Home Sweet Home von Rabenkralle ================================================================================ Prolog: -------- Prolog »Ich habe es von Anfang an gewusst! Der perverse Spanner ist –« Ein Weinen übertönte den Fernseher. Kankurou seufzte und schaltete frustriert den Ton des Gerätes lauter. Dass es ausgerechnet an dieser Stelle – die Auflösung, auf die er drei Wochen gewartet hatte – passieren musste … »Sakata Gintoki, gestehen Sie, dass Sie das Opfer Sarutobi Ayame im Suff gefesselt und –« Das Weinen ging in Schreien über, machte den Fernseher abermals quasi mundtot und raubte seinem Zuschauer damit endgültig das letzte Quäntchen an Geduld. „Temari, kannst du dieses Balg nicht endlich abstellen?“, schimpfte Kankurou. Seine ältere Schwester kam mit ihrem Kind – das nun ruhig und mit seiner Milch beschäftigt war – auf dem Arm aus der angrenzenden Küche und sagte: „Rede gefälligst nicht so von deiner Nichte.“ „Ständig jammert sie herum, wenn ich meine Lieblingsserie gucke.“ „Tut mir leid, aber das ist nun mal ihre Essenszeit. Kann ich auch nicht ändern.“ „Doch, du könntest mit ihr wenigstens in ein anderes Zimmer gehen.“ „Und das Wasser für ihre Flasche über einem offenen Feuer aufkochen, oder was?“ „Du könntest sie doch auch wieder stillen. Hast du vor zwei Monaten auch noch gemacht.“ „Sorry, aber der Milchhahn ist inzwischen zu“, konterte sie. „Außerdem hat sie inzwischen ein paar Zähne und du würdest dir an meiner Stelle sicherlich auch nicht die Brustwarzen kaputt beißen lassen.“ Kankurou nuschelte etwas vor sich hin, gab aber klein bei. Im puncto Rhetorik war ihm seine Schwester meilenweit überlegen. Leider. Er wandte sich ab, um seine Serie weiterzugucken, doch alles, was er sah, war der Abspann mit den Credits. „Super!“, meckerte er und warf seiner Nichte einen finsteren Blick zu. „Wegen dir darf ich mir nun heute Nacht um halb zwei die Wiederholung reinziehen!“ „Ja, was für eine Einschränkung für dich, wenn man bedenkt, dass du zwei Wochen Urlaub vor dir hast!“, bemerkte Temari sarkastisch und setzte in einem ganz anderen Tonfall nach: „Und würdest du bitte aufhören, Kairi wegen so einer blödsinnigen Serie so böse anzusehen oder ist das zu viel verlangt?“ „Das ist kein Blödsinn“, widersprach ihr jüngerer Bruder, trotzdem bemüht, etwas netter dreinzuschauen. „Es ist nur … Ich werd immer noch sauer, wenn ich an ihren Vater denke. Sie sieht ihm so ähnlich.“ „Meine Güte, es sind doch nur die Haare!“, regte sie sich auf. „Es gibt unzählige Kinder mit schwarzbraunen Haaren. Außerdem kommt sie ansonsten doch viel eher nach mir.“ „Trotzdem …“, protestierte er. „Es ist unverzeihlich, was dieser Nichtsnutz dir angetan hat.“ „Ich hab mich doch von ihm getrennt! Wie oft muss ich dir noch sagen, dass es auf meinem Mist gewachsen ist?“ „Schuld oder nicht schuld spielt doch überhaupt keine Rolle! Er weiß es seit mindestens einem Dreivierteljahr und hat es in dieser Zeit nicht ein einziges Mal geschafft seine Tochter zu besuchen. Allein deshalb ist er für mich nichts weiter als ein Mistkerl.“ Temari erwiderte zuerst nichts, begann dann allerdings sachlich: „Kannst du deinen Groll nicht endlich mal vergessen? Er ist nicht der schlechte Mensch, für den du ihn hältst.“ „Ich kapier nicht, warum du ihn immer noch so verteidigst. Glaubst du etwa wirklich, dass er seitdem keinen Urlaub gehabt hat?“, fragte Kankurou. „Und wie ich Hokage-sama kenne, hätte er ihm wegen so einem Anlass garantiert Sonderurlaub gegeben. Nur egoistische Mistkerle scheren sich einen Dreck um ihre eigenen Kinder!“ Er schlug mit der flachen Hand auf den Couchtisch vor ihm, was Kairi einen Moment zusammenzucken ließ, und fluchte: „Gott, wenn ich den bei meinem nächsten Besuch in Konoha in die Finger bekomme …“ „Du kennst ihn doch gar nicht richtig. Wie kannst du da bitte ein Urteil über ihn fällen?“ „Du verlierst kein schlechtes Wort über ihn und wenn du davon redest, bekommt man echt den Eindruck, du liebst ihn noch. Warum hast du dich überhaupt von ihm getrennt, wenn du offensichtlich noch an ihm hängst?“ „Pack doch nicht ständig die alten Geschichten aus“, gab sie zurück. „Ich hab’s dir schon mindestens hundert Mal erzählt.“ „Vergiss den Kerl und such dir lieber einen neuen Freund.“ Er schaute zu seiner Nichte. „Jedes Kind braucht schließlich einen Vater.“ Wortlos blickte sie ihren Bruder an. „Noch ist sie zu klein, aber spätestens in zwei, drei Jahren wird sie dich fragen, warum sie keinen Papa hat“, fuhr Kankurou fort. „Wäre es da nicht besser, sie mit einem Ersatzvater großzuziehen und ihr erst viel später die Wahrheit zu sagen?“ „Vielleicht hast du ja Recht, aber momentan steht mir echt noch nicht der Sinn danach“, entgegnete Temari. „Außerdem finde mal als alleinerziehende Mutter einen vernünftigen Mann. Die meisten in meinem Alter bevorzugen doch die frischen jungen Mädchen und nicht so was Abgegriffenes wie mich.“ „Ich würde dich sofort nehmen, wenn du nicht meine Schwester wärst“, sagte er aufmunternd und brachte sie so zum Schmunzeln. „Verkauf dich nicht unter Wert. Du bist nicht abgegriffen.“ „Doch, ich hab noch nicht mal die Fünfundzwanzig erreicht und trotzdem schon ein Kind, was wiederum heißt, dass ich logischerweise keine Jungfrau mehr bin. Das ist für die meisten heutzutage doch abstoßend.“ „Du hast wirklich schräge Ansichten.“ „Das ist nicht schräg, sondern die Wahrheit“, widersprach sie. „Davon mal abgesehen wird es doch spätestens scheitern, wenn man sich ein bisschen näher kennengelernt hat. Ich hab weder Zeit noch Lust ständig abends wegzugehen, geschweige denn halbe Nächte lang nur zu vögeln, wie viele Paare es anfangs ja noch tun. Nein, nach einem Tag voller Babykotze und Geschrei brauche ich nachts meinen Schlaf!“ „Dann such dir einen bodenständigen Mann, der ein paar Jahre älter ist und seine Sturm- und Drangzeit bereits hinter sich hat.“ „Ja, ja …“ „Ich meine es ja nur gut mit dir. Oder möchtest du auf ewig alleine bleiben?“ „Natürlich nicht. Aber du könntest ruhig mal akzeptieren, dass ich noch ein wenig Zeit brauche.“ „Es ist doch schon über ein Jahr her. Warum tust du dich so schwer?“ „Lass das mal schön meine Sorge sein. Und soweit ich mich erinnere, bist du schon länger Single als ich.“ „Ich hab aber auch kein zahnendes Baby, um das ich mich kümmern muss und das mir mit seinem Geschrei den letzten Nerv raubt.“ „Trifft sich gut. Das hab ich nämlich auch nicht“, konterte Temari. „Die Kleine ist schließlich weitestgehend pflegeleicht und nervt mich überhaupt nicht.“ Kankurou hob die Augenbrauen. „Und was war mit deinem Heulanfall vorletzte Nacht?“, fragte er. „Eine glückliche und zufriedene Mutter sieht so sicher nicht aus.“ „Nur weil ich mal weine, heißt das nicht, dass ich nicht glücklich bin. Und welche Mutter mit so einem kleinen Kind ist schon jede Minute zufrieden?“ Sie strich der Kleinen liebevoll über die Haare. „Es ist wirklich bemerkenswert, dass du das mitmachst und trotzdem so ruhig bleibst. Ich an deiner Stelle hätte das Kind wahrscheinlich schon vor Wut aus dem Fenster geschmissen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Hättest du nicht, wenn es deins wäre“, sagte sie mit einem Lächeln. Kapitel 1: (Un)freiwillige Partnersuche --------------------------------------- Kapitel 1: (Un)freiwillige Partnersuche Mit einem breiten Grinsen im Gesicht kam Kankurou ins Wohnzimmer. „Du gehst heute Abend aus!“, legte er fest. Temari zog die Augenbrauen hoch und erwiderte: „Mit Sicherheit nicht.“ „Doch!“, widersprach ihr Bruder. „Matsuri holt dich gegen neun ab.“ „Nö!“ „Doch!“ „Ich sagte Nein!“ „Und ich, dass du mitgehst! Dann kommst du endlich mal wieder unter Leute.“ „Leute?“, wiederholte sie sarkastisch. „Du meinst Besoffene und Junkies?“ „Ach, Schwesterherz“, begann er und schüttelte den Kopf, „auch wenn es gegen deine Ansicht verstößt: Samstagabend sind auch Menschen unterwegs, die nicht Alkohol oder andere Drogen konsumiert haben oder noch werden.“ „Ich hab trotzdem keine Lust. Außerdem: Du weißt, dass ich ein Baby habe?“ „Gaara und ich passen auf sie auf.“ „Ihr beide?“, fragte sie skeptisch. „Das kann doch nichts werden!“ „Beim letzten Mal hat es auch geklappt.“ „Da war ich aber auch nur eine Stunde weg, um einzukaufen. Und Gaara meinte, die Kleine hätte die ganze Zeit geschlafen!“ „Jetzt gib uns doch wenigstens mal die Chance!“ „Musst du nachher nicht deine komische Serie gucken?“, warf seine Schwester ein. „Sie ist nicht komisch. Jedenfalls nicht in dem Sinne, den du meinst“, protestierte Kankurou. Aber um deine Frage zu beantworten: Die läuft heute nicht.“ „Hockt Gaara denn nicht wie jeden Abend über dem liegengebliebenen Papierkram?“ „Er nimmt sich heute extra frei, um sich um seine Nichte zu kümmern.“ Überlegen lächelte er sie an und setzte nach: „Und, gehen dir langsam die Ausreden aus?“ „Das sind keine Ausreden“, verteidigte Temari sich. „Es ist doch ganz normal, dass es einer Mutter schwerfällt, wenn sie sich von ihrem Kind trennen soll. Selbst wenn es nur für ein paar Stunden ist.“ „Du bekommst sie ja unbeschadet wieder. Sagtest du nicht auch, dass sie seit neuestem nachts durchschläft? Wahrscheinlich werden Gaara und ich also nicht mal gebraucht.“ „Ja, aber …“ Sie seufzte. „Na, gut, ich gehe mit. Aber falls irgendjemand auf die Idee kommen sollte, mich anzugraben, werde ich ihn eiskalt abblitzen lassen.“ „Unverhofft kommt oft!“, schloss Kankurou siegessicher. --- Matsuri stand überpünktlich auf der Matte. „Na, du kleine süße Maus?!“, begrüßte sie zuallererst Kairi, die neben ihrer Mutter auf dem Sofa saß und auf ihrem Lieblings-Plüschtier – einer Maus – herumkaute. „Redest du mit der Kleinen oder mit dem Plüschi?“, flachste Temari herum, da sie sich über die eingebürgerte Wortwahl ihrer Freundin immer wieder gerne lustig machte. „Boah“, stöhnte Matsuri, „wie ich diesen Spruch hasse! Fällt dir denn nicht mal was anderes ein?“ „Warum denn? Dir fällt doch auch nichts anderes ein, als mein Kind kleine süße Maus zu nennen.“ „Aber das ist sie doch auch: Klein, süß und der Zusatz Maus klingt einfach niedlich!“ „Tut’s der normale Anhang -chan denn nicht auch?“ Ein Kopfschütteln. „Nein, zu gewöhnlich. Ein -chan hat doch irgendwie jedes Mädchen an ihrem Namen hintendran kleben. Zeit also, aus dieser Gewohnheit auszubrechen. Außerdem benutzt du selbst doch auch keine Suffixe.“ „Beispiele?“ „Deine Brüder, Shikamaru …“ „Erstens: Alle drei sind jünger als ich, was mich berechtigt, die Suffixe wegzulassen –“ „Außerhalb der Familie ist es aber unhöflich, wenn man sich nicht nahe steht.“ „Kann man sich denn noch näher stehen, als wenn man miteinander schläft? Oder glaubst du, ein Storch hätte mir die Kleine gebracht?“ „Apropos: Nächste Woche mache ich einen Botengang nach Konoha. Falls ich ihn dann treffen sollte, werd ich ihm so was von dick aufs Brot schmieren, was er für eine süße Tochter hat und was er alles verpasst.“ „Wird zwar nichts bringen, aber versuch ruhig dein Glück“, meinte Temari schulterzuckend. „Ich kann ihn ja auch verprügeln und mit Gewalt hierher schleppen. Gute Idee, oder?“ „Dafür bekommst du ein gepflegtes Lol von mir!“ Ihre Freundin streckte kurz beide Daumen nach oben und grinste übertrieben. „Noch mehr doofe Einfälle?“ „Ja, heute finden wir einen Mann für dich!“ „Ich sagte doof und nicht total bescheuert!“ „Muss ja auch nichts Festes sein. Reicht doch, wenn … Na, du weißt schon, Bedürfnisse und so.“ „Du meinst, jedem eine zu scheuern, der mir zu sehr auf die Pelle rückt? Hört sich wirklich befriedigend an.“ „Kannst du deinen Ironiemodus nicht mal ausschalten? Ich meine es ernst!“ „Ich auch! Wenn ich inzwischen mal wieder Lust auf Sex gehabt hätte, hätte ich mir schon längst jemanden dafür gesucht.“ „Sicher?“ „Okay, halbwegs intelligent dürfte er schon sein, aber ja“, entgegnete sie. „Wozu muss er dafür denn Intelligenz aufweisen? Es heißt ja schließlich: Dumm –“ Temaris Blick brachte sie kurzfristig zum Schweigen. „Stimmt, bei dem Exfreund hätte ich in dem Punkt wahrscheinlich auch höhere Ansprüche.“ Matsuri grinste. „Du bist manchmal echt daneben.“ „Weil ich von ihm gesprochen habe?“ „Nein, einfach generell.“ „Apropos daneben“, lenkte die Jüngere rasch ab. „Ziehst du dich noch um?“ „Nein, sollte ich etwa?“ „Mit einem voll gesabberten T-Shirt ausgehen ist daneben. So zeig ich mich jedenfalls nicht mir dir auf der Straße, geschweige denn in einer Bar.“ „Ach, die meisten Männer saufen sich doch ohnehin alles schön.“ „Woher willst du denn das wissen? Hast du nicht selbst gesagt, dass Shikamaru nie getrunken hat?“ „Ja, hat er auch nicht.“ „Warum in aller Welt hast du denn so eine verquere Lebenseinstellung, wenn er deine jetzigen Vorurteile nie bestätigt hat?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich finde, es ist ziemlich blöd von dir, jeden an ihm zu messen.“ „Red doch keinen Unsinn! Ich hab eben gewisse Ansprüche, die nicht jeder dahergelaufene Trottel erfüllen kann. Ich bin halt nicht so billig und lass mich auf jeden ein.“ „Ja, weil du alle von Anfang an als Trottel abstempelst! Bei dem Ex aber auch kein Wunder.“ „Also bitte, er ist doch der größte Idiot von allen! Ansonsten wäre nicht mein Bruder bei der Geburt dabei gewesen und ich müsste mich nicht seit einem Dreivierteljahr alleine mit einem Baby herumschlagen.“ „So klare Worte hast du vorher noch nie –“ „Deswegen ist er ja noch lange kein schlechter Mensch.“ Matsuri seufzte und meinte: „Ja, verantwortungsloser Arsch passt da wohl besser.“ Temari rollte nur mit den Augen. „Schon gut, lassen wir das“, lenkte ihre Freundin ein. „Aber um ein Umstyling kommst du trotzdem nicht herum. So, wie du jetzt aussiehst, flüchten ja sogar Schreckgespenster vor dir.“ „Wenn Schreckgespenst ein Synonym für Mann ist, gerne.“ --- „Toll, jetzt sehe ich aus wie ’ne Nutte“, bemerkte Temari eine halbe Stunde später und eine gefühlte Tonne Make-up im Gesicht reicher. „Quatsch, du siehst aus wie ein Mensch, den man sich gerne ansieht“, widersprach Matsuri mit einem breiten Lächeln. „Hätte ein bisschen Kajal denn nicht ausgereicht?“ „Nicht bei den Augenringen. Das sah aus, als hättest du seit Monaten nicht mehr ausgeschlafen.“ „Hab ich ja auch nicht.“ „Dann wird’s aber mal höchste Zeit. Drück die Kleine einfach Kankurou aufs Auge und penn dich mal so richtig aus.“ „Ich überleg’s mir“, gab sie zurück. „Darf ich dieses Zeug jetzt wieder abwaschen?“ „Abgelehnt!“ „Diese Klamotten gefallen mir übrigens auch nicht besonders. Der Rock ist viel zu kurz.“ „Der ist nicht kürzer als die, die du früher getragen hast.“ „Jetzt bin ich aber Mutter. Da muss ich ein bisschen seriöser auftreten.“ „Du gehst aus!“, erwiderte die Jüngere nachdrücklich. „Da darf ein Rock auch mal zehn Zentimeter über dem Knie enden.“ „Das sind aber mehr als zehn –“ „Widerspruch zwecklos!“ Sie packte ihre Freundin am Handgelenk und zog sie in Richtung Wohnzimmer. „Und nun verabschiede dich von deinem Kind und dann lass uns losziehen!“ --- Die Kneipe namens Otoses Bar, zu der Temari geschleppt wurde, war gerammelt voll. Warum musste Matsuri sie auch ausgerechnet zur Happy Hour dorthin schleifen? Sie bahnten sich einen Weg durch die Menge und nahmen die beiden Plätze an der Theke ein, die zwei Mädchen nur Sekunden vorher geräumt hatten, um sich von ein paar Typen abschleppen und im Hinterhof befummeln zu lassen. So lautete zumindest Temaris Vermutung. „Was willst du trinken?“ „Ein Wasser bitte.“ „Okay, für sie ein Grasshopper und für mich ein Sex on the beach“, sagte Matsuri zur Bedienung und flüsterte ihrer Freundin dann zu: „Letzteres wäre in echt auch nicht schlecht.“ „Sand findest du hier doch vor jeder Haustür – nur eben ohne Strand“, bemerkte diese an. „Was ist eigentlich ein Grasshopper? Klingt nicht unbedingt nach Wasser.“ „Das ist ein Cocktail mit Minzgeschmack. Du stehst doch so auf Pfefferminzeis und da dachte ich, das wäre bestimmt was für dich.“ „Ist er alkoholfrei?“ Ihre Freundin brach in lautes Gelächter aus. Temari seufzte und protestierte: „Ich hab dir doch gesagt, dass ich keinen Alkohol trinke!“ „Jetzt sei doch nicht immer so verbohrt und werd mal ein bisschen locker! Das ein oder andere Promillchen im Blut wird dir sicher dabei helfen, einen Mann anzusprechen.“ „Ich leide aber nicht an selektivem Mutismus, sondern möchte einfach keine Beziehung, geschweige denn eine kleine Bettgeschichte für zwischendurch. Und daran ändert ein Vollrausch auch nichts.“ „Selektiv – was?“ „Ach, vergiss es. Ist nicht so wichtig.“ Matsuri zuckte die Achseln und kehrte zum Ausgang des Gesprächs zurück. „Du bist wirklich eine extreme Spießerin. Früher warst du ganz anders.“ „Als Mutter eines neun Monate alten Babys darf ich so spießig sein, wie ich es für richtig halte.“ „Aber du bist noch nicht mal fünfundzwanzig Jahre alt. Es gibt auch jenseits deiner Pflichten noch ein Leben, in dem nicht alles so ernst zugehen muss. Hab einfach mal ein bisschen Spaß!“ „Ich glaube, von Spaß haben wir unterschiedliche Auffassungen.“ „Gut, dann hast du heute eben mal Spaß auf meine Art!“ „Und das wäre wie?“ „Du wirst ja sehen.“ Lächelnd schob Matsuri ihr den Drink entgegen. --- Temari musste zugeben, dass ihr der Cocktail gar nicht schlecht schmeckte. Was ihr allerdings weniger gefiel waren die Auswirkungen des Alkohols nach nur wenigen Schlucken. Sie hatte noch nie besonders viel vertragen und die lange Zeit, in der sie nichts Alkoholhaltiges angefasst hatte, schien diese Erscheinung nur zu begünstigen. „Warum läuft die Kellnerin eigentlich mit Katzenohren herum?“, fragte sie aus dieser Laune heraus. „Ist das irgend so ein neuer Trend, den ich verpasst hab?“ Matsuri zuckte mit den Schultern und erwiderte: „Vielleicht ist sie eine Amanto?!“ „Eine was?“ „Na, so werden die Außerirdischen in einer Animeserie genannt, die ich gerne gucke. Schon mal was von Gintama gehört?“ Ihre Freundin schlug sich die Hand vor die Stirn. „Nicht du auch noch! Kankurou nervt mich mit dem Kram auch schon jeden Tag.“ „Er hat Geschmack!“ „Warum tut ihr euch dann nicht zusammen? Für Sex on the beach wäre er sicher auch zu haben, so lange wie er schon Single ist.“ „Wie lustig“, gab sie trocken zurück. „Außerdem weißt du doch, dass …“ „… du was von Gaara willst?“, vollendete Temari den Satz. „Dann frag ich mich aber, warum du dich in solchen Läden wie diesen hier herumtreibst.“ „Ich halte mir – im Gegensatz zu dir – eben alle Möglichkeiten offen und schaue mich um, falls das nichts werden sollte.“ „Wenn du so weiter machst, wird das auch nichts mit euch beiden. Gaara ist gefühlsmäßig doch immer noch völlig verkorkst und du steigst lieber mit irgendwelchen Pennern in die Kiste, anstatt ihn nach ’nem Date zu fragen. Und dass du von ihm keine Initiative erwarten kann, ist mehr als offensichtlich.“ „Sei nicht so gemein!“ „Ich sage bloß die Wahrheit, auch wenn’s wehtut.“ „Na ja, ich kann mir wenigstens noch Hoffnungen machen und hab keine gescheiterte Beziehung hinter mir und ein daraus hervorgegangenes Kind an der Backe.“ „Dankeschön, dass du mir meine tolle Situation wieder bewusst machst“, meinte Temari sarkastisch. „Genau deswegen sind wir ja hier. Heute mach ich dich mit einem Super-Typen bekannt, der dich deinen Ex ruckzuck vergessen lassen wird.“ „Du tust ja so, als ob ich ständig an ihn denken würde …“ „Es heißt doch auch dauernd: Shikamaru hier, Shikamaru da … So kommst du nie drüber hinweg.“ „Schon mal dran gedacht, dass ich das vielleicht auch gar nicht möchte?“ O Gott, hatte sie das jetzt tatsächlich ausgesprochen? „Wenn das so ist, bist du ein hoffnungsloser Fall und total bescheuert.“ „Ist doch nichts Verwerfliches, wenn ich glaube, dass ich mit ihm besser dran wäre.“ „Verwerflich nicht, aber dumm“, bemerkte Matsuri. „Dumm, dass du keinem anderen eine Chance geben möchtest.“ „Dann stell mir jemand Anständigen vor und ich überleg’s mir eventuell.“ „Nichts leichter als das! Ich kenne so viele nette Typen, dass du dich gar nicht entscheiden können wirst, mit wem du zuerst ausgehst!“ „Da bin ich aber mal gespannt“, schloss Temari mit einem Schmunzeln. --- „Das sind ja wirklich extrem nette Leute“, meinte sie an ihre Freundin gewandt, während sie dem Kerl mit der kilometerlangen Alkoholfahne auf die Finger schlug, die sich nach ihren Geschmack ein wenig zu sehr in ihre körperliche Privatsphäre verirrt hatten. „Okay, betrunken kannst du ihn vergessen, aber nüchtern ist er ein wahrer Gentleman!“ „Das merke ich“, betonte sie und packte ihrem aufdringlichen Verehrer fest am Handgelenk, damit er ihr nicht noch näher kam. „Ach, übrigens“, meinte sie anschließend zu diesem, „ich hab zu Hause ein neun Monate altes Baby.“ Augenblicklich hielt der Mann inne. „Was, ’n kleiner Schreihals?!“, stammelte er und entwand sich rasch ihrem Griff, „Nee, Kinder mag ich nicht!“ Er verschwand binnen weniger Sekunden auf die andere Seite des Raumes. „Mensch, warum bin ich darauf nicht schon eher gekommen?“, fragte Temari amüsiert. „Das klappt doch zu neunundneunzig Prozent!“ Matsuri wiederum schaute eher sparsam aus der Wäsche. „Mir hat er immer gesagt, er würde Kinder mögen … Na, egal. Vergiss den Kerl! Ich kenne noch genügend andere –“ „Nein, danke! Auf Schnapsleichen, die nicht mal annähernd Herren über ihre Sinne sind, pfeif ich. Drei Bekloppte sind mir genug für einen Abend!“ „Was ist mit Herr der Ringe?“, hakte sie nach, da sie ihre Freundin nicht richtig verstanden hatte. „Nicht Ringe, sondern Sinne!“, verbesserte diese. „Obwohl ich jetzt auch lieber zusammen mit Gollum in die Lava des Schicksalsberges stürzen würde, anstatt hier zu sein … Jetzt weiß ich: Wenn du mir einen Mann auftreiben kannst, der wie Sam ist, verabrede ich mich sofort mit ihm!“ „Und du meinst, Kankurou und ich wären Freaks?“ „Das habe ich nie behauptet.“ Sie schüttelte den Kopf und fragte: „Sonst noch Ansprüche?“ „Ja, bitte keinen verrückten Jack Torrance.“ „Wer soll denn das schon wieder sein?“ „Der Hauptcharakter aus einem Horror-Roman. Liest du denn überhaupt keine Bücher?“ „Horror? So was liest du?“ „Da es mich gut unterhält, ja.“ Ihre Freundin starrte sie verblüfft an. „Okay, deine sadomasochistische Veranlagung zieh ich von nun an in meiner Suche nach einem passenden Mann für dich mit ein. Stehst du auch auf Fesselspiele?“ „Das ist ein absolutes Muss!“, scherzte Temari. Kapitel 2: Alkohol ist (k)eine Lösung! -------------------------------------- Kapitel 2: Alkohol ist (k)eine Lösung! „Noch ’n Drink für mich!“, brüllte Matsuri die Bardame an und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Mein Glas is’ schon seit zwanzig Sekunden leer! Ich brauch Nachschub!“ „Jetzt reiß dich doch mal ein bisschen zusammen!“, fauchte Temari ihr ins Ohr. „Alle Leute glotzen uns schon an, weil du sturzbetrunken bist.“ „Ich bin nicht betrunken! Höchstens angeheitert!“ Sie kicherte irre. Ihre nüchterne Freundin rutschte auf ihrem Barhocker ein Stück von ihr weg. Dass sich Matsuri so gehen lassen würde, hätte sie nie von ihr gedacht. Aber auch nach vierundzwanzig Jahren lernte man wohl immer noch etwas Neues dazu. Temari schaute auf ihre Uhr. Es war erst kurz nach elf. Sie hielt sich keine zwei Stunden in diesem Laden auf und der Abend hatte trotzdem schon mehrere Tiefpunkte gehabt. Doch was hatte sie auch von einer Menge Betrunkener – Matsuri nun eingeschlossen – erwartet? Genau das war es ja: Nichts. Und diese Erwartung war zum momentanen Zeitpunkt wirklich noch deutlich unterschritten worden. Sie überlegte, ob sie sich verziehen und nach Hause gehen sollte, aber auf Kankurous blöde Sprüche hatte sie keine Lust. Außerdem konnte sie eine ihrer engsten – und unzurechnungsfähigsten – Freundinnen nicht einfach sich selbst überlassen. In dem Zustand war es für den hirnlosesten Idioten ein Leichtes, sie abzuschleppen und in einer Gasse auf den Mülltonnen flachzulegen. Nein, das war sicher nicht in Matsuris Sinne. Zumindest nicht, wenn sie so dermaßen betrunken war. „Matsuri“, setzte sie an, „wir gehen jetzt was essen!“ Ihre Tonlage ließ keinen Widerspruch zu. Ihre Freundin schaute sie mit glasigem Blick an und nuschelte: „Aber ich hab meinen Drink … Na, er is’ noch nich da …“ Anscheinend vergaß sie noch während des Sprechens, was sie sagen wollte. Temaris Sympathie für sie sank ins Bodenlose. Beste Freundin hin oder her – Trinkgelage fand sie einfach zum Kotzen. Das war schon lange vor der Schwangerschaft so gewesen und das änderte sich auch nicht mehr. Sie packte die Cocktail-Leiche an den Schultern und komplimentierte sie behutsam in Richtung Ausgang. --- In einem netten Lokal in unmittelbarer Nähe nahmen sie Platz. „Mit dir geh ich so schnell nirgends mehr hin“, legte Temari fest und musterte beiläufig die Speisekarte. „Was möchtest du zu essen?“ „Bett …“, murmelte die Jüngere nur vor sich hin. „Sorry, Betten stehen nicht auf der Speisekarte“, flachste sie. „Jetzt bestell dir schon was. Danach wird’s dir garantiert besser gehen.“ „Na, gut … Können wir uns ’ne Pizza teilen?“ „Nur wenn du nichts gegen Salami hast.“ „Sal… was?“ Temari rollte genervt die Augen. Waren die Gehirnzellen ihrer Freundin etwa schon alle abgestorben? Unglaublich … „Das sind diese großen, roten Scheiben, die oft auf einer Pizza liegen“, bemerkte sie trocken. „Einverstanden …“ Ihre Freundin ließ ihren Kopf auf die Tischplatte fallen und schloss die Augen. --- Während Temari auf das Essen wartete, schaute sie sich im Raum um. Besonders auffällig waren die Zwei, die in der hintersten Ecke saßen. Ein Mann mit langen schwarzen Haaren und Augenklappe, der sich offensichtlich als Kapitän verkleidet hatte, schaufelte eine riesige Portion Yakisoba in sich hinein und die Person neben ihm – wenn man das Etwas denn so nennen konnte – gestikulierte wild und hielt ein Schild mit Schriftzeichen in die Höhe, die sie nicht lesen konnte. Die Szene an sich wäre ja schon bizarr genug gewesen, aber die Entenverkleidung des Schild-Halters setzte dem Ganzen die Krone der Lächerlichkeit auf. Vor allem, da unter dem Kostüm ein haariges Paar Männerbeine hervorlugte. Komische Figuren gab es … Da der Kellner sich mit der Bestellung näherte, wandte sie sich schnell ab. „Und hier die Pizza mit extra viel Käse für die bezaubernde junge Dame!“ Temari drehte sich um, um nachzusehen, wen der Mann gemeint hatte. Doch hinter ihr saß niemand, erst recht keine Frau. Und die vom Übergeben bleiche Matsuri, die betrunken auf dem Tisch schlief, konnte er unmöglich meinen. „Danke“, erwiderte sie nach kurzem Zögern. „Aber ich muss Sie enttäuschen: Ich hab meinen Freund abserviert und sein Baby zu Hause.“ Der Kellner schaute einen Moment verdutzt, lachte dann aber herzhaft. „Sie reden wohl nicht lange um den heißen Brei herum“, sagte er. „Das gefällt mir. Ich mag’s, wenn Frauen von Anfang an ehrlich sind.“ „Dito“, gab sie zurück. „Wobei zu viel Ehrlichkeit echt abschreckend wirkt.“ „Sie werden wohl öfters angesprochen?“ „Heute schon. Und alle haben sich verpisst, nachdem ich gesagt habe, dass ich ein Kind habe.“ Moment mal! Warum erzählte sie das überhaupt einem wildfremden Kerl? Dieser lachte abermals. „Haben Sie das jedem gleich so ins Gesicht gesagt wie mir?“ „Dummerweise nicht“, entgegnete sie belustigt. „Ich heiße übrigens Koutarou.“ Der Kellner reichte ihr die Hand. „Nett Sie kennenzulernen!“ Nach einem Augenblick des Überlegens erwiderte sie seine Geste. „Ich bin Temari“, stellte sie sich vor und lugte mit einem schiefen Lächeln neben sich. „Und das hier neben mir ist eine Schnapsleiche, die zu viele Cocktails getrunken hat.“ „Sehr erfreut“, meinte er amüsiert. „Müssten Sie so was nicht eigentlich täglich erleben?“ „Ich sag’s mal so: Es ist keine Seltenheit.“ Der Mann schaute sich kurz um, ob Kundschaft am Tresen stand, und setzte sich auf einen umgedrehten Stuhl. „Und wie sieht’s bei Ihnen so beruflich aus?“, fragte er im Anschluss. „Wie gesagt: Momentan bin ich Mutter eines neun Monate alten Babys“, antwortete sie. Er hob die Augenbraue. „Dann war es also kein Scherz?“ Okay, gleich kam garantiert ein dämlicher Vorwand, damit er sich wieder hinter seine Bar verziehen konnte … „Absolut nicht.“ Sie zückte ihr Portmonee und zog das rosa Armband heraus, das ihre Tochter nach ihrer Geburt im Krankenhaus getragen hatte. Seltsamerweise trug sie es immer noch mit sich herum. Er musterte es einen Augenblick lang und sagte: „Kairi ist ein hübscher Name.“ Sie nickte. „Hat es einen bestimmten Grund, warum Sie Ihr Kind so genannt haben?“ „Na ja, er klingt so ähnlich wie Kaeru – so hätte ich einen Jungen genannt – und Zuhause ist es eben am schönsten. Home sweet home, wenn man so will.“ Als Erklärung setzte sie nach: „Ihr Vater ist ein Shinobi aus Konohagakure und dementsprechend hab ich mich häufiger dort aufgehalten.“ „Dann macht der Name in dem Sinne … nun ja … wirklich Sinn!“ „Mehr oder weniger zumindest.“ Temari lachte. Koutarou schmunzelte ebenfalls und fragte: „Und was war vor dem Muttersein?“ „Da war ich Kunoichi“, antwortete sie und fuhr etwas zögerlich fort: „Immerhin Chuunin.“ Und schon die erste Lüge. Aber sie wollte diesen netten Mann nicht gleich von Anfang an einschüchtern, indem sie ihm erzählte, dass sie Jounin und mehrmals Truppenführerin gewesen und zudem auch noch die Schwester des amtierenden Kazekage war. Nein, das musste nicht sein. Jedenfalls jetzt nicht. Um rasch das Gespräch auf einen anderen Schwerpunkt zu verlegen, fragte sie: „Wer sind die beiden komischen Typen da drüben eigentlich?“ „Das ist Zura, einer meiner besten Stammkunden, mit seinem – man könnte sagen – Haustier.“ Haustier? Der schlecht verkleidete Kerl mit den unrasierten Beinen sollte ein Haustier sein? „Nicht Zura, sondern Katsura!“, rief der Mann herüber. „So viel Zeit muss sein!“ Temari vergaß zu fragen, was denn der erste Satz bedeutete, denn seine Stimmelage verblüffte sie einen Moment lang. Sie war der von Gaara wirklich verdammt ähnlich. Sie sah, wie Koutarou den Mund zu einem entschuldigendem Lächeln verzog und sich wieder zu ihr wandte. In seinem Blick stand für ein Sekündchen ein besonderer Glanz und sie kam sich plötzlich wie ein bloßes Objekt seiner Begierde vor, was ihre Alarmglocken kurz läuten ließ. Wenn er sie so weiter mit seinem Charme einlullte, gelang es ihm das vielleicht sogar. Im Grunde war sie dem nicht mal abgeneigt, selbst wenn sie immer etwas anderes behauptete. Stimmt, eigentlich konnte sie ihn auch gleich fragen, ob er sich mit ihr nicht zehn Minuten ins Hinterzimmer oder aufs Klo verziehen wollte … Die Vorstellung brachte sie auf den Boden zurück. Wenn schon Sex, dann auch richtig mit Gefühlen und nicht mit jemandem, den sie erst seit ein paar Minuten kannte. Okay, dann war’s das wohl, dachte sie ironischerweise. Der Einzige, der ihre Anforderungen erfüllte, befand sich hunderte Kilometer entfernt und hatte vermutlich längst vergessen, dass er seiner ersten Freundin nach drei Jahren Beziehung unbeabsichtigt – wie absurd das doch klang! – ein Kind gemacht hatte, das inzwischen stark auf seinen ersten Geburtstag zuging. Na ja, vergessen wahrscheinlich nicht, aber so weit ins Unterbewusstsein verdrängt, dass er normal ohne ständige Gewissensbisse weiterleben konnte. Gott, jetzt verteidigte sie ihren Ex schon vor sich selbst. Temari war sich nicht sicher, ob das gesund und nicht viel zu rosarot gedacht war. Fakt war – wie Kankurou stets betonte – dass er seit der Geburt seiner Tochter nicht einmal seinen Arsch hierher bewegt hatte, um sie wenigstens zu sehen. Und das allein sprach doch schon so sehr gegen ihn, dass ihn keine Rechtfertigung der Welt freisprach. Ja, den Kerl konnte sie getrost in der Pfeife rauchen. Also Shikamaru endgültig abschreiben und sich auf was Neues einlassen. „Alles in Ordnung mit Ihnen?“ Koutarous Frage holte sie in die Realität zurück. „Klar“, antwortete sie rasch, „Und duzen Sie mich ruhig. Beim Sie komme ich mir so alt vor.“ „So geht’s mir auch manchmal“, pflichtete er ihr bei, „Bei mir bitte also auch das Du.“ „Okay“, stimmt sie zu und setzte neugierig nach: „Apropos Alter –“ „Achtundzwanzig“, kam er ihr lächelnd zuvor. „Darf ich die Frage an dich zurückgeben?“ „Ich bin vierundzwanzig.“ Schon vierundzwanzig … Was hatte sie in all den Jahren nur gemacht? Die Zeit war wirklich wie im Flug vergangen und die Erinnerung daran war nicht größer als ein Fliegenschiss an der Wand. So kam es ihr gerade zumindest vor. „Das ist doch noch blutjung“, schmeichelte er, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Na ja, geht so. Als Mutter kommt man sich schon ein wenig verbraucht vor.“ Ein wenig verbraucht war maßlos beschönigt, aber nun gut. „Das kann ich mir gut vorstellen. Wenn ich einige Stunden auf meinen fünfjährigen Neffen aufgepasst habe, bin ich froh, wenn meine Schwester ihn wieder abholt.“ Rasch setzte er nach: „Ich mag den Kleinen, aber er ist äußerst anstrengend.“ „Sind das nicht alle Kinder auf ihre Art und Weise?“ Temari schmunzelte. „Und trotzdem würde ich meinen kleinen Hosenscheißer für kein Geld der Welt wieder hergeben.“ Koutarou schmunzelte. „Denken das nicht so ziemlich alle Eltern über ihre eigenen Kinder?“ --- Langsam kam Matsuri zu sich. Ihr war immer noch speiübel und in ihrem Kopf drehte sich alles, aber ihr Magen war zum Glück so leer, dass sie sich nicht übergeben konnte, selbst wenn sie gewollt hätte. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, sich so dermaßen zu betrinken? Sie öffnete langsam die Augen und fühlte sich einen Moment vom Licht geblendet, bis … Schlagartig war sie nüchtern – zumindest bildete sie sich das ein – und hellwach. Ihre beste, alleinstehende Freundin unterhielt sich mit einem Mann, ohne auch nur eine Spur angewidert zu sein. Und sie schien auch noch Spaß dabei zu haben! Fasziniert beobachtete sie die beiden und verfolgte das Gespräch, bis Temari es schließlich bemerkte. „Den Rausch schon ausgeschlafen?“, fragte diese in einer Mischung aus Belustigung und Sorge. „Geht so“, erwiderte die Jüngere. „Jedenfalls muss ich nicht mehr kotzen.“ Sie verzog in Gedanken daran das Gesicht und setzte grinsend nach: „Willst du mir deinen Freund nicht vorstellen?“ „Das ist Koutarou. Er arbeitet hier“, erklärte sie gelassen, da ihre Freundin im Hineininterpretieren Experte war. Zu diesem sagte sie anschließend feixend: „Und das ist Matsuri. Du weißt inzwischen ja schon, dass sie gerne mal einen über den Durst trinkt!“ „Hey!“, empörte sie sich, „das ist doch gar nicht wahr.“ „Ich weiß nicht, was an etwa zwanzig Vollrauschen im Jahr nicht der Wahrheit entsprechen soll.“ „Es sind maximal fünfzehn“, verteidigte sie sich kleinlaut. „Schlimm genug“, entgegnete sie. „Ich glaube auch nicht, dass Gaara das sexy finden würde, wenn er davon wüsste.“ Das verschlug Matsuri die Sprache. „Ich geh dann besser wieder an die Arbeit“, warf Koutarou ein und grinste. „Ich glaube, Katsura dort drüben möchte schon seit ’ner geschlagenen Viertelstunde seine Bestellung bezahlen und dann brauch ich mich nicht wundern, wenn er die Zeche prellt.“ Er stand auf und warf noch einen kurzen Blick auf seine Gesprächspartnerin der letzten halben Stunde zurück. „Falls du mal wieder Lust zu Plaudern hast, weißt du ja, wo du mich findest.“ Temari nickte ihm mit einem Lächeln zu, dann ging er zu dem Tisch in der Ecke herüber. „Na, los, lass uns verschwinden“, forderte sie ihre verkaterte Freundin auf. „Kairi wartet auf mich.“ Matsuri stand auf und schwankte ihr unsicheren Schritts ein paar Meter nach, bevor sie ihr nachrief: „Temari, könntest du mich bitte stützen? Ich kipp sonst gleich wieder aus den Latschen!“ Diese seufzte und eilte dann zu ihr zurück, um sich bei ihr einzuhaken. Eins stand für sie definitiv fest: Mit Matsuri zog sie nur noch unter der Bedingung los, wenn sie ihr hoch und heilig versprach, dass sie sich nicht betrank. Kapitel 3: Zu haarige Beine sind nicht sexy! -------------------------------------------- Kapitel 3: Zu haarige Beine sind nicht sexy! Zehn Minuten später, in denen Matsuri vor Übelkeit keinen Ton von sich gegeben hatte, kamen sie an ihrer Wohnung an. Temari komplimentierte sie zur Couch herüber und ihre Freundin sank erleichtert in die Kissen. „Danke“, murmelte sie. „Ich kann dich ja nicht einfach so in der Gasse liegen lassen“, entgegnete sie sachlich. „Nicht dass noch irgendein Penner über dich herfällt und du so wie ich endest.“ „Besser ein Kind aus einer gescheiterten Beziehung als sich von ’nem Quickie schwängern zu lassen.“ „Na, ja“, meinte sie schulterzuckend, „kommt doch dasselbe bei heraus.“ Matsuri schwieg sich dazu aus – sie fühlte sich nicht in der Lage, großartig zu diskutieren – und kam lieber auf das zu sprechen, dass sie gerade am meisten interessierte: „Und, meinst du, es könnte mit dem vielleicht was werden?“ Temari schaute sie nüchtern an, doch in ihren Mundwinkeln zuckte der Anflug eines Lächelns. „Keine Ahnung“, antwortete sie, „ich kenne ihn doch gerade mal seit einer halben Stunde. Wie soll ich da schon sagen können, ob ich mir etwas Ernsthafteres mit ihm vorstellen kann?“ „Hast du denn kein Gefühl, das in die Richtung gehen könnte?“ „Ich bin nicht so intuitiv veranlagt und lege mich deshalb ungern fest.“ „Aber du bist ’ne Frau!“, argumentierte die Jüngere. „Irgendein Gefühl musst du doch haben!“ „Meinen Emotionsdetektor brauch ich gar nicht anschmeißen, um zu erkennen, dass du viel zu neugierig bist“, konterte sie. „Aber ja, ich finde, er ist nett.“ Rasch betonte sie noch einmal: „Nett, mehr nicht.“ Matsuri schüttelte den Kopf, hörte allerdings sofort wieder auf, da ihr übel wurde. „Du bist immer viel zu rational“, schloss sie. „Und das ist auch gut so“, gab sie zurück. „Du siehst ja, was ein paar Emotionalitäten aus mir gemacht haben.“ „Einen verschrobenen Single, voller Vorurteile über Männer?!“ Sie rechnete schon damit, dafür eine verbale Ohrfeige verpasst zu bekommen, doch ihre Freundin lachte nur. „Genau“, meinte Temari dann, drehte sich um und ging scherzend mit den Worten: „Komm ja nicht auf die Idee, mir morgen mit deinem Kater einen Besuch abzustatten. Bis dann!“ „Spießerin!“, rief sie ihr feixend hinterher. „Besser spießig, als verkatert einen Tag zu verschwenden!“ Die Tür fiel quietschend hinter ihr ins Schloss. --- Um zehn vor zwölf kam Temari endlich zu Hause an. Sie war keine vier Stunden unterwegs gewesen und fühlte sich trotzdem, als hätte sie die Nacht durchgefeiert. Definitiv eine Nebenerscheinung des Mutterdaseins. Im Haus war es bis auf das fahle Licht im Wohnzimmer, das der Fernseher von sich gab, düster. Sie streifte sich schnell die Sandalen von den Füßen, ließ sie achtlos neben der Tür liegen und lief zu ihrem Bruder, um sich über das Befinden ihres Kindes zu informieren. Kankurou hatte gerade mit einem Lachanfall zu kämpfen, als sie den Raum betrat. „Wie geht’s Kairi?“, fragte sie und übertönte sein Gelächter bestimmt. „Diese Serie ist einfach der absolute Hammer!“ Er japste nach Luft und wischte sich die Lachtränen aus den Augen. „Solltest du dir auch mal unbedingt reinziehen.“ Sie schaute zur Flimmerkiste herüber und erkannte den silbernen Haarschopf eines Protagonisten sofort. Kankurou sah sich also mal wieder diesen Schwachsinn an … Temari wollte sich gerade abwenden, stockte aber. „Hey, der Typ da sieht genauso aus wie der Kerl, den ich vorhin im Restaurant gesehen habe!“, meinte sie erstaunt. „Und wenn ich genauso sage, meine ich auch genauso.“ „Ja, sicher.“ Ihr Bruder tippte sich demonstrativ an die Stirn, als wäre sie nicht ganz dicht und setzte nach: „Hast du so viel getrunken, dass du dir schon einbildest, du hättest einen fiktiven Charakter getroffen?“ „Ich bin komplett nüchtern“, bemerkte sie trocken. „Dann war es wohl ein verrückter Fan“, legte Kankurou fest. „Und jetzt lass mich in Ruhe weiter fernsehen.“ „Hallo?“, empörte seine ältere Schwester sich sofort. „Darf ich vielleicht auch noch mal wissen, wie es um mein Kind bestellt ist?“ „Sie schläft seit drei Stunden tief und fest wie ein kleiner Engel“, antwortete er beiläufig. Und so schlich Temari leise in ihr Zimmer, um nach dem Rechten zu sehen und kehrte fünf Minuten später ins Wohnzimmer zurück. „Dein Glück“, betonte sie. Ihr Bruder grinste sie breit an. „Nicht Glück, das war Können!“ „Ja, das hättest du wohl gern“, erwiderte sie amüsiert und ließ sich auf das Sofa neben ihm fallen. „Und wie war dein Ausflug in Sunas Nachtleben?“, fragte er. „Eher bescheiden. So ein widerlicher Saufbold hat versucht mich zu begrapschen.“ Er zog die Augenbrauen hoch. „Das Schlimmste daran war aber, dass Matsuri mich auch noch mit dem bekannt gemacht hat. Kinderlieb und ein Gentleman sei er, versprach sie mir.“ Sie verzog das Gesicht. „Ist er dir denn sofort an den Rock gegangen?“ „Nein, erst nach fünf Minuten.“ „Na, dann hatte sie doch Recht. Für einen notgeilen Betrunkenen ist das wirklich gentlemanlike.“ „Geb’s auf. Deine Sprüche werden einfach nicht besser“, erwiderte Temari trocken. „Das war nur eine nüchterne Feststellung, nichts weiter“, sagte Kankurou schulterzuckend. Er rümpfte die Nase und setzte nach: „Du müffelst übrigens gehörig.“ „Ich fühl mich auch ziemlich widerlich, so wie ich nach Zigarettenqualm stinke“, pflichtete sie ihm bei. „Rauchen in geschlossenen Räumen gehört verboten.“ „Dann sag’s Gaara und schon nächste Woche kann im Rat über ein Verbot abgestimmt werden.“ Sie winkte ab. „Ach, ich werd sowieso nie wieder ’ne Kneipe betreten. Ist also gar nicht die Mühe wert.“ „Wow, was für ’ne Einstellung“, bemerkte er. „Warum lässt du dich nicht gleich einsargen?“ „Warum sollte ich?“ „Weil du den ganzen Spaß in deinem Leben anscheinend schon abgeschrieben hast.“ „’ne Kneipe mit massenhaft Besoffenen und Kettenrauchern bedeutet für mich aber keinen Spaß“, legte sie fest. „Spaß – oder besser gesagt – Freude bedeutet für mich, wenn ich dabei zusehen kann, wie mein Kind langsam und wohlbehütet aufwächst, und nicht irgendwelche Partys und Sauffeste, bei denen man mit Alk-Orgien seine armen Gehirnzellen unwiderruflich abmurkst.“ Er rollte mit den Augen. „Warum missverstehst du mich eigentlich immer?“ „Vielleicht weil du dich immer so unbeholfen ausdrückst?!“ Sie lächelte müde und stand wieder auf. „Ich spring dann eben unter die Dusche und geh dann ins Bett.“ „Na, dann gute Nacht!“ Temari konnte lange Zeit nicht einschlafen. --- Matsuri ließ sich am nächsten Tag trotz der ausgesprochenen Warnung blicken. Mittags gegen eins stand sie auf der Matte. „Du siehst ja grauenvoll aus!“, stieß sie schockiert aus, als ihre Freundin ihr die Tür geöffnet hatte. „Hast du letzte Nacht überhaupt nicht geschlafen?“ „Erstens: Danke, du siehst auch beschissen aus“ – Temari hielt einen Moment inne – „Und zweitens: Nein, nicht wirklich.“ Sie war versucht, ihr die Tür vor der Nase zuzuschlagen, ließ es aber doch sein. Besuch war schließlich nie verkehrt, wenn das Töchterchen den halben Tag wie ihr Vater mit Schlafen verbrachte. Gott, und schon dachte sie wieder an ihn … „Was macht dein Schädel?“, fragte sie auf dem Weg ins Wohnzimmer. „Buddeln die verbliebenen Hirnzellen immer noch fieberhaft an einen Massengrab für ihre gekillten Kollegen?“ „Nein, ich hab sie mit Hilfe von Aspirin auf Siesta geschickt.“ „Dafür werden sie sich bei dir nachher bestimmt revanchieren.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Dann sollen sie mal. Ich muss erst ab Dienstag wieder ein paar Kehlen aufschlitzen.“ Was für eine geschmackvolle Umschreibung für Ich muss erst Dienstag wieder auf Mission gehen. Aber den Kommentar schenkte sich Temari lieber. Die Jüngere fläzte sich in den Sessel und sagte enthusiastisch: „Und jetzt erzähl mir mehr! Bist du gestern Nacht noch mal zu ihm hin und hast dich durchnudeln lassen?“ Sie grinste versaut. Die Angesprochene unterdrückte den notorischen Griff an die Stirn und erwiderte: „Nein, ich konnte einfach nicht einschlafen. Langweilig, oder?“ „Allerdings“, gab Matsuri enttäuscht zurück. „Nichts geht schließlich über ’ne gute Sexgeschichte.“ Wie sehr sie sich gerade eine Freundin herbeiwünschte, die noch alle Sinne beisammen hatte … Wo war bloß Sakura, wenn man sie brauchte? Am besten schickte sie ihr noch heute eine Nachricht, in der stand, dass sie sofort hierher kommen musste. „Kennst du davon nicht mehr als genug?!“, erwiderte sie mit gespielter Belustigung. In Wirklichkeit fand sie es nicht besonders lustig, wenn man im besten Fall wöchentlich wechselnde Sexpartner hatte. Nein, überhaupt nicht. Das war eher sogar noch trauriger und bemitleidenswerter als ihr eigenes Ich-Hab-Eine-Gescheiterte-Beziehung-Hinter-Mir-Und-Bin-Deswegen-Alleinerziehende-Mutter-Dasein. Sehr viel trauriger und bemitleidenswerter. Ihre Freundin spitzte beleidigt die Lippen und sah einen Moment lang wie ein Fisch aus. „Nett, dass du mich für ’ne Bettmatratze hältst!“, meinte sie ohne jeglichen Vorwurf, als wüsste sie, dass es stimmte. Temari blickte sie mit hochgezogenen Augenbrauen an und unterschrieb mit ihrem Gesichtsausdruck diese Aussage. „Okay, okay, ich bin in den letzten eins, zwei Jahren etwas offener geworden, was das betrifft“, gab sie zu. „Aber als Single ist gegen ein bisschen freie Liebe doch nichts einzuwenden.“ Freie Liebe? Wer hatte ihr denn diesen Schwachsinn gepredigt? „Mir ist es wurscht, mit wem du was treibst, aber ich weiß nicht, ob Gaara es so toll finden würde – natürlich unter der Voraussetzung, dass es irgendwann mit euch klappen würde –, wenn du vorher mit fünfzig verschiedenen Typen geschlafen hast.“ Innerlich überkam sie ein Anflug leichten Schüttelfrosts. Es war echt eine gruselige Vorstellung, wie ihr jüngster Bruder Sex hatte. Bei Kankurou hatte sie da irgendwie weniger Probleme, aber mit ihm war sie wellenlängentechnisch auch mehr auf einer Ebene. Wenn sie sich etwas weiter aus dem Fenster lehnte, bezeichnete sie ihn sogar als ihren besten Freund. Den Platz hatte er sich schnell gegriffen, nachdem sie mit Shikamaru Schluss gemacht hatte. Deswegen hatte sie ihn wohl auch als moralische Unterstützung bei Kairis Geburt mit in den Kreißsaal gelassen, anstatt stundenlang auf sich allein gestellt nur die Hebamme und den Arzt anzuschreien. „Ich hab mal gehört, die meisten Männer finden es eher toll, wenn die Freundin schon einiges an sexueller Erfahrung hat“, argumentierte Matsuri weiter. „Festigt wohl auch ’ne Beziehung.“ Super, endlich hatte sie den Grund, warum es mit Shikamaru nicht geklappt hatte! Da sie sich gegenseitig entjungfert hatten, war ihre Beziehung aufgrund ihrer mangelnden Erfahrung von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Des Rätsels Lösung! Erneut schlug sich Temari die Hand vor den Kopf. Soviel Blödsinn auf einmal war echt zu viel für sie … „Verschwinde und komm bitte, bitte erst wieder, wenn du nüchtern bist“, bat sie inständig. „Oder lass einfach diese saudummen Beziehungsweisheiten.“ „Sorry“, nuschelte sie. „Klar, dass ich damit bei dir an der falschen Adresse bin.“ „Ich halte eben nichts von Gerüchten.“ Besonders, wenn sie so dermaßen lächerlich sind, dachte sie zu Ende. „Schon gut, schon gut, ich lass es sein. Du bist manchmal aber auch empfindlich …“ Genervt rollte die Angesprochene mit den Augen. „Und? Welchen Rang hat er?“, wechselte Matsuri rasch das Thema. „Keinen“, antwortete sie. „Er ist Zivilist.“ „Wäre nichts für mich.“ „Warum denn? Falls was draus wird und es dauerhaft funktioniert hat das doch nur Vorteile. Allein, dass ich mir keine Sorgen machen muss, dass er bei einer Mission ins Gras beißen könnte, erleichtert mich ungemein.“ „Schon, aber ich kann für mich sagen, dass Sex mit einem Shinobi deutlich besser ist. Die gehen wie im Beruf voll aufs Ganze.“ Sie grinste breit. „Aber von deinem Gesichtspunkt aus ist ein gemütlicher Zivilist natürlich besser.“ Gemütlicher Zivilist … Als ob es keine gemütlichen – obwohl bodenständig besser passte – Shinobi gab. Sie war schließlich vier Jahre mit so einem zusammen gewesen. „Du bist eine Rassistin“, merkte sie an. „Wieso?“ „Weil du denkst, dass normale arbeitende Leute, die nicht ständig ihr Leben riskieren, weniger wert sind.“ „Stimmt doch gar nicht“, stritt die Jüngere ab. „Und selbst wenn es so wäre, darf ich mir doch eine eigene Meinung über sie bilden, oder?!“ „Du gibst es ja sogar zu“, legte Temari fest. „Nebenbei bemerkt finde ich es übrigens ziemlich armselig, gleich alle Zivilisten über einen Kamm zu scheren und ausschließlich an ihren sexuellen Fähigkeiten festzumachen.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ist doch nicht viel anders als bei dir. Du misst doch auch jeden Mann an deiner verflossenen Liebe. Wäre das nach deiner Beurteilung nicht auch irgendwie rassistisch?“ „Nein, weil ich den Wert eines Menschen nicht an seinem Beruf festmache“, sagte sie trocken. „Tu ich in dem Sinne doch auch nicht“, verteidigte Matsuri sich, „Ich hab nur einfach für mich festgestellt, dass Shinobi überwiegend die besseren Liebhaber sind. Wer wie sein Geld verdient, ist mir völlig schnurz.“ „Dann drück dich doch von Anfang an richtig aus“, seufzte sie und stand auf. „Ich mach mal eben eine Kleinigkeit für Kairi zum Essen fertig. Sie schläft jetzt schon seit drei Stunden und wird garantiert jede Minute wach.“ --- Fast wie auf Kommando fing ihre Tochter zehn Minuten später an, sich mit Brabbellauten bemerkbar zu machen. Temari ging ins Nebenzimmer und hielt kurz inne. Kairi stand in ihrem Gitterbettchen, hielt sich an zwei der vertikalen Stangen fest und blickte sie mit ihren großen grünen Kulleraugen an. In manchen Momenten war die Ähnlichkeit zu ihr auf alten Fotos aus ihrer Kindheit wirklich verblüffend. Das Einzige, das sich deutlich von ihr unterschied, waren die – allerdings ebenfalls recht störrischen – dunkelbraunen, fast schwarzen Haare. Aber es wäre ja auch ein wenig gruselig gewesen, wenn sie eine kleine Kopie von sich bekommen hätte, die nichts vom Vater geerbt hatte. Selbst wenn es nur die Haarfarbe war. Na ja, Familienähnlichkeit schien sich ohnehin quer durch die Linie der Sabakunos zu ziehen. Sie kam optisch sehr nach ihrer eigenen Mutter Karura und Kankurou war quasi ein Klon ihres Vaters. Nur Gaara fiel natürlich mal wieder völlig aus dem Rahmen – vorausgesetzt, dass er kein Kuckuckskind war. Aber Temari bezweifelte stark, dass Karura sich heimlich wie Matsuri ausgelebt hatte. Vor allem bei dem strengen und mit Argusaugen bestückten Ehegatten. Wenn sie an ihren Vater dachte, der seinen Kindern nie so richtig Liebe zukommen lassen hatte, konnte sie vermutlich sogar froh sein, dass sie mit Kairi alleine dastand. Das hieß nicht, dass sie glücklich über ihre Situation war, aber … Ja, vielleicht dauerte es ja nicht mehr lange, bis sie diese Phase endlich überwunden hatte und ein Häkchen hinter die Vergangenheit – speziell natürlich ihre Zeit in Konoha – setzen konnte. Mit einem zuversichtlichem Lächeln nahm sie ihre Tochter auf den Arm und ging zurück ins Wohnzimmer, wo Matsuri schon das Essen bereithielt. Kapitel 4: Ein neues Outfit macht keinen neuen Menschen ------------------------------------------------------- Kapitel 4: Ein neues Outfit macht keinen neuen Menschen Eine Woche später saß Kankurou wieder einmal vor der Flimmerkiste und konsumierte höchst amüsiert seine Lieblingsserie. „Dein Leben muss ja echt kläglich sein, wenn du jeden Tag immer nur der nächsten Folge entgegenfieberst“, stichelte Temari aus ihrer Laune heraus los. „Na, wenigstens hab ich im Gegensatz zu dir etwas, worauf ich mich freuen kann“, gab er Kontra. „Wenn du erstmal ein Kind hast – was ich in den nächsten zehn Jahren doch arg bezweifle – wirst du jede neue Folge deiner Lieblingsserie als Belanglosigkeit abstempeln.“ „So was im Sinn Kitschiges kann auch nur eine junge Mutter von sich geben.“ „Und wenn du selbst Vater bist, wirst du das genau so unterschreiben.“ „Von mir aus“, erwiderte er gelangweilt. „Bis dahin bleibe ich aber meinem Nerdtum treu, gucke die beste Serie aller Zeiten weiter und freue mich tierisch auf jede Episode, wenn du erlaubst.“ „Wie du meinst. Meinen Segen hast du“, sagte Temari belustigt. „Matsuri steht übrigens auch auf den Quatsch da. Ihr könntet also ein paar interessante Rollenspiele machen.“ „Sorry, aber von Dorfmatratzen halte ich mich lieber fern“, meinte Kankurou. „Ich bevorzuge es, gesund zu bleiben.