Der Sanftmütigen Erbe von Mimiteh ================================================================================ Kapitel 10: Begegnungen II -------------------------- Begegnungen, die die Seele berühren, hinterlassen Spuren, die nie ganz verwehen. Cair Paravel erstrahlte in der Morgensonne, wie frisch erbaut. Unwillkürlich blieb Caspian, als er sich näherte, am Fuße der Freitreppe stehen. Er war nicht oft hier, war dieser Ort doch mit schmerzhaften Gedanken verbunden. Die Version von Cair Paravel, die im Narnia der Lebenden gestanden hatte, war nach seiner Thronbesteigung wieder aufgebaut worden. Aber man hatte es der Anlage angesehen, dass sie einmal zerstört gewesen war. Hier aber, in Aslans Reich, wo Cair Paravel wie neu erschien, wurde Caspian immer wieder darauf gestoßen, dass dies die Umgebung gewesen war, in der Susan regiert hatte. Damals, lange, lange vor seiner Zeit, als sie mehr als ein Jahrzehnt in Narnia gelebt hatte. Und später, bei ihrer Rückkehr; mit ihm? Ihnen war keine Zeit geblieben. Und dieses Wissen quälte ihn noch immer. Doch Aslan hatte ihn hierher gebeten und dieser Bitte würde er Folge leisten, auch wenn er nicht wusste, was der große Löwe damit bezweckte. Während er durch die hellen Gänge schritt, bemühte er sich, nicht zu sehr auf die Gemälde zu achten, die die Wände zierten und, ebenso wie die Höhlenwände in Aslans Haug, Szenen aus der Zeit der Könige und Königinnen der alten Zeit zeigten. Dann aber horchte er überrascht auf. Aus Richtung des Thronsaales waren Stimmen zu vernehmen, Kinderstimmen. Da das große Portal offen stand, verharrte Caspian dort und beobachtete die Szene, die sich ihm bot. Aslan stand seitlich der Thronsessel und um ihn herum wuselten zwei Kinder, Jugendliche eher, vielleicht dreizehn, vierzehn Jahre alt. Das Mädchen trug ein einfaches, weißes Kleid, das etwas oberhalb der Taille mit einem breiten, mitternachtsblauen Stoffband geschnürt worden war. Hellblaue und silberne Ornamente, sowie die edle Silberbrosche, die den hellen Umhang hielt, wiesen trotz der Schlichtheit darauf hin, dass es sich um ein Adelsgewand handelte. Ein weißes Stoffband hielt die Haare aus dem Gesicht. Der Junge trug eine blasse, violette Tunika, dazu sandfarbene Hosen, auch hier waren das einzig Edle die violetten Stickereien und der ebenfalls violett schimmernde Mantel, der von einer mattsilbernen Brosche gehalten wurde. Caspian runzelte leicht die Stirn. Er hatte diese Kinder nie gesehen oder konnte sie auch nur zuordnen. Dennoch waren sie mit Sicherheit nicht ohne Grund hier. Erst in diesem Moment erkannte Caspian, dass Aslan seine Anwesenheit bemerkt hatte und ihn anscheinend schon eine geraume Zeit musterte. Jetzt kam der große Löwe lautlos zu ihm und blieb neben ihm stehen. „Schön, dass du gekommen bist“ „Du hast mich gerufen, Aslan“, gab Caspian nur zurück, ohne den Blick von den Kindern zu nehmen. Etwas an den beiden kam ihm bekannt vor. Schmerzlich bekannt sogar. Aslan schien sein Ansinnen gespürt zu haben, denn er folgte Caspians Blick, ehe er ruhig sagte: „Darf ich vorstellen, Caspian, dies sind die Geschwister Emily Asla und Nathan Cassian. – Susans Kinder“ Caspian erstarrte. „Susans Kinder?