ließ ihn achtlos in die Tiefe Richtung Hinterhof fallen, eh ich mich umwandte, das Fenster schloss und meinen sich matt fühlenden Körper Richtung Küche, beziehungsweise Kühlschrank dirigierte. Anders als sonst fand ich keine Leere vor; der kleine Braunhaarige war nicht zimperlich beim Einkaufen gewesen. Ich hatte die Wahl zwischen verschiedenem frischen Gemüse, Joghurt, einem halben Kilo Fleisch und Sushi. Zudem hatte er Reis, Brot und Mineralwasser gekauft. Warum er das getan hatte war mir zwar immer noch sehr schleierhaft aber solange er im Gegenzug nichts weiter als einen Drink und ein Gespräch verlangte, sollte es mir recht sein. Vom sich mir bietenden Angebot jedoch wenig angesprochen nahm ich einen der kleinen Joghurts heraus, griff in die klemmende Schublade des kleinen Küchenschrankes und lehnte mich an die Arbeitsfläche. In meiner Wohnung war es recht schummrig, da das Licht nicht eingeschaltet war. Es funktionierte noch — zumindest ging ich mal davon aus — allerdings vertrug es sich nicht mit dem Pochen in meinem Kopf. Das kühle Milchprodukt, welches ich nun gemächlich auslöffelte, wirkte wie Balsam auf mein schmerzendes Haupt und meinen Magen, welcher fürs erste wieder ruhiggestellt war. In Gedanken nachgrübelnd, wie ich wohl auf die Schnelle Geld für neue Zigaretten auftreiben könnte, wanderte ich weiter ins Bad, den leeren Plastikbecher bereits entsorgt. Die grauen Fliesen des nahezu winzigen Badezimmers wiesen hier und da kleine Kalkflecken und auch Risse auf und einige der Halterungen des Duschvorhanges waren defekt, sodass dieser an einer Seite schlaff herunter hing. Was Frank wohl von mir hielt seitdem er dieses —ja, ein Loch konnte man es nennen — gesehen hatte? Eigentlich konnte es mir ja egal sein, und doch schämte ich mich. Ich schämte mich vor diesem jungen Kerl, den ich kaum kannte, vor diesem jungen Kerl, dem ich etwas schuldete, vor dem, der so deplatziert an diesem Ort gewirkt hatte und der mir partout nicht aus dem Sinn ging. Müde warf ich einen flüchtigen Blick in den Spiegel über dem Waschbecken und wusch mir mit kaltem Wasser übers Gesicht — warmes ging ja sowieso nicht — um einen klaren Kopf zu bekommen und Frank aus meinen Gedanken zu verbannen. Allerdings blieb die gewünschte Wirkung meines Vorgehens aus, sodass ich entnervt das Wasser abstellte, mein blasses Gesicht vorsichtig abtrocknete und zurück zum Wohnbereich stapfte, um meine Joggingshose gegen eine alte Jeans zu tauschen, mir Schuhe anzuziehen und mir meine Jacke zu schnappen. Ein Blick auf die nervtötende Uhr verriet mir, dass es bereits 20 Uhr war und ich mich langsam aber sicher auf den Weg machen konnte, allerdings nicht, ohne vorher noch einmal sämtliche Nischen und Ritzen in meiner Residenz nach Geld abzusuchen. Tatsächlich bekam ich einige hundert Yen zusammen, die zwar für meine Geliebten Nikotinlieferanten nicht reichten, dafür aber für einige Gläser des begehrten Alkohols. Sobald ich die Tür des Wohnblocks hinter mir ins Schloss zog, schlug mir der kalte Regen entgegen. Einen Schirm hatte ich nicht, mein Ziel lag allerdings eh nicht weit von hier entfernt, so zog ich die Schultern ein Stück an, senkte den Kopf und lief die Hände in den Taschen die Straße entlang. Hin und wieder rammte ich einige Passanten, welche mir ein "Pass doch auf" oder ähnliches entgegenbrummten, was ich allerdings stets unkommentiert ließ; sollten sie doch selber aufpassen. Die paar Münzen in meiner Jackentasche fest umklammert und die Haare vom Regen durchnässt kam ich nach einigen Minuten an der erst mäßig gefüllten Bar an. Ehrlich gesagt ging ich nicht davon aus, heute auf den Ich-bin-ein-guter-Mensch-und-helfe-gerne-einfach-so-Typen zu treffen, denn mein mühsam ersuchtes Geld wollte ich nicht teilen müssen und auf irgendein