“ „Du hast aber schon mal was von Kondomen gehört?“, fragte sie. „Die sind nicht schließlich nur da, um Schwangerschaften zu verhüten.“ „Du alte Kondomexpertin musst gerade reden!“ Er warf einen Blick zu Kairi hinüber. „Lass deine Nichte aus dem Spiel. Sie entstammt einer langjährigen Beziehung.“ „Die lange vor ihrer Geburt in die Hose gegangen ist.“ „Darum geht’s ja nicht.“ „Dann um deinen schludrigen Umgang mit der Pille, die dein Kind erst möglich gemacht hat?!“ Mist, das war ein Volltreffer … „Nein, ich“ – sie brach kurz ab – „Ach, das geht dich doch überhaupt nichts an.“ Kankurou schnaubte humorlos. „Kaum zu glauben, dass meine eigene Schwester genauso blöd wie diese Teenager ist, die gedankenlos herummachen und sich dann wundern, warum sie auf einmal ein Kind an der Backe haben! Von deinem hohen IQ merke ich in dem Punkt leider nicht viel.“ „Ich bin schon lange kein dummer Teenager mehr und stehe zu meinen Fehlern“, legte Temari fest. „Außerdem solltest du aufhören, die praktische Intelligenz von einem Menschen an seinem IQ festzumachen.“ „Würde ich das tun, würde der Bastard von deinem Exfreund in meiner Gunst ganz oben stehen“, gab er zurück. „Und wie du dir vorstellen kannst, steht er da ganz sicher nicht.“ Er knirschte mit den Zähnen. „Das sagst du doch nur, weil er nicht seine Sachen gepackt und hierher gezogen ist, als ich ihm von der Kleinen geschrieben habe.“ „Selbst vorher hab ich nicht viel von ihm gehalten. Und du bist die Bestätigung, dass ich mich nicht getäuscht habe.“ Sie widersprach nicht. Dieses Thema hatten sie schon tausend Mal durchgekaut und langsam verlor es seinen Reiz, Shikamaru zu verteidigen. Sie wusste ohnehin nicht, wozu sie sich die Mühe überhaupt machte, wenn er sich sowieso nicht blicken ließ. Sollte Kankurou eben seinen Groll gegen ihn hegen. „Themawechsel“, sagte sie. „Könntest du ein Stündchen auf Kairi aufpassen?“ „Wieso denn?“ „Ich brauch dringend ein paar neue Klamotten.“ „Deine alten sind doch in Ordnung. Reine Geldverschwendung.“ „Erstens ist es mein Geld, zweitens hab ich die Schnauze voll von dem Schlabberlook, den ich wohl oder übel seit über einem Jahr tragen muss.“ „Und was ist mit dem Kram, den du vor der Schwangerschaft getragen hast?“ „Ich wiege nun zehn Kilo mehr und hab keine Lust wieder abzuspecken, da ich mir so ganz gut gefalle“, antwortete sie. „Ergo, die alten Sachen passen mir nicht mehr und neue müssen her.“ „Du siehst echt besser als vorher aus“, bemerkte ihr Bruder. „Okay, verzieh dich. Viel Spaß!“ Sie drückte ihm das Babyfon in die Hand und eilte in den Flur. „Ach ja, und grüß Koutarou von mir!“, rief er ihr mit einem süffisanten Grinsen nach. --- Matsuri beäugte kritisch die Sachen, die Temari sich gekauft hatte. „Okay, das ist tatsächlich eine optische Verbesserung – eine gewaltige sogar – aber ein bisschen zu bieder wirkst du immer noch auf mich. Von deiner früheren Sexyness bist du echt noch meilenweit entfernt.“ „Als ob ich die jemals angestrebt hätte“, gab sie zurück. „Tja, mit zehn Kilo mehr auf den Rippen muss man eben Prioritäten setzen!“ Ihre beste Freundin fing sich einen schmerzhaften Ellenbogenhieb von ihr ein. „Au!“, stöhnte sie auf. „Wofür war das denn?“ „Das weißt du ganz genau.“ „Du hast nun mal keine Modelfigur mehr“, sagte sie. „Aber damit wollte ich auch nicht sagen, dass du zu dick bist.“ „Wäre ja noch schöner, wenn du eine erwachsene Frau bei einer Größe von einem Meter fünfundsechzig und einem Gewicht von zweiundsechzig Kilo als zu dick bezeichnen würdest.“ „Aber schlank ist trotzdem was anderes.“ „Ich bin normalgroß und normalgewichtig. Irgendwelche Einwände?“ „Nein.“ „Gut. Ich bin nämlich auch nicht hier, um mich von dir wegen meines nicht vorhandenen Gewichtproblems beraten zu lassen. Bring du erstmal eine Schwangerschaft hinter dich, dann können wir das Thema vielleicht wieder anschneiden.“ „Okay, okay. Ich sag ja schon nichts mehr.“ Und selbst wenn: Von einer dürren Bohnenstange wie Matsuri musste sie sich gar nichts erzählen lassen. „Und? Warum kleidest du dich ausgerechnet jetzt neu ein?“, fragte die Jüngere neugierig. „Willst du für den Barfutzi gut aussehen?“ „Ne…in“, stammelte Temari. „Ich hab nur einfach keine Lust mehr, mich so gehen zu lassen.“ „Erwischt!“ Matsuri setzte ihr süffisantestes Lächeln auf. „Glaubst wohl doch, je schicker du dich anziehst, desto eher reißt er dir die Klamotten von Leib, was?“ „Du verstehst das völlig falsch. Ich bin immer noch nicht auf schnellen Sex aus.“ „Aber du scheinst längerfristig drauf aus zu sein.“ „Sex ist für mich fester Bestandteil in einer Beziehung.“ „Dann stellst du dir schon eine Beziehung mit ihm vor?“ „Natürlich nicht, dafür kenne ich ihn einfach zu wenig.“ „Dann lerne ihn besser kennen.“ „Ja, aber ich muss erst noch ein paar Tage darüber nachdenken, ob –“ „Nichts da! Du gehst jetzt sofort zu ihm und machst ein Date aus!“ „Aber –“ Ihre Freundin hielt ihr den Mund zu. „Keine Widerrede! Wir machen es auf meine Weise.“ Schon wieder, dachte Temari. Doch vielleicht war das zumindest in diesem Fall gar nicht so verkehrt … --- Etwas nervös zupfte sie ihren Rock zurecht. „Wenn du so weitermachst, franst das Ding gleich aus“, tadelte Matsuri, die es schon den ganzen Weg über beobachtet hatte. „Außerdem waren die Klamotten, die du letztes Mal anhattest, viel knapper. Es ist also sinnlos, dich zu genieren.“ „Nervosität ist dir wohl ein Fremdwort, was?“ Ihre Freundin antwortete nicht und schubste sie vor sich her. „Sieh zu, dass du da hinein kommst“, sagte sie. „Der Kerl wird nicht ewig auf dich warten.“ Temari wollte widersprechen, gab aber klein bei und ging zur Tür. Sie drückte die Klinke herunter und zog. „Verschlossen“, meinte sie. „Ich versuch’s später noch mal.“ „Verarschen kann ich mich auch selbst!“ Ihre Freundin trat an ihr vorbei, betätigte ebenfalls die Klinke und schob die Tür nach innen auf. „Voilà!“ Sie starrte Matsuri an und wusste nicht, ob sie dankbar oder wütend sein sollte. „Und jetzt rein da mit dir!“, sagte ihre Freundin. „Ansonsten schultere ich dich und trag dich persönlich zu ihm.“ „Nicht nötig!“ Temari überlegte nicht länger und betrat den Raum. --- Unsicher sah sie sich um. Die Terrasse bot eine prima Fluchtmöglichkeit, doch diese Idee verwarf sie. Sie musste unbedingt aufhören, sich mit dämlichen Vorwänden selbst zu sabotieren. Sonst jammerte sie Shikamaru in fünf Jahren immer noch nach und nahm sich so jeglichen Spaß am Leben. Auch alleinerziehende Mütter hatten schließlich das Recht, sich zu amüsieren – es musste nur nicht unbedingt auf Matsuris Weise sein. Aber ein neuer, fester Partner – warum nicht? Vielleicht nicht in diesem Moment, doch für die nähere Zukunft war es eine Option, die sie nicht ignorieren konnte. Nicht nur für sie, sondern vor allem für Kairi. Temari fasste sich ein Herz und sprach die junge, hübsche Kellnerin an, die gerade einen Tisch abräumte. „Entschuldigung“, setzte sie an und ihr Puls stieg in Höhen, die er nicht oft erreichte, „ist Koutarou zufällig da?“ Jetzt war es raus! Aber was, wenn gleich ein „Ich kenne keinen Koutarou“ oder „Verzieh dich, ich bin seine Freundin!“ kam? Nein, ihre Fantasie spielte ihr bloß einen Streich. Der Mann hatte einen guten, vernünftigen Eindruck auf sie gemacht und baggerte garantiert keine anderen Frauen an, wenn er vergeben war. Und falls sich herausstellte, dass er doch so ein Typ war, konnte sie ihn ohnehin in der Pfeife rauchen und zu ihrem Ex auf die Menschen-die-es-wert-sind-sie-zu-vergessen-Liste setzen. Die Kellnerin sah auf, kicherte, und rief: „Hey, Koutarou, deine Freundin ist hier!“ „Otae, hör auf, mich zu verarschen, ich hab keine –“ Er verstummte, starrte Temari überrascht an – und sie starrte genauso perplex zurück. Seine Kollegin prustete los und ertränkte ihren stichelnden Kommentar in einem Lachanfall. Temari stieg die Hitze in den Kopf. Sie kam sich wie ein kleiner, dummer, verliebter Teenager vor und schaffte es vor Scham kaum, der Kellnerin nicht auf der Stelle eine Ohrfeige zu verpassen. Was für ein doofes Kicherweib … Solche waren ihr schon immer die Liebsten gewesen. Genau aus dem Grund war sie auch mit Ino nie richtig warm geworden. Angetrieben durch die Wut auf ihre zweite Heimat und Miss Ich-lach-über-jeden-Scheiß! ging sie zu Koutarou herüber, der immer noch unter Wortfindungsstörungen litt. Dann fing sie eben an zu reden. Vor ihrer gescheiterten Beziehung hatte sie damit schließlich auch keine Probleme gehabt. „Hey“, sagte sie und lächelte gezwungen, was in Anbetracht der musikalischen Hintergrunduntermalung nicht einfach war. Wahrscheinlich sah sie gerade zum Wegrennen aus, aber ein Mann, der vor einem gruseligen Lächeln flüchtete, war es ohnehin nicht wert. Die Zeit zog sich in die Länge, ohne dass er eine Antwort gab – in Wirklichkeit waren es nur ein paar Sekunden – und sie nutzte den Augenblick, um ihn zu mustern. Besonders auffällig war der Drei-Tage-Bart, den er bei ihrer ersten Begegnung noch nicht getragen hatte, doch er stand ihm. Generell war der Typ mit seinen hellbraunen, mittellangen Haaren und den grauen, entschlossen dreinblickenden Augen ein wunderbarer Kontrast zu ihrem Ex. Merkwürdig, dass ihr erst jetzt auffiel, dass er optisch ganz nach ihrem Geschmack war – im Gegensatz zu Shikamaru, der zwar auch nicht furchtbar aussah, aber in den sie sich in erster Linie wegen seines Charakters verliebt hatte. Temari kam sich wie eine oberflächliche Kuh vor. Aber nur weil sie nun alleinerziehende Mutter war, musste sie ihre Ansprüche ja nicht auf ein Minimum herunterschrauben und sich auf einen pickligen, buckligen Troll einlassen. Endlich schien Koutarou seine Fassung wiederzuerlangen, schenkte ihr ein schelmisches Grinsen und sagte: „Was für eine nette Überraschung! Du hast mich ja ganz schön schmoren lassen.“ „War doch bloß eine Woche“, konterte sie und bekam große Lust, auf diesen offensichtlichen Flirt einzugehen. Das erste Mal seit vier Jahren. „Neun Tage“, verbesserte er und sie lachte. Das Eis war gebrochen. Kapitel 5: Leben und leben lassen --------------------------------- Kapitel 5: Leben und leben lassen „Und, wie ist es gelaufen?“ Matsuri hatte ihren Erzähl-mir-jedes-Detail-oder-ich-bring-dich-um!-Blick aufgesetzt, was ein recht überzeugendes Argument war. Nicht, dass sie in der direkten Konfrontation mit einer mittelmäßigen Chuunin den Kürzeren gezogen hätte, aber trotzdem. „Wir haben uns für morgen Nachmittag verabredet“, sagte Temari. „Bei der Gelegenheit möchte er auch gleich Kairi kennenlernen.“ „Oooh …“ Die Augen ihrer Freundin wurden tellergroß. „Dann muss es ihm ja wirklich ernst sein!“ „Weil?“, erwiderte sie. „Würdest du dir die Katze im Sack kaufen?“ „Was für eine Katze?“ Temari zog eine genervte Miene. Also eine Erklärung für ganz Doofe … „Was, wenn wir tatsächlich eine Beziehung anfangen und dann trifft er auf Kairi und sie kann ihn nicht leiden? Oder umgekehrt?“ „Sie ist doch noch ein Baby und diese sind bekanntermaßen sehr anpassungsfähig“, erwiderte Matsuri. „Also wenn scheitert es höchstens an dem Kerl.“ „Wenn du meinst …“ „Na ja, wenn sie tatsächlich nur rumheult, rate ihm, sein Deo zu wechseln. Vielleicht ist die Situation dann noch zu retten.“ „Ich werd dran denken“, sagte ihre Freundin sarkastisch und fragte: „Wie war eigentlich deine Mission?“ „Der langweiligste Botengang nach Iwagakure, den ich je gemacht habe. Friedenszeiten sind für eine energiegeladene Kunoichi wie mich eher kontraproduktiv.“ „Dann pass auf, dass du nicht irgendwann so fahrlässig wirst und dich abmurksen lässt.“ Matsuri zuckte die Schultern. „Dann war mein Ableben wenigstens aufregend. Ein stilvoller Abgang.“ Temari konnte sich auch nichts Schöneres vorstellen, schenkte sich aber jeglichen Kommentar. „Und jetzt gehen wir deine gekauften Klamotten umtauschen!“, wechselte die Jüngere abrupt das Thema. „In den Fetzen kannst du schließlich nicht zu ’nem Date gehen!“ „Das seh ich aber anders.“ „Prüde Mamas wie du haben auch keine Ahnung, wie man sich stylisch kleidet.“ „Wer ist hier bitte prüde?“ Okay, die Frage war überflüssig, denn niemand war so wenig prüde wie Matsuri, aber – Sie musste grinsen. „Wenn du so weiter machst, bekommst du gleich einen Abgang. Und zwar mit mehr Stil, als dir lieb ist.“ „Oh, ein Anflug der alten, berüchtigten Temari“, bemerkte ihre Freundin belustigt. „Es gibt sie also doch noch. Ich hab ja solche Angst.“ Temari wollte wütend auf sie sein, doch stattdessen trauerte sie ein wenig ihrem ehemaligen, starken Ich nach. Die Jahre in Shikamarus Gesellschaft und vor allem ihr Töchterchen hatten sie sanft gemacht. Aber so schlecht war das ja auch nicht. Matsuris Sticheleien konnte sie gepflegt ignorieren. Oder … nein, da wusste sie etwas Besseres. „Schade, dass man das von der alten, anständigen Matsuri nicht behaupten kann“, sagte sie. „Eine, die sich nicht jedes Wochenende von widerlichen Betrunkenen abschleppen lässt.“ Die Jüngere verzog den Mund. „Das war unter der Gürtellinie.“ Kleinlaut setzte sie nach: „Außerdem ist das höchstens fünfmal passiert, das letzte Mal vor drei Monaten oder so.“ „Schlimm, dass es überhaupt passiert ist. Aber du musst ja wissen, was am Besten für dich ist.“ Matsuri senkte den Blick und legte die Stirn in Falten. „Was ist nur aus uns geworden?“, fragte sie. „Warum müssen wir uns ständig dissen?“ Temari zuckte die Achseln. „Ich schätze mal, das passiert einfach, wenn sich zwei Menschen in so unterschiedliche Richtungen entwickeln wie wir.“ „Aber irgendwer muss doch damit angefangen haben.“ „Willst du das wirklich wissen?“ „Besser nicht.“ Matsuri grinste und ihre Freundin tat es ihr gleich. „Genau, sei lieber froh, dass wir trotzdem noch so gute Freunde sind! Ich wette, neun von zehn vergleichbaren Freundschaften wären schon längst im Eimer.“ „Und von Sachen, die im Eimer sind, verstehst du ja eine Menge.“ Reflexartig wich sie einem Schlag auf den Hinterkopf aus und lief los. Temari sah ihr nur nach und war trotzdem froh, dass diese doofe Nuss ihre Freundin war. --- „Das war aber mehr als ein Stündchen!“, sagte Kankurou zur Begrüßung. „Wie lange war ich denn weg?“, erwiderte seine Schwester, die sich keiner Schuld bewusst war. Die Aussicht auf das Treffen hatte sie auf dem ganzen Nachhauseweg beflügelt. „Zweieinhalb Stunden! Und in der Zeit hab ich dein Töchterchen gewickelt, gefüttert und mit dümmlichen Grimassen beschäftigt.“ Temari lächelte und meinte übertrieben dankbar: „Und das hast du großartig gemacht.“ Sie hob Kairi von ihrer Decke am Boden auf und drückte ihr einen sanften Kuss auf die Wange. Das Mädchen schien rundum zufrieden zu sein. „Gern geschehen“, brummte ihr Bruder und fiel zurück aufs Sofa. „Ist bei deiner Extrem-Shopping-Tour wenigstens was Sinnvolles bei herausgekommen?“ „Allerdings.“ Sie lächelte geheimnisvoll. „Und das wäre?“ „Kairi und ich haben morgen eine Verabredung.“ „Und mit wem? Beim Kinderarzt wart ihr doch erst.“ „Nein, mit Koutarou.“ Abermals schlich sich ein Lächeln auf ihre Lippen. Kankurou fand den Anblick bemerkenswert gruselig – wann hatte Temari das letzte Mal so diabolisch gelächelt? –, weshalb er sich einen blöden Spruch klemmte und stattdessen fragend die Augenbrauen hob. „Ich war vorhin bei ihm und hab ein Date ausgemacht!“ Sie strahlte. „Und Kairi möchte er bei der Gelegenheit gleich kennenlernen, um zu testen, ob die Chemie stimmt.“ „Ist es nicht wichtiger, dass die Chemie zwischen euch beiden stimmt?“ „Die passt ja schon. Aber zwischen obligatorischen Stiefpapa und -kind muss es ja auch klappen.“ Er starrte seine Schwester fassungslos an. Bevor sie einkaufen gegangen war, war sie noch so verhalten gewesen. Und jetzt das? Das klang überhaupt nicht nach ihr. „Hörst du schon die Hochzeitsglocken läuten oder was ist los? Der Kerl muss dir ja komplett das Hirn vernebelt haben.“ „Tschuldige, dass ich mich nach fünfzehn Monaten Singledasein mal wieder für einen Mann interessiere“, sagte sie grimmig. „Dabei ist es doch genau das, was du wolltest. Und jetzt maulst du nur herum.“ „So war das ja nicht gemeint!“, lenkte er ein. „Ich finde einfach nur, dass du ein bisschen vorsichtiger an die Sache herangehen solltest, um dir eine mögliche Enttäuschung zu ersparen. Unter der hab ich dann nämlich wieder nur zu leiden.“ „Und du nennst Shikamaru ein egoistisches Arschloch?“ „Stell mich mit diesem Idioten bloß nicht auf eine Stufe“, zischte Kankurou verärgert. „Nicht, nachdem ich seit neun Monaten den Ersatzvater für seine Tochter mime.“ Temari seufzte. „Ich bin dir auch echt dankbar dafür – mehr, als du denkst und ich dir zeige –, aber trotzdem wäre es nett, wenn du dich weniger einmischen und mich ein wenig selbst mein Leben gestalten und leben lassen würdest.“ Zur Verteidigung hob er die Arme und zeigte seine Handflächen. „Ich meine es nur gut mit dir.“ „Vielleicht etwas zu gut.“ Sie gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf den Rücken. --- Buggy oder Tragetuch? Nach längerem Überlegen entschied sie sich für Ersteres. Zwar war das Tuch sehr viel praktischer, wenn man draußen unterwegs war – besonders in Wüstengegenden –, doch für einen ein- bis zweistündigen Aufenthalt in einem Café überwogen die Vorteile eines Buggys deutlich. Temari setzte ihre noch vom Mittagessen pappsatte Tochter hinein und machte sich auf den Weg. Beim Café angekommen, setzte sie sich an einen freien Tisch in den Schatten. Kairi atmete leise und selig vor sich hin und schlief, was ihre Mutter erst einmal beruhigte. So konnte der erste Eindruck ihrer Tochter auf keinen Fall daneben gehen. Die Minuten verstrichen und bis auf eine Kellnerin, die ihre Bestellung aufnahm, ließ sich niemand blicken. Nervös schaute sie auf ihre Uhr. Es war noch fast eine Viertelstunde vor der verabredeten Zeit. Kein Grund also, um Panik zu schieben. Sie lehnte sich zurück und genoss die Kühle – sofern man das so in der Wüste nennen konnte – des Schattens. Schatten … Allein bei diesem Wort überkam sie eine Gänsehaut. Es war nicht so, dass ihr kalt war, doch es erinnerte sie auf unangenehme Weise an Shikamaru. Etwas, das sie bei ihrem ersten Date mit einem anderen Mann absolut nicht gebrauchen konnte. Temari stand von ihrem Platz auf und setzte sich einen Stuhl weiter in die Sonne. Sie riskierte lieber einen Sonnenbrand, als an diesem Ort auch nur eine Sekunde aus fadenscheinigen Gründen an ihren Exfreund denken zu müssen. Wenn bloß Koutarou endlich auftauchte … Bingo! Er ging den versandeten Bürgersteig entlang und bog in den Eingangsbereich des Cafés ein. Sie winkte ihn zu sich heran und unterdrückte ein Kichern. In Zivil ohne Arbeitskleidung wirkte er gleich ganz anders. Dabei war er auch in der Bar schon ein normaler Mittzwanziger gewesen. „Mist, ich dachte, ich bin zuerst hier!“, sagte er und setzte sich neben seine Verabredung. „Tja, war wohl nichts!“ Sie lächelte breit. Bevor sie ihr Gespräch vertiefen konnten, tauchte die Kellnerin mit dem Eis auf und notierte Koutarous Bestellung. Temari nahm einen Löffel von dem Pfefferminz- und Schokoladeneis – die einzige kulinarische Marotte, die aus ihrer Schwangerschaft übrig geblieben war – und ging im Kopf ein paar mögliche Themen durch, über die sie reden konnten, bevor peinliches Schweigen ausbrach. Sollte sie etwas Politisches einwerfen – auf die Gefahr hin, ihn zu langweilen – oder einen Witz darüber machen, dass er denselben Vornamen wie ein Charakter aus der Lieblingsserie ihres Bruders hatte? Letzteres klang nicht so schlecht, aber auch damit konnte sie völlig danebenliegen. Dann lieber doch nur übers Wetter faseln? Mist … Zu ihrer Erleichterung ersparte er ihr eine weitere Themensuche, indem er einen neugierigen Blick in den Buggy warf. „Ein hübsches Kind“, sagte Koutarou mit einem Lächeln, „sieht dir sehr ähnlich.“ „Bis auf mein Bruder meint das irgendwie jeder“, erwiderte Temari. „Dann muss er eindeutig was mit den Augen haben.“ Sie lachte. „Vielleicht haben die Tonnen Schminke, die er schon sein halbes Leben aufträgt, ja tatsächlich seiner Optik geschadet.“ „Arbeitet er im Kabuki-Theater?“, fragte er scherzhaft. „Nicht direkt.“ Sie zog eine Grimasse. „Wenn er im Dienst ist, klatscht er sich lila Farbe ins Gesicht, um gefährlicher auszusehen.“ „Und funktioniert es?“ „Auf kleine Kinder wirkt er auf jeden Fall furchteinflößend!“, sagte sie belustigt. „Nur Kairi bringt er so regelmäßig zum Lachen.“ „Dann erfüllt es ja zumindest einen guten Zweck!“ Koutarou lachte los und Temari konnte nicht anders, als einzustimmen. Danach trat eine kurze Pause ein, doch nun fiel es ihr plötzlich gar nicht mehr schwer, ein Gesprächsthema zu finden. „Wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen, in der Gastronomie zu arbeiten?“, fragte sie ehrlich interessiert. „Meine Eltern hatten ein Restaurant, in dem ich früh schon viel mithelfen musste. Von daher kam ein anderer Beruf nie großartig infrage für mich. Oft ist es stressig, aber Spaß macht es trotzdem irgendwie. Und man lernt viele interessante Leute kennen.“ Er lächelte ihr kurz zu und sie erwiderte es. „Und wie war dein Leben als Kunoichi so? Aufregend und gefährlich, vermute ich mal?!“ „Ach, es ging. Manchmal ist es auch einfach nur langweilig, wenn man eine Woche durch die Gegend spaziert, um Schriftrollen oder anderes Zeugs auszuliefern.“ Temari grinste. „Aber als Prüferin beim Chuunin-Examen mitzuwirken war schon klasse.“ „Dann arbeitest du wohl gern mit Kindern?!“ „Kann man so sagen.“ Sie lehnte sich zurück und warf einen kurzen Blick auf ihre Tochter. „Ich kann mir ehrlich gesagt auch nicht mehr vorstellen, später wieder auf Missionen zu gehen, wenn Kairi älter ist. Vielleicht hab ich ja Glück und an der Akademie ist ein Platz als Lehrerin für mich frei. Zur Not lasse ich mich auch für Bürokram einteilen. Hauptsache, die Gefahr, abgemurkst zu werden, ist so gering wie möglich.“ Sie ärgerte sich über ihren letzten Satz und musterte Koutarou rasch. Ihr Date saß aber genauso entspannt wie vorher da. Natürlich wusste er, auch wenn er Zivilist war, dass die Wahrscheinlichkeit im Dienst zu sterben als Ninja nicht gerade gering war. Er war ja schließlich kein naives Kleinkind mehr. Diese – obwohl selbstverständliche – Auffassungsgabe erleichterte sie. „Ich hab zwar jetzt nicht so viel Ahnung von Shinobidasein, aber wenn ich sehe, wie viele Waisenkinder es gibt, hast du auf jeden Fall eine gute Einstellung“, erwiderte er. „Im schlimmsten Fall könnte Kairi zwar auch zu ihrem Vater nach Konoha – aber ja, ich hänge an meinem Leben.“ Koutarou schwieg einen Moment und fragte: „Magst du mir von ihm erzählen?“ Temari schaute ihn perplex an. Diese Frage stand irgendwie nicht auf ihrem Plan … „Du musst nicht, wenn du nicht willst“, lenkte er sofort ein. „Wenn dir meine Frage zu aufdringlich war, entschuldige ich mich.“ „Nein, passt schon!“ Sie winkte ab. „Es ist nicht so schlimm, dass ich nicht darüber reden möchte. Ich war schwanger, er wollte keine Kinder und deswegen hab ich ihn abserviert. Das ist alles.“ „Tatsächlich?“ „Im Grunde schon, wenn man davon absieht, dass er sich kein Stück um seine Tochter kümmert“, sagte sie und spürte, wie sehr sie sich über diese Tatsache ärgerte. „Seit sie auf der Welt ist, hat er sie nicht einmal besucht! Auf so einen Vater kann man doch verzichten, oder?“ Eine Zustimmung erwartend schaute sie Koutarou an, kam sich dann aber nur lächerlich vor. „Sorry, ich sollte mich wohl besser zusammenreißen. Ein schlechter Start für ein erstes Date …“ „Ach was, ich hab ja schließlich danach gefragt“, warf er ein. „Aber falls du meine Meinung trotzdem hören möchtest: Ich finde es eher traurig, dass er kein Interesse daran hat, eine Beziehung zu seinem Kind aufzubauen.“ Der Begriff traurig traf es wohl ziemlich gut. „Es ist höchstens schade für Kairi, aber vielleicht ist es unter den Umständen auch besser, wenn sie nichts weiter mit ihm zu tun hat.“ Sie zuckte die Achseln, etwas besser gelaunt, und lehnte sich entspannt zurück. „Ist heute nicht ein herrlicher Tag?“ Der Tag war wirklich großartig, um einen neuen Lebensabschnitt anzugehen. Kapitel 6: Erste Kontaktaufnahme -------------------------------- Kapitel 6: Erste Kontaktaufnahme Natürlich kreuzte Matsuri am Abend auf, um ihrer Freundin Löcher in den Bauch zu fragen. „Wie hat Kairi auf ihn reagiert?“ „Gar nicht“, entgegnete Temari. „Sie hat die ganze Zeit geschlafen.“ „Und was hat Koutarou gesagt? War er begeistert?“ „Von Kairi? Oder was meinst du?“ „Unter anderem.“ „Es scheint ihn nicht zu stören, dass ich ein Kind hab“, sagte sie. „Aber sonst hätte er sich ja von vornherein nicht mit mir verabredet, denke ich mal.“ „Auch wieder wahr. Und weiter?“ „Wir haben uns sonst ganz gut unterhalten. Über Gott und die Welt, wie man so schön sagt.“ „Und das wäre?“ „Du bist auch gar nicht neugierig, was?“ Matsuri grinste. „Hauptsächlich haben wir uns über unsere Arbeit und unsere Familien unterhalten. Er hat zwei Schwestern – eine ältere und eine jüngere“ – zum Glück kein Bruder an den du dich heranmachen könntest, dachte sie – „einen vier Jahre alten Neffen … So ein Zeug halt. Alles nicht so interessant für dich.“ Sie zwinkerte ihr zu. „Keine Leichen im Keller?“ Ihre Freundin schien enttäuscht. „Hör bitte auf, diese schlechten Soaps zu gucken.“ „Hey, die können nichts dafür, wenn die Drehbuchautoren ständig zu viel Kraut geraucht haben.“ Temari rollte mit den Augen. „Wenn du nur über so einen Scheiß reden willst, kannst du dich auch verziehen.“ „Nö, meine Serie läuft gleich“ – sie griff nach der Fernbedienung – „Was dagegen? Mein Flimmerkasten ist gestern kaputt gegangen.“ „Nur zu. Dann hab ich wenigstens eine halbe Stunde meine Ruhe.“ Matsuri zog eine Grimasse. --- Aus einer halben Stunde wurden fast zwei, denn ihre Freundin und Kankurou quasselten sich noch über ihre Lieblingsserie den Mund fusselig, sinnierten über jeden Charakter – wenn irgendetwas an dieser Serie überhaupt einen Sinn hatte, da war sich Temari nicht ganz sicher – und lachten sich halb kaputt über die dümmsten Witze. Wie Fanboy und Fangirl eben, nur dass sie zudem auch noch wie ein altes Paar wirkten, das sich nach vielen Jahren wieder getroffen hatte. Sie brachte Kairi ins Bett und ging in die Küche, um sich selbst Abendbrot zu machen. „Wo hast du die kleine Maus denn gelassen?“ Matsuri lehnte am Türrahmen, mit dem breitesten Grinsen im Gesicht, das sie je bei ihr gesehen hatte. „Hast du schon mal auf die Uhr gesehen?“ „Schon neun? Wie die Zeit verfliegt …“ „Ihr habt euch wirklich angeregt unterhalten“, bemerkte Temari. „Ja, schön, wenn man sich mal mit jemandem so austauschen kann“, sagte sie. „Ich glaub, ich komm jetzt jeden Dienstagabend bei euch vorbei.“ „Von mir aus … Meinen Segen habt ihr.“ „Nur weil ich ein Gesprächsthema mit Kankurou gefunden habe, heißt das nicht, dass ich Gaara aufgebe.“ „Wie auch immer.“ Sie biss von ihrer Scheibe Brot ab und hielt inne. Die Wurst hatte genauso einen merkwürdigen Beigeschmack wie die Vorstellung, Matsuri irgendwann als Schwägerin zu haben. Aber da das ja ohnehin nicht eintrat … „Und wann triffst du dich wieder mit Koutarou?“, überbrückte ihre Freundin das Schweigen. „Freitagvormittag. Er hat dann nur einen halben Arbeitstag und Spätschicht“, antwortete Temari und lächelte unbewusst. „Na, hoffentlich verschläft Kairi nicht wieder das ganze Treffen.“ „Das hoffe ich auch.“ --- In den folgenden Nächten schlief sie einfach großartig. Auch wenn sie wie jeden Morgen seit fünfzehn Monaten alleine aufwachte, schien ihr dies nicht mehr so viel auszumachen. Nein, sie freute sich vielmehr auf das Treffen am Freitag. Und heute war es endlich so weit. Temari warf einen kurzen Blick ins Kinderbett, in dem ihre Tochter noch tief und fest schlief und sprang unter die Dusche. Anschließend warf sie sich in ihre schickste Kleidung – auch auf die Gefahr hin, dass Kairi sie mit ihrem Frühstück vollkotzte – und ließ die Haare offen, wie sie es tat, seit sie ihr Shinobidasein an den Nagel gehängt hatte. Mit ihrem Spiegelbild war sie sehr zufrieden – Matsuri wäre sicherlich anderer Meinung gewesen, aber was interessierte sie das schon? – und zur Perfektion fehlte nur noch eine Brise ihres Lieblingsparfüms – und ein sattes, zufriedenes Kind. Kairi trank ohne Proteste ihre Morgenmilch und ließ sich genauso widerstandslos die volle Windel wechseln und das lavendelfarbene Kleid anziehen, das Temari beim letzten Einkauf ergattert hatte. Nicht, dass sie sich sonst großartig über sie beschweren konnte, aber wenn es drauf ankam hatte sie wirklich das bravste Baby der Welt! --- Diesmal wartete Koutarou bereits auf sie. „Bin ich so spät dran?“, fragte Temari und lächelte. „Oder bist du einfach nur überpünktlich?“ Er erwiderte ihr Grinsen, ging in die Hocke und hielt Kairi zur Begrüßung die Hand hin. „Guten Morgen, junge Dame, heute doch mal wach?“, flachste er. Das kleine Mädchen griff nach seinen Fingern, als wollte sie sie schütteln, dann lachte sie. „Erste Kontaktaufnahme geglückt!“, stellte Temari erleichtert fest. „Und was hast du für heute geplant?“ „Was hältst du ganz langweilig von frühstücken und spazieren gehen?“ „Klingt großartig und überhaupt nicht langweilig.“ „Tatsächlich?“ Sie schenkte ihm ein Lächeln. --- „Sie ist wohl eine gute Esserin?!“ Koutarou schaute Kairi dabei zu, wie sie vergnügt das sechste Stück Brötcheninneres in kurzer Zeit verdrückte. „Na ja, es könnte besser sein. Brei bekommt sie erst zweimal am Tag und den am Abend verweigert sie auch gerne mal“, sagte Temari schulterzuckend. „Aber solange es ihr gut geht, mache ich mir da keinen Stress.“ „Vielleicht ist sie nicht so der Breityp?! Mein Neffe mochte Fingerfood viel lieber und hat meine Schwester halbwegs in den Wahnsinn getrieben, weil sie sich unbedingt an die Richtlinien halten wollte.“ „Mich nerven diese Richtlinien manchmal ganz schön. Oder dieses ewige Vergleichen. Was, dein Baby ist neun Monate alt und krabbelt noch nicht? Meine kann schon stehen!“ – sie machte eine genervte Miene – „Man kann eben nicht alle Babys in eine Schublade stecken. Jedes Kind entwickelt sich in seinem Tempo.“ „Du und meine Schwester werdet dann sicher keine Freunde“, bemerkte er, ein wenig belustigt. Sie zuckte die Achseln. „Es reicht doch, wenn wir uns verstehen, oder?“ „Von mir aus schon“, stimmte er zu und lachte. --- Nach dem Frühstück machten sie einen Abstecher zum Gewächshaus. Sie setzten sich ins Gras und Temari schaute glücklich dabei zu, wie Koutarou mit Kairi spielte – er stellte unermüdlich den Turm aus Plüschwürfeln wieder auf, den das Mädchen mit großer Begeisterung jedes Mal zum Einsturz brachte. Glücklich … Das beschrieb ihren momentanen Gemütszustand schon sehr genau. Anders konnte sie sich auch gar nicht fühlen, wenn sie sah, wie gut sich ihre Tochter mit ihrem potenziellen Stiefvater verstand. Plötzlich wurden ihre Glücksgefühle überschattet. Wieder einmal dachte sie an Shikamaru und fluchte innerlich, dass er nicht an Koutarous Stelle war. Genauso schnell hasste sie sich für diesen Gedanken, hasste Shikamaru, dass er sie so im Stich gelassen hatte. Ruhig bleiben, Temari, schalt sie sich. Die Vergangenheit ist vorbei, jetzt schau in die Zukunft! Du bist sonst schließlich auch nicht so eine Pessimistin. Sie dankte ihrem Gewissen. Schwarzsehen war an diesem wundervollen Tag völlig fehl am Platz. --- „Du hast wirklich ein aufgewecktes Kind“, sagte Koutarou, „Sorgt sie bei dir zu Hause auch immer für so viel Trubel?“ „Na ja, ich finde Kairi ziemlich pflegeleicht. Aber mein Bruder nimmt mir auch viel Arbeit ab, was sie betrifft.“ „Er scheint ein richtiger Glücksfall zu sein, was?“ „Ja, ich denke, das kann man so sagen.“ Kankurou war tatsächlich ein Goldstück. Vielleicht sollte sie seine Unterstützung mehr würdigen ... Willkommen zurück, schlechtes Gewissen! „Ich glaube, ich meld mich für heute krank!“ Koutarou schnaufte und sank ins Gras. „Was verausgabst du dich auch so?“, flachste Temari. „Dabei müsstest du durch deinen Job doch belastbar sein!“ „Falsch gedacht“, bemerkte er amüsiert. „Ein Kind eine Stunde beschäftigen ist wohl härter als jede Arbeit.“ Sie lächelte. „Immerhin hat sich’s gelohnt.“ Kairi lag alle Viere von sich gestreckt neben ihrem neuen Spielkameraden und gähnte. Temari nahm ihre Tochter auf den Arm und wiegte sie sanft hin und her. Als das Mädchen nach wenigen Minuten eingeschlafen war, legte sie sie vorsichtig in den Buggy. „Jetzt hab ich mindestens für die nächsten zwei Stunden Ruhe”, meinte sie und schaute Koutarou anerkennend an. „Du gibst wirklich einen prima Babysitter ab.“ „Komisch, dass mir meine Schwester das noch nicht gesagt hat, obwohl sie mir Souta so oft aufs Auge drückt.“ „Ich finde es großartig, dass Kairi dich so mag“, fuhr Temari fort. „Ehrlich gesagt, hab ich das Schlimmste befürchtet. Normalerweise ist sie Fremden gegenüber nicht so aufgeschlossen.“ „Glück für mich!“, sagte Koutarou. „Du meinst wohl eher für mich!“ Beide mussten lachen. --- Kankurou pfefferte seinen Rucksack in die Ecke und warf sich auf die Couch. „Mann, das war vielleicht ’n Tag!“, stöhnte er. „Bist du mal wieder beim Wachdienst eingeschlafen und hast einen Rüffel von Baki-sensei kassiert?“, stichelte Temari mit einem ungewöhnlichen Grinsen auf den Lippen. „Nein, ich darf für die nächsten zwei Wochen die persönliche Eskorte für diese Kurotsuchi spielen. Du weißt schon, die Enkelin des Tsuchikage, die Göre mit der großen Klappe!“ „Klingt nach Spaß.“ Sie lächelte noch breiter. „Sehr lustig, wirklich“, grummelte ihr Bruder. „Willst du mir erst von deinem Tag erzählen, bevor du dieses Grinsen nie wieder los wirst?“ „Wenn du drauf bestehst …“ Temari setzte sich mit Schwung zu ihm. Sie sah dabei wie ein überglücklicher Teenager aus, der soeben seinen ersten Kuss bekommen hatte, was ein wirklich ungewöhnlicher Anblick war. Zumindest konnte Kankurou sich nicht erinnern, dass er seine Schwester jemals so mädchenhaft erlebt hatte. „Ich hab mich heute wieder mit Koutarou getroffen und Kairi mitgenommen – und sie war total begeistert von ihm!“ „Und du offensichtlich auch“, bemerkte ihr Bruder mit einem Schmunzeln. Temari errötete ein wenig – wieder etwas, das völlig untypisch für sie war – und sagte: „Das kann ich so stehen lassen. Ich glaube, ich bin ein klitzekleines Bisschen verknallt!“ Kankurou starrte sie ungläubig an. „Wiederholst du das noch mal für mich?“, fragte er, nur um ganz sicher zu gehen. „Du hast schon richtig gehört: Es gibt wahrscheinlich wieder einen Mann im Leben deiner Schwester“ – ihr Blick huschte zu Kairi – „und somit einen potentiellen Stiefvater für deine Nichte.“ „Ich freue mich schon für dich, aber kommt das jetzt nicht ziemlich plötzlich?“ „Ich weiß, normalerweise ist das nicht meine Art, aber bei Koutarou …“ Sie legte eine kurze Pause ein, als suchte sie die passenden Worte, und setzte nach: „Weißt du, ich hab bei ihm einfach ein gutes Gefühl! Ich hab keine Ahnung warum, es ist einfach so.“ Nun machte sich in Kankurous Gesicht ein Grinsen breit. „Mein Schwesterherz ist verknallt! Dass ich das noch erleben darf …“ Er klopfte ihr auf die Schulter. „Wann stellst du ihn mir vor?“ „Alles zu seiner Zeit. Ich will ihn ja nicht verschrecken!“ Sie lachte. „Und freust du dich auf deine Aufgabe? Ist mal was anderes, als den ganzen Tag nur blöd in die Wüste zu starren.“ „Mein Job hat oberste Priorität, auch in Zeiten des Friedens“, sagte er, als wollte er sie belehren. „Aber eine nette Abwechslung ist es allemal.“ „Dann mach’s dir mit Kurotsuchi aber nicht zu nett.“ „Keine Bange“, sagte Kankurou selbstsicher, „ich mach garantiert nicht denselben Fehler wie du!“ Temaris Lächeln erstarb. Kapitel 7: Sand und Wind ------------------------ Kapitel 7: Sand und Wind „Bist du etwa immer noch stinkig auf mich?“ Temari würdigte ihren Bruder keines Blickes. „Ich doch nicht. Wie könnte ich auch nur?“, erwiderte sie sarkastisch. „Ich hab mich schon tausend Mal dafür entschuldigt!“, sagte Kankurou. „Wie lange willst du mir diesen saublöden Spruch noch nachtragen und schmollen?“ „Noch mal eine Woche, wenn’s sein muss.“ „Aber Schwesterherz …“ „Dein Schwesterherz kannst du dir sonst wo hinstecken!“, fuhr Temari ihn an und verließ den Raum. Ihr Weg führte sie automatisch zum Kinderzimmer. Obwohl sie wusste, dass Kairi immer noch ihren Mittagsschlaf hielt, öffnete sie leise die Tür, schlich sich hinein und stellte sich ans Bett. Gedankenverloren betrachtete sie ihre Tochter. Sie lag am oberen Ende – dorthin wühlte sie sich oft im Schlaf – auf dem Rücken, die Arme weit von sich gestreckt. Da ihre Nase etwas verstopft war, schnorchelte sie ein wenig, was schließlich in Schnarchen überging. Ein schnarchendes Baby … wenn Temari es nicht mit eigenen Ohren hörte, hätte sie es für einen Scherz gehalten. Kairi verzog das Gesicht, pupste und schwang ihren linken Arm auf die rechte Seite. So blieb sie eine Weile liegen und das Schnarchen wechselte sich zeitweise mit dem Schnorcheln ab. Ihre Augen bewegten sich unter den geschlossenen Lidern hin und her und ihr Mundwinkel zuckte zu einem Lächeln. Temari fragte sich, was sie wohl träumte. Von dem Hund, der ihr heute morgen die Stirn abgeleckt hatte? Von dem Plüschtier, das sie von Matsuri geschenkt bekommen hatte? Oder von ihrem Onkel, der sie vor dem Schlafen zum Lachen gebracht hatte? Kankurou … Sie verdankte ihm so viel, seit sie Konoha endgültig hinter sich gelassen hatte. Und was tat sie? Sie spielte wegen einem dummen Spruch seit acht Tagen die beleidigte Leberwurst und führte sich auf wie eine oberflächliche Teenagerin, der man erzählt hatte, dass ihre beste Freundin ihre neue Frisur beschissen fand. Hinzu kam, dass es gar nicht so falsch war, was er gesagt hatte. Denn wenn sie ehrlich zu sich war, musste sie einsehen, dass ihre Beziehung zu Shikamaru von Anfang an zum Scheitern verurteilt, ja ein Fehler gewesen war, so wie Kankurou es ausgedrückt hatte. Es war einfach naiv von ihr gewesen zu glauben, dass diese Fernbeziehung auf Dauer Bestand haben könnte. Sie hatte zwar geplant, irgendwann einmal ganz nach Konoha zu ziehen, aber rückblickend war ihr klar, dass sie dort niemals glücklich geworden wäre. Sie liebte das trockene Wetter in Kaze-no-kuni, den feinen Sand und den sanften Wind, der diesen überall hin trug. Sunagakure war ihr Zuhause und nirgendwo sonst gehörte sie hin. Im Leben eines Menschen wie Shikamaru mit tausend selbstauferlegten Verpflichtungen, dem Willen des Feuers, hatte sie auf Dauer keinen Platz. „Du solltest aber einen Platz in seinem Leben haben“, flüsterte Temari traurig und blinzelte eine Träne weg. Kairi kicherte im Schlaf vor sich hin. --- Gegen Abend klingelte es an der Tür. Temari prüfte im Spiegel auf dem Flur noch einmal ihr Aussehen – es gab tatsächlich nichts auszusetzen – und ging zum Eingang. „Schön, dass du hierher gefunden hast!“, scherzte sie zur Begrüßung. „Was hast du denn gedacht?“, konterte Koutarou belustigt. Sie lachte, bat ihn ins Haus und führte ihn ins Wohnzimmer. Dort setzte er sich zu Kairi auf den Teppich. „Das Essen braucht noch ein bisschen“, sagte Temari, „Und ich hoffe, du erwartest kein Festmahl. Ich bin nämlich alles andere als eine begnadete Köchin.“ „Du verstehst wahrscheinlich mehr davon, Gegner mit deinem Fuuton wegzupusten“, witzelte Koutarou und seine Verabredung schmunzelte. „So lange das Essen einigermaßen genießbar ist, bin ich zufrieden. „Du bist ein echter Charmeur!“, erwiderte sie belustigt. Dann verschwand sie in der Küche, um nach dem Gemüse zu sehen. Koutarou sah sich in der Zwischenzeit etwas um. „Nett habt ihr es hier“, sagte er, als Temari wieder kam. „Man glaubt gar nicht, dass ein Kage so bescheiden wohnt!“ Sie erstarrte einen Moment. Bis jetzt hatte sie es ihm noch nicht erzählt ... „Entschuldige“, setzte sie an, „ich hätte dir eher sagen sollen, dass Gaara mein jüngerer Bruder ist.“ „Ist doch nicht schlimm. Man definiert einen Menschen doch nicht, weil er mit einer bekannten Persönlichkeit verwandt ist.“ Temari atmete auf. Da er es nun wusste, fiel ihr eine kleine Last ab. „Wie hast du es herausgefunden?“, fragte sie anschließend. „Meine Schwester hat mir einen älteren Zeitungsartikel gezeigt“, antwortete er. „Dort ging es um die Zusammenarbeit mit dem Feuerreich.“ Ihr Herz machte einen unangenehmen Hüpfer. Ihre Zeit als Botschafterin in Konoha hätte sie am liebsten aus ihrem Gedächtnis gelöscht. „Außerdem hat dich mein Schwager auf dem Foto sofort erkannt.“ „Dein Schwager?“ „Er ist Shinobi im Wachschutz.“ Temari schlug sich gedanklich an die Stirn. Warum hatte sie an diese Möglichkeit nicht gedacht? Die Shinobi, die den einzigen Zugang zum Dorf bewachten, kannten sie natürlich, so oft wie sie ein und aus gegangen war. Ein lautes Zischen riss sie aus den Gedanken und sie eilte zurück in die Küche. Dicke Wassertropfen tanzten dampfend über den Herd und es wurde stetig mehr. Das Gemüse war übergekocht! --- Kankurou verzog das Gesicht. „Was hast du denn mit den Karotten gemacht? Die sind total matschig!“ „Ich weiß selbst, dass sie zerkocht sind. Also halt die Klappe!“, maulte Temari zurück und legte eine kleine Möhre vor Kairi auf das Brett des Hochstuhls. Diese zermatsche sie fröhlich in der rechten Hand, steckte sich einen Teil in den Mund und beförderte den Rest auf den Boden. Ihre Mutter verkniff sich einen Fluch und wischte den Brei mit ihrer Serviette weg. Kankurou grinste schadenfroh und Temari hätte ihm am liebsten eine gescheuert. Sie bereute es, dass sie sich bei ihm entschuldigt hatte und nicht bis morgen damit gewartet hatte. Denn wenn das so weiter ging, versaute er ihr nur den Abend. „Matsuri kommt nachher übrigens noch vorbei“, war das nächste, das ihr Bruder sagte und sie so auf die Palme brachte. „Hallo?! Ich hab Besuch!“, wetterte sie los und schaffte es gerade noch, ihn nicht laut anzubrüllen. „Wenn du dich unbedingt mit ihr treffen willst, geh doch zu ihr!“ „Geht nicht, ihr Fernseher ist kaputt!“ „Mir doch egal. Hierher kommt sie heute definitiv nicht mehr!“ „Das hier ist genauso mein Haus wie deins. Ich muss dich nicht um Erlaubnis bitten!“ Temari biss die Zähne zusammen. Sie zählte innerlich bis zehn, um den sich anbahnenden Wutanfall abzumildern. Kankurou wollte ihr also tatsächlich den Abend verderben … Das bekam er bei der nächsten Gelegenheit zurück! Und ihre Rache würde so bittersüß wie eine Grapefruit sein … Sie warf Koutarou ein angesäuertes Lächeln zu und fragte: „Es macht dir doch hoffentlich nichts aus, wenn uns die Schnapsleiche von neulich Gesellschaft leistet?“ Irritiert schüttelte er den Kopf und mit einem Mal kam sich Temari saudumm vor. Wie kam sie bloß dazu, sich in der Gegenwart des ersten Mannes seit Jahren, der sich aufrichtig für sie interessierte, so aufzuspielen? Und dann ging es doch nur um einen Besuch von ihrer liebsten Quatschtüte auf Erden, die Koutarou ohnehin schon einmal getroffen hatte. Warum benahm sie sich so unreif wie ein Kindergartenkind und machte so den hoffentlich guten Eindruck, den er von ihr hatte, zunichte? Sie benutze den Vorwand, dass Kairi eine neue Windel brauchte, um den Raum zu verlassen und sich zu beruhigen. Ihr Schädel glühte, als sie ihre Tochter von diversen Turnübungen auf der Wickelkommode abhielt und krampfhaft versuchte, sie zu wickeln. „Jetzt bleib doch mal still liegen!“, zischte sie verärgert, aber Kairi interessierte sich absolut nicht dafür und drehte sich weiterhin auf den Bauch, um mit der flachen Hand gegen die Spieluhr an der Wand zu schlagen. Tock, tock, tock! machte es und Temari hätte das Gerät am liebsten abgerissenen und aus dem Fenster geworfen. In ihrer Not legte sie die Windel andersherum um und klebte sie auf Kairis Rücken zu, in der Hoffnung, dass sie bis zum Schlafengehen in zwei Stunden hielt. Anschließend ließ sie ihr Töchterchen auf den Boden und sie robbte zu ihrem Ball herüber und kullerte ihn fröhlich vor sich her. Temari lehnte sich an die Wand und schaute kurz aus dem runden Fenster. Etwas Sand wirbelte vorbei und sie kam nicht umhin, ihn ein wenig um seine Freiheit zu beneiden. Es war nicht schlecht, dauerhaft sesshaft zu sein und sie liebte Kairi mehr als alles andere auf der Welt, aber in manchen Momenten packte sie doch das Fernweh. Hierhin zu reisen, dorthin zu reisen, wie sie es in den vier Jahren getan hatte, als sie Botschafterin gewesen war. Sie seufzte. Diese Zeiten waren vorbei, doch sie bereute nicht, wie es gekommen war. An Tagen wie heute, an denen nichts so richtig rund lief, dachte wohl jeder mit Wehmut an Abschnitte in seinem Leben zurück, die einfacher gewesen waren. Einen Augenblick hielt sie inne. Eines gab es doch, das sie bereute, aber daran wollte sie nicht denken. Zumindest jetzt nicht. Manchmal war es schön, in Erinnerungen zu schwelgen, doch noch wichtiger war es, nach vorne zu blicken. Sie nahm den Ball und ihre Tochter und ging zurück ins Wohnzimmer, wo ihre Zukunft auf sie wartete. --- Kankurou und Matsuri prusteten gleichzeitig los. Kairi sah irritiert auf und betrachtete die beiden skeptisch. Koutarou wiederum schaute Temari an. „Die Zwei sind immer so, wenn sie diesen Quatsch gucken“, erklärte sie. „Wundere dich also nicht.“ „In deinem Umfeld wundert mich gar nichts mehr“, entgegnete er. „Du bist offensichtlich von lauter skurrilen Charakteren umgeben.“ Sie grinste. Die Bezeichnung skurril passte wirklich in mancherlei Hinsicht. „Das ist noch gar nichts. Die beiden können noch viel sonderbarer sein!“ Leider nicht immer im Positiven, aber das Thema musste sie nicht unbedingt vertiefen. Sonst verschreckte sie Koutarou tatsächlich und das wollte sie nun auf keinen Fall mehr riskieren. Nicht, wenn sie ihrem kleinen, verknallten Herz keinen Dolchstoss verpassen wollte. „Mit Schminke und Alkohol?“ „Ja, und“ – sie zog eine Grimasse – „leider, leider, leider ja.“ Die nächste Lachsalve folgte. „Wollen wir vielleicht einen kleinen Spaziergang machen?“, fragte Temari. „Sonst bekomme ich heute Nacht von diesem Gegacker noch Albträume!“ --- Sie setzte Kairi eine Mütze auf und packte sie ins Tragetuch, das sie sich auf den Rücken band. „Und sie sitzt dort auch sicher drin?“, fragte Koutarou, der von Temaris Geschick beeindruckt war. „Sicherer geht’s nicht“, bestätigte sie und lächelte. „Das Binden sieht schwerer aus, als es ist.“ „Reiko hatte so ein Tuch nie. Sie war immer der Meinung, dass Kinder in den Kinderwagen gehören.“ „Ansichtssache.“ Sie zuckte die Achseln. „Bei dem ganzen Sand da draußen finde ich es jedenfalls praktischer, sie zu tragen. Und mir hat das Tuch anfangs einige Schreistunden erspart, was im Wagen sicher nicht der Fall gewesen wäre.“ „Ich seh schon, meine Schwester kann in der Handhabung von Babys noch einiges von dir lernen.“ Sie schmunzelte. „Wie gesagt: Es ist alles Ansichtssache. Und in puncto Kinder gibt es anscheinend sehr, sehr viel zu streiten!“ --- Temari genoss das wunderbare Wetter, jede Sekunde, jeden Schritt an diesem herrlichen Abend. Kairi schlummerte seelenruhig an sie geschmiegt in ihrem Tuch und die Unterhaltung mit Koutarou war so angeregt und intensiv, dass sie sich wünschte, dass dieser Spaziergang niemals endete. So wohl und geborgen hatte sie sich seit langer Zeit nicht mehr gefühlt. Tatsächlich konnte sie sich nicht daran erinnern, wann es ihr das letzte Mal so ergangen war. Sie blickte nach Westen, wo die Sonne längst hinter den Felsen, die rundherum um Sunagakure lagen, verschwunden war und den Abendhimmel dort in ein wunderbares Orangerot tauchte. „Großartiges Wetter, oder?!“, murmelte sie unbedacht vor sich hin. „Schlecht ist es nicht“, erwiderte Koutarou betont nüchtern und entlockte ihr ein kleines Lachen. „Du bist so herrlich locker – von dir könnten sich viele noch eine Scheibe abschneiden!“ „Bitte nicht!“, scherzte er und zog eine Grimasse. Im normalen Ton setzte er nach: „Vielleicht liegt’s am Beruf. Wenn man alles gleich ernst nimmt, was einem die Leute so um die Ohren hauen, muss man nach spätestens fünf Jahren zum Psychologen.“ „Die Gäste sind wohl manchmal ziemlich schwierig, was?“ „Ich sag’s mal so: So angenehm wie du sind die Wenigsten.“ Temari wurde ein wenig warm und sie lachte. Die Tatsache, dass ausgerechnet sie von so einem Kompliment errötete, war wirklich zu komisch. „Hör auf, du bringst mich noch in Verlegenheit!“, feixte sie. „Zu spät!“, bemerkte er und stimmte in ihr Lachen mit ein. Erst als ihr Zwerchfell und Kairi auf ihrem Rücken gegen ihren Lachanfall rebellierten, zwang Temari sich, an etwas Unlustiges zu denken. Der Gedanke an die zwei Irren bei ihr zu Hause reichte dafür erstmal aus. „Danke für diesen netten Abend, auch wenn ich vorhin ein wenig – nun ja – aufbrausend war“, sagte sie, als das Haus in Sichtweite kam. „Glaub mir, die Freude ist ganz meinerseits“, erwiderte Koutarou ehrlich und fuhr schmunzelnd fort: „Und dass du Temperament hast, war mir schon vorher klar.“ „Du bist wirklich, wirklich charmant!“, merkte sie amüsiert an. „Und ich schätze deine brutale Ehrlichkeit.“ „So brutal ist sie auch wieder nicht.“ Er winkte ab. „Dein Essen war übrigens nicht übel.“ Temari kicherte. „Genau das meinte ich.“ „Im Ernst, es hat mir geschmeckt!“ „Dabei bist du normalerweise doch Besseres gewohnt, oder?“ Koutarou zuckte mit den Schultern. „Die einzige Frau, die besser kocht als du, ist meine Mutter! Und sie ist immerhin Köchin.“ Sie fühlte sich geschmeichelt – wieder einmal! – auch wenn sie sich nicht sicher war, ob er sie in diesem Fall nicht doch anflunkerte. Vor der Haustür blieben sie stehen. „Da wären wir also“, sagte er und verbeugte sich vor ihr. „Damit hab ich meine Pflicht, dich und Kairi hier wieder heil abzuliefern, erfüllt.“ Schweigend sahen sie sich an und schließlich war es Temari, die Hand zum Abschied hob und sich abwandte. Zwar war ihr ein wenig wehmütig zumute, dass der gemeinsame Abend nun zu Ende war, doch hinterließ die Erinnerung an die letzte Stunde genauso ein gutes Gefühl bei ihr. Und das wollte sie sich nicht verderben, indem sie noch anfing, irgendeinen Schwachsinn zu stammeln, nur damit Koutarou noch ein paar Minuten länger blieb. „Temari“, hörte sie ihn sagen, „ich hab noch was vergessen.“ Sie drehte sich wieder zu ihm um und fragte: „Ja?“ Und er antwortete. Mit einem Kuss. Kapitel 8: Süßer als Eis ------------------------ Kapitel 8: Süßer als Eis Temari fühlte sich großartig, als sie die Tür hinter sich schloss. Ihr linker Zeigefinger wanderte an ihre Unterlippe, strich darüber und bei dem Gedanken an den Kuss durchfuhr sie ein warmer Schauer. Sie lächelte. Heute Nacht konnte sie sicher gut schlafen … Die ging ins Wohnzimmer – Kankurou und Matsuri diskutieren dort immer noch rege –, um Kairi aus dem Tuch zu nehmen. Temari löste den Doppelknoten und ließ ihre Tochter vorsichtig auf den Sessel hinunter. Das kleine Mädchen räkelte und steckte sich und schaute sich verschlafen um. Matsuri lachte vor Begeisterung. „Hab ich dir schon mal gesagt, dass sie immer niedlicher wird?“, fragte sie und kitzelte Kairi am Bauch. Temari setzte sich auf die Lehne und erwiderte: „Normalerweise sagst du es ein paar dutzend Male am Tag, aber heute ist es das erste Mal.“ „Beim nächsten Besuch denk ich wieder öfter dran!“ Ihre Freundin kicherte. „Und wie war euer kleiner Ausflug?“ „Nett“, sagte sie perplex, da sie mit dieser Frage nicht gerechnet hatte. Kankurou starrte seine ältere Schwester an. „Nur nett? Warum bist du dann so rot im Gesicht und grinst so vor dich hin, seit du zurück bist?“ „Ich grinse überhaupt nicht!“, stritt sie sofort ab und versuchte auch, dies in die Tat umzusetzen, was ihr aber nicht gelang. „Okay, okay“, setzte sie nach. „Es war toll!“ „Und wie toll?“, hakte Matsuri nach. „Er hat mich geküsst.“ Nun starrte Kankurou nicht mehr, sondern grinste seine Schwester breit an. „Hast du seinen Kuss erwidert?“, drängte ihre Freundin ungeduldig weiter. „Sag schon, sag schon!“ Temari blinzelte und anstatt ihr Kontra zu geben, antwortete sie: „Ja, hab ich.“ Ihr Bruder applaudierte ihr, Matsuri klopfte ihr auf die Schulter und sie kam sich leicht verarscht vor. Warum hatte sie nicht einfach die Klappe gehalten? „Siehst du, ich wusste, dass es eine großartige Idee war, mit mir wegzugehen!