Kleines Radieschen von Inzestprodukt ================================================================================ Kapitel 1: Mr. Nanny -------------------- Auch, wenn es bisher keine Bestätigungen aus offiziellen Quellen gab, war den Engeln eines klar: Die Hölle existierte und irgendwann würde sie sich ihren Herrscher heranziehen, ihn sich zu Eigen machen und ihnen allen würde eine Zeit des Terrors und Todes bevorstehen. Einen wirklichen Favoriten gab es noch nicht und die Vorstellung war auch schwer, dass einer unter ihnen der Schwarzgeflügelte sein würde, doch auf blinde Seher war in diesen Angelegenheiten meistens kein Zweifel abzuschießen; es wurde prophezeit, demnach sollte es passieren. Nun… wenn man nach Raphaels bescheidener Meinung verlangen durfte, glaubte er nicht ganz an diese schicksalhafte Wende ihres Lebens. Und zwar, weil er sich in diesem Augenblick in der Hölle befand und ihr Herrscher war kaum einen Meter groß, krabbelte auf allen Vieren und ging ihm just in diesem Moment erneut durch die Lappen. Getreu dem Motto „das Böse trägt Pampers“ fischte der junge Engel mit dem hellen Haar nach einem der kleinen Beinchen irgendwo unter einem Haufen umgeworfener Stühle und einer in Mitleidenschaft geratenen Tischdecke, wobei er jederzeit mit dem Verlust diverser Finger rechnete; sein Gesicht war gegen eines der Stuhlbeine gepresst, während es amüsiert hinter all dem Gehölz gluckste. Immerhin reichte der Spieltrieb des Babys aus, sodass es sich wie eine Katze auf die wühlende Hand stürzte, die ihn dann endlich am Strampler packen und trotz allem behutsam hervorziehen konnte. Er drehte ihn einmal um die eigene Achse und schaute dann zwischen blonden, vollkommen zerzausten Zotteln in das Gesicht eines erwartungsvollen Babys mit feuerrotem Haar und den Augen eines Dämons. Er wollte böse auf ihn sein und am liebsten auch einmal kurz schütteln, als das leise Jauchzen ihn kapitulieren und die Situation noch einmal reflektieren ließ. Mit dem Arm stützte er das kleine Wesen und hielt ihn sich etwas an die Brust gedrückt, während der stilvoll eingerichtete Raum nur noch auf den Gnadenstoß wartete; das Mobiliar war größten Teils hingerichtet, die Vorhänge kaum noch als solche zu identifizieren und von der einst weißen Couch fing Raphael gar nicht erst an. Er räumte sich eine Ecke auf genau dieser frei und ließ sich mitsamt Baby sinken, dass gerade verhältnismäßig friedlich an einer der blonden Haarsträhnen lutschte. Abwesend strich er dem Feuerengel – in Babyschuhen – durch das Haar. Weich, er roch sogar gut – kein Wunder – und man sollte nicht meinen, dass das Gesicht mit den Paustbäckchen der Verursacher diverser Nervenzusammenbrüche und Zweifel am eigentlichen Sein war. Er würde nur kurz die Augen schließen, Michael hatte er fest im Arm und der bearbeitete ohnehin gerade die nächste Haarsträhne. Wie hatte dieser Trip in die Hölle nochmal begonnen? Ach ja, er hatte einen schwachen Moment gehabt. Naivität, Unwissenheit – meine Güte, er war eben Einzelkind und schon immer der eher begabte Junge, mit Lob und wohlwollendem Händedruck belohnt. Raphael konnte sich an keine Zeit in seinem Leben erinnern, die ihm getadelt wurde. Ähnlich verhielt es sich mit seinen beiden Kollegen, Wasser und Erde – wobei Letzterer zu temporären Zusammenbrüchen zu neigen schien, doch davon nahm der junge Windengel – zarte 14 Jahre alt – wohlwollend Abstand. Als dann bekannt gegeben wurde, dass nun auch endlich der Feuerengel unter ihnen weilte und ihr Quartett somit komplettierte, waren die Erwartungen natürlich entsprechend gesteckt. Ja, es war noch ein Baby. Die gerieten hin und wieder außer Fassung. Doch zusätzlich handelte es sich ja auch um Luzifels kleinen Bruder – Luzifel! Kaum zwei Jahre älter als Raphael und eine aufstrebende Karriere anvisierend, stets gesittet, routiniert. Doch nun – vor der Tür dessen privaten Traktes – keimten Zweifel in ihm empor. Er hatte sich angeboten, aus jugendlichem Leichtsinn und auch ehrlich gesagt dem Wunsch, ein erstes Anbändeln mit dem jungen Elementar nachzukommen. Kurze Blicke auf ein kleines Bündel mit roten Haaren in den Armen erschreckend stetig wechselnder Ammen, mehr war ihnen bisher nicht vergönnt. Wozu auch? Auch im Himmel bestand die Gefahr eines tätlichen Angriffs, nicht auszudenken, wenn es den wehrlosen Feuerengel traf. Schutz war wichtig und wer konnte sich schon den schönen Engel mit dem dunklen Haar beim Wickeln einer Windel vorstellen? Er war immerhin „nur“ sein Bruder, dennoch schien er ein Zusammenleben mit genau diesem zu tolerieren, es sogar viel mehr zu wünschen. Gerüchten zufolge hatte die letzte Amme ihren Posten verloren, Hintergründe gab es jedoch nicht für die Öffentlichkeit und nun herrschte – trotz einem Überschuss speziell dafür abgerichteter Frauen – ein Mangel an Babysitterpotenzial. Größten Teils lag dies vermutlich an Luzifels wachsenden Ansprüchen bezüglich der Personen, die sich seinem Bruder inzwischen noch nähern durften. Warum also nicht Raphael, der all seinen Mut zusammengenommen und Luzifel persönlich angesprochen hatte? Unter den grauen Augen wäre er beinahe zerbrochen, die ihn