dämliches Gespräch hatte ich auch nicht wirklich Lust. Doch wie so oft im Leben ging es natürlich nicht danach, wie es einem grade am besten in den Kram passt.... Frank's POV „Morgen Abend schon?" Mit geknicktem Blick sah ich Jake an, welcher mir gegenüber an einem der vielen Tische im Speisesaal des Hotels saß und — genau wie ich —grade versuchte, die Nudeln mithilfe der Stäbchen irgendwie ohne zu kleckern in seinen Mund zu befördern, nur dass meine Wenigkeit sich dabei wesentlich geschickter anstellte. „Ja, leider....ich finds auch schade, aber wenn dir langweilig ist, kannst du ja wieder Gitarre spielen gehen" ,versuchte mich mein grade erst neugewonnener Freund aufzumuntern. Mit einem demonstrativen Blick aus dem Fenster deutete ich ihm, dass das nicht grade hilfreich war, denn es regnete fast ununterbrochen. „Du könntest auch diesen Typen da besuchen. Wie war sein Name doch gleich? Shizuku?" „Tsuzuku", korrigierte ich und schwups waren meine Gedanken ganz und gar auf den Schwarzhaarigen fokussiert. Auf seine Tattoos, seinen Blick, in dem neben der Lethargie und Ablehnung noch etwas ganz anderes lag, was ich allerdings nicht so ganz hatte deuten können... Er tat mir so leid mit der miserablen Situation in der er offensichtlich stecken musste und ich hatte so viele Fragen an ihn, über seine Vergangenheit, über die Typen, die ihn zusammengeschlagen hatten, über seine Familie — wenn er denn eine hatte. Doch um jeden Preis wollte ich ihm unbedingt helfen, sein Leben in den Griff zu bekommen. Ich selbst wusste nur zu gut, wie es ist, niemanden zu haben, sich in einer scheinbar ausweglosen Situation zu befinden...und ich wusste auch, wie wichtig Unterstützung und Fürsorge in so einer Situation war. Natürlich war es alles andere als verwunderlich, dass Tsuzuku nicht sehr erfreut über meinen Aufenthalt in seiner Wohnung gewesen war, aber wenn ich jetzt so darüber nachdachte, konnte ich es ihm kaum noch übel nehmen. Schließlich war ich ihm völlig fremd gewesen und hätte ja sonst was für Absichten gehabt haben können. Dabei waren alle meine Absichten durch und durch gut gewesen. „Frank?" „Äh...j-ja?" „Ich hab gefragt, wann du dich mit Tsuzuki triffst", erklärte Jake mir, welcher es tatsächlich geschafft hatte, sich einige Ladungen voll Nudeln einzuverleiben, und lächelte „Tut mir leid, ich war wohl in Gedanken...er heißt übrigens immer noch Tsuzukuuuuu, mit U am Ende", erwiderte ich nun das Lächeln. „Eigentlich wollte ich heute in die Bar gehen, aber ich weiß noch nicht...Wie lange wartet man denn bei sowas? Ich will ja nicht aufdringlich wirken aber irgendwie hab ich keine Lust länger zu warten, verstehst du?" Verzweifelt spielte ich mit der Papierserviette in meinen Händen und riss sie eher unbewusst in immer mehr, immer kleinere Stückchen. „Oh Frank, komm mal wieder runter! Es ist doch kein...kein Date oder sowas! Kein Grund sich so verrückt zu machen." „Ich weiß..", nuschelte ich meine Antwort. Er hatte Recht, es war ja tatsächlich kein Date, Tsuzuku würde mir lediglich einen Drink ausgeben und mir einige meiner Fragen beantworten, und das auch hoffentlich wahrheitsgemäß. „Dann geh ich heute Abend hin...?" Nun blickte ich von dem weißen Schnipsel-Haufen vor mir auf und registrierte das optimistische Nicken meines Gegenübers. Jener schien meine immer noch vorhandene Unsicherheit zu bemerken. „Jap, das wirst du und wenn ich dich eigenhändig dahin schleife, deine ganzen Sorgen wegen dem Kerl sind ja kaum noch zu ertragen. Aber warum liegt dir so viel daran, ihm zu helfen? Er ist doch nur ein völlig fremder Einheimischer in dieser riesigen Metropole, bei dem eben nicht alles glatt läuft. Du wusstest nichts über ihn und hast dir trotzdem den Allerwertesten für ihn aufgerissen...warum?" „Wenn ich das wüsste.....es ist