Home Sweet Home von Rabenkralle ================================================================================ Kapitel 17: Vorsicht ist besser als Nachsicht --------------------------------------------- Kapitel 17: Vorsicht ist besser als Nachsicht Es wurde nicht besser. Shikamarus Besuch konnte sie zwar mit jedem Tag aus einer etwas größeren Distanz betrachten – aus den halben Tag heulen war nach einer Woche einmal vorm Schlafengehen geworden –, aber ansonsten … Das Problem mit Koutarou hatte sie immer noch nicht gelöst. Vor drei Tagen hatte er einmal vor ihrer Tür gestanden, aber da sie sich in dem Moment in einer Portion Selbstmitleid gesuhlt hatte und ihm verheult nicht unter die Augen treten wollte, hatte sie so getan, als wäre sie nicht zu Hause. Sie wollte ihn ohnehin lieber auf neutralem Boden treffen. Nicht, dass sie sich in ihrer Verzweiflung dazu hinreißen ließ, aus Trost doch mit ihm zu schlafen. Nein, das musste sie ihm nicht auch noch antun, wenn sie schon mit ihm Schluss machte. Es reichte schon, dass sie es in seiner Abwesenheit mit ihrem Ex getrieben hatte. Temari ließ Matsuri den Mittagsschlaf ihrer Tochter überwachen und machte sich auf den Weg zu dem Lokal, in dem Koutarou arbeitete. Die Aussicht auf ein Treffen mit ihm und sein enttäuschtes Gesicht reizte sie nicht, aber die Wahrheit schuldete sie ihm. Einen Teil davon. Jetzt oder nie!, hieß es und da sie keine Lust hatte, sich die nächsten Monate vor ihm zu verstecken, kam nur das Jetzt infrage. Im Kopf ging sie noch einmal das durch, was sie sagen wollte, dann betrat sie den Laden. Koutarou rückte gerade ein paar Stühle zurecht und als er sie sah, schenkte er ihr ein Lächeln. Ein Lächeln, das ihr Herz aufspießte und ihr brutal bewusst machte, was für eine Scheiße sie gebaut hatte. Wenn Shikamaru nicht so sang und klanglos verschwunden wäre und sie aus seinem Leben verbannt hätte, hätte Koutarous Miene sicher nicht diesen Eindruck bei ihr hinterlassen, aber so … Ihr wurde übel. Noch konnte sie Fünfe gerade sein lassen, so tun als ob nichts gewesen wäre, aber das hatte er nicht verdient. Ja, er verdiente eine Frau, die ehrlich zu ihm war und nicht eine, die immer noch ihren Ex liebte und mit dem sie sich in der Zwischenzeit körperlich betätigt hatte. Und selbst wenn sie nicht mit ihm geschlafen hätte, wusste sie, dass sie in diesem Moment genau an derselben Stelle gestanden hätte, um die Liaison mit Koutarou zu beenden, mit dem sie unter diesen Voraussetzungen keine Zukunft hatte und nie haben würde. Er kam zu ihr und hob die Arme, doch Temari wich vor seiner Umarmung zurück. „Hast du ein paar Minuten Zeit?“ Sie versuchte so wenig kühl wie möglich zu klingen. „Wir müssen uns unterhalten.“ --- Er handelte mit seiner geschwätzigen Kollegin eine Pause aus und folgte ihr vor die Tür. „Es ist was Unangenehmes, oder?“, fragte Koutarou im Plauderton. Sie sah ihn an und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf drei Grashalme, die unterhalb eines Mülleimers sprossen. „Kairis Vater war hier“, sagte sie, „und wir haben beschlossen, es noch mal miteinander zu versuchen.“ „Ist das so?“ Temari konnte nicht erkennen, was in seiner Stimme lag, aber Begeisterung war es nicht. Sie wollte nicht mehr lügen, doch sie nickte. Hier war es der leichteste Weg und sie hoffte, dass es ihn weniger verletzte als die Tatsache, dass sie ihn für nichts betrogen hatte. „Du hast mit ihm geschlafen, oder?