“, echote er, noch ehe ihm die Namen der beiden – vor allem der des Jungen – richtig ins Bewusstsein drangen. Dann jedoch glaubte er, ihm würde das Blut in den Adern gefrieren. „Sag‘ mir, dass das nicht wahr ist, Aslan…“, flüsterte er kaum hörbar. Aslan sah ihn von unten her vielsagend an, ehe er die Kinder ansprach und Caspian so mit seinem Schock allein ließ. „Kinder, schaut mal her. Ich möchte euch jemanden vorstellen. – Dies ist König Caspian X. von Narnia“ Augenblicklich hielten die beiden Kinder in ihrem… was auch immer sie gespielt hatten, inne und blickten erst zu Aslan, dann mit ungläubig geweiteten Augen auf den Mann an dessen Seite. „Ein echter König?“, fragte das Mädchen erstaunt und in ihren Augen blitzten Neugier und Erwartung. Aslan schmunzelt. „Ja, Emily, ein echter König. – Und euer Vater“ Während Caspian zusammenzuckte, weil er seine unwillkürliche Ahnung bestätigt sah, wechselten die Kinder einen Blick miteinander, ehe sie gleichzeitig vorstürmten und Caspian beinahe umrannten. Gerade noch konnte er sich fangen, ging auf ein Knie nieder und schloß die Kinder in die Arme. Sofort drängten beide sich noch fester an ihn, Emily begann zu schluchzen. Einen Moment verharrten die drei so, ehe Caspian etwas den Kopf hob, Aslans Blick suchte. „Ich… habe nicht das Geringste geahnt…“, hauchte er und die Erschütterung war ihm noch immer anzumerken. Aslan blickte ihn verständnisvoll an. „Ich weiß, Caspian. Nicht einmal Susans Geschwister haben es gewusst – bis Susan starb. Da waren die beiden hier schon fünf Jahre alt“ Caspian schluckte, fuhr mit einer Hand leicht durch Emilys Haar, das seinem so ähnlich war. „Du meine Güte… aber wie…“, die Stimme versagte ihm und doch zeigte Aslans nachdenklicher Blick, dass er die Frage verstanden hatte. „Du weißt selbst, wie Susan reagierte, als sie erfuhr, dass sie für immer gehen würde. Schlussendlich… sie fühlte sich allein gelassen. Von mir, von ihren Geschwistern, die nichts ahnten, und vielleicht auch von dir. Sie zog sich von allen zurück, selbst von ihren Eltern und schließlich auch von ihren Erinnerungen. Schon als die beiden hier geboren wurden, kam ich in ihrer Welt nicht mehr an Susan heran. Sie hat vergessen wollen und sie hat vergessen. Als sie starb, lag es nicht einmal in meiner Macht, sie hierher zu geleiten“ Caspian schob die Kinder leicht von sich und sah sie an. „Wie ist es euch ergangen?“ Zum ersten Mal war es Nathan, der antwortete: „Auf einmal war Mama weg. Die Nachbarin, die auf uns aufpasste, hatte nicht genug zu essen für uns. Also brachte sie uns in ein Waisenhaus. Ein paar Wochen später waren plötzlich Onkel Peter, Onkel Edmund und Tante Lucy da“ „Und dann haben die drei euch aufgenommen?“, Caspian spürte pure Dankbarkeit, als er das sagte. Emily nickte. „Sie haben für uns gesorgt. Bis…“ „Ich verstehe schon, Mädchen. – Sie sind in ihrer Welt gestorben, nicht wahr?