halt...naja also ich hatte ihn ja schon einmal gesehen und es war als ob — jetzt lach nicht —, als ob das Schicksal gewesen wäre, dass ich ihm wiederbegegnet bin." Jetzt musste ich selber etwas amüsiert über meine Aussage grinsen, mein Gegenüber verkniff es sich weitestgehend, weshalb ich dankbar fortfuhr. „Es kann doch kein Zufall gewesen sein...meiner Meinung nach gibt es keine Zufälle, Jake. Er braucht Hilfe, jemanden der ihn stützt, auch wenn er selber sich das vielleicht nicht eingestehen will, und ich werde dieser jemand sein, ob es dem werten Herrn Takayama passt oder nicht!" Mit diesen Worten stand ich energisch, fast schon theatralisch von meinem Stuhl auf, nahm die beiden leeren Schüsseln ineinander gestellt in die eine, und mein Servietten Kunstwerk in die andere Hand und machte mich auf den Weg zu den Geschirrwägelchen. Ich hatte mir also das Ziel gesetzt diesem Menschen unter die Arme zu greifen und wenn ich mir erstmal etwas in den Kopf gesetzt habe, dann konnte daran auch niemand mehr was machen, denn es wurde konsequent durchgezogen. Allerdings wusste ich selbst nicht so ganz wie mein Vorhaben aufgehen sollte, immerhin hatte ich nur noch knapp eine Woche hier zu verbringen und diese Zeit würde sicherlich nicht reichen...mir würde schon noch was einfallen, da war ich mir sicher. Auch Jakes Bemerkung, dass ich ja nichts über ihn wisse, war für mich mehr oder minder ungültig. Fremde sind ja schließlich unbekannte Freunde, nicht wahr? Also konnte sich besagter Umstand ändern lassen. Wieder am Tisch angekommen, wechselte ich geschickt das Thema, immerhin machte ich mir aus irgendwelchen Gründen auch so schon genug Gedanken um diesen faszinierenden jungen Mann.... „Bringst du Clarissa eigentlich was mit? Also 'n Souvenir oder so?" „Ja natürlich!" Jake lächelte seelig beim Gedanken an seine Freundin; hatte er mir doch erst ein paar Tage zuvor von seinem Leid mit ihr erzählt....ich musste es nicht verstehen, wahrscheinlich war das einfach so in der Liebe... Mit einem neugierigen Blick animierte ich den Dunkelblonden, weiter zu reden. „Ich hab ihr eine Kette gekauft, mit Saphiren, das sind ihr Lieblingsedelsteine", erklärte er. Ich stieß einen leisen, anerkennenden Pfiff aus. „Da wird sie sich aber bestimmt drüber freuen." „Das hoffe ich...sonst waren die 200 Mäuse um sonst." „Ach, das wird schon." Mit einem schiefen Lächeln im Gesicht blickte mir mein Gegenüber entgegen und auf seine Frage, ob wir uns die Zeit bis zum Abend mit Bowling vertreiben wollen, bejahte ich freudig. Ich liebte Bowlen und war folglich relativ gut, doch auch Jake konnte auf der Bahn seine Essstäbchen-Defizite wieder wettmachen. Es war ein Kopf an Kopf rennen, aus welchem ich letztendlich als Verlierer hervorging. „Glückwunsch", nuschelte ich gespielt beleidigt über meine Niederlage, doch sofort fand sich wieder ein Lächeln auf meinem Gesicht ein, auch Jake lachte leise auf und klopfte mir auf die Schulter. „Vielleicht beim nächsten Mal, Kleiner", neckte er mich. Nur weil ich grade mal 1,64m groß war. Pfff.... „Klein, aber oho", konterte ich und boxte ihm leicht gegen den Oberarm. Wieder lachten wir, dann warf mein Nebenmann einen Blick auf seine Armbanduhr. „Frank, ich will dich zu nichts drängen, aber es ist schon kurz vor 8 Uhr...willst du dich nicht langsam auf den Weg machen?" - Nur eine Viertelstunde später verließ ich frisch geduscht das Hotelgebäude und machte mich auf den Weg Richtung der Bar, in welcher ich hoffentlich Tsuzuku antreffen würde. Ich hatte mit die ganzen letzten Tage den Kopf darüber zerbrochen, wie es wohl sein würde, ihn wiederzusehen, weshalb ich nun doch zunehmend nervöser wurde, je weiter ich lief. Aber es war eine positive Nervosität, so ähnlich wie Freude fühlte es sich an. Und ja, ich freute mich