“ Ein Wunder, dass sich Koutarou überhaupt mit mir treffen wollte, nachdem er gesehen hat, dass ich mich mit Trunkenbolden wie dir abgebe, dachte Temari verdrossen. Aber vielleicht sollte sie ihr in diesem Fall doch ein kleines Bisschen dankbar sein. Minimal zumindest. „Und wann hast du vor, mit ihm richtig zur Sache zu gehen?“ Ihre Dankbarkeit gegenüber Matsuri verpuffte. Diese Frage war eine Unverschämtheit und sie ärgerte sich darüber. Temari nahm Kairi auf den Arm und erwiderte schnippisch: „Im Gegensatz zu dir lass ich mir Zeit und spring nicht gleich mit jedem dahergelaufenen Volltrottel ins Bett!“ Dann verschwand sie aus dem Wohnzimmer. Matsuri starrte ihr nach. Diese verbale Ohrfeige saß. --- Sie brachte ihre Tochter ins Bett und vertrödelte noch die Zeit, bis sich ihre tolle beste Freundin aus dem Staub gemacht hatte. Zum Glück dauerte dies nicht allzu lange. „Ich könnte kotzen!“, regte sie sich auf. „Dass sie alles auf so dumme Art und Weise kommentieren muss! Kann sie nicht einmal die Klappe halten?“ Kankurou zuckte die Achseln. „Sie ist deine Freundin“, sagte er, „Außerdem kennst du sie doch. Dir hätte klar sein müssen, dass sie das fragt.“ „Vielen Dank für deine Anteilnahme!“ „Gerne.“ Ihr Bruder grinste. „Du nimmst sie doch nur in Schutz, weil sie diese dumme Serie genau so toll findet wie du“, bemerkte Temari spitz. „Dabei hast du sie vor Kurzem selbst noch Bettmatratze genannt.“ „Was hat das Eine mit dem anderen zu tun?“ „Nichts“, erwiderte sie. „Ich wollte es nur mal angemerkt haben.“ Kankurou rollte mit den Augen. Wenn seine Schwester angepisst war, brachte sie immer unmögliche Argumente. „Vergiss ihren Kommentar und schwelge lieber wieder in Erinnerungen an den Kuss“, sagte er. „Bevor Matsuri dir die Laune verdorben hat, hast du mir nämlich besser gefallen.“ Der Kuss … Ihr wurde etwas warm ums Herz und ihr Ärger war fast vergessen. So fühlt sich wohl die Protagonisten in einem Liebesroman, dachte sie und schmunzelte über diesen Gedanken. Kankurou hatte Recht: Dieser Tag war wirklich zu schön, um ihn in Wut ausklingen zu lassen. „Ich finde übrigens, dass er ein netter Kerl ist“, fuhr Kankurou fort. „Diesmal hast du mal die richtige Wahl getroffen.“ „Diesmal?“, empörte sich Temari. „Was soll denn das heißen?“ Sie klang aufgebrachter, als sie tatsächlich war, denn sie ärgerte sich nicht über seine Wortwahl. Sie freute sich vielmehr darüber, dass er Koutarou anscheinend so gut leiden konnte. „Ich sehe ihn als potenziellen Schwager als sehr viel geeigneter an.“ Ihr Bruder grinste. „Und so glücklich wie heute hast du früher nicht ausgesehen.“ Natürlich wusste er nicht, ob sie damals vor Verliebtheit mit einem dauerhaft breiten Grinsen durch Konoha gelaufen war, und sie konnte sich selbst auch nicht daran erinnern. Shikamaru hatte ihr unheimlich viel bedeutet und doch hatte immer diese dunkle Wolke der Distanz über ihrer Beziehung gehangen. Konnte man denn überhaupt glücklich sein, wenn man den Menschen, den man liebte, nur so selten sah? Wahrscheinlich nicht. Und sie war es auch nie so richtig gewesen, wenn sie darüber nachdachte. Aller Liebe zum Trotz. Aber nun mit Koutarou sah die Sache völlig anders aus. „Du sagst manchmal echt das Richtige.“ Sie schenkte ihm ein dankbares Lächeln. --- In den folgenden Wochen bestätigte sich der Eindruck ihres Bruders immer mehr auch für sie selbst. Wenn es ein passendes Wort für das, wie sie sich fühlte, gab, war glücklich definitiv in der engeren Auswahl. Neben zufrieden und einem kitschigen schwerelos. „Trefft ihr euch heute wieder?“, fragte Matsuri zwischen zwei Schlucken ihres Eiskaffees. Temari nickte. „Er arbeitet bis um halb acht und dann … Wir sind fürs Kino verabredet.“ „Und was guckt ihr? Eine klischeehafte Romanze, während der ihr heftig knutschen könnt?“ Das Grinsen ihrer Freundin hatte etwas Anzügliches, doch sie störte sich nicht daran. „Wissen wir noch nicht. Wir schwanken zwischen einer Komödie und einem Horrorfilm.“ „Horrorfilm? Perfekt! Dann kannst du dich ihm um den Hals schmeißen, wenn du Angst hast!“ Sie machte einen peinlichen Kussmund. „Hör doch auf mit dem Quatsch! Als ob ausgerechnet ich mir bei ein paar Splattereinlagen in die Hose machen würde.“ „Dann wirft Koutarou sich dir vielleicht um den Hals!“ Matsuri lachte so laut, dass sich einige Gäste im Café zu ihr umdrehten. „Und?“ – sie senkte ihre Stimme – „Magst du es mir jetzt verraten?“ „Verraten?“, entgegnete Temari ahnungslos. „Was denn?“ „Na, ob ihr es inzwischen … du weißt schon!“ Sie blinzelte erstmal nur. Es war wirklich mutig von ihr danach zu fragen, nachdem sie sie beim letzten Mal so angefahren und tagelang nicht mit ihr geredet hatte. Schließlich schüttelte Temari den Kopf. „Noch nicht?“ Matsuri klang regelrecht enttäuscht. „Ich sag ja nicht, dass du es so wie ich machen musst, aber interessiert es dich nicht, wie es mit einem anderen wäre?“ Ihre Freundin zuckte mit den Schultern. „Minimal vielleicht, aber eigentlich nicht wirklich.“ „Warst du deswegen noch nicht mit Koutarou im Bett?“ „Hallo? Ich kenne ihn erst seit fünf Wochen!“ „Hallo? Du kennst ihn schon seit fünf Wochen! Bist du denn nicht neugierig darauf, was er zu bieten haben könnte?“ Ein erneutes Schulterzucken. Matsuri schlug sich die Hand vor die Stirn und sprudelte plötzlich los: „Ich weiß! Du hast ein Problem damit, weil er nicht dein Exfreund ist!“ Temari brachte nicht mehr als ein „Was?“ heraus. Was sollte man auf so etwas Absurdes auch antworten? „Du kannst ruhig zugeben, dass dich das hemmt!“ Matsuris Feststellungen wurden immer verrückter … „Bist du noch ganz gesund?“ Daran zweifelte Temari im Moment ernsthaft. „Mich hemmt überhaupt nichts! Es hat sich halt noch keine passende Gelegenheit ergeben.“ Toll, jetzt antwortete sie doch … „Das ist ja niedlich.“ Ihre Freundin kicherte. „Es hat sich noch keine passende Gelegenheit ergeben … Du gehörst wohl zu der Sorte Mensch, die bis zum Schluss an die wahre Liebe glaubt.“ „Glaubst du etwa an diese Kitschkacke?“ „Nein. Im Gegensatz zu dir!“ Sie rollte mit den Augen. Matsuri schätzte sie ja völlig falsch ein. „Ich verstehe nicht, was Abwarten, ob es auf persönlicher Ebene stimmt mit Glauben an die wahre Liebe zu tun hat. Bin ich zu dumm? Erklär’s mir!“ Nun blinzelte die Jüngere. Vor Sprachlosigkeit. „Du wolltest wohl bloß mal wieder witzig sein, was?“, sagte Temari. „Hat super funktioniert. Siehst du, wie ich gerade lache?“ Sie verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse. „Ich fall gleich tot um vor Lachen!“ „Okay, okay!“, gab ihre Freundin nach. „Hätte ja sein können …“ „Hätte es nicht. Was die Liebe betrifft, bin ich wie in vielen anderen Dingen Realist!“ „Ein Realist, der sich in der Fantasie gerne Luftschlössern hingibt.“ Matsuris Bemerkung traf sie wie ein Schlag. „Das hätte ich zumindest bis vor ein paar Wochen gesagt.“ Sie lächelte Temari zu. „Aber wie es scheint, hast du das endlich hinter dir.“ Das dumpfe Gefühl in ihrem Magen löste sich in Wohlgefallen auf. „Schön, dass du das auch endlich bemerkt hast.“ „Ich glaube, du musst mir bis zu deinem Lebensende dankbar sein“, sagte Matsuri und grinste. „Schließlich hast du Koutarou durch mich erst kennengelernt.“ „Das überleg ich mir noch.“ Ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. „Zeig ich dir fürs Erste genug Dankbarkeit, indem ich die Rechnung bezahle?“ „Ein Anfang wär’s zumindest.“ Matsuri lachte, dann nippte sie etwas gedankenverloren am Trinkhalm ihres Eiskaffees. „Sag mal“, begann sie schließlich, „was würdest du eigentlich tun, wenn du Shikamaru doch noch mal über den Weg laufen würdest?“ „Was soll ich schon großartig machen?“, erwiderte sie, etwas perplex von der Frage. „Ihm seine Tochter vorstellen und ein schönes Leben wünschen, denk ich mal.“ „Ich meine, mal angenommen, dass du noch Single wärst.“ „Bin ich aber nicht.“ „Schon klar. Ich sagte auch wenn … Würdest du nicht versuchen, die Beziehung komplett von vorne aufzubauen?“ Sie zuckte die Achseln. „Ist mir egal und ich denk auch nicht drüber nach, weil dein Was-wäre-wenn totaler Bullshit ist, da es niemals dazu kommen wird.“ „Und woher willst du das wissen?“, fragte ihre Freundin weiter. „Weil Kankurou ihn eigenhändig umbringt, wenn er auch nur einen Fuß in dieses Dorf setzt.“ Temari gab zu, dass ihr die Vorstellung ein wenig gefiel. Für die Vergangenheit war in ihrem jetzigen Leben kein Platz mehr und sie wollte ihn ihr auch bei Bedarf nicht wieder einräumen. Als sie Kairi ansah, die in ihrem Buggy ihren Mittagsschlaf hielt, flackerte ihr schlechtes Gewissen auf. Doch wie konnte ihre Tochter eine Person vermissen, die sie gar nicht kannte? Der Gedanke beruhigte sie. „Jetzt aber hoch mit dir!“, scheuchte sie Matsuri gut gelaunt auf. „Schon vergessen? Ich hab nachher ein Date!“ --- „Ich glaub, das war der beste Film, den ich je gesehen hab!“, scherzte Koutarou, als sie das Kino verließen. Temari lachte. „Die furchtbaren Dialoge waren wirklich ihr Eintrittsgeld wert“, sagte sie. „Vielleicht sollten wir uns vor dem nächsten Kinobesuch doch lieber ein paar Kritiken durchlesen.“ Sie hakte sich bei ihm ein und sie gingen ein Stück. „Soll ich dich schon nach Hause bringen?“, fragte er. „Kairi schmeißt mich momentan zwar jeden Morgen um sechs aus dem Bett“, erwiderte sie mit Blick auf ihre Armbanduhr, „aber was soll’s! Schlafen kann ich noch, wenn ich alt bin.“ „Dann noch ein kleiner Snack?“ „Gern.“ --- Sie schlenderten zu dem Café, in dem Temari schon am Tag mit Matsuri gewesen war. Zwei andere Paare saßen noch draußen und ließen sich im Mondlicht von einzelnen Mücken umschwirren. Bei dem Anblick musste sie grinsen. Koutarou und sie reihten sich gleich in dieses Szenario mit ein und – „Ich merke mal wieder, welche Vorteile Sunagakure gegenüber Konoha hat“, sagte sie. Ihr Begleiter zog einen Stuhl von einem kleinen Tisch ab, sie setzte sich und er nahm ihr gegenüber Platz. Anschließend fragte er: „Und die wären?“ „Hier gibt es keine Mückenschwärme! Die sind dort nämlich regelmäßig über mich hergefallen“, antwortete sie. „Also falls du ein Vampir sein solltest, wird dir mein Blut sicher schmecken!“ „Schade, dass ich kein Vampir bin!“ Er lachte und studierte die Eiskarte. „Hast du das Eis hier schon mal probiert?“, fragte er und witzelte: „Meinst du, dass es an die Süße deines Blutes heran kommt?“ „Es schmeckt großartig. Das heißt, wenn du kein Faible für Metall auf der Zunge hast“, entgegnete sie amüsiert. „Ein besseres Eis findest du im ganzen Windreich nicht.“ „Dann ist es als Abschluss für den Abend wohl gerade gut genug“, sagte Koutarou. Temari lächelte. „Du Charmeur!“ „Wieso? Irgendwie muss ich es ja wiedergutmachen, dass ich dich in diesen furchtbaren Film geschleppt habe.“ „Allerdings.“ Nun musste sie lachen und er stimmte mit ein. Kapitel 9: Zugeständnisse ------------------------- Kapitel 9: Zugeständnisse Es war kurz vor halb eins, als Temari nach Hause kam. Sie ging in Richtung Wohnzimmer, in der Erwartung, Kairis Babysitter anzutreffen, doch es war dunkel. Außer im Obergeschoß, in dem Gaara wahrscheinlich ein wenig Papierkram erledigte, brannte nirgendwo Licht. Es wunderte sie zwar, dass Kankurou nicht mehr wach war, aber selbst eine Eule wie er konnte sich wohl nicht jede Nacht um die Ohren schlagen. Sie warf noch einen Blick auf ihre Tochter und ging zu Bett. --- Kairi war am nächsten Morgen pünktlich wie immer in den letzten Wochen: Um 6.02 Uhr war für Temari die Nacht vorbei. Sie fühlte sich wie gerädert. In Shinobizeiten waren fünf Stunden Schlaf am Stück Luxus gewesen und sie war mit weniger gut zurecht gekommen, doch inzwischen hatte Kairi sie in dem Punkt so verwöhnt, dass sie den halben Tag nicht zu gebrauchen war, wenn sie nicht mindestens sieben Stunden geschlafen hatte. Mit dem Entschluss, dem Mädchen bei ihrem Mittagsschlaf im Land der Träume Gesellschaft zu leisten, stand sie auf. Sie spielte ein bisschen mit Kairi – die Kleine fand es lustig, ihre Spielsachen aus dem Bett zu werfen und zuzusehen, wie ihre Mutter sie dann aufhob – und um halb sieben nahm sie sie heraus, wechselte die Windel, zog sie an und schlenderte zum Wohnzimmer, um das Frühstück zu machen. Auf dem Tisch lag das Babyfon, das sie Kankurou gestern Abend in die Hand gedrückt hatte, doch anstatt ihn fand sie Gaara in der Küche vor. Ihr jüngster Bruder befüllte gerade die Kaffeemaschine und die Anzahl der Löffel Pulver, die er in den Filter tat, ließ sie schütteln. Wenn Gaara Kaffee machte, war er viel zu stark und ungenießbar. Sie fragte sich, wie er dieses scheußliche Zeug ohne Zucker und Milch trinken konnte. „Guten Morgen!“, begrüßte sie ihn und gähnte. „Guten Morgen“, erwiderte er und als er seine Nichte erblickte, huschte ihm ein kleines Lächeln über die Lippen. „Schon ausgeschlafen?“ Seine Schwester zog eine Grimasse. „Aber natürlich, ich liebe es, so wenig zu schlafen und am Morgen fix und fertig zu sein“ – wobei das Date mit Koutarou es definitiv wert gewesen war – „Ich wüsste gerne mal, wie du es schaffst, mit dem bisschen Schlaf auszukommen. Ich an deiner Stelle würde auf dem Zahnfleisch kriechen.“ „Mit Shukaku konnte ich nie vier Stunden am Stück schlafen“, antwortete er. „Nur vier Stunden? Kein Wunder, dass deine Augenringe nicht weggehen!“ Sie lachte verdruckst und ihr Bruder schmunzelte. „Ich hab dir das Babyfon ins Wohnzimmer gelegt“, sagte Gaara anschließend. „Danke“, entgegnete Temari, „hab ich schon gesehen. Aber eigentlich sollte doch Kankurou auf Kairi aufpassen.“ „Er hat es mir gestern gegeben, als ich nach Hause kam und meinte, es ginge ihm nicht so gut. Er hat ziemlich geschwitzt und schien es eilig zu haben.“ „Er hätte das Teil doch mit aufs Klo nehmen können, anstatt dich zu belästigen.“ Er zuckte die Schultern. „Möchtest du auch gleich eine Tasse Kaffee?“ „Gern“, antwortete sie, „aber ein halber Becher reicht mir.“ Den Rest füllte sie sich mit reichlich Zucker und Milch zu einer Art Latte Macchiato auf, was sogar recht gut schmeckte. --- Nach dem Frühstück verabschiedete sie Gaara – für kein Geld in der Welt wollte sie bei diesen Arbeitszeiten und der Verantwortung mit ihm tauschen und Kage sein; nicht einmal für einen Tag – und da Kairi sich auf dem Fußboden alleine beschäftigte und auf die Gesellschaft ihrer Mutter überhaupt keinen Wert zu legen schien, schnappte sie sich die Tageszeitung von gestern und begann zu lesen. Das Rascheln des Papiers lockte ihre Tochter doch an. Sie robbte zum Sofa herüber, griff an die Kante und zog sich auf die Knie. „Nicht krabbeln, aber schon ein halber Stehversuch.“ Temari lächelte und kitzelte Kairi am Kinn. Das Mädchen kicherte, griff nach der Zeitung und riss ein Stück heraus, das sie sich sofort in den Mund steckte. Ihre Mutter nahm es ihr geistesgegenwärtig ab und legte es außer Reichweite. Kairi verzog eine unzufriedene Miene und ließ sich auf allen Vieren auf dem Teppich nieder. Einen Moment sah es aus, als wollte sie sich krabbelnd fortbewegen, dann sank ihr Oberkörper herab und sie wischte wie gewohnt über den Boden. Ohne Temari noch eines Blickes zu würdigen, kehrte sie zu ihrer Spielecke zurück. Diese musste lachen. Ihre Tochter hatte in den letzten Wochen immer mal wieder Andeutungen gemacht, dass sie sich zu einem kleinen Sturkopf entwickelte, aber dies war wirklich mehr als eindeutig. „Du kommst wohl ganz nach mir, was?“, sagte sie und widmete sich erneut ihrer Lektüre. Bis auf einen Artikel über die kommende Chuunin-Auswahlprüfung gab die Zeitung nicht viel her und so legte sie sie etwas wehmütig beiseite. Dies war schon die dritte Prüfung, an der sie nicht beteiligt war und das Mal davor war sie freiwillig noch vor den Ausscheidungskämpfen ausgestiegen, um Konoha verlassen zu können. Fast sechzehn Monate war es nun her und sie gab zu, dass sie das Dorf kein Stück vermisste. Die eine oder andere Person von dort allerdings schon. Mit Sakura schrieb sie sich noch gelegentlich, doch ansonsten war der Kontakt ziemlich eingeschlafen. Zu gern hätte sie ihre Prüfungs-Kollegen noch einmal getroffen – von einer Ausnahme mal abgesehen. Kotetsu und Izumo waren für jeden Spaß zu haben oder Genma war immer ein intelligenter Gesprächspartner gewesen. Sie überlegte kurz, ob sie sich vielleicht in eins, zwei Jahren wieder zur Planung zur Verfügung stellen sollte – Kairi war dann für lange Reisen alt genug, aber noch zu klein für die Akademie, sodass sie in dem Sinne keine Pflichten hatte –, aber diese Idee verwarf sie genauso rasch, wie sie gekommen war. Das Kapitel Konoha war für sie abgeschlossen und es noch einmal aufzuschlagen, schmerzte nur unnötig. Die Tür zum Wohnzimmer öffnete sich und Kankurou kam herein. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, sein schlurfender Gang erinnerte an den eines Zombies und doch grinste er, als hätte die Lottofee gerade seine sechs richtigen Zahlen gezogen. Ihr Bruder goss sich eine Tasse von Gaaras schwarzer Brühe ein und setzte sich zu ihr aufs Sofa. „Ich dachte, du wärst krank“, bemerkte Temari und musterte ihn noch etwas genauer. Kankurous Grinsen nahm bizarre Züge an. Es sah aus als zwang er sich, es zu unterdrücken, doch seine Mundwinkel tanzten weiter ihre Polka der Glückseligkeit. Und seine Schwester verstand. „Ah, okay, du hast wohl gevögelt!“, sprach sie ihre Vermutung geradeheraus aus. Ein weiterer Blick in sein Gesicht sagte ihr, dass sie einen Volltreffer gelandet hatte. „Und das ausgerechnet an dem Abend, an dem du auf deine Nichte aufpassen solltest. Schäme dich!“ Er starrte sie wortlos an. „Gaara hat deinen Job mindestens genauso gut erledigt. Ich bin dir also nicht böse“, sprach Temari weiter. „Wie könnte ich das auch sein, so selten wie du mal Frauenbesuch hast? Den muss ich dir einfach gönnen!“ Kankurou verzog eine grimmige Miene. „Vielen Dank!“, brummte er. „Es ist ja nicht so, dass es bis vor kurzem bei dir genauso ausgesehen hat …“ „Im Gegensatz zu dir war ich aber auch nicht krampfhaft auf der Suche nach einem Partner.“ Um ihren Bruder nicht noch mehr wie einen verprügelten Hund aussehen zu lassen, fragte sie: „Und, kenn ich sie?“ Er zuckte die Achseln und trank einen Schluck Kaffee. Er schmeckte noch bitterer als die Kommentare seiner Schwester. „Wie kann man diesen Mist bloß trinken?“, stieß er angewidert aus. „Will Gaara uns vergiften?“ „Lenk nicht vom Thema ab! Ich hab dir eine Frage gestellt!“ „Und ich ignoriere sie.“ „Ach, komm schon …“, bohrte sie weiter. „Verrätst du mir wenigstens, ob’s was Längerfristiges ist?“ „Du benimmst dich wie Matsuri! Und so neugierigen Nervensägen erzähl ich schon mal gar nichts.“ „Dann war’s wohl ein One-Night-Stand“, schloss sie aus seiner Reaktion. „Schade, aber du findest schon noch die Richtige.“ Kankurou streckte ihr angesäuert die Zunge entgegen. Den Anflug eines weiteren Grinsens konnte er damit allerdings nicht überspielen. --- Es läutete an der Tür. Temari sprang erwartungsvoll vom Sofa auf, lief in den Flur und öffnete sie. Wie selbstverständlich drückte sie Koutarou einen Kuss auf. „Womit hab ich denn das verdient?“, fragte er, wobei ihm diese Begrüßung sichtlich gefiel. „Einfach nur dafür, weil es dich gibt“, antwortete sie und zog ihn ins Haus. Etwas überrumpelt ließ er sich von ihr mitschleifen. „Das muss der Frühling sein, oder?“ „Er ist zwar schon einen Monat alt“ – es war schließlich schon Ende April – „aber wenn du das so sehen möchtest, gerne.“ Sie schenkte ihm ein Lächeln und verschwand in der Küche. „Ich hoffe, du hast ordentlich Hunger mitgebracht!“, hörte er sie sagen. „Ich hab heute extra das Mittagessen ausfallen lassen“, antwortete Koutarou. „Hast du etwa wieder was Schönes gekocht?“ „Viel besser!“ Temari kam mit einer Schale Knabbereien zurück. „Ich hab Kankurou losgeschickt, um uns Pizza zu kaufen.“ „Das klingt schon mal nicht übel.“ Er grinste. „Aber kennst du meine Lieblingssorte überhaupt?“ „Hawaii!“ „Ich merke schon, du passt auf!“ Sie lachte. „Natürlich! Was hast du denn gedacht?!“ Er zuckte die Achseln und sagte: „Lass mich raten … Dann bekommst du eine Pizza mit Tomaten und Hähnchenfleisch?“ „Du hast die Barbequesauce vergessen“, ergänzte sie ihn, „aber ansonsten: Hundert Punkte!“ Dann küsste sie ihn erneut. „Was ist denn heute mit dir los?“ Koutarou schaute sie ein wenig irritiert an. „Nichts weiter“, antwortete Temari wahrheitsgemäß. „Ich habe eine großartige Tochter, einen liebevollen Freund, der mich zum Lachen bringt, und mein Bruder scheint verliebt zu sein. Wie kann man da nicht gut gelaunt sein?“ Sie grinste und wechselte das Thema. „Zum Essen auch ein Glas Sekt?“ Er nickte nur. Dieses Zugeständnis machte ihn sprachlos. --- „Lieferservice!“ Kankurou betrat das Wohnzimmer und legte zwei Pizzakartons auf dem Tisch ab. „Das macht dann vierhundert Ryo, Lieferpauschale und Trinkgeld inbegriffen. Zahlbar bis morgen Abend ohne Zinsen.“ Temari zog eine Grimasse. „Vierhundert? Willst du deine Schwester im Ernst so abzocken?“ „Okay, dreihundertfünfzig, weil du es bist.“ Er klopfte ihr freundschaftlich auf die Schulter und reichte Koutarou anschließend zum Gruß die Hand. „Ich muss doch sparen, damit ich Kairi nächsten Monat ein tolles Geburtstagsgeschenk machen kann.“ Er las seine Nichte vom Teppich auf und warf sie ein paar Mal in die Höhe. Das Mädchen lachte dabei wie verrückt. „Hast du keine Angst, dass er sie mal nicht auffangen kann?“, fragte Koutarou. Temari schmunzelte. „Ein reaktionsstarker Shinobi wie er lässt kein Kind fallen.“ Kankurou setzte Kairi auf ihrer Spieldecke ab und sagte: „Ich verzieh mich dann wieder. Viel Spaß euch!“ Seiner Schwester flüsterte er noch zu: „Vergeig es nicht!“ Diese verpasste ihm einen sanften Stoß zwischen die Rippen. „Auf gar keinen Fall!“ --- Temari räumte das Geschirr vom Tisch und brachte es in die Küche. „Magst du noch etwas zum Nachtisch?“, fragte sie, als sie mit ein paar Happen gedünstetem Obst für ihre Tochter und einen Pudding für sich zurückkam. Koutarou schüttelte den Kopf. „Ich bin so satt wie schon lange nicht mehr“, erwiderte er, streckte seinen Bauch heraus und tätschelte ihn. „Siehst du, ich platze gleich!“ Sie lachte, drückte Kairi ein Stück Birne in die Hand und setzte sich wieder. „Irgendwie komisch, oder? Wir haben dieselbe Menge gegessen und in meinem Magen ist immer noch für mindestens eine halbe Pizza Platz.“ Da er sie nicht fragen wollte, wo sie diese Mengen ließ – Frauen waren ja sehr eigen, was die Figur betraf –, bemerkte er: „Du musst einen guten Stoffwechsel haben.“ „Geht so“, entgegnete sie und kniff sich demonstrativ in den wenigen Hüftspeck, den sie hatte. „Zwei Drittel meiner Schwangerschaftskilos halten sich immer noch hartnäckig. Aber kein Wunder, so viel wie ich manchmal esse.“ „Ist doch okay, wenn du dich so wohl fühlst.“ „Ich fühle mich sehr viel wohler als früher“, pflichtete sie ihm bei. „Außerdem war mir von vornherein klar, dass ich nach der Schwangerschaft nicht mehr wie vorher aussehen werde.“ „Und dafür bist du noch verdammt gut in Schuss.“ Sie lächelte. „Danke.“ --- Gegen acht brachte Temari Kairi ins Bett. „Möchtest du Fernsehen“, fragte Koutarou, als sie zurück ins Wohnzimmer kam, „oder hast du was anderes geplant?“ „Ich glaube, es läuft nur Mist. Aber wir können ja ein bisschen durchschalten.“ Da tatsächlich keine guten Filme liefen, ließ sie nebenbei eine Dokumentation über Meerestiere laufen und fragte: „Warum machen wir nicht ’nen Spieleabend? Das heißt, wenn du auch möchtest.“ „Gern. Was hast du denn im Angebot?“ Temari ging zur Kommode und durchforstete sie. „Ich sehe diverse Kartenspiele“ – sie hielt Uno und ein Skatblatt in die Höhe – „Eine Spielesammlung mit Dame, Halma und anderen Brettspielen; Mikado; Jenga … Du hast die freie Wahl!“ „Wie wäre es mit einer simplen Runde Maumau?“, schlug er vor. „In Ordnung“, antwortete sie mit einem Lächeln. „Dafür bin ich immer zu haben!“ --- Nach einer Dreiviertelstunde Maumau und fünf Runden Mikado, von denen Temari mit ihrer ruhigen Hand vier für sich entschied, räumte sie die Spiele wieder weg. „Noch ein Brettspiel?“ „Klar, ich muss meine Spielerehre ja wieder herstellen“, sagte Koutarou. „Gibt es ein Spiel, in dem du vielleicht nicht ganz so gut bist?“ „Ach, ich hatte doch bloß Glück“, winkte sie ab. „Warum sagst du mir nicht einfach, in welchem du gut bist? Vielleicht hab ich es zufälligerweise da.“ Er dachte einen Moment nach. „Hast du ein Schachbrett?“, fragte er. „Ich bin im Shōgi einigermaßen gut.“ Temaris Herz setzte einen Schlag aus und ihr Puls stieg in ungeahnte Höhen. Es gab doch tausende Brettspiele auf der Welt, warum musste er ausgerechnet dieses nennen? „Ich hab es da, aber ich habe es vier Jahre lang regelmäßig gespielt, sodass du kaum eine Chance gegen mich haben wirst.“ Sie versuchte, beiläufig zu klingen und hoffte, dass er ihre Verunsicherung nicht bemerkte. „Dann hast du wohl oft gewonnen?“ Matsuri und Kankurou waren zwar nie ernstzunehmende Gegner gewesen, aber … Sie nickte. „Nur gegen eine Person hab ich immer verloren.“ Sie lächelte gekünstelt. „Die war aber auch Profi. Willst du trotzdem dein Glück versuchen?“ „Auf jeden Fall!“ Koutarou klang ausgesprochen motiviert. „Ich bin gespannt, wie gut du bist.“ Innerlich zähneknirschend baute sie das Spiel auf. Sie hatte absolut keine Lust auf eine Partie Shōgi – wahrscheinlich war sie eh aus der Übung, da sie seit anderthalb Jahren keinen Stein mehr angefasst hatte –, doch sie wollte ihm nicht den Abend verderben, indem sie wegen einem blöden Spiel die Zicke spielte. Auch wenn es sie die ganze Zeit an Shikamaru erinnerte. --- „Siehst du! Was hab ich dir gesagt?“ Temari nahm Koutarous König vom Brett. „Verdammt“, fluchte er, „du hast nicht übertrieben!“ Sie wischte die Steine rasch zusammen, tat sie in den Beutel und schob ihn zusammen mit dem Brett beiseite. „Stimmt etwas nicht?“, fragte er, als er beobachtete, wie grob sie mit dem Spiel umging. „Du hast doch gar keinen Grund, angesäuert zu sein. Schließlich hast du mich fertig gemacht.“ Die nett gemeinte Aufmunterung prallte an ihr ab. Sie war regelrecht wütend darüber, dass sie gewonnen hatte, denn es fühlte sich so verdammt falsch an. Es brodelte in ihrem Inneren und am liebsten hätte sie laut losgeschrien. Sie hatte nicht nur die falsche Person im Shōgi besiegt, nein, sie wünschte sich, dass an Koutarous Stelle Shikamaru saß und sie wie gewohnt gegen ihn verloren hatte. Temari hasste sich für diesen Gedanken. Koutarou konnte überhaupt nicht wissen, was sie mit diesem Spiel verband, und doch hätte sie ihm am liebsten ein paar Gegenstände an den Kopf geworfen und anschließend vor die Tür gesetzt. „Alles okay.“ Sie schaffte es, dass ihr Verstand die Oberhand vor ihren Gefühlen behielt und fragte: „Wie wäre es zum Abschluss noch mit einer Runde Jenga?“ --- Ihre Hände zitterten noch, aber sie schaffte es, den Turm nicht zum Einsturz zu bringen. Sie legte den Stein an der Spitze des wackeligen Gebildes ab und sagte: „Du bist dran.“ Temari beobachtete Koutarou bei seinem Zug – er mühte sich damit ab, in dem Schweizer Käse noch ein lockeres Holz zu finden – und spürte, dass es mit ihrer Laune wieder bergauf ging. Sie fragte sich sogar, wie sie sich dermaßen über eine Partie Shōgi ärgern konnte. Es war schließlich nur ein dummes Brettspiel, das ihr Exfreund zufälligerweise gerne spielte … Der Turm krachte zusammen und sie grinste ihren Gegner vor Überlegenheit an. „Heute wird’s wohl nicht mehr mit dem Wiederherstellen deiner Spielerehre“, stichelte sie los und in einem Anflug Spontaneität setzte sie sich auf seinen Schoß. Dann murmelte sie: „Aber ich tröste dich gerne!“ und küsste ihn. Koutarou erwiderte es und da sie auch nach einigen Sekunden keine Anstalten machte, sich von ihm zu lösen, wanderte seine Hand auf ihren Rücken und unter ihr Top. Temari zuckte unter seiner Berührung leicht zusammen und obwohl sie einen leicht faden Beigeschmack hatte, ließ sie es zu. Sie wurde selbst sogar ein wenig aktiv, indem sie ihren Druck auf seine Schultern verstärkte und ihn gegen die Sofalehne presste. Dies fasste er wiederum als Bestätigung auf, um noch weiter zu gehen. Mit Schwung brachte er sie neben sich auf der Couch zu liegen. Ihr Herz sprang im Dreieck. Sie wünschte sich im Augenblick nichts mehr, als sich ganz auf ihn einzulassen und doch spukten ein paar Bedenken in ihrem Hinterkopf herum. Sie beschloss, sie zu ignorieren, und vertiefte den Kuss mit ihm. Wenn es eine Möglichkeit gab, um Negatives zu vertreiben, war es diese. Genau deswegen hatte der Sex nach einem Streit für sie immer so gut funktioniert. Warum sollte das hier anders sein? Die Stimme verschwand einfach und alles war perfekt … Das Gefühl, das sie hatte, als seine Hand unter ihren Rock und ihre Oberschenkel hinaufwanderte, strafte diesen Gedanken Lügen. Das Flüstern wurde lauter und nichts, aber absolut gar nichts, war perfekt. Einfach alles fühlte sich falsch an und ihr wurde bewusst, dass sie einen großen Fehler machte, wenn sie jetzt mit Koutarou schlief. Temari drückte ihn von sich. „Stopp!“, keuchte sie. Ungläubig schaute er sie kurz an, doch anstatt auf Abstand zu gehen, versuchte er es noch einmal. Sie wehrte seine Annäherung ab und packte unsanft seine Handgelenke. „Ich kann das einfach nicht.“ Sie senkte den Blick und setzte nach: „Noch nicht.“ „Was stimmt denn auf einmal nicht?“, fragte er, angriffslustiger als beabsichtigt. „Seit unserem Shōgi-Spiel bist du total seltsam.“ Temari antwortete nicht darauf. Stattdessen sagte sie: „Es tut mir leid“ – Tat es ihr das wirklich? – „aber es wäre besser, wenn du jetzt gehst.“ „Warum erklärst du mir nicht wenigstens –“ „Bitte geh!“, unterbrach sie ihn mit Nachdruck. Koutarous fassungsloser Blick, als er aufstand und wortlos ging, blieb ihr noch lange im Gedächtnis. Kapitel 10: Schatten der Vergangenheit -------------------------------------- Kapitel 10: Schatten der Vergangenheit Temari umklammerte eins der Sofakissen und starrte auf den Fernseher, ohne das, was gerade lief, wirklich zu sehen. Sie fühlte sich in jeder Hinsicht miserabel. Während sie ihren Freund – der Mann, der sie in den letzten Wochen wie ein Gentleman behandelt, zum Lachen gebracht und liebevoll umsorgt hatte; der Mann, den ihre kleine Tochter sehr mochte und sicherlich als Vaterfigur akzeptiert hätte –, während sie ihn küsste, dabei war, den entscheidenden Schritt zu tun, wurde ihr klar, wie sehr sie ihren Ex vermisste. Sechzehn Monate hatte sie ihn nun schon nicht gesehen oder etwas von ihm gehört und trotzdem sehnte sie sich immer noch nach ihm. Warum – verdammt noch mal! – kam sie einfach nicht von ihm los? Das war doch absurd … Sie starrte das Shōgibrett an. Dieses dumme Spiel war daran Schuld, dass sie sich genau im falschen Moment an Shikamaru erinnerte. Wenn sie Koutarou nur gesagt hätte, dass sie kein Spielbrett hatte und sie stattdessen eine Runde Mensch ärgere dich nicht gespielt hätten … Wäre es dann ganz anders gekommen? Nein, dachte sie. Im entscheidenden Augenblick hätte sie sich trotzdem zurückgezogen. Sie hatte ihm zwar nicht gesagt, dass die Erinnerung an ihren Verflossenen der Auslöser für ihre Blockade war, doch dass sie noch nicht bereit war, mit einem anderen Mann zu schlafen, war die Wahrheit. Und wenn Koutarou dies gleich akzeptiert hätte, wäre diese Situation nicht so eskaliert … Eskaliert wäre es auch nicht, wenn sie nach dem Shōgi nicht so auf ihn losgegangen wäre und voller Inbrunst geküsst hätte. Sie trafen sich schließlich schon seit fast zwei Monaten und da war es nur natürlich, dass er mehr von ihr wollte. Wie konnte sie ihm das verübeln? Außerdem hatte sich Koutarou bis hierhin immer zurückgehalten und sie zu nichts gedrängt. Wie sollte ein Mann es denn interpretieren, wenn die Freundin plötzlich eindeutige Signale sendete? Ja, es war größtenteils ihre Schuld. Wie kam sie auch nur auf die Idee, ihrem Kummer, ihrem Frust mit Sex entrinnen zu wollen? Was machte es besser, wenn sie hinterher doch bloß über ihre gescheiterte Beziehung nachdachte? Das war unehrlich und das hatte Koutarou nicht verdient. Temari kamen die Worte ihres Bruders in den Sinn. Sie malträtierte ihre Unterlippe in Gedanken daran. Sie hatte es so dermaßen vergeigt, vergeigter ging es nicht mehr. Ihre Finger krallten sich fester ins Kissen und sie warf es gegen die Wand. Wütend griff sie nach dem Schachbrett, das ihr Shikamaru vor vier Jahren zum Geburtstag geschenkt hatte und das die Ursache für diesen furchtbaren Abschluss des Abends war. Sie verstand nicht, warum sie es nicht schon vorher entsorgt hatte, aber das holte sie nun nach. Entschlossen ging sie über den Flur, riss die Haustür auf und hechtete nach draußen. Der feine Sand unter ihren Füßen beflügelte sie in ihrem Vorhaben. Sie riss den Deckel der Mülltonne auf, hob den Arm, mit dem sie den Beutel mit den Steinen und das Brett hielt und – Ihre Hand zitterte. Sie zwang sich, dieses verfluchte Zeug, das ihr heute nur Pech gebracht hatte, loszulassen, im Abfall zu versenken und somit aus ihrem Leben zu verbannen, doch sie konnte es nicht. Sie konnte dieses wertvolle Erinnerungsstück nicht einfach so wegwerfen, egal wie wütend und enttäuscht sie von seinem vorigen Besitzer war. Ihr Arm sank herab, sie ließ los und das Spiel landete sanft im Sand. Sie war den Tränen nahe. Warum konnte sie ihre Vergangenheit nicht endlich hinter sich lassen? --- Am Morgen wachte sie mit verquollenen Augen auf. Sie wusste noch, dass sie sich vor Selbstmitleid in den Schlaf geweint hatte und sie kam sich nun, da einige Stunden vergangen waren, unsagbar dämlich vor. Wenn sie mit Koutarou sprach, war ihre Beziehung sicher zu retten und gegen ihre Selbstsabotage und ihr In-der-Vergangenheit-leben halfen einige Sitzungen beim Psychologen. Ihre Probleme waren doch mit Leichtigkeit zu beseitigen … Ja, wenn du die Protagonistin im einem Liebesschnulzen wärst, klappt das garantiert, dachte sie voll Ironie. Zum Lachen war ihr allerdings nicht zumute. Nun hatte sie zwar erkannt, dass sie etwas tun musste, aber ob es dann letztendlich funktionierte, war eine ganz andere Frage. Temari stand auf, sah nach ihrer Tochter, die wie immer um halb sechs noch schlief, und ging in die Küche. Sie hoffte auf eine Tasse von Gaaras furchtbarem Teufelszeug, doch da ihr Bruder noch nicht wach war, setzte sie selbst eine Kanne Kaffee für garantierte Herzraserei auf. --- Eine Viertelstunde später nahm sie einen Schluck von ihrem schwarzen Gebräu. Es schmeckte widerlich bitter und es kam ihr vor, als wirkte die Überdosis Koffein bis in ihre Haarspitzen. Also genau das Richtige nach einem verkorksten Date und der schlafarmen Nacht, die darauf gefolgt war. Sie trank noch ein wenig, verzog angeekelt das Gesicht und griff nach der Milchpackung. Sie wollte wach werden und nicht versuchen sich umzubringen! Zwei Löffel Zucker verfeinerten das Ganze und so hatte sie wie gewohnt ihre Milch mit Kaffee. Kein Frust der Welt war es wert, an einem selbst verursachten Herzkasper zu sterben … Obwohl, ohne Kairi hatte diese Vorstellung schon seinen Reiz. Temari zog eine selbstironische Grimasse. Sie war zwar eine Kick-Ass-Kunoichi, wie es im Buche stand, beziehungsweise es mal gewesen, aber um sich das Lebenslicht auszupusten war sie trotzdem zu feige. Zumal dieser Rückschlag nicht stark genug war, um so etwas zu rechtfertigen. Er tat weh, aber es war ein verdammt lächerlicher Grund für einen Selbstmord! Gott, worüber denkst du denn gerade nach?, fragte sie sich. So verzweifelt konnte sie doch gar nicht sein … Zumindest noch nicht, stellte sie dazu fest. Genauso wie sie nicht verzweifelt genug war, um Koutarou ranzulassen. Sie verscheuchte diesen Gedankenfetzen und beschloss, so schnell wie möglich mit ihm darüber zu reden und sich bis dahin nicht einmal in ihrer Vorstellung ein Kunai in den Hals zu stoßen. --- Unentschlossen stand sie vor dem Lokal, in dem Koutarou arbeitete. Sollte sie wirklich hineingehen oder doch abwarten, dass er sich bei ihr blicken ließ? Nach der Nummer taucht er so schnell bestimmt nicht bei dir auf!, ermahnte sie ihr Gewissen. Außerdem wollte sie dieses Missverständnis – oder was auch immer es gewesen war – aus der Welt schaffen. Kneifen war keine Option. Temari setzte sich in Gang und trat durch den Haupteingang. Ihr Herzschlag wurde rasanter, als sie sich umsah. Sie konnte ein halbes Dutzend Gäste erkennen, die zu Mittag aßen, und zu allem Überfluss bediente natürlich seine geschwätzige Kollegin die Leute. Was für ein Glück sie doch hatte! Die junge Frau mit der großen Klappe entdeckte sie rasch, fertigte die beiden wartenden Männer mit ihrer bestellten Flasche Sake ab und kam zu ihr. „Du suchst bestimmt Koutarou!“, legte sie fest. Temari fragte sich, wann sie diesem Mädel das Du angeboten hatte – vielleicht in einem früheren Leben –, nickte jedoch. Sie grinste breit und schüttelte dann den Kopf. „Er ist nicht da!“ Und warum grinste sie dann so blöd? Wahrscheinlich stand sie selbst auf ihn und fand es lustig, seiner Freundin eins auszuwischen … „Und wann kann ich ihn antreffen?“ Die Kellnerin schaute diesmal so belustigt drein, dass sie ihr am liebsten mit ihrem Fächer ein neues Aussehen verpasst hätte, wenn sie nicht offensichtlich ein Kindergartenkind vor sich gehabt hätte. Aber wahrscheinlich führten sich nicht mal die so affig auf. Sogar Kairi benahm sich besser als diese dreiste Göre … Temari schluckte ihre Verärgerung hinunter und hoffte, dass sie auf ihre – für minderbemittelte Menschen wie sie – schwere Frage eine Antwort bekam. „Er hat sich ein paar Tage frei genommen“, sagte sie schließlich. „Ein Zwischenfall in der Familie. Koutarou hat gesagt, ich soll es dir ausrichten, falls du hier auftauchst. Und dass es ihm leid tut, dass er es dir nicht persönlich sagen kann.“ Erleichterung breitete sich in ihr aus. Fast hätte sie geglaubt, dass er absichtlich im Urlaub war, um ihr aus dem Weg zu gehen … „Hat er erwähnt, wann er zurück ist?“ „Bis Dienstag hat er frei. Nächsten Mittwoch zur Spätschicht sollte er wieder hier sein.“ Die junge Frau klopfte ihr auf die Schulter und lachte. „Aber ich bin sicher, dass er vorher bei dir vorbeischaut, so verrückt, wie er offensichtlich nach dir ist.“ Ihr Groll auf Koutarous vorlaute Kollegin verschwand. Sie schien sich tatsächlich für ihn zu freuen … Sie murmelte ein „Danke“, drehte sich um und ging. --- „Und was meinst du?“ Temari warf Matsuri, die neben ihr ging, einen erwartungsvollen Seitenblick zu. „Ich meine, dass ich letzte Nacht verdammt guten Sex hatte!“, erwiderte diese und grinste über beide Ohren. „Und mit verdammt gut meine ich phänomenal!“ „Und ich finde es großartig, wie gut du mir wieder zugehört hast“, meinte ihre Freundin sarkastisch. „Ich schüttle dir hier mein Herz aus und was kommt von dir? Dass dich irgendein Typ, den du gestern in irgendeiner Seitengasse getroffen hast, um den Verstand gevögelt hat! Ich komme um vor Spannung! Das passiert dir ja auch nur einmal die Woche!“ „Du könntest dich doch mal freuen, dass es bei mir auch mal glatt läuft.“ „Du redest jedes Mal so, wenn du einen neuen Kerl kennengelernt hast und er dich flachgelegt hat“, sagte Temari gereizt. „Entschuldige also, wenn mich solche Geschichten nicht mehr umhauen, zumal ich selbst ein kleines Problem habe.“ „Erstens war es kein One-Night-Stand, denn ich treffe diese Person schon länger; und zweitens, ist dieses Missverständnis zwischen dir und Koutarou ein Witz.“ „Dann siehst du ja, wie sehr ich über diesen Witz lache“, bemerkte sie mit einem müden Lächeln. „Die letzten Wochen sind so gut gelaufen und dann fällt mir auf, dass ich doch noch nicht bereit bin, um mit ihm zu schlafen und schmeiß ihn raus.“ „Vertrau mir einfach. Koutarou mag dich wirklich und wird sich von so einer Kleinigkeit nicht abschrecken lassen.“ Matsuri legte den Arm um ihre Schultern. „Ich an deiner Stelle wäre nach sechzehn Monaten ohne Sex zwar notgeil ohne Ende und hätte es mir von ihm noch am Abend des ersten Dates besorgen lassen, aber wenn du es langsam angehen lassen willst, ist es doch okay. Jeder ist anders.“ Zum Glück!, dachte Temari. Aber war es das in diesem Fall wirklich? Ihre Freundin führte seit Jahren ein offenes, ausgeprägtes Sexleben und hatte Spaß daran und sie selbst schaffte es nach fast eineinhalb Jahren immer noch nicht, sich auf einen anderen Mann einzulassen? Unterschiedlicher ging es gar nicht und sie wünschte sich, irgendwo in der Mitte dieser beiden Extreme zu sein. Wahrscheinlich wäre sie dort auch in etwa gewesen, wenn sie nicht ständig an ihren Ex dachte. „Du kannst ja doch manchmal vernünftige Sachen von dir geben“, sagte sie schließlich. „Ich hätte nicht gedacht, dass du mich in dem Punkt in irgendeiner Weise verstehen würdest.“ „Tu ich auch nicht“, erwiderte ihre Freundin. „Ehrlich, es ist mir schleierhaft, wie man nach der langen Zeit immer noch nicht bereit für Sex mit einem anderen sein kann. Was war noch mal der Grund?“ Temari starrte sie an ohne zu blinzeln. Sollte sie es ihr tatsächlich erzählen? Auf die Gefahr hin, dass sie sich über sie lustig machte? Sie kam sich selbst ja total bescheuert vor … „Jetzt schieß schon los!“, forderte Matsuri sie auf. „Mir kannst du es doch sagen. Ich bin schließlich deine beste Freundin.“ „Okay“, gab sie nach, „aber wenn du lachst, warst du meine beste Freundin!“ Sie hob die Hand und verkreuzte Zeige- und Mittelfinger. „Ich verspreche dir hoch und heilig, dass ich nicht lache.“ Und selbst wenn sie es doch tat, was war so schlimm daran? Umgekehrt würde Temari es wohl nicht anders machen. Ihr Grund war halt so lächerlich, dass man nur darüber lachen konnte. Sie atmete kurz durch und begann: „Es ist inzwischen so lange her, dass ich mich von ihm getrennt habe, aber in jeder möglichen und unmöglichen Situation muss ich an Shikamaru denken.“ Ihre Freundin verzog den Mund nicht einmal ansatzweise zu einem Grinsen und so setzte sie nach: „Ich bin gerne mit Koutarou zusammen und es war einige Wochen auch besser, aber gestern kam alles wieder hoch. Ich werde das Gefühl einfach nicht los, dass ich nicht hierher gehöre – es fühlt sich so falsch an.“ „Falsch?“ „Ja, ich sollte nicht hier sein, sondern mit Kairi in Konoha bei ihrem Vater. Wir sollten zu dritt ein ganz normales Familienleben führen … Aber was ist stattdessen? Er interessiert sich null für seine Tochter, ich bin alleinerziehend und seit kurzem mit einem Mann zusammen, dem ich gegenüber nicht ehrlich bin. Wenn das nicht falsch ist, weiß ich auch nicht.“ Nun starrte Matsuri. „Du machst dir dein Leben ganz schön kompliziert“, meinte sie. „Bist du immer noch der Meinung, dass dir eine Reise nach Konoha nichts bringt?“ „Die Mühe kann ich mir sparen. Selbst wenn er mit mir reden wollen würde, wird das am Ende nur in einem Streit enden und niemandem ist geholfen. Kairi hat dann immer noch keinen Vater und ich werde noch länger in der Vergangenheit hängen bleiben. Und Koutarou kann ich dann völlig abhaken. Wer will denn schon mit einer zusammen sein, die jahrelang nach der Trennung immer noch am Exfreund hängt?“, fragte Temari. „Und selbst, wenn ich es ihm nicht sage, wird er irgendwann merken, dass etwas nicht in Ordnung ist. Weißt du, ich möchte keine Beziehung, die auf Halbwahrheiten basiert.“ „Du schließt es also aus, mit Shikamaru zu reden, weil du glaubst, dass es alles schlimmer macht?! Woher willst du das so genau wissen?“ „Ist das nicht offensichtlich? Ich war schludrig im Umgang mit der Pille, er wollte absolut kein Kind und ich hab es ihm quasi untergejubelt. Und anstatt ihm von der Schwangerschaft zu erzählen, mach ich mit ihm Schluss, verpiss mich und schreib ihm ein halbes Jahr später, dass er eine Tochter hat. Warum sollte er mich dämliche Kuh, die ihn so dermaßen verarscht hat, jetzt mit offenen Armen begrüßen? Wie würdest du da reagieren?“ Ihre Freundin zuckte die Achseln. „Das ist alles wirklich richtig dumm gelaufen.“ „Ach!“, zischte Temari angriffslustig. „Ich verfluche mich selbst für diese grenzenlose Dummheit. Ich hätte es ihm damals sagen sollen. Zwar wäre unsere Beziehung so oder so in die Brüche gegangen, aber wenigstens hätte ich mir jetzt nichts vorzuwerfen und wäre wahrscheinlich in der Lage, mich ganz auf etwas Neues einzulassen.“ Matsuri drehte mit den Daumen und schien nach den richtigen Worten zu suchen. „Und wie siehst du deine Zukunft mit Koutarou?“, fragte sie. „Meinst du, dass er überhaupt die Chance hat, irgendwann die Nummer Eins in deinem Leben zu sein?“ Diese Frage zauberte Temari ein Lächeln ins Gesicht. „Höher als auf Platz Zwei wird er es ohnehin nie schaffen.“ Sie spürte bewusst ihre Tochter, die sich schlafend im Tragetuch an ihren Rücken gekuschelt hatte. „Die Eins wird Kairi nämlich bis zum Ende meines Lebens nicht mehr räumen.“ „Das glaub ich gerne.“ Ihre Freundin kicherte. „Aber meine Frage steht noch.“ „Falls ich ihn gestern nicht verschreckt habe“ – davon ging sie wirklich nicht aus – „denke ich schon, dass er es wert ist, an mir zu arbeiten. Wenn er in fünf Tagen wieder da ist, werde ich einfach ehrlich zu ihm sein und sagen, was genau mein Problem ist.“ „Das klingt vernünftig.“ „Und ein wenig selbstmörderisch“, sagte Temari und musste über ihre Wortwahl schmunzeln. „Und wenn ich Glück habe, will er mich danach sogar noch als feste Freundin behalten.“ „Das will er bestimmt!“ Kapitel 11: Wenn der Sand den Regen trifft ------------------------------------------ Kapitel 11: Wenn der Sand den Regen trifft „Ich könnte kotzen!“, fluchte Kankurou, als er am Nachmittag nach Hause kam. Seine Schwester grinste. „Hat dich deine neue Freundin jetzt doch abserviert?“ „Gaara schickt mich auf eine Botschafter-Mission nach Kumogakure“, brummte er. „Das heißt, dass ich mindestens eineinhalb Wochen weg bin!“ „Du bist seit einem Jahr ausschließlich im Innendienst! Da muss dir doch klar gewesen sein, dass du bald auch mal wieder reisen musst.“ „Ja, schon … Aber warum ausgerechnet jetzt?“ „Vielleicht hättest du ihm von deinem Techtelmechtel erzählen sollen. Wahrscheinlich hätte unser lieber Bruder dann Mitleid mit dir gehabt und jemand anderen geschickt.“ Kankurou überging ihre Bemerkung und ließ sich auf die Couch fallen. „Ach, was soll’s. Tut mir vielleicht ganz gut, mal wieder rauszukommen“, murmelte er. „Einige Tage ohne Geschrei und voll gekackte Windeln sind eine willkommene Abwechslung.“ „Beschwerst du dich etwa gerade?“ Ihr Bruder zuckte die Achseln. „Falls du dir wegen deiner Liebsten Sorgen machst“, begann Temari. „Wenn sie es nicht mal die kurze Zeit ohne Sex aushält, ist sie es ohnehin nicht wert.“ „Warum quasselst du ständig davon, dass es was Festes ist?“, fragte er. „Es ist nur ein bisschen Spaß. Nichts Verbindliches.“ „Ach, gibt’s doch zu! Du bist doch verknallt von den Haarspitzen bis in die Zehennägel! Das erkennt jeder Volltrottel, selbst wenn er in eine andere Richtung guckt!“ Kankurou verzog eine angewiderte Miene. „Hör bloß auf, deine eigenen romantischen Gefühle auf andere zu übertragen und dir daraufhin Dinge einzubilden, die nicht da sind. Wir vergnügen uns nur und mehr nicht.“ „Ganz wie du meinst“, gab sie nach und lächelte. „Aber wenn ich irgendwann die Hochzeitsglocken läuten höre, werde ich dir das ewig unter die Nase reiben.“ Er sah sie an und verdrehte die Augen. „Am besten pack ich noch heute meine Sachen“, sagte er. „Von deinem kitschigen Geschwätz brauch ich schnellstmöglich Urlaub!“ „Nur zu. Dann haben Kairi und ich die Bude den ganzen Tag für uns.“ „Und wenn sie abends schläft, kannst du ordentlich die Sau rauslassen.“ Kankurou zwinkerte ihr zu. „Da wird sich Koutarou bestimmt drüber freuen.“ Temari schaffte es gerade so, dass ihr Grinsen nicht verschwand. „Wir werden sehen“, bemerkte sie nüchtern. „Sag bloß, ihr hattet Zoff!“ „Nein“, log sie, „er ist zu seiner Familie gereist und kommt erst in einer guten Woche wieder. Und ich glaube nicht, dass er danach großartig in Stimmung sein wird.“ „Ist jemand gestorben?“ „Scheint so.“ „Schade für dich. Schlechtes Timing.“ „Ja, ist es wirklich“, sagte sie, ohne es so zu meinen. „Aber ich komm schon zurecht.“ Kankurou legte die Stirn in Falten und meinte mit einem Achselzucken: „Na ja, bin ich wenigstens nicht der Einzige, der auf Sex verzichten muss.“ „Du bist ja so charmant und einfühlsam“, entgegnete sie sarkastisch. „So einfühlsam, dass ich jetzt gerne kotzen würde.“ „Entschuldige.“ „Bei mir musst du dich nicht entschuldigen, sondern bei Koutarou.“ Ihr Bruder winkte ab. „Er hat’s ja nicht gehört, also was soll’s.“ „Hast du vielleicht ein Glück!“ Im Gegensatz zu mir, dachte sie deprimiert. --- Seufzend pfefferte Temari ihr Buch auf die Couch. Es war Montagmittag, Kairi lag in einem ausgeprägten Koma, Gaara gönnte sich seit acht Monaten seinen ersten Kurzurlaub vom Kazekagedasein und Kankurou war seit vorgestern auf seiner Mission. Die ungewohnte Ruhe im Haus – nicht, dass ihre Brüder viel Lärm machten, aber trotzdem – zusammen mit der Tatsache, dass sie nichts Gescheites mit sich anzufangen wusste, wirkte sich nicht sonderlich gut auf ihre Stimmung aus. Sie dachte an Koutarou und sie hatte den Drang, sich am liebten sofort mit ihm auszusprechen. Sie hatte die perfekte Entschuldigung und Erklärung im Kopf ausformuliert und überlegte ernsthaft, ob sie sie aufschreiben sollte, um ja nichts Wichtiges zu vergessen. Da es allerdings bescheuert aussah, wenn sie vom Zettel ablas oder etwas runterratterte, das sie zwar ehrlich meinte, aber auswendig gelernt hatte, sträubte sie sich dagegen. Andererseits hatte sie auch keine Lust, einer Wortfindungsstörung zum Opfer zu fallen und so vielleicht noch alles schlimmer zu machen … Ja, das Leben war schon schwierig, wenn man zu viel Zeit zum Nachdenken hatte! Temari verwarf die Idee mit dem Brief und verließ sich ganz auf ihre Intuition. Letzten Endes kam es ohnehin meist anders als gedacht … Es klopfte an der Terrassentür. Matsuri stierte sie durch die Fensterscheibe an. Sie stand auf und ließ ihre Freundin herein. „Wir haben auch ’ne Vordertür, falls du es noch nicht bemerkt hast!“, begrüßte sie sie. „Die du abgeschlossen und deren Klingel du ausgestellt hast“, erwiderte sie und grinste. „Kairi soll ja auch schlafen.“ „Hättest du sie mal vor dem Schlafen ins Tuch oder in den Buggy gepackt, dann hätten wir eine Runde durchs Dorf drehen können.“ „Woher sollte ich wissen, dass du so viel Wert auf meine Gesellschaft legst? Außerdem haben wir uns erst vorgestern gesehen. Musst du denn nie arbeiten?“ „Sind doch nur acht Stunden am Tag! Die restlichen sechzehn muss man sich doch auch irgendwie vertreiben.“ „Schläfst du denn nie?“ „Okay, dann eben die restlichen acht“, verbesserte sie. „Und da bin ich deine erste Anlaufstelle? Was ist mit deinen ganzen Lovern?“ „Die haben erstmal Sendepause. Ich konzentriere mich momentan auf einen und der steht halt nicht immer zur Verfügung.“ Temari starrte sie verwundert an. „Du konzentrierst dich auf einen?! Ernsthaft?“ „Ernsthaft“, sagte Matsuri überzeugt. „Ich will mal schauen, wohin das Ganze führt. Die anderen halte ich mir aber trotzdem warm.“ „Was auch sonst.“ Die Jüngere verpasste ihr einen Rippenstoß. „Wie auch immer. Hast du mir was Interessantes zu erzählen oder sonst irgendein Problem, bei dem ich dir mit Rat und Tat zur Seite stehen kann?“ „Nichts, das du nicht schon weißt“, antwortete Temari. „Und du?“ „Nö, alles in Butter.“ „Und warum bist du dann hier?“ „Einfach so“, entgegnete sie. „Mir war langweilig, also dachte ich, dass ich mal meine beste Freundin besuchen könnte.“ „Hast du denn keine anderen Freunde außer mir?“ „Nur welche, mit denen ich auch penne und ich möchte nicht riskieren, dass ich der Versuchung doch nicht widerstehen kann.“ „Okay, ich verbessere meine Frage noch mal: Hast du keine anderen Freundinnen außer mir?“ Matsuri deutete ein Kopfschütteln an. „Glaub mir, das läuft auf dasselbe hinaus.“ Temari zog fragend eine Augenbraue nach oben. „Heißt das, dass ich auch auf deiner Liste stehe?“ „Nee, keine Sorge“, sagte ihre Freundin. „Du siehst zwar nett aus, bist aber nicht mein Typ.“ „Ach, das heißt doch nichts. Genau dasselbe hab ich damals über Shikamaru gesagt.