ohne ein Wort musterten und scheinbar nach etwas suchten, weswegen er das saloppe Angebot noch absagen konnte, allerdings würde er so kurz vor einer Ratssitzung keinen Ersatz bekommen. Also hatte er zugesagt und nun stand Raphael dort, vor der verzierten, schweren Tür mit Kunstbeschlägen. Als er mit den Fingerknöcheln anklopfte, hallte der Ton dumpf wider. Schritte waren zu vernehmen, jedoch keine Stimmen. Die Tür öffnete sich und dann passierte eben doch das, was Raphael selbst nicht für möglich gehalten hätte: Die dunkle Eminenz trug ein erschreckend winziges Persönchen in seiner Armbeuge. Zwar würde er sich nicht als Kenner bezeichnen, aber ein zehn Monate altes Baby stellte Raphael sich größer vor. Luzifel hob den belagerten Arm ein Stück an und ließ den Bruder so zu seiner Hand hervorgleiten, reichte ihn wortlos an die männliche Nanny und trat noch einmal in die Räumlichkeiten ein, die ihnen zur Verfügung standen, während Raphael sorgsam das leichte Kind auf seinem Arm sortierte und sich bemühte, einen möglichst entspannten Eindruck zu machen; bisher weinte der Kleine bei dem Fremden immerhin nicht, das wäre auch noch schöner. Er starrte ihn nur an, den Kopf in den Nacken gelegt und seine eigenartigen, gelben Augen auf das Gesicht des Windengels gerichtet. Der blieb mit etwas Abstand zu Luzifel stehen und lauschte ein paar kurzen Wünschen, die offiziell nicht als Anweisungen gegeben, aber ganz sicher so gemeint waren. Und er nahm sich vor, diese bis zum letzten Punkt zu erledigen. Ein schlichter Zettel mit gestochen scharfer Handschrift wechselte den Besitzer, auf dem einige kleine Notizen Raphaels Leben für die nächsten paar Stunden erleichtern sollten. Eine unerwartet zärtliche Berührung mit dem Zeigefinger am Kinn des Babys und dann verschwand Luzifel mit festem Schritt, schloss die Tür hinter sich und ließ Raphael mit sich und seinem Schicksal allein. „Wir schaffen das, oder?“ Raphael war zuversichtlich, rückte den kleinen Jungen noch einmal zurecht, der bis dahin auf die Tür gestarrt hatte, durch die sein Bruder verschwunden war. Jetzt drehte er den Kopf wieder und nahm Raphael als auditive Quelle wahr, drehte sich mit etwas Eigendynamik und fiel ihm so beinahe vom Arm. Gut, Raphaels Devise für die nächsten Stunden blieb: Das Kind darf nicht sterben. So oder so wollte er nicht, dass ihm irgendwas passierte; der Raum musste auch sauber bleiben, dafür würde er schon sorgen. Auf den ersten Blick fand er jedoch keinerlei Beschäftigungsmaterialien, doch es würde ja sicherlich ein Kinderzimmer geben. „Wie heißt du eigentlich“, murmelte Raphael und begnügte sich damit, das Baby auf seinem Arm liegen zu lassen und ihn am Bauch zu halten; er schien erstaunlich entspannt und schmiegte die weiche Wange an den Arm des Blonden, der noch einmal einen Blick auf den Notizzettel warf. Oben, säuberlich, in geschwungenem Enoch* stand: Michael. „Michael, ja?“ Immerhin eine kurze Reaktion, er drehte den Kopf und schaute zu Raphael empor, der ihn so vorsichtig wie möglich auf dem Arm wiegte. Von Fremdeln war wirklich nichts zu sehen, aber das schob er auf die vielen, wechselnden Bezugspersonen. Wie sollte ein Kind auch Bindungen aufbauen, wenn es keine Chance dazu bekam? „Wollen wir dein Zimmer suchen? Hier steht: Die weiße Tür hinten links.“ Raphael versuchte es mit einem Lächeln, Mimik und Spiegelwirkung auf Kleinstkinder – mal sehen, wie erfolgreich er sein würde. Bis jetzt zuckte der Kleine nur lustlos mit den Beinen, scheinbar vom neuen Kindermädchen zutiefst gelangweilt. Es hing kein Namensschild an der Tür – vermutlich hielt Luzifel Personen, die die einfache Anordnung „hinten links“ nicht befolgen konnten für unwürdig, das Zimmer des Kindes überhaupt zu finden. Raphael hatte auch – abgesehen von seinem eigenen, längst nicht mehr als solches zu erkennenden - nie wirklich ein Kinderzimmer gesehen, aber er stellte sich alles sehr klein und gepolstert vor. Doch der Raum überraschte ihn; schockierte viel eher. Mit zusammengezogenen Augenbrauen hob er Michael richtig auf den Arm, stützte ihn instinktiv am Rücken und trat in das großzügige Zimmer. Gewohnt waren Boden und Wände mit Marmor gearbeitet, der satte Rotton machte einen sehr warmen Eindruck. Allerdings passten die Möbel gar nicht ins Bild. Mit den runden Ecken hatte er Recht behalten, gut. Allerdings hatte sich in seinem Kopf das Bild einer weißen Krippe gebildet; halbdurchsichtiger Stoff als Baldachin, Plüschtiere – nichts davon war an diesem Ort. Eisen, schwer und unumstößlich. Ein Bett aus Stein, immerhin vernünftig gepolstert, doch so schrecklich unpersönlich. Als Raphael näher trat, musste er diesen Eindruck kurz berichtigen; es war sehr wohl gestaltet; Steinhauerei hatte ihr Werk getan und Muster eingeschlagen, dennoch konnte er sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, das am Daumen lutschende Baby dort hineinzulegen. Aus Trotz drückte er ihn etwas fester an sich heran und besah sich das Spielzeug – ja, gut. Es gab Plüschtiere. Die wirkten jedoch unbenutzt, was seine Verwirrung steigerte. Die Wickelkommode – wickeln, urks! – war ebenfalls aus Stein gearbeitet, mit einer grauen Polsterunterlage. Nun gut, er hatte sich auf dieses Experiment eingelassen, er war selber Schuld. Außerdem – wie schwer konnte das Wechseln einer Windel schon sein? Es erstaunte Raphael auch, wie schnell er ansatzweise etwas wie eine Bindung zu dem Kleinen aufbauen konnte, denn nach nicht einmal zwanzig Minuten saßen sie auf dem großzügig gepolstertem Teppich im Wohnbereich; ein paar rasselnde Objekte und ein in einer Ecke liegendes Bilderbuch hatte er gefunden und dort verstreut, zudem eine Art Krabbeldecke. Ein weitaus geeigneteres Umfeld für so ein kleines Baby als der Marmor in seinem Zimmer. Aktuell hatte Michael sich die Plüschschlange gegriffen und robbte mit einem breiten Grinsen zu dem im Schneidersitz hockenden Babysitter, quiekte ein „Da!