tatsächlich wieder in die tiefbraunen Augen des Älteren sehen zu können. Denn bis auf das Bowlen vorhin war mein gesamter Tag ziemlich..sagen wir..unschön gewesen. Jake hatte mir offenbart, dass er schon am nächsten Tag abreisen und ich somit die Zeit im Hotel alleine verbringen würde. Zudem hatte ich unwahrscheinlich schlecht geschlafen, was an diesem verdammten Albtraum lag. Es kam leider nicht selten vor, dass ich schlecht träumte, wobei es sich meistens um denselben Traum handelte, aus dem ich jedes Mal unter Tränen und schweißgebadet erwachte. Und die Tatsache, dass es kein richtiger Traum, sondern eher eine Erinnerung war, die mich da heimsuchte, machte das alles nicht wirklich besser. Aber ich hatte gelernt, damit umzugehen, einfach nicht mehr daran zu denken und mich auf das hier und jetzt zu konzentrieren. Kurz schüttelte ich den Kopf, um auch die letzten gefürchteten Bilder aus meinem Kopf zu verbannen, und mein vom Regen leicht durchnässter Pony wirbelte von der einen auf die andere Seite, was ich mit einer routinierten Handbewegung wieder richtete. Und ohne dass ich es wirklich gemerkt hatte, war der gesamte Weg bereits zurückgelegt und ich stand einige Meter vor dem Eingang der schwach beleuchteten Kneipe. Einmal tief durchatmend warf ich einen verstohlenen Blick auf ein paar wenige Personen, die unweit weg an einer Mauer lehnten, sich ausgelassen unterhielten und nach einiger Zeit meinen Blick erwiderten, sodass ich mich abwandte, die Schultern straffte und die letzten Schritte in das Trocken der Bar unsicher überwand. Tsuzukus POV Genießerisch schloss ich die Augen während ich einen weiteren Schluck meiner geliebten Substanz nahm. Das tat so gut...Meine Kopfschmerzen waren mittlerweile fast völlig verschwunden, was auch an dem Alkohol legen könnte. Bereits das zweite Glas der goldenen Flüssigkeit in der Hand sah ich immer wieder ein wenig um mich, in der Hoffnung auf potenzielle Beute, allerdings sah es heute nicht sonderlich gut aus. Ich saß in einer der hinteren Ecken und hatte somit eine gute Übersicht über den gesamten Laden. Meine Lederjacke hatte ich über die Stuhllehne gehängt, damit sie ein wenig trocknen konnte. Ein kurzer Griff in die Spitzen meines Haares verriet mir, dass auch dieses sich fast komplett von der Nässe erholt hatte und nun wieder locker über meine Schultern fiel. Einen weiter Schluck nehmend richtete ich meine Augen wieder auf die sich grade öffnende Eingangstür. Vielleicht verbesserten sich ja gleich die Aussichten auf weibliche Gesellschaft.... Doch die Person, die nun eintrat, war zwar klein und relativ zierlich, bei weitem aber nicht weiblich. Der Junge hatte dunkelbraunes Haar — was nun wirklich nichts Seltenes hier zu sein vermochte —, allerdings war es markant geschnitten. Hinten kürzer, nur der Pony länger, welcher eines der mandelförmigen grünen Augen verdeckte, jedoch sofort mit einer raschen Handbewegung wieder an seinen Platz verwiesen wurde. Verdammt! Ich konnte nur noch darauf hoffen, dass er mich hier hinten nicht entdeckte und sich stattdessen vorne an die Bar setzte. Mein Blick, welchen ich schnell abgewandt hatte, sobald ich Frank erkannt hatte, wanderte nun wieder in dessen Richtung. Er stand immer noch etwas verloren dort vorne und sah sich prüfend um, ganz offensichtlich nach jemanden Ausschau haltend. Nach mir Ausschau haltend. Schnell fixierte ich wieder einen anderen Punkt, senkte das Haupt, in der Hoffnung meine Haare würden mein Gesicht so verdecken, dass Frank mich nicht erkannte, doch das half nichts. Ich sah es nicht, aber ich spürte es, sein Blick ruhte auf mir, durchbohrte mich förmlich. Nervös biss ich mir auf die Lippe und bereute es sofort, da sie mich mit einem pulsierenden Schmerz dafür bestrafte. Und als ob das nicht schon genug