“ Sie schlug sich die Hand vor dem Mund. Hatte sie das wirklich ausgesprochen? „Etwas sagen und dann auch so meinen sind zwei unterschiedliche Dinge.“ Sie zwinkerte ihr zu. „Bei dir war es Tarnung, bei mir ist es die Wahrheit.“ „Wirklich? Oder hältst du dich nur zurück, weil ich die Schwester des Objekts deiner Begierde bin?“ „Das vielleicht auch, aber ich steh echt nicht auf dich. Ist jetzt aber nicht beleidigend gemeint.“ „Das hab ich jetzt auch nicht so aufgefasst.“ Auch wenn es nicht gerade ein Kompliment ist, dachte sie, obwohl sie mehr als froh darüber war, dass Matsuri sie null attraktiv fand. „Wann ist Kairi denn ungefähr wieder wach?“, wechselte sie das Thema. „In einer Minute, in zehn, in eineinhalb Stunden …“, antwortete Temari schulterzuckend. „Wer weiß?“ „Hat sie denn immer noch keinen Rhythmus?“ „Nicht tagsüber. Hast du irgendwas Bestimmtes mit uns vor?“ „Shoppen, durch Suna schlendern – irgendwas in der Art.“ „Passt mir ganz gut. Hier ist ja eh nichts los. Aber wir müssen warten, bis sie wach ist.“ „Schon klar“, sagte ihre Freundin. „Wollen wir zur Überbrückung eine Runde Karten spielen oder so?“ Temari machte einen Gesichtsausdruck, als hätte sie einen Tritt in die Magengrube von ihr bekommen. „Nein, danke“, erwiderte sie dann beherrscht. „Mein Bedarf an sämtlichen Spielen aller Art ist erstmal eine Weile gedeckt, wie du dir vielleicht denken kannst.“ „Sorry“, murmelte Matsuri betreten. „Ich wollte dir keinen Pfeffer in die Wunde streuen.“ „Du meinst Salz.“ „Nein, Pfeffer. Die Salz-Metapher ist doch schon lange ausgelutscht.“ Temari musste lachen. Sie trat zwar gerne mal ins Fettnäpfchen, aber im Aufheitern war ihre Freundin große Klasse. --- Kairi spielte vergnügt im Sand. Das Mädchen nahm eine Handvoll, öffnete sie und der feine Puder rieselte zu Boden. Sie kicherte, griff wieder zu und das Spiel begann von vorne. „Gott, das sieht so zuckersüß aus!“, quietschte Matsuri begeistert. „Hoffentlich wird mein erstes Kind auch ein Mädchen.“ „Und Jungs können nicht mit Sand spielen?“, erwiderte Temari und legte ihre Stirn in Falten. „Natürlich, aber das sieht bestimmt nicht so süß aus.“ „Dann zieh ich sie beim nächsten Mal wie ein Junge an und dann schauen wir mal, ob du immer noch so begeistert bist.“ „Ach, das ist doch nicht dasselbe.“ Sie piekte Matsuri in die Seite und deutete auf die andere Seite des Spielplatzes. „Sag mir nicht, dass das nicht niedlich ist.“ Ihre Freundin schaute dem kleinen Jungen zu – Temari schätzte ihn etwa ein halbes Jahr älter als ihre Tochter – wie er den Sand ausdauernd mit beiden Händen zusammen schob und so eine immer größere Mini-Düne erschuf. „Ja, schon putzig“, gab Matsuri zu, „aber gegen Kairi kommt er trotzdem nicht an.“ „Finde ich nicht“, sagte sie. „Außerdem find ich es blöd, wenn man sich zu sehr auf ein Geschlecht versteift – besonders, wenn man vom Muttersein so weit entfernt ist wie du.“ „Warum, ich brauch doch nur die Pille absetzen und dann geht es ruckzuck! Du bist der beste Beweis dafür.“ Sie griente schadenfroh. „Ich lach mich kaputt!“, bemerkte Temari trocken. „Außerdem hab ich sie nicht bewusst abgesetzt, sondern …“ Sie fasste sich an die Stirn. „Hau ich mich hier gerade selbst in die Pfanne?“ „Shit happens!“ Ihre Freundin tätschelte belustigt ihre Schulter. „Vergiss diese alte Kamelle. Außerdem kann ich dich beruhigen: Mit dem Kinderkriegen hab ich’s echt nicht eilig. Ich hab weder den Drang danach, noch bis jetzt den passenden Mann dafür gefunden.“ „Vielleicht solltest du aufhören, dich in Swingerclubs herumzutreiben“, scherzte sie und beide brachen in Gelächter aus. Kairi sah sich interessiert zu den beiden um und entdeckte das andere Kind. Sie hechtete nach vorne, landete bäuchlings und bewegte sich halb robbend, halb krabbeln zu dem Jungen herüber. Dieser beachtete sie nicht, sondern türme weiter den Sand auf, was dem Mädchen gar nicht passte. Sie setzte sich auf, holte aus und schlug lachend auf das Gebilde ein, einmal, zweimal, dreimal, bis von der gebauten Düne nichts mehr übrig war. Temari fühlte sich augenblicklich unwohl. Wenn der Junge jetzt weinte, wurde es peinlich für sie … Dieser schaute seine ungewollte neue Spielkameradin allerdings nur verdutzt an. Er begann mit seinem Werk von vorne und bevor Kairi erneut zuschlagen konnte, machte er es selbst kaputt und gluckste los. Schließlich saßen die beiden nebeneinander und das Mädchen machte den Jungen nach und schien dabei einen Spaß wie noch nie zu haben. „Niedlich, Kairi hat ihren ersten Freund!“, rief Matsuri entzückt. Temaris Blick wanderte zu der Mutter des anderen Kindes. Da diese aber genau so amüsiert dreinschaute, wandte sie sich ebenfalls schmunzelnd den Zwergen zu. --- Am späten Nachmittag zog sich der Himmel allmählich zu. Die Straßen leerten sich nach und nach und auch die wenigen Leute, die noch etwas zu tun hatten, beeilten sich mit ihrer Arbeit, damit sie Feierabend machen und nach Hause konnten. Temari betrachtete die Gewitterfront, die im Westen über der Felsmauer des Dorfes bereits zu sehen war. „Endlich Regen! Das wurde aber auch mal Zeit!“, sprach Matsuri ihre Gedanken laut aus. Sie nickte. Die letzte Dürreperiode vor sechs Jahren, als es im Frühling nicht einmal geregnet hatte, hatte sie noch in unangenehmer Erinnerung. Natürlich gab es in Sunagakure auch wenige Suiton-Nutzer, doch auch sie konnten das Wasser, das sie kontrollierten, nicht für das Allgemeinwohl einsetzen, wenn keines da war. „Warten wir es ab. Vielleicht zieht das Gewitter auch an uns vorbei und wir bekommen nur ein bisschen Nieselregen ab“, sagte Temari, hoffte allerdings auf einen ordentlichen Wolkenbruch. Ihr gefiel das Grün, dass an allen Ecken hervor spross, wenn es stark geregnet hatte. Sie liebte ihre Heimat zwar auch wenn es trocken war und überall nur Sand und Felsen zu sehen waren, aber die wenigen Wochen, an denen Kaze-no-kuni an eine Oase erinnerte, waren etwas ganz Besonderes. Sie freute sich auf die vielen Farben und vor allem war sie auf die Reaktion ihrer Tochter gespannt, die so etwas noch nicht gesehen hatte. „Ich glaub, ich verzieh mich dann in meine Wohnung. Ich bin nicht scharf drauf, mir ’nen nassen Arsch zu holen“, meinte Matsuri. „Ich sag dir: In einer halben Stunde wird es schütten wie aus Müllcontainern.“ „Aus Müllcontainern?“ „Ich sagte ja: Keine ausgelutschten Floskeln mehr!“ Ihr Freundin grinste, winkte Kairi zu und verabschiedete sich. --- Temari schaffte es gerade rechtzeitig nach Hause. Sie hatte vielleicht zwei Minuten den Fuß über die Schwelle gesetzt, als es draußen los prasselte. Sie setzte Kairi auf dem Teppich ab, entdeckte Matsuris Umhängetasche, die sie vergessen hatte, an die Garderobe und fläzte sich aufs Sofa. Eine Weile beobachtete sie ihre Tochter. Das Mädchen schaute fasziniert durch die Glasscheibe der Tür nach draußen, wo stets dicker werdende Regentropfen auf die Terrasse platschten. Erst als es so dunkel wurde, dass sie nichts mehr sehen konnte, wandte sie sich ab. Sie schnappte sich ihre Plüschmaus und lutschte auf einem Ohr herum. Das war das Zeichen. Temari lief in die Küche, kochte für Kairi rasch eine Portion Grießbrei und schmierte für sich etwas Brot. Eine Viertelstunde später saß sie in ihrem Hochstuhl und verputzte zufrieden ihren Brei – zumindest tat sie das, bis ihre Mutter in ihr eigenes Abendessen biss. Das Mädchen aß die Brotscheibe schon halb mit ihren Blicken auf. Temari beachtete das Gebettel nicht und reichte ihr stattdessen weiter ihr Grieß, den Kairi auch annahm, doch dann … Beim vierten Mal schlug sie nach dem Löffel und das, was drauf war, landete auf Temaris Top. Seufzend wischte sie den Fleck so gut es ging mit einem Taschentuch weg, bot ihrer Tochter noch einmal den Brei an – und platsch – fand sie den restlichen Inhalt der Plastikschale auf ihrem Rock wieder. „Danke schön“, murmelte sie gereizt. Kurzerhand riss sie ein Stück von ihrem Brot mit Käse ab und reichte es ihrem Kind. Diese betrachtete es erst skeptisch, biss schließlich doch hinein – und war begeistert. --- Nach dem Abendbrot beförderte Temari ihren eingesauten Rock in den Wäschekorb und zog sich eine kurze Hose an. Zurück im Wohnzimmer saß Kairi wieder an der Tür und gluckste ihr Babylachen. Schließlich hob sie ihren Arm und winkte unbeholfen. „Schatz, da draußen ist bei dem Regen doch niemand!“, sagte Temari belustigt. Es blitzte, die Dunkelheit verschwand für einen Moment und ihr Lächeln erfror. Eine Gestalt stand am Fenster. Und klopfte an. Kapitel 12: Nur ein Traum ------------------------- Kapitel 12: Nur ein Traum Mit Herzklopfen starrte Temari nach draußen in die Finsternis. Sie hörte das Blut regelrecht in ihren Ohren pochen. Nein, sagte sie sich, das muss eine Einbildung sein … Ein erneutes Klopfgeräusch. Sie wandte ihren Blick ab und sah zu Kairi, die noch immer fröhlich winkte. Tief atmete sie durch. Falls sich tatsächlich jemand in dem strömenden Regen auf ihre Terrasse verirrt hatte, war es mit Sicherheit eine Person die sie kannte, und kein Axtmörder aus einem Horrorfilm. Vor allem, wenn ihre Tochter, die Fremden gegenüber reserviert war, eine so freundliche Geste machte. Wahrscheinlich war es Matsuri, um die Tasche zu holen, die sie vergessen hatte. Oder vielleicht sogar Koutarou, der einen Tag früher zurückgekommen war und sie unbedingt sehen wollte?! Sosehr, dass ihn noch nicht einmal dieses gewöhnungsbedürftige Wetter aufhielt?! Mit ihrer Freundin rechnete sie absolut nicht – so verrückt war sie nicht –, aber Koutarou … Ja, das war eine Möglichkeit. Temari richtete sich auf und setzte Kairi ein Stück zur Seite, damit sie die Tür öffnen konnte. Sie schaute noch einmal durchs Fenster und erstarrte für einen Moment. Hatte sie einen Knick in der Optik oder war sie eingeschlafen ohne es zu merken und träumte dies alles? Unbewusst wanderte ihre Hand zum Griff, legte ihn um und sie zog die Tür auf. Was den Traum betraf, war sie sich noch nicht sicher, doch eine Brille brauchte sie tatsächlich nicht, um zu erkennen, dass es nicht Koutarou war. Durchgeweicht bis auf die Knochen stand Kairis Vater auf der Veranda. Sie blickte ihn an und brachte kein Wort heraus und Shikamaru starrte genauso schweigend zurück. Erst als Kairi Anstalten machte, über die Schwelle nach draußen zu klettern, kam Temari zu sich. Blitzschnell pickte sie ihre Tochter vom Boden auf, dann sah sie wieder ihren Ex an, auf den der Regen immer noch ohne Erbarmen einprasselte. Sie hatte keinen Schimmer, warum er ausgerechnet jetzt hier auftauchte, und auch wenn ein Teil von ihr – ein winzig kleiner Teil – ihm am liebsten die Tür vor der Nase zugeschlagen hätte, fragte sie: „Willst du nicht reinkommen?“ Er nickte. „Nur wenn es dir nichts ausmacht, dass ich den Teppich versaue.“ Sie ließ Kairi hinunter, schnappte sich die alte Wolldecke vom Sofa und breitete sie vor ihm aus. Aus seiner Kleidung ergoss sich ein halber Wasserfall auf die Decke. „Warum schleichst du dich so an und klingelst nicht, wie es jeder andere Mensch tun würde?“, fragte sie und schlug sich unmittelbar danach an die Stirn, da ihr einfiel, dass sie sie noch nicht wieder angestellt hatte. „Ach, vergiss meine Frage.“ Temari schloss rasch die Terrassentür, eilte davon und holte einen Stapel Handtücher. „Du hast dir das richtige Wetter ausgesucht, um herzukommen“, meinte sie im Plauderton. Sie war über sich selbst erstaunt, wie leicht es ihr fiel, ein Gespräch mit ihm anzufangen. „Ich dachte, in der Wüste regnet es nicht – oder zumindest nicht so stark“, hörte sie ihn durch ein Badetuch murmeln, während er sich abtrocknete. „So viel hat es zuletzt vor einem Jahr geregnet“, erwiderte sie. „Du hast also einfach nur den falschen Zeitpunkt erwischt.“ Es quietschte nass, als Kairi auf die Decke krabbelte, nach dem Hosenbein griff und sich auf ihre Unterschenkel hockte. Das Platschgeräusch, als sie gegen den Stoff patschte, brachte sie zum Lachen. „Entschuldige“, sagte Temari und griff sie unter den Achseln, um sie hochnehmen. Das Mädchen klammerte sich fest und maulte als Protest los. „Lass sie ruhig“, erwiderte Shikamaru. „Mich stört es nicht.“ „Na, gut“ – seufzend ließ sie sie los – „Ausnahmsweise. Sie muss eh gleich in die Wanne.“ Kairi plantschte munter weiter und obwohl ihr Vater seine Klamotten verständlicherweise loswerden wollte, blieb er so stehen und schaute ihr amüsiert zu. Temari wurde um einiges leichter ums Herz, als sie die Blicke bemerkte, die er seiner Tochter zuwarf. Er war anscheinend nicht gekommen, um klarzumachen, dass er mit dem Ganzen nichts zu tun haben wollte – dann wäre er vermutlich gar nicht erst aufgetaucht – oder um ihr Vorwürfe zu machen. Sie hatte sich ein mögliches Wiedersehen mit ihm komplett anders vorgestellt. Hatte sie ihn dermaßen falsch eingeschätzt? Ein ernüchterndes Gefühl überkam sie. Das war doch alles zu schön um wahr zu sein … „Ihr beide kommt offensichtlich ohne mich klar“, bemerkte sie ehrlich. „Ich organisier dir dann mal was Trockenes zum Anziehen.“ --- Temari überblickte das Chaos in Kankurous Kleiderschrank und fischte ein einfaches T-Shirt und eine Hose heraus, von denen sie wusste, dass er sie nicht so schnell vermisste. Ihr war gar nicht wohl bei dem Gedanken, dass sie in seinen Sachen herumstöberte, aber was hatte sie gerade für eine Wahl? Du musst ihm ja nicht erzählen, dass du den Kram deinem Ex zum Anziehen gegeben hast!, sagte ihr Gewissen. „Den Ex, den er abgrundtief hasst“, flüsterte sie vor sich hin und ihr fiel auf, wie froh sie darüber war, dass er ausgerechnet jetzt auf Mission geschickt worden war. Klar, sie liebte ihren Bruder, aber so hatte sie wenigstens noch die Gelegenheit mit Shikamaru zu reden, ohne dass Kankurou ihn vorher reif für den Bestatter prügelte. Sie stieß die Tür des Schranks zu und kehrte ins Wohnzimmer zurück. --- „Danke“, sagte Shikamaru, nachdem er sich im Bad umgezogen hatte. Temari zuckte die Achseln. „Das erspart mir nur eine Menge Putzarbeit – und noch mehr Kohle für einen neuen Teppich und Sofa“, witzelte sie. Sie sah ein kleines belustigtes Grinsen bei ihm aufblitzen, doch an seiner Zurückhaltung merkte sie genau, wie angespannt die Situation immer noch war. Wahrscheinlich wusste er selbst am besten, wie daneben es war, sich erst kurz vor dem Geburtstag seiner Tochter das erste Mal blicken zu lassen. Sie wollte ihm daraus aber keinen Strick drehen, schließlich bedeutete es ihr viel, dass er scheinbar doch Interesse an Kairi hatte. Auch wenn er sich vorher nie gemeldet hatte – und sie jeden Moment damit rechnete, dass sie aus diesem Wunschtraum erwachte. Shikamaru setzte sich zu dem Mädchen auf den Boden und sie begann abermals an seinen Klamotten zu ziehen. Dass das Platschen diesmal ausblieb, enttäuschte sie in keiner Weise und so machte sie munter damit weiter, bis sie etwas viel Interessanteres entdeckte. Sie richtete sich auf, stützte sich mit einer Hand auf seinem Oberschenkel ab und griff nach seinen Haaren. Da sie noch nicht richtig trocken waren, quietschte es wieder und sie kicherte los. Er nahm ihr Handgelenk, als wäre sie aus Glas und versuchte sich so zu befreien – erfolglos. Kairi lachte nur noch mehr, packte zusätzlich mit der Linken zu und versenkte sie in eine andere Haarsträhne. Temari verkniff es sich bei dem Anblick in Gelächter auszubrechen, auch wenn er es irgendwie verdient hatte. Verdient? Was denkst du dir da eigentlich gerade?, schalt sie ihr Gewissen. Solltest du nicht lieber froh sein, dass er sich so mit ihr beschäftigt? Sie seufzte beinahe lautlos. Natürlich war sie froh darüber, selbst wenn sie wusste, dass das alles nur ein Traum sein konnte. Ein Traum, der ihrem Gehirn vorgaukelte, wie sich ein ganz normales Familienleben anfühlen musste … Sie ging auf die Knie, öffnete Kairis Hände und schaute sie ernst an. „Haare ziehen ist verboten, meine Liebe“, sagte sie zu ihr, obwohl das Mädchen noch zu klein war, um die Bedeutung zu verstehen. „An deinen eigenen kannst du ziehen, aber die von Papa und allen anderen sind tabu!“ Kairi schürzte beleidigt die Lippen und widmete sich wieder dem Ohr ihrer Plüschmaus, was ihre Mutter nicht richtig registrierte. Papa? Hatte sie das wirklich gesagt? Temaris Magen drehte sich ein wenig, als sie es realisierte. Und noch mehr fragte sie sich, ob es tatsächlich nur ein Traum war. Andererseits war es einfach zu perfekt, um echt zu sein … Genau, in wenigen Minuten wachte sie auf und ärgerte sich, dass sie sich von etwas, das nicht real war, so blenden ließ. Und dann brach sie in Tränen aus und verfluchte ihr Unterbewusstsein, das ihr diesen Wunschtraum präsentiert hatte. Sie warf Shikamaru einen Seitenblick zu und abermals wurde ihr etwas mulmig. Seine Anwesenheit brachte sie durcheinander und das gefiel ihr nicht. Kankurou gefiel es sicher noch weniger, wenn er sah, dass sie gerade mal zehn Zentimeter von ihrem Exfreund entfernt saß. Und Koutarou … Sie wusste nicht, wie eifersüchtig er war, aber in Begeisterungsstürme brach er wohl nicht aus, wenn er seine Freundin mit ihrem Verflossenen zusammen erblickte. Ach, wozu machte sie sich überhaupt solche Gedanken? Beide waren nicht da und selbst wenn sie es wären, konnten sie ihr nicht vorschreiben, mit wem sie sich abgab. Und sie tat einen Teufel, Kairis Vater den Umgang mit seiner Tochter zu verbieten, nur weil es jemand anderem nicht in den Kram passte. „Du musst sie übrigens nicht mit Samthandschuhen anfassen“, meinte Temari schließlich. „Wenn sie Mist baut, kannst du sie ruhig in die Schranken verweisen. Sie ist in den letzten Wochen nämlich zu ’ner sturen Grobmotorikerin mutiert.“ „Überrascht mich nicht, wenn ich bedenke, wer die Mutter ist“, erwiderte Shikamaru in seiner üblichen monotonen Stimmlage. Ihr Herz übersprang einen Schlag. Früher hatte sie sich darüber nur aufgeregt, ihn so gelangweilt reden zu hören, aber jetzt machte es ihr bewusst, wie sehr sie es – wie sehr sie ihn vermisst hatte. „Was willst du denn damit sagen?“, gab sie zurück und ließ diesmal ihrem Lachen seinen freien Lauf. „Okay, stur vielleicht, aber feinmotorisch veranlagt!“ „Bist du dir da ganz sicher?“, fragte er mit ironischem Unterton. „Du bist noch genauso charmant wie früher“, bemerkte sie mit einem Lächeln. Temari wünschte sich fast, dass dieser Traum nie endete. Sie liebte dieses harmonische Zusammensein, das sie so sehr an alte Zeiten erinnerte, doch sie wusste, dass es nicht ewig so weitergehen konnte. Jetzt war der Zeitpunkt um Klartext zu reden, noch nicht gekommen, aber wenn Kairi schlief, führte kein Weg mehr drum herum. Und sie hatte ein wenig Schiss davor, dass die alten Kamellen wieder hoch brodelten. Sie kannte sich schließlich, wenn es um Streitgespräche ging. Gedanklich schüttelte sie den Kopf. Es war nicht der richtige Augenblick, um darüber nachzudenken. --- Temari schloss den Wasserhahn der Badewanne und prüfte die Temperatur. Die Uhr zeigte schon viertel nach neun an und es war längst Schlafenszeit für ihre Tochter. Wahrscheinlich war sie ohnehin so überdreht, dass sie nicht in den Schlaf fand. Verständlicherweise, dachte sie und versuchte sich vorstellen, wie es ihr selbst gegangen wäre, wenn sie als kleines Kind zum ersten Mal ihren Vater getroffen hätte. Auch wenn man es nicht verstand, weil man noch zu jung war, konnte man nur von der Rolle sein, da war sie sich sicher. Und wenn es nur daran lag, dass der ganze Abendrhythmus durcheinander war. Sie eilte aus dem Bad und blieb an der Schwelle zum Wohnzimmer stehen. Shikamaru kitzelte Kairi abwechselnd an der Seite, am Hals und unter den Füßen und die Kleine kugelte sich vor lachen. Dieser Anblick hatte für Temari einen süßen und bitteren Geschmack zugleich. Sie fand es großartig, wie er sich um die Zuneigung seiner Tochter bemühte und gleichzeitig war es einfach nur unfair, dass ihr genau das die ersten elf Monate verwehrt geblieben war. Und sie verspürte eine gewisse Abscheu gegen sich selbst – gegen das, was sie damals mit Shikamaru abgezogen hatte. Sie hätte ihm ihre Schwangerschaft nie verheimlichen und mit ihm Schluss machen sollen. Nicht, bevor sie alles geklärt hatten. Aber diesen Fehler versuchte sie wieder einigermaßen geradezubiegen. Damit kam die verlorene Zeit zwar nicht zurück und ihr reines Gewissen auch nicht, aber das war sie ihm und ihrem gemeinsamen Kind schuldig. „Jetzt geht’s aber in die Badewanne“, unterbrach Temari das Geschäker schweren Herzens. Er hielt inne und Kairis Lachen verstummte. Dann nahm er sie auf den Arm und reichte sie ihrer Mutter, die allerdings den Kopf schüttelte. „Du kannst sie gerne noch behalten“, sagte sie mit einem Lächeln. „Ich trag sie tagsüber schon genug mit mir herum.“ --- Eine halbe Stunde später war Kairi gebadet, frisch gewickelt und umgezogen. Sie lag in ihrem Bett, umklammerte mit der einen Hand ihre Plüschmaus und mit der anderen Temaris rechten Zeigefinger und hörte der Geschichte zu, die sie ihr vorlas. „Im Wald, da hörte man niemand mehr. Die Maus knackte Nüsse und freute sich sehr“, schloss sie, klappte das Pappbilderbuch zu und legte es zur Seite. Ihre Tochter kicherte vor sich hin, schaute noch ein wenig schläfrig umher, bis ihre Augen immer kleiner und kleiner wurden und zufielen. Temari wartete ein paar Minuten, um sicherzugehen, dass sie wirklich schlief, und löste sanft den Griff um ihren Finger. Sie blieb noch einen Augenblick auf dem Teppich sitzen, atmete ein paar Mal durch und stand auf. Jetzt gab es keinen Grund mehr, die Aussprache weiter hinauszuschieben. Leise ging sie zum Türrahmen, an dem Shikamaru stand und komplimentierte ihn hinaus. „Sie schläft“, sagte sie leise und zog die Zimmertür hinter sich zu. „Ich glaube, wir müssen reden.“ Er nickte und folgte ihr zurück zum Wohnzimmer. Temari befürchtete schon, dass sie sich erstmal eine Weile peinlich anschwiegen, doch – „Findest du eigentlich nicht, dass dieses Grüffeldings etwas zu gruselig für so ein kleines Kind ist?“, fragte er, bevor sie sich überhaupt gesetzt hatten. „Der Grüffelo soll gruselig sein?“, entgegnete sie ungläubig, ehe sich ein Schmunzeln auf ihre Lippen stahl. „Die Maus verscheucht mit Intelligenz ihre natürlichen Feinde, die ihr eigentlich weit überlegen sind – die Geschichte dürfte doch genau deinen Geschmack treffen, oder?!“ „Das schon“, pflichtete er ihr bei, „aber der Grüffelo an sich sieht für ein Kind doch sicher Angst einflößend aus.“ „Sagt ausgerechnet derjenige, der sich vor seiner eigenen Mutter gruselt“, merkte sie belustigt an. „Aber nein, ich finde die Zeichnungen durchweg niedlich und kindgerecht. Außerdem soll Kairi später mal genauso furchtlos werden wie ich und je eher ich damit anfange desto besser.“ Shikamaru schwieg sich einen Moment dazu aus, dann fragte er: „Wenn du so furchtlos bist, warum hast du es mir dann damals nicht ins Gesicht gesagt?“ Temari fühlte sich, als hielte er ihr ein Kunai an den Hals, um bei der nächsten Gelegenheit zuzustechen, wenn sie etwas Falsches sagte. So eine direkte Frage hatte sie von einem konfliktscheuen Menschen wie ihn nicht erwartet … Sie presste ihre Lippen aufeinander, bis sie zu einem schmalen Strich wurden und erkannte, dass ihr Traum drauf und dran war, zu einem Albtraum zu werden – oder zumindest wäre er das, wenn dies hier nicht die Realität gewesen wäre. „Ich hatte Angst“, sagte sie. Ihr kamen tausende Gedanken, Entschuldigungen und Erklärungen, doch mehr Worte brachte sie nicht zustande. Nicht jetzt. Kapitel 13: Über das Wiedergutmachen von Fehlern ------------------------------------------------ Kapitel 13: Über das Wiedergutmachen von Fehlern „Wovor hattest du Angst?“, fragte Shikamaru, bekam allerdings keine Antwort darauf. „Ich weiß“, flüsterte Temari vor sich hin, „dass ich den größten Mist meines Lebens gebaut habe, als ich es dir nicht gesagt habe.“ „Hast du mir deshalb den Brief mit dem Foto geschickt, um dein Gewissen zu erleichtern?“ Sie wusste, dass er es wahrscheinlich nicht so meinte, aber sie kam sie wie bei einem Verhör vor. „Nein … vielleicht … ich weiß nicht …“, erwiderte sie. „Aber selbst wenn … Ich wollte auch, dass du von deiner Tochter erfährst – auch wenn es viel zu spät war.“ Sie senkte den Blick, um ihn nicht weiter ansehen zu müssen. „Es war ziemlich hart, dass du dich gar nicht gemeldet hast, aber ich kann’s verstehen. Du musst gedacht haben, dass ich dich verarschen will.“ „Nein“, sagte er, „das dachte ich nicht mal eine Sekunde lang.“ Temari starrte vor sich hin und sie spürte die Wut, die in ihr aufkeimte. Warum zum Teufel tauchte er fast ein Jahr zu spät auf? Ihr kamen tausend Gründe in den Sinn und einer war absurder als der Nächste. „Warum hast du dann so lange gebraucht, um dich hier blicken zu lassen?“, fragte sie aufgebracht. „Warum bist du überhaupt hier?“ „Ich wollte wirklich herkommen, nachdem du mir geschrieben hast, aber irgendwie … Irgendwas kam immer dazwischen. Irgendwas hab ich immer vorgeschoben, um es noch eins, zwei Wochen hinauszuzögern“, antwortete Shikamaru ruhig. „Diesen saudummen Fehler möchte ich wiedergutmachen.“ „Den hättest du gar nicht erst gemacht, wenn du keine blöden Ausflüchte gesucht hättest und gleich nach der Geburt hergekommen wärst“, meinte sie bitter und verfluchte gleichzeitig ihren Tonfall. „Ach, ich muss gerade reden …“ „Schon okay.“ Er deutete ein Kopfschütteln an. „Wir haben beide ziemliche Scheiße gebaut.“ „Allerdings. Wir sind beide nicht in der Position, um dem anderen Vorwürfe zu machen. Ich noch viel weniger als du.“ Er legte eine Hand auf ihr Handgelenk und sie fühlte sich besser. Diese Geste des Trostes funktionierte noch genauso gut wie früher und so genoss sie einfach die Wärme seiner Berührung. Auch der Drang, ihm noch irgendetwas vorzuwerfen, war verschwunden. Sie wollte keinen Streit – nicht jetzt, nicht darüber und vor allem nicht, nachdem sie sich so lange nicht gesehen hatten und sich in der Schuldfrage einig waren. „Wie war die Geburt?“, fragte er in die Stille hinein und überraschte sie mit seinem Interesse daran. „Nicht so schön – nein, eher ziemlich grauenvoll.“ Temari spürte die kurze Anspannung seiner Hand, dann fuhr sie fort: „Bis eineinhalb Wochen vor dem Termin hat sich null getan und dann …“ Sie pausierte kurz. „Urplötzlich bekam ich schlimme Wehen. Zwei Tage lang passierte trotzdem nichts, ich konnte vor Schmerzen kaum schlafen und hatte ständig das Gefühl, ich müsste sterben. Und als die Fruchtblase dann doch geplatzt ist, ging alles viel zu schnell. Keine zehn Minuten und Kairi war auf der Welt.“ Sie biss sich in Erinnerung daran auf die Unterlippe. „Eine Viertelstunde vorher dachte ich noch, dass es an dem Tag nichts mehr wird. Und dann hatte ich plötzlich diesen kleinen Menschen im Arm. Ich fühlte mich völlig erschlagen von den verschiedensten Gefühlen, die auf mich einprasselten und hab erstmal losgeheult.“ Eine erneute Pause. „Und das nicht nur aus Freude.“ „Entschuldige, dass ich nicht da war“, sagte Shikamaru. Abermals merkte sie, wie angespannt er war und etwas in ihr zog sich zusammen und besagte, dass sie es nicht so stehen lassen konnte. „Wie hättest du das sein sollen, wenn du von nichts wusstest?“ Diesmal legte sie ihre noch freie Hand auf seine und drückte sie in der Hoffnung, dass es bei ihm etwas Ähnliches bewirkte wie bei ihr. „Und Kankurou hat dich würdig vertreten – auch wenn es für viele merkwürdig ausgesehen haben muss, dass ich meinen Bruder mit in den Kreißsaal genommen habe“, erzählte sie weiter. „Außerdem hab ich ihm beim Händchenhalten einen Finger und fast noch zwei weitere gebrochen. Sei froh, dass dir das erspart geblieben ist.“ „Ich hätte mir liebend gern auch die ganze Hand von dir brechen lassen, wenn ich dafür dabei gewesen wäre.“ Er ließ ihren Arm los, nahm ihre Hand, die auf seiner lag und verkreuzte die Finger mit ihr. „Willst du es nachholen?“ Sie musste lachen. „Das wäre doch nicht fair! Wir können schließlich die Zeit nicht zurückdrehen.“ „Leider …“ „Nicht in diesem Punkt“, widersprach sie. „So sehr ich es dir auch gönnen würde, aber diese Geburt möchte ich auf gar keinen Fall noch einmal erleben. Und Kairis Drei-Monats-Koliken im Anschluss auch nicht.“ „War es so schlimm?“ „Die ersten drei, vier Wochen gingen, weil sie nur geschlafen hat, aber dann … Tagsüber war es noch auszuhalten, aber abends bin ich oft mit ihr stundenlang im Tragetuch durch Suna spaziert, damit ich das Geschrei nicht ertragen musste. Furchtbar.“ Die Erinnerung daran gruselte Temari und sie wusste nicht mehr, wie sie es geschafft hatte, diese Phase durchzuhalten. „Dann wurde sie vier Monate alt und plötzlich war sie wie ausgewechselt. Auf einmal hatte ich das pflegeleichteste Kind der Welt und eine Zeit lang konnte ich mich vor Freizeit kaum retten. Jetzt, wo sie so mobil geworden ist, sieht es natürlich wieder etwas anders aus, aber hey, ich kann mich nicht beschweren. Auch wenn mir die Millionen Spaziergänge am Tag nicht helfen, die überflüssigen Schwangerschaftskilos loszuwerden.“ „Ich finde, sie stehen dir ausgezeichnet“, sagte Shikamaru und antwortete das, was sie vermutet hatte. „Du siehst großartig aus.“ „Ja, so großartig, wie man mit Breiflecken auf dem Oberteil nur aussehen kann.“ Sie überspielte mit einem Lachen, wie sehr sie sich über dieses Kompliment freute. „Aber ich dachte mir schon, dass du das sagst. So oft, wie du mich früher gefragt hast, ob ich nicht ein paar Kilo zunehmen möchte.“ „Und warum wolltest du nicht?“ „Damit ich irgendwann im Notfall eine zukünftige Schwangerschaft kompensieren kann und dir trotzdem noch gefalle.“ Geglückt, dachte sie und hätte der Welt am liebsten ihr zufriedenstes Grinsen gezeigt, wenn sie sich nicht so albern dabei vorgekommen wäre. „Das mit der Schwangerschaft musst du mir ohnehin noch mal erklären“, meinte er sachlich und verpasste Temaris guter Laune damit einen ordentlichen Rückstoß. „Als ob du nicht wüsstest, wie das funktioniert“, entgegnete sie, wusste aber, dass er es auf keinen Fall darauf belassen würde. „Nein, im Ernst. Du hast doch die Pille genommen, oder?“ „Ja.“ Nervös blickte sie hin und her. Es war ihr wirklich unangenehm das zuzugeben, aber – „Hin und wieder …“ „Hin und wieder?“ „Die Prüfung hat mich sehr gestresst … und na ja, da wurde ich etwas fahrlässig.“ Etwas fahrlässig war gut. In der Zeit hatte sie von keiner Packung auch nur die Hälfte genommen, aber dieses Detail ersparte sie ihm. „Die Prüfungsvorbereitungen sind doch immer stressig“, sagte Shikamaru und sie wunderte sich immer noch über seine Gelassenheit. Wozu wollte er es überhaupt wissen, wenn ihn das Wie nicht interessierte? Der Vollständigkeit halber oder doch, um ihr die Schuld unter die Nase zu reiben? Nein, den letzteren Punkt hatten sie hinter sich gelassen, also konnte sie sich das Gestammel sparen und gleich die Fakten auf den Tisch packen. „Es ist auch nicht während der Prüfung passiert, sondern danach.“ Jetzt schoss sie sich zwar erst recht ein Eigentor, denn sie bezweifelte, dass er wusste, wie man den ungefähren Tag der Zeugung festlegte, aber wenn schon, denn schon. Keine Heimlichkeiten mehr, hatte sie sich geschworen und das galt auch gegenüber dem Vater ihres Kindes. „Wie kannst du im Urlaub denn noch gestresst gewesen sein?“ „Das war ich auch nicht“, gab sie zu. „Und bevor du weiter nach dem Grund fragst: Es gab keinen. Außer grenzenloser Dummheit und einem verborgenen Kinderwunsch in den Tiefen meines Unterbewusstseins vielleicht.“ Temari rechnete schon damit, dass er ihre Hand auf der Stelle losließ, doch es passierte nicht. Er war genauso gefasst wie zuvor – oder vor Ungläubigkeit über ihre Blödheit erstarrt. Letzteres war Kankurous und Matsuris Reaktion auf die Geschichte gewesen. „Warum dachtest du, dass du mit mir nicht darüber reden kannst?“, fragte Shikamaru und klang in keiner Weise irritiert. „Du hast ja immer mal wieder davon geredet, dass du später Kinder möchtest und vielleicht hab ich angenommen, dass dir egal ist, wann es passiert.“ Herzlichen Glückwunsch für diese tolle Erklärung!, sagte die sarkastische Stimme in ihren Gedanken. Wenn sie noch mehr Mist von sich gab, konnte sie die winzige Chance, die sie im Moment auf eine intakte Familie hatte, auch gleich mit einer Schaufel erschlagen … Intakte Familie … Wie kam sie darauf? Weil sie zusammen auf der Couch saßen, er ihr Komplimente für ihre Figur machte und ihre Hand hielt? So ein Quatsch! Reden ließ aufgerissene Wunden nicht einfach so verschwinden. „Ach, das ist doch totaler Schwachsinn!“, unterbrach Temari das Schweigen. „Ich hätte vorher mit dir reden müssen, Punkt.“ Er seufzte. „Oder ich hätte dir sagen müssen: Kinder ja, aber nicht bevor ich fünfundzwanzig bin.“ Ein Lachen trat gegen ihre Kehle, doch sie schluckte es wieder herunter. Auch wenn sein selbstironischer Kommentar sie von ihrer Blödheit freisprach, war dies nicht der richtige Augenblick, um es herauszulassen. „Das hätte vielleicht geholfen.“ Sie lächelte dankbar. „Ich möchte nicht drängeln, aber“ – sie horchte auf und fragte sich, was kam – „hast du etwas zu trinken für mich?“ Temari löste ihre Hand aus seiner, sprang auf und patschte sich gegen die Stirn. „Natürlich!“, sagte sie und hechtete in die Küche. Was war sie für eine Gastgeberin, dass sie ihn nach der Reise durch die Wüste verdursten ließ?! Sie schaute in den Kühlschrank. Die Auswahl beschränkte sich auf Sekt und Wasser. Da Shikamaru keinen Alkohol mochte, fiel ihr die Wahl nicht schwer und sie goss ein Glas mit Mineralwasser ein. Es beschlug vor Kälte und Kondenstropfen setzten sich an der Außenwand ab. Sie griff nach der Sektflasche und verspürte den Drang, sie mit einem Zug zu leeren. Wozu?, fragte sie sich. Um dein Schuldbewusstsein abzutöten? Kannst du die Situation nur mit Alkohol ertragen? Temari schlug die Kühlschranktür zu. Sie hasste ihr Gewissen mit jedem Mal mehr. Weil es so verdammtes Recht hatte – und sie vor eineinhalb Jahren im Stich gelassen hatte. „Was anderes hab ich gerade nicht da“, sagte sie und stellte das Wasserglas auf den Tisch. „Von abgestandenem Sekt, den Kankurou vor ein paar Wochen angefangen hat, mal abgesehen.“ Er bedankte sich und trank. Temari betrachtete den Wasserrand, den das Glas auf dem Holz hinterlassen hatte. Das Licht der Wohnzimmerlampe spiegelte sich darin und der Anblick beruhigte sie. Sie degradierte die Idee, sich zu betrinken, zur Lächerlichkeit. Unbegreiflich, wie sie darauf gekommen war. „Hast du Yoshino von Kairi erzählt?“, fragte sie. Shikamaru fröstelte und tat das Glas zurück an seinen Platz. Dann sagte er: „Erst vor ein paar Wochen. Sie hat es für einen schlechten Scherz gehalten, als ich meinte, dass ich eine neun Monate alte Tochter habe.“ „Und weiter?“ „Als ich ihr das Foto gezeigt habe, hat sie ihre Meinung geändert.“ „Und dann?“ „Sie hat herum geflucht, weil ich viel zu jung für ein Kind wäre, was mir denn einfällt, eine zu schwängern, die mich kurz darauf verlässt …“ Er zuckte die Achseln. „Dann ist sie in Tränen ausgebrochen.“ Temari zog die Augenbrauen zusammen und kaute auf der Innenseite ihrer Wange herum. Seine Mutter war nie ihre beste Freundin gewesen und trotzdem fühlte sie sich schuldig, dass sie so ein Chaos verbreitet hatte. „Mach dir nichts draus“, sagte er in dem Versuch sie aufzuheitern. „Sie war immer ein bisschen dramatisch veranlagt und der Tod meines Vaters hat es nicht besser gemacht.“ „Dabei ist der Krieg schon vier Jahre her … Müsste sie nicht langsam drüber hinweg sein?“ Nein, warum sollte sie? Sie wusste selbst, dass die Zeit nicht alle Wunden heilte. Egal, ob sechzehn Monate, vier oder vierzehn Jahre vergingen. Shikamaru deutete ein Schulterzucken an. „Logisch gesehen schon.“ „Und praktisch?“ „Hab ich immer noch keine Ahnung von Frauen.“ Ein belustigtes Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Trotz alldem, was vorgefallen war, hatte er sich in der Zeit kein Bisschen verändert. „Und wie stehen deine Brüder dazu?“, fragte er. „Die beiden sind Onkel wie aus dem Bilderbuch“, erwiderte sie. „Gaara sieht sie meist nur am Wochenende, beschäftigt sich dann aber viel mit ihr. Und Kankurou“ – sie suchte nach dem treffenden Wort, um seine Rolle zu beschreiben – „ist fast wie ein Ersatzvater für sie. Er hat mir in den ersten Monaten viel geholfen und hat eine tolle Bindung zu ihr. Er ist der Einzige außer mir, der sie ohne Gezicke und Protest zu Bett bringen darf.“ Ersatzvater … Hätte sie ihn so bezeichnen sollen? „Ach ja, und er möchte dich am liebsten umbringen“, setzte Temari nach. Eine weitere Morddrohung beeindruckte ihn wohl nicht – ihr Bruder hatte ihm in der Vergangenheit mehrere um die Ohren gehauen –, aber … „Warum denn diesmal?“ „Kankurou ist ziemlich verbittert, was die Situation betrifft“, redete sie drumherum. „Er ist wütend auf dich, weil es ist, wie es ist.“ Und ich blöde Kuh hab’s vermasselt!, dachte sie und fühlte sich mies. Sie fuhr sich mit den Fingerspitzen über die Stirn und bekam das Bedürfnis zuzukneifen. Der Schmerz über ein paar Kratzer war als Ablenkung für den Augenblick gut genug … „Ich hab es ihm x-mal erklärt“, fuhr sie fort, „aber für ihn zählt es nicht, dass ich dich angelogen und unsere Beziehung massakriert und weggeworfen habe.“ Temari senkte den Arm, legte ihn zu dem anderen auf den Schoß und knetete ihre Hände. „Scheiße, ich hab alles falsch gemacht“, fluchte sie. „Ich bin gerade mal Mitte Zwanzig und mein Leben reicht schon nicht mehr aus, um alles nur im Ansatz wieder gutzumachen.“ „Hör auf, dir an allem die Schuld zu geben“, sagte Shikamaru. „Darum geht’s doch gar nicht mehr.“ „Versuch mal, das meinem verdammten Gewissen klar zu machen.“ Sie krallte ihre Fingernägel in ihre Hose und zerknüllte den Stoff. Es half, ihre Wut auf sich selbst zu minimieren, auch wenn ein Sandsack die bessere Wahl gewesen wäre. „Ich würd’s gern glauben, aber –“ Der Rest des Satzes ging auf dem Weg zu ihrem Mund verloren, als er sie küsste. Und genauso schnell wie er begonnen hatte, war der Kuss wieder vorbei. „Entschuldige bitte, aber du hörst sonst nicht mit dem unsinnigen Gerede auf!“ Seiner Stimme schwang etwas Provozierendes bei und ihr war klar, dass es ihm nicht leid tat. Und warum auch? „Toll“, sagte Temari, mehr zu sich selbst als zu ihm, „jetzt bin ich komplett verwirrt …“ Es war keine Woche vergangen, dass sie mit Koutarou herumgeknutscht hatte und nun küsste sie ihren Ex? Was kam als Nächstes? Ein Heiratsantrag von einem heimlichen Verehrer? „Bist du mit jemandem zusammen?“ Seine Frage fühlte sich für sie wie ein Schlag mit der Handkante in den Nacken an. Was sollte sie antworten? Die Wahrheit? Aber was zur Hölle war die Wahrheit? Ja, sie hatte sich die letzten zwei Monate mit einem Mann getroffen, ihm im entscheidenden Augenblick von der Bettkante gestoßen und seitdem nicht gesehen. War das die Definition einer Beziehung? „Nein“, sagte sie und schämte sich für ihre Unehrlichkeit. Sie wollte ihm erklären, dass es ein wenig komplizierter war, doch sie traute sich nicht. Es war nicht wie damals, als sie Angst vor seiner Reaktion auf die Schwangerschaft hatte – nein, sie wollte die kleine Hoffnung, dass sich zwischen ihnen alles wieder zum Guten wendete, nicht im Keim ersticken. Ein Gedanke kam ihr. Wenn er eine Freundin hatte, war der Keim von vornherein tot … „Bist du denn mit jemandem zusammen?“ Er schüttelte den Kopf. „Ich hab’s versucht, kurz nachdem du gegangen bist“, sagte er, „aber es funktioniert nicht.“ „Ich hab’s zwar nicht versucht, aber mit Babybauch ist man auf dem Singlemarkt auch nicht gerade angesagt.“ Vor Nervosität knibbelte sie an ihrem rechten Daumen herum. Was war denn das für ein Kommentar? Sie brauchte dringend eine Auszeit … Temari stand auf, murmelte ein „Entschuldige mich“ und verschwand ins Badezimmer. Sie wusch sich das Gesicht und hoffte, so einen klareren Blick auf das Ganze zu bekommen. Es nützte nichts. Ein Gang zur Toilette. Nützte nichts. Sie kniff sich in den Arm. Fehlanzeige. Sie verließ das Bad und schaute nach ihrer Tochter. Vor dem Schrank lag das Gegenstück zum Babyfon, das auf dem Regal über dem Kinderbett stand. Sie hob es auf, betrachtete Kairi und lächelte. In ihrer Hand drehte sie das Gerät vor und zurück. Es war ihr ein Rätsel, wie sie es hier vergessen konnte. Vielleicht war sie deshalb die ganze Zeit so von der Rolle? Sie schloss die Tür hinter sich. Und blieb stehen. Das Babyfon war nicht der Grund für ihre innere Unruhe. Es war die Lüge, die sie Shikamaru aufgetischt hatte. Dass sie ihm Koutarou verschwieg, mit dem sie bis vor ein paar Tagen definitiv zusammen war. Auch wenn sie nicht wusste, wie es nun mit ihm stand, Fakt war, dass sie nicht mit ihm Schluss gemacht hatte. Und bevor sie das getan hatte, konnte sie sich nicht guten Gewissens auf ihre alte Liebe einlassen. Das hieß, wenn er denn wollte. Sie berührte ihre Lippen und erinnerte sich an den Kuss. Natürlich wollte er. Und sie auch. Alles wäre so einfach, wenn diese Sache mit Koutarou nicht zwischen ihnen stehen würde … „Geht es dir gut?“ Temari zuckte zusammen, ihr Puls raste und das Blut rauschte ihren Ohren. „Alles bestens“, sagte sie und stellte ein naives Lächeln zur Schau. „Ich hab das Babyfon in Kairis Zimmer liegen lassen … Passiert mir sonst nie.“ Ja, warum servierst du ihm deine Unsicherheit nicht gleich zum Abendessen?, dachte sie verdrossen. Warum zum Henker hast du dich vor kurzem auf eine neue Beziehung eingelassen? Und warum kannst du nicht auf der Stelle tot umfallen oder im Boden versinken? Genau, ein Kaninchenloch war der perfekte Ort, um sich zu verstecken – mit dem Manko, dass es im Windreich keine Kaninchen gab … Verdammt, konnte sie nicht endlich aufhören, nach Ausflüchten zu suchen? Einmal im Leben das Richtige tun? War es nicht falsch, Shikamaru wegen eines Mannes, den sie erst seit Kurzem kannte, vor den Kopf zu stoßen? Los, erzähl ihm von Koutarou!, wisperte ihr Gewissen. Sag ihm, dass du es erst mit ihm klären musst, bevor du – Er will dich und du willst ihn! Was gibt es da zu überlegen? Ihr Schuldbewusstsein verstummte. Als sie Koutarou abwies, hatte sie auf ihr Herz gehört. Und nun tat sie dies noch einmal. „Du fängst schon wieder an, wirres Zeugs zu reden“, sagte er und brachte sie mit dieser Bemerkung zum Lachen. „Und zu denken“, ergänzte sie und legte ihre Arme um seine Schultern. Dann zog sie den Vater ihres Kindes an sich und küsste ihn. Weil es das Richtige war. Kapitel 14: Unangenehme Wahrheiten ---------------------------------- Kapitel 14: Unangenehme Wahrheiten „Wow“, sagte Temari, „so muss sich Sarah Hazlett gefühlt haben, als sie nach fünf Jahren endlich mit Johnny Smith geschlafen hat.“ Shikamaru sah sie mit hochgezogener Braue an. „Wo hast du denn das her?“, fragte er. Sein Atem streichte ihre Wange und sie unterdrückte den Seufzer der Glückseligkeit, den sie so gerne heraus gelassen hätte. Vor zweieinhalb Stunden hatte sie sich selbst auf einen Fernsehabend voller Langeweile eingestellt. Und nun lag sie nackt in ihrem Bett und hatte es mit ihrem Ex getan. Was für eine Wendung! „Kennst du The Dead Zone?“ „Im Moment schon.“ Sie lachte. „Eigentlich meinte ich einen Roman, aber gut.“ „Und ich dachte, du redest wieder Blödsinn.“ „Wie wäre es, wenn du mich nicht so durcheinander bringen würdest? Tauchst hier auf, ohne dich vorher anzumelden; küsst mich, damit ich die Klappe halte …“ Er drückte ihr einen Kuss auf und sie dachte: Und noch mal. „Genau das meinte ich“, sagte sie. „Aber ohne den Überraschungsmoment bringt es nichts, sorry.“ Shikamaru grinste und sie zwickte ihm in die Brust. „Wenigstens bist du wieder die Alte. Dieses Verklemmte passt nicht zu dir.“ Das wusste sie selbst am besten. Sie war froh, dass sie diese Eigenschaft so rasch wieder losgeworden war. Sex war als Blockadenlöser nicht zu unterschätzen. Sie strich sich ein paar schweißnasse Strähnen aus dem Gesicht und dachte an das Buch. Ob Sarah ihrem Mann gegenüber ein schlechtes Gewissen hatte, weil sie ihn mit der verflossenen Liebe betrogen hatte? Nicht, dass sie die Situation mit ihrer eigenen vergleichen konnte, aber … Mist, warum hatte sie das betreffende Kapitel erst vor ein paar Tagen gelesen? Zufälle, die ihr ihren Vorsatz, den sie wieder nicht eingehalten hatte, ins Gedächtnis zurückbrachte. Ja, sie musste es ihm sagen. Auch auf die Gefahr hin, dass es die Stimmung ruinierte. „Vorhin“ – sie zog vor Aufregung an ihrer Unterlippe herum – „als du mich vorhin gefragt hast, ob ich jemanden habe … da hab ich dir nicht die Wahrheit erzählt.“ Scheiße!, dachte sie und wünschte sich, dass sie es noch ein wenig länger für sich behalten hätte. Harmonisches Beisammensein nach dem ersten Sex seit über sechzehn Monaten – der perfekte Moment für diese Mitteilung! Temari sah, wie sein Grinsen verschwand und Unverständnis zurückblieb. „Verdammt“, fluchte er, „wenn ich das gewusst hätte, dann –“ „Hättest du mich nicht gevögelt?!“, sagte sie und lachte humorlos. „Schon klar …“ Sie wandte den Blick von ihm ab, um seine Enttäuschung nicht sehen zu müssen und musterte den Lichtkreis ihrer Nachttischlampe an der Zimmerdecke. Er bewegte sich nicht und sie wollte nicht, dass dieses Gespräch wie er stillstand. „Ich weiß nicht, ob ich überhaupt mit ihm zusammen bin“, erzählte sie weiter. „Ich hab mich ein paar Wochen lang mit ihm getroffen und als er letzte Woche mit mir schlafen wollte … Na ja, erst wollte ich auch, aber dann konnte ich es doch nicht. Er hat mich nicht verstanden und deshalb hab ich ihn rausgeschmissen.“ „Du konntest nicht?“ Sie schüttelte den Kopf, auch wenn sie sich nicht sicher war, ob er es sah. „Ich kam mir wirklich bescheuert vor“, sagte sie. „Ich meine, da hab ich einen netten Typen, der sich wirklich für mich interessiert, und was ist mit mir? Ich trauere nach fast eineinhalb Jahren immer noch unserer Beziehung nach.“ Ihr Magen drehte sich einen Augenblick. Das Klümpchen, das sich dort gebildet hatte, verschwand und hinterließ nach der Erkenntnis, dass sie es ihm gebeichtet hatte, nur Behaglichkeit. Selbstvorwürfe ade! „Ich wollte es dir schon die ganze Zeit erzählen, aber als du mich dann direkt danach gefragt hast, wollte ich mir die Chance nicht verbauen, dass das mit uns doch wieder in Ordnung kommt. Ich weiß, es war nicht der richtige Weg damit zu warten, bis –“ „Du redest viel zu viel“, unterbrach Shikamaru sie. Temari fühlte seine Umarmung und wie sich seine Finger zu ihrer Hand vortasteten. „Außerdem“, fuhr er fort, „war ich vorhin auch nicht ehrlich zu dir.“ Der Klumpen kehrte zurück. Ihr Griff verstärkte sich und ihre Nägel bohrten sich in seinen Handrücken. „Du hast doch ’ne Freundin, oder?“ „Nein.“ Sie ließ locker und versuchte seine Mimik zu deuten. Der altbekannte Gleichmut war weg, aber bevor sie wusste, was sie sah, wandte er seinen Blick ab. „Ich hab meine Leiche im Keller ausgepackt“, meinte sie. „Also?“ Seine Augen huschten zur Seite und lagen wieder auf ihr und es beschlich sie das Gefühl – nein, die Gewissheit –, dass es unangenehm wurde. „Du weißt noch“, setzte er an, „damals im Krankenhaus …“ Ein Seufzen. Es reizte sie nicht die Erinnerung daran auszupacken, nachdem sie das Szenario gerade in die hinterste Schublade ihres Gedächtnisses verbannt hatte. „Ich hab gehört, was du gesagt hast. Und Sakura hat es mir tags darauf auch noch mal erzählt.“ Sie hatte eine Ahnung, worum es ging. Und es löste Unbehagen in ihr aus. „Und was hast du genau gehört?“, fragte sie forsch, drückte seine Hand fester und merkte, wie sich sein Puls beschleunigte. Er wich er ihrem Blick ganz aus und sagte: „Dein Verdammt, es geht nicht, weil ich schon schwanger bin, du Idiot! verfolgt mich heute noch.“ „Und das sagst du mir erst jetzt?“ Sie schüttelte seine Geste ab und löste sich aus seiner Umklammerung. „Das ändert alles!“ Er zeigte keine Reaktion und das regte sie noch mehr auf. „Ich dachte, ich bin die ganze Zeit die Böse, weil ich es vor dir verheimlich habe! Und jetzt das?!“ Sie fluchte. „Was – verdammt noch mal! – ist denn los mit dir?“ „Sag mir doch, was mit dir los ist!“, gab er zurück. „Hast du ernsthaft geglaubt, dass ich dich verlassen hätte? Und von dem Kerl erzählst du mir erst, als es schon zu spät ist.“ „Was sollte ich auch anderes glauben, wenn du ständig betont hast, dass du noch keine Lust auf Kinder hast?“ Sie malträtierte die Bettdecke zwischen ihren Fingern, um ihm vor Ärger keine Ohrfeige zu verpassen. Und das wollte sie zu gerne. „Hätte ich dir sagen sollen: Pech gehabt, ist schon eins unterwegs!?“ „Zum Beispiel!“ „Und was hätte das gebracht? Du wusstest es doch und bist trotzdem erst jetzt hergekommen!“ Der Stoff riss und sie warf ihn weg. Sie wandte sich wieder zu Shikamaru um und ihre Wut machte ihrer Enttäuschung Platz. „Ich versteh nicht, wie du mit dem Wissen, dass ich dein Baby bekomme, überhaupt normal weiterleben konntest.“ „Meinst du wirklich, dass für mich alles beim Alten geblieben ist?“ Sie hörte die Mühe, die er hatte, um seine Fassung zu bewahren. Sein Blick traf ihren und sie fühlte sich schlecht. „Gar nichts ist normal weiter gegangen. Ich hab jeden Tag an dich – an euch beide – gedacht und mich schuldig gefühlt. Ich hätte damals alles stehen und liegen lassen und dir folgen sollen.“ Er sah weg und sie hatte das Bedürfnis, ihn zu trösten. „Und was hat dich davon abgehalten?“, fragte sie, obwohl sie die Antwort kannte. „Dein angekratztes Ego, weil ich dich abserviert habe?!“ Temari verfluchte ihre Fragerei. Es tat ihm offensichtlich leid und trotzdem hämmerte sie auf ihn ein. Ein holpriger Start für einen Neuanfang. „Was denkst du denn?“, gab Shikamaru zurück. „Diese chauvinistische Einstellung war schon immer dein größtes Problem“, sagte sie und ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln. Sie dachte an ein paar verbale Schlagabtausche, die sie aus dem Grund gehabt hatten. Klar, es war beschissen, dass es daran gescheitert war, aber … Sie gab ihren Abwehrhaltung auf, rückte wieder an seine Seite und hauchte ihm einen Kuss auf. „Bist du nicht mehr wütend?“ Überrascht blickte er sie an. „Wütend, glücklich, durcheinander …“ – und das war sie, alles auf einmal – „Wen interessiert’s?“ Sie küsste ihn erneut. --- Temari rieb sich die linke Seite ihrer Stirn. Die Stelle war heiß und puckerte auf ekelhafte Art und Weise. „Tut’s noch weh?“ Am liebsten hätte sie ihm für diese Frage eine gescheuert, doch sie konnte nur lachen. „Ja, aber ich werd’s überleben“, sagte sie. „Aber wie zur Hölle kommst du auf die Idee, mir so was zu sagen?“ „Woher sollte ich wissen, dass du dich so erschreckst?“ „Du hast noch nie dabei geredet. Außerdem macht man keine Liebesbekundungen, während man es jemandem besorgt!“ „Sagt wer?“ „Ich!“ „Und was ist so falsch daran?“ „Es ist merkwürdig.“ Das tat der Tatsache keinen Abbruch, dass sie sich darüber freute, doch es blieb für sie komisch. Wenn sie das Matsuri erzählte – wovon sie nicht ausging –, lachte sie sich darüber kaputt. „Warum ist es merkwürdig?“, hakte Shikamaru weiter nach. „Hör auf zu fragen!“ Sie machte sich nicht die Mühe, ihre Erheiterung zu verbergen und setzte nach: „Das letzte Mal ist zwei Jahre her und dann sagst du es ausgerechnet dann? Deine Hormone müssen wegen der langen Durststrecke dein Gehirn ausgeschaltet haben.“ „Du nennst eine halbe Stunde ’ne Durststrecke?“ „Es waren vierzig Minuten“, verbesserte sie ihn. „Und ich meinte die Zeit davor. Wie viel es auch immer gewesen ist …“ „Du willst es wissen, oder?“ „Es interessiert mich schon“, gab sie zu, „aber meine sechzehneinhalb Monate kannst du nur unterbieten.“ „Ich biete genauso viel.“ „Dann ist mit deiner Freundin – oder was auch immer – nichts gelaufen?“ „Nein, es waren nur ein paar Dates“, sagte er. „Du warst dem Ganzen offenbar sehr viel näher als ich.“ Koutarou … Es waren erst ein paar Tage vergangen, aber ihr kam der Zeitraum schon viel länger vor. Seltsam, wenn sie bedachte, dass sie sich heute Morgen noch darüber den Kopf zerbrochen hatte, wie sie das mit ihm geradebiegen konnte. „Was meine Verabredung betrifft, oder wie ich ihn auch immer bezeichnen soll“, begann Temari. „Ich werde ihm so bald wie möglich erklären, was Sache ist.