“ und reckte die kleine, weiche Faust nach oben. Kurzzeitig hatte Raphael überlegt, ob er wirklich auf diese Babysprache herabgehen oder in einem vollkommen normalen Tonfall mit ihm reden sollte, aber er entschied sich für die babygerechte Version und schraubte seine Stimme ein paar Stufen höher, wenn er ihm antwortete. Es machte auch irgendwo Spaß, viel anrichten konnte der Rotschopf in seinen Augen sowieso nicht, da er nicht sonderlich schnell war und meistens mit einem erwartungsvollen Quieken eine neue Richtung einschlug. Inzwischen kannte er den Zettel auch auswendig, bald würde er ihm etwas zu essen geben und dann ohnehin erst einmal zu Bett legen, nach dem Abendbrot wurde gebadet und dann sollte er endgültig schlafen und Raphael selbst bloß noch Präsenz zeigen, damit er bis Luzifels Rückkehr jemanden zum Notfall dahaben würde. Da Michael sich gerade wieder hingesetzt hatte und nun intensiv mit der Schlange beschäftigte, indem er den Finger in diverse Stellen bohrte und jedes Mal ein „Da!“ von sich gab, erhob sich der Blonde und suchte die Küche auf; wenn er einen Schritt aus der Tür trat, konnte er ihn schnell wieder ins Auge fassen. Trotz des bisher positiven Hergangs wollte er ohne Kind im Nacken das Essen vorbereiten, wie die meisten Kinder gab es Obst und eine Art süßen Brei – ziemlich ähnlich also dessen, was auch Menschen viele, viele Äonen später für ihren Nachwuchs bereitstellen würden. Sorgsam schälte der blonde Engel eine Banane – die ausdrücklich von Luzifel gewünscht war, warum auch immer – und zerdrückte sie auf einem Teller, als das erste Scheppern ihn zur Salzsäule erstarren ließ. Hastig brach er um die Ecke und fand seinen Schützling milde interessiert vor den Scherben einer einst prunkvollen Vase sitzen – seit wann stand das Ding dort? Schnell lief er zu ihm herüber und fasste Michael unter den Armen, hob ihn zu sich hoch und wurde von freudigen Händchen begrüßt, die an seinen Wangen tätschelten. Die Vase… wie viel Wert legte Luzifel wohl auf die Inneneinrichtung? Dem künftigen Heiler zumindest pumpte das Herz in den Ohren und schnell suchte er an dem kleinen Körper vor sich nach Verletzungen, fand aber zum Glück keine und lief mit ihm eine kurze Distanz von wenigen Metern hin und her. „Da, da, da“, brachte Michael erstaunt hervor und hatte sich wieder einer Haarsträhne bemächtigt, bestaunte diese ausgiebig. Raphael seufzte und kapitulierte für den Moment, dann würde er ihn eben mitnehmen. Fügsam glitt der Rothaarige in seinen umgitterten Stuhl hinein, klopfte abwartend mit den Händen auf der Ablage und beobachtete den anderen beim Werkeln, wobei diesem nun wahrlich der Kopf rotierte. Wenn er sie kleben würde… oder die Scherben unauffällig entfernen… Das Ding sah (leider) viel zu wertvoll aus, als dass es Luzifel vollkommen egal sein könnte. Vielleicht war er ja bestechlich und erfreute sich der Unversehrtheit des Kindes, aber vermutlich würde er ihm eh nur die Worte im Mund herumdrehen – dazu hatte er ein Talent. „So“, teilte Raphael der Welt und vor allem Michael mit, dass es nun weiter ging, zog sich einen Stuhl heran und stellte den Teller mit den zerdrückten Bananen auf die kleine Holzablage, um dann nach dem Brei zu greifen. Ein markerschütterndes Weinen war das Erste, was er realisierte, dann das sich windende Baby im Stuhl, als würde er unter wahnsinnigen Schmerzen leiden. Hilflos und im Moment erstarrt starrte Raphael ihn an, fasste behutsam nach vorne und wurde von dem Kleinen direkt angeschnauzt; eher verfiel er in ein kurzes Kreischen, Tränen über die roten Wangen rollend und die Nase lief noch dazu. „Hey, hey… alles ist gut. Was ist denn?