wäre, vernahm ich Frank, welcher nun direkt vor meinem Tisch stand, wie er mich mit freundlicher, leiser, aber dennoch fester Stimme ansprach. „Hey" Ich ließ den Blick gesenkt, antwortete nicht. Dem Kleinen schien das aber ziemlich egal zu sein. „Ist da noch frei?" Fragte er mit derselben Tonlage und deute auf den Stuhl mir gegenüber. Na schön, ich würde wohl oder übel nicht daran vorbeikommen, mich auf diese Unterhaltung einzulassen, immerhin war ich es ihm ja schuldig. Also hob ich meinen Blick, löste ihn vom Boden und sah direkt in Franks Augen. Mir fiel erst jetzt auf, dass auch ein gewisser Braunton sich in deren grüner Färbung fand. Eben jene Augen sahen mir abwartend entgegen und um auf seine Frage zu antworten, nickte ich einfach nur. Er begann verhalten zu grinsen, nuschelte irgendwas — mit viel Fantasie klang es wie ein "danke" —, zog sich dann die Jacke von den Schultern, welche die Aussicht auf sein weißes, etwas locker sitzendes Hemd freigab, hängte sie über seinen Stuhl und setzte sich. Die Ärmel des Hemdes waren bis zur Hälfte seiner Unterarme hochgekrempelt und sofort vielen mir zahlreiche Tattoos auf, die sich vermutlich über seinen gesamten linken Arm erstreckten. Sie passten zu ihm, ließen ihn durch die bunten Farben etwas rebellisch wirken, genauso wie die Handschuhe an seinen Händen, die einen Skelett-Print trugen. Während ich ihn mir so besah, ergriff besagter wieder das Wort. „Alsoooo...wie geht’s dir so? Tut's noch weh?" erkundigte er sich nach meiner Lippe und Nase, dabei immer noch ein Lächeln auf den seinen Lippen. Reflexartig schüttelte ich den Kopf. Natürlich hatte ich noch einige Schmerzen, aber das ging ihn ja nichts an. Jetzt war es wohl an mir, etwas zu sagen. „Du siehst müde aus... Willst du was trinken?" Immerhin war es so abgemacht; ein Drink und ein Gespräch. Mit dem Getränk wäre der erste Punkt abgehakt und nach dem heutigen Abend würde ich ihn auch nie wieder sehen müssen. „Ja, bin völlig erschöpft....und wegen dem Drink, lass das mal meine Sorge sein, ich hole uns was." Damit stand er wieder auf und tänzelte Richtung Bar, nicht ohne mir vorher noch einmal zuversichtlich zuzulächeln. Warum machte er das denn nun schon wieder? Immerhin war doch abgemacht, dass ich ihm was ausgab und nicht anders rum. Resignierend seufzte ich leise und rutschte leicht auf meinem Stuhl hin und her, bis ich eine etwas bequemere Position gefunden hatte. Dann kam Frank auch schon wieder angedackelt, in beiden Händen jeweils ein Glas, vermutlich gefüllt mit Scotch. Er war schon fast am Tisch angekommen, als ein anderer Gast plötzlich aufstand und somit seinen Stuhl ruckartig zurückschob. Eines der Stuhlbeine schob sich direkt vor Franks Füße, welcher beinahe gestürzt wäre, sich jedoch abenteuerlich verrenkte und schließlich wieder sicher zum stehen kam. Das ganze sah zugegebenermaßen recht komisch aus, was durch den etwas verstörten Blick des Kleinen verstärkt wurde, welchen er im Gesicht trug während er wieder am Tisch ankam und die Gläser abstellte. Es grenzte schon an ein Wunder, dass sie nicht ausgekippt waren. „Hier", schob er mir eines der durchsichtigen kleinen Gefäße hinüber und nahm auch gleich einen Schluck aus seinem eigenen. „Danke." „Bist wohl nicht sonderlich gesprächig, hm?" Er hatte diese Bemerkung natürlich nicht böse gemeint, aber dennoch — ich war ja nicht derjenige, der um diese Unterhaltung gebeten hatte. „Und wenn schon", gab ich schroff zurück und ergänzte dann: „Sag einfach, was du wissen willst." Frank ließ sich nicht beirren und erhielt sein sanftes Lächeln aufrecht, während er antwortete. „So viel wie ich eben aus dir rauskriege." Ein leises Kichern entkam meinem Gegenüber. Es klang so aufrichtig und unschuldig.... Kurz sah ich von meinem inzwischen schon halbleeren Glas