“, wendete Caspian sich wieder an Aslan. Der große Löwe nickte. „Das sind sie. Aber ich konnte sie holen. Und jetzt sind sie hier. Peter, Edmund und selbst Lucy haben bis zum Sterbetag der beiden nie viel von Narnia erzählt. Selbst meinen Namen hat Lucy erst verraten, als Nathan bereits im Sterben lag. Zuvor war ich nur die ‚große goldene Katze‘, die die beiden manchmal im Traum besuchte. Und die ihnen ein kleines Geschenk gemacht hat, vor ein paar Jahren“ Es schien, als fielen Caspian erst jetzt die Kette um Emilys Hals, die Flöte bei Nathan auf, denn er atmete scharf ein. „Meine Abschiedsgeschenke für Susan…“, murmelt er vor sich hin, sichtlich im Versuch Zeit zu gewinnen, sich ein wenig zu fangen. Er schien mit allem gerechnet zu haben, nur nicht mit dieser Neuigkeit. Caspian schloss jetzt die Augen. „Ich weiß nicht, wie ich meine Dankbarkeit in Worte fassen soll. Ich habe Hochkönig Peter und erst recht König Edmund und Königin Lucy kennen gelernt und ihnen hier in Narnia viel zu verdanken gehabt. Aber jetzt habe ich einen Grund, ihnen noch um ein Vielfaches mehr zu danken“ Ehe Aslan antworten konnte, mischte sich Nathan ein, dem an Caspians Worten etwas Entscheidendes aufgefallen war: „König?“ „Königin?“, hakte Emily gleich danach ein. Caspian musste ein wenig lächeln. „Ja, meine Lieben, Hochkönig Peter, der Prächtige. König Edmund, der Gerechte. Und Königin Lucy, die Tapfere. Drei der vier Könige und Königinnen der alten Zeit. So kannte man eure Onkel und eure Tante hier in Narnia“ „Und der vierte König?“, wollte Nathan wissen. Jetzt wurde Caspians Lächeln traurig. „Der vierte König war auch eine Königin. Königin Susan, die Sanftmütige. – Eure Mutter“ „Mama war auch eine Königin?“, fragte Emily entgeistert nach. „Ja, Kinder. Hier in Narnia war sie das“, antwortete Aslan an Caspians Stelle, denn der Dunkelhaarige wäre in diesem Moment nicht dazu fähig gewesen. Er hatte nicht geweint, als er von Susan Abschied hatte nehmen müssen. Er hatte nicht geweint, als er erfahren hatte, dass sie für immer und ewig gehen würde. Aber jetzt rannen ihm Tränen über die Wangen und machten ihm das Sprechen beinahe unmöglich. Emily hatte es bemerkt und sofort hob sie die Hand, um die Tränen wegzustreichen. „Dad?“, probierte sie etwas zögerlich die für sie vollkommen neue Anrede aus, ehe sie besorgt nachfragte: „Bist du wegen uns traurig?“ Caspian schluckte und zog die beiden Kinder wieder enger an sich. „Nein, ihr beiden…“, brachte er erstickt hervor, „Nicht wegen euch. Eher… wegen eurer Mutter. – Wisst ihr, es ist lange her, aber damals… damals habe ich sie geliebt“ ~*~ Eine Weile später – Aslan hatte die drei irgendwann alleine gelassen – hatte Caspian die beiden Kinder mit hinaus auf den Balkon genommen, über dessen Brüstung hinweg man den Strand und die weite, narnianische See erkennen konnte. Auch wenn er wusste, dass das Meer hier nicht so weitläufig war, wie es im Narnia der Lebenden war und dass es auch kein Pendant zu den einsamen Inseln gab, so war es doch ein berührender Anblick, den sachten, sonnenglitzernden Wellen zuzusehen, die sich bis zum Horizont erstreckten. Emily war staunend an die Balustrade getreten, lehnte mit überkreuzten Armen darauf und konnte den Blick offenbar nicht von der Küste nehmen. Nathan stand neben ihr, aber sein Blick hatte sich auf Caspian geheftet, als schien er zu überlegen, wo er anfangen sollte. Caspian konnte nicht anders, als ein wenig wehmütig zu lächeln. So sehr, wie er – jetzt wo er es wusste – sich selbst in Emilys Aussehen wiederfand, so sehr erinnerte Nathans Verhalten an Susan. Er schien nach Erklärungen zu suchen, Fragen zu haben, von denen er überlegte, ob es richtig wäre, sie zu stellen. Doch schließlich riss Nathan sich zusammen. „Va-ter?