“ Das konnte er ja nun wirklich nicht haben, schnell war das Kind befreit und auf den Arm genommen, wo er sich – im Gegensatz zu gerade noch – schnell am Oberteil des anderen festklammerte und bitterlich in den Stoff schluchzte. Erst dachte der Blonde an Schmerzen, doch dazu beruhigte Michael sich zu schnell wieder. Vollkommen fertig mit sich und der Welt drückte er die Wange an Raphaels Brust, ließ die Arme hängen und ließ sich den Rücken streicheln. Gut, er konnte ihn auch auf dem Schoß füttern. Anfangs klappte das auch ganz gut, den Brei aß er mit Misstrauen, letzten Endes aber doch vollständig. Als es dann aber an die zerdrückte Banane ging, begann das gleiche Spiel – Schreien und Strampeln, dieses Mal klammerte er sich zusätzlich am Windengel fest und wenn dessen bescheidene Meinung einen kurzen Moment der Aufmerksamkeit genießen durfte: Er konnte ihn fast nicht mehr halten, da das Baby plötzlich heiß und heißer wurde; gut, sollte die blöde Banane doch bleiben, wo die Socken verschwinden. Demonstrativ schob Raphael sie weg, was von Michael mit Argusäuglein beobachtet wurde. Er machte mit der Hand eine wegwerfende Bewegung, beruhigte sich nur langsam wieder. Wenn es nicht wirklich kindisch wäre, würde Raphael das als Absicht abtun. Luzifel wusste bestimmt von diesen Reaktionen… Immerhin hatte sie den Nebeneffekt, dass Michael platt in seinen Armen hing. Langsam erhob sich der Sitter, streichelte ihm wieder den Rücken und hoffte, dass er alles richtig machte – wer wusste das schon? Sein Versuchsobjekt zumindest ließ sich abtransportieren und ins Bett legen, er deckte ihn leicht zu und zog den Vorhang vors Fenster, verließ dann leise den Raum – um kurz darauf die Schlange zu ihm zu bringen und dazu zu legen. So, nun gab es da noch dieses Problem mit der Vase, in der ja nicht einmal Blumen gesteckt hatten. Es war reine Dekoration, von der herzlich wenig übriggeblieben war. Wie der Kleine das geschafft hatte, war die ganz große Frage. Konnte Hitze Porzellan zerstören…? _________________________________________________________ *Schrift d. Engel Ich bin noch nicht am Ende :) Kapitel 2: Baby-Boom -------------------- Bis das leise Wimmern des Babys zu hören war, hatte Raphael den zuvor mit Spielzeug und Krabbeldecke bestückten Boden wieder auf Vordermann gebracht, die zerstörte Vase würde er Luzifel wohl oder übel beichten müssen, demnach waren auch lediglich die Scherben außer Reichweite geräumt worden; mit der Banane würde er aber noch nicht aufgeben, immerhin stand noch ein Abendbrot an. Jetzt zumindest öffnete er möglichst leise die Tür zum Kinderzimmer und sah den rothaarigen Jungen an den Gitterstäben sitzen, sein Gesicht dagegen gedrückt und eines der Beinchen herausragend – vermutlich hatte er versucht aufzustehen und war dann halb in das Gitter gerutscht, allerdings sah er nicht verletzt aus. Kurz musste der Blonde sogar lächeln, ehe er Michael vorsichtig aus seinem kleinen Gefängnis befreite und sogleich mit emporgereckten Armen begrüßt wurde; hektisch suchende Finger umschlossen sein Oberteil und schon klammerte er sich wieder fest. Mit der Hand fuhr er durch die roten, verschwitzten Zotteln, während erneut auf seinen eigenen Haaren herumgekaut wurde – er konnte sich sicherlich von ein paar Zentimetern verabschieden. Sein Reinlichkeitsdrang stand dem eigentlich entgegen und ein halbwegs begabter Psychologe könnte unter Garantie noch etwas bei ihm erreichen, aber Raphael war glücklich mit sich und der selbst auferlegten Sauberkeitsnorm. „Ich hatte Angst vor diesem Moment“, murmelte er und strich abermals über den Kopf des Babys, während er einen flüchtigen Blick zum Wickeltisch warf. Das war so eine Sache, mit der er sich nicht identifizieren wollte und schon Stunden vorher mit Schrecken dran gedacht hatte. Es ging nicht um das Säubern; eher hatte er die Befürchtung, nicht richtig mit der Windel umgehen zu können. Er konnte ihn natürlich auch einfach nicht wickeln, das würde Luzifel vermutlich mit Begeisterung aufnehmen – wunde Stellen, ein weinendes Babys, dass sich vor Schmerzen am Boden wand… ganz toll. „Na komm“, seufzte er ergeben und löste die Finger wieder von sich, um ihn langsam auf der Polsterunterlage abzulegen und nach den richtigen Utensilien zu suchen. Es gab Ammen für so etwas, kein Mann sollte eine Babywindel wechseln müssen, wie Raphael selber fand. Es gab einfach Arbeiten, für die er sich nicht ausgebildet sah aber wenn dumme, gedankenlose Dienstmädchen dazu in der Lage waren, dann könnte es ja wirklich nicht allzu schwer sein. Die ganze Zeit hatte er die Hand auf Michaels Bauch liegen lassen, da dieser wieder in Eigenrotation geriet und sich von einer Seite auf die andere zu kullern versuchte; klar, warum auch nicht? Seine Schuldenliste gegenüber dem aufstrebenden, großen Bruder wuchs und wuchs, warum sollte er ihm nach der Vase nicht auch noch von diversen Knochenbrüchen des Babys berichten? „Shht, liegen bleiben“, lächelte er seinen Schützling an und strich ihm einmal über die Wange. Michael sah furchtbar ergeben aus, die Augen schimmerten verdächtig feucht und Raphael hatte irgendwie das Bedürfnis, ihm die ganze Sache angenehmer zu gestalten – leider hatte er keine Erfahrung in diesem Bereich, auch seine eigene Reinlichkeitserzieheung hatte früh und resolut stattgefunden. Wie erwartet ging das Säubern schnell und ohne große Probleme, auch die Windel selber war weniger das hochentwickelte Ding, was sich in seinen Tagträumen durch den Verstand des Blonden geboxt hatte. Was ihn störte, waren die Augen. Es war noch nicht ersichtlich, welches Geschlecht Michael einmal haben würde, doch sein Name wurde als männlich niedergeschrieben und Raphael war sich auch sicher, in dem kleinen Gesicht knabenhafte Züge sehen zu können. Dieser Engel würde männlich sein, Luzifel selbst sprach vom „kleinen Bruder“, sonst konnte sie nur die Zeit überraschen. Aber die Augen… „Hat dich schon mal jemand als Dämon bezeichnet?