auf, direkt in seine strahlenden Augen, wand meinen Blick allerdings sofort wieder ab und ließ ihn ziellos durch den Raum wandern, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. „Als was arbeitest du, Tsuzuku?" „…" „Tsuzuku?" „Ja?" „Hast du einen Job?" „Naja....ja, hab ich" Anscheinend freute sich der Kleine über diese Tatsache, denn sein Grinsen wurde breiter und seine graden, weißen Zähne zeigten sich dabei ein wenig. „Ohh als was denn? Als was arbeitest du? Ich arbeite in einem Comicladen, der ist total cool, ich darf immer in meinen Pausen die Comics lesen. Also, was ist mit dir?" Gebannt blickten mich zwei große Augen an, warteten auf eine Antwort. Frank redete anscheinend gerne und ziemlich viel....ich konnte mich gar nicht daran erinnern, ihn nach seiner Arbeit gefragt zu haben~ Doch was sollte ich antworten? Am besten sagst du ihm einfach die Wahrheit! Ich würde ihn ja eh nie wieder sehen, da konnte ich ihm einfach geben, was er wollte. „Das ist verschieden. Ich hab keine Festanstellung oder so. Das Arbeitsamt hat mir jemanden zugeteilt, der mich über Tages- und Gelegenheitsjobs informiert, und damit verdien ich meinen Lebensunterhalt." „Da verdient man aber doch sehr wenig, oder?" Seine Miene veränderte sich, nahm etwas Fragendes, Besorgtes an, und seine feinen, geschwungenen Augenbrauen zogen sich etwas zusammen. „Naja es reicht...zum Überleben~" „Warum suchst du dir nicht einen richtigen Job? Da würdest du viel mehr verdienen." „Ich...das kann dir doch egal sein!" „Ich möchte es aber wissen", beteuerte er nun, ließ mich nicht einen Moment aus den Augen. Mir wurde zunehmend unwohler, mein Magen verkrampfte sich etwas, was allerdings auch daran gelegen haben könnte, dass ich heute nicht wirklich viel gegessen hatte. „Ach keine Ahnung..." „Fehlt dir die...ich meine..hast du denn einen Abschluss? Einen Schulabschluss?" Ich schwieg. Warum interessierte ihn das?? Mein Blick war starr auf mein nun leeres Glas geheftet, Augenkontakt vermied ich um jeden Preis. „Na gut, du musst ja nicht drüber reden...wie sieht’s mit Familie aus? Eltern, Geschwister?" Verdammt, wollte er mich ins Grab bringen?? Weiteres, desinteressiertes Schweigen meinerseits. „Tsuzuku?" Seine Stimme war leiser geworden, vorsichtiger. Mein Ruhigsein schien ihn leicht zu verunsichern. „Es..es tut mir leid, wenn ich was falsches gemacht oder gesagt habe.." Besorgt lag sein Blick permanent auf mir, versuchte eine Reaktion auszumachen. Langsam reichte es mir, merkte er denn nicht, wie unwohl ich mich fühlte? Es war doch offensichtlich, dass ich nicht über solche Dinge reden wollte~ „Hey, hör mal, wenn du Probleme hast, dann solltest du dich irgendwem—" Ich ließ ihn nicht ausreden. „Ach komm, hör doch auf, als ob es irgendwen interessieren würde!!" „Mich interessiert es." „Tut es nicht! Weißt du, was ich glaube, Frank?? Dass du ein mieser kleiner Heuchler bist! Du hast meine Wohnung gesehen und jetzt machst du dir einen Spaß daraus, mich mit all dem vorzuführen!" Ich war ziemlich laut geworden, was mir zwar eigentlich nicht ähnlich sieht, aber ich konnte nichts dafür. Einige der anderen Gäste warfen uns seltsame Blicke zu, drehten sich dann aber schnell wieder weg. „Was fällt dir ein, mir sowas zu unterstellen?!" Jetzt war Frank es, der seinen Ton festigte und bestimmter wurde, sein Lächeln war längst einem ernsten Gesichtsausdruck gewichen. Doch rasch entspannten seine Züge sich etwas und er dämpfte seine Stimme. „Okay, pass auf...ich will dir wirklich nichts böses, ganz im Ernst. Alles was ich will ist..ist dir zu helfen, irgendwie. Ja es stimmt, ich weiß um die Zustände bei dir in der Wohnung und genau deswegen bringt es nichts, sich hier so aufzuführen. Ich weiß, wie es dir wirklich geht, glaub mir." „Ich brauche aber keine