“ Er tat sich noch etwas schwer mit der Bezeichnung. „Mama hat nie von Narnia oder von dir erzählt. Sie hat immer nur gesagt, du wärst schon vor unserer Geburt gestorben“ Einmal ausgesprochen, schien auch Emilys Interesse geweckt, denn sie wirbelte herum und setzte hinzu: „Warum hat sie das getan, Dad?“ Caspian atmete tief durch und sah wieder zum Meer, in die Unendlichkeit. „So genau kann ich euch das auch nicht verraten. Aber… ich fürchte, ihr wurde damals, als wir uns trennen mussten, das Herz gebrochen. – Wenn ihr wollt, erzähle ich euch, wie die Susan war, die ich kannte“ „Au ja!“ Emily war Feuer und Flamme. Caspian trat neben sie und setzte sich seitlich auf die Balustrade, seinen Augen war anzusehen, dass er in seinen Erinnerungen weit, weit zurückreiste. „Als Susan und ich uns das erste Mal trafen, war sie nicht zum ersten Mal hier. Für sie war gerade ein Jahr vergangen, seit ihrem ersten Besuch in Narnia, seit sie und ihre Geschwister die weiße Hexe Jadis und damit den ewigen Winter besiegt und den Thron Narnias bestiegen hatten. Sie regierten jahrelang, ehe sie durch einen Zufall zurück in ihre Welt fanden. Dort war anscheinend kein Deut Zeit vergangen. Nun kam sie also wieder, in ein Narnia, in dem fast 1300 Jahre vergangen waren und die ‚Königinnen und Könige der alten Zeit‘ nurmehr eine Legende waren. Fast 300 Jahre zuvor hatte das Volk, aus dem ich stammte, Narnia erobert, die Narnianer, unterjocht, den Palast, in dem wir uns gerade befinden, zerstört. Durch eine Intrige musste ich fliehen, denn mein Onkel wollte seinen Sohn auf dem Thron sehen. Mein Hauslehrer gab mir etwas mit, das damals in den tiefsten Sagen und Märchen geschlummert hatte. Ein Horn, das Susan gehört hatte – das Vorbild für deine Flöte, Nathan. Als ich durch meine Verfolger in Gefahr geriet, blies ich hinein – und rief sie damit. Susan, Peter, Edmund und Lucy. Sie kamen mitten hinein in den Krieg, der auszubrechen drohte. Narnianer gegen Telmarer“ „Krieg ist etwas Dummes“, unterbrach Nathan ihn und Caspian schmunzelte unwillkürlich. „Dieser Satz hätte von deinem Onkel Edmund stammen können. Aber du hast natürlich Recht. Krieg ist etwas sehr Dummes. Dennoch war es jetzt nicht mehr abzuwenden. Ich schlug mich auf die Seite der Narnianer, schwor ihnen, ihnen ihr Land zurück zu geben, zumal ich der rechtmäßige Thronerbe war. Dann kamen Susan und die anderen und auf einmal hatte ich Unterstützung. Doch es gab auch einige Streits. Unter anderem um die Rolle, die Aslan in diesem Krieg spielen würde, denn er war seit so langer Zeit verschwunden, dass mancher schon glaubte, er existiere nicht mehr. Lucy war natürlich die Einzige, die ihm vertraute und nachdem wir in einer ersten Schlacht herbe Verluste erlitten hatten, erklärten wir uns bereit, sie gehen zu lassen, damit sie Aslan suchen konnte. Susan ging mit ihr, ganz die große Schwester, diejenige, die Lucy schützen wollte, vor allem aber auch, die Lucy im Auge behalten wollte. Da wir wussten, dass meine Landsleute bereits in der Nähe waren, dass nicht klar war, ob die beiden ohne Kampf, ob sie überhaupt durchkommen würden, gab ich irgendwann meiner Sorge nach und folgte ihnen. Ich kam gerade rechtzeitig, um Susans Leben zu retten, denn sie hatte Lucy vorgeschickt und sich allein den Angreifern entgegen gestellt. Ihre Waffe war der Bogen, nicht unbedingt zum Nahkampf geeignet. Was war ich froh, als wir davonkamen und zurückkehren konnten, während an unserem Rückzugsort bereits die Schlacht tobte. Das heißt, nicht die Schlacht, sondern ein Duell zwischen eurem Onkel Peter und meinem Onkel Miraz. Wir hatten unnötige Opfer vermeiden wollen. Peter gewann auch, aber eine Intrige seitens der Männer meines Onkels eröffnete dennoch die Schlacht. Wir waren viel zu wenige, wurden zurückgedrängt, mussten um unser Leben fürchten. Susan leitete die Bogenschützen an, denn neben einem Zwerg namens Trumpkin war sie die beste Bogenschützin, die wir hatten und im Kampf konnte sie stahlhart sein. Kaum etwas vermochte sie aus der Ruhe zu bringen. Im letzten Moment kehrte Lucy zurück, mit Aslan an ihrer Seite und mit ihnen die Unterstützung, die wir dringend brauchten. So konnten wir die Telmarer zurückschlagen und besiegen. Es war ein einziger Freudentaumel unter den Narnianern, es gab Paraden und Feste. Unter anderem wurde ich zum König gekrönt. In dieser Zeit haben eure Mutter und ich ausgelebt, was wir füreinander empfanden. Doch das Glück währte nur wenige Wochen. Susan und ihre Geschwister gehörten nicht hierher, sie mussten zurück in ihre Welt. Ich habe das hingenommen, habe die Kette und die Flöte anfertigen lassen, habe mir keine großartigen Sorgen gemacht. Gedanken an den Abschied schmerzten, aber ich wusste ja nicht, dass er für immer sein würde. Das erfuhr ich erst, als Susan und die anderen schon fast durch das Portal hindurch waren. Eure Mutter konnte sehr ernst und neutral tun, egal wie es in ihr aussah. Sie wollte immer das Bild der kontrollierten Erwachsenen abgeben, dabei war sie damals nur wenige Jahre älter als ihr jetzt. Sie gab mir einen letzten Kuss, den einzigen, der öffentlich bekannt wurde, dann ging sie, verschwand für immer aus meinem Leben. Dass ihr beide in ihr heranwuchst, habe ich nie geahnt. – Sie muss schon bald danach aufgehört haben, an Narnia zu glauben. Sie hat mich wohl vermisst, aber bald darauf dann vergessen. Deswegen hat sie euch vermutlich auch erzählt, ich sei tot, denn für sie war ich gestorben“ „Und du hast sie auch vermisst?“, wollte Emily wissen, als Caspian endete. Sie hatte teilweise ernst, teilweise mit leuchtenden Augen zugehört. Anscheinend hatte Caspians Erzählung ihr Seiten an ihrer Mutter enthüllt, von denen sie nie etwas gewusst hatte. Kein Wunder auch, wenn Susan Narnia verleugnet hatte. Caspian legte jetzt einen Arm um die schmalen Schultern des Mädchens. „Natürlich, Emily. Ich habe sie schrecklich vermisst. Aber ich habe mein Schicksal irgendwann akzeptiert, vor allem als ich eure Tante Lucy, euren Onkel Edmund nach ein paar Jahren noch einmal wieder sah, und sie mir sagten, dass selbst sie keinen Kontakt mehr zu Susan hatten. Da habe ich es aufgegeben. Ich habe mich stattdessen darauf konzentriert, ein guter König für Narnia zu sein und einige Rätsel zu lösen, die die Vergangenheit uns beschert hatte. Auf dieser Reise haben eure Tante, euer Onkel und auch euer Großcousin Eustachius mich begleitet. Und auf dieser Reise habe ich jemanden kennen gelernt“ „Und wer war das?