“, murmelte Raphael und schloss die Seiten der Windel, ehe seine Finger sachte über ein weiches Beinchen strichen. „Ganz schön fies, oder? Kannst dich ja gar nicht wehren…“ Eine Antwort bekam er nicht, doch der Blick jener Gold schimmernden Augen ruhte weiterhin fest auf dem Gesicht des Blonden. Hatte der Kleine Angst, dass er ihn verletzen würde? Nichts läge ihm ferner als das und durch nichts konnte er so deutlich machen, dass das Kind dort unten ihn verstehen würde. „Wir haben es geschafft!“, fiel ihm dann plötzlich ein und er hob seinen Schützling auf, lehnte kurt die Stirn gegen seine und fasste die kleine Hand, nur um mit ihm zu interagieren. Keiner hatte ihm gesagt, wie unangenehm das Gefühl als Alleinentertainer war und er wünschte ich einen Gesprächspartner. Etwas mehr Action vielleicht. Er setzte das Baby einfach aus praktischen Gründen kurz am Boden ab; ein Laufgitter gab es hier nicht, Luzifel schien scheinbar mehr Beschäftigung für ihn zu finden als Raphael – oder er war mit der Geduld eines Steins gesegnet, weil die ganze Zeit auf die krabbelnde Gefahr zu schauen, war Raphael irgendwie zu anstrengend. Er wollte auch nur eben den Wickeltisch säubern, der Raum war groß und er hatte die Tür im Blick, was sollte schon passieren? Erst zu spät bemerkte er, dass es verdächtig nach Rauch roch. Als sich gerade sämtliche Schuldgefühle auf ihn abluden – hatte er in der Küche etwa den Herd aufgedreht und nicht wieder abgestellt? Konnten sich Dinge selbst entzünden – ausgerechnet, wenn er mit dem Baby alleine war? Würde Luzifel ihm glauben und sein armseliges Leben verschonen? Ein langsam an Hektik gewinnender Blick streifte umher, ehe er etwas weiter links von sich einen schwelenden Teddybären sitzen sah; eifrig gruben sich die Hände des Kindes in die Plastikaugen, die unter ihnen zu schmelzen begannen. Verkohlte Synthetik sorgte für einen beißenden Geruch und erst jetzt wurde Raphael sich wirklich gewahr, wen oder was er hier vor sich sitzen hatte: Der Feuerengel. F E U E R! Erschrocken schrie er auf, griff unüberlegt nach Michael und dachte erst zu spät daran, dass der kleine Körper tausende von Grad aufweisen könnte; dem war zum Glück nicht der Fall. Er hielt ihn unter den Achseln einfach vom Boden weg, suchte nach einer Möglichkeit, den drohenden Brand zu verhindern und hatte eigentlich nur die Badewanne im Kopf. Das Baby klemmte er sich unter den Arm, fasste mit der Hand des anderen Armes nach einer noch nicht kokelnden Stelle am Plüschtier und rannte so quer durch den Wohnbereich, Michael schallend lachend an sich gepresst, der die plötzliche Geschwindigkeit mit Freude zur Kenntnis nahm. Als er die Badewanne sah, verebbte das Lachen und machte leisem Quängeln Platz, das Raphael in seinem Rausch gerade gar nicht wirklich bemerkte und den Teddy hineinwarf – eine Stichflamme entzündete die Wattefüllung, dann ließ er Wasser drauflaufen und zog den nun weinenden Engel richtig auf den Arm, atmete schwer durch den Schreck. Ein fassungsloser Blick ging an den Kleinen. Im Nachhinein wollte Raphael sich all das schön reden; gut, dann hatte der blöde Teddy halt gebrannt. Deswegen warfen die Ammen das Handtuch? Meine Güte, wirklich entzündet hatte er ihn immerhin nicht. Zumindest nicht direkt… Jetzt, zwanzig Minuten später, saßen sie wieder auf der erneut ausgebreiteten Krabbeldecke und Michael zeigte dem Blonden reihenweise immer das gleiche Spielzeug, um die gespielt überraschte Reaktion wieder und wieder mit Entzücken aufzunehmen. Er strampelte mit einem Bein, quietschte glücklich auf und hielt gerade einen weichen Stoffball empor, als auch dieser plötzlich zu rauchen begann. Gleichzeitig mit dem Verursacher starrte Raphael auf das Objekt, als plötzlich ein Aufleuchten in das Gesicht des kleinen Elementarengels glitt; seine Finger lösten sich kurz, nur um noch einmal fester zuzugreifen und den Ball in eine brennende Masse zu verwandeln. Den Schreckensschrei konnte Raphael nicht unterdrücken, er fiel noch ein Stück weit zurück und hörte nur hintergründig das ewig freudige „Da!“ Michaels, in dessen Hand die Flamme kleiner wurde und der Ball seine Form verändert hatte; Asche. Freudig klatschte er in die Hände, orientierte sich dann noch einmal um und fasste nun den Teppich ins Visier, auf dem seine Decke etwas verwuschelt lag. Raphael – geistesgegenwärtiger, als er es sich selber gerade zugetraut hätte – warf sich nach vorn und griff sich das Baby, zog es sich an das stark hämmernde Herz und atmete möglichst den Rest Sauerstoff ein, der im Raum noch übrig geblieben war. „Du bist ja gemeingefährlich“, japste er, stand dann mit zitternden Beinen auf und öffnete eines der großzügigen Fenster, auch wenn er sich dunkel an Luzifels Liste und dem klaren Verbot dessen erinnerte. Warum, wurde ihm schlagartig bewusst. Michael folgte dem hereinstreifenden Windzug mit den Augen und auch Raphael war dazu in der Lage, aber eben nur, weil es sein Element war, dann funkte die erste, direkte Flamme hervor und erfasste einen der Vorhänge. Die Wände waren aus Marmor, aber wo das Feuer hinfallen würde, war vollkommen unklar. Er konnte ihn nicht alleine hier lassen aber löschen stand außer Frage. Letzten Endes war der Vorhang innerhalb weniger Sekunden herabgerieselt und Raphael sorgte für Vorrat; ein paar wenige Schüsseln mit Wasser und der inzwischen festen Meinung, dass Michael vorher entweder müde oder jetzt wirklich aufgetaut war. Er wollte ihm zeigen, was er machen konnte – immer wieder dieses endlose „Da!