“ Er schwieg. „Ich dachte immer, dass es ein echt beschissenes Gefühl sein muss, wenn man jemanden betrogen hat“ – ihre Finger kreisten über seine Brust – „aber jetzt, wo ich Erfahrung damit habe … Ich würde lügen, wenn ich behaupte, dass ich mich schlecht fühle.“ Er strich über ihren Oberarm und in ihrem Inneren breitete sich eine Wärme aus. Ja, sie fühlte sich fantastisch. Nicht grauenvoll und von Schuldgefühlen geplagt. „Findest du wirklich, dass es Betrug ist?“, fragte er. „Irgendwie ja, irgendwie nein“, antwortete sie. „Es wäre mir einfach wohler, wenn ich ihm vorher gesagt hätte, dass ich nicht die Richtige für ihn bin. Aber stattdessen …“ Sie drehte sich nach rechts und schmiegte sich noch mehr an seine Seite. „Mal ehrlich: Hättest du wirklich die Finger von mir gelassen, wenn ich dir vorher von ihm erzählt hätte?“ Egal, wie seine Antwort ausfiel, sie bereute ihre Entscheidung nicht, dass sie es erst für sich behalten hatte. Shikamaru gegenüber nicht. „Ich hätte es versucht“, sagte er. „Eigentlich hab ich keine Lust, in so komplizierte Dinge hineinzugeraten.“ „Und uneigentlich hatten wir beide es verdammt nötig“, bemerkte sie mit einem Schmunzeln. „Weißt du, ich hätte wahrscheinlich jeden abserviert, wenn es die Hoffnung gegeben hätte, dass wir wieder zusammen sein könnten.“ „Meinst du?“ „Ja“, erwiderte sie. „Abgesehen von meinen Gefühlen für dich sind diese neumodischen Familienmodelle auch nicht unbedingt das, was ich mir vorgestellt habe.“ Sie lachte. „Und wenn ich demnächst draufgehe?“ „Dann bleibt mir keine andere Wahl, außer für den Rest meines Lebens alleine zu bleiben. Und darum reiße ich mich nicht.“ Er legte seinen Arm fester um sie und sie spürte seine Lippen an ihrer Schläfe. Mit einem Seufzen schloss sie die Augen. Sein Geruch stieg ihr in die Nase. Das Gemisch aus Schweiß und Sex war noch dasselbe wie damals. Ihr Daumen und Zeigefinger wanderte zu ihrer Wange und sie drückte zu. Es war kein Traum. Nach wie vor. „Soll ich es noch mal sagen?“, fragte er in die Stille hinein. „Oder wäre es in diesem Moment auch merkwürdig?“ „Nein“, sagte sie, „jetzt wär’s okay – zwar mit Ankündigung, aber okay.“ „Nur okay?“ Temari antwortete mit einem Auflachen und fuhr sich über die Schramme an ihrer Stirn. Sie pochte im Gleichklang mit ihrem Herzschlag und sie überlegte, wie sie den Bluterguss, der sich morgen dort auf jeden Fall abzeichnete, kaschieren sollte. Pony schneiden und dann einen Seitenscheitel tragen? Oder sollte sie die Geschichte dahinter erzählen, wenn Fragen kamen? Nein, das Letztere behielt sie für sich. Mit einer Ausnahme vielleicht. „Mehr als ein Okay bekomme ich wohl nicht“, meinte Shikamaru amüsiert und verkreuzte die Finger mit der ihrer freien Hand. Ein paar Sekunden Schweigen, dann sagte er: „Ich liebe dich!“ Sie drehte sich noch ein Stück und bettete ihr Kinn auf ihrem Unterarm, der auf seinem Oberkörper ruhte und schaute ihn an. „Ich liebe dich auch“, sagte sie mit einem Lächeln. Er zog die Augenbrauen nach oben und tat überrascht. „Dann war’s diesmal nicht seltsam?“ Sie schnaubte vor Belustigung. „Überhaupt nicht.“ --- Sein Atem streifte ihren Hals und ihr Herz, das vorm Zusammenbruch stand, machte einen zusätzlichen Sprung. „Dreimal?“, keuchte sie und stieß ein unterdrücktes Kichern aus. „Was ist denn in dich gefahren?“ „Keine Ahnung“, sagte er atemlos. „Aber wenigstens kannst du drüber lachen.“ „Ich musste nur gerade daran denken, dass dir sonst ein zweites Mal schon zu anstrengend ist“, erwiderte sie. „Und ja, im Vergleich ist es irgendwie witzig.“ Temari fuhr ihm durch die verschwitzen Haare im Nacken zu seinem Rücken. Mit sanftem Druck massierte sie seine feuchte Haut. Sie vernahm ein Seufzen. „Falls du es noch ein viertes Mal vorhast“ – sie schloss ihre Finger um sein Handgelenk, das auf ihrem Oberschenkel lag – „Ich klinke mich aus!“ Shikamaru seufzte erneut und sagte: „Dann solltest du besser damit aufhören.“ Sie hielt inne. „Ist das dein Ernst?“ Diesmal stieß er ein Lachen aus. „Ich bin doch nicht verrückt!“ Sein Lächeln erleichterte sie ungemein. Sie erwiderte es und setzte ihre Massage fort. „Jetzt weiß ich zumindest, warum du mich vorhin schneller ausgezogen hast, als ich bis fünf zählen konnte.“ Ein Schulterzucken. „Kam mir gleich komisch vor. Ich hätte wissen müssen, dass es nicht bei dem einen Mal bleibt.“ Sie belächelte sich selbst. „Ich quassle schon wieder Unsinn. Dreimal Sex in zwei Stunden bekommt mir nicht.“ „Offensichtlich“, flachste er. Sie zwickte ihm in den Nacken und sagte: „Dir offensichtlich auch nicht.“ Sie warf einen Blick auf die Uhr. Ihr blieben keine fünfeinhalb Stunden, bis Kairi aufwachte. „Ich geh dann schlafen“, meinte sie. „Dein Kind schmeißt mich jeden Morgen um sechs aus dem Bett und die paar Stunden bis dahin kann ich echt gebrauchen.“ „So früh schon?“ „Mir wäre es auch lieber, wenn sie dafür tagsüber weniger schlafen würde, aber da kann man nichts machen.“ Sie schaltete die Lampe aus und legte sich zurück. „Von mir hat sie das jedenfalls nicht.“ „Von mir auch nicht“, erwiderte er und sie lachte. „Am Tage kommt es hin, aber ihr nächtliches Schlafverhalten muss wohl eine Generation übersprungen haben.“ Sie lehnte sich an seine Schulter und schlang ihren rechten Arm um seinen Oberkörper. „Schlaf gut.“ Als Antwort küsste er ihre Stirn. Temari quittierte es mit einem Seufzen und schloss die Augen. Anstatt zu schlafen ließ sie den Tag noch einmal Revue passieren. Es war beängstigend, wie viel sich in so kurzer Zeit ändern konnte und doch machte es sie – mit winzigen Abstrichen – glücklich. Eine Sache musste sie erledigen – eine unangenehme –, aber dann … Ja, was dann? Sie wusste nicht, wie sie die Frage formulieren sollte und gab den Versuch auf. Geistig war sie um diese Uhrzeit ohnehin nicht mehr aufnahmefähig und so war es das Beste, es die Nacht zu überschlafen und – „Möchtest du nicht wieder mit zurück nach Konoha kommen?“ Sie zuckte zusammen. Warum musste er ihr zuvorkommen? Ausgerechnet jetzt, wo sie todmüde und zu einer vernünftigen Diskussion nicht mehr fähig war? Sollte sie so tun, als wäre sie eingeschlafen? Nein, darauf fiel er nicht herein. „Ich weiß nicht“, antwortete sie, öffnete die Augen und starrte in die Dunkelheit. Sie war unglaublich froh, dass sie ihn jetzt nicht sehen konnte. „Ich weiß nicht“, wiederholte sie, „ob es so eine gute Idee ist, Kairi aus ihrem gewohnten Umfeld zu reißen.“ Ein brillanter vorgeschobener Grund. Es hieß ja, dass Kinder in dem Alter Veränderungen besser verkrafteten – warum sollte das bei ihrer Tochter anders sein? –, aber ihren Brüdern so den Umgang mit ihr zu nehmen war keine schöne Vorstellung. Den Tritt konnte sie Kankurou nicht verpassen, nachdem er sich von Geburt an so um Kairi gekümmert hatte. Und für Gaara war es emotional ein Rückschlag, wenn sich nicht nur seine Schwester aus dem Staub machte, sondern auch seine Nichte mitnahm, die ihm inzwischen so sehr ans Herz gewachsen war. Und der egoistische Hauptgrund: Sie selbst wollte unter keinen Umständen zurück nach Konoha. Als sie das Dorf nach der Trennung verlassen hatte, hatte sie dieses Kapitel zugeschlagen und dabei blieb es. Zwar war sie dort immer von den Menschen herzlich aufgenommen worden, aber sie hatte sich trotzdem wie eine Fremde gefühlt. Ihr verklärter Wunsch nach einem normalen Familienleben, den sie vor ein paar Tagen in einem Gespräch mit Matsuri geäußert hatte, änderte nichts daran. Auch wenn sie sich noch so oft einrede, dass es anders war – nein, anders sein musste: Sie gehörte nach Sunagakure. Die Wüste mit ihren heißen Tagen und eiskalten Nächten, brennendem Sonnenschein und zehrender Trockenheit war ihr Zuhause, nicht das blühende Feuerreich. „Sie ist doch noch so klein“, sagte er. „Das wird schon irgendwie.“ Temari seufzte. „Daran zweifle ich nicht“, erwiderte sie. „Aber ich glaube, du verstehst mich nicht. Ich möchte nicht zurück.“ „Und warum?“, fragte Shikamaru. „Wärst du vor eineinhalb Jahren etwa nicht geblieben?“ „Ungern, aber dir zuliebe vielleicht …“ „Vielleicht?“ Sie hatte keine Lust, dieses Thema ausgerechnet jetzt auszudiskutieren. Sie wollte darüber schlafen und – Eine Kurzschlussreaktion. „Warum bleibst du nicht einfach hier?“ Ihre Hand, die auf seiner Brust lag, spürte, wie sein Atem einen Zug aussetzte. Ernüchterung überkam sie, ihr wurde kalt und die Haare an ihren Armen stellten sich auf. „Versteh schon“, flüsterte sie mit belegter Stimme. „Die selbstauferlegten Pflichten rufen.“ Sie verfluchte sie allesamt. Sein Versprechen, das er Asuma gegeben hatte und das an Naruto, seine Drecksarbeit zu machen, falls er es jemals zum Hokage schaffte. Diese dämliche Wille-des-Feuers-Mentalität … Und sie verfluchte sich selbst, weil sie sich trotz des Wissens dieser Dinge in ihn verliebt und auf eine Beziehung eingelassen hatte. Eine Fernbeziehung, in der sie sich zwei Drittel des Jahres nicht gesehen hatten und aus der ein wundervolles Kind entstanden war. Ein Kind, das die Sache kompliziert machte. „Du musst dich ja nicht sofort entscheiden“, sagte er. „Es wäre nur einfacher, wenn du mitkommen würdest.“ „Die einfachste Lösung wäre, wenn du bleiben würdest“, gab sie zurück und setzte etwas ruhiger nach: „Ich meine, Wille des Feuers hin oder her: Dein König ist hier.“ Diesmal war er es, der zusammenzuckte. Sie hatte den Trumpf gegen ihn ausgespielt, den er sonst so gerne ins Spiel brachte. Ein Gedanke kam ihr. Er tat ihr leid – wahnsinnig leid –, doch sie sprach ihn aus. „Ich liebe dich und es tut weh, das zu sagen“ – ihre Kehle schnürte sich zusammen –„aber vielleicht wäre es besser gewesen, wenn du nicht hergekommen wärst.“ Er drückte ihr einen Kuss auf und umarmte sie fester. „Wir reden morgen, okay?“ Sie blinzelte eine einsame Träne weg. „Okay, morgen.“ Es gab kein morgen. Kapitel 15: Alles endgültig --------------------------- Kapitel 15: Alles endgültig Kairis immer lauter werdendes Gebrabbel holte sie sanft aus dem Schlaf. Temari ließ ihre Tochter noch ein wenig mit sich quatschen, hielt die Augen geschlossen und rollte sich auf die Seite. Ihr tat der Rücken weh, an ihrer Stirn verspürte sie ein widerliches Druckgefühl und ihr Lendenbereich fühlte sich an, als hätte sie – Nein, das Letztere war keine Einbildung. Der Protest ihres Unterleibs war nur zu verständlich, wenn sie es nach ewig langer Pause gleich dreimal hintereinander getrieben hatte. Mit ihrem Ex. Mit Kairis Vater. Ihr morgendlicher Dämmerzustand verschwand und sie setzte sich auf. Sie schaute sich um. Die Sachen, die sie ihm geliehen hatte, waren verschwunden und das Bett neben ihr war leer. Nach dem, was sie zum Schluss zu ihm gesagt hatte, wunderte sie sich nicht darüber. Temari stützte ihre Ellenbogen auf ihren Oberschenkeln ab und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Warum hatte sie nur so etwas Dummes zu ihm gesagt? Warum hatte sie ihn gleich so in die Ecke gedrängt und vor vollendete Tatsachen gestellt? Ach, was änderte das schon daran, dass ihre Beziehung ohne Kompromisse keine Zukunft hatte? Sie verließ auf keinen Fall Sunagakure und er gab sein Leben in Konoha nicht auf. Das war nur verständlich. Auch wenn seine Gründe andere waren – nobel und dumm gleichermaßen und nicht so eine auf den ersten Blick egoistische Scheiße wie ihre. Sie stellte das Babyfon aus, schwang ihre Beine aus dem Bett und richtete sich auf. Ihr Schambein zuckte unter ihrem Gewicht zusammen und summte bei jedem Schritt ein Lied der Schadenfreude. Temari ignorierte es, las ihre Kleidung vom Boden auf, die in ihrem Schlafzimmer verstreut war und zog sie an. Der Breifleck auf dem Top erinnerte sie an den gestrigen Abend, bevor er aufgetaucht war. Keine zwölf Stunden war es her. Zwölf Stunden mit Höhen – buchstäblich! – und Tiefen, Gefühlschaos. Das Chaos war nun beseitigt – ihre Gefühle waren ihr noch nie so klar gewesen – und geblieben war eine hoffnungslose Leere. Sie ging auf den Flur. Nur Kairis gedämpftes Quietschen drang durch die Tür vom Kinderzimmer und verlieh der Stille im Haus ein wenig Leben. Ihre Hand wanderte zur Türklinke, drückte sie aber nicht hinunter. In ihrem Kopf schwebte der Wunsch, dass sie ihn dort drin vorfand und sah, wie er mit seiner Tochter spielte, doch sie gab sich dieser Fantasie nicht hin. Ihr Herz verkrampfte sich, ihr Hals zog sich zusammen und sie schnappte nach Luft. Nein, sie durfte auf keinen Fall in Tränen ausbrechen. Nicht, da es für alles eine logische Erklärung gab. Eine Erklärung, die verdammt wehtat. Temari öffnete die Tür und trat ins Zimmer. Kairi hockte auf den Knien, sabberte ihr Lieblings-Plüschtier voll und freute sich so unbedarft, wie es nur kleine Kinder konnten. Sie hob die Kleine aus dem Bett, drückte ihr einen Kuss auf, wechselte die Windel und zog sie an. Das Mädchen redete einige zusammenhanglose Silben, doch seine Mutter antwortete nicht darauf, wie sie es sonst jeden Morgen tat. Temari war viel zu sehr damit beschäftigt, ihre negativen Gedanken im Zaum zu halten, sie vielleicht noch mit etwas Schönem zu übertönen. Denk dran, dass du eine tolle Tochter hast! Sie lächelte Kairi zu, doch ihr Lächeln erstarrte. Ja, seine Tochter, dachte sie niedergeschlagen und sie verabscheute sich für diesen Gedanken. Kairi konnte überhaupt nichts für das, was passiert war. Dass sich ihre Eltern einer aussichtslosen Liebe ohne Zukunft hingegeben hatten. Schon wieder. Zumindest war es von ihrer Seite so. Was ihn betraf, war sie sich gar nicht so sicher. Er war nie gut darin gewesen, ihr etwas vorzumachen. Aber was, wenn sie nur das an ihm gesehen hatte, was sie sehen wollte und alles andere ausgeblendet hatte? Das Chaos kehrte zurück. --- Temari schüttete die Kiste mit dem Spielzeug im Wohnzimmer aus, damit ihr Kind etwas zur Beschäftigung hatte, setzte dann in der Küche Kaffee auf und machte das Frühstück. Ihre Hand zitterte, als sie das Brot für sich schnitt. Sie hielt inne und atmete tief ein. Sein Geruch klebte an ihr und rief ihr die vergangene Nacht in Erinnerung. Die Lust, als sie mit ihm geschlafen hatte; die Enttäuschung darüber, dass er ihr erst nicht die Wahrheit gesagt hatte; das Glück, als sie einfach nur beieinander gelegen hatten und alles geklärt zu sein schien. Und dann … Sie warf das Messer in die Spüle und stellte die Kaffeemaschine aus. Vielleicht – wenn sie sich jetzt beeilte – war es noch nicht zu spät. Sie drückte Kairi eine Reiswaffel in die Hand – morgens hatte sie nicht so den großen Hunger, sodass sie damit eine oder zwei Stunden überbrücken konnte – und rannte ins Bad und auf Toilette. Sie kämmte ihre Haare kurz über – auf die Schnelle war nicht viel zu machen – und wusch sich das Gesicht. Als sie mit dem Handtuch über ihre Stirn fuhr, hielt sie inne. Sie strich ihre Haare beiseite. Der bläuliche Schimmer rechts sprang ihr ins Auge und die Erinnerung daran, wie er entstanden war, erfreute und deprimierte sie zugleich. Ich liebe dich!, hatte er zu ihr gesagt, gleich zweimal, aber nun fragte sie sich, wie viel seine Worte überhaupt wert gewesen waren. Nicht genug, um ernsthaft mit mir reden zu wollen, dachte sie ernüchtert. Temaris Blick fiel im Spiegel auf den Badewannenrand. Die Kleidung von Kankurou, die sie ihm gestern gegeben hatte, lag dort. Sie war ordentlich zusammengelegt und das irritierte sie. Es passte nicht. Wenn der Shikamaru, dem seine Bequemlichkeit immer im Weg gestanden hatte, seine Sachen zusammenlegte, konnte etwas nicht stimmen. Sie schüttelte den Kopf. Sie hatte keine Zeit, um Dinge in so eine Belanglosigkeit hineinzuinterpretieren. Sie lief zurück ins Wohnzimmer, entriss Kairi den mehrfarbigen Notizblock, den sie gerade zerpflückte und sich statt der Waffel in den Mund steckte und nahm sie – unter Protest – ins Tragetuch. --- Draußen wehte ihr ungewohnt frische Luft entgegen. Der Sand hatte sich mit Wasser vollgesogen und mit jedem Schritt heftete sich etwas von dem Matsch an ihre Sandalen, um wenige Meter weiter abzufallen. Normalerweise freute sich Temari über die Aussicht, dass sich ihre Heimat für wenige Wochen in eine blühende Oase verwandelte, doch diesmal verschwendete sie keinen Gedanken daran. Nein, sie musste so schnell es ging die Schlucht erreichen, die der einzige Zugang zum Dorf war. Dann konnte sie immer noch in Jubelschreie ausbrechen, wenn ihr danach war. Sie hoffte, dass sie Kairi nicht zu arg durchschüttelte, und begann zu rennen. --- Ihre Tochter kicherte noch vor Vergnügen, als sie längst stehen geblieben war. Temari hielt nach einer Wache Ausschau, doch da sich die Meisten auf den Felsen aufhielten und eine Kletterpartie mit Kairi auf dem Rücken keine Option war, konnte sie nur hoffen, dass irgendjemand auf sie aufmerksam wurde. Sie ging noch ein Stück und schaute auf den Boden. Im feuchten Sand führten mehrere Fußspuren hin und zurück, sodass sie unmöglich sagen konnte, ob eine von ihnen Shikamaru gehörte. „Was machst du denn so früh am Morgen hier?“ Sie wandte sich um. Es war Maki. „Oder besser gesagt: Was machst du mit Kind überhaupt hier?“, erwiderte sie, hob die Hand und winkte Kairi zu. Das Mädchen lachte, erwiderte die Geste und verpasste seiner Mutter damit einen Stich. Es war ja schön, dass sie plötzlich so freundlich zu anderen war, aber musste es unbedingt auf die Weise sein, die sie zuerst bei ihrem Vater angewandt hatte? Temari schüttelte den Gedanken ab und sagte: „Nur ein kleiner Spaziergang. Ich dachte, ich guck mal, ob schon irgendwo das erste Grasbüschel wächst.“ Maki lachte. „Darauf warte ich auch sehnsüchtig, aber ein paar Tage wird es wohl noch dauern.“ Sie reichte Kairi den Finger und die Kleine griff zu und schüttelte ihn. „Du hast eine sehr höfliche Tochter“, fuhr sie fort, „aber es ist trotzdem schade, dass du dich so früh entschlossen hast, Mutter zu werden.“ Hab ich nicht, dachte sie, sprach es aber nicht aus. Temari überwand sich zu einem Lächeln – und wie viel Überwindung es sie kostete! – und setzte nach: „Ach, in diesen Friedenszeiten ist es doch kein Verlust, dass ich nicht mehr zur Verfügung stehe.“ Toll, jetzt laberte sie hier rum und hielt uninteressanten Smalltalk, anstatt nach Shikamaru zu fragen. Wenn er noch im Dorf war, konnte er sich hier unmöglich vorbei schleichen. Und wenn er schon weg war, dann … „Ist hier heute schon jemand vorbei gekommen?“, fragte sie. „Ja, ein paar Leute“, sagte Maki. „Hauptsächlich Wachablösung.“ Sie gähnte demonstrativ. „In einer Dreiviertelstunde taucht meine hoffentlich auch auf.“ „Bestimmt“, sagte Temari rasch, obwohl es ihr schnurz war. Sie hatte größere Probleme als eine ehemalige Kollegin, die müde von ihrer Nachtschicht war. „Hat irgendwer das Dorf verlassen?“ Bitte nicht!, dachte sie, ohne wirklich darauf zu hoffen. Die Kunoichi überlegte. „Ja, aber wenn du möchtest, schau ich eben auf der Liste nach.“ Sie wartete keine Antwort ab, flitzte los und kam eine halbe Minute später mit einem Klemmbrett in der Hand zurück. „Jemand aus Konoha“, las sie. „Nara Shikamaru. Er schien ganz schön in Eile zu sein.“ Temari riss ihr die Liste aus der Hand und betrachtete den letzten Eintrag. Sie erkannte seine Unterschrift. Okay, das war es. Endgültig. Sie kam sich dumm vor, dass sie sich überhaupt an diesen winzigen Hoffnungsschimmer festgeklammert hatte, obwohl sie es die ganze Zeit über gewusst hatte. Und doch – „Wie lange ist es her?“ „Zwei, maximal zweieinhalb Stunden“, sagte Maki. „Warum fragst du?“ Temari gab ihr keine Antwort, sondern sprintete los. Die Schlucht tat sich mit jeder Sekunde mehr vor ihr auf, sie passierte das Ende und lief in die Weite der Wüste, die sich bis zum Horizont ausbreitete. Sie überwand hundert Meter, zweihundert Meter, dreihundert Meter, bis sie schließlich langsamer wurde und atemlos anhielt. Sie fluchte innerlich über ihre verlorene Kondition und schaute auf den Boden. Hier draußen war der Sand durch die Sonne an der Oberfläche getrocknet, doch seine Fußspuren, die weit auseinander lagen, waren deutlich zu sehen. Warum hatte er es nur so eilig gehabt, von hier wegzukommen? Damit sie ihn nicht einholen konnte? Temari spielte mit dem Gedanken weiterzulaufen, aber es war aussichtslos. Sie konnte mit einem kleinen Kind keine mehrtägige Verfolgungsjagd durch die Wüste starten. Selbst wenn sie genug zum Essen und Trinken dabei gehabt hätte, war dies nicht der richtige Ort für eine Einjährige. Und sie selbst würde es auch nicht durchhalten. Nicht mit einem unangenehmen Stechen im Unterleib, das sie bei jedem Schritt spürte, und einer Lunge, die nach einem kurzen Sprint pfeifend zusammenbrach. Ihre Augen folgten der Spur, die in Richtung Feuerreich führte, bis sie in der Ferne verschwunden war. Er hatte gesagt, dass sie heute reden würden. Doch stattdessen war er gegangen. Ohne ein Wort. Temari sank auf die Knie. Und ließ den Tränen ihren freien Lauf. Kapitel 16: Was passiert ist, ist passiert ------------------------------------------ Kapitel 16: Was passiert ist, ist passiert Als sie die Felsmauer erreichte, hatte der Sonnenschein ihr Gesicht längst getrocknet. Sie wusste, dass es heute und in den folgenden Tagen nicht bei diesem einen Heulanfall blieb, aber für den Augenblick hatte sie genug von ihrem Selbstmitleid. Es war egal, warum Shikamaru hergekommen war, Tatsache war, dass er sich aus dem Staub gemacht hatte. Was passiert war, war passiert, und ließ sich nicht mehr ändern. Maki kam ihr entgegen. „Alles okay?“, fragte sie. „Du bist so schnell weggerannt, dass ich schon sonst was dachte.“ „Was dachtest du denn?“ Sie zuckte die Achseln. „Du bist sonst nicht so leicht aus der Fassung zu bringen. Ist dir der Typ denn so wichtig?“ Autsch, die Frage tat weh … „Ziemlich“, sagte Temari und schaffte es kaum, ihre Trauer und Enttäuschung zu verbergen. „Er ist Kairis Vater.“ Warum erzählte sie ihr das eigentlich? Für Aussprachen und Problemlösungen war Matsuri ihre Ansprechpartnerin … „Ihr führt eine Fernbeziehung?“, fragte Maki. „Hut ab! Das muss mit Kind doch ganz schön schwierig sein, oder?“ Temari setzte ein falsches Lächeln auf. „Zumindest, wenn er vergisst, sich zu verabschieden.“ „Ach, er wollte dich sicher nur nicht wecken.“ Die Kunoichi lächelte ebenfalls. Sie wünschte sich, dass sie Recht hatte, aber so naiv war sie nicht. --- Gegen Mittag klopfte es am Wohnzimmerfenster. Geistesgegenwärtig schaute Temari hin und sprang auf, um ihre Freundin hereinzulassen. „Hallöchen“, flötete Matsuri, zog ihre Schuhe an der Schwelle aus und ließ sie auf der Veranda stehen. „Ich hab gestern meine Tasche hier vergessen. Sag mal, wie wahrscheinlich ist es, dass du die Türklingel mal wieder anstellst?“ „Sehr wahrscheinlich“, entgegnete sie, ging in den Flur und schaltete sie an. Auf dem Rückweg fischte sie die Tasche von der Garderobe und reichte sie ihr. „Danke“, sagte sie. „Ohne Kohle bin ich so was von aufgeschmissen.“ „Kein Problem. Hast du noch ein bisschen Zeit? Ich würde gerne duschen gehen und es wäre toll, wenn du solange auf Kairi aufpassen könntest.“ „Klar, lass dir Zeit.“ Matsuri machte eine ausladende Geste. „Ich hab heute frei.“ --- Nach der Dusche ging es Temari besser. Sie war den Schweiß und Geruch der letzten Nacht los – ein wichtiger Schritt, um das Geschehene abzuhaken. Sie nahm die Sachen, die er getragen hatte, vom Boden, stopfte sie zusammen mit ihrer Kleidung in die Waschmaschine und stellte sie an. In Gedanken setzte sie den nächsten Haken. Ein paar Punkte standen noch auf der Liste, aber dann konnte sie das Ganze für sich abschließen und hoffentlich nach vorne blicken. Abschließen und nach vorne blicken … Wie lange dauerte es diesmal, wenn sie es beim letzten Mal nach sechzehn Monaten nicht geschafft hatte? --- „Wie hast du denn das hingekriegt?“ Matsuri deutete auf ihre Stirn. Ihre Hand wanderte automatisch zu dem Bluterguss. „Ach, das. Ist eine uninteressante Geschichte und ich möchte dich nicht langweilen.“ Ihre Freundin grinste. „Es hat mit einem Mann zu tun, oder?“ Temari antwortete nicht. „Dann hast du es jetzt doch mit Koutarou getrieben?!“ Sie klatschte vor Begeisterung in die Hände. „Dann war er gestern bei dem Sauwetter noch hier, was?“ „Nein, ich hab ihn immer noch nicht gesehen“, sagte sie mit einem Kopfschütteln. „Und wenn ich ihn sehe, werd ich es beenden.“ „Wie bitte?“ Matsuri starrte sie entgeistert an. „Gestern wolltest du dich noch bei ihm entschuldigen! Was ist denn passiert?“ „Ich hab nachgedacht“, sagte Temari, „und ich weiß jetzt, dass ich noch nicht bereit bin, eine neue Beziehung einzugehen.“ Argwöhnisch zog ihre Freundin die Augenbrauen zusammen. „Und wie wäre es mit der Wahrheit?“ „Das ist die Wahrheit“, entgegnete sie, „oder zumindest die Halbe.“ „Und wie sieht die andere Hälfte aus?“ Temari fuhr nervös mit ihren Fingerkuppen über die fleckfreie Seite ihrer Stirn. Eigentlich hatte sie keine große Lust, darüber zu reden … Sie warf einen Blick auf ihre Tochter, die sich vor Müdigkeit die Augen rieb. „Ich bring Kairi erstmal ins Bett“, sagte sie. „Es kann nämlich ein bisschen länger dauern.“ „Und dann fixt du mich jetzt schon an?“ Matsuri seufzte, dann huschte ein Grinsen über ihr Gesicht. „Ich hoffe, die Geschichte lohnt sich wenigstens, wenn ich schon drauf warten muss.“ „Für dich garantiert“, antwortete sie tonlos. --- „Dann schieß mal los!“ Temari kam sich wie ein exotisches Tier in einem Zoo vor, das voller Neugierde angegafft wurde. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, ihrer Freundin so ein Häppchen hinzuwerfen? Sonst hätte sie sich vielleicht verzogen und sie selbst konnte in Grübeleien darüber ausbrechen, was zur Hölle sie alles falsch gemacht hatte. Und sich dabei die Augen aus dem Kopf heulen. Nein, wenn sie die Wahl hatte, entschied sie sich für die Quasselstrippe, die auf der Couch saß. Sie ließ sich in den Sessel fallen und sagte: „Shikamaru war gestern hier.“ Matsuris Starren ging einen Moment in Ungläubigkeit über, dann kehrte es in seinen Ursprungszustand zurück. „Wie ist es gelaufen?“ Temari wusste zuerst nicht, was sie antworten sollte. Gleich die Fakten auf den Tisch, oder …?! Ach, egal. Sie zog es ihr ohnehin gekonnt aus der Nase. „Er hat Kairi kennengelernt, dann haben wir uns ausgesprochen und gevögelt.“ „Was?“, fragte sie. Die absolute Fassungslosigkeit stand ihr im Gesicht geschrieben. „Okay, noch etwas deutlicher: Wir hatten Sex!“ Irgendwie ging ihr die Reaktion ihrer Freundin auf die Nerven. Sie war sonst nicht so schwer von Begriff. Besonders nicht in diesen Dingen. „Dann seid ihr jetzt wieder zusammen?“ Matsuri konnte nicht wissen, wie einfühlsam diese Frage war, und so beschränkte sie sich darauf, ihr gedanklich eine Ohrfeige zu verpassen. Erstmal. „Befinden wir uns in einer kitschigen Soap?“, erwiderte Temari und setzte nach: „Nein, wir sind nicht wieder zusammen! Meinst du, dass alles wieder in bester Ordnung ist, nur weil man miteinander im Bett war?“ Ja, wie konnte ich das nur glauben?, fragte sie sich. Gut, zusammen mit den Gesprächen konnte man wirklich den Eindruck gewinnen, aber das Ende des Abends und ihr leeres Bett am Morgen hatte sie eines Besseren belehrt. „War’s denn wenigstens gut?“ Die Erinnerung daran löste ein Kribbeln in ihrer Magengegend aus. „Verdammt gut“ – sie biss sich auf die Unterlippe – „aber nach sechzehn Monaten ohne ist das wohl nicht so schwer.“ „Wahrscheinlich.“ Ihre Freundin kicherte. „Und weiter?“ „Nichts weiter“, sagte sie. „Und das heißt?“ Temari fühlte, wie das angenehme Gefühl in ihrem Magen verschwand. Sie faltete ihre Hände, begann ihre Fingerknöchel zu kneten und sagte: „Heute Morgen war er weg.“ „Wie, weg?“ Redete sie so undeutlich oder warum hakte Matsuri dauernd nach? „Er ist abgehauen, abgezischt, hat sich aus dem Staub gemacht!“, fuhr sie sie an. „Ich bin aufgewacht und er war nicht mehr da.“ „Bist du dir ganz sicher?“ „Nein, er hat einen Tarnumhang getragen und mich im Badezimmer erschreckt!“, sagte sie sarkastisch. „Hältst du mich für so blöd? Maki hat mir heute früh die Liste mit den Besuchern gezeigt. Er hat sich ausgetragen! Um halb fünf am Morgen!“ „Das ist wirklich unschön“, meinte ihre Freundin. „Aber immerhin hast du noch die Erinnerung daran.“ Die Ohrfeige in Gedanken verwandelte sich in einen Faustschlag. Wenn Matsuri nicht ihre einzige und beste Freundin gewesen wäre, dann … „Das und ein völlig versautes Bettlaken“, erwiderte Temari nüchtern. „Hui, wie oft hab ihr’s denn getrieben?“ „Dreimal.“ „So oft?“ Matsuri starrte wieder. „Hast du nicht mal gesagt, dass …“ „Ja, früher war zweimal in einer Nacht fast undenkbar. Er muss es noch nötiger als ich gehabt haben, wenn er es geschafft hat, mich dreimal in weniger als zwei Stunden zu vögeln.“ Toll, jetzt hatte sie eine Info ausgeplaudert, die niemand brauchte. Besonders nicht Matsuri. „In zwei Stunden?“, wiederholte sie. „Nicht schlecht.“ Es war tatsächlich nicht schlecht gewesen. Absolut nicht schlecht. Und wie die plötzliche Ordentlichkeit passte es nicht zu ihm. Ha, wahrscheinlich war sie auf ein Henge von jemandem hereingefallen, der irgendwie scharf auf sie war. Ein tröstender Gedanke, wenn er wahr gewesen wäre. Leider wusste er viel zu viel, um nicht der echte Shikamaru zu sein. „Aber wie kommt’s auf einmal?“, fragte ihre Freundin weiter. „Hast du nicht immer gesagt, dass du in sexueller Hinsicht nichts vermisst?“ „Ich hab auch nichts vermisst“, sagte Temari. „Oder das dachte ich zumindest, bis wir uns geküsst haben und übereinander hergefallen sind.“ Matsuri fing an zu kichern. „Was? Ich finde das irgendwie nicht besonders komisch.“ „Ich hab’s geahnt!“ „Was denn?“ „Na, dass du nicht zuerst versuchen würdest, die Beziehung zu erneuern, sondern dich gleich körperlich mit ihm betätigst, wenn er hier aufkreuzen sollte.“ „Wenn du mich so einschätzt, kennst du mich aber schlecht.“ Ihre Freundin setzte einen strengen Blick auf. „Was denn nun schon wieder?“ „Er ist deine große Liebe! Es war so klar, dass du so reagierst!“ „So ein Scheißdreck aus deinem Mund?“, erwiderte sie. „Okay, vielleicht war er das und ja, ich liebe ihn immer noch, aber unterm Strich ist es einfach nur schwer zu widerstehen, wenn man so lange keinen Sex hatte.“ „Weshalb du mit Koutarou nicht in die Kiste gesprungen bist.“ „Wunderschön analysiert“, sagte Temari trocken. „Gut, mit jedem anderen Mann wäre ich nicht gleich ins Bett gegangen, aber wen interessiert das jetzt noch? Ich geb dir ’nen guten Rat: Verlieb dich bloß nicht! Erst recht nicht, wenn derjenige weit weg wohnt und meint, dass patriotische Werte und Versprechen gegenüber Toten wichtiger als alles andere sind.“ Er hatte es zwar nicht so gesagt, aber sie wusste ja, wie er in den Punkten tickte. Da blieb kein Platz für sie. Und für Kairi. Sie fasste sich wieder an die Stirn und ihr war nach Losheulen zumute. Und Matsuris mitleidiger Blick sorgte nicht dafür, dass sie sich besser fühlte. „Warum zur Hölle hat er mir überhaupt gesagt, dass er mich liebt, wenn er sich dann doch wieder verpisst?“ Sie starrte auf das Muster ihres Rocks, um nicht blinzeln zu müssen und so der ersten Träne freie Bahn zu geben. „Und darauf bist du reingefallen?“, fragte ihre Freundin skeptisch. „Das ist doch der älteste Trick der Welt, um eine Frau ins Bett zu kriegen!“ Sie vergaß ihre Trauer für einen Moment. „In deiner Welt vielleicht“, sagte sie angesäuert. „Seltsam nur, dass er gerade dabei war, mir den zweiten Orgasmus des Abends zu verschaffen. Passt irgendwie nicht mit deinem Klischee zusammen, denn im Bett hatte er mich ’ne Stunde vorher schon.“ „Er hat es dir gesagt, während er dich gefickt hat?“ Matsuri zog die Augenbrauen hoch und ihr Mund stand vor Erstaunen offen. „Wahnsinn!“ „Allerdings. Hab ich auch nicht mit gerechnet.“ Temari deutete auf den Bluterguss. Die Jüngere lachte. „Da hast du aber ein hübsches Andenken!“ „Ja, ich freu mich auch drüber“, sagte sie mit einer Miene aus Stein. „Ach, wahrscheinlich ist ihm das im Eifer des Gefechts“ – sie zeigte Anführungszeichen mit den Fingern – „so rausgerutscht. Würde ich jetzt nicht überbewerten.“ „Und sein Ich liebe dich!, nachdem wir längst fertig waren, ist ihm auch nur so rausgerutscht?!“ „Er hat es noch mal gesagt?“, erwiderte ihre Freundin. „Das entzieht sich mir jetzt jeder Logik. Warum sollte er es zu dir sagen, wenn er sich am Morgen doch sowieso wieder verpisst?“ „Was fragst du mich das?“ „Du warst fast vier Jahre mit ihm zusammen.“ „Das heißt ja nicht, dass ich auch seine Gedanken lesen kann.“ Matsuri schwieg einen Augenblick. „Das ist so absurd“, meinte sie dann. „So absurd, dass es dir nicht schaden würde, es mit ein bisschen mehr Humor zu sehen!“ Mit Humor … Von Gefühlsdingen hatte sie wirklich keine Ahnung. „Ja, lustig, wie er mir die Hoffnung auf ein normales Familienleben gemacht und dann doch das Herz gebrochen hat.“ Temari lachte demonstrativ. „Das ist so verdammt witzig! Ich lach mich kaputt!“ Sie gespieltes Lachen ging in Schluchzen über. Sie wollte jetzt nicht weinen – vor allem nicht deswegen –, aber … Die Feuchtigkeit überrannte ihre Augen und als die erste Träne ihr Lid passierte, konnte sie auch die anderen nicht mehr zurückhalten. Matsuri legte in ihrer Hilflosigkeit einen Arm um sie und zog sie an ihre Schulter. „Ich hasse mein Leben“, flüsterte Temari. „Was hab ich getan, dass ich nicht einmal wenigstens ein bisschen Glück verdient hab?“ „Gar nichts“, sagte ihre Freundin und tätschelte ihren Oberarm. „Das Leben ist leider nicht immer fair.“ Sie trocknete mit dem Handrücken ihre Wangen. „Besonders nicht zu mir“, erwiderte sie in einem Anflug Galgenhumor. „Ich glaube, wenn Kairi nicht wäre, wäre es für mich zum Selbstmord nicht mehr weit.“ „Sag doch nicht so was. Außerdem seh es mal positiv.“ Ihre Freundin lächelte ihr zu. „Du bist gerade auf dem absoluten Tiefpunkt, also kann nur besser werden.“ Matsuri hatte Recht. Es konnte nur besser werden. Kapitel 17: Vorsicht ist besser als Nachsicht --------------------------------------------- Kapitel 17: Vorsicht ist besser als Nachsicht Es wurde nicht besser. Shikamarus Besuch konnte sie zwar mit jedem Tag aus einer etwas größeren Distanz betrachten – aus den halben Tag heulen war nach einer Woche einmal vorm Schlafengehen geworden –, aber ansonsten … Das Problem mit Koutarou hatte sie immer noch nicht gelöst. Vor drei Tagen hatte er einmal vor ihrer Tür gestanden, aber da sie sich in dem Moment in einer Portion Selbstmitleid gesuhlt hatte und ihm verheult nicht unter die Augen treten wollte, hatte sie so getan, als wäre sie nicht zu Hause. Sie wollte ihn ohnehin lieber auf neutralem Boden treffen. Nicht, dass sie sich in ihrer Verzweiflung dazu hinreißen ließ, aus Trost doch mit ihm zu schlafen. Nein, das musste sie ihm nicht auch noch antun, wenn sie schon mit ihm Schluss machte. Es reichte schon, dass sie es in seiner Abwesenheit mit ihrem Ex getrieben hatte. Temari ließ Matsuri den Mittagsschlaf ihrer Tochter überwachen und machte sich auf den Weg zu dem Lokal, in dem Koutarou arbeitete. Die Aussicht auf ein Treffen mit ihm und sein enttäuschtes Gesicht reizte sie nicht, aber die Wahrheit schuldete sie ihm. Einen Teil davon. Jetzt oder nie!, hieß es und da sie keine Lust hatte, sich die nächsten Monate vor ihm zu verstecken, kam nur das Jetzt infrage. Im Kopf ging sie noch einmal das durch, was sie sagen wollte, dann betrat sie den Laden. Koutarou rückte gerade ein paar Stühle zurecht und als er sie sah, schenkte er ihr ein Lächeln. Ein Lächeln, das ihr Herz aufspießte und ihr brutal bewusst machte, was für eine Scheiße sie gebaut hatte. Wenn Shikamaru nicht so sang und klanglos verschwunden wäre und sie aus seinem Leben verbannt hätte, hätte Koutarous Miene sicher nicht diesen Eindruck bei ihr hinterlassen, aber so … Ihr wurde übel. Noch konnte sie Fünfe gerade sein lassen, so tun als ob nichts gewesen wäre, aber das hatte er nicht verdient. Ja, er verdiente eine Frau, die ehrlich zu ihm war und nicht eine, die immer noch ihren Ex liebte und mit dem sie sich in der Zwischenzeit körperlich betätigt hatte. Und selbst wenn sie nicht mit ihm geschlafen hätte, wusste sie, dass sie in diesem Moment genau an derselben Stelle gestanden hätte, um die Liaison mit Koutarou zu beenden, mit dem sie unter diesen Voraussetzungen keine Zukunft hatte und nie haben würde. Er kam zu ihr und hob die Arme, doch Temari wich vor seiner Umarmung zurück. „Hast du ein paar Minuten Zeit?“ Sie versuchte so wenig kühl wie möglich zu klingen. „Wir müssen uns unterhalten.“ --- Er handelte mit seiner geschwätzigen Kollegin eine Pause aus und folgte ihr vor die Tür. „Es ist was Unangenehmes, oder?“, fragte Koutarou im Plauderton. Sie sah ihn an und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf drei Grashalme, die unterhalb eines Mülleimers sprossen. „Kairis Vater war hier“, sagte sie, „und wir haben beschlossen, es noch mal miteinander zu versuchen.“ „Ist das so?“ Temari konnte nicht erkennen, was in seiner Stimme lag, aber Begeisterung war es nicht. Sie wollte nicht mehr lügen, doch sie nickte. Hier war es der leichteste Weg und sie hoffte, dass es ihn weniger verletzte als die Tatsache, dass sie ihn für nichts betrogen hatte. „Du hast mit ihm geschlafen, oder?“ War sie so einfach zu durchschauen? Nach kurzem Zögern nickte sie erneut. Und das Gespräch nahm eine unschöne Wendung. --- Temari fühlte sich grauenvoll, als sie nach Hause ging. Einerseits war sie erleichtert, dass sie es hinter sich gebracht hatte, doch andererseits … Koutarou hatte verstanden, dass sie wieder mit ihrem Ex zusammen sein wollte – allein wegen Kairi –, aber dann hatte sein Verständnis aufgehört. Er hatte Worte in den Mund genommen, die sie ihm nicht zugetraut hatte und sie hatte alles stillschweigend über sich ergehen lassen. Weil er im Recht war. Sie dachte an den Spruch, der besagte, dass Worte nicht verletzen konnten. Was für ein Scheißdreck. Natürlich konnten sie es. Zumindest hatte sein Blick, als sie ihm erklärt hatte, warum sie ihn vor eineinhalb Wochen abgewiesen hatte, nichts anderes besagt. Sie hatte seine Gefühle verletzt und jetzt, da sie nicht mehr mit Shikamaru in ihrem Bett lag, wurde ihr klar, dass es sich doch furchtbar anfühlte, wenn man jemanden betrogen hatte. --- „Guten Abend!“ Mit strahlendem Gesicht kam Kankurou ins Wohnzimmer. „Wo ist denn meine Lieblingsnichte?“ Kairi quietschte, streckte die Arme nach ihm aus und er spielte Fliegen mit ihr. Temari lag ein ironischer Kommentar auf der Zunge, doch sie behielt ihn für sich. Nach dem Treffen mit Koutarou am Mittag hatte sie von hitzigen Gesprächen erst einmal die Nase voll. „Wie war dein Ausflug nach Kumogakure?“, fragte sie, ohne wirkliches Interesse daran zu haben. „Stinklangweilige Meetings, aber die Reise hin und zurück war wenigstens unterhaltsam“, erwiderte er. „Was hast du denn da gemacht?“ Er tippte sich an die Stirn. „Ich bin gegen ’ne Straßenlaterne gelaufen.“ Sie staunte, wie leicht ihr diese Lüge über die Lippen ging. „Ist vor einer Woche passiert.“ Ihr Bruder lachte. „Das ungesunde Gelb steht dir überhaupt nicht.“ „Wenn es so eine Beleidigung für deine Augen ist, guck woanders hin.“ „Hattest du einen miesen Tag oder warum bist du auf einmal so zickig?“ Einen miesen Tag?, wiederholte Temari in Gedanken. Sieben furchtbare Tage beschrieb es besser. Sehr viel besser. „Oder hast du deine Tage?“, fragte er weiter. Sie schüttelte den Kopf. „Da tut sich schon seit zwanzig Monaten nichts.“ „Immer noch nicht?“ „Nein“, sagte sie. „Und halt den Mund. Ich kann mir gerade Besseres vorstellen, als mich mit dir über meinen Zyklus zu unterhalten. Ist ja schon absurd genug, dass du bei Kairis Geburt dabei warst.“ „Du wolltest mich dabei haben.“ „Ja, weil Matsuri gerade auf Mission war und ich sonst niemanden hatte.“ „Du hast wirklich einen miesen Tag.“ Kankurou setzte seine Nichte wieder ab und sie krabbelte glucksend in ihre Spielecke zurück. „Irgendwas passiert?“ Seine Schwester zuckte nichtssagend die Achseln. „Jetzt sag schon.“ Ihr lag unendlich viel auf der Seele, aber von Shikamarus Besuch erzählte sie ihm nicht. Die Sache mit Koutarou brauchte sie allerdings nicht für sich behalten. Im Gegensatz zu der Bettgeschichte mit ihrem Ex drehte Kankurou ihr dafür nicht den Hals um. „Ich hab mich von Koutarou getrennt“, antwortete sie beiläufig. „Wie bitte?“ Ihr Bruder starrte sie mit offenem Mund an. Dieser Gesichtsausdruck erinnerte sie stark an den von Matsuri, als sie ihr von den Trennungsabsichten erzählt hatte. „Es hat nicht funktioniert.“ „Und warum nicht?“ „Er wollte Sex, aber ich bin noch nicht bereit dafür gewesen.“ Und deswegen hüpfst du mit deinem Exfreund in die Kiste, schalt ihr Gewissen sie. „Immer noch nicht?“ „Du wiederholst dich“, merkte sie an. „Und nein.“ „Wenn du so weiter machst, hast du bald die zwei Jahre ohne voll“, sagte er mit einem Seufzen. Ja, in 103 Wochen, dachte sie, sagte aber stattdessen: „Mir auch egal. Sex wird eh überbewertet. Brauch ich nicht.“ Und wie du es letzte Woche gebraucht hast! Temari ignorierte es. Langsam spielte sie mit dem Gedanken, einen Exorzisten aufzusuchen, damit er ihr dieses Miststück in ihrem Hinterkopf austrieb. „Deine Entscheidung“, meinte er. „Ich dusch jetzt jedenfalls und dann …“ Sein Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen. „Ja, geh nur und besorg’s dir. Interessiert mich nicht.“ „Nicht, dass du noch neidisch wirst.“ „Bestimmt nicht“, erwiderte sie nüchtern. „Viel Spaß bei einer niedlichen Kuschelsex-Nummer.“ Kankurou machte eine Grimasse. „Und dir viel Spaß mit deiner kleinen Nervensäge!“ Und einer Portion Selbstmitleid, dachte sie verdrossen. „Und Schwesterherz“, setzte er nach. „Wegen deinem immer noch nicht wieder vorhandenen Frauenproblem solltest du mal zum Arzt gehen.“ „War ich schon“, sagte sie. „Zwei Monate hab ich noch, bevor es bedenklich wird.“ „Wenn du das sagst … Aber Vorsicht ist besser als Nachsicht!“, flötete er und ging ins Badezimmer. --- Eine Woche und eine weitere verging und allmählich meinte Temari, einen winzigen Lichtschimmer am Ende ihrer depressiven Phase zu erkennen – und das langsame Erblühen ihrer Heimat stand sinnbildlich für ihren Gemütszustand. Ihr ging es nicht großartig – mit zerstückeltem Herzen war das ein schwieriges Unterfangen –, aber dass sie nach eineinhalb Jahren endlich ein reines Gewissen hatte, erleichterte vieles. Okay, Kankurou wusste immer noch nichts von dem, was während seinem Ausflug nach Kumogakure vorgefallen war, doch da sie ihm keine Rechenschaft schuldig war, war das nicht mehr als eine Notiz am Rande. Sie erzählte es ihm nicht und er brauchte sich im Gegenzug nicht über das Ganze aufzuregen. So einfach war das. Sie schaute ihrem Bruder zu, wie er mit Kairi im mit Gras durchwachsenen Sandkasten spielte. „Hast du irgendwann auch mal nicht Urlaub?“, fragte sie im Scherz. „Du bist nur neidisch“, gab Kankurou zurück. Er drückte Sand in eine Form, stürzte sie um und seine Nichte lachte und machte sein Kunstwerk dem Erdboden gleich. Temari lächelte. „Neidisch?“, erwiderte sie. „Wie könnte ich mit diesem Kind ernsthaft neidisch auf dich sein?“ Ein Grinsen, dann sagte er: „Wegen dem ich nebenbei bemerkt den Urlaub überhaupt genommen habe.“ „Es hätte doch gereicht, wenn du dir an ihrem Geburtstag freigenommen hättest. Wenn überhaupt. Die winzige Feier bekommen Matsuri und ich schon alleine organisiert.“ „Du meinst wohl, dass Matsuri sie alleine organisiert bekommt.“ „Wieso? Sie macht die Deko und wirft ein Auge auf Kairi und ich backe in Ruhe.“ „Du willst backen?“ Er zog vor Überraschung die Augenbrauen hoch und flachste: „Hilfe, dann kann ich uns gleich ein paar Zimmer im Krankenhaus buchen!“ „Vielen Dank“, sagte sie trocken. „Da möchte ich mir wirklich einmal Mühe geben und dann so was.“ „Nimm’s doch nicht so ernst. Hab ich deinen Humor mit nach Kumo genommen und dort vergessen oder wo hast du ihn gelassen?“ „Ich weiß, dass meine Kochkünste nicht zu gebrauchen sind, nachdem du es inzwischen tausend Mal betont hast“ – sie seufzte – „aber so ’nen kleinen, simplen Kuchen könntest du mir schon zutrauen. Wenn es dich beruhigt, nehm ich auch ’ne Backmischung.“ Kankurou prustete los. Kairi sah ihren Onkel verdutzt an und lachte dann mit. Wenn sich ihre Tochter schon darüber lustig machte, obwohl sie keine Ahnung hatte, worum es ging, musste wohl etwas dran sein. „Okay, also ’ne Backmischung“, beschloss Temari mit einem Schmunzeln. Ihr Bruder wischte sich die Lachtränen aus den Augen und setzte nach: „Wenn du ganz auf Nummer Sicher gehen willst, kauf lieber einen fertigen Kuchen.“ Sie sprang von der Bank auf und kniff ihm in den Unterarm. Mit der Faust rieb er sich über die Stelle und brach in Gelächter aus. „Siehste, schon bist du wieder die liebenswerte Kratzbürste! Aber an deinem Sinn für Humor müssen wir noch ein bisschen arbeiten.“ Gutes Gelingen, dachte sie. Schön war es aber, dass er sich solche Mühe gab, obwohl er gar nicht wusste, dass sie aufgeheitert werden musste. Sie beobachtete die beiden wieder beim Spielen. Kankurou gab beim Bauen verschiedener Sandformen den absoluten Musteronkel ab und Kairi hatte einen unglaublichen Spaß, wenn sie sein Werke kaputtmachte. Ein Punkt wanderte vor ihren Augen und ein Schwindelgefühl überkam sie. Temari setzte sich zurück und fasste sich an die Stirn. „Alles klar?“, fragte ihr Bruder. „Du siehst auf einmal so blass aus.“ Sie zuckte die Achseln. „Geht schon. Das muss die hohe Luftfeuchtigkeit sein.“ „Okay, sie ist höher als sonst durch das ganze Grünzeug hier“ – er warf ihr einen skeptischen Blick zu – „aber im Gegensatz zu der in Kumogakure ist das gar nichts.“ „In Kumogakure war ich noch nie“, bemerkte sie. „Dann eben zu der im Feuerreich.“ „Da war ich auch ewig nicht.“ „Dort hast du sie aber gut vertragen.“ Sie massierte ihre Schläfen mit kreisenden Bewegungen. Ihre Einbildung verschwand und das Bild vor ihren Augen hörte auf, sich zu drehen. „Meine Güte, da ist mir einmal schwindelig und du lamentierst gleich herum“, erwiderte sie. „Ich bin nur besorgt um dich, Schwesterherz.“ „Lieb von dir, aber um mich brauchst du dir wirklich keine Sorgen machen.“ Kankurou grinste. „Sorry, als fürsorglicher Bruder stellt man das nicht so einfach ab. Aber ich geb mir Mühe.“ Temari schenkte ihm ein Lächeln und lehnte sich zurück. Sie sorgte sich genug um sich selbst, da mussten sich andere nicht zusätzlich damit belasten. „Wann stellst du mir eigentlich deine Freundin vor?“, fragte sie, um dezent das Thema zu wechseln. Als Antwort bekam sie ein breites Grinsen. „Was?“, entgegnete sie. „Ist es so abwegig, dass ich die Person kennenlernen möchte, die freiwillig mit dir ins Bett geht?“ „Was willst du denn damit ausdrücken?“, beschwerte er sich. „Nichts.“ Sie lachte. „Ist doch nur Spaß. Und fragst du dich jetzt immer noch, wo mein Humor geblieben ist?“ „Solange du nur austeilen und nicht einstecken kannst, ja.“ „Sei nachsichtig mit mir. Ich hab schließlich erst vor zwei Wochen –“ Sie brach ab. Die Sache mit Koutarou hatte sie abgeschlossen und es machte wenig Sinn, sie wieder auszupacken. „Selbst Schuld“, sagte Kankurou nüchtern. „Dich hat niemand gezwungen, ihm wegen so ’nem unwichtigen Kleinkram den Laufpass zu geben. Ich versteh’s auch nicht.“ „Musst du auch nicht. Ich hatte meine Gründe und mehr brauchst du nicht zu wissen.“ „Will ich auch gar nicht. Dein Liebesleben interessiert mich nicht die Bohne.“ Er zwinkerte ihr zu und widmete sich wieder ganz seiner Nichte. Temari war erleichtert, dass er sich mit diesem Argument zufrieden gab, auch wenn sie wusste, dass er auf keinen Fall den Unbeteiligten spielte, wenn er jemals die Wahrheit erfuhr. Die Vorstellung seiner Reaktion machte sie nervös. Ihr Magen verknotete sich bei dem Gedanken daran und sie fluchte innerlich. Warum dachte sie über dieses Szenario überhaupt nach, wenn es niemals relevant wurde? Ja, niemals … Leider hatte sie die Garantie darauf nicht. Maki wusste, dass Shikamaru hier gewesen war und wenn er wieder beim Wachtdienst und ausgerechnet in ihrer Gruppe landete, konnte es heikel werden. Es war nicht so, dass Maki eine Plaudertasche war, aber … Wie Kankurou ihr selbst erst vor Kurzem vorgebetet hatte: Vorsicht war besser als Nachsicht. Sie wühlte in der Wickeltasche nach ihrem Portmonee und stand auf. Der Schwindel blieb aus. „Möchtest du noch etwas mit Kairi hierbleiben?“, fragte sie. Ihr Bruder sah auf. „Was hast du denn vor?“ „Ich muss noch einkaufen“, erklärte sie und grinste. „Ich hab dir heute Mittag deine letzte Tiefkühlpizza geklaut.“ „Na, dann verschwinde schon!“ – er gestikulierte wild, um seine Aufforderung zu unterstreichen – „Dein Kind ist bei mir in guten Händen.“ „Ich weiß“, sagte sie mit einem Lächeln und stellte die Tasche neben ihm ab. „Wir sehen uns dann zu Hause.“ Sie winkte ihrer Tochter zu – sie winkte munter zurück – und ging. Vorsicht ist besser als Nachsicht, schwirrte es ihr im Kopf herum. Und irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie das Nachsehen hatte. Kapitel 18: Kairis erster Geburtstag ------------------------------------ Kapitel 18: Kairis erster Geburtstag Temari warf einen Blick auf die Beschreibung, dann tat sie alle genannten Zutaten in eine Schüssel und verrührte sie. Obwohl das Rezept für einen Marmorkuchen nahezu idiotensicher war, hatte sie zum Anlass des ersten Geburtstags ihrer Tochter tatsächlich eine Backmischung gekauft. Eine Fertigmischung in Tüten, die ihr das Abwiegen von Mehl und Zucker ersparte. Sie kam sich dumm vor. Das war so erbärmlich … Sie fettete die Form ein und füllte die helle Hälfte des Teiges hinein. Der Geruch löste eine leichte Übelkeit in ihr aus und so ging sie lieber etwas auf Abstand. Sie rührte das Kakaopulver in den Teigrest, wiederholte das Ganze und schob ihr Werk in den vorgeheizten Ofen. Zehn Minuten hatte sie für den Vorgang gebraucht und Matsuri schlug sich immer noch mit der Dekoration herum und bespaßte zur gleichen Zeit Kairi. Und sie …? Temari seufzte. Sie war wirklich erbärmlich. Sie ging ins Wohnzimmer. Ihre Freundin befestigte eine bunte Girlande in Form einer großen Eins an der Wand. Kairi stand an der Couch und schaute ihr mit großen Augen dabei zu. „Kommst du klar?“ „Alles im Griff“, keuchte Matsuri und streckte sich, kam aber an den Haken, an dem sonst ein Bild hing, nicht heran. Sie dachte einen Moment nach, dann nahm sie die Schlaufe und versuchte, sie mit einem Wurf an ihrem Platz zu befördern. „Gib mal her. Das kann man sich ja nicht mit ansehen.“ Temari luchste ihr die Deko ab – und mit einem Schwung aus dem Handgelenk hing die Girlande wo sie hingehörte. „Siehst du, so einfach geht das.“ „Du bist auch ein paar Zentimeter größer als ich“, murrte ihre Freundin. „Und wenn du kreativ gewesen wärst, hättest du deine Fähigkeiten als Kunoichi genutzt und wärst ein Stück an der Wand hochgeklettert – oder dich wie jeder andere Mensch, der zu klein ist, auf einen Stuhl gestellt.“ Sie lachte los und klopfte Matsuri freundschaftlich auf den Rücken. „Bist du denn mit deinem Fertigkuchen in der Position zu sticheln?“, erwiderte sie. „Ich glaube nicht.“ „Ja, ja“ – sie winkte ab – „Sei mir lieber dankbar, dass du noch ein paar Tage länger leben darfst. Außerdem ist es kein Fertigkuchen, sondern ’ne Backmischung.“ „Ist beides für Idioten – oder für Leute wie dich, die in allem talentfrei sind, was in der Küche stattfindet.“ Sie grinste und gab vor Temari zu trösten, indem sie ihre Schulter tätschelte. „Ja, ich bin eine furchtbare Köchin“, sagte sie tonlos. „Ich hab’s verstanden!“ „Wenn das so an deinem Ego kratzt, beleg doch einen Kochkurs“, schlug Matsuri vor. „Klar, du wirst nie eine begnadete Köchin werden, aber für dich wäre es schon ein Erfolg, wenn du etwas Essbares zusammenbrutzelst.“ „Hast du dich mit Kankurou gegen mich verschworen oder warum hackt ihr in letzter Zeit ständig auf mir herum?“ „Wir hacken nicht auf dir, sondern auf deinen Kochkünsten herum.“ „Das macht es nicht besser.“ „Ach, komm“ – ihre Freundin lachte – „das ist doch nur Spaß. Das weißt du doch.“ „Nett ist es trotzdem nicht.“ „Du siehst das alles viel zu ernst.“ „Das hat Kankurou auch schon gesagt.“ „Und er hat Recht“, legte sie fest. „Ich weiß, du machst gerade ’ne schwierige Phase durch, aber übertrag das doch nicht auf alle Lebenslagen. Kopf hoch, es geht weiter.