“, diesmal fragte Nathan. Caspian wandte ihm den Blick zu, ehe er antwortete: „Ihr Name war – und ist – Lilliandil. Sie wurde meine Gemahlin und mit ihr bekam ich den Sohn, der nach mir Narnias Thron innehatte. Rilian“ „Unser Halbbruder“, sagt Nathan vollkommen nüchtern. Ein Verhalten wie Susan… ja keine Verwunderung zeigen, ja nicht zeigen, was man denkt…, schoss es Caspian durch den Kopf, doch Emilys skeptische Stimme holte ihn zurück ins Hier und Jetzt: „Und diese Lilliandil hast du auch geliebt?“ Es war offensichtlich, dass sie ergründen wollte, wer ihm denn nun wichtiger war, Susan oder Lilliandil. Diese Entscheidung hätte Caspian aber nicht treffen mögen. Also antwortete er wahrheitsgemäß: „Ja, ich habe Lilliandil geliebt und ich tue es noch heute. Aber keine Sorge, Emily, ich habe eure Mutter nie vergessen“ „Das wäre auch nicht rechtens gewesen, mein Lieber“ Unbemerkt hatten sich Gestalten genähert, von denen zwei auf zwei Beinen gingen, die dritte auf vieren. Aslan hielt sich allerdings zurück. Anscheinend hatte er nur den Boten gespielt. Die Sprecherin war eine zarte Frau mit hellem Haar, deren Gewand reinweiß leuchtete. Neben ihr stand ein Mann, der Caspian unverkennbar ähnlich sah. Die tiefblauen Augen hatte er allerdings von seiner Mutter. Keines der Kinder brauchte fragen, wen sie da vor sich hatten. Sie wussten es instinktiv. Es war schließlich Rilian, der das entstandene Schweigen brach, indem er sich trocken an seinen Vater wandte: „Ich hätte nie gedacht, dass ich noch einmal Geschwister bekomme“ Caspian schmunzelte, sichtlich froh, dass seine Familie die Neuigkeit so gelassen aufnahm – auch wenn er zu Recht annahm, Aslan habe ihnen bereits einiges erzählt. So antwortete er nur: „Wie solltest du auch, Rilian. Heute Morgen wusste ich selbst noch nicht, dass es die beiden gibt“ „Wenn es anders gewesen wäre, wäre ich dir auch sehr böse gewesen“, mischte sich Lilliandil halbernst ein, kam an seine Seite, ehe sie zum Strand hinab schaute. „Ich glaube, es ist Zeit, für einen Familienspaziergang. Ich würde euch beide nämlich gerne näher kennenlernen. Was meint ihr, Emily, Nathan?“ Die Kinder waren sichtlich begeistert von der unkomplizierten, neuen Bekanntschaft und Caspian, der ganz genau wusste, dass seine Gemahlin durchaus ebenso rätselhaft und erhaben sein konnte, lächelte nur stumm in sich hinein. Als Emily und Nathan bereits voran stürmten, bot er Lilliandil den Arm und sie folgten etwas langsamer. ~*~ „Und... Caspian?“, rief Aslan ihn noch einmal zurück. Caspian drehte sich um. Der Löwe war am oberen Ende der Freitreppe von Cair Paravel stehen geblieben und sein Fell leuchtete golden in der Sonne. „Mach‘ dir keine Vorwürfe, wegen Susan. Es war ihre eigene Entscheidung“ Caspian schloss kurz die Augen, ehe er nickte. „Ich weiß, Aslan. – Ich danke dir, dass du über Emily und Nathan gewacht hast und mir ermöglicht hast, sie kennenzulernen. Und sei es auch erst nach so langer Zeit“ Aslan schnurrte tief in der Brust. „Danke nicht mir, Caspian, denn das hast du nicht mir zu verdanken. Danke Hochkönig Peter, König Edmund und vor allem Königin Lucy“ „Aber wie…“ Caspian konnte nicht aussprechen, denn Aslan unterbrach ihn sachte. „Du wirst die Gelegenheit bekommen. – Bis bald, König Caspian, Königin Lilliandil, König Rilian“ Aslan neigte kurz den Kopf und ehe noch jemand etwas sagen konnte, war der große Löwe wieder im Inneren von Cair Paravel verschwunden. Einen Moment schaute Caspian ihm stumm nach, dann erinnerte ein sanfter Händedruck seitens Lilliandil ihn an seine Umgebung. „Nun komm, mein Lieber. Oder willst du die beiden allein ins Meer jagen?“, scherzte sie. Caspian drehte sich ein Stück und legte eine Hand an ihre Wange. „Keine Sorge, Lilliandil. Ich bin sicher, Lucy hat sie auf alles vorbereitet, was ihnen hier wiederfahren könnte. Also werden sie auch schwimmen können“, gab er zurück. Es freute ihn, dass Lilliandil die beiden bereits als zugehörig anzusehen schien. Das war fast mehr, als wozu er nach der plötzlichen Konfrontation schon fähig war. Lilliandil schien seine Stimmung zu erahnen, denn sie streckte sich etwas und küsste ihn leicht. „Sie sind deine Kinder, Caspian. – Außerdem sehen sie nach allem aus, nur nicht danach, dass sie ein gutes Stück älter sind, als unser Sohn“, fügte sie dann verschmitzt hinzu. Sie sah zur Küste hinab und lachte leise auf und Caspian stimmte ein. Für einen Augenblick sah Rilian seine Eltern etwas verwirrt an, dann folgte er deren Blick und konnte nicht anders, als es ihnen nachzutun. Emily und Nathan standen mitten in der Brandung, ihre Kleidung bereits halb durchnässt und schienen auf dem besten Weg zu einer Wasserschlacht. „Ich glaube, sie können ganz froh sein, dass sie nicht als Adelskinder aufgewachsen sind, oder?“, wollte Lilliandil leise wissen. „Oh, ich glaube das liegt eher an Edmunds und Lucys Erziehung. Auf ihre Weise waren die beide ungebändigt – und man sieht, was daraus wird“, erwiderte Caspian nur, ehe er sich in Bewegung setzte. Noch bestand Hoffnung, dass aus der Planschparty ein normaler Spaziergang werden konnte. Sehr groß schätzte Caspian diese Hoffnung allerdings nicht ein. ~*~ Aus einiger Entfernung hatte Aslan noch beobachtet, was sich bei der neu zusammengebastelten Familie tat und er lächelt jetzt höchstzufrieden, ehe er sich an den Zentaur neben sich wandte. „Ihr Zentauren hattet Recht. Ich habe wohl genug getan, damit man sagen kann, ich hätte sie nicht im Stich gelassen. Vielleicht habe ich wieder gutgemacht, dass ich Königin Susans Unglück zuließ…“ Der Zentaur, ein kräftiges Wesen mit dunklem Teint, wie die Meisten seiner Art mit braunem Fell ausgestattet, erwiderte darauf nichts, aber er folgte Aslan, als dieser sich umwandte und im Wald verschwand. Das mag‘ sein, großer Aslan. Aber die Sterne zeigen dennoch nichts Gutes. Am Himmel jagt der Löwe den Löwen. Die Zeit von Caspians Dynastie, die Zeit der Könige von Narnia neigt sich ihrem Ende… Aslan gab nicht zu erkennen, dass er die Gedanken des Zentaurs sehr gut kannte und dass er eben jenes Ende ebenso nahen fühlte. Ich weiß, Talsturm. Und deswegen ist es allerhöchste Zeit, unsere sieben wahren Freunde zu uns zu holen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)