“, inzwischen hatte er zahllose Flecken auf dem Teppich hinterlassen. Das Problem der Vase war vollkommen außer Reichweite geglitten, Raphael wollte nur noch überleben und dann Luzifel das Kind in die Hände drücken, um sich nie wieder zu melden. Er mochte den Kleinen und fühlte sich in dessen Gegenwart auch ganz gut, wenn nur diese Brandattacken nicht wären. Ein Seufzen, dann durchstreifte er den Wohnraum und suchte nach der brabbelnden Gestalt, die Schüssel mit Wasser schon im Anschlag. Das ging nun seit ein paar Stunden, er wollte ihn nur noch füttern und dann endlich in die Wanne stecken – Wasser konnte er ja hoffentlich nicht anzünden. Dass er ihn dann wirklich fast unschuldig auf dem Küchenboden sitzen sah, sorgte für eine kurzes Lächeln; Hoffnung keimte er auf. „Na, hast du Hunger?“ Vorsichtig beugte er sich herab; der Gedanke an hektische Bewegungen verunsicherte Raphael momentan und er war froh, als er ihn einfach aufheben und in den Stuhl setzen konnte. Die Banane würde er im Traum nicht mehr füttern, am Ende brannte er noch selber. „Magst du Pasta?“ Was sollte er schon antworten? Trotzdem, jetzt bewegte er sich wieder auf sichererem Boden und fand allmählich seine Haltung wieder. Während der Topf im Hintergrund erhitzte und allmählich Blasen im Wasser aufstiegen, knöpfte er den Strampler Michaels auf und befreite diesen vom weichen Stoff, strich ihm doch noch einmal durch die Haare. Es war ja eigentlich nur ein Baby, so schlimm konnte er gar nicht sein. Gut, es brannte hin und wieder. Allerdings gehörten diese Sachen nicht ihm selber und keiner hatte ihn vorgewarnt, wie bemerkenswert – erschreckend – weit die Kräfte des Jungen schon um sich griffen. Außerdem wäre sein tag ohnehin bald geschafft, er würde ihn füttern, baden, ein letztes Mal wickeln und dann ins Bett legen – Luzifel würde auch bald wiederkommen und dann war Raphael erlöst. Er hatte etwas Verständnis für all die Ammen, auch wenn ihm der wechselnde Bezug für Michael nicht gefiel. Aber es ging ihn ja eigentlich nichts an, daher würde er deswegen auch nicht den Mund aufmachen. „So“, intonierte er etwa zwanzig Minuten später und wischte die Asche vom nebenher abgelegten Bilderbuch von der kleinen Fläche, die Michael vor sich hatte und als Abstellplatz fungierte. Raphael meinte, misstrauische Blicke auf den in seiner Hand gehaltenen Teller sehen zu können, doch beim Anblick von Nudeln mit etwas Tomatensoße verschwand genau dieser Ausdruck. „Oh, ein Löffel.“ Er schaute noch einmal eindringlich auf Michael, der erwartungsvoll auf der Platte trommelte und mit den Beinen wackelte. Wenn er auf Raphaels ersten Zug wartete, wirkte er wie ein kleiner Hund, der auf seine Belohnung aus war. Raphael stand auf, die Hand gen Michael ausgestreckt und immer wieder zu diesem sehend, als er schnell zur Schublade glitt und nach einem Löffel fischte, doch mit dem Ergebnis hatte er gerechnet und genau deswegen den Strampler schon im Vorfeld entfernt – findige Finger hatten die Nudeln bereits jetzt auf Boden, Körper, Haaren und Abstellplatte verteilt. „Dann sparen wir uns den“, kapitulierte der Windengel und kam wieder zurück, beobachtete ihn dann beim herumschmieren. War ihm auch egal, das machte die Sache kaum noch schlimmer. Hin und wieder sorgte er dafür, dass auch ein paar Nudeln im Mund landeten, aber zu mehr fehlte dem Blonden gerade die Kraft. Als Michael sich sein Werk genauer ansah, zuckte er mit den Schultern und machte eine wegwerfende Bewegung, lehnte sich nach hinten. „Fertig?“, fragte Raphael mehr rhetorisch und befreite ihn bereits aus dem Stuhl, hielt jedoch dieses Mal die Arme ausgestreckt den schmierigen Körper von sich weg, das Gesicht sich zugewandt. Er lächelte, erntete überschwängliches Quietschen und konnte dann beobachten, wie die Freude schlagartig aus dem Gesicht wich, als sie das Badezimmer betraten. Michael wand den Kopf hin und her, brabbelte leise vor sich hin und schaute dann zu Raphael, der sich bereits in der Küche die Ärmel hochgeschoben hatte und nun halbwegs verrenkt die Windel von Michael löste, ehe er diesen ganz zur Wanne brachte. Hektik kehrte in das Baby ein, er begann sich zu wehren und zu wimmern, grub kleine Fingernägel in die Arme seines Babysitters. „Doch, wirst du“, antwortete dieser, ohne überhaupt Grund für einen Widerspruch bekommen zu haben und nahm ihn nun doch zu sich auf den Arm, um Wasser in die Wanne einfüllen zu können. Das Geräusch und vor allem auch der Anblick löste eine bisher so nicht gesehene Angst in seinem Schützling aus, der sich auf Raphaels Arm von einer Seite zur anderen wandte, allerdings nicht aus dem festen griff loskam. Mit etwas Pech müsste er mit schlagenden Flügeln auskommen, doch die entfaltete Michael gerade nicht, was Raphael so nur begrüßen konnte. Mit einer Hand prüfte er die Wassertemperatur, sah dann in ein bereits tränennasses Gesicht. „Du machst uns beiden das jetzt nicht schwer, okay? Guck mal, da ist sogar Spielzeug.“ Er griff nach einem Gummitierchen, legte es auf eine kleine Schaumkrone und brachte dann Michael so weit von sich weg, dass er diesen absetzen konnte und trotzdem nicht mitgezogen wurde – als er das Wasser berührte, hallte ein lautes, helles Kreischen durch den Raum, bei dem Raphael die Ohren klingelten. Er hielt ihn an den Armen fest, drückte diese an den winzigen, verschmutzten Körper und blickte ihm fest in die Augen, aus denen immer und immer wieder Tränen kullerten. Unwirsches Gebrabbel kam ihm über die Lippen und als Raphael mit einer Hand etwas Wasser aufschöpfte und ihm über die Haare laufen ließ, kam das zweite Kreischen – bei dem er ihn wieder herausholte und an sich drückte – das konnte doch keiner von ihm verlangen! Das Herz des Windengels pochte fest gegen seine Brust, er fühlte sich furchtbar. Ganz so, als hätte er gerade besseren Wissens willentlich schere Körperverletzung begannen. Das würde er nicht tun, sollte Luzifel ihm eben das Leben schwer machen und seinen Bruder selber baden. 2Ist gut, wir gehen hier raus“, murmelte er leise und strich zitternd über den noch so schutzlosen Körper, warf dann einen letzten Blick zurück auf die Wanne; das Wasser ihr brodelte und kochte und schlagartig war ein nicht zu verachtender Anteil davon verbrannt. Kondenswasser tropfte von der Decke. - So, das war also der Grund, warum er an diesem schrecklichen Ort gelandet und mit einem Terrorist in Windeln geschlagen war. Das Zubettgehen hatte überhaupt nicht funktioniert und so hatte er ihn nur wieder angezogen und dem weiteren Zerstörungstrieb ratlos zugesehen. Jetzt, auf der Couch sitzend und mit sich selbst am Ende, reagierte er nur noch mechanisch auf das Gezappel in seinen Armen, ehe ein Schatten auf sie fiel und er Michaels hektisches Geblubber deuten konnte. Als Raphael die Augen öffnete, stand vor ihm der Engel mit dem schwarzen Haar, blickte auf die zwei herunter und sparte sich den auffälligen Blick durch den Wohnraum, der einem Desaster glitt. Raphael wollte zügig aufstehen und ihm respektvoll die Füße küssen und um Vergebung bitten, doch er erhob sich nur langsam, reichte Michael herüber und rieb sich den Nacken. „Er ist gewickelt, zum Teil gewaschen und gefüttert. Mittagsschlaf ja, wie du siehst jetzt am Abend nein. Bis dann.“ Und ohne ein weiteres Wort zu verlieren ging er aus der Tür heraus. Nicht wissend, dass diese Reaktion ein so gar seltenes Lächeln auf Luzifels Züge gebracht hatte, an dessen Brust das Baby zufrieden gelehnt blieb. Wortlos drehte sich der ältere Bruder um und ging denselben Weg, den Raphael zuvor das erste Mal bestritten hatte, nur ging er in das andere Zimmer – sein eigenes. Ob er hier drin gewesen war? Das würde er eigentlich merken. Und laut der Aufzeichnungen, die er wie jedes Mal hatte mitlaufen lassen, war Raphael diesen einen Schritt nicht gegangen. Er hatte dieses Zimmer nicht einmal mit einem Blick gewürdigt – als erster. Und es gefiel dem dunklen Engel, was er dort sehen konnte. Amüsiert stupste er Michaels Nase an. „Na, soll Raphael wiederkommen? Du warst ja wirklich lieb zu ihm Kapitel 3: Der große Bruder --------------------------- Die Bilanz der Zerstörung war eigentlich relativ gering und der Schaden schnell durch Routine beseitigt. Luzifel hatte nun schon viele Aufnahmen darüber gesehen, wie sein kleiner Bruder anderen das Leben schwer machte, er selber war bisher nie betroffen gewesen. Warum auch immer, Michael sparte sich in seiner Gegenwart einen Feuerangriff auf Plüschtiere und Co. Generell benahm er sich ganz anders, doch darauf fiel Luzifel bloß eine zumindest ansatzweise vorhandene Bindung ein, die sich zwischen ihnen aufgebaut hatte. Zwar wimmerte Michael auch auf seinem Arm, als sie das Bad wieder betraten, doch er nahm den Umstand des Badens als leider notwendiges Ärgernis zur Kenntnis und schaute zu, wie sein Bruder langsam in die Wanne stieg, in dabei auf dem Arm haltend und selbst beim Hinsetzen noch ohne jeglichen Kontakt. Das war in Ordnung, weil er dieses Ritual kannte, zu Anfang hatten sie etwas kämpfen müssen. Nun würde er auf Luzifels Arm bleiben und nur langsam nach und nach mit dem Wasser in Berührung kommen, er hielt sogar seinen Fuß bereitwillig hin und ließ sich ein paar Tropfen aus der vertrauten Hand gefallen. Ein kurzes Quengeln, dann drehte er ein paar dunkle Haare zwischen seinen Fingern ein und wurde wieder ruhiger, als nicht nur Tropfen, sondern auch die waschende Hand sein Bein trafen. Etwas tiefer gerutscht saß er auf dem Bauch seines Bruders, selber nun etwas im Wasser, in das er aus Prinzip einmal reinschlug und dann zu Luzifel aufblickte, der nur ein wohlwollendes Lächeln über hatte. Die dünne Shorts, welche er als Badekleidung trug, weckte das Interesse Michaels, der den nassen Stoff flüchtig berührte. Spielen wollte er im Wasser nie und trotzdem setzte Luzifel immer eines des Gummitiere mit hinein, das jedoch gnadenlos ignoriert wurde. Mit den Händen fuhr er über den kleinen, runden Rücken und verteilte etwas Wasser und Schaum, wusch verdächtige Tomatenflecken herunter. Ob er wirklich mit in die Wanne steigen musste, war fraglich denn das ganze Waschen dauerte meist nur ein paar Minuten und er durfte sich danach ebenfalls umziehen, aber somit verband er seine eigene Körperpflege mit der seines Bruders. Mit einem Waschlappen wurden Arme und Beine gesäubert, bei den Haaren erstarrte Michael und griff fest an die Shorts seines Bruders, starrte apathisch auf dessen Bauch; er wollte ihm dabei ins Gesicht sehen können, um zumindest ansatzweise eine Regung zu deuten. „Gleich vorbei“, lobte er ihn leise und ließ den feuchten Stoff noch einmal behutsam durch Michaels Gesicht gleiten, als dieser mit der Hand abgewehrt hatte, es selber zu tun oder wenigstens berühren zu wollen. Die Flügel sollte er vielleicht auch bald mal reinigen, aber der heutige Tag war anstrengend gewesen. Für sie beide. Wasser lief an den langen Beinen herunter, als Luzifel sich wieder erhob und achtlos aus der Wanne stieg, Michael wieder auf dem Arm, der ergeben an seinem eigenen Daumen lutschte und den Kopf auf der Schulter des Bruders ruhen hatte, die Augen unruhig von einer Ecke zur anderen huschend. Er trocknete ihn ab und ließ ihn im Handtuch, zog sich selber eine bequeme Stoffhose an und sorgte dann dafür, dass das Baby endlich ins Bett kam; wickeln war kein Thema und lief in ähnlich sicherer Routine wie das Baden ab, dann gab er ihm noch einen Kuss auf die Stirn und deckte ihn zu, verließ den Raum lautlos. - Mitten in der Nacht war dann das Schreien da und Luzifel kämpfte sich aus seinem Bett, ging mit leisen Schritten in das Kinderzimmer direkt gegenüber. Als das Licht den Raum flutete, sah er Michael im Bettchen stehen, wieder dicke Krokodilstränen in den Augen. Wortlos strich er ihm über den Kopf und überlegte allen Ernstes, mit in das Bettchen zu steigen und sich zu ihm zu legen, doch es war erschreckend klein und Luzifel eben genau das Gegenteil. Er gab auf, dazu war er zu müde also streckte er die Arme aus und hob den kompakten Körper hoch, summte eine willkürliche Melodie. Er wollte wirklich nur noch schlafen, dieses eine Mal würde es schon in Ordnung sein und so fischte er sich noch die Schlange aus dem Bett – das einzige Plüschtier, welches er noch nie ersetzen musste – und verließ so zusammen mit Kind den Raum, um wieder in sein eigenes Zimmer zu gehen. Dort legte er sich mit einem Seufzen ins Bett, ließ Michael auf seiner Brust liegen und stellte zufrieden fest, wie dieser seinen neuen Schlafplatz wohlwollend akzeptierte. Das Wimmern und Weinen verebbte, unbeholfenes Reiben am eigenen Auge und dann rutschte wieder der Daumen in den Mund. So schlief er Sekunden später ein und Luzifel akzeptierte sein Schicksal als Kindermatratze, deckte sie zusammen etwas zu und schlief beinahe zeitgleich mit ihm ein. Er hatte nun zehn Monate gebraucht, ehe er sich sicher werden konnte. Ammen und Bezugspersonen hatten sich stetig gewechselt und sie alle waren durch seinen kleinen Test durchgefallen. Anweisungen waren eine runde Sache, auch wenn sie nicht immer leicht erfüllt werden konnten. Bisher hatte er niemanden erlebt, der sich dem widersetzt hatte und gerade deswegen rechnete er Raphael die letzten Stunden hoch an. Er sparte mit Lob und Anerkennung an andere, dennoch gefiel es ihm, dass endlich jemand Rücksicht auf die Bedürfnisse des Kindes nahm. Ha, Luzifel selbst würde ihm unter keinen Umständen die verhasste Banane hereinzwängen! Nun war er sich sicher, dass er endlich gehen konnte – bald, wenn er ihn hatte aufwachsen sehen. Er wollte Michael nicht irgendwann gegenüber stehen und dann raten müssen, ob er es wirklich war oder ob sein Pulsschlag noch der war, den er jetzt kannte; das flatternde Herz eines Kindes, schnell und stetig. Sie würden ihn quälen, doch eigentlich hätte er ihn schon unlängst abgeben müssen – es war eigentlich nicht gestattet, dass aus privaten Aspekten Kinder aufgezogen wurden und nur weil er dieses tadellos talentierte Verhalten an den Tag legte, hatte Luzifel sich überhaupt erst durchsetzen können und die kurzfristige Aufsicht für sich entschieden. Als er ihn jetzt aus dem Armen gab, sah er Unbehagen im Baby, das zuvor bei Raphael so ganz anders reagiert hatte. Aber heute ging es nicht um einen Babysitterjob, er würde umziehen. Die Elementarengel hatten kaum eine andere Wahl, als sich später miteinander abzugeben und ob Raphael wirklich gut für ihn war – nach einem Tag und dazu als junger, unerfahrener Engel, der die Ewigkeit nicht einmal erahnen konnte – sei dahingestellt, dennoch hatte Luzifel Hoffnung. Und es versetzte seinem Herzen einen nicht zu leugnenden Stich, als er Michaels verwirrten Ausdruck bemerkte, kaum dass er – das erste Mal – aus den gewohnten Räumlichkeiten getragen wurde. „‘zifel?“, hörte eben genau Angesprochener seinen eigenen Namen aus Kindermund und schloss die Tür, damit er die neuerlichen Tränen nicht sehen musste. Die letzte Berührung seiner Finger in dem weichen Haar würde für ihn ewig andauern. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)