Hilfe.." Meine Stimme war nur mehr ein Flüstern, die ganze Situation überforderte meinen gesamten Organismus. Grob und verzweifelt fuhr ich mir mit meiner Rechten durch die Haare. Ich durfte keine Schwäche zeigen, denn dann wäre ich verletzlich und das durfte nicht sein.. „Oh doch, die brauchst du, und das weisst du, Tsuzuku. Du willst es dir nur nicht eingestehen, willst es nicht zugeben, weil du Angst hast. Du vertraust mir nicht, aber das ist okay. Ich möchte lediglich eine Chance, nur eine, dir zu zeigen, dass du mir vertrauen kannst. Ich meine es wirklich ernst." Der Kleine hatte wieder dieses Lächeln aufgesetzt. Es war zuversichtlich, verständnisvoll und vor allem war es ehrlich. Woher nahm er nur all diesen Optimismus? Sich mit mir abzumühen war doch reine Zeitverschwendung... „Bitte gib mir eine Chance, dir zu zeigen, dass das Leben so viel mehr zu bieten hat." „Warum sollte ein Tourist, der nichts über mich weiß, das wollen?" „Warum sollte ein Gelegenheitsjobber, der so gut wie pleite und zudem hoch verschuldet ist, einem Straßenmusiker sein letztes Geld geben?" Das war eine sehr gute Frage, auf die ich beim besten Willen keine Antwort wusste. Ja warum? Warum genau hatte ich es doch gleich getan? Mit leichtem Schulterzucken gab ich ihm zu verstehen, dass ich keine Ahnung hatte. „Na siehst du? Auf manche Fragen gibt es einfach keine gescheite Antwort, und wenn doch, dann sind sie uns einfach nicht zugänglich...also, wie sieht’s aus?" Ich schwieg lange, jedoch nicht aus Lustlosigkeit, sondern haderte ich mit mir selbst, wog die wenigen Argumente ab. Frank schien das zu spüren und gab mir die Zeit, drängte mich nicht weiter. Und vielleicht war genau diese Rücksichtnahme, ausschlag gebend für meine Entscheidung. Sowieso hatte ich nur ein paar wenige, fast gar keine Aspekte gefunden, die gegen sein Angebot sprachen. Ich schloss kurz die Augen, eh ich antwortete. „Na schön." Die Augen vorsichtig öffnend sah ich nun, wie sich Franks Miene aufhellte und er förmlich über's ganze Gesicht strahlte. „Danke!! Ich verspreche dir, du wirst es nicht bereuen! Und ein Frank Iero Jr. hält, was er verspricht!" Am liebsten wäre er mir um den Hals gefallen, dass konnte ich meinem Gegenüber deutlich ansehen. Resignierend ließ ich mich in meinem Stuhl nach hinten fallen. „Und jetzt?" „Wenn du morgen Nachmittag Zeit hast, komm ich zu dir und dann räumen wir zusammen auf. Natürlich nur, wenn das ok für dich ist. Aber ich denke es wäre ein guter Anfang um dein Leben in Ordnung zu kriege, wenn wir mit deiner Wohnung anfangen." Er saß nun ganz grade und sah mich erwartungsvoll an, doch Frank war ziemlich geschafft — das konnte er beim besten Willen nicht verstecken —, gab sich allerdings große Mühe es sich nicht anmerken zu lassen. „Na schön..." „Super!! Uhm...aber ich hab deine Adresse nicht mehr..könntest du sie mir aufschreiben?" Noch immer überlegend, worauf ich mir da nur einließ, schnappte ich mir einen der Pappuntersetzer, welche sich in dem kleinen blechernen Halter auf unserem Tisch befanden, hielt dann aber kurz inne. „Hast du n Stift?" Mein Gegenüber machte große Augen und drehte sich ein Stück, um besser an die Taschen seiner Jacke zu gelangen, in welchen er nun ein wenig rumwühlte. „Irgendwo war doch...Ich hätte schwören können, dass ich....Aha!!" Triumphierend hielt er mir tatsächlich etwas hin, das einem Stift relativ nahe kam. „Du hast...Kajal dabei?" Skeptisch zog ich eine Augenbraue nach oben und nahm das Schminkutensil entgegen — es würde schon den Zweck erfüllen, denn dieser heiligte ja bekanntlich die Mittel. Frank antwortete etwas leiser, und fing wieder schrecklich an, etwas vor sich hin zu nuscheln, von wegen 'man könne ja nie wissen' und er 'fühle sich damit etwas selbstbewusster'. Als ich ihm den beschriebenen Untersetzer samt Kajal wieder rüberschob, bedankte er sich, sein typisches Lächeln dabei aufgesetzt. Ich kannte keinen Menschen der so...so wie Frank war. Er war auf eine seltsame Art und Weise nett, hatte mir sogar noch einige Drinks ausgegeben, mir aber irgendwann einen Riegel vorgeschoben, mit der Begründung, dass zu viel Alk nicht gut sei. Er selbst hatte sich dabei mit dem Trinken sichtlich zurückgehalten, vielleicht vertrug er ja nicht so viel, wer weiß~ Wir hatten uns danach noch lange Unterhalten, er hatte viel von sich erzählt; von seiner Herkunft, einem Mädchen, deren Name mir leider kurzzeitig entfallen war — ich glaube Alice hieß sie —, von seinem bisherigen Urlaub, von einem Kumpel, der auch im Hotel wohnte, aber morgen abreisen würde und von seiner Gitarre. So hatten wir viel Zeit verbracht und er hatte sichtlich Spaß daran gehabt, sich mir so richtig vorzustellen, während ich geduldig zugehört hatte, allerdings meist selber schweigend. Auf die Frage, ob diese Alice seine feste Freundin sei, hatte er verneint und etwas beschämt gen Boden gestarrt, daraufhin jedoch noch etwas weitererzählt, bis wir uns schließlich schwerfällig erhoben, unsere Jacken nahmen und nach draußen gingen. An der frischen Luft angekommen atmete ich erst einmal tief durch. Der Regen hatte zum Glück nachgelassen und war nur noch als ein Herabfallen vereinzelter kleiner Tropfen zu bezeichnen. „Hoffentlich verlaufe ich mich nicht....",nuschelte Frank wieder und sah besorgt in die Richtung, in die er bald verschwinden würde. Ich wollte schon zu einer Verabschiedung ansetzen und selber meinen Heimweg einschlagen, da fiel mir noch etwas sehr wichtiges ein. „Frank?" „Hm?" „Es...es tut mir leid, dass ich..naja das mit von wegen Heuchler und so.." Etwas unbeholfen gestikulierte ich mit meinen Händen in der Luft herum, worauf ihm wieder dieses kleine verzückende Kichern entkam, er einige Schritte auf mich zu trat, zu mir empor blickte und dann, als wäre es das normalste von der Welt, seine Ärmchen kurz aber bedacht um meinen Oberkörper schlang. „Schwamm drüber, ja?" Immer noch stark irritiert und überrumpelt von seiner plötzlichen Nähe nickte ich schwach, war allerdings nicht in der Lage, die kurze Umarmung zu erwidern – war ich einfach nicht der Mensch, der mit solch kleinen Gesten umzugehen wusste. Der Kleine ließ von mir ab und brachte damit wieder ein wenig Abstand zwischen uns. „Wir sehen uns dann morgen?" „Darauf wird es hinauslaufen.", ich zog bei meinen Worten einen Mundwinkel etwas nach Oben, musste grinsen bei dem breiten Lächeln, das mir der Kleinere mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit entgegenbrachte, ~ Damit verabschiedeten wir uns und auf meinem Heimweg ließ ich unser Gespräch noch einmal Revue passieren. Ich wusste nicht, wie ich dem morgigen Treffen entgegen sehen sollte, auch wenn ich ihn nun etwas besser kannte – doch ich verspürte eine leise Stimme in meinem Kopf, die mit unaufhörlich sagte, dass es ein Fehler war, ihn an mich heran zu lassen, dass es unüberlegt gewesen war, dass ich ihn kaum kannte und ich ihm kein Vertrauen schenken sollte... Ich versuchte sie zu ignorieren. Nur ein einziges Mal, wollte ich sie ignorieren können. Wollte mir nicht anhören müssen, was ich alles für Fehler gemacht hatte und noch machen werde – wie unfähig ich bin…wie kaputt und verdreht~ Es war ein Versuch, den ich wagen musste – auch wenn ich es vielleicht bereuen würde. Erst, als ich schon wieder in meiner Wohnung angelangt war, stolperte ich über eine gewisse Tatsache, die mir jetzt im Nachhinein auffiel; Frank hatte zwar viel über sich, Gott und die Welt erzählt, allerdings hatte er kein einziges Wort über seine Kindheit oder seine Familie verloren… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)