“ War sie so einfach zu durchschauen? Nach kurzem Zögern nickte sie erneut. Und das Gespräch nahm eine unschöne Wendung. --- Temari fühlte sich grauenvoll, als sie nach Hause ging. Einerseits war sie erleichtert, dass sie es hinter sich gebracht hatte, doch andererseits … Koutarou hatte verstanden, dass sie wieder mit ihrem Ex zusammen sein wollte – allein wegen Kairi –, aber dann hatte sein Verständnis aufgehört. Er hatte Worte in den Mund genommen, die sie ihm nicht zugetraut hatte und sie hatte alles stillschweigend über sich ergehen lassen. Weil er im Recht war. Sie dachte an den Spruch, der besagte, dass Worte nicht verletzen konnten. Was für ein Scheißdreck. Natürlich konnten sie es. Zumindest hatte sein Blick, als sie ihm erklärt hatte, warum sie ihn vor eineinhalb Wochen abgewiesen hatte, nichts anderes besagt. Sie hatte seine Gefühle verletzt und jetzt, da sie nicht mehr mit Shikamaru in ihrem Bett lag, wurde ihr klar, dass es sich doch furchtbar anfühlte, wenn man jemanden betrogen hatte. --- „Guten Abend!“ Mit strahlendem Gesicht kam Kankurou ins Wohnzimmer. „Wo ist denn meine Lieblingsnichte?“ Kairi quietschte, streckte die Arme nach ihm aus und er spielte Fliegen mit ihr. Temari lag ein ironischer Kommentar auf der Zunge, doch sie behielt ihn für sich. Nach dem Treffen mit Koutarou am Mittag hatte sie von hitzigen Gesprächen erst einmal die Nase voll. „Wie war dein Ausflug nach Kumogakure?“, fragte sie, ohne wirkliches Interesse daran zu haben. „Stinklangweilige Meetings, aber die Reise hin und zurück war wenigstens unterhaltsam“, erwiderte er. „Was hast du denn da gemacht?“ Er tippte sich an die Stirn. „Ich bin gegen ’ne Straßenlaterne gelaufen.“ Sie staunte, wie leicht ihr diese Lüge über die Lippen ging. „Ist vor einer Woche passiert.“ Ihr Bruder lachte. „Das ungesunde Gelb steht dir überhaupt nicht.“ „Wenn es so eine Beleidigung für deine Augen ist, guck woanders hin.“ „Hattest du einen miesen Tag oder warum bist du auf einmal so zickig?“ Einen miesen Tag?, wiederholte Temari in Gedanken. Sieben furchtbare Tage beschrieb es besser. Sehr viel besser. „Oder hast du deine Tage?“, fragte er weiter. Sie schüttelte den Kopf. „Da tut sich schon seit zwanzig Monaten nichts.“ „Immer noch nicht?“ „Nein“, sagte sie. „Und halt den Mund. Ich kann mir gerade Besseres vorstellen, als mich mit dir über meinen Zyklus zu unterhalten. Ist ja schon absurd genug, dass du bei Kairis Geburt dabei warst.“ „Du wolltest mich dabei haben.“ „Ja, weil Matsuri gerade auf Mission war und ich sonst niemanden hatte.“ „Du hast wirklich einen miesen Tag.“ Kankurou setzte seine Nichte wieder ab und sie krabbelte glucksend in ihre Spielecke zurück. „Irgendwas passiert?“ Seine Schwester zuckte nichtssagend die Achseln. „Jetzt sag schon.“ Ihr lag unendlich viel auf der Seele, aber von Shikamarus Besuch erzählte sie ihm nicht. Die Sache mit Koutarou brauchte sie allerdings nicht für sich behalten. Im Gegensatz zu der Bettgeschichte mit ihrem Ex drehte Kankurou ihr dafür nicht den Hals um. „Ich hab mich von Koutarou getrennt“, antwortete sie beiläufig. „Wie bitte?“ Ihr Bruder starrte sie mit offenem Mund an. Dieser Gesichtsausdruck erinnerte sie stark an den von Matsuri, als sie ihr von den Trennungsabsichten erzählt hatte. „Es hat nicht funktioniert.“ „Und warum nicht?“ „Er wollte Sex, aber ich bin noch nicht bereit dafür gewesen.“ Und deswegen hüpfst du mit deinem Exfreund in die Kiste, schalt ihr Gewissen sie. „Immer noch nicht?“ „Du wiederholst dich“, merkte sie an. „Und nein.“ „Wenn du so weiter machst, hast du bald die zwei Jahre ohne voll“, sagte er mit einem Seufzen. Ja, in 103 Wochen, dachte sie, sagte aber stattdessen: „Mir auch egal. Sex wird eh überbewertet. Brauch ich nicht.“ Und wie du es letzte Woche gebraucht hast! Temari ignorierte es. Langsam spielte sie mit dem Gedanken, einen Exorzisten aufzusuchen, damit er ihr dieses Miststück in ihrem Hinterkopf austrieb. „Deine Entscheidung“, meinte er. „Ich dusch jetzt jedenfalls und dann …“ Sein Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen. „Ja, geh nur und besorg’s dir. Interessiert mich nicht.“ „Nicht, dass du noch neidisch wirst.