“ „Ich werd’s mir merken“, schloss Temari halbherzig. „Wie sieht’s aus? Kannst du beim Dekorieren Hilfe gebrauchen?“ Matsuri mitleidiger Blick lichtete sich und sie schüttelte den Kopf. „Nee, alles in Butter“, witzelte sie. „Aber du könntest deine Tochter davon abhalten, mir ständig vor die Füße zu krabbeln.“ Die beiden schauten zu Kairi. Sie stand immer noch an derselben Stelle, starrte nun den Banner an und machte vor Erstaunen große Augen. „Okay, sie hat wohl eine bessere Beschäftigung gefunden“, setzte sie nach und kicherte. „Ob sie weiß, dass sie heute Geburtstag hat?“ Temari schmunzelte. „Wohl kaum.“ --- Kankurou beendete sein grauenvoll schiefes Geburtstagsständchen für seine Nichte und Matsuri und sogar Gaara prusteten laut los. Temari spürte, wie ihre Freundin ihr einen Tritt gegen das Schienbein verpasste und rang sich ein Lächeln ab. Ein unehrliches Lächeln, das nur dazu diente, sie und ihre Brüder zufrieden zu stellen. Ihr Magen rebellierte und reduzierte ihren Bedarf zu lachen auf ein Minimum. Und das ausgerechnet am Geburtstag ihrer Tochter. Zur Ablenkung hielt sie den Teller mit dem Kuchen durch die Runde und nahm sich zum Schluss das kleinste Stück. Ihr war übel, aber nicht so übel, dass sie ganz aufs Essen verzichtete und den anderen einen Anlass gab, sich Sorgen um sie zu machen. Sie viertelte ein weiteres und reichte einen Teil davon Kairi, die es zwischen den Händen zusammenmatschte und sich in den Mund stopfte. Weiteres Gelächter von den anderen. Um nicht noch eine Schau abziehen zu müssen, nahm sie einen großen Bissen und ließ sich beim Kauen extra viel Zeit. Für so einen Fertigkram schmeckte der Kuchen ziemlich gut und der Gedanke, dass diese Nacht vermutlich niemand wegen ihr im Krankenhaus verbringen musste, beruhigte sie. Und ja, ein bisschen belustigte er sie auch und sie fühlte sich nicht mehr ganz so schlecht, dass sie an diesem Tag bisher so wenig Freude aufbringen konnte. Sie sah am Tisch entlang und dachte ein paar Wochen zurück. Wenn sie nicht diese eine Fehlentscheidung getroffen hätte, säße nun wahrscheinlich Koutarou hier und feierte mit. Temari erwischte sich öfter dabei, dass sie an ihn dachte. Es war nicht so, dass sie ihn vermisste, aber es war schön gewesen, so umworben zu werden; jemanden zu haben, der sich wirklich Mühe gab und die Beziehung mit Kompromissen am Laufen hielt. Sie erinnerte sich noch genau daran, wie er auf sie zu gekommen war, bevor sie mit ihm Schluss gemacht hatte. So herzlich verhielt sich niemand, der wütend darüber war, dass er einige Tage zuvor von der Bettkante gestoßen und vor die Tür gesetzt worden war. Nicht wie eine andere Person, die einfach abgehauen war. Sie verfluchte sein Auftauchen, da es ihr Leben so über den Haufen geworfen und in den Zustand nach der Trennung von ihm zurückgesetzt hatte; und auf der anderen Seite war sie dankbar dafür, dass es sie davor bewahrt hatte, sich in eine Beziehung zu stürzen, die sie auf lange Sicht wohl nicht glücklich gemacht hätte. Nein, das an sich war nicht tragisch, wenn sie nicht den Fehler gemacht und mit ihm geschlafen hätte. Ein Fehler, der sie seitdem nur in unangenehme Situationen gebracht hatte. Koutarou hatte sie damit verletzt; zu Kankurou konnte sie nicht ehrlich sein, ohne ihre gute geschwisterliche Bindung auf die Probe zu stellen und Gaara wollte sie nicht damit belasten. Ihr Blick blieb auf ihrer besten Freundin haften. Sie war die einzige Person, mit der sie darüber reden konnte. Einige Ratschläge taugten nur bedingt etwas und manchmal wollte sie ihr für ihre blöden Kommentare eine scheuern, aber unter dem Strich war sie ohne sie aufgeschmissen. Das wurde ihr in solchen Augenblicken immer wieder bewusst. Matsuri bemerkte es, setzte eine besorgte Miene auf und lächelte. Temari erwiderte ihr Lächeln und riss sich von ihrem Anblick los. Kairi streckte sich in ihrem Stuhl durch und versuchte den Teller mit ihrem Essen zu erreichen. Ihre Mutter seufzte und reichte ihr den zweiten Teil von der Zuckerbombe. Das Mädchen setzte sich zurück, als wäre es das bravste Kind der Welt – was sich in den letzten Wochen immer mehr als Irrtum herausstellte – und aß. „Du hast ganze Arbeit geleistet!“, stichelte Kankurou und schenkte seiner Schwester ein süffisantes Grinsen. „Der Kuchen schmeckt sogar.“ Sie sah, wie Matsuri ihm den Ellenbogen zwischen die Rippen stieß, seinen Protest ignorierte und einen Beutel unter dem Tisch hervorholte. „Wie wäre es mit Geschenke auspacken?“, trällerte sie fröhlich in die Runde. --- Da Kairi sich lieber mit dem Geschenkpapier aufhielt, es zerriss und drauf herumkaute, wenn gerade niemand hinsah, öffnete Temari die Geschenke an ihrer Stelle. Das Erste war ein rotes Kleid, auf dem ein weißes Kanji aufgestickt war. „Ich weiß, es ist nichts Besonderes“, murmelte Gaara, „aber etwas Besseres ist mir nicht eingefallen.“ Seine Schwester wunderte sich, dass er überhaupt die Zeit gefunden hatte, ein Geschenk zu besorgen. „Ich weiß gar nicht, was du hast. Ich find’s süß.“ Sie schenkte ihm ein Lächeln – das erste an diesem Tag, zu dem sie sich nicht zwingen musste – und setzte nach: „Dann könnt ihr beide nächstes Wochenende im Partnerlook nach draußen gehen.“ Sie deutete auf das Schriftzeichen – es war dasselbe wie das, das Gaara auf der Stirn trug – und ihr jüngster Bruder wurde etwas rot um die Nase. Temari ignorierte Kankurous erwartungsvollen Blick – das hatte er davon, wenn er meinte, ständig arschig zu ihr sein zu müssen – und griff das Präsent von ihrer besten Freundin. Es enthielt ein Sammelsurium aus verschiedenen Haarspangen und –bändern in allen Farben des Regenbogens. „Nicht kreativ“, gab Matsuri zu, „aber so ’n Zeug kann man bei einem kleinen Mädchen immer mal gebrauchen.“ „Ja, wenn man es zu einer kleinen Prinzessen machen möchte“, stimmte sie amüsiert zu und stellte erleichtert fest, dass sich ihre Stimmungskurve langsam nach oben bewegte. Furchtbar, wenn man am ersten Geburtstag seines Kindes den Griesgram heraushängen ließ. So konnte es schließlich nicht weitergehen. „Jetzt aber meins!“ Kankurou hielt seiner Schwester demonstrativ das Geschenk für seine Nichte vor die Nase. „Und wehe, es gefällt dir nicht!“ „Das überleg ich mir noch“, erwiderte Temari und nahm es ihm ab. Es war ein neues Pappbilderbuch. „Und?“, fragte er. „Ich dachte, sie braucht mal ’ne Abwechslung zu diesem Grüffelo.“ „Den mag sie zwar immer noch“ – sie blätterte das Buch flüchtig durch – „aber trotzdem danke.“ „Danke? Das ist alles?“ „Soll ich auf Knien herumrutschen und dich anbeten?“, fragte sie. „Es ist ein Buch! Nicht mehr und nicht weniger.“ Und da sie die enttäuschte Miene ihres Bruders nicht ertragen konnte, setzte sie nach: „Aber ich finde es schön, dass du dir Gedanken gemacht hast. Ich bin sicher, dass Kairi es mögen wird.“ Um ihm zu beweisen, dass sie es ernst meinte, schlug sie die erste Seite auf und zeigte sie ihrer Tochter. „Ein Affenkind“ – sie deutete darauf –„und ein Schmetterling.“ Sie blätterte langsam weiter, benannte jedes Tier und Kairi vergaß sogar ihren Geburtstagskuchen und schaute und hörte aufmerksam zu. Kankurou setzte ein zufriedenes Grinsen auf, nahm sich einen Nachschlag und fing mit Gaara eine Diskussion über seine Aufgabe im Wachdienst an. Temari betrachtete die Seite, auf der alle Tiere noch einmal abgebildet waren. „Elefant, Papagei, Fledermaus … Du musst weit reisen, wenn du diese Tiere mal in Echt sehen möchtest“, sagte sie, „aber Schlangen und Spinnen findest du in der Wüste mehr als genug.“ Sie lachte. Ihre Tochter stimmte mit ein, verlor dann ihre Aufmerksamkeit und matschte lieber wieder mit ihrem Kuchen herum und so blätterte sie für sich noch etwas weiter. Beim Anblick des Affenpapas auf der vorletzten Seite überkam sie ein mulmiges Gefühl. Und sie ärgerte sich über die Darstellung, dass das Kind, obwohl es endlich seine Familie wiedergefunden hatte, an ihm vorbeilief. Was dachte sich dieses blöde Affenkind eigentlich?! Es sollte doch froh sein, dass es einen Vater hatte, aber stattdessen ignorierte es ihn. Sie schlug das Ende auf und starrte verdrossen die vereinte Familie an. Genau so sollte es bei ihr aussehen, aber stattdessen … Was hatte Kankurou sich dabei gedacht, ausgerechnet dieses Kinderbuch zu kaufen? Temari klappte das Bilderbuch zu und versuchte, sich ihren Ärger nicht anmerken zu lassen. Er hat es nur gut gemeint, sagte sie sich. Wahrscheinlich hatte er nicht gedacht, dass ein Buch, das Wo ist Mami? hieß, eine Szene enthielt, die mit ihren Gefühlen Kickboxen spielte. Ihr Magen drehte sich und ihre Hand wanderte automatisch an ihren Bauch. Sie legte ihrer Tochter die restlichen Teile ihres Kuchenstücks vor sie auf den Tisch, dann stand sie auf und verließ das Wohnzimmer. Der kurze Weg zum Bad kam ihr wie eine Bergwanderung vor. Gerade noch rechtzeitig erreichte sie die Toilette und übergab sich. Einmal, zweimal, dreimal, bis nur noch Galle kam. Der widerlich saure Geschmack löste noch mehr Übelkeit in ihr aus, doch nichts kam mehr. „Alles in Ordnung mit dir?“ – sie spürte Matsuris Hand auf ihrer Schulter – „Der Kuchen war doch okay, oder?“ Sie betätigte die Spülung, trocknete die Tränen, die sich in ihren Augenwinkeln gesammelt hatten und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. „Es ist nicht der Kuchen“, sagte Temari. Sie klappte den Klodeckel herunter, setzte sich und hielt sich den Magen. „Du bist schon die ganzen letzten Tage so komisch“, meinte ihre Freundin. „Was ist denn los? Es liegt doch nicht etwa daran, dass Kankurou und ich dich wegen deinen Kochkünsten aufziehen?!“ „Vergiss den Scheiß. Das ist mein geringstes Problem.“ „Und was ist dann dein Hauptproblem?“ Sie wich Matsuris Blick aus und sah zur Tür. Kairi machte ordentlich Lärm im Wohnzimmer und Kankurou und Gaara lachten sich scheckig darüber. „Die beiden bekommen gerade eh nichts mit“, sagte ihre Freundin. „Also leg schon los. Ich bin ganz Ohr und verrate es auf gar keinen Fall weiter.“ Daran zweifelte Temari nicht eine Sekunde, aber … Sie legte ihre Hände in den Schoß und faltete sie. Sie überlegte, ob sie sich von ihrer Nervosität mit Däumchendrehen ablenken sollte, und verwarf den Gedanken. Bei Kankurou hatte sie einen Grund, nervös zu sein, aber nicht bei Matsuri. „Um auf deine Frage zurückzukommen: Nein, nichts ist in Ordnung – absolut gar nichts.“ Sie machte eine kurze Pause und setzte dann nach: „Ich bin schon wieder schwanger.“ Kapitel 19: Was macht schon glücklich? -------------------------------------- Kapitel 19: Was macht schon glücklich? Ihre beste Freundin starrte sie an. „Bist du dir sicher?“ „Ganz sicher“, sagte sie. „Ich hab vor fünf Tagen positiv getestet. Und heute Morgen noch mal.“ Matsuri seufzte. „Wie machst du das nur immer?“ Temari zuckte die Achseln. „Ich hab halt ein Talent dafür, mich in ausweglose Situationen zu manövrieren.“ „Möchtest du darüber reden?“, fragte sie. „Oder –“ „Schon okay“ – sie lächelte betreten – „Aber nicht hier.“ „Ein Ausflug ins Grüne? Vielleicht beruhigt sich dein Magen dann auch wieder.“ Sie nickte. „Ich hol nur –“ Matsuri schüttelte den Kopf. „Lass sie hier“, sagte sie. „Gaara und Kankurou kümmern sich sicher gerne um sie.“ --- „Wie weit bist du denn?“, fragte sie, als sie das Haus einige Meter hinter sich gelassen hatten. „Siebte Woche ungefähr“, antwortete Temari. „Ungefähr?“ „Ich hatte meine Tage noch nicht wieder.“ Ihre Freundin legte ihre Stirn in Falten. „Und wie und wann hast du es dann gemerkt?“ „Vor zweieinhalb Wochen fingen meine Brüste an zu spannen. Ich dachte, dass es jetzt wohl wieder losgeht und dass es nur die damit verbundene Hormonumstellung ist, aber nichts kam. Und als dann letzte Woche die Übelkeit dazu kam, musste ich nur eins und eins zusammenzählen.“ „Warst du schon im Krankenhaus?“, fragte Matsuri. „Ich meine, Schwangerschaftsteste können auch mal daneben liegen.“ „Einer vielleicht, aber zwei?“, erwiderte Temari bissig. „Und hast du schon die Symptome vergessen, die ich eben aufgezählt habe?“ Schwangerschaftsteste können auch mal daneben liegen … Was sollte das? Da gab es absolut nichts zu hoffen oder schönzureden. „Entschuldige“, setzte sie etwas ruhiger nach. „Der Termin ist nächsten Dienstag.“ „Stimmungsschwankungen. Das nächste Symptom“, bemerkte sie und winkte ab. „Warum gehst du nicht sofort hin?“ „Wozu denn?“ „Dann hast du wenigstens Gewissheit.“ „Ich brauche kein Ultraschallbild, um zu wissen, dass ich wieder tief in der Scheiße sitze. Dafür hat der erste positive Test schon gereicht.“ Matsuri dachte kurz nach, dann sagte sie: „Es gibt doch diese Sonderformen: Eileiter- und Bauchhöhlenschwangerschaft. Was, wenn du so was hast?“ „Ja, sicher“, sagte Temari sarkastisch. „Vielleicht löst sich dein Problem auch von selbst?! In den ersten zwölf Wochen ist das Risiko für eine Fehlgeburt doch ziemlich hoch.“ „Siebzehn Prozent in meiner Altersklasse“, bemerkte sie tonlos. „Doch nur so wenig? Da kannst du dich nicht drauf verlassen …“ Ihre Freundin runzelte die Stirn. „Dann bleibt dir wohl nichts anderes übrig, als –“ „Nein!“, fuhr sie ihr ins Wort. „Falls du es noch nicht bemerkt hast: Ich rede nicht mit dir, um herauszufinden, wie ich das Kind am besten loswerden kann.“ Matsuri schaute sie verständnislos an. „Soll das heißen, dass du es bekommen willst? Willst du dir das wirklich antun?“ „Von wollen kann keine Rede sein“, gab sie zurück. „Aber was bleibt mir jetzt noch für eine Wahl?“ „Keine, wenn du eine Abtreibung von vornherein ausschließt.“ Temari biss sich auf die Unterlippe. Sie schämte sich, dass sie so etwas Herzloses über ihr ungeborenes Kind sagte. Das Lebewesen, das nichts für ihre Situation konnte. Nein, das hatte sie sich selbst eingebrockt – mit dem Unterschied zu damals, dass sie diesmal nicht die alleinige Schuld daran trug. Dass Kairi entstanden war, ging komplett auf ihr Konto, aber dieses Kind nicht. „Eine Frage“, warf ihre Freundin ein. „Warum zur Hölle habt ihr beide nicht verhütet? Oder hast du wieder den Schludri raushängen lassen und die Pille vergessen? Einmal gehe ich vielleicht noch mit, aber wenn du aus dem Grund ein zweites Mal schwanger geworden bist –“ „Nein, so hirnverbrannt bin nicht mal ich“ – zumindest nicht, was die verpatze Einnahme betraf – „Ich nehme sie überhaupt nicht.“ „Und Kondome?“ „Hatte ich keine.“ „So was hat man immer da!“ „Ich nicht. Wozu denn auch?“ „Für Fälle wie Mein Exfreund taucht nach sechzehn Monaten auf und da wir es beide so lange nicht hatten, lassen wir’s krachen!“ „Hab ich auch total mit gerechnet“, sagte sie sarkastisch. „Okay, da kann man die Ausrede vielleicht gelten lassen – halbwegs“, gab Matsuri zu, „aber nicht, was Koutarou betrifft. Ihr wart zusammen und du musstest jederzeit damit rechnen, dass er mit dir schlafen will.“ „Ich hab aber nicht mit ihm geschlafen“, legte Temari fest. „Und vielleicht hätte er ja was dabei gehabt.“ „Und was, wenn nicht? Dann wüsstest du jetzt nicht mal, wer der Vater deines Kindes ist.“ Eine beunruhigende Vorstellung, die zum Glück nicht zur Debatte stand. Wenn man von Glück reden konnte. „Ich weiß es aber“, sagte sie, „also hör auf, meine Zeit mit unsinnigen Szenarien zu vergeuden.“ „Ich meinte ja nur“ – ein Schulterzucken – „Aber um zur Verhütungsfrage zurückzukommen: Heißt das, dass du es absichtlich drauf ankommen lassen hast?“ „Hab ich nicht. Nicht bewusst.“ „Du bist doch sonst so bedacht und wägst alles mehrmals gegeneinander ab. Warum hier nicht?“ „Weil ich – verdammt noch mal – fast eineinhalb Jahre keinen Sex hatte.“ Klar, jetzt hinterher war es eine lausige Erklärung, aber … „Wie hättest du an meiner Stelle reagiert?“, fragte sie. „Hättest du ihm auf die Finger gehauen, obwohl dich jeder Kuss, jede Berührung fast wahnsinnig gemacht hätte? Hättest du wirklich aus Vernunft gehandelt und gesagt Wir sind zwar total scharf aufeinander, aber sorry, wir können jetzt nicht vögeln, weil keine Kondome da sind?“ „Nein, aber in so eine unangenehme Situation wäre ich gar nicht erst gekommen. Gummies gehören bei mir wie ein Kühlschrank und ein Klo zur Grundausstattung.“ Das konnte Temari sich lebhaft vorstellen. Matsuri hatte zwar einen fragwürdigen Lebensstil, aber wenigstens sorgte sie vor, wenn sie sich schon durch unterschiedliche Betten wälzte. Und da sie selbst nicht zur Sicherheit vorgesorgt hatte, steckte sie nun in diesem Schlamassel. „Und was willst du mir jetzt damit sagen?“, setzte ihre Freundin nach. „Für mich sieht es immer noch so aus, als hättest du die Möglichkeit einer Schwangerschaft bewusst in Kauf genommen.“ Natürlich sah es so aus. Für jeden, dem sie das erzählte, würde es so aussehen. „Es ist aber nicht so“, sagte sie. „Gut, als er mich ausgezogen und aufs Bett gedrückt hat, hatte ich wirklich nichts anderes als Sex mehr im Sinn, aber …“ Matsuri zog die linke Braue hoch. „Aber?“ Temari erwiderte ihren Blick. Sie wusste, dass ihre Erklärung für einen Unbeteiligten dumm aussehen musste, doch … „Ich hab überhaupt nicht drüber nachgedacht, dass ich wieder schwanger werden könnte.“ „Wie alt bist du? Zwölf?!“ – ihre Freundin schlug sich demonstrativ an die Stirn – „Kairi ist schon aus einer Dummheit entstanden und diese Ausrede ist es noch viel größerer Mist.“ „Darf ich ausreden?“, fragte sie. „Danke.“ Matsuris missbilligender Gesichtsausdruck lockerte sich ein wenig und sie fuhr fort: „Wahrscheinlich klingt es trotzdem scheiße, aber ich hab nicht dran gedacht, weil ich geglaubt habe, dass irgendwas nicht in Ordnung ist.“ „Weil?“ „Wegen meines noch nicht wieder vorhandenen Frauenproblems, um es mit Kankurous Worten auszudrücken. Ich hatte zu dem Zeitpunkt seit vier Monaten abgestillt und absolut nichts war in Sicht. Und wenn der Arzt, ein paar Tage bevor ich mit meinem Ex schlafe, sagt Das sieht hier nicht nach einem reifen Ei aus. Das wird erstmal nichts. und ’nen dunklen Fleck auf dem Ultraschall für ein Hämatom hält, was bekanntermaßen eine Schwangerschaft nicht gerade begünstigt, was soll ich da deiner Meinung nach denken?“ „Schon mal drüber nachgedacht, den Kerl zu verklagen? So ’ne Aussage kann man als Experte auf dem Gebiet doch nicht machen.“ „Er hat mir ja nicht geraten: Wenn Sie in nächster Zeit rumvögeln, vergessen Sie die Verhütung. Es kann gar nichts passieren!“ „Deine Geschichte ist echt beknackt. So viel Pech und Verkettungen unglücklicher Zufälle kann man doch gar nicht haben.“ „Ich schon.“ „Begünstigt hast du es mit deiner Fahrlässigkeit trotzdem“, bemerkte Matsuri. „Ist ja was ganz Neues“, sagte Temari trocken. „Aber diesmal ist es nicht nur meine Schuld.“ „Hat Shikamaru dich nicht mal gefragt, ob du wenigstens die Pille nimmst?“ „Nicht, dass ich wüsste …“ „Wie bitte?“ Ihre Freundin riss vor Ungläubigkeit die Augen auf. „Er kommt hierher, lernt gerade erst euer erstes Kind kennen, für das er vermutlich nicht einmal bereit ist und denkt dann trotzdem an nichts? Was ist das denn? Wo zum Teufel ist eure Intelligenz geblieben?“ Berechtigte Kritik, für die sie keine Erklärung hatte. „Woher soll ich das wissen?“, gab sie zurück. „Vielleicht hat er gedacht, ich kümmere mich drum. Früher war es ja auch meine Aufgabe.“ „Und er hatte auch gar keinen Grund, dir in dem Punkt zu misstrauen.“ Matsuri lachte sarkastisch. „Warum sind die meisten Männer so dermaßen blöd, wenn ihre Hormone die Oberhand gewinnen?“ „Was fragst du mich das?“ „Du kennst dich doch jetzt bestens damit aus“, sagte ihre Freundin. „Du bist fast genauso blöd wie dein Ex. Ihr beide habt es echt so richtig verbockt!“ Das zu hören tat weh, aber Matsuri hatte absolut Recht. Über Monate angestaute Sexlust war kein Grund, alles andere zu vernachlässigen. Zumindest kein guter Grund. Aber um dies zu bereuen, war es nun zu spät. „Und wann willst du es ihm schreiben?“, fragte sie weiter. „Willst du die zwölf Wochen voll machen, bis es sicher ist oder doch erst wieder wie bei Kairi nach der Geburt?“ Temari seufzte. Darüber hatte sie in den vergangenen Tagen viel nachgedacht und war zu dem Entschluss gekommen, der für sie der beste war. Nicht der Richtige, aber der Beste. „Überhaupt nicht“, antwortete sie. „Unsere Beziehung hat sich in dem Moment erledigt, als er abgehauen ist und ihn noch mal zu sehen, ertrage ich nicht.“ „Ich kann mir vorstellen, dass ein gebrochenes Herz scheiße ist – verdammt scheiße –, aber findest du nicht trotzdem, dass er ein Recht darauf hat, es zu erfahren?“ Auch wenn sich herausgestellt hatte, dass er es lange vorher gewusst hatte, wollte sie nicht denselben Fehler machen, den sie bei Kairi gemacht hatte. „Schon“, gab sie zu. „Vielleicht schreib ich ihm, wenn ein bisschen Gras drüber gewachsen ist, aber jetzt kann ich es einfach nicht. Warum soll ich mir das auch antun, wenn noch so viel schiefgehen kann?“ „Ich versteh dich, was das angeht“ – Matsuri legte ihr einen Arm um die Schulter – „Geh nächste Woche zu deinem Termin und erreiche die dreizehnte Woche, dann kannst du immer noch weitersehen. Und wie gesagt: Vielleicht hat sich’s bis dahin von allein erledigt.“ Wahrscheinlich sehnten sich das einige Frauen in ihrer Situation herbei, aber sie konnte darüber nur müde lächeln. --- Temari schaute auf die Uhr. Ihr Termin war vor zwanzig Minuten angesetzt gewesen, doch sie saß immer noch im überfüllten Wartezimmer und machte sich verrückt. Das war so ätzend … Vielleicht hätte sie auf Matsuri hören und gleich nach dem positiven Test herkommen sollen, dann wäre ihr das hier erspart geblieben. Sie hörte, wie ihr Name aufgerufen und sie ins Labor gebeten wurde. Die junge Angestellte kannte sie nicht, aber solange sie ihren Job gut machte, konnte es ihr egal sein. Ein Irrtum. Sie verfehlte zweimal die Ader in ihrer rechten Armbeuge und zapfte ihr schließlich links das Blut ab. Temari nahm es hin. Sie hatte andere Sorgen, als sich über einen blauen Arm zu ärgern, den sie morgen haben würde. Die Arzthelferin beschriftete die Probe, zückte einen Fragebogen und fuhr fort: „Sind Sie zur Kontrolle hier?“ Das war die überflüssigste Frage, die sie seit Langem gehört hatte. Warum war man sonst beim Gynäkologen? Na ja, bei einer Berufsanfängerin konnte man auch mal zwei Augen zudrücken … „Unter anderem“, antwortete sie beherrscht. „Und ich bin schwanger.“ „Schwanger?“ – die Schwester stieß ein Quietschen aus, das Kairi nicht besser hinbekommen hätte – „Wie schön! Vierundzwanzig ist genau das richtige Alter.“ Ja, wundervoll … Sie kam um vor Freude. „Es ist nicht mein erstes Kind“, bemerkte Temari monoton. „Ich hab schon eine einjährige Tochter.“ Warum guckte dieser Noob nicht in ihre Akte, anstatt sie mit solchen Aussagen zu deprimieren? War das zu viel verlangt? „Na, umso besser!“ Die junge Frau klatschte begeistert in die Hände. „Ist doch toll, wenn die Geschwister nicht so weit auseinander sind.“ Dem stimmte sie im Großen und Ganzen zu. Ihre Kinder hatten dann ungefähr denselben Altersunterschied wie sie und Kankurou und sie waren seit ihrer frühsten Kindheit die besten Freunde gewesen, aber … Alles andere war so verdammt ungünstig. „Schlecht ist es nicht, denke ich mal“, sagte sie, um eine gute Miene zu diesem Spiel zu machen. Die Schwester lächelte, zog einen Ordner aus dem Regal und zückte einen Fragebogen. Das Meiste füllte sie anhand der Patientenakte aus – sie wusste anscheinend doch, wozu sie gut war –, dann fragte sie: „Wann war die letzte Periode?“ Temari wusste, was für eine Reaktion sie erwartete – irgendwas zwischen Staunen und Unverständnis – und antwortete: „Irgendwann im August vor zwei Jahren.“ Ihr Gegenüber stieß einen Pfiff aus, murmelte ein „Hui, lange her … Den ersten Zyklus wohl gleich genutzt, was?“ und sie hätte ihr am liebsten eine – ach, was! – ein Dutzend Ohrfeigen für diesen unsensiblen Spruch verpasst. Bevor sie sich zu einer angemessenen Erwiderung entschlossen hatte, drückte sie ihr einen Plastikbecher in die Hand und entließ sie mit einem Kopfnicken in Richtung Toilette ins Wartezimmer. --- Sie verbrachte eine Viertelstunde auf dem Klo – diese Prozedur hatte sie in ihrer vorigen Schwangerschaft schon gehasst; welcher normale Mensch konnte auf Abruf pinkeln? – und nach weiteren fünf Minuten ging es endlich in den Behandlungsraum. Temari überlegte, ob sie dem Arzt für seine tolle Äußerung vom vorigen Mal an die Gurgel springen sollte, beschloss aber damit zu warten, bis sie es schwarz auf weiß und somit wirklich einen Grund hatte, das zu tun. Die Frage erübrigte sich, als eine ältere Frau den Raum betrat. Sie stellte sich vor, erklärte, dass sie eine Weile Vertretung machte und die Untersuchung begann. Das leidige Gefummel war sogar einigermaßen erträglich – auf keinen Fall angenehm, aber das waren Besuche beim Frauenarzt nie – und dann kam der Ultraschall. Sie spürte, wie sich ihr Puls erhöhte und ihr Herz schneller schlug. Gleich wusste sie, was Sache war. Und wenn die Ärztin eine Eileiterschwangerschaft – okay, sie konnte sich Besseres als die damit verbundene OP vorstellen – oder eine leere Fruchthülle vorfand, war sie nicht traurig. Nein, das erleichterte sie ungemein und machte ihr Leben wieder etwas einfacher. Nicht schöner, aber einfacher. Aber wollte sie das wirklich? Um sich etwas zu beruhigen, schloss sie die Augen und atmete tief durch. Es schien so logisch, sich das wünschen, aber warum empfand sie es nicht so? Hatte das Gequatsche der Angestellten oder ihre eigenen Erinnerungen solche Gefühle ausgelöst? Oder war es doch nur die Vorstellung, dass Kairi sonst ohne Geschwister – und das hier war auf lange Sicht die einzige Chance – aufwachsen musste? Sie wusste es nicht. Die Frau flüsterte etwas vor sich hin, was sie nicht verstand, und fragte: „Möchten Sie gar nicht hinsehen?“ Temari deutete ein Kopfschütteln an, doch ihre Lider gingen wie automatisch auf. Im ersten Augenblick fiel es ihr schwer, sich in den Graustufen des Bildschirms zurecht zu finden, dann beobachtete sie, wie die Ärztin die Fruchthöhle und das kleine unförmige Etwas darin vermaß. Anschließend wechselte die Einstellung. „Doch neugierig geworden?“, fragte sie und schenkte ihrer Patientin ein Lächeln. „Die Durchblutung ist in Ordnung und mal sehen, ob der Herzschlag schon sichtbar ist.“ Ein erneuter Wechsel und ein grüner Fleck erschien. Und er pulsierte. Temari starrte ihn an, wie er abwechselnd größer und kleiner wurde und nahm das „Sieht gut aus“ der Frau nur am Rande wahr. Jetzt hatte sie es nicht nur schwarz auf weiß, sondern in einem grellen Grünton. Ihr Herz zog sich zusammen und sie merkte, wie ihre Augen feucht wurden. Nicht vor Enttäuschung darüber, dass sie tatsächlich in einer schwierigen Situation steckte; nein, es war die Erleichterung, dass es sich nicht als Windei oder was auch immer herausgestellt hatte. Sie presste ihren Mund zusammen, um nicht lauthals loszuweinen. Ein paar stumme Tränen liefen über ihre Wangen. --- Auf dem Heimweg betrachtete sie immer wieder das Bild vom Ultraschall, das die Ärztin ihr zum Schluss mitgegeben hatte. In ihrem Kopf rumorte es von den verschiedensten Gedanken, die sie hatte. Es kam ihr unwirklich vor, nahezu absurd. Sie hatte einmal nach langer Zeit Sex gehabt und ausgerechnet an dem Tag hatte ihr Zyklus beschlossen, sich wieder einzuspielen und einen Volltreffer in Empfang zu nehmen. Bald hatte sie nicht nur ein Kind, sondern zwei, die völlig ungeplant und aus purer Dummheit entstanden waren. Klar, sie wusste nun, dass sie sich wirklich auf ihr Baby freute, aber die Unannehmlichkeiten, die ihr bevorstanden, ernüchterten sie. Als ob Kairi nicht schon reichte, nein, jetzt bekam sie noch ein zweites Kind von einem Mann, mit dem sie noch viel weniger eine Zukunft als mit Koutarou hatte. Wie sollte sie das den beiden später erklären? Vielleicht sollte sie ihren Kindern zuliebe in den sauren Apfel beißen und nach Konoha ziehen. Hier in Suna war sie mit der allgemeinen Situation nicht richtig glücklich, und dort … Im Feuerreich war sie ohne ihre Brüder und Matsuri noch weniger glücklich, aber wenigstens brauchte sie ihren Kindern gegenüber kein schlechtes Gewissen zu haben. Und ein weiterer Knackpunkt: Sie wusste nicht, ob sie überhaupt noch mit Shikamaru zusammen sein wollte. Ja, sie liebte ihn, aber dass er vor vier Wochen abgehauen und ihr nicht mal die Chance gegeben hatte, ihm zu erklären, warum sie nicht mit ihm mitgehen wollte – oder generell dieses Thema auszudiskutieren –, konnte sie ihm nur schwer verzeihen. Sie seufzte. Diese Entscheidung hatte noch ein wenig Zeit. Erst einmal stand etwas anderes auf dem Plan. Temari wurde etwas mulmig zumute. Gaara war nicht das Problem. Er mochte es, dass es seit der Geburt seiner Nichte in Haus so laut geworden war und es störte ihn sicher nicht, wenn noch ein kleines Mädchen oder ein kleiner Junge dazu kam und für Trubel sorgte. Nein, es ging um Kankurou. Er hatte ihr im vergangenen Jahr mit Kairi so viel abgenommen, sich ständig um sie gekümmert und sein eigenes Leben war dabei auf der Strecke geblieben. Wie in aller Welt sollte sie ihm erklären, dass sie von ihrem Exfreund, den er so sehr verabscheute, noch ein Kind erwartete? Kapitel 20: Nichts als Lügen ---------------------------- Kapitel 20: Nichts als Lügen Als Temari nach Hause kam, hockte Matsuri mit Kairi auf dem Fußboden im Wohnzimmer und stapelte Holzbausteine. Ihre Tochter vergaß das Spielen sofort, krabbelte auf sie zu und streckte die Arme aus. Sie hob sie hoch und drückte ihr einen Kuss auf. „Und wie sieht’s aus?“, fragte ihre Freundin neugierig. Sie zog das Bild aus ihrer Tasche und reichte es ihr. „Oh, shit!“, stieß sie aus. „Dann hat es sich nicht erledigt?!“ „Nein“, sagte sie, „ich konnte sogar seinen Herzschlag sehen.“ „Ach, du sch…“ Matsuri brach mit Blick auf Kairi ab und verbesserte: „Ich meinte, was für ein Mist!“ „Warum?“ „Warum nicht? Oder sag bloß, du bist auch noch glücklich darüber?“ „Glücklich nicht unbedingt, aber hey, es ist mein Kind und ich liebe es, auch wenn es noch nicht viel mehr als ein zusammen gewürfelter Zellhaufen ist.“ „Wirklich?“ „Wirklich.“ Temari ließ ihre Tochter auf der Couch herunter und setzte sich zu ihr. Sie zog sich an der Rückenlehne hoch und hangelte sich dort entlang. Nein, die Aussicht auf noch eins von der Sorte stimmte sie tatsächlich nicht unglücklich. „Wow, dass du das einfach so gelassen wegsteckst …“, bemerkte ihre Freundin. „Für mich wäre es eine halbe Apokalypse.“ „Der Weltuntergang war für mich der Moment, als der Vater meiner beiden Kinder abgehauen ist“, erwiderte sie gefasst. „Viel schlimmer kann es also nicht mehr werden.“ „Meinst du?“ „Der Worst-Case ist eingetreten, da er mich geschwängert hat. Was soll also noch kommen?“ Die Haustür ging auf. Am Gang der Person erkannte sie, dass es nur Kankurou sein konnte. Was für ein perfektes Timing. „Na, Schwesterherz“ – er blieb im Türrahmen stehen – „Was sagt der Arzt?“ Temari fing Matsuris entsetzten Blick auf, bewahrte aber im Gegensatz zu ihr die Fassung. „Nicht viel“, antwortete sie beiläufig. „Alles in Ordnung. Ich soll halt abwarten.“ Sie wusste, dass diese Ausrede es letztendlich nur schlimmer machte, aber im Augenblick hatte sie keine Wahl. „Und wie war dein erster Tag im Wachtdienst?“ „Du tust ja so, als hätte ich das noch nie gemacht“, sagte Kankurou belustigt. „Aber es ist ganz okay. Ach, und ich wurde diesmal Isamus Gruppe zugeteilt. Von daher sehe ich mal ein paar andere Gesichter.“ Temari spürte, wie ihr eine tonnenschwere Last vom Herzen fiel. Maki gehörte nicht in diese Gruppe und so lief er ihr höchstens zur Ablöse über den Weg. Das schloss zwar nichts hundertprozentig aus, aber es erleichterte sie ungemein. „Wie kommt’s?“, fragte sie, obwohl sie den Grund natürlich kannte. Sie hatte Baki, der für Gaara gelegentlich als Berater tätig war, unter einem Vorwand darum gebeten. Und das Gute daran war, dass ihr ehemaliger Lehrmeister nicht nach dem Grund gefragt hatte. Das tat er nie. „Keine Ahnung. Ist mir auch wurscht.“ Kankurou ließ sich auf den freien Sessel fallen. „Ätzend nur, dass uns in zwei Wochen wieder für’n Monat die Nachtschicht zufällt.“ „Tja, da musst du durch“, kommentierte Temari gleichmütig, obwohl ihr der Gedanke nicht sonderlich gefiel, dass sie ihn dann jeden Tag so viele Stunden um sich hatte. Aber das war immer noch besser, als wenn sich Maki bei einem Kaffeekränzchen – etwas anderes machten die Wachen meist nicht – verplapperte. „Ach, ich hab übrigens das Gefühl, dass Manabu auf dich steht.“ Ein breites Grinsen erschien auf seinen Lippen. „Er hat mich heute dreimal gefragt, wie es dir geht.“ „Manabu?“ „Dieser große, blonde, muskulöse Kerl mit dem markanten Kinn, der ständig ’ne Sonnenbrille trägt.“ „Aha“, gab sie zurück. „Und?“ „Da du Koutarou abgeschossen hast, könntest du dich mal mit ihm treffen.“ Ihr Bruder zwinkerte ihr eindeutig zu. Temari juckte es in den Fingern, ihm eine zu scheuern. Doch in ihrer Lage war es besser, wenn sie die Ruhe bewahrte, bevor er noch Verdacht schöpfte. Wenn ihr Bauch wuchs, verdächtigte er sie noch früh genug. „Nein, danke“, erwiderte sie. „Mit dem Thema Mann bin ich erstmal durch. Letztendlich geht’s euch doch eh nur ums Vögeln.“ Der letzte Satz hallte in ihrem Kopf wider. Scheiße, wenn es Shikamaru auch nur darum gegangen war, warum hatte er sich die Mühe gemacht und war extra hergekommen, anstatt sich vor Ort eine Doofe dafür zu suchen? Für ein bisschen Sex war der Aufwand eindeutig zu hoch gewesen. Oder er war tatsächlich mit dem Vorsatz aufgetaucht, Kairi zu sehen, und das andere war einfach ein netter Nebeneffekt gewesen. Je länger sie darüber nachdachte, desto weniger Sinn machte es. „So was nennt man Bedürfnisse“, sagte Kankurou. „Und um mal Koutarou als Beispiel zu nehmen: Es ist nur natürlich, dass man nach gefühlten tausend Dates auch mal zur Sache kommen möchte. Und ich hab nicht behauptet, dass Manabu mit dir ins Bett will – zumindest nicht gleich. Er scheint mir ein anständiger Kerl zu sein. Oder, Matsuri?“ Die Angesprochene zuckte überrascht über die Frage zusammen. „Wenn das eine Anspielung auf die lange Liste meiner Lover sein soll“ – sie seufzte und rollte genervt die Augen – „Nein, der Kerl steht nicht drauf.“ „Siehst du, Schwesterlein“ – er klatschte in die Hände – „du kannst dich also beruhigt mit ihm treffen.“ „Ich sagte nein“, wiederholte Temari ihre Aussage. „Ich hab erstmal eine Weile genug von Männern.“ „Vor drei Monaten wolltest du auch nicht und was ist passiert? Du hast Koutarou kennengelernt!“ „Und das hat sich als riesiger Fehler herausgestellt“, sagte sie. „Also lass mich damit in Ruhe. Ich will keinen Mann, ich brauche keinen Mann und ich komme großartig alleine zurecht.“ Lügen, nichts als Lügen. Sie wollte nicht auf Dauer alleinerziehende Mutter sein, aber der Mann, den sie wollte und brauchte, hatte sie im Stich gelassen und eine neue Beziehung mit einem anderen kam auf gar keinen Fall in Frage. Vor allem nicht, da sie nun sein zweites Kind erwartete und nach dessen Geburt sie wahrscheinlich genauso wenig alleine zurecht kam wie nach der von Kairi damals. Kankurou warf Matsuri einen vorwurfsvollen Blick zu. „Sag doch auch mal was!“, forderte er sie auf. „Sie zu verkuppeln war auch deine Idee!“ „Im Gegensatz zum vorigem Mal hat sie jetzt erst seit Kurzem eine Beziehung hinter sich“, erwiderte sie ruhig. „Also lass ihr Zeit.“ Er zog skeptisch die Augenbrauen zusammen, murmelte ein „Weiber!“ und verließ das Wohnzimmer. „Er wird sich freuen, wenn du ihm die Neuigkeit verklickerst“, sagte Matsuri. Temari legte ihre Hand auf ihren noch flachen Bauch. „Und wie“, entgegnete sie sarkastisch. „Warum hast du es ihm nicht gleich gesagt?“ „Soll das ein Witz sein? Er wird völlig ausrasten, wenn ich es ihm erzähle.“ „Dann sag ihm halt nicht, von wem das Kind ist“, schlug sie vor. „Und du glaubst ernsthaft, dass er sich damit zufrieden geben würde? Er wird mich so lange löchern, bis ich mit der Sprache rausrücke.“ „Dann ist es halt bei ’nem One-Night-Stand passiert und du weißt den Namen von dem Kerl nicht mehr.“ „Wäre ich du, würde das wahrscheinlich funktionieren“, sagte Temari beherrscht, „aber da ich nicht so bin, ist es mehr als unglaubwürdig.“ Ihre Freundin lenkte ihren Blick auf Kairi und sie bereute, was sie gesagt hatte. „Entschuldige“, setzte sie nach, „das klang wohl sehr viel persönlicher, als ich es gemeint habe.“ „Schon okay.“ – Matsuris Grinsen wirkte so aufgesetzt, dass sie es ihr nicht einmal im Ansatz abnahm – „Ich mach mir nichts aus den Kommentaren anderer.“ „Aber aus meinen“, legte sie fest. „Mach dir darum mal keinen Kopf.“ Sie winkte ab. „Du bist durcheinander und da muss ich nachsichtig mit dir sein. Hab’s auch schon vergessen!“ Das bezweifelte Temari stark, aber da sie die Zeit nicht zurückdrehen und ihre Worte unausgesprochen lassen konnte, beließ sie es dabei. Die Zeit zurückdrehen … Wenn das möglich wäre, würde sie sich dann an dem Abend vor fünf Wochen davon abhalten, mit ihrem Ex zu schlafen? Ihre Finger fuhren zu der Stelle, an der sich ungefähr das kleine Würmchen befinden musste. Nein, wenn die Option bestünde, würde sie keinen Gebrauch davon machen. Matsuri wedelte mit einer Hand vor ihrem Gesicht herum. „Ich hab doch gesagt, dass es okay ist“, sagte sie. „Oder woran denkst du gerade?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nichts weiter.“ Temari kitzelte Kairi im Nacken, das Mädchen kicherte und warf sich ihr dann um den Hals. Sanft strich sie ihr übers Haar. Ihre Freundin seufzte. „Du siehst auf einmal so zufrieden aus.“ „Zufrieden?“, wiederholte sie und lächelte. „Das sind nur die Hormone.“ Es war einfach, diesen teuflischen Biestern die Schuld zu geben, auch wenn es nicht ganz der Wahrheit entsprach. Denn obwohl ihr Leben in den nächsten Wochen kompliziert wurde: Sie wollte es so. Unbedingt. --- Missmutig betrachtete Temari ihre Haarbürste. Sie hatte erst vor zwei Tagen ein Büschel daraus entfernt und heute hatten sich schon wieder so viele Haare wie sonst nach zwei Wochen darin angesammelt. Sie zog das Gröbste heraus und beförderte es in den Kosmetikeimer, der auf dem Boden unter dem Waschbecken stand. Dann griff sie nach ihrer Zahnbürste. Die Borsten waren schon ausgefranst, doch das wunderte sie nicht, so oft wie sie sie in der letzten Zeit benutzte. Sie schraubte eine neue Tube Zahnpasta auf und musterte sie argwöhnisch. Es war die dritte Sorte, die sie in dieser Woche ausprobierte, und sie bezweifelte, dass es etwas an dem unangenehmen Nebeneffekt änderte, der sie abends vor dem Schlafengehen heimsuchte. Temari trug sie auf, schloss die Augen und – Nichts passierte. Sie jubelte innerlich. Endlich konnte sie wieder ihre Zähne putzen, ohne mindestens drei Anläufe zu benötigen. Sie fuhr mit der abendlichen Routine fort und gerade als ihre Euphorie verebbte, kam es wieder: Das widerwärtige, drückende Gefühl in ihrem Magen. In wenigen Sekunden überkam sie eine solche Übelkeit, die jede Lebensmittelvergiftung im Vergleich zu einem lächerlichen Zipperlein machte. Sie stürzte zur Toilette und verabschiedete sich von der halben Scheibe Toast, die ihr Abendbrot gewesen war und in einem zweiten Schwall von einer Menge Galle. Fluchend sank sie auf den Boden. Warum konnte es nicht so einfach sein wie damals, als sie mit Kairi schwanger gewesen war? Strahlende Haut, volle Haare, ein guter Appetit … und jetzt? Ihre Haare fielen aus und am Abend kotzte sie sich die Seele aus dem Leib, obwohl sie fast nichts aß. Diese Schwangerschaft entwickelte sich für sie zur Tortur. Na ja, vielleicht hatte sie es nicht anders verdient. Sie war so dumm gewesen es mehrmals ohne Verhütung mit ihrem Ex zu treiben und das waren nun die Konsequenzen daraus. Sie richtete sich auf und ging zum Waschbecken zurück. Sie startete einen zweiten Versuch, ihre Zähne zu putzen, und diesmal lief es glatt. Schlecht war ihr immer noch, aber die Tatsache, dass ihr Magen leer war, bewahrte sie vor einem weiteren Brechreiz. Es klopfte an der Tür. „Temari“, hörte sie Kankurou ungeduldig sagen, „wie lange brauchst du denn noch? Meine Schicht beginnt in einer halben Stunde!“ „Bin sofort fertig“, rief sie zurück. Sie spülte sich den Mund aus und wusch sich die Hände. Ein letzter Blick in den Spiegel und ihr bleiches Gesicht ernüchterte sie. Wenn das noch Tage so weiterging – und daran hatte sie keine Zweifel – wurde das Misstrauen ihres Bruders eher geweckt, als ihr lieb war. Sie löste die Verriegelung und drückte die Klinke herunter. „Was machst du da drinnen eigentlich?“ Kankurou musterte sie mit einer gehörigen Portion Skeptik. „Du schließt dich sonst nie ein.“ „Ja, ’tschuldige, dass ich auch mal ein bisschen Privatsphäre auf dem Klo haben möchte“, erwiderte sie ironisch. Er ignorierte ihre Bemerkung und fragte: „Hast du dich eben übergeben?“ „Ja, und? Musstest du dich das noch nie?“ Sie spürte, wie er ihr eine Hand auf die Schulter legte. „Du siehst krank aus“, meinte er besorgt. „Versprich mir, dass du morgen früh gleich zum Arzt gehst.“ Innerlich atmete sie auf. Er schien wirklich nicht den Hauch einer Ahnung zu haben. Noch. „Okay“, sagte sie in dem Wissen, dass sie es nicht tun würde. „Dann gute Nacht.“ „Sehr witzig.“ Kankurou verzog das Gesicht und grinste im Anschluss. „Schlaf dich aus.“ „Mal sehen, ob Kairi mich lässt“, erwiderte Temari und wandte sich ab. „Viel Spaß bei der Nachtschicht!“ Als sie ging, gesellte sich zu der Übelkeit ein allgemeines Unwohlsein. Es gefiel ihr nicht, dass sie so unehrlich zu ihm war, obwohl sie ihm mit Kairi so viel verdankte. Nein, anstatt ihm die Fakten zu präsentieren, machte sie es mit jeder Lüge noch schlimmer. Lügen … Bis jetzt hatten sie ihr nur Unglück gebracht. Warum sollte das in diesem Fall anders sein? Kapitel 21: Weil es das Beste ist --------------------------------- Kapitel 21: Weil es das Beste ist Zu Temaris Überraschung lief es besser als gedacht. Sehr viel besser. Zumindest, was Kankurou betraf. Die Übelkeit wurde von Tag zu Tag schlimmer und es wurde immer schwieriger für sie, sich nicht anmerken zu lassen, wie es ihr ging. Sie hatte sich angewöhnt, nach einer Spatzenmahlzeit zum Mittag nichts mehr zu essen, bis ihr Bruder das Haus verließ und die drei Stunden, die sie bis dahin am liebsten nur auf dem Klo verbracht hätte, überbrückte sie, indem sie sich ablenkte. Sie beschäftigte sich unablässig mit Kairi, die manchmal schon keine Lust mehr auf die Gesellschaft ihrer Mutter hatte, und lieber alleine gespielt hätte, wie ihr schien. Und wenn ihre Tochter im Bett war, vertrieb sie sich die Zeit mit einem Hobby, das sie seit Kairis Geburt vernachlässigt hatte. Matsuri zuckte zusammen. „Meinst du nicht, dass diese Art Spiel eher das Falsche ist, wenn man schwanger ist?“, fragte sie. „Wieso?“ Temari betätigte ein paar Mal die rechte Schultertaste ihres Controllers und schickte den Untoten, der sie auf dem Bildschirm bedrohte, damit in die ewigen Jagdgründe zurück. „Meinst du, ich hab Angst vor ein paar digitalen Zombies?“ „Nein, aber“ – sie erschreckte sich wieder, als ein widerlich fleischiger Hund durch eine Fensterscheibe brach – „Gott, diese Schreckmomente … Rutscht dir da dein Herz nicht ein paar Etagen tiefer?“ Sie erledigte das Vieh und wechselte das Areal. Die Ladeanimation einer Tür erschien, die Matsuris Anspannung noch verstärkte. Welcher normale Mensch tat sich freiwillig Horrorgames mit Jumpscares an, wenn er ein Kind erwartete? „Nicht im Geringsten“, antwortete Temari. „Der Horror, der auf die Psyche geht, ist schlimm, aber das hier ist Kindergarten dagegen.“ „Kindergarten? Bist du denn überhaupt nicht angespannt.“ „Doch, ein bisschen …“ Diesmal wankten zwei Zombies auf ihren Charakter zu, aber das beeindruckte sie nicht. Ein paar Schüsse und die Probleme waren gelöst. „Du hast echt ’nen Knall!“, erwiderte ihre Freundin. „Machst du dir denn keine Sorgen, dass deine Aufregung auf dein Kind übergeht?“ Sie drückte die Pause-Taste und schaute Matsuri genervt an. „Als ich mit Kairi schwanger war, hab ich ganz andere Sachen gespielt, und sie ist auch normal geblieben. Also nein.“ „Stellst du gerade wirklich kitschige Rollenspiele mit Horror auf eine Stufe?“, fragte sie kritisch. „Das eine ist überzuckert und harmlos, das andere ist verantwortungslos. In einer Schwangerschaft zumindest.“ Temari verzog das Gesicht und biss sich auf die Unterlippe. Gut, vielleicht war es ein wenig fragwürdig, was sie machte, aber … Sie stand auf und eilte aus dem Zimmer. --- „Wenn ich gewusst hätte, was mein Einspruch bei dir auslöst, hätte ich die Klappe gehalten“, sagte Matsuri und schenkte ihr ein mitfühlendes Lächeln. Sie schüttelte den Kopf und setzte sich zurück auf die Couch. „Übergeben hätte ich mich heute sowieso irgendwann, also was soll’s.“ „Ist es immer noch so schlimm? Hast du deine Frauenärztin mal gefragt, woran es liegen könnte?“ „Es ist ganz normale Schwangerschaftsübelkeit“, entgegnete Temari. „Solange ich mir nicht an mehreren Tagen hintereinander die Seele aus dem Leib kotze, wird nichts gemacht.“ Ihre Freundin zog die Stirn kraus. „Hast du deine Seele nicht schon längst mit der Klospülung in den Untergrund geschickt?“ „Anscheinend nicht. Drei- bis fünfmal übergeben am Tag und stetiges Abnehmen ist wohl nicht genug.“ „Du nimmst ab?“ „Zwei Kilo in den letzten drei Wochen“, antwortete sie mit einem Schulterzucken. Sie legte ihre Hand auf ihren Bauch und bewegte die Finger in sanften Kreisen. „Klar, ich würde gerne wieder etwas Vernünftiges essen, aber wenigstens bedeutet das, dass die Schwangerschaft stabil ist.“ Matsuri sah sie in einer Mischung aus Unverständnis und Bewunderung an. „Du möchtest dieses Kind wohl unbedingt, wenn du deiner Quälerei, die du gerade durchmachst, auch noch etwas Gutes abgewinnen kannst, was?“ Temaris Mund zuckte zu einem Lächeln. „Kann man so sagen.“ „Wow, du musst wirklich ’nen Knall haben.“ Ihre Freundin seufzte. „Warum?“ „Andere Möglichkeiten gibt es gar nicht, wenn du dich so sehr auf das Baby von deinem Exfreund, der dich ausgenutzt und verlassen hat, freust.“ „Dafür kann das Kleine nichts, oder?“, bemerkte sie tonlos. Matsuri zuckte die Achseln, doch sie fragte nicht weiter nach. „Hab ich eigentlich einen Knick in der Optik oder ist das da etwa schon ein kleines Bäuchlein?“ Temari hob ihr Top an und schaute an sich herunter. Ihr Bauch war tatsächlich nicht mehr ganz flach. „Sieht wohl so aus.“ Ihre Freundin zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Wie kann das denn sein, wenn du gerade mal in der elften Woche bist?“, fragte sie. „Ich dachte, man legt erst ab dem zweiten Drittel am Umfang zu.“ „Das ist ja nur ein Richtwert“, erwiderte sie. „Mir kommt es trotzdem etwas zeitig vor. Wenn du jetzt schon einen Bauch wie am Ende des vierten Monats hast, möchte ich gar nicht wissen, wie du in ein paar Wochen aussehen wirst.“ Das wollte sie auch nicht wissen. Nicht, solange sie es Kankurou noch nicht gesagt hatte. „Keine Schwangerschaft ist wie eine andere“, gab Temari zurück. „Als ich damals mit Kairi schwanger war, hat man ewig nichts gesehen. Zuletzt war ich in Konoha, als ich in der achtzehnten Woche war, und niemandem ist etwas aufgefallen. Und jetzt ist es eben anders.“ „Oder du bekommst Zwillinge“, flachste Matsuri. „Zum Glück bleibt mir wenigstens das erspart“, sagte sie amüsiert. „Aber selbst wenn es so wäre, könnte ich auch nichts dran ändern.“ „Du meinst, du würdest nichts dran ändern.“ „Auf keinen Fall.“ Ihre Freundin seufzte. „Du benimmst dich wirklich erwachsen“, meinte sie. „Ich könnte das nicht, wenn ich in deiner Lage wäre.“ Temari grinste. „Gibst du mir das auch schriftlich?“ „Nur wenn du aufhörst, so einen gruseligen Trash zu spielen.“ „Vergiss es!“ Sie angelte sich den Controller vom Couchtisch und machte sich wieder ans fröhliche Gruseln. Matsuri schaute ihr noch einen Moment dabei zu – es war ihr schleierhaft, warum eine Schwangere ausgerechnet zu solchen Mitteln griff, um sich abzulenken –, dann sagte sie: „Jetzt sind es noch eineinhalb Wochen.“ Da sie als Antwort sie nur ein konzentriertes „Hm?“ bekam, ergänzte sie: „Dann hast du die dreizehnte Woche erreicht.“ Temari hielt inne, sagte aber nichts. „Weißt du schon, was du tun möchtest?“ Sie biss sich auf die Unterlippe und starrte weiter auf den Bildschirm. Der Charakter in dem Spiel betrat einen neuen Raum und wie er stand sie vor einem Rätsel. „Nein“, antwortete sie schließlich. „Darüber denke ich nach, wenn es so weit ist.“ „Sagtest du nicht, dass die Schwangerschaft stabil ist?“, hakte Matsuri weiter. „Macht es dann überhaupt Sinn, dass du eine so wichtige Entscheidung noch weiter hinauszögerst?“ „Ich erzähl es Kankurou, wenn sich die Gelegenheit –“ „Ich rede nicht von deinem Bruder“, unterbrach ihre Freundin sie, „und das weißt du auch.“ „Und du weißt, dass ich schon vor Wochen beschlossen habe, dass ich es ihm nicht mitteilen werde“, entgegnete Temari bissig. „Punkt. Ende. Aus.“ „Willst du wirklich denselben Fehler wie bei Kairi machen?“ „Mein Fehler war doch, dass ich ihm geschrieben habe“, sagte sie. „Das passiert mir nicht noch einmal.“ „Aber –“ Sie warf das Pad neben sich und vergrub ihre Finger in die Sitzfläche. „Es ist für alle besser, wenn er es nicht weiß.“ Ihre Stimme zitterte, als sie es sagte. „Für mich, für Kairi und auch für das Kleine.“ Sie hörte ein erneutes Seufzen von ihrer besten Freundin, dann … „Du meinst wohl eher, dass es für dich besser ist.“ Temari legte ihre Hand auf ihren Bauch und presste die Lippen aufeinander. „Ich kann es voll und ganz verstehen, dass du das Kapitel abhaken möchtest“, fuhr Matsuri fort. „Er hat Kairi gesehen, dir das Blaue vom Himmel herab gelogen und sich verpisst. So weit, so gut. Unter dem Aspekt kannst du Shikamaru wirklich vergessen.“ „Das sag ich doch die ganze Zeit! Aber wie –“ „Ich bin noch nicht fertig“, unterbrach sie sie. „Da du dich wieder von ihm schwängern lassen hast, ist es eben nicht so einfach.“ „Aber –“ Ihre Freundin schüttelte den Kopf und ihr Widerspruch verstummte. „Denk mal nur an das zweite Kind, das nun unterwegs ist. Was willst du ihm sagen, wenn es nach seinem Vater fragt? Sorry, der Idiot weiß nicht mal, dass du existierst?! Gut, sein Erzeuger hat es vielleicht wirklich nicht anders verdient, aber findest du das deinem Kind gegenüber nicht unfair?“ „Kein Kind braucht einen Vater, der sich nicht um es kümmert, geschweige denn sich nicht mal für es interessiert“, legte Temari in bitterem Tonfall fest. Matsuri stimmte ihr zwar zu, doch … „Wie soll er sich dafür interessieren, wenn er es nicht einmal weiß?“, fragte sie. Ihre linke Hand bohrte sich tiefer in die Couch und begann zu zittern. „Ich hab’s doch bei Kairi gesehen“, erwiderte sie. „Glaubst du, dass er sich diesmal anders verhalten wird?“ „Wahrscheinlich nicht“, sagte ihre Freundin, „aber wenigstens musst du dann kein schlechtes Gewissen haben.“ Zum Trost legte sie Temari eine Hand auf die Schulter. --- Unruhig drehte sie sich auf die Seite. Dank Matsuris Moralpredigt, die sie ihr am Vorabend gehalten hatte, hatte sie die Nacht kaum ein Auge zu bekommen und Stunde um Stunde mit Grübeln, das sich mit erschöpftem Dösen und Gewissensbissen abgewechselt hatte, verbracht. Sie fühlte sich furchtbar. In jeder Hinsicht. Gegen halb sechs stand Temari aus dem Bett auf und flüchtete sich ins Bad unter die Dusche. Danach lauschte sie den leisen Atemzügen ihrer Tochter, die gelegentlich durch das Babyfon drangen, und kämmte sich die Haare. Der Haarausfall schien langsam nachzulassen und das beruhigte sie ein wenig. Ihr Rock spannte unangenehm am Bauch und so tauschte sie ihn gegen einen mit Gummizug aus. Entmutigt betrachtete sie sich im Spiegel. Lange konnte sie dieses Versteckspiel nicht mehr durchziehen, ohne sich verdächtig zu machen. Sie ging ins Wohnzimmer. Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee erfüllte den Raum. Ein Geruch, den sie bis vor einigen Wochen sehr gemocht hatte und der nun nur noch ein buntes Treiben in ihrer Magengegend auslöste. Sie beschloss, nicht weiter daran zu denken, in der Hoffnung, dass dieses Gefühl wieder dorthin verschwand, wo es hergekommen war, und betrat die Küche. Gaara saß auf einem Hocker und studierte die Morgenzeitung. Er blickte seine Schwester über den Rand an und an der Art, wie er seine Augenpartie verzog, erkannte sie, dass er gerade lächelte. „Wieder so früh wach?“ „Die Nacht war so richtig scheiße“, erwiderte Temari und gähnte. „So wenig geschlafen hab ich seit Kairis Schreiphase nicht mehr.“ „Wie kommt’s?“ „Das wüsste ich auch gerne.“ Sie fischte sich eine der Reiswaffeln, die ihre Tochter so gerne mochte, aus der Verpackung und setzte sich. „Auch einen Kaffee?“, fragte ihr Bruder beiläufig. „Oder was du dir da auch immer mit Milch zusammenmischst?“ Sie war so müde und fertig, dass sie sich nichts Besseres als eine Tasse von dem Gebräu, das Gaara Kaffee schimpfte, vorstellen konnte, aber … „Nein, danke“, sagte sie, „ich glaube nicht, dass das momentan das Richtige für mich ist.“ Er faltete die Zeitung zusammen und legte sie auf den Tisch. „Ist es noch die Lebensmittelvergiftung von letzter Woche?“, fragte er. Temari musterte ihn. Er schien aufrichtig besorgt zu sein und das passte ihr nicht. Absolut nicht. Und vielleicht war es nicht so verkehrt, wenn sie zur Abwechslung mal mit jemand anderem als mit Matsuri sprach. „Nein“, antwortete sie und ihre Hand unter dem Tisch glitt intuitiv zu ihrem Bauch. „Ich hatte keine Lebensmittelvergiftung. Das hab ich euch nur erzählt, damit ihr euch keine Sorgen um mich macht.“ Der brauenlose Bereich über Gaaras Augen wanderte ein Stück nach oben. „Nicht?“ „Nein, mir ging und geht es bestens – na ja, mit ein paar Abstrichen vielleicht.“ Ihr Bruder schaute sie nur noch argwöhnischer an. „Und das heißt?“, hakte er nach. Sie dachte noch einen kurzen Moment darüber nach, ob sie es ihm wirklich erzählen sollte, aber da er weder eine Plaudertasche noch eine übertriebene Mordlust auf ihren Exfreund verspürte, war sie bei ihm wohl auf der sicheren Seite. „Du bekommst noch eine Nichte“, sagte sie, „oder einen Neffen.“ Gaaras Miene entspannte sich. „Wirklich?“ „Ziemlich sicher ist es rechnerisch zwar erst in neun Tagen, aber ja, ich bekomme noch ein Baby.“ Ein ehrliches Lächeln breitete sich auf dem Gesicht ihres Bruders aus und das brachte eine gewisse Erleichterung mit sich. Den schwierigeren Teil hatte sie zwar nicht vor sich, aber es war nicht schlecht, dass sie nun zumindest einem ihrer beiden Geschwister nichts mehr vormachen musste. „Aber bitte kein Wort zu Kankurou“, setzte Temari nach. „Ich möchte es ihm lieber selbst sagen.“ „Das dachte ich mir schon“, erwiderte Gaara. „Mein Mund ist versiegelt.“ Sie lächelte ihm zu und biss ein Stück von der Reiswaffel ab. Sie schmeckte ziemlich fad und sie fragte sich, wie Kairi von dem Zeug so viel am Tag essen konnte. Sie platzierte sie vor sich auf dem Tisch und bemerkte, dass ihr Bruder sie immer noch ansah – oder wieder, da war sie sich nicht sicher. „Vielleicht täusche ich mich“, begann er, „aber du hast doch schon seit einigen Wochen keinen Freund mehr, oder?“ Temari zog die Augenbrauen zusammen. „Nein“, antwortete sie. „Das Kind ist nicht von Koutarou, falls du das meinst.“ „Darauf wollte ich gar nicht anspielen.“ Gaara legte eine Pause ein und nahm einen Schluck seiner teuflischen Brühe. „Und von wem ist es?“ „Ist das denn wichtig?“, entgegnete sie. „Nicht für mich.“ Seine Schwester lachte auf. „Siehst du!“ „Aber es interessiert mich trotzdem.“ Ihre gute Laune bekam einen Dämpfer. Es wunderte sie, dass er daran ein solches Interesse hatte, wenn es für ihn keine Rolle spielte. Sie überlegte sich ein paar Ausreden, mit denen sie seine Frage umschiffen konnte, aber … Machte es denn Sinn, wenn sie ihn anlog? Sie musterte ihn kurz und beschloss, dass es sich nicht lohnte, ihm eine Lüge zu präsentieren. „Versprichst du mir wenigstens, dass du nicht jede kleine Info wie Matsuri aus mir herauspresst?“, fragte sie. Gaara antwortete mit einem Nicken. Es war nicht seine Art, unangenehme Fragen zu stellen, die ihn nichts angingen. Temari atmete kurz durch und sagte: „Als du vor zwei Monaten deinen Kurzurlaub gemacht hast, war Kairis Vater hier. Es ist von ihm.“ Der Bereich über seinen Augen zuckte vor Überraschung, dann sagte er: „Verstehe. Deshalb soll ich Kankurou auch nichts sagen, oder?“ Diesmal war sie diejenige, die nickte. „Zumindest wäre es besser, wenn er erstmal nicht erfährt, wer der Vater ist.“ Sie lenkte ihren Blick auf die angeknabberte Reiswaffel. Was machte sie sich da vor? Vielleicht dauerte es eine Weile, bis er dahinter kam, aber er fand es auf jeden Fall heraus. Und dann? Dieses Szenario machte ihr Angst. Kapitel 22: Vergessen --------------------- Kapitel 22: Vergessen Kairi rupfte ein Büschel Gras aus dem Boden und steckte es sich in den Mund. Temari beugte sich zu ihr herunter, fischte es wieder heraus und ihre Tochter schaute sie vorwurfsvoll an. „Guck mich nicht so an“, sagte sie. „Das Zeug schmeckt nicht mal.“ Eine Wutfalte erschien auf Kairis Stirn, dann wandte sie sich ab und warf wahllos Sand um sich. Ihre Mutter war froh, dass keine anderen Kinder in der Nähe waren und setzte sich zurück auf die Bank. Sie betrachtete die Grashalme in ihrer Hand. Sie hatten einen ungesunden Gelbstich. Wie fast alle Pflanzen, die in den letzten Wochen durch den Regenschauer gewachsen waren. Vieles war auch schon vertrocknet und es dauerte nicht mehr lange, bis die erbarmungslose Sonne die Reste verbrannt und die Wüste auch die kleinsten Partikel wieder zu sich genommen hatte. Der Zeitpunkt, ab dem die Eindrücke von dem Grün nach und nach verschwanden und die Erinnerungen daran allmählich verblassten. Erinnerungen, die verblassten … Das taten sie wirklich. Tatsächlich dachte sie kaum noch an das, was vor zwei Monaten passiert war. Vielleicht hätte sie es sogar ganz vergessen oder zumindest in die hinterste Ecke ihres Gedächtnisses verbannt, wenn sie nicht schwanger geworden wäre. Doch es war unsinnig, weiter darüber nachzudenken. Temari ließ das Gras fallen und lehnte sich zurück. Sie fühlte sich überflüssig. Kairi beschäftigte sich allein mit den Sandformen, die sie mitgebracht hatten, und das gab ihr das Gefühl, dass sie nicht gebraucht wurde. Im Moment jedenfalls. Sie strich über die leichte Rundung ihres Bauches. Nun waren es noch sechs Tage, bis sie ein Häkchen hinter die Dreizehn setzen konnte, doch alles in allem war sie in der einen Frage kein Stück weiter gekommen. Matsuris Argumente gingen ihr durch den Kopf und egal, wie sie es drehte, sie musste ihr Recht geben. Leider. Es war egoistisch, wenn sie ihn nicht darüber in Kenntnis setzte. Was Shikamaru mit der Neuigkeit anfing, war seine Sache. Es ging einzig und allein darum, dass sie ihrem zweiten Kind nicht von vornherein die Chance nahm, dass es seinen Vater doch irgendwann kennenlernte. Trotzdem wusste sie eines: Sie wollte ihm keinen Brief schreiben. Nicht heute, nicht nächste Woche, nicht in einem Monat und erst recht nicht, wenn das Baby auf der Welt war. Aber sie musste. Für das Kleine. Und ihr reines Gewissen. --- Verschlafen und mit Schlafanzug bekleidet tapste Kankurou ins Wohnzimmer. „Ich hasse diese Nachtschichten“, murmelte er. „Warum denn?“, fragte Temari. „Ist es dir etwa zu langweilig, wenn du die ganze Nacht lang nur Karten spielst und hirnrissige Männergespräche führst?“ „Nee“, sagte er, „das Team ist schon in Ordnung. Aber es nervt, wenn man auf seine Lieblingsserie verzichten muss.“ „Mir hätte klar sein müssen, dass es nur darum geht“, bemerkte sie mit einem Schmunzeln. „Diese Woche noch, dann hast du es ja überstanden.“ „Trotzdem … Ausgerechnet Donnerstag werden zwei neue Folgen ausgestrahlt. Das ist doch nicht gerecht!“ „Nimmt Matsuri sie dir nicht auf?“ „Schon“, sagte er, „aber das ist doch nicht dasselbe.“ „Mich würde es nicht stören, wenn ich es ein bisschen später gucken muss und dafür dann die Werbung wegspulen kann.“ „Du hast ja auch keine Lieblingsserie. Und in deinen tollen Games gibt es keine Werbepause“, bemerkte er und runzelte die Stirn. „Wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen, wieder damit anzufangen?“ Seine Schwester zuckte die Achseln. „Aus Langeweile?“ „Wie kann dir mit Kleinkind denn langweilig sein?“ „Das Haus halte ich in Ordnung, wenn Kairi wach ist und wenn sie schläft, muss ich mir irgendwie die Zeit vertreiben“, erwiderte sie. „Und da ich momentan keine Lust habe, Romane zu lesen … Na ja.“ Kankurou seufzte. „Na, wenn’s dich glücklich macht …“ Er nahm die Hülle des Spiels in die Hand und musterte sie skeptisch. „Aber mal ehrlich: Warum spielst du so einen Trash?“ „Nostalgie“, sagte Temari. „Und so übel ist es auch wieder nicht.“ Ihr Bruder warf ihr einen Blick zu. Und er fragte förmlich, ob sie eine totale Geschmacksverirrung hatte. „Also bitte … Allein die Zwischensequenzen sind so schlecht inszeniert, dass man die Geschichte überhaupt nicht ernst nehmen kann.“ Sie grinste. „Genau das macht ja gerade den Charme aus.“ Er schüttelte den Kopf, murmelte ein „Na, wenn’s dir Spaß macht“ und ließ sich auf die Couch fallen. „Manabu hat übrigens wieder nach dir gefragt“, meinte er. „Nett“, antwortete sie tonlos. „Finde ich auch“ – Kankurou schaute seiner Schwester direkt in die Augen – „Im Ernst: Er ist wirklich ein toller Typ und scheint echt scharf auf dich zu sein, wenn ihn die Tatsache, dass du ein Kind hast, nicht abschreckt.“ Großartig, jetzt fing er wieder damit an … „Wenn du ihn so toll findest“, erwiderte seine Schwester, „kannst du dich ja zu einem Date mit ihm verabreden.“ „Jetzt geb dir doch ’nen Ruck! Du hast Anfang Mai mit Koutarou Schluss gemacht und wir haben inzwischen Juli, der nebenbei bemerkt auch schon einige Tage auf dem Buckel hat.“ „Und? Ich hab keine Lust, irgendwelche Männer zu daten.“ „Und warum nicht?“, fragte er und zog eine Augenbraue hoch. „Sag bloß, du bist immer noch nicht drüber hinweg.“ Temari verzog eine genervte Miene, ging aber nicht weiter darauf ein. „Was ist eigentlich dein Problem?“, fuhr er fort. „Du bist diejenige, die die Beziehungen beendet, leidest aber letztendlich selbst am meisten darunter.“ „Ich hatte beide Male einen guten Grund, warum ich so gehandelt habe“, legte sie fest. „Außerdem trauere ich Koutarou überhaupt nicht nach.“ „Dann kapiere ich nicht, was dagegen spricht, dich einmal mit Manabu zu treffen.“ Ihr Herz setzte einen Moment aus, dann schlug es etwas schneller weiter und ein unangenehmes Kribbeln breitete sich in ihr aus. Ihr war bewusst, dass sie unter normalen Bedingungen wahrscheinlich nicht abgeneigt war, seinen Kollegen zu treffen. Doch die Umstände waren eben nicht normal. Sie war von ihren Ex schwanger, den sie zu allem Überfluss noch liebte, und in dem Szenario war für einen anderen Mann kein Platz. Damit machte sie niemandem glücklich und Unglück hatte sie schon genug verbreitet, da sie Koutarou ein Kunai ins Herz gerammt hatte, indem sie ihn betrogen und abserviert hatte. „Ich möchte einfach nicht“, entgegnete sie. „Akzeptiere das bitte.“ „Aber –“ Kankurou unterbrach sich selbst und gab einen Seufzer von sich. „Wie du meinst. Sag Bescheid, wenn du es dir anders überlegen solltest. Der Kerl scheint wirklich verknallt in dich zu sein.“ Sie lächelte kurz und nahm sich die Zeitung vom Tisch. Kairi hatte die Titelseite eingerissen – und mit ihr ein Gruppenfoto der Genin, die es in die Endrunde der Chuunin-Prüfung geschafft hatten, die in zwei Wochen stattfand. „Weißt du, ob Gaara dieses Mal nach Konoha reist?“, fragte sie. „Er würde gerne – wie jedes halbe Jahr –, aber da sich in letzter Zeit wieder so viel Papierkram angesammelt hat, wird er es wohl wieder nicht schaffen“, sagte er. „Warum fragst du?“ „Nur so.“ Er starrte sie an, dann erschien ein bedenkliches Grinsen in seinem Gesicht. „Versteh schon. Du würdest ihn wohl gerne bei deinem Ex mal vorbeischicken, damit er ihm ins Gewissen redet, was?“ „Wenn ich das wollen würde, würde ich dich zu ihm schicken“, erwiderte Temari, wobei sie sich darum bemühte, dass sie nicht zu interessiert klang. „Nein, es interessiert mich nicht im Geringsten, was er macht und warum er keine Lust hat, seine Tochter zu besuchen. Er ist mir total egal.“ „Sicher?“, fragte er. „Es ist nicht mal ein halbes Jahr her, dass du eurer Beziehung nachgeweint hast.“ Ein halbes Jahr? Schön wäre es, aber leider war das Thema dank seinem Besuch wieder aktuell. „Halt die Klappe!“, fuhr sie ihn an und bereute ihre Gedankenlosigkeit. „Sag mir jetzt nicht, dass du immer noch an ihm hängst und das der Grund ist, warum du dich so quer stellst.“ „Ich hänge nicht mehr an ihm. Absolut nicht“, beharrte sie. „Aber er ist immerhin Kairis Vater.“ „Den du seit eineinhalb Jahren nicht gesehen hast und den du vergessen kannst.“ Vergessen … Warum zum Teufel laberten alle um sie herum ständig vom Vergessen? Wie sollte sie ihn so schnell mit seinen Worten im Hinterkopf vergessen? Und wie zur Hölle sollte sie ihn vergessen, wenn sie noch ein Kind von ihm bekam? „Temari?“ Kankurou fuchtelte mit seiner Hand vor ihren Augen herum. „Alles okay“, sagte sie rasch. „Wenn du mal wieder dort sein solltest, mach mit ihm, was du willst. Ist mir schnurz.“ „Bist du dir sicher?“ „Ja“, erwiderte sie. „Da er seine Funktion als Vater ohnehin nicht erfüllt, kann es mir doch egal sein, was aus ihm wird.“ Gott, was redete sie da für einen Schwachsinn? Jetzt gab sie ihrem Bruder schon die Lizenz zum Töten und das außerhalb eines 007-Streifens mit Darstellern, von denen niemand ernsthaft zu Schaden kam. Doch wenn Kankurou damit anfing, seiner Wut und seinem Frust Ausdruck zu verleihen – und davon hatte sich seit der Geburt seiner Nichte eine ganze Menge angestaut –, bekam Shikamaru eine unschöne Reise ohne Rückfahrschein direkt in die Hölle – oder ins Jenseits. Er hatte sie zwar verarscht, aber sie bezweifelte, dass das allein ausreichte, um im Fegefeuer zu landen. Das hieß, wenn es diesen ganzen Leben-nach-dem-Tod-Kram überhaupt gab. „Du träumst schon wieder!“, riss Kankurous Stimme sie aus ihren Gedanken. „Was ist denn heute mit dir los?“ „Nichts.“ Sie schüttelte den Kopf. „Gar nichts.“ Er platzierte seine Hände auf ihren Schultern und sah sie ohne jeglichen Vorwurf an. „Doch, irgendwas ist nicht in Ordnung“, beharrte er. „Du bist in letzter Zeit so komisch nachdenklich und das gefällt mir nicht.“ „Vielleicht hab ich meine Midlife-Crisis um ein Jahrzehnt vorgezogen“, scherzte sie, „aber ansonsten geht’s mir gut.“ „Okay.“ Ihr Bruder seufzte und ließ wieder von ihr ab. „Aber du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst, oder?“ Genau das war die Ironie an der Sache: Ausgerechnet über dieses eine Thema konnte sie nicht offen mit ihm sprechen. Mit sarkastischen Kommentaren musste sie bei ihm immer rechnen, aber in diesem Punkt verstand er sicher keinen Spaß. Nicht mal im Ansatz. „Natürlich“, sagte sie und setzte ein Lächeln auf. „Wenn mir was Interessantes einfällt, erzähl ich es dir sofort.“ --- „Du treibst dich in letzter Zeit ziemlich oft hier herum.“ Temari hörte die Stimme ihrer besten Freundin hinter sich und drehte sich zu ihr um. „Kairi ist gerne hier und da ich sie nicht mehr stundenlang durch die Gegend tragen darf …“, erwiderte sie und wandte sich wieder ab. „Ich würde mir nur wünschen, dass hier mehr Kinder in ihrem Alter wären.“ Matsuri fläzte sich neben sie auf die Bank und sagte: „Sobald ihr Geschwisterchen alt genug ist, kann sie mit ihm spielen, so viel sie will.“ „Das ersetzt doch nicht alle sozialen Kontakte“, argumentierte sie. „Ehrlich, mich wundert es, dass sie anderen Kindern gegenüber so aufgeschlossen ist, wenn sich mal eins hierher verirrt. Sie hat sonst nur mit Erwachsenen zu tun.“ „Vielleicht hat sie sich das von mir abgeguckt?!“, flachste ihre Freundin. Temari lachte. „Solange es nur das ist: Von mir aus.“ Matsuri knuffte ihr sanft in die Seite. „Hast du dich inzwischen schon schriftstellerisch betätigt?“, fragte sie. „Ich hab dir doch gesagt, dass ich mindestens bis zur dreizehnten Woche damit warte. Und wie du dir vielleicht gemerkt hast, hab ich sie immer noch nicht erreicht.“ „Du hast mir letztes Mal gesagt, dass du ihm überhaupt nicht schreiben wirst“, verbesserte sie. „Oder hast du das in einem Anflug Schwangerschaftsdemenz vergessen?“ Vergessen … Schon wieder. „Nein, hab ich nicht“, sagte Temari. „Und nerv mich jetzt nicht damit.“ „Muss ich ja anscheinend, da du sonst nicht in die Gänge kommst.“ „Dann halt wenigstens bis Anfang nächster Woche den Mund. Ich mach das schon.“ „Gut“, gab ihre Freundin nach. „Aber den Tag streich ich mir ganz dick im Kalender an, damit ich es nicht vergesse.“ Sie erwiderte nichts. „Hast du es Kankurou endlich gesagt?“, fragte sie weiter. „Es hat sich noch keine Gelegenheit dazu ergeben“, sagte sie. „Aber Gaara weiß nun Bescheid.“ Anstatt anzuerkennen, dass sie es zumindest geschafft hatte, einen ihrer Brüder einzuweihen, schaute Matsuri sie ohne eine Spur Verständnis an. „Wahnsinn, das kleinste Übel, das nie eins war, hast du abgearbeitet“, erwiderte sie ironisch. „Und wann machst du dich an die beiden Probleme, die wirklich welche sind?“ Temari antwortete nicht. „Noch kannst du deinen Bauch kaschieren, indem du keine engen Klamotten trägst, aber ein paar Wochen weiter wird das nicht mehr funktionieren“, redete sie weiter. „Kankurou ist nicht dumm, weißt du? Und wenn er es auf diese Weise herausfindet, machst du es nur schlimmer.“ „Hassen wird er mich so oder so erstmal, wenn er es erfahren hat.“ „Hassen?“, wiederholte ihre Freundin. „Warum sollte er dich hassen?“ „Du weißt, von wem ich schwanger bin“, sagte sie tonlos. „Also soll das ein Witz sein?“ „Dann lass dir was einfallen. Ich bin ja immer noch der Meinung, dass ihn das, was er nicht weiß, auch nicht heiß macht. Du hattest einen One-Night-Stand mit irgendeinem Kerl und gut ist.“ „Gar nichts ist gut. Ich möchte nicht, dass er das halbe Dorf mit der Suche nach einem Kerl, der nicht existiert, auf den Kopf stellt. Und ich hab es satt, ständig lügen zu müssen!“ Matsuri seufzte. „Wenn das so ist, wirst du seinen Hass wohl in Kauf nehmen müssen.“ Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und stand auf. „Ich muss dann wieder. Die Frühstückspause ist vorbei und die Arbeit ruft.“ Sie klopfte ihrer besten Freundin zur Aufmunterung auf den Rücken. „Du schaffst das schon. Und denk dran: Kankurou ist dein Bruder und er liebt dich. Auch wenn ihn deine Dummheit tierisch ankotzen wird, wird er dir verzeihen.“ Das hoffte Temari zwar, aber so ganz glaubte sie nicht daran. Kapitel 23: Briefe an niemanden ------------------------------- Kapitel 23: Briefe an niemanden Die dreizehnte Woche kam schneller, als ihr lieb war. Es beruhigte sie, dass die Fehlgeburtsrate auf ein Minimum geschrumpft war, aber bei den zwei Punkten, die sie vor sich hatte, half es ihr überhaupt nicht. Temari starrte abwechselnd auf Kairi, die fleißig ihre ersten freien Schritte übte, indem sie die Tischkante immer mal wieder losließ, und das leere Blatt Papier, das vor ihr lag. Unschlüssig, was sie schreiben sollte, wanderte der Kugelschreiber von einer Hand in die andere. Hin und her, hin und her … Sie bemerkte, wie ihre Tochter sie interessiert ansah und den halben Meter zur Couch herüberstolperte. Das Mädchen lachte und griff nach dem Stift, doch sie brachte ihn schnell aus ihrer Reichweite. „Den kannst du nicht haben“, sagte sie zu ihr und deutete auf die Spielkiste, die offen auf dem Teppich stand. „Da drüben liegen genug Sachen, mit denen du spielen kannst.“ Kairi blickte kurz in die Richtung und streckte sich dann, in der Hoffnung, dass sie so den Kugelschreiber auf der Sofalehne erreichte. Als das nicht funktionierte, machte sie sich noch etwas länger und kletterte schließlich auf die Couch. Temari runzelte die Stirn. Dieses Kind wurde mit jedem Tag eigensinniger und wenn das so weiter ging … Gott, und in sechs Monaten musste sie sich zusätzlich um ein Baby kümmern! Wie sollte sie das nur auf die Reihe bekommen, ohne ständig Nervenzusammenbrüche zu erleiden? Anstatt sich ihr angepeiltes Spielzeug zu holen, warf sich Kairi mit dem Oberkörper auf den linken Oberschenkel ihrer Mutter und legte den Kopf in ihren Schoß. Das Mädchen suchte ihren Blick und grinste. Sie lächelte zurück, betrachtete sie liebevoll und streichelte ihr sanft über den Kopf. Gut, es war die letzten Monate wirklich anstrengend mit ihr geworden, aber solche Momente machten das wieder gut. Sie liebte ihre zickige und sture Tochter und sie wusste nicht, warum sich das ändern sollte, wenn das zweite Kind auf der Welt war. Kairi hob den Arm, tätschelte Temaris Bauch und quietschte vor Vergnügen. „Das ist dein kleiner Bruder oder deine kleine Schwester drin“, sagte sie mit einem Lächeln und kitzelte das Mädchen im Nacken. „Was wäre dir lieber?“ Sie lachte und schüttelte die Hand ihrer Mutter ab. Dann machte sie einen Satz nach hinten, setzte sich auf und schnappte sich ein Blatt Papier. Kairi beäugte es interessiert und stopfte sich eine Ecke in dem Mund. Temari nahm es ihr augenblicklich weg und ihr Kind begann, unter Protest zu schreien. Sie kreischte so hell und laut, dass es in den Ohren wehtat. Sie verzog das Gesicht und fragte: „Reicht es dir nicht, dass du neulich fast an so was erstickt wärst?“ Offensichtlich nicht, denn das Mädchen griff nach dem nächsten Blatt. Genervt brachte ihre Mutter die verbliebenen Zettel in Sicherheit und blickte sie verstimmt an. Kairi schimpfe etwas Unverständliches, rutschte vom Sofa und krabbelte davon. Temari sank wieder auf die Couch. Sie angelte den grellen orangefarbenen Kugelschreiber von der Lehne und drehte ihn zwischen den Fingern. Ein halbes Jahr noch, sie war alleinerziehend und sie glaubte nicht, dass sie diesmal mit Kankurous Hilfe rechnen konnte … Was zur Hölle hatte sie sich da nur eingebrockt? Sie warf einen Blick auf ihre Tochter – sie hatte ihr den Rücken zugewandt und beschäftigte sich tatsächlich mit ihren Spielsachen – und zückte das Papier. Sie setzte den Kugelschreibers an und kritzelte los, um ihren Kopf frei zu bekommen. Ihre Gedanken tanzten regelrecht und sie hoffte, dass ihr das Malen von Formen dabei half, sie ein wenig zu ordnen. Damit sie die passenden Worte für den Brief fand. Die Mine tanzte über das Blatt und als es voll war, drehte sie es um. Sterne, Kreise, Spiralen, Buchstaben – aber keine Worte. Temari legte den Stift beiseite und seufzte. Warum machte sie es sich so schwer? Ein Im Januar kommt dein zweites Kind! reichte als Information doch völlig aus. Wozu sollte sie sich mehr Mühe geben, wenn er es ohnehin nicht wert war? Sie schmierte den Satz auf das Papier und las ihn. Er wirkte auf sie wie ein verspäteter Aprilscherz. Sie zerknüllte den Zettel und nahm sich einen neuen. Sie hörte das Kichern ihrer Tochter und die Erinnerung, wie er sich an dem Abend mit ihr beschäftigt hatte, erschien vor ihrem inneren Auge. Eine schöne Erinnerung. Mit einem faden Nachgeschmack. Vielleicht hatte er doch ein paar Sätze mehr verdient. Lieber Shikamaru, schrieb sie und hielt inne. Sie spürte eine gewisse Wut in sich aufkommen. Lieber? So ein Schwachsinn! Nach dem, was er ihr angetan hatte, war das die völlig falsche Anrede. Was vermittelte ihm das denn? Dass er mit ihr machen konnte, was er wollte? Die Genugtuung gab sie ihm garantiert nicht. Temari strich das erste Wort bis zur Unleserlichkeit durch, drückte den Stift wieder aufs Papier und schreib: Ich schreibe dir nicht, weil ich dich vermisse oder so. Klar, ich bin wütend auf dich und enttäuscht von dir, da du dich einfach so aus dem Staub gemacht hast, aber das ist nicht der Grund für diese Zeilen. Eigentlich hab ich keine Lust, nach alldem mit dir in Kontakt zu treten und ich weiß nicht, ob es überhaupt Sinn macht, schließlich hast du beim letzten Mal auch ewig gebraucht, um dich zu melden, aber es gibt da etwas, das du wissen solltest. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich bin wieder schwanger. Da ich inzwischen die dreizehnte Woche erreicht habe, ist es also relativ sicher, dass in einem halben Jahr unser zweites Kind in meinen Armen liegen wird. Es ist mir egal, was du aus dieser Info machst – in erster Linie geht es nur darum, dass ich kein schlechtes Gewissen haben muss. Temari PS: Wahrscheinlich interessiert es dich nicht, aber Kairi geht es gut. Sie las ihr Geschriebenes ein paar Mal durch. An und für sich war sie zufrieden. Er hatte die richtige Länge und beschränkte sich auf das Wesentliche. Aber: Der Brief war viel zu nett. Sie legte das Blatt beiseite und von ihrem aufkeimendem Ärger beflügelt, fing sie noch einmal an. Hey, du Mistkerl! Ich hasse dich dafür, dass du dich einfach verpisst hast. Sind deine Versprechen gar nichts mehr wert? Waren sie das überhaupt schon mal? Anscheinend ja nicht. Am liebsten würde ich dich umbringen. Wie konntest du es wagen, mich so zu benutzen und dann wie ein Taschentuch wegzuwerfen? Ich weiß, ich hab dich damals, als ich dich abserviert habe, auch nicht mit Samthandschuhen angefasst, aber so eine verdammte Scheiße hab ich dir nicht angetan. Ach ja, danke übrigens, dass du mich schon wieder geschwängert hast. Der Termin ist Mitte Januar. Ich will auf gar keinen Fall wieder mit dir zusammen sein, aber beweg gefälligst deinen Arsch hierher! Du hast mein Herz gebrochen – und wie du das hast! –, aber ich lasse nicht zu, dass du das auch unseren Kindern antust. Kümmere dich um die beiden und sei der Vater, den sie verdienen und auf den Kairi seit vierzehn Monaten verzichten muss. Nein, das war noch größerer Mist als der erste Brief. Es tat ihr zwar irgendwie gut, dass sie sich das von der Seele geschrieben hatte, aber so dermaßen übertreiben musste sie auch nicht. Okay, auf ein Neues … Du Idiot! Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, mir Versprechungen zu machen und dich dann heimlich in der Nacht davon zu machen? Ach, weißt du was? Ich will es überhaupt nicht wissen. Weil es mir egal ist. Weil du mir inzwischen egal bist. Was mir allerdings nicht egal ist, ist deine Tochter und das kleine Würmchen, das dank dir in mir heranwächst. Ist das nicht großartig? In sechs Monaten hast du zwei Kinder und der Gedanke daran, dass du dich um beide nicht kümmern wirst, bricht mir das Herz … Temari hielt inne. Ihre Hand – nein – ihr ganzer Körper zitterte. Ihre Wut war verpufft und an ihrer Stelle breitete sich ein Gefühl aus, das sie zuletzt vor einigen Tagen gehabt hatte. Sie ließ den Stift los und während sie ihren letzten Versuch noch einmal las, verschwamm ihre Sicht. Ihre Finger wanderten zu ihrem gerundeten Bauch und sie biss sich auf die Unterlippe. Das war so unfair … so verdammt unfair … Sie starrte auf die Worte und vermied es zu blinzeln, bis es nicht mehr ging. Dann fiel die erste Träne auf das Blatt. --- Temari zerriss die Briefe in kleine Teile und warf sie in den Küchenmüll. Ihre Kinder hatten ein Recht auf ihren Vater, aber sie konnte es nicht. Sie konnte ihm nicht schreiben. Denn wenn sie ihm schrieb, bestand die verschwindend kleine Möglichkeit, dass er sich besann und doch noch einmal hier auftauchte. Und das wollte sie nicht. Sie wollte ihn nicht sehen, sie wollte ihn nicht hören, sie wollte überhaupt nichts mehr mit ihm zu tun haben. Nie mehr. Sie wischte sich die letzte Träne aus den Augenwinkeln und durchstöberte den Küchenschrank auf der Suche nach etwas Essbaren für Kairi zum Mittag. Sie öffnete eine Schale Gemüse-Risotte, leerte sie auf einen Teller und schob ihn in die Mikrowelle. Eine halbe Minute später gab das Gerät ein Klingeln von sich und sie öffnete die Tür, damit die Hitze abziehen konnte. Sie hörte ein paar Schritte hinter sich. Das Geräusch hatte ihre Tochter angelockt. Sie stand im Türrahmen und schaute sie interessiert an. Bei ihrem Anblick bekam Temari ein schlechtes Gewissen. Gut, von Kairi wusste er, aber … Sie hob das Mädchen hoch und drückte sie an sich. Ihre Kleine hatte etwas Besseres verdient. Und das Kind, das noch gar nicht auf der Welt war, auch. Missmutig schaute sie zum Mülleimer herüber. Wenn sie doch nur nicht alle drei Versionen zerrissen hätte, dann würde sie sie alle in einem Umschlag stecken und – Nein, das würde sie nicht und sie wusste, dass sie auch in ein paar Tagen oder Wochen ihre Meinung nicht ändern würde. Weil sie genug hatte. Und weil sie das leidige Kapitel endlich abschließen wollte. Temari drückte ihrer Tochter einen Kuss auf. Sie spürte, wie sich ihr Magen verknotete. Nicht aus Übelkeit, sondern aus Ekel über sich selbst. Sie war wirklich eine verabscheuungswürdige Egoistin. --- Resigniert spülte sie die Galle weg, die sie erbrochen hatte. Der widerliche Geschmack lag ihr auf der Zunge, doch da sie ihrem Magen erst die Chance geben wollte, sich zu beruhigen, spülte sie ihren Mund nur mit Wasser aus. Sie stützte sich mit den Handballen an den Rändern des Waschbeckens ab und sah in den Spiegel. Ihre Haut machte einen ungesunden Eindruck – wie schon seit Wochen – und unter ihren Augen hatten sich so dunkle Schatten eingegraben, die sogar denen von Gaara Konkurrenz machten. Temari schlief in den letzten Tagen schlecht. Wenn sie versuchte einzuschlafen, kreisten ihre Gedanken ruhelos umher und es dauerte eine Ewigkeit, bis sie ins Land der Träume wegdriftete. Und wenn die Nacht nicht um halb sieben durch Kairis Geplauder zu Ende war, wachte sie selbst schon geraume Zeit davor auf. Während des Mittagsschlafs ihrer Tochter konnte sie zwar etwas Schlaf nachholen, doch dann lag sie am Abend nur noch länger wach. Ein Teufelskreis. Sie wusch sich das Gesicht und ging zurück ins Wohnzimmer. Gaara saß dort in einem Sessel, las ein Buch und trank nebenbei eine Tasse Tee. „Schon Feierabend?“, fragte sie beiläufig. Er nickte und musterte sie ausgiebig. „Du siehst furchtbar aus“, bemerkte er im Anschluss. „Diese Schwangerschaft ist auch einfach furchtbar“, erwiderte Temari tonlos. „Ich hätte nie gedacht, dass man sich über einen Zeitraum von mehreren Wochen jeden Tag so oft übergeben kann.“ Sie warf einen Blick auf seine Teetasse und setzte nach: „Entschuldige, wir wechseln besser das Thema.“ Ihr jüngster Bruder winkte ab und widmete sich wieder seiner Lektüre. „Übrigens“, sagte er ohne aufzusehen, „ich werde doch zum Finale der Chuunin-Prüfung reisen. Mitte nächster Woche geht es los.“ „Dann viel Spaß“, gab sie zurück. „Das wäre sonst das dritte Mal in Folge, dass es nicht geklappt hätte, oder?“ Ein erneutes Nicken. „Nimmst du Kankurou mit?“, fragte sie weiter. „Nein, ich kann ihm im Wachschutz nicht so kurzfristig abziehen“, sagte Gaara. „Aber da er das Feuerreich ohnehin nicht besonders leiden kann, wird er nicht traurig darüber sein.“ „Wahrscheinlich.“ Sie lachte und überspielte damit ihre Erleichterung darüber, dass er ihn nicht dorthin begleitete. Obwohl sie momentan nur Wut für ihren Ex übrig hatte, wollte sie nicht demnächst in der Zeitung lesen müssen, dass Kankurou ihn auseinander genommen hatte. Ihr Bruder lugte über das Buch zu ihr herüber. „Soll ich Shikamaru irgendwas von dir ausrichten?“, fragte er. Temari blinzelte. Das war die Gelegenheit, dass er von dem Kind erfuhr, ohne dass sie sich selbst darum kümmern musste, aber … „Nein“, sagte sie. „Außer meinem kleinen Magenproblem gibt’s eh nichts Neues. Und dagegen kann ich nicht mal selbst was machen. Die Info kannst du dir also sparen.“ „Falls dir bis Dienstag noch etwas einfällt, kannst du es mir sagen“, meinte er mit einem Lächeln. „Klar.“ Ihr fiel eine Menge ein, das sie ihrem Exfreund mitteilen wollte. Doch sie tat es nicht. Niemals. Kapitel 24: Gebrochene Herzen ----------------------------- Kapitel 24: Gebrochene Herzen Matsuri stürmte ins Wohnzimmer und warf sich auf die Couch. Erwartungsvoll schaute sie ihre beste Freundin an. „Na, hast du was zu lesen für mich?“, fragte sie und grinste. Temari schüttelte den Kopf. „Ich hab extra noch ein paar Tage gewartet, bis ich dich darauf anspreche“, meinte sie. „Und jetzt sagst du mir, dass du ihm immer noch nicht geschrieben hast?“ „Du hast mich gefragt, ob ich was zu lesen für dich habe und das hab ich verneint. Mehr nicht.“ Matsuri zog die Augenbrauen zusammen. „Aber du hast ihm nicht geschrieben, oder?“ „Doch“, erwiderte sie und senkte den Blick. „Aber ich hab die Briefe zerrissen und weggeworfen.“ „Warum das denn?“ Temari zuckte die Achseln. „Hast du Angst vor Shikamarus Reaktion?“, fragte ihre Freundin. Etwas in ihr zog sich zusammen. „Das auch“, gab sie zu. „Aber das ist nicht der einzige Grund.“ „Und das heißt?“ „Ich will die Sache mit ihm endlich abschließen und falls er sich wider Erwarten doch für seine Kinder interessieren sollte, wäre das eher kontraproduktiv. Selbst wenn ich ihn nur ein paar Mal im Jahr sehe, komme ich so doch niemals von ihm los. Und ich möchte nicht mehr in der Vergangenheit leben, sondern endlich nach vorne schauen.“ „Und du meinst, dass es das Richtige ist, wenn du ihm gar nicht erst von eurem zweiten Kind erzählst?“, fragte Matsuri kritisch. Temari spürte ein gewisses Unbehagen in sich aufkommen. Nur war diesmal nicht die Schwangerschaftsübelkeit daran Schuld. „Ich weiß, dass es nicht das Richtige ist, aber was soll ich machen?“ Ihre beste Freundin schlug mit der flachen Hand auf den Couchtisch. „Den Arsch in der Hose haben und ihm verdammt noch mal einen Brief schicken, in dem steht, dass du noch ein Baby von ihm erwartest!“, fauchte sie los. „Das ist das Mindeste. Alles andere ist nicht zu akzeptieren. Erst recht nicht für euer zweites Kind!“ „Wenn du so wild drauf bist, schreib ihm das doch selbst“, entgegnete sie bitter. „Und glaubst du wirklich, dass ich das alles nicht weiß? Scheiße, ja, ich bin egoistisch, was das betrifft, aber mit dem schlechten Gewissen, das ich dem Kleinen gegenüber haben werde, jedes Mal wenn ich es ansehe, werde ich alleine klar kommen müssen.“ Matsuri stieß ein Seufzen aus. „Wenn du dir das zumuten willst, bitte!“, sagte sie. „Aber beschwer dich hinterher nicht bei mir.“ „Das werde ich schon nicht, keine Sorge“, schloss Temari das Thema. Ihre Freundin schwieg, schnappte sich die Fernbedienung und wechselte den Kanal. „Ich bin übrigens echt sauer, dass Kankurou wegen dir die Nachtschicht machen muss“, meinte sie schließlich. „Seit Wochen muss ich Gintama alleine gucken und das ist echt öde.“ „Nächste Woche hast du ihn ja wieder“, erwiderte sie. „Und ich habe nur darum gebeten, dass er nicht in Makis Gruppe kommt. Für alles andere kann ich nichts.“ „Trotzdem“, beharrte sie. „Hättest du nicht das Plauderstündchen mit ihr gehalten, wäre das überhaupt nicht nötig gewesen. Keine Sau guckt sich die Listen mit den Besuchern von vor zweieinhalb Monaten an.“ „Irgendwann hätte er ohnehin die Nachtschicht machen müssen, also ist das doch egal. Ich wusste auch nicht, dass du inzwischen so viel Wert auf die Gesellschaft meines Bruders legst.“ „Kankurou hat eben einen guten Seriengeschmack“, sagte Matsuri. „Vögeln macht dir sicher auch mehr Spaß als alleine Hand anzulegen, oder? Mit dem Gucken von Serien ist es genauso.“ „Mit dem Unterschied, dass du davon nicht von deinem Ex schwanger werden kannst“, meinte Temari. „Aber ich versteh, was du meinst. Es muss schön sein, wenn man ein Hobby hat, das man mit jemandem teilen kann.“ „Hattest du das noch nie?“ „Mehr oder minder. Es ist nur bedingt spaßig, wenn man immer verliert.“ „Du redest schon wieder von ihm“, bemerkte ihre Freundin. „Du hast mich gefragt und mit zwei Kindern von ihm kann ich ihn ja schlecht ganz aus meinem Gedächtnis streichen“, erwiderte sie. „Apropos: Ich überlege, mich wieder zu verabreden.“ Matsuri blinzelte vor Ungläubigkeit. „Wie bitte?“, fragte sie. „Hab ich richtig gehört? Du willst dich mit einem Mann treffen?“ „Ich sagte, dass ich darüber nachdenke“, verbesserte sie. „Aber im Grunde schon.“ „Das kommt jetzt aber abrupt. Ich meine, ich finde es super, aber …“ „Aber?“ „Vor ein paar Wochen warst du noch total dagegen!“ „Und? Darf man seine Meinung nicht ändern?“ „Normalerweise schon“, entgegnete ihre Freundin, „aber es passt nicht zu dir. Überhaupt nicht.“ „Warum?“ „Hallo? Du bist am Boden zerstört, weil dich dein Exfreund verarscht und im Stich gelassen hat!“ „Ich bin nicht am Boden zerstört“, legte Temari fest und ein Satz aus ihrem dritten Brief kam ihr in den Sinn. „Und ehrlich, er ist mir inzwischen egal.“ „Ist er nicht“, widersprach Matsuri. „Ich kenne dich gut genug und weiß, dass du Shikamaru trotzdem noch liebst. Er hat dir schließlich noch ein Kind gemacht.“ Tse, als ob das der Grund war, warum sie ihn noch liebte … „Gut, liebe ich ihn halt noch! Und? Das vergeht schon irgendwann.“ „Du meinst, so wie beim letzten Mal?“ „Ja“, sagte sie selbstsicher. „Diesmal hab ich schließlich die Bestätigung, dass er nichts mehr von mir wissen will. Damit hab ich mich abgefunden. Warum also noch mehr Zeit verschwenden?“ Ihre Freundin sah sie mit einer Miene an, die sie nicht genauer definieren konnte. Ihr war bewusst, dass sie sich noch lange nicht damit abgefunden hatte und Matsuri wusste es auch. Die Jüngere lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Schon jemanden in Aussicht, dem du wie Koutarou das Herz brechen wirst?“, fragte sie. Temari fühlte sich von ihren Worten verbal geohrfeigt, auch wenn es nicht unwahrscheinlich war, dass es im Ernstfall wieder darauf hinauslief. „Man bricht niemandem bei einem Date das Herz“, legte sie fest. „Und mal ehrlich: Ich bin von meinem Ex schwanger, für den ich dämlicherweise noch was empfinde. Welcher Kerl ist so dumm und würde eine Beziehung mit mir eingehen?“ „Stimmt. So blöd kann nicht mal ein Mann sein. Aber warum willst du dich dann überhaupt verabreden?“ „Ich möchte einfach wieder ein bisschen unter Leute kommen. Das Hausfrauen-, Mutter- und Schwangerendasein steht mir nämlich bis sonst wo.“ Matsuri schürzte die Unterlippe und kratzte sich am Kinn. Dann verzog sich ihr Gesicht zu einer belustigten Miene. „Du bist im vierten Monat“, sagte sie. „also schenk dir dein Blabla und gibt zu, dass du einfach nur vögeln willst.“ „Wo hast du denn den Schwachsinn her?“ „Ich hab mal irgendwo gelesen, dass es vielen Schwangeren im zweiten Drittel so gehen soll. Hormone und so.“ „Bei mir sorgen sie nur dafür, dass ich mich jeden Abend übergeben muss“, meinte Temari trocken. „Und was ist tagsüber, wenn dir nicht schlecht ist? Stellst du dir dann nicht mal vor, wie es wäre, wenn du ein paar Minuten für dich hast?“ „Ja, kann schon sein, dass ich in den letzten eins, zwei Wochen vermehrt dran denke“, gab sie zu. „Aber –“ Der Blick ihrer besten Freundin brachte sie zum Verstummen. „Temari, meine Liebe“, sagte Matsuri langsam und mit einem Grinsen, „denkst du ernsthaft, dass du mir in puncto Sex etwas vormachen kannst? Geb’s doch einfach zu. Es geht dir nicht darum, neue Bekanntschaften zu machen, sondern darum, dass es dir irgendwer richtig besorgt.“ Temari schwieg einige Augenblicke. Sie atmete aus. „Okay“, sagte sie, „vielleicht bin ich dem nicht komplett abgeneigt, aber ich bin realistisch: Mit Babybauch will mich dafür niemand haben.“ „Dein Bauch ist schon recht eindeutig, gut“, meinte sie, „aber so viel, dass sich jeder Kerl daran stört, ist es lange noch nicht. Ich wüsste da zwei, drei Typen, die es sicher trotz deiner Schwangerschaft mit dir treiben würden.“ Die Aussicht klang zwar nicht allzu übel, aber – „Verzichte“, erwiderte sie rasch. „Ich weiß ja, mit was für Gestalten du dich manchmal herumtreibst. Also versuch ich lieber selbst mein Glück.“ „Dann eben nicht.“ Matsuri machte einen beleidigten Gesichtsausdruck. „Schon ein potenzielles Opfer auf dem Schirm?“ Opfer? Das klang so hässlich … „Ich werd mich wohl mit Manabu verabreden“, sagte sie. „Und dann sehe ich weiter.“ „Nicht gerade nett von dir, jemanden zu nehmen, der allem Anschein nach mehr als Sex von dir will“, erwiderte ihre Freundin. „Wenn du das durchziehst, wird ein gebrochenes Herz vorprogrammiert sein.“ „Es ist nur ein Date! Nicht mehr und nicht weniger. Es werden keine Herzen gebrochen.“ --- „Heute noch, dann hab ich’s endlich hinter mir“, murmelte Kankurou vor sich hin. „Du glaubst nicht, wie sehr diese Nachtschichten schlauchen.“ „Doch“, sagte Temari. „Bis Kairi durchgeschlafen hat, hab ich selbst welche geschoben. Und das ohne freie Tage zwischendrin.“ „Baby ins Bett holen, andocken lassen und weiterschlafen nennst du eine Nachtschicht?“ „Ach, und die zwei Monate, die ich nachts hier im Wohnzimmer herumgehangen und mit Dauerstillen verbracht habe, bevor ich auf die Idee gekommen bin, zählen nicht, oder wie?“ „Okay, okay, der Punkt geht an dich“, gab ihr Bruder nach. Er zappte durch die Programme und schaltete den Fernseher letzten Endes aus. „Läuft auch nur Schrott“, brummte er. „Womit hast du dir, wenn deine Tochter am Mittag schläft, nur die Zeit vertrieben? Die olle Konsole hast du ja erst vor Kurzem wieder ausgepackt.“ „Wie wäre es mit Lesen?“, entgegnete sie. „Es geht das Gerücht um, dass das einigen Menschen Spaß machen soll.“ „Was auch umgeht und kein Gerücht ist“ – Kankurou machte eine dramatische Pause und Temaris Herz hüpfte für einen Moment unnatürlich auf und ab – „ist, dass du vermurkste und schlecht gealterte Horrorgames zockst. Resident Evil … Ich fass es immer noch nicht.“ „Ja, ja …“ „Warum spielst du nicht Silent Hill? Da kommt wenigstens Horrorflair auf und die Geschichte ist auch viel besser erzählt.“ „Das geht mir zu sehr auf die Psyche.“ „Das hat dich früher auch nicht davon abgehalten, es zu spielen.“ „Mit Kleinkind kann ich mir schlaflose Nächte, die auf Angstzustände basieren, nicht mehr erlauben.“ Und als Schwangere erst recht nicht, setzte sie in Gedanken nach. Ihr Bruder legte die Stirn in Falten. „Du hattest Angstzustände? Ist ja was ganz Neues.“ „Gut, so schlimm war es vielleicht nicht, aber diese Anspannung, die man die ganze Zeit während des Spielens verspürt, ist nichts mehr für mich“, erwiderte sie. „Da zuck ich lieber kurz zusammen, weil so ein mutierter Hund durchs Fenster springt.“ „Jumpscares sind billig und absolut nicht gruselig“, sagte Kankurou. „Aber jedem das Seine.“ Temari schwieg und schaute auf die Uhr. Wenn Kairi nicht schon seit zwei Stunden schlafen würde und sie jeden Moment aufwachen konnte, dann … „Manabu ist schon total von der Rolle wegen morgen Abend“, wechselte er das Thema. „Er hat letzte Nacht von nichts anderem geredet.“ „Wirklich?“, fragte sie überrascht. Sie kannte den Kollegen ihres Bruders kaum – sie wusste nicht einmal, wann er sich in sie verguckt haben könnte –, doch sie fühlte sich jetzt schon mies. Okay, vielleicht wurde es nett und es konnte sein, dass diese ausgeprägte Lust auf Sex wieder dorthin verschwand, wo sie hergekommen war, wenn es tatsächlich passieren sollte, aber dann hatte sie wieder ein Problem am Hals. Denn egal, wie nett es wurde, sie wollte keine Beziehung. Und genau das erhoffte sich Manabu offensichtlich. Matsuri hatte Recht: Es war keine gute Idee, dass sie sich ausgerechnet ihn herausgepickt hatte. „Er kommt mir ein bisschen wie ein verliebter Teenager vor“, fuhr Kankurou belustigt fort. „Irgendwie niedlich.“ „Niedlich?“ Temari zog eine angewiderte Miene. „Ich finde das alles andere als niedlich, schließlich ist der Mann Mitte Zwanzig.“ „Er ist dreiundzwanzig“, verbesserte er sie. „Und selbst wenn er vierzig wäre, ist doch nichts dabei. Manabu freut sich einfach nur, dass du endlich nachgegeben hast, nachdem er dich die letzte Zeit umworben hat.“ „Er hat dich voll gequatscht, du erzählst es mir und das nennst du umwerben? Na ja.“ „Jedenfalls hast du ihn erhört.“ Ihr Bruder winkte ab. „Also brech ihm nicht so das Herz, wie du es bei Koutarou gemacht hast.“ Temari seufzte genervt. „Matsuri faselt auch ständig von gebrochenen Herzen, also fang du nicht auch noch damit an.“ „Warum denn? Du scheinst gerne Herzen zu brechen.“ „Gerne?“, zischte sie verärgert. „Hast du sie noch alle? Glaubst du etwa, dass ich aus Lust und Laune die Beziehungen beendet habe und Spaß dabei hatte?“ „Das war nicht ganz ernst gemeint“, meinte Kankurou und legte ihr zur Beruhigung die Hand auf die Schulter. „Aber mir scheint es, dass du die andere Seite der Medaille gerne übersiehst. Ich nehme deinen Ex nur ungern in Schutz, aber dass du ihn ohne für ihn ersichtlichen Grund abgeschossen hast, ist bestimmt nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Du verstehst?!“ Ohne für ihn ersichtlichen Grund … Pah, von wegen! Doch dieses Argument konnte sie im Moment nicht bringen. Leider. „Und er hat mir das Herz gebrochen, als er sich nach Kairis Geburt nicht gemeldet hat“, entgegnete Temari aufgebracht. Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum, damit der Ärger nicht unkontrolliert aus ihr herausplatzte und sie in ihrer Wut etwas Falsches sagte. „Mein Herz ist gebrochen“, setzte sie etwas ruhiger nach. „Also scheiß drauf! Scheiß auf sein Herz!“ Ihr Bruder legte zum Trost den Arm um sie. Es bewirkte das Gegenteil. Es fühlte sich falsch an, weil sie ihn schon so lange anlog. Sie wollte es ändern und ihm am liebsten auf der Stelle sagen, dass er wieder Onkel wurde und dass das Baby von eben diesem Herzensbrecher war, doch sie schaffte es nicht. Nicht jetzt. Zu sehr fürchtete sie sich vor seiner Reaktion. Und seiner Enttäuschung. „Ich glaube, ich verstehe nun, warum du dich nicht auf Koutarou einlassen konntest“, murmelte Kankurou ohne jeglichen Vorwurf in der Stimme. „Hältst du es wirklich für eine gute Idee, dich mit Manabu zu treffen?“ Kapitel 25: Ein Augenblick, um das Richtige zu tun -------------------------------------------------- Kapitel 25: Ein Augenblick, um das Richtige zu tun „Wie seh ich aus?“ Matsuri musterte ihre Freundin kritisch. Temari trug ein violettes, Figur umspielendes Top mit halblangen Ärmeln und dazu einen kurzen, schwarzen Rock. Und sie hatte sich seit Monaten wieder dezent geschminkt. „Dafür dass du schwanger bist und es dir seit Wochen scheiße geht, hast du das Beste aus dir herausgeholt“, sagte sie und streckte beide Daumen nach oben. „Deinen Bauch, deine ungesunde Hautfarbe und deine Augenringe hast du jedenfalls gut kaschiert.“ „Ich hoffe nur, dass sich mein Magen heute zur Abwechslung mal zusammenreißt“, murmelte sie. „Das wäre wirklich ein ziemlicher Abtörner“, stimmte ihre beste Freundin zu. „Aber wird schon werden. So ein Date ist doch mindestens so eine gute Ablenkung wie ein Videospiel.“ „Hoffentlich.“ Die beiden verließen das Bad und gingen zurück ins Wohnzimmer. Kairi turnte auf der Couch herum und lachte mit ihrem Onkel um die Wette. Ein flüchtiges Lächeln huschte über Temaris Lippen. Es war eine schöne Vorstellung, wenn er sich auch so liebevoll um das zweite Kind kümmern würde, wenn es auf der Welt war, aber zu diesem Zeitpunkt war das ein weit entfernter Traum. Kankurou sah auf und betrachtete seine Schwester. „Dein Oberteil könnte enger sein“, bemerkte er, „aber du wirst Manabu garantiert gefallen. Du siehst heiß aus.“ „Sag bitte nicht noch einmal, dass du mich heiß findest“, entgegnete sie. „Ich finde es nämlich merkwürdig, das von meinem eigenen Bruder zu hören.“ „Das sollte nur ein Kompliment sein“, sagte er und grinste. „Und jetzt verschwinde, bevor du noch zu spät kommst.“ Temari drückte ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn, dann verabschiedete sie sich von Matsuri und Kankurou und ging. Als sie die Haustür hinter sich zuzog, überkam sie ein flaues Gefühl. Sie wusste nicht, ob sie das Richtige tat. Absolut nicht. --- Manabu wartete vor dem Lokal bereits auf sie. Er begrüßte sie mit einer herzlichen Umarmung, von der sie sich überrumpelt fühlte – sie kannte ihn schließlich kaum –, dann führte er sie zu dem Platz auf der Terrasse, den er reserviert hatte. Wie ein Gentleman zog er den Stuhl vom Tisch und sie setzte sich. Um ein Gespräch noch etwas hinauszuzögern, griff sie nach der Speisekarte und studierte sie. Temari überflog die einzelnen Seiten, ohne deren Inhalt wirklich zu sehen. Vor ihren Augen herrschte ein einziger Buchstabensalat. Was tat sie hier? Sie sollte zu Hause sein und Kairi fürs Bett fertig machen. Ihre Windel wechseln und ihre Kleidung gegen Schlafanzug und Schlafsack austauschen, ihr das Lieblingsbuch vorlesen und ihre Tochter in den Schlaf begleiten, indem sie ihre Hand hielt. Doch stattdessen hatte sie ein Date mit einem im besten Fall Bekannten, von dem sie keine Liebe, sondern maximal Sex wollte. Etwas das sie genauso gut von irgendeinem Typen, den Matsuri kannte, bekommen konnte. Gott, was zur Hölle machte sie hier? „Schwere Entscheidung, oder?“, riss Manabu sie aus ihren Gedanken. „Ja“, sagte sie tonlos. „Viel zu viel Auswahl.“ Temaris Blick wanderte zu den Reisgerichten. Im Grunde hatte sie keine Lust, etwas zu essen, da es bei der nächstbesten Gelegenheit ohnehin in der Toilette landete, aber sie wollte nicht unhöflich sein. Ein Kellner notierte die Bestellung und fragte nach den Getränken. „Wie wäre es mit einem guten Wein?“, schlug der Mann vor. „Wir haben einen neuen Rotwein im Sortiment, der –“ Sie schüttelte den Kopf und brachte die Bedienung zum Verstummen. „Nein, danke“, sagte sie. „Ich trinke keinen Alkohol mehr.“ Ihre Hand huschte unter dem Tisch zu ihrem Bauch. Zuletzt hatte sie einige Wochen, bevor sie schwanger geworden war, etwas getrunken. Drei von den grellgrünen Cocktails, die ihre beste Freundin ihr aufgequatscht hatte. An dem Abend vor viereinhalb Monaten, als sie Koutarou kennengelernt hatte. „Dann also ein Wasser und einmal Sake“, schloss der Kellner. „Kommt sofort!“ Sie hatte den Geruch von Sake vor der Schwangerschaft nie gemocht und sie glaubte nicht, dass sich das geändert hatte. Sie hoffte nur, dass sie sich nicht sofort übergeben musste, wenn ihr der eigenwillige Duft von dem Zeug in die Nase stieg. Das hieß, wenn Manabu sich ihr überhaupt weit genug näherte, damit sie es riechen konnte. Temari klappte die Speisekarte zusammen und legte sie beiseite. Um ihre Verabredung nicht direkt ansehen zu müssen, nahm sie einen Bierdeckel und drehte ihn zwischen den Fingern hin und her. Sie kam sich blöd vor. Warum war sie überhaupt hergekommen, wenn sie keine Lust auf die Prozedur eines ersten Dates hatte? „Bist du nervös?“, fragte Manabu. Sie fühlte sich erwischt. „Eigentlich nicht“, erwiderte sie. „Es ist nur ein bisschen seltsam, da meine letzte Beziehung noch nicht so lange her ist.“ „Das hat Kankurou mir schon erzählt“, sagte er. „Es hat mich ziemlich überrascht, als er vor ein paar Tagen gesagt hat, dass du dich doch mit mir treffen möchtest.“ Sie hielt inne, hob ihren Blick und schaute ihn an. Er trug keine Sonnenbrille und sie fand sein markantes Gesicht im Zusammenspiel mit den kurzen, blonden Haaren und den blauen Augen gar nicht so übel. Ihr fiel auf, dass er ein breites Kreuz hatte und sich seine Brustmuskeln unter seinem T-Shirt abzeichneten, was ziemlich ungewöhnlich für einen Shinobi war. Vom Typ her war er ganz anders als ihre Exfreunde. Aber das kam ihr gar nicht so ungelegen, da sie sich an beide im Moment nicht erinnern wollte. Erst recht nicht an den, der sie Anfang Mai geschwängert und sitzen gelassen hatte. Eine Tatsache, die es nur umso absurder machte, dass sie gerade ein Rendezvous hatte. „Ich dachte, es kann nicht schaden, mal wieder etwas anderes zu sehen“, antwortete Temari schließlich. „Zuhause fällt mir die Decke auf den Kopf und ich möchte nicht auf Ewig alleinerziehende Mutter bleiben.“ „Dann suchst du einen Ersatzvater für deine Tochter?“ Sie lächelte. „Nein, den Job erledigt Kankurou schon, seit Kairi auf der Welt ist.“ „So klingt er manchmal auch“, entgegnete Manabu amüsiert. „Er redet wirklich viel von euch beiden.“ „Das ist irgendwie gruselig“, sagte Temari und zog skeptisch die Augenbrauen zusammen. „Das muss auf andere wirken, als hätten wir ein inzestuöses Verhältnis oder so.“ „Überhaupt nicht.“ Er schüttelte den Kopf. „Es ist doch schön, wenn man sich in der Familie so gut versteht. Ich habe den Eindruck, dass es heute eher selten geworden ist, dass Geschwister so aufrichtig miteinander umgehen.“ „Ja“, gab sie zurück, doch ihr Lächeln verschwand. „Kann schon sein …“ Von wegen … Sie war gegenüber Kankurou weder aufrichtig, noch ehrlich, noch sonst irgendwas in die Richtung. Sie war jedem gegenüber unehrlich und verlogen. Ihren Brüdern, ihrem Date, Koutarou, dem Vater ihrer Kinder. „Wenn du dich unwohl fühlst“, warf Manabu ein, „können wir das hier auch abbrechen.“ „Mir geht’s gut“, entgegnete sie im Affekt. „Ich bin nur ein wenig hungrig.“ --- Das Essen schmeckte und blieb in ihrem Magen und es wurde tatsächlich ein netter Abend. Ihre Verabredung war ein interessanter Gesprächspartner mit einer bodenständigen Lebenseinstellung, war sich aber auch für keinen Witz zu schade. Temari konnte nachvollziehen, warum Kankurou so darauf beharrt hatte, dass sie sich mit seinem Kollegen traf. Er schien wirklich kein schlechter Fang zu sein, wenn … Das leidige Wenn. Wenn sie eine neue Beziehung wollen würde. Wenn sie keine Gefühle mehr für ihren Exfreund hätte. Wenn sie von eben diesem nicht ein zweites Mal schwanger wäre. Sie lauschte einer Anekdote, die Manabu erzählte und ihr Mund bog sich zu einem Lächeln. Ihr Gewissen klopfte auf penetrante Weise an und schaffte es, ihr ein wenig die gute Laune zu verderben. Sie machte jemandem etwas vor und amüsierte sich noch dabei. Das war doch Mist. Manabu hatte ein Recht darauf, dass sie ehrlich zu ihm war. Genauso wie die anderen, bei denen sie die Chance darauf verstreichen gelassen hatte. „Jetzt rede ich hier die ganze Zeit“ – er lachte – „dabei hast du doch bestimmt auch was zu erzählen, oder?“ Das hatte sie, nur leider war sie bei ihrem Date damit an der falschen Adresse. „Entschuldige“, murmelte Temari, „aber ich sollte besser gehen.“ „Stimmt etwas nicht?“, fragte er. „Mit dir schon“, antwortete sie. „Du bist wirklich ein netter Typ, ganz wie Kankurou gesagt hat …“ Er schaute sie vor Verblüffung an und zog die Stirn kraus. „Ich bin das Problem“, klärte sie ihn auf. „Und du hast was Besseres als mich verdient.“ Sie wollte aufspringen und einfach gehen, doch dann wäre sie sich feige vorgekommen. Und in den letzten Monaten war sie schon vor zu vielen Dingen davongelaufen. „Woher willst du das wissen, wenn –“ Ein Handwink von ihr und er sprach nicht weiter. „Wir sitzen seit zwei Stunden hier und unterhalten uns und obwohl ich eigentlich keinen Grund dazu habe, bin ich von Anfang an nicht ehrlich zu dir gewesen.“ Sie musterte ihn und als er nichts sagte, fuhr sie fort: „Ich bin im vierten Monat schwanger und der Vater ist derselbe wie der von meiner Tochter.“ Manabu stieß einen tiefen Atemzug aus. „Mann“, sagte er überrascht, „davon hat dein Bruder aber nichts erwähnt.“ „Er weiß es nicht“, entgegnete Temari. „Also sei nicht wütend auf ihn. Es wäre schade, wenn euer Arbeitsklima wegen mir in Mitleidenschaft gezogen wird.“ Er lehnte sich zurück und nun spielte er am Fuß seines Weinglases herum. „Mann“, wiederholte er. „Das ist mir bei einem Date wirklich noch nie passiert.“ Er sah ihr direkt in die Augen und es beruhigte sie, dass in seinem Gesicht weder Ärger noch Enttäuschung stand. Ja, er wirkte sogar eine Spur belustigt darüber. „Es tut mir leid, dass ich dir jetzt den Abend versaut habe“, sagte sie, „und wenn ich dir falsche Hoffnungen gemacht habe.“ „Das hast du nicht.“ Manabu schüttelte den Kopf und winkte ab. „Aber ich stelle mir gerade trotzdem die Frage, warum du hergekommen bist, wenn du doch jemanden hast.“ Sie lächelte traurig. „Ich habe niemanden.“ --- In Temaris Kopf hämmerte es, als sie die Haustür aufschloss. Sie wusste, dass sie das einzig Richtige getan hatte und sie hatte sich vorgenommen, dies gleich noch mal zu wiederholen und Kankurou die Wahrheit zu sagen. Sie trat in den Flur und sah, dass im Wohnzimmer noch Licht brannte. Sie zog ihre Schuhe aus, setzte sich in Bewegung und mit jedem Schritt schlug ihr Herz ein wenig schneller. Ihr kam die Idee, dass es vielleicht gar nicht so schlimm wurde, wie sie es sich in den letzten Wochen ausgemalt hatte. Warum sollte ihr Bruder die gute geschwisterliche Bindung wegen so einer Bagatelle kappen? Sie war schwanger und von wem das Kind war, konnte doch im Grunde egal sein … Ja, im Grunde, aber sie wusste, dass es ihm nicht egal sein würde. Und das konnte sie verstehen. Kankurou hatte sich in den Sessel gefläzt, ließ sich von einem alten Martial Arts-Streifen berieseln und knabberte nebenbei ein paar Salzstangen. „Du bist schon zurück?“, fragte er. „War ja ’n kurzes Date.“ Temari setzte sich auf die Couch, nahm die Fernbedienung vom Tisch und schaltete den Fernseher aus. „Hey, ich wollte das sehen!“, protestierte er und versuchte, ihr das Gerät wieder abzuluchsen. Er streckte sich und fuchtelte herum, doch sie rückte ein Stück nach links und brachte sich so in Sicherheit. Entschlossen blickte sie ihren Bruder an und er stellte seine Kinderei ein. „Stimmt was nicht?“ „Mehr oder weniger“, erwiderte sie. „Wir müssen reden.“ Kankurou zog seine Augenbrauen zusammen und brach in Gelächter aus. „Willst du etwa mit mir Schluss machen?“, flachste er. „Wie lustig“, sagte sie trocken. „Es ist mir ernst. Also hör auf mit dem Scheiß.“ Er hörte auf zu lachen und schaute sie aufmerksam an. „War das Date etwa ein Reinfall?“, fragte er weiter. „Wenn ja, ich hab nichts damit zu tun.“ „Nein“, gab sie zurück, „es war nett. Aber darum geht’s nicht.“ „Na, dann red nicht so drumherum und rück mit der Sprache raus, damit ich den Film weitergucken kann.“ „Der kann warten.“ „Ich kenn ihn aber noch nicht.“ „Dann leih ich ihn dir morgen aus“, erwiderte sie in einem Anflug Genervtheit. „Aber jetzt halt endlich mal für ’nen Moment die Klappe!“ Er verzog irritiert das Gesicht, schwieg aber. Temari überlegte, wie sie die Nachricht am besten formulieren sollte, doch geradeheraus war bei ihrem bisweilen begriffsstutzigen Bruder die beste Wahl. „Ich bin wieder schwanger“, sagte sie. Kankurou blinzelte sie vor Ungläubigkeit an. „Wie bitte?“, fragte er. „Wie hast du denn das geschafft?“ Sie überhörte seine letzte Bemerkung. „Du hast schon richtig gehört.“ „Wow, damit hab ich nicht gerechnet“, meinte er und grinste vor Belustigung. „Von wegen, du hattest keinen Sex … Du hättest es ruhig zugeben können.“ „Ja, damit du dir wie jetzt das Maul drüber zerreißen kannst, was?“, merkte sie sarkastisch an. „Ist doch nur ein bisschen Spaß. Wann hast du es denn krachen lassen?“ „Als du in Kumogakure warst.“ „Verstehe“ – das Grinsen ihres Bruders nahm ganz merkwürdige Züge an – „dann hast du Koutarou abserviert, weil er’s nicht bringt, hm?“ Sie hatte sich mögliche Reaktionen von ihm vorgestellt, aber so etwas Absurdes wäre ihr niemals in den Sinn gekommen. „Hast du gesoffen?“, erwiderte Temari beherrscht. Er zuckte die Achseln. „Ein Bier. Mehr nicht.“ „Dann reiß dich gefälligst zusammen und benimm dich nicht wie ein pubertierender Jugendlicher!“, fuhr sie ihn an. „Es hat mich nämlich echt Überwindung gekostet, dir das zu sagen.“ „Warum denn?“ „Weil deine nächste Nichte oder dein Neffe wie Kairi ohne Vater aufwachsen wird.“ „Und warum?“, entgegnete er. „Koutarou wohnt doch vor Ort. Selbst wenn eure Beziehung aus irgendeinem Grund nicht funktioniert hat, wird er sich sicher um sein Kind kümmern. So viel Anstand hat er.“ „Das würde er“ – sie nickte – „wenn es sein Kind wäre.“ Kankurous Grinsen verflüchtigte sich. „Es ist nicht seins?“, fragte er argwöhnisch. „Wie weit bist du denn jetzt?“ „In der vierzehnten Woche“, antwortete sie. „Es ist mehr oder minder bei einem One-Night-Stand passiert und da ich deswegen ein schlechtes Gewissen hatte und ich Koutarou nichts vormachen wollte, hab ich mit ihm Schluss gemacht. Von der Schwangerschaft wusste ich da aber noch nichts.“ „Ein One-Night-Stand?“, wiederholte ihr Bruder kritisch. „Wenn du es so nötig hattest, warum hast du es dann nicht mit ihm gemacht? Hat Matsuri hier etwa so ’nen Kerl angeschleppt, den du so geil fandest, dass du nicht widerstehen konntest?“ Sie überhörte den zweiten Teil seiner Aussage und antwortete: „Nein, hat sie nicht.“ „Was hat dich dann dazu gebracht, deine neue Beziehung wegzuwerfen? Und warum dachtest du, dass du das so lange vor mir verheimlichen musst?“ Temari senkte den Blick und antwortete nicht. „Klar, ich bin nicht begeistert darüber, dass du bald zwei Kinder hast und immer noch allein erziehende Mutter bist und wie schon bei Kairi eine Menge Arbeit an mir kleben bleiben wird“ – Kankurou holte tief Luft und schenkte ihr ein Lächeln – „aber die Familie ist doch dafür da, dass man sich gegenseitig hilft und unterstützt.“ Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie hatte gedacht, dass sie ihren Bruder kannte, aber sie hatte ihn wirklich falsch eingeschätzt. Bis zu diesem Punkt zumindest, denn sie glaubte nicht, dass er an seinen Worten festhielt, wenn sie ihm erzählte, wer für das Ganze verantwortlich war. „So, und nun ist es raus und du kannst diesen furchtbaren Schlabberlook wieder in den Kleiderschrank verbannen“, witzelte er. „So viel sieht man doch auch noch nicht, oder?“ Sie zog ihr Oberteil hoch und zeigte ihm ihren Bauch. Er stieß einen Pfiff aus und fragte: „Sicher, dass du erst im vierten Monat bist?“ „Ja“, sagte sie und ließ den Saum ihres Tops wieder los. „Alles andere ist ausgeschlossen, schließlich hatte ich es nur an dem einen Abend.“ „Einmal gevögelt und schon wieder schwanger“, bemerkte er. „Du hast den Zufall wirklich auf deiner Seite.“ „Ja, ja, mach dich nur drüber lustig …“ Sie fuhr sich mit dem Handrücken über ihre Augen und entfernte die Feuchtigkeit, bevor sie noch losheulte. Die Tränen sparte sie sich für später auf. Kankurou machte einen Satz zum Sofa herüber und setzte sich neben sie. Er legte ihr einen Arm um die Schultern und grinste. „Und?“, fragte er mit einem Augenzwinkern. „Wem hast du das Ganze zu verdanken?“ Seine Frage ließ sie zusammenzucken. „Ist es dir so peinlich?“, spaßte ihr Bruder. „Dann kenn ich ihn?“ Temari nickte. „War es dieser Penner, der immer an der Ecke vom Supermarkt rumhängt?“, scherzte er. „Wenn er es ist, kann ich verstehen, dass du lieber –“ „Kannst du nicht einmal ernst bleiben?“, fuhr sie ihm ins Wort. „Wirklich, ich kann nicht darüber lachen. Und du gleich sicher auch nicht mehr.“ „Wer ist es denn?“, gab er zurück. „Ein Kleinkrimineller, ein Minderjähriger oder ein alter Sack? Spuck’s schon aus, so schlimm kann’s doch nicht sein!“ Ja, für sie gab es tatsächlich Schlimmeres, aber … Sie schaute ihm in die Augen, hielt seinem Blick aber nicht lange stand. Sie wollte nicht sehen, wie sie ihm das amüsierte Lächeln von den Lippen fegte. Sein Unverständnis. Und vor allem wollte sie seine Enttäuschung nicht sehen. „Shikamaru war hier“, sagte sie tonlos. „Es ist sein Kind.“ Sie spürte, wie sich der Arm ihres Bruders kurz anspannte. „Sag mir bitte, dass das ein schlechter Scherz ist“, presste er hervor. „Das finde ich nämlich nicht lustig.“ Sie schüttelte den Kopf und er ließ von ihr ab, als wäre ihm bewusst geworden, dass er einen hochgiftigen Skorpion umarmte. Vor Wut biss er die Zähne zusammen und ballte seine Hände zu Fäusten. „Du hast dich von diesem Mistkerl wieder schwängern lassen? Das Arschloch, das sich nicht mal um sein erstes Kind kümmert?!“, fluchte Kankurou aufgebracht. „Wie kannst du nur nach alldem noch einmal mit dem in die Kiste springen?“ „Ich hatte fast eineinhalb Jahre keinen Sex mehr!“, sprudelte es aus Temari heraus. Augenblicklich bereute sie ihre Antwort. Ja, es war mit ein Grund gewesen, warum sie mit ihm geschlafen hatte, aber es spielte im Ganzen nur eine untergeordnete Rolle. „Wenn’s nur darum ging: Warum zur Hölle hast du dich dann nicht von Koutarou vögeln lassen?“ „Glaubst du etwa, dass es so einfach ist?“, erwiderte sie. „Meinst du, dass ich das nicht getan hätte, wenn es mir nur um Sex gegangen wäre?“ „Oh, was hat dir der Arsch denn vorgelogen, um dich um seinen kleinen Finger zu wickeln? Oder sollte ich besser sagen: Um dich flachzulegen? Wie dumm kannst du nur sein?“ „Ich –“ Sie brach ab. Wenn er sie so anging, war sie ihm keine Rechenschaft schuldig. Sie war ihm, was das betraf, überhaupt keine Rechenschaft schuldig. „Ach, was weißt du denn schon?“ Ihre Stimme zitterte vor Ärger. „Du hast doch keine Ahnung, was in mir vorgeht!“ „Offensichtlich nichts Gutes“, sagte Kankurou bitter, „wenn du nach der Zeit immer noch deiner gescheiterten Beziehung hinterher trauerst und augenblicklich die Beine für ihn breit machst, sobald er vor der Tür steht.“ Temari schaute ihrem Bruder ins Gesicht und da war sie: Die Enttäuschung. Er war wütend und enttäuscht von ihr und dieser Anblick traf sie härter, als sie erwartet hatte. „Er war hier, um seine Tochter zu sehen“, erklärte sie ruhig. „Der Rest hat sich eben so ergeben …“ „Gott, verdammt noch mal!“, fluchte er. „Es geht mich nichts an und es ist mir so was von scheißegal, dass du unbedingt mit ihm vögeln musstest“ – er schnappte nach Luft – „aber warum in drei Teufels Namen lässt du dir ein zweites Kind von ihm machen?“ „Ich –“ Sie hielt inne. Die Frage war angebracht, aber … „Ach, als du eben noch dachtest, dass das Baby von irgendeinem fremden Kerl ist, hat es dich nicht gestört“, merkte sie an, „aber jetzt, da du weißt, wer der Vater ist, regst du dich auf?!“ „Weil er sich einen Scheiß um Kairi kümmert“, erwiderte Kankurou, „deshalb. Oder besteht die geringste Chance, dass es diesmal anders sein wird?“ Temari gab keine Antwort. „Ehrlich, warum ist er jetzt nicht hier?“, fragte er. „Es ist endgültig vorbei“, flüsterte sie. „Also lass es gut sein.“ Ihr Bruder sprang auf, hechtete aus dem Wohnzimmer und den Flur entlang. Sie eilte ihm nach. „Was hast du vor?“ Er streifte sich seine Weste über und riss die Tür auf. „Kein Kerl schwängert zweimal meine Schwester und zieht sich dann aus der Verantwortung!“, zischte er. „Ich geh jetzt sofort nach Konoha und bring ihn um!“ „Tu das nicht.“ Sie griff nach seinem Arm, um ihn am Gehen zu hindern. „Es ist ganz allein meine Schuld, wie es gekommen ist. Er hat mich gebeten, dass ich mit Kairi zu ihm ziehe, aber da ich das nicht kann, hab ich ihn vor vollendete Tatsachen gestellt und –“ Ihre Stimme versagte. Die Einzelheiten des Gesprächs kamen in ihr hoch und trieben ihr die Tränen in die Augen. Ja, er war abgehauen, aber Fakt war, dass sie tatsächlich die größte Schuld trug. Wenn sie ihn nicht in der Nacht mit der Wahrheit konfrontiert hätte, dann vielleicht … Nein, es hätte nichts geändert. Nicht mal im Ansatz. Das wusste sie. Kankurous Körperspannung ließ etwas nach. Temari lockerte ihren Griff und er nutzte es, um sich von ihr loszureißen. „Du bist meine Schwester und ich liebe dich“, murmelte er, „aber irgendwann reicht es auch mal.“ Er stürmte nach draußen und warf die Tür hinter sich zu. Kapitel 26: Wahre Freundschaft ------------------------------ Kapitel 26: Wahre Freundschaft Temaris Hände umklammerten den Eisbecher, den sie sich gegönnt hatte, doch sie hatte nicht einmal die Hälfte gegessen. Obwohl es ihre beiden Lieblingssorten waren, schmeckten sie ihr nicht. Wenn sie es recht bedachte, schmeckte ihr seit fünf Tagen nichts mehr so richtig. Seit sie Kankurou die Wahrheit gesagt und mit ihm aneinander geraten war. Er war zwar ihrer Bitte nachgekommen und nicht nach Konoha gegangen, aber das war die einzige Gefälligkeit, die er ihr getan hatte. Er beschäftigte sich noch mit Kairi, wenn seine Nichte auf ihn zukam, aber seine Schwester ignorierte er völlig. Seit er an dem Abend aus der Tür war, hatte er kein Wort mit ihr gesprochen und sie glaubte nicht, dass sich das wieder so schnell änderte. Sie hatte ihn in ganzer Linie enttäuscht und das waren die Konsequenzen daraus. Das akzeptierte sie. Auch wenn es wehtat, dass er so mit ihr umging. Lustlos rührte sie in der Pampe herum, die ihr Eis gewesen war und da ihre Tochter sie gierig anstierte, gab sie ihr gelegentlich einen Löffel von dem Schoko-Pfefferminz-Matsch. Das Mädchen verzog das Gesicht und als sie den Geschmack über hatte, verlor sie das Interesse und jagte einer kleinen Spinne im Sand hinterher. „Entschuldige die Verspätung“, japste Matsuri. „Ich musste heute ’ne Überstunde einlegen. Scheiß Papierkram!“ „Macht nichts“, murmelte Temari. Ihre beste Freundin ließ sich auf die Bank neben sie fallen und fragte: „Redet er immer noch nicht wieder mit dir?“ Verdrossen fixierte sie ihren Blick auf den Pappbecher in ihrer Hand. „Nicht mal ein Hallo oder Tschüss.“ „Wer kann’s ihm schon verübeln? Du hättest nicht so lange warten sollen, bis du es ihm sagst.“ „Vielen Dank“, erwiderte sie tonlos. Sie hatte nicht einmal Lust, sarkastisch zu sein. „Ach, du weißt doch, wie ich’s meine.“ Matsuri tätschelte ihrer Freundin die Schulter. „Sei lieber froh, dass er seine Drohung nicht wahr gemacht hat und nach Konoha gegangen ist, um deinem Ex den Arsch aufzureißen.“ Temari zuckte teilnahmslos mit den Achseln. „Ist mir doch egal …“ „Ist es dir nicht“, legte sie fest. „Glaubst du, ich weiß nicht, dass du Kankurou drum gebeten hast, dass er es nicht tut?“ „Gibt es eigentlich irgendwas, das du nicht weißt?“, entgegnete sie. „Ehrlich, was erzählt er dir alles über mich?“ „Er war nach eurer Auseinandersetzung – oder wie man es nennen will – bei mir und hat sich ausgekotzt. Du hast ihn wirklich unsagbar enttäuscht.“ Sie setzte den Becher an, trank den Rest der Eispampe und zerdrückte ihn in der rechten Hand. Unsagbar enttäuscht, wiederholte sie in Gedanken. Als ob sie das nicht wüsste … Sie zielte auf den Mülleimer, der in zwei Metern Entfernung neben der nächsten Bank stand, und versenkte das Pappknäuel mit einem gezielten Wurf. „Das ist mir klar“, sagte Temari. „Ich finde es nur lächerlich von ihm, dass er kein Problem mit der Sache hätte, wenn der Vater meines Kindes ein anderer wäre.“ „Glaubst du das wirklich?“ Ihre Freundin prustete vor Belustigung. „Mal ehrlich, er würde jeden Kerl auseinander nehmen, wenn der sich nicht um sein Kind kümmert. Dass es Shikamaru ist, setzt dem Ganzen nur den Lorbeerkranz auf. Du glaubst gar nicht, wie sauer er auf ihn ist.“ „Doch, glaub ich“, gab sie zurück. „Aber wenn Kankurou so sauer auf ihn ist, warum geht er dann nicht zu ihm, um ihn fertigzumachen?“ „Weil du es nicht möchtest.“ Matsuri beugte sich vor und tippte ihr mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. „Er würde ihm nur zu gerne einen langsamen und grausamen Tod bereiten, aber er akzeptiert deine Bitte. Weil er dich liebt, obwohl du ihn so enttäuscht hast.“ Temari spürte, wie sich ihr Herz schmerzhaft zusammenzog. Sie hatte ihn so lange angelogen und trotzdem nahm er noch Rücksicht auf ihre Wünsche. So einen verständnisvollen Bruder hatte sie gar nicht verdient und trotzdem fühlte sie sich elend, weil er sie wie Luft behandelte. „Schön und gut“, sagte sie. „Kairis Vater kann sich darüber glücklich schätzen, aber ich merke nichts von seiner Bruderliebe.“ „Das ist nur seine Art und Weise, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen.“ Ihre Freundin lächelte ihr aufmunternd zu. „Lass ihn ein bisschen schmollen. Du wirst sehen: In eins, zwei Wochen ist er wieder ganz der Alte.“ Das tröstete sie im Moment zwar nicht, aber sie erwiderte ihr Lächeln. Sie lenkte ihren Blick auf ihre Tochter, die im Sand spielte und ließ sich Matsuris Worte durch den Kopf gehen. Sie hoffte sehr, dass sie Recht hatte, aber … „Wieder der Alte?“, wiederholte Temari. „Sag mal, habt ihr was miteinander oder warum weißt du auf einmal so gut über Kankurous Gefühlsleben Bescheid?“ „Nur meine Einschätzung“, erwiderte sie. Sie sah ihre Freundin direkt an und hob die Augenbrauen. Sie bekam keine Reaktion. „Dann ist es also nur Zufall, dass du gar nicht mehr von Gaara redest, seit du so viel Zeit mit ihm verbringst?“ „Purer Zufall.“ Matsuri nickte demonstrativ. Obwohl ihr in Anbetracht ihrer Situation nicht danach war, lachte Temari auf. „Jetzt geb’s schon zu!“, forderte sie sie auf. „Ich verrat’s auch niemandem.“ Die Jüngere verzog das Gesicht und brach in Gelächter aus. „Ist der Ryo bei dir doch endlich gefallen?“, fragte sie amüsiert. „Echt, ich dachte, du kommst nie mehr drauf.“ Sie blinzelte. „Dann bist du tatsächlich Kankurous heimliche Freundin?“ „So in etwa.“ „Und wie lange läuft das schon zwischen euch?“ „Vier Monate ungefähr“, erwiderte sie und grinste. „Dafür, dass ich deine beste Freundin bin, hast du eine verdammt schlechte Beobachtungsgabe.“ „Die muss mir im Gefühlschaos der letzten Zeit wohl abhanden gekommen sein.“ Sie betrachtete wieder Kairi und setzte nach: „Aber ich hätte dich wirklich mal öfter fragen können, wie es dir geht. Ich bin wirklich keine gute Freundin.“ „Ach, was!“ Matsuri schlug ihr so kräftig auf den Rücken, dass sie zusammenzuckte. „Du hast deine eigenen Probleme zu bewältigen und außerdem höre ich dir gerne zu. Das lenkt exzellent von den eigenen Sorgen ab, weißt du?“ „Ohne die Gespräche mit dir wäre ich wahrscheinlich auch schon lange reif für einen Psychologen.“ „Und ich für die Geschlossene“, flachste ihre Freundin, doch Temari glaubte nicht, dass es ein Witz war. „Siehst du, diese Freundschaft bringt uns beiden was.“ Das stimmte, auch wenn sie sich nicht bewusst darum bemüht hatte. „Danke übrigens, dass du Kankurou nichts erzählt hast“, sagte sie. „War bestimmt nicht einfach, alles für dich zu behalten, oder?“ Sie machte eine ausladenden Handwink. „Kein Kerl ist es wert, dass ich unsere Freundschaft riskiere“, meinte sie. „Er hat mich zwar schon ein paar Mal gefragt, ob ich nicht finde, dass du dich komisch verhältst, aber“ – sie ließ ein Grinsen aufblitzen – „ich weiß ja, wie man gekonnt vom Thema ablenkt.“ „Allerdings.“ Temari schmunzelte und hob zur Abwehr die Hand. „Aber bitte keine Details.“ Matsuri lachte. Sie schwiegen einen Moment und beobachteten, wie Kairi zu einer Bank herüber krabbelte und sich daran hoch zog. Das Mädchen ließ los, machte ein paar unbeholfene Schritte und fiel dann auf die Knie. Sie schaute etwas verdutzt und kicherte los. „Sie hat in den letzten Wochen ganz schöne Fortschritte gemacht“, bemerkte ihre Freundin und lächelte. „Der Idiot, der das von seinem Kind freiwillig verpasst, ist wirklich zu bemitleiden.“ Nicht, wenn er sich nicht dafür interessiert, dachte Temari traurig. Da sie sich davon nicht herunterziehen lassen wollte – ihre Laune war ohnehin schon am Boden –, fragte sie: „Du hast mir noch gar nicht erzählt, wie es zwischen dir und meinem Bruder läuft. Ist es euch ernst?“ „Na ja“, begann ihre Freundin nachdenklich, „er ist ein netter Kerl – nicht, dass ich das nicht schon früher gewusst hätte – und wir hatten auch schon so unsere Höhen und Tiefen, aber so, wie es momentan läuft … Ja, ich könnte es mir zumindest vorstellen.“ „Dann hast du die ständig wechselnden Partner satt, hm?“ „Mehr als das.“ Sie zog eine Grimasse. „Wenn man Affären mit Sadomasochisten, Stiefelfetischisten und Typen hatte, die auf Dinge stehen, die besser unausgesprochen bleiben, kommt einem ein normaler Mann, der keinen abgefahrenen Scheiß will, ganz recht.“ „Normal? Ist er das denn?“ „Wenn man von seinem Hang zur Kriegsbemalung absieht, ja“, bestätigte Matsuri. „Aber damit komme ich klar.“ „Schön, dass du jetzt auch mal ein wenig Glück hast“, sagte sie, wusste aber nicht, ob sie sich wirklich darüber freuen konnte. Sie hatte ihre beste Freundin nie wirklich beneidet, dazu war ihre Lebensweise viel zu verkorkst, aber in diesem Moment tat sie es. Weil sie sich selbst nach so einem einfachen, normalen Leben sehnte. Aber allein die Vorstellung war utopisch. „Es tut auf jeden Fall gut“, entgegnete sie. „Es waren zwar größtenteils selbstgemachte Leiden, aber das kann ich nach den Enttäuschungen der letzten Jahre echt gebrauchen.“ Temari sagte nichts. Von selbstgemachten Leiden verstand sie eine ganze Menge. Und von den daraus resultierenden Enttäuschungen ebenfalls. Seit sie das erste Mal schwanger gewesen war, bestand ihr Leben aus fast nichts anderem als selbstgemachten Leiden und Enttäuschungen. „Findest du es deprimierend, dass ich in meinem ganzen Leben nur mit einem einzigen Mann Sex hatte?“, fragte sie plötzlich. Ihre Freundin blickte sie an, als hätte sie eine Verrückte vor sich, und schürzte die Lippen. „Warum sollte ich das deprimierend finden?“, fragte sie. „Mein ehemaliger Lebensstil ist auch alles andere als optimal, wenn du das meinst.“ Sie schüttelte den Kopf. „Wie kommst du dann darauf?“ „Ich weiß nicht … Jetzt, da ich bald alleine mit zwei Kindern dastehe, kommt mir die Zeit, die ich in diese eine Beziehung investiert habe, so sinnlos vor“, meinte sie. „Als er hier war, hab ich mir auch die größte Mühe gegeben, dass alles wieder ins Lot kommt, hab sogar das, was ich mit Koutarou hatte, über den Haufen geworfen. Und wofür? Für nichts, für absolut gar nichts!“ Sie holte tief Luft, verbarg ihr Gesicht in den Händen und murmelte: „Gott, was stimmt denn mit mir nicht?“ „Du hast halt Pech“, sagte Matsuri. „Und einen ausgeprägten Hang zur Selbstsabotage. Am Pech kann man nichts ändern, aber das Sabotieren kann man abstellen.“ „Wenn ich wüsste, wie das geht, würde ich es sofort machen.“ Sie sah wieder auf . Ihre beste Freundin musterte sie forschend. „Würdest du?“ „Sicher.“ „Das denke ich nicht.“ „Und warum?“ „Die Frage kannst du dir selbst beantworten.“ Temari widersprach nicht, auch wenn sie keinen Schimmer hatte, wovon sie gerade redete. „Du musst ihm schreiben“, setzte Matsuri nach. „Ansonsten sabotierst du nicht nur weiterhin dein eigenes Leben, sondern auch das von Kairi und dem Zwerg.“ „Aber –“ Ihr Anflug eines Protestes verpuffte. Dem hatte sie nichts entgegenzusetzen. „Schreib ihm“, wiederholte ihre Freundin. „Ich weiß, es fällt dir schwer, aber es wird dir besser gehen, wenn der Brief erstmal unterwegs nach Konoha ist.“ „Ja, genau“, erwiderte sie trocken. „Er wird ihn lesen, sich besinnen und alles stehen und liegen lassen, was ihm lieb und teuer ist. Er wird einfach so herkommen und wir machen einen auf glückliche Familie. Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie heute noch im Friede-Freude-Eierkuchen-Land!“ „Das habe ich nicht gesagt“, sagte Matsuri ruhig. „Ich sagte nur, dass es dir dann besser gehen wird. Kein Grund, um gleich wieder sarkastisch zu werden.“ „Meinst du, ich weiß das nicht?“, gab Temari zurück. „Für den Moment wird es mir besser gehen, aber dann? Was, wenn wie bei Kairi damals nichts von ihm kommt? Was, wenn er doch wieder hier auftaucht?“ „Wäre letzteres nicht optimal?“ „Nein, wäre es nicht. Ich hab keine Lust, mich noch in irgendeiner Weise mit ihm abgeben zu müssen. Nicht mal wegen der Kinder.“ „Du liebst ihn doch immer noch, oder sehe ich das falsch?“ „Das Eine hat nicht zwangsweise etwas mit dem anderen zu tun“, antwortete sie. „Ich kann ihm nicht verzeihen, dass er trotz aller Versprechen gegangen ist, selbst wenn ich wollte.“ Ihre Freundin stieß einen Seufzer aus und sagte: „Es geht hier aber nicht nur um dich und das, was du willst.“ Temari starrte ihre Tochter an, ohne sie wirklich zu sehen. Natürlich ging es um viel mehr als ihr lädiertes Ego und ihr zersplittertes Herz, doch inzwischen sah sie ihre Entscheidung von der praktischen, vorausschauenden Seite. „Vielen Dank für deinen Rat“, erwiderte sie ausdruckslos. „Jetzt bin ich mir sicher, dass ich das Richtige getan habe, als ich die Briefe zerrissen habe.“ Matsuris Augen lagen noch einen Moment auf ihren. Sie spitzte die Lippen, als wollte sie zum Sprechen ansetzen, doch ihre beste Freundin beschränkte sich auf ein angedeutetes Kopfschütteln und wandte sich ab. Kapitel 27: Unerwartetes Wiedersehen ------------------------------------ Kapitel 27: Unerwartetes Wiedersehen Als Temari drei Tage später am Morgen mit Kairi auf dem Arm über den Flur ging, stieg ihr ein fragwürdiger Kaffeeduft in die Nase. Sie stieß die angelehnte Tür zum Wohnzimmer auf und obwohl der Geruch Schüttelshake mit ihrem Magen spielte, war sie so froh wie seit Wochen nicht mehr. Gaara saß mit der Morgenzeitung auf seinem Stammplatz. Eine Tasse von seinem gebrühten Teufelszeug stand vor ihm auf dem Tisch und dampfte vor sich hin. Sie grüßte ihn und ließ ihre zappelnde und vor Freude quietschende Tochter auf den Boden herunter. Das Mädchen krabbelte zum Sessel, zog sich daran hoch und umklammerte das linke Bein ihres jüngsten Onkels. Er lächelte und strich ihr liebevoll über die Haare. Sie brachte das Gebräu rasch aus Kairis Reichweite und fragte: „Seit wann bist du wieder hier?“ „Seit heute Nacht.“ Er legte die Zeitung beiseite und hob seine Nichte, die die Arme nach ihm ausstreckte, hoch und sie quittierte es mit einer überschwänglichen Umarmung. Temari beobachtete die beiden mit einem Lächeln. Wenn das nicht der Beweis war, dass sie das Richtige tat, dann … „Warum nimmst du dir heute nicht frei?“, fragte sie. „Den Luxus kann ich mir nach eineinhalb Wochen Abwesenheit als Kazekage nicht leisten“, bedauerte er. „Mehr als den Arbeitsbeginn eine Stunde nach hinten verlegen, um meine Nichte und meine Schwester zu sehen, ist nicht drin.“ „Das hast du aber schön gesagt.“ Sie lachte. „Und wie war es? Gibt es dieses Mal wieder ein paar vielversprechende Chuunin-Anwärter?“ „Durchaus“, sagte er. „Ich werde mich zwar noch mit dem Rat besprechen müssen, aber fünf dürften es wohl geschafft haben.“ „Dann ist mein Ausstieg ja endlich kompensiert“, scherzte sie. „Und wie ist es dir in meiner Abwesenheit so ergangen?“, fragte er im Anschluss. „Ganz gut, seitdem ich mich nur noch einmal am Tag übergeben muss“, antwortete sie. „Das ist fast schon eine neue Lebensqualität für mich, kann ich dir sagen.“ „Das glaub ich dir“, erwiderte Gaara und schmunzelte. „Und was macht das Kleine?“ „Ich muss erst Anfang nächster Woche wieder zum Arzt, aber so, wie mein Bauch wächst, scheint es ihm gut zu gehen.“ Sie platzierte eine Hand unterhalb ihres Nabels und ließ ihre Finger ein wenig kreisen. „Es wird doch nur eins, oder?“, fragte er amüsiert. Ihre Brauen wanderten nach oben und sie schaute ihn argwöhnisch an. „Bist du etwa enttäuscht?“ „Das nicht, aber je lauter, desto besser“, sagte er. „Und drei Kinder machen mehr Lärm als zwei.“ „Ich glaube, mit einer kleinen Zicke und einem Baby wird es hier laut genug sein.“ Temari lächelte und setzte nach: „Genug der Plauderstunde. Das Frühstück deiner Nichte macht sich nicht von alleine.“ Sie schlenderte los und gerade, als sie die Küche erreichte, hörte sie ihren Bruder sagen: „Ich soll dir übrigens einen schönen Gruß ausrichten.“ Temari hielt inne. War der Kerl nach der Nummer, die er mit ihr abgezogen hatte, wirklich so dreist und wagte es, sie zu grüßen? Sie presste die Zähne aufeinander und ballte die Hände zu Fäusten. Wenn das so war, dann … „Sakura entschuldigt sich auch, dass sie sich so lange nicht bei dir gemeldet hat“, fuhr Gaara fort und sie entspannte sich wieder. Sakura, natürlich. Wer sollte sie sonst grüßen wollen? Sie kam sich dämlich vor, dass sie nicht als erstes an sie gedacht hatte, sondern an den Vater ihrer Kinder. Es war scheiße, was er getan hatte, aber so eine widerwärtige Aktion brachte nicht einmal er. „Macht nichts“, entgegnete sie. „Ich hätte ihr ja genauso gut schreiben können.“ Sie verschwand in der Küche, nahm das Brot aus dem Schrank und begann, ein paar Scheiben davon abzuschneiden. „Mit Shikamaru hab ich nicht gesprochen“, tönte die Stimme ihres Bruders aus dem Wohnzimmer. „Er hatte als Hauptprüfer ziemlich viel zu tun.“ Temari biss sich auf die Unterlippe. Warum erzählte er ihr das? Es war ihr so was von egal, ob er tatsächlich mal etwas tat oder ob er irgendwo herumlag und Löcher in die Luft starrte. Und noch viel weniger wollte sie irgendwelche Details von seinem Verbleib wissen. Sie wollte überhaupt nichts von ihm wissen. „In der Zeitung von vorgestern müsste ein Foto von ihm zusammen mit den Finalteilnehmern sein.“ Ein Tropfen Blut fiel auf ihre linke Hand und auf einmal spürte sie den Schmerz in ihrer Lippe. Sie ließ von ihr ab und fuhr sich über den Mund. Sie betrachtete den verwischten, roten Fleck, der in ihrer Handfläche klebte und merkte den Ärger, der in ihr aufstieg. Egal, was sie tat oder sagte, ständig wurde sie mit ihrem Ex konfrontiert. Ob nun bewusst durch Matsuri oder unbewusst durch Gaara, sie hasste beides. Sie schmierte das Blut in ein angefeuchtetes Taschentuch und machte sich dann wieder ans Frühstück. „Wirklich alles in Ordnung mit dir?“ Temari zuckte kaum merklich zusammen und warf einen Blick über ihre Schulter. Ihr Bruder stand am Eingang und schaute sie besorgt an. Sie verspürte nicht den Drang, ihm mitzuteilen, warum sie nicht gut auf den Vater ihrer Kinder zu sprechen war. „Na ja“, begann sie und suchte nach einer Ausflucht, „Kankurou redet seit letzter Woche nicht mehr mit mir.“ Die perfekte Ausrede, die keine Ausrede war. Irgendwann bemerkte Gaara sowieso, dass der Haussegen schief stand und da konnte sie es ihm genauso gut gleich sagen. „Warum denn?“ „Ich hab’s ihm erzählt“, antwortete sie. „Er hat ein großes Problem mit der Vaterschaftsfrage. Aber das kommt ja nicht gerade überraschend, nachdem im letzten Jahr so viel an ihm hängen geblieben ist.“ Gaara runzelte die Stirn und schien nachzudenken. „Soll ich mal ein Wörtchen mit ihm reden?“, fragte er schließlich. „Das musst du nicht machen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Wenn er Zeit braucht, soll er sie haben. Und wenn er mich bis dahin hassen will, soll er es tun. Kankurou hat jedes Recht, sauer auf mich zu sein.“ „Meinst du wirklich?“ Sie nickte schweren Herzens. --- Temari saß auf dem Teppich und stapelte mehrere Holzbauklötze. Kairi hibbelte erwartungsvoll von einer Pobacke auf die andere und als der Turm stand und ihre Mutter ihn zum Abriss freigab, lachte das Mädchen und warf ihn um. Die Bausteine rollten über den Fußboden und verteilten sich im halben Wohnzimmer, doch das hielt sie nicht davon ab, sie immer und immer wieder einzusammeln, damit das Spiel von vorne beginnen konnte. Im Hintergrund lief der Fernseher. Eine überdrehte Werbung für ein Kinderspielzeug flimmerte über den Bildschirm, doch Kankurou war so rücksichtsvoll gewesen und hatte den Ton herunter gedreht. Vermutlich aus Rücksicht auf sich selbst und nicht, um seiner Schwester einen Gefallen zu tun. Es war das erste Mal seit der Auseinandersetzung, dass er sich länger als zwei Minuten mit ihr in einem Raum aufhielt und das eisige Schweigen, das er ihr entgegenbrachte, fühlte sich äußerst unangenehm an. Während Kairi sich lang machte, um einen Klotz unter dem Sofa hervorzukramen, klaubte Temari die restlichen Steine zusammen. Sie streckte sich und angelte nach dem Letzten, als sie den Blick ihres Bruders bemerkte. Er beobachtete sie mit zusammengezogenen Augenbrauen und einer leichten Wutfalte auf der Stirn. Sie wollte gerade den Mund aufmachen und ihm einen unangebrachten Spruch um die Ohren hauen – wenn er sie ignorierte, sollte er gefälligst konsequent bleiben –, da bemerkte sie, wohin er genau sah. Seine Augen waren starr auf die Rundung ihres Bauches gerichtet und die Wut, die in ihnen stand, ließ sie schaudern. Sie griff rasch nach dem Holz und setzte sich mit klopfendem Herzen zurück an ihren Platz, wo er sie nicht sehen konnte. Ihre Hände zitterten ein wenig, als sie die Steine türmte, die sie eingesammelt hatte. Kankurous Miene hatte sich in ihrem Kopf eingebrannt. Es war okay, solange er nur wütend auf sie war, aber dass er seinen Ärger auf das Baby projizierte, beunruhigte sie. --- Gedankenverloren schüttete Temari den Sand, den sie aufgelesen hatte, von einer Hand in die andere. Er war so fein, dass er mit jedem Wechsel weniger wurde, bis nur noch einige Körner übrig waren und sich der größte Teil auf ihrem Rock abgesetzt hatte. Sie wischte ihn mit einem Handwink von ihrem Schoß und sah auf. Kairi schob wie meist den Sand zwischen ihren Händen zu einem Hügel zusammen, um ihn im Anschluss kaputt zu machen. Auch nach einer Viertelstunde schien ihr diese Beschäftigung noch nicht langweilig geworden zu sein. Temari seufzte. Sie selbst langweilte sich unglaublich. Ihre Tochter war größtenteils Selbstunterhalterin und wenn sie sich zu ihr setzte, wurde sie ignoriert – irgendwelchen Quatsch mit Sand anzustellen war wohl sehr viel interessanter – und es kam schon mal vor, dass sie sich mit einer anderen Mutter unterhielt, aber das waren mehr so oberflächliche Gespräche, um die sie sich nicht riss. Meistens saß sie alleine auf derselben Bank, starrte vor sich hin und hatte zu viel Zeit zum Nachdenken. So wie jetzt. Sie dachte an Kankurous Blick. Sie wollte nicht daran denken, doch sie konnte nicht anders. Ohne Vorwarnung erschien er in ihrem Gedächtnis und bereitete ihr vor allem eins: Sorgen. Sie versuchte sich vorzustellen, wie ihr Bruder reagieren würde, wenn sie ihn darauf ansprach, doch momentan würde sie wahrscheinlich nicht mal den leisesten Ton von ihm als Antwort bekommen. Von daher war es besser, wenn sie ihm aus dem Weg ging, bis er auf sie zukam, aber Ruhe ließ ihr seine feindselige Miene trotzdem nicht. Nein, sogar im Gegenteil. Obwohl es totaler Unsinn war, spielten sich in ihrer Fantasie die schlimmsten Szenarien ab: Wie Kankurou sie mit seiner Sasori-Marionette in die Ecke drängte und verlangte, das Ungeborene freiwillig herauszurücken; wie Kankurou mit einem Kunai in der Hand nachts an ihrem Bett stand, die Decke wegzog und – Temari hasste dieses Kopfkino, zu dem sie sich verleiten ließ, doch noch mehr hasste sie ihre Träume, in denen es munter weiter ging. Träume, die sie nicht einfach so unterbrechen konnte, indem sie an etwas anderes dachte. Sie schüttelte den Kopf, um diese grauenvollen Gedanken zu vertreiben. Und sie traten in den Hintergrund – um bei Gelegenheit wie ein Tiger auf der Pirsch wieder aus ihrem Versteck zu springen. Ein Kind lief an der Bank vorbei, auf der sie saß. Es war ein dunkelhaariger, etwa fünf Jahre alter Junge, den sie noch nie gesehen hatte. Da der Spielplatz komplett in Schatten getaucht war, warf er seine Kappe beiseite und sprang an das Kletternetz. Sie blickte zu Kairi. Ihre Tochter hatte das emsige Sandhügel-Zerstören eingestellt, beobachtete das andere Kind aufmerksam und krabbelte schließlich in seine Richtung. Als sie am Netz ankam, hielt sie unschlüssig inne, zog sich dann aber an einem Strang hoch und stakste weiter, bis sie den Jungen erreicht hatte. Sie starrte ihn an und als er ihr zulächelte, kicherte sie. „Sei bloß nett zu dem Mädchen!“, rief ein Mann in unmittelbarer Nähe. Der Junge winkte und rief: „Klar, Onkel Tarou, ich bin doch immer nett!“ Dann streckte er einen Arm aus, kitzelte Kairi am Hals und sie lachte los, als gäbe es nichts Lustigeres auf der Welt. Temari ging bei dem Anblick das Herz auf und die furchtbaren Dinge, die sie sich vorgestellt hatte, verschwanden einen Moment lang – nur um einem anderen Gefühl Platz zu machen. Abrupt wandte sie sich um. Sie wusste, dass ihr die Stimme der Person irgendwie bekannt vorkam, aber … Sie blinzelte. Seit sie mit ihm Schluss gemacht hatte, hatte sie ihn nicht gesehen, doch auch mit Vollbart und längeren Haaren erkannte sie ihn noch auf Anhieb. „Koutarou?!“, dachte sie laut und der Mann drehte sich zu ihr um. Sie starrte ihn an, er starrte zurück und Temari merkte, wie sich ihre Innereien verdrehten. Es drängte sie aufzuspringen, ihre Tochter rasch aufzulesen und zu gehen, aber sie blieb sitzen. „Hey, wie geht’s dir?“, fragte Koutarou und zu ihrer Überraschung verzog sich sein Mund zu einem Lächeln. Er lächelte sie freundlich an, nachdem sie ihn erst vor Kurzem auf so dumme und unehrliche Weise abgesägt hatte. „Ganz okay“, antwortete sie perplex. „Und selbst?“ „Ich kann mich nicht beklagen“, erwiderte er und nickte zur Bank. „Darf ich mich setzen?“ Sie rückte geistesgegenwärtig an den Rand und er ließ sich neben ihr nieder. Skeptisch schloss sie die Augen und fuhr sich mit den Fingern über die Lider. Es war ihr neu, dass mitten im Dorf eine Fata Morgana auftreten konnte, aber in diesem Fall konnte es nichts anderes als ein Hirngespinst sein. Sie öffnete sie wieder. Koutarou war immer noch da. Er beobachtete seinen Neffen, von dem er ihr während ihrer gemeinsamen Zeit so viel erzählt hatte. „Kairi ist groß geworden“, bemerkte er schließlich. Temari warf einen Blick auf ihre Tochter und zuckte die Achseln. „Findest du?“, fragte sie. „Also ich sehe keinen großen Unterschied.“ Er lachte auf und sagte: „Du siehst sie auch jeden Tag.“ Da sie nicht wusste, was sie darauf erwidern sollte, schwieg sie. „Es tut mir übrigens leid, dass ich dich Miststück genannt habe“, fuhr er beiläufig fort. „Und diese anderen Beleidigungen, die ich dir um die Ohren gehauen habe und nicht noch einmal aussprechen möchte.“ Ein Lächeln huschte über ihre Lippen. Er entschuldigte sich für etwas, das er in ihren Augen gar nicht zurücknehmen musste, weil es so berechtigt gewesen war. Wie seltsam. „Und mir tut es leid, dass ich nicht mit dir Schluss gemacht habe, bevor ich mit meinem Ex geschlafen habe“, erwiderte sie und lachte humorlos. „Ich hab eben ein Gespür dafür, im richtigen Moment die falsche Entscheidung zu treffen.“ Koutarou blickte sie mit einer neutralen Miene an. „Es war wirklich kein feiner Zug“, sagte er. „Aber wer hat aus Liebe noch nie einen Fehler gemacht? Also was soll’s.“ Temari blinzelte erneut. Hatte sie etwas mit den Ohren oder hatte er ihr tatsächlich gerade durch die Blume gesagt, dass es für ihn keine Rolle mehr spielte, was sie getan hatte? Nein, das musste ein Traum sein. Ein sehr abstruser Traum. „Es wäre schön, wenn es nur ein Fehler gewesen wäre“, murmelte sie mehr zu sich selbst als zu ihm. „Ich mache nur Fehler. Mein Leben besteht ausschließlich aus Fehlern, seitdem er aufgetaucht ist.“ „Du meinst Kairis Vater?“ Sie nickte und wandte ihren Blick ab. „Dann war es nichts mit eurem Neuanfang?“, fragte er weiter. „Den hat es nie wirklich gegeben“, antwortete sie. „Das hab ich nur zu dir gesagt, weil ich gehofft habe, dass du nicht noch wochenlang den Fehler bei dir suchst.“ Sie hörte, wie Koutarou laut einatmete. „Das hab ich mir irgendwie schon gedacht“, sagte er. „Tatsächlich?“ „Wenn man lügt, um sein Gegenüber zu schützen, sollte man ihm wenigstens in die Augen sehen“, erwiderte er ohne einen Vorwurf in der Stimme. „Aber du hast es zumindest versucht.“ Und hab’s vermasselt, dachte sie, fragte aber stattdessen: „Bist du überhaupt nicht mehr wütend auf mich?“ „Nicht mehr“, sagte er. „Als die erste Wut verflogen war, wurde mir klar, dass das mit uns auf Dauer nichts werden konnte.“ Temaris Augenbrauen wanderten nach oben und er musste lachen. „Überrascht dich das so?“, fragte er. „So oft, wie du von deinem Ex geredet hast, hätte ich schon viel früher merken müssen, dass du nicht über ihn hinweg warst.“ Sie presste ihren Mund zusammen, bis er nur noch ein dünner Strich war. Hatte sie wirklich so viel von ihm geredet? Sie konnte sich nicht erinnern. „Du hast viel über ihn geflucht“, fuhr Koutarou fort, „und das macht man normalerweise nicht, wenn einem der Ex-Partner gleichgültig ist.“ Rückblickend musste sie ihm Recht geben, doch das brachte ihr nun auch nichts mehr. „Ich wünschte, das wäre dir früher aufgefallen“, bemerkte sie tonlos. Sie richtete ihren Blick auf die beiden spielenden Kinder. Souta – so hieß der Junge, fiel ihr ein – lief ums Kletternetz und Kairi verfolgte ihn und versuchte vergeblich, ihn zu fangen. Sie wirkte so fröhlich und ausgelassen und Temari fluchte innerlich darüber, dass sie ihr nicht öfter den Umgang mit anderen Kindern bieten konnte. Sie strich über ihren Bauch. Das hieß, noch nicht. „Ist das noch ein Grund, warum du mit mir Schluss gemacht hast?“ Da sie nicht wusste, wovon er sprach, schaute sie wieder Koutarou an. Seine Augen waren auf ihre rechte Hand fixiert. „Nein, davon wusste ich damals noch nichts“, entgegnete sie und lächelte belustigt. „Aber das fällt dir wirklich erst jetzt auf?“ Er grinste. „Du trägst ein weites Oberteil.“ „Und du keine Brille, die du offensichtlich nötig hast“, scherzte sie. „Vielleicht sollte ich demnächst tatsächlich mal einen Termin beim Augenarzt machen“, flachste er. Dann verschwand sein amüsierter Gesichtsausdruck und er setzte nach: „Ich vermute mal, es ist von deinem Ex?!“ „Ja“, sagte sie. „Und er weiß nichts von dem Kind.“ „Dann solltest du das aber schnell nachholen“, erwiderte er geradeheraus. „Ich weiß, dass ich das sollte, aber …“ Temari verstummte und streichelte ihren Bauch. Sie wusste, was sie erwartete, wenn sie nun weiter redete. Und eine Moralpredigt, wie Matsuri sie ihr in den letzten Wochen immer wieder gehalten hatte, brauchte sie wirklich nicht. Besonders nicht von Koutarou, der die völlig falsche Person für eine Unterhaltung über ihren Exfreund war. Weil er selbst in diese Kategorie zählte. Sie erwartete, dass er von selbst nachhaken würde, doch er sagte nichts dergleichen. „Großartiges Wetter, oder?“, fragte er beiläufig. „Ja“, antwortete sie und ein Lächeln schlich sich angesichts dieses Déjà-vus auf ihre Lippen. „Schlecht ist es nicht.“ Kapitel 28: Wunschträume ------------------------ Kapitel 28: Wunschträume Temari lag auf der Liege und schaute in das grelle Licht der Halogenlampe an der Decke. Ihre Augen fühlten sich vom Starren schon ganz trocken an und ein Punkt wanderte von links nach rechts an ihr vorbei. In ihrem Unterleib spürte sie ein gelegentliches Zucken, aber sie konnte nicht sagen, ob es die Bewegungen ihres Kindes waren, irgendwelche Muskelkontraktionen oder doch nur pure Einbildung. In ihrer Vorstellung formte sich das Bild von einem Goldfisch, das in seinem Teich seine Freiheit feierte. Und obwohl sie nicht wusste, woher dieses Gefühl kam, brachte sie diese Metapher zum Lächeln. Sie blinzelte, riss ihren Blick von der Lampe los und sah zu Kairi. Das Mädchen hockte auf dem Boden und schaute sich das Buch an, das sie von zu Hause mitgenommen hatten. Es war das, was Kankurou ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. Für die Geschichte an sich interessierte sie sich nicht besonders, doch sie schaute sich gerne die verschiedenen Tiere darin an. Alle vier Ecken waren angeknabbert. Die Liebe ihrer Tochter zu Papier und Pappe nahm bedenkliche Züge an. Die Tür ging auf und die Vertretungsärztin betrat den Raum. Die ältere Frau begrüßte ihre Patientin, bedachte Kairi mit einer gütigen Miene und bemerkte: „Das ist aber schon ein ordentliches Bäuchlein.“ „Das höre ich in letzter Zeit öfter“, erwiderte sie. „Ich wurde sogar schon nach Zwillingen gefragt. Absurd, oder?“ Die Ärztin lachte, bereitete den Ultraschall vor und sagte amüsiert: „Schauen wir doch gleich mal nach.“ Temari zog ihr Top nach oben, die Frau setzte den Doppler an und sie beobachtete auf dem Bildschirm, wie jede Kleinigkeit vermessen wurde. Der Kopfumfang, der Bauchumfang, die Länge der Arme- und Beinknochen, die inneren Organe. Sie kannte es schon aus der vorigen Schwangerschaft, aber es faszinierte sie noch genauso als damals. Vor allem, wenn sie an das erste Bild dachte, das sie vor zwei Monaten bekommen hatte. Darauf war das Baby nicht mehr als eine verschrumpelte Bohne gewesen und jetzt … Der Kopf und der Oberkörper war im Verhältnis zu den dünnen Gliedmaßen noch viel zu groß, aber es erinnerte schon stark an einen Menschen. Es nuckelte am Daumen und schließlich begann es wild mit den Beinen zu strampeln und drehte seinen Zuschauern den Rücken zu. „Offensichtlich ein lebhaftes Kind“, meinte die Ärztin und setzte das Gerät noch einmal neu an. „War Ihre Tochter auch so?“ „Kairi?“, erwiderte sie belustigt. „Nein, sie war eine absolute Schlaftablette. Manchmal war sie so ruhig, dass ich dachte, dass etwas mit ihr nicht stimmt.“ „Ist das so?“ Sie schnaubte amüsiert. „Irgendwas muss sie außer der Haarfarbe ja von ihrem Vater haben.“ Auch wenn ihre Aussage mehr als Scherz gemeint war, schnellte Temaris Arm in Richtung ihres Mundes, um bestürzt die Hand davor zu schlagen. Mittendrin brach sie die Bewegung ab. Sie wusste nicht, wie neugierig die Vertretungsärztin war und sie wollte es auch nicht herausfinden, indem sie das Risiko einer Nachfrage einging, warum sie in einem bewegenden Moment so eine Geste machte. Die ältere Frau notierte die letzten Daten und murmelte etwas vor sich hin. Anschließend lächelte sie und fragte: „Soll ich meine Vermutung äußern oder möchten Sie sich überraschen lassen?“ Ihre Patientin runzelte vor Überraschung die Stirn. Kairi hatte jedes Mal so ungünstig gelegen, dass sie ihr Geschlecht erst recht spät erfahren hatte, und bei Nummer Zwei, gerade mal in der sechzehnten Woche, sollte es nun anders sein? „Ist es nicht noch ein bisschen zu früh dafür?“ Temari bemühte sich darum, die Fassung zu wahren, doch sie merkte, dass ihre Hände vor Aufregung schwitzten. Die Ärztin warf einen prüfenden Blick auf den Monitor. „Die meisten legen sich ungern schon zu diesem Zeitpunkt fest“, sagte sie, „aber das hier ist ein gutes Gerät, auf dem man viel erkennen kann. Und es sieht mir doch sehr eindeutig aus.“ Sie verengte die Augen, in der Hoffnung mehr als die Form ihres Kindes erkennen zu können, doch aus den vielen Grautöne wurde sie nicht schlau. „Was haben Sie denn für ein Gefühl?“ Temari antwortete mit einem Schulterzucken. Sie hatte nicht die kleinste Vermutung, was das betraf. „Keine Ahnung“, sagte sie und da die Schwangerschaft bisher völlig anders als die erste war, setzte sie nach: „Vielleicht ein Junge?!“ „Richtig geraten.“ Die Frau tippte mit dem Finger auf den Bildschirm. „Das hier sieht mir auf jeden Fall ganz danach aus.“ Sie betrachtete die Stelle, auf die sie deutete, aber es war für sie nicht mehr als ein grauer Schatten. „Sind Sie sich sicher?“, fragte sie. Die Ärztin nickte. „Sehr sicher.“ „Wenn es doch ein Mädchen wird, dürfen Sie das Kinderzimmer neu streichen“, witzelte sie. „Das mache ich bestimmt“, erwiderte die Frau mit einem Schmunzeln und setzte das Gerät ab. „Das wäre es dann schon für heute.“ Temari setzte sich auf, nahm sich ein paar Papiertücher von der Ablage und entfernte damit das Gel, das nun quer über ihrem Bauch verteilt war. Das Rascheln lockte ihre Tochter an. Sie zog sich an der Liege hoch, blickte über den Rand und streckte einen Arm aus. „Vergiss es“, sagte ihre Mutter. „Warum kaust du nicht weiter auf deinem Buch herum? Das schmeckt sogar besser als das hier.“ Kairi zog vorwurfsvoll die Augen zusammen. „Du hast gar keinen Grund, so zu gucken.“ Sie wuschelte ihr durch die Haare. „Freu dich lieber, dass du ein Brüderchen bekommst.“ Das Mädchen legte den Kopf schief, wandte sich beleidigt ab und stakste unbeholfen die drei Schritte zu ihrem Buch herüber. Die Ärztin verfolgte das Szenario amüsiert. „Dann gibt es nach einem eigensinnigen Mädchen also einen Stammhalter“, sagte sie. „Da wird sich der Papa bestimmt freuen.“ Temari Herz, das eben noch gleichmäßig und unauffällig geschlagen hatte, begann auf so schmerzhafte Weise zu hüpfen, dass sie einen Moment glaubte, es würde zerreißen. Sie zog ihr Oberteil herunter, sprang von der Liege und beugte sich zu Kairi herunter, damit die Frau ihren Gesichtsausdruck nicht sehen konnte. „Das wird er“, erwiderte sie trocken. „Ganz sicher.“ --- Im Vorraum des Wartezimmers band sie ihre Tochter rasch auf ihren Rücken und verließ fluchtartig das Krankenhaus. In ihrer Brust hämmerte es immer noch und als sie die nächstbeste Abzweigung erreichte, bog sie in eine Seitengasse ein. Sie ging ein paar Meter, sah sich um und da niemand in der Nähe war, ließ sie ihre aufgesetzte Fassung fallen und brach in Tränen aus. Die letzten Worte der Ärztin tanzten in ihrem Kopf herum und obwohl die Frau nichts von ihrer Situation wusste und es nur gut gemeint hatte, fing Temari an, sie für ihre Äußerung zu hassen. Warum hatte sie ausgerechnet das zu ihr gesagt? Wenn sie es nicht getan hätte, wäre sie jetzt mit Kairi auf dem Heimweg und würde sich einfach nur darüber freuen, dass sie einen Sohn bekam. Aber nein, stattdessen versteckte sie sich vor den Blicken anderer und heulte wegen solch einem Unsinn herum. Wie jämmerlich. Sie fuhr sich mit den Handinnenseiten über die Augen und trocknete sie an ihrem Rock. Mit der Heulerei war Schluss. Endgültig. Genauso wie mit dem Vater ihrer Kinder Schluss war. Beides waren Dinge in ihrem Leben, die sie von nun an nicht mehr brauchte. Selbstbewusst verließ sie die Gasse und ging in der angenehmen Wärme des Spätnachmittags nach Hause. --- „Na, ist das Kindchen noch an seinem Platz?“, wurde sie von Matsuri begrüßt, als sie ins Wohnzimmer kam. „Ja, es geht ihm bