Home Sweet Home von Rabenkralle ================================================================================ Kapitel 16: Was passiert ist, ist passiert ------------------------------------------ Kapitel 16: Was passiert ist, ist passiert Als sie die Felsmauer erreichte, hatte der Sonnenschein ihr Gesicht längst getrocknet. Sie wusste, dass es heute und in den folgenden Tagen nicht bei diesem einen Heulanfall blieb, aber für den Augenblick hatte sie genug von ihrem Selbstmitleid. Es war egal, warum Shikamaru hergekommen war, Tatsache war, dass er sich aus dem Staub gemacht hatte. Was passiert war, war passiert, und ließ sich nicht mehr ändern. Maki kam ihr entgegen. „Alles okay?“, fragte sie. „Du bist so schnell weggerannt, dass ich schon sonst was dachte.“ „Was dachtest du denn?“ Sie zuckte die Achseln. „Du bist sonst nicht so leicht aus der Fassung zu bringen. Ist dir der Typ denn so wichtig?“ Autsch, die Frage tat weh … „Ziemlich“, sagte Temari und schaffte es kaum, ihre Trauer und Enttäuschung zu verbergen. „Er ist Kairis Vater.“ Warum erzählte sie ihr das eigentlich? Für Aussprachen und Problemlösungen war Matsuri ihre Ansprechpartnerin … „Ihr führt eine Fernbeziehung?“, fragte Maki. „Hut ab! Das muss mit Kind doch ganz schön schwierig sein, oder?“ Temari setzte ein falsches Lächeln auf. „Zumindest, wenn er vergisst, sich zu verabschieden.“ „Ach, er wollte dich sicher nur nicht wecken.“ Die Kunoichi lächelte ebenfalls. Sie wünschte sich, dass sie Recht hatte, aber so naiv war sie nicht. --- Gegen Mittag klopfte es am Wohnzimmerfenster. Geistesgegenwärtig schaute Temari hin und sprang auf, um ihre Freundin hereinzulassen. „Hallöchen“, flötete Matsuri, zog ihre Schuhe an der Schwelle aus und ließ sie auf der Veranda stehen. „Ich hab gestern meine Tasche hier vergessen. Sag mal, wie wahrscheinlich ist es, dass du die Türklingel mal wieder anstellst?“ „Sehr wahrscheinlich“, entgegnete sie, ging in den Flur und schaltete sie an. Auf dem Rückweg fischte sie die Tasche von der Garderobe und reichte sie ihr. „Danke“, sagte sie. „Ohne Kohle bin ich so was von aufgeschmissen.“ „Kein Problem. Hast du noch ein bisschen Zeit? Ich würde gerne duschen gehen und es wäre toll, wenn du solange auf Kairi aufpassen könntest.“ „Klar, lass dir Zeit.“ Matsuri machte eine ausladende Geste. „Ich hab heute frei.“ --- Nach der Dusche ging es Temari besser. Sie war den Schweiß und Geruch der letzten Nacht los – ein wichtiger Schritt, um das Geschehene abzuhaken. Sie nahm die Sachen, die er getragen hatte, vom Boden, stopfte sie zusammen mit ihrer Kleidung in die Waschmaschine und stellte sie an. In Gedanken setzte sie den nächsten Haken. Ein paar Punkte standen noch auf der Liste, aber dann konnte sie das Ganze für sich abschließen und hoffentlich nach vorne blicken. Abschließen und nach vorne blicken … Wie lange dauerte es diesmal, wenn sie es beim letzten Mal nach sechzehn Monaten nicht geschafft hatte? --- „Wie hast du denn das hingekriegt?“ Matsuri deutete auf ihre Stirn. Ihre Hand wanderte automatisch zu dem Bluterguss. „Ach, das. Ist eine uninteressante Geschichte und ich möchte dich nicht langweilen.“ Ihre Freundin grinste. „Es hat mit einem Mann zu tun, oder?“ Temari antwortete nicht. „Dann hast du es jetzt doch mit Koutarou getrieben?!“ Sie klatschte vor Begeisterung in die Hände. „Dann war er gestern bei dem Sauwetter noch hier, was?“ „Nein, ich hab ihn immer noch nicht gesehen“, sagte sie mit einem Kopfschütteln. „Und wenn ich ihn sehe, werd ich es beenden.“ „Wie bitte?“ Matsuri starrte sie entgeistert an. „Gestern wolltest du dich noch bei ihm entschuldigen! Was ist denn passiert?“ „Ich hab nachgedacht“, sagte Temari, „und ich weiß jetzt, dass ich noch nicht bereit bin, eine neue Beziehung einzugehen.“ Argwöhnisch zog ihre Freundin die Augenbrauen zusammen. „Und wie wäre es mit der Wahrheit?“ „Das ist die Wahrheit“, entgegnete sie, „oder zumindest die Halbe.“ „Und wie sieht die andere Hälfte aus?“ Temari fuhr nervös mit ihren Fingerkuppen über die fleckfreie Seite ihrer Stirn. Eigentlich hatte sie keine große Lust, darüber zu reden … Sie warf einen Blick auf ihre Tochter, die sich vor Müdigkeit die Augen rieb. „Ich bring Kairi erstmal ins Bett“, sagte sie. „Es kann nämlich ein bisschen länger dauern.“ „Und dann fixt du mich jetzt schon an?“ Matsuri seufzte, dann huschte ein Grinsen über ihr Gesicht. „Ich hoffe, die Geschichte lohnt sich wenigstens, wenn ich schon drauf warten muss.“ „Für dich garantiert“, antwortete sie tonlos. --- „Dann schieß mal los!“ Temari kam sich wie ein exotisches Tier in einem Zoo vor, das voller Neugierde angegafft wurde. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, ihrer Freundin so ein Häppchen hinzuwerfen? Sonst hätte sie sich vielleicht verzogen und sie selbst konnte in Grübeleien darüber ausbrechen, was zur Hölle sie alles falsch gemacht hatte. Und sich dabei die Augen aus dem Kopf heulen. Nein, wenn sie die Wahl hatte, entschied sie sich für die Quasselstrippe, die auf der Couch saß. Sie ließ sich in den Sessel fallen und sagte: „Shikamaru war gestern hier.“ Matsuris Starren ging einen Moment in Ungläubigkeit über, dann kehrte es in seinen Ursprungszustand zurück. „Wie ist es gelaufen?“ Temari wusste zuerst nicht, was sie antworten sollte. Gleich die Fakten auf den Tisch, oder …?! Ach, egal. Sie zog es ihr ohnehin gekonnt aus der Nase. „Er hat Kairi kennengelernt, dann haben wir uns ausgesprochen und gevögelt.“ „Was?“, fragte sie. Die absolute Fassungslosigkeit stand ihr im Gesicht geschrieben. „Okay, noch etwas deutlicher: Wir hatten Sex!“ Irgendwie ging ihr die Reaktion ihrer Freundin auf die Nerven. Sie war sonst nicht so schwer von Begriff. Besonders nicht in diesen Dingen. „Dann seid ihr jetzt wieder zusammen?“ Matsuri konnte nicht wissen, wie einfühlsam diese Frage war, und so beschränkte sie sich darauf, ihr gedanklich eine Ohrfeige zu verpassen. Erstmal. „Befinden wir uns in einer kitschigen Soap?“, erwiderte Temari und setzte nach: „Nein, wir sind nicht wieder zusammen! Meinst du, dass alles wieder in bester Ordnung ist, nur weil man miteinander im Bett war?“ Ja, wie konnte ich das nur glauben?, fragte sie sich. Gut, zusammen mit den Gesprächen konnte man wirklich den Eindruck gewinnen, aber das Ende des Abends und ihr leeres Bett am Morgen hatte sie eines Besseren belehrt. „War’s denn wenigstens gut?“ Die Erinnerung daran löste ein Kribbeln in ihrer Magengegend aus. „Verdammt gut“ – sie biss sich auf die Unterlippe – „aber nach sechzehn Monaten ohne ist das wohl nicht so schwer.“ „Wahrscheinlich.“ Ihre Freundin kicherte. „Und weiter?“ „Nichts weiter“, sagte sie. „Und das heißt?“ Temari fühlte, wie das angenehme Gefühl in ihrem Magen verschwand. Sie faltete ihre Hände, begann ihre Fingerknöchel zu kneten und sagte: „Heute Morgen war er weg.“ „Wie, weg?“ Redete sie so undeutlich oder warum hakte Matsuri dauernd nach? „Er ist abgehauen, abgezischt, hat sich aus dem Staub gemacht!“, fuhr sie sie an. „Ich bin aufgewacht und er war nicht mehr da.“ „Bist du dir ganz sicher?“ „Nein, er hat einen Tarnumhang getragen und mich im Badezimmer erschreckt!“, sagte sie sarkastisch. „Hältst du mich für so blöd? Maki hat mir heute früh die Liste mit den Besuchern gezeigt. Er hat sich ausgetragen! Um halb fünf am Morgen!“ „Das ist wirklich unschön“, meinte ihre Freundin. „Aber immerhin hast du noch die Erinnerung daran.“ Die Ohrfeige in Gedanken verwandelte sich in einen Faustschlag. Wenn Matsuri nicht ihre einzige und beste Freundin gewesen wäre, dann … „Das und ein völlig versautes Bettlaken“, erwiderte Temari nüchtern. „Hui, wie oft hab ihr’s denn getrieben?“ „Dreimal.“ „So oft?“ Matsuri starrte wieder. „Hast du nicht mal gesagt, dass …“ „Ja, früher war zweimal in einer Nacht fast undenkbar. Er muss es noch nötiger als ich gehabt haben, wenn er es geschafft hat, mich dreimal in weniger als zwei Stunden zu vögeln.“ Toll, jetzt hatte sie eine Info ausgeplaudert, die niemand brauchte. Besonders nicht Matsuri. „In zwei Stunden?“, wiederholte sie. „Nicht schlecht.“ Es war tatsächlich nicht schlecht gewesen. Absolut nicht schlecht. Und wie die plötzliche Ordentlichkeit passte es nicht zu ihm. Ha, wahrscheinlich war sie auf ein Henge von jemandem hereingefallen, der irgendwie scharf auf sie war. Ein tröstender Gedanke, wenn er wahr gewesen wäre. Leider wusste er viel zu viel, um nicht der echte Shikamaru zu sein. „Aber wie kommt’s auf einmal?“, fragte ihre Freundin weiter. „Hast du nicht immer gesagt, dass du in sexueller Hinsicht nichts vermisst?“ „Ich hab auch nichts vermisst“, sagte Temari. „Oder das dachte ich zumindest, bis wir uns geküsst haben und übereinander hergefallen sind.“ Matsuri fing an zu kichern. „Was? Ich finde das irgendwie nicht besonders komisch.“ „Ich hab’s geahnt!“ „Was denn?“ „Na, dass du nicht zuerst versuchen würdest, die Beziehung zu erneuern, sondern dich gleich körperlich mit ihm betätigst, wenn er hier aufkreuzen sollte.“ „Wenn du mich so einschätzt, kennst du mich aber schlecht.“ Ihre Freundin setzte einen strengen Blick auf. „Was denn nun schon wieder?“ „Er ist deine große Liebe! Es war so klar, dass du so reagierst!“ „So ein Scheißdreck aus deinem Mund?“, erwiderte sie. „Okay, vielleicht war er das und ja, ich liebe ihn immer noch, aber unterm Strich ist es einfach nur schwer zu widerstehen, wenn man so lange keinen Sex hatte.“ „Weshalb du mit Koutarou nicht in die Kiste gesprungen bist.“ „Wunderschön analysiert“, sagte Temari trocken. „Gut, mit jedem anderen Mann wäre ich nicht gleich ins Bett gegangen, aber wen interessiert das jetzt noch? Ich geb dir ’nen guten Rat: Verlieb dich bloß nicht! Erst recht nicht, wenn derjenige weit weg wohnt und meint, dass patriotische Werte und Versprechen gegenüber Toten wichtiger als alles andere sind.“ Er hatte es zwar nicht so gesagt, aber sie wusste ja, wie er in den Punkten tickte. Da blieb kein Platz für sie. Und für Kairi. Sie fasste sich wieder an die Stirn und ihr war nach Losheulen zumute. Und Matsuris mitleidiger Blick sorgte nicht dafür, dass sie sich besser fühlte. „Warum zur Hölle hat er mir überhaupt gesagt, dass er mich liebt, wenn er sich dann doch wieder verpisst?“ Sie starrte auf das Muster ihres Rocks, um nicht blinzeln zu müssen und so der ersten Träne freie Bahn zu geben. „Und darauf bist du reingefallen?“, fragte ihre Freundin skeptisch. „Das ist doch der älteste Trick der Welt, um eine Frau ins Bett zu kriegen!“ Sie vergaß ihre Trauer für einen Moment. „In deiner Welt vielleicht“, sagte sie angesäuert. „Seltsam nur, dass er gerade dabei war, mir den zweiten Orgasmus des Abends zu verschaffen. Passt irgendwie nicht mit deinem Klischee zusammen, denn im Bett hatte er mich ’ne Stunde vorher schon.“ „Er hat es dir gesagt, während er dich gefickt hat?“ Matsuri zog die Augenbrauen hoch und ihr Mund stand vor Erstaunen offen. „Wahnsinn!“ „Allerdings. Hab ich auch nicht mit gerechnet.“ Temari deutete auf den Bluterguss. Die Jüngere lachte. „Da hast du aber ein hübsches Andenken!“ „Ja, ich freu mich auch drüber“, sagte sie mit einer Miene aus Stein. „Ach, wahrscheinlich ist ihm das im Eifer des Gefechts“ – sie zeigte Anführungszeichen mit den Fingern – „so rausgerutscht. Würde ich jetzt nicht überbewerten.“ „Und sein Ich liebe dich!, nachdem wir längst fertig waren, ist ihm auch nur so rausgerutscht?!“ „Er hat es noch mal gesagt?“, erwiderte ihre Freundin. „Das entzieht sich mir jetzt jeder Logik. Warum sollte er es zu dir sagen, wenn er sich am Morgen doch sowieso wieder verpisst?“ „Was fragst du mich das?“ „Du warst fast vier Jahre mit ihm zusammen.“ „Das heißt ja nicht, dass ich auch seine Gedanken lesen kann.“ Matsuri schwieg einen Augenblick. „Das ist so absurd“, meinte sie dann. „So absurd, dass es dir nicht schaden würde, es mit ein bisschen mehr Humor zu sehen!“ Mit Humor … Von Gefühlsdingen hatte sie wirklich keine Ahnung. „Ja, lustig, wie er mir die Hoffnung auf ein normales Familienleben gemacht und dann doch das Herz gebrochen hat.“ Temari lachte demonstrativ. „Das ist so verdammt witzig! Ich lach mich kaputt!“ Sie gespieltes Lachen ging in Schluchzen über. Sie wollte jetzt nicht weinen – vor allem nicht deswegen –, aber … Die Feuchtigkeit überrannte ihre Augen und als die erste Träne ihr Lid passierte, konnte sie auch die anderen nicht mehr zurückhalten. Matsuri legte in ihrer Hilflosigkeit einen Arm um sie und zog sie an ihre Schulter. „Ich hasse mein Leben“, flüsterte Temari. „Was hab ich getan, dass ich nicht einmal wenigstens ein bisschen Glück verdient hab?“ „Gar nichts“, sagte ihre Freundin und tätschelte ihren Oberarm. „Das Leben ist leider nicht immer fair.“ Sie trocknete mit dem Handrücken ihre Wangen. „Besonders nicht zu mir“, erwiderte sie in einem Anflug Galgenhumor. „Ich glaube, wenn Kairi nicht wäre, wäre es für mich zum Selbstmord nicht mehr weit.“ „Sag doch nicht so was. Außerdem seh es mal positiv.“ Ihre Freundin lächelte ihr zu. „Du bist gerade auf dem absoluten Tiefpunkt, also kann nur besser werden.“ Matsuri hatte Recht. Es konnte nur besser werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)