“ „Bestimmt nicht“, erwiderte sie nüchtern. „Viel Spaß bei einer niedlichen Kuschelsex-Nummer.“ Kankurou machte eine Grimasse. „Und dir viel Spaß mit deiner kleinen Nervensäge!“ Und einer Portion Selbstmitleid, dachte sie verdrossen. „Und Schwesterherz“, setzte er nach. „Wegen deinem immer noch nicht wieder vorhandenen Frauenproblem solltest du mal zum Arzt gehen.“ „War ich schon“, sagte sie. „Zwei Monate hab ich noch, bevor es bedenklich wird.“ „Wenn du das sagst … Aber Vorsicht ist besser als Nachsicht!“, flötete er und ging ins Badezimmer. --- Eine Woche und eine weitere verging und allmählich meinte Temari, einen winzigen Lichtschimmer am Ende ihrer depressiven Phase zu erkennen – und das langsame Erblühen ihrer Heimat stand sinnbildlich für ihren Gemütszustand. Ihr ging es nicht großartig – mit zerstückeltem Herzen war das ein schwieriges Unterfangen –, aber dass sie nach eineinhalb Jahren endlich ein reines Gewissen hatte, erleichterte vieles. Okay, Kankurou wusste immer noch nichts von dem, was während seinem Ausflug nach Kumogakure vorgefallen war, doch da sie ihm keine Rechenschaft schuldig war, war das nicht mehr als eine Notiz am Rande. Sie erzählte es ihm nicht und er brauchte sich im Gegenzug nicht über das Ganze aufzuregen. So einfach war das. Sie schaute ihrem Bruder zu, wie er mit Kairi im mit Gras durchwachsenen Sandkasten spielte. „Hast du irgendwann auch mal nicht Urlaub?“, fragte sie im Scherz. „Du bist nur neidisch“, gab Kankurou zurück. Er drückte Sand in eine Form, stürzte sie um und seine Nichte lachte und machte sein Kunstwerk dem Erdboden gleich. Temari lächelte. „Neidisch?“, erwiderte sie. „Wie könnte ich mit diesem Kind ernsthaft neidisch auf dich sein?“ Ein Grinsen, dann sagte er: „Wegen dem ich nebenbei bemerkt den Urlaub überhaupt genommen habe.“ „Es hätte doch gereicht, wenn du dir an ihrem Geburtstag freigenommen hättest. Wenn überhaupt. Die winzige Feier bekommen Matsuri und ich schon alleine organisiert.“ „Du meinst wohl, dass Matsuri sie alleine organisiert bekommt.“ „Wieso? Sie macht die Deko und wirft ein Auge auf Kairi und ich backe in Ruhe.“ „Du willst backen?“ Er zog vor Überraschung die Augenbrauen hoch und flachste: „Hilfe, dann kann ich uns gleich ein paar Zimmer im Krankenhaus buchen!“ „Vielen Dank“, sagte sie trocken. „Da möchte ich mir wirklich einmal Mühe geben und dann so was.“ „Nimm’s doch nicht so ernst. Hab ich deinen Humor mit nach Kumo genommen und dort vergessen oder wo hast du ihn gelassen?“ „Ich weiß, dass meine Kochkünste nicht zu gebrauchen sind, nachdem du es inzwischen tausend Mal betont hast“ – sie seufzte – „aber so ’nen kleinen, simplen Kuchen könntest du mir schon zutrauen. Wenn es dich beruhigt, nehm ich auch ’ne Backmischung.“ Kankurou prustete los. Kairi sah ihren Onkel verdutzt an und lachte dann mit. Wenn sich ihre Tochter schon darüber lustig machte, obwohl sie keine Ahnung hatte, worum es ging, musste wohl etwas dran sein. „Okay, also ’ne Backmischung“, beschloss Temari mit einem Schmunzeln. Ihr Bruder wischte sich die Lachtränen aus den Augen und setzte nach: „Wenn du ganz auf Nummer Sicher gehen willst, kauf lieber einen fertigen Kuchen.“ Sie sprang von der Bank auf und kniff ihm in den Unterarm. Mit der Faust rieb er sich über die Stelle und brach in Gelächter aus. „Siehste, schon bist du wieder die liebenswerte Kratzbürste! Aber an deinem Sinn für Humor müssen wir noch ein bisschen arbeiten.“ Gutes Gelingen, dachte sie. Schön war es aber, dass er sich solche Mühe gab, obwohl er gar nicht wusste, dass sie aufgeheitert werden musste. Sie beobachtete die beiden wieder beim Spielen. Kankurou gab beim Bauen verschiedener Sandformen den absoluten Musteronkel ab und Kairi hatte einen unglaublichen Spaß, wenn sie sein Werke kaputtmachte. Ein Punkt wanderte vor ihren Augen und ein Schwindelgefühl überkam sie. Temari setzte sich zurück und fasste sich an die Stirn. „Alles klar?“, fragte ihr Bruder. „Du siehst auf einmal so blass aus.“ Sie zuckte die Achseln. „Geht schon. Das muss die hohe Luftfeuchtigkeit sein.“ „Okay, sie ist höher als sonst durch das ganze Grünzeug hier“ – er warf ihr einen skeptischen Blick zu – „aber im Gegensatz zu der in Kumogakure ist das gar nichts.“ „In Kumogakure war ich noch nie“, bemerkte sie. „Dann eben zu der im Feuerreich.“ „Da war ich auch ewig nicht.“ „Dort hast du sie aber gut vertragen.“ Sie massierte ihre Schläfen mit kreisenden Bewegungen. Ihre Einbildung verschwand und das Bild vor ihren Augen hörte auf, sich zu drehen. „Meine Güte, da ist mir einmal schwindelig und du lamentierst gleich herum“, erwiderte sie. „Ich bin nur besorgt um dich, Schwesterherz.“ „Lieb von dir, aber um mich brauchst du dir wirklich keine Sorgen machen.“ Kankurou grinste. „Sorry, als fürsorglicher Bruder stellt man das nicht so einfach ab. Aber ich geb mir Mühe.“ Temari schenkte ihm ein Lächeln und lehnte sich zurück. Sie sorgte sich genug um sich selbst, da mussten sich andere nicht zusätzlich damit belasten. „Wann stellst du mir eigentlich deine Freundin vor?“, fragte sie, um dezent das Thema zu wechseln. Als Antwort bekam sie ein breites Grinsen. „Was?“, entgegnete sie. „Ist es so abwegig, dass ich die Person kennenlernen möchte, die freiwillig mit dir ins Bett geht?“ „Was willst du denn damit ausdrücken?“, beschwerte er sich. „Nichts.“ Sie lachte. „Ist doch nur Spaß. Und fragst du dich jetzt immer noch, wo mein Humor geblieben ist?“ „Solange du nur austeilen und nicht einstecken kannst, ja.“ „Sei nachsichtig mit mir. Ich hab schließlich erst vor zwei Wochen –“ Sie brach ab. Die Sache mit Koutarou hatte sie abgeschlossen und es machte wenig Sinn, sie wieder auszupacken. „Selbst Schuld“, sagte Kankurou nüchtern. „Dich hat niemand gezwungen, ihm wegen so ’nem unwichtigen Kleinkram den Laufpass zu geben. Ich versteh’s auch nicht.“ „Musst du auch nicht. Ich hatte meine Gründe und mehr brauchst du nicht zu wissen.“ „Will ich auch gar nicht. Dein Liebesleben interessiert mich nicht die Bohne.“ Er zwinkerte ihr zu und widmete sich wieder ganz seiner Nichte. Temari war erleichtert, dass er sich mit diesem Argument zufrieden gab, auch wenn sie wusste, dass er auf keinen Fall den Unbeteiligten spielte, wenn er jemals die Wahrheit erfuhr. Die Vorstellung seiner Reaktion machte sie nervös. Ihr Magen verknotete sich bei dem Gedanken daran und sie fluchte innerlich. Warum dachte sie über dieses Szenario überhaupt nach, wenn es niemals relevant wurde? Ja, niemals … Leider hatte sie die Garantie darauf nicht. Maki wusste, dass Shikamaru hier gewesen war und wenn er wieder beim Wachtdienst und ausgerechnet in ihrer Gruppe landete, konnte es heikel werden. Es war nicht so, dass Maki eine Plaudertasche war, aber … Wie Kankurou ihr selbst erst vor Kurzem vorgebetet hatte: Vorsicht war besser als Nachsicht. Sie wühlte in der Wickeltasche nach ihrem Portmonee und stand auf. Der Schwindel blieb aus. „Möchtest du noch etwas mit Kairi hierbleiben?“, fragte sie. Ihr Bruder sah auf. „Was hast du denn vor?“ „Ich muss noch einkaufen“, erklärte sie und grinste. „Ich hab dir heute Mittag deine letzte Tiefkühlpizza geklaut.“ „Na, dann verschwinde schon!“ – er gestikulierte wild, um seine Aufforderung zu unterstreichen – „Dein Kind ist bei mir in guten Händen.“ „Ich weiß“, sagte sie mit einem Lächeln und stellte die Tasche neben ihm ab. „Wir sehen uns dann zu Hause.“ Sie winkte ihrer Tochter zu – sie winkte munter zurück – und ging. Vorsicht ist besser als Nachsicht, schwirrte es ihr im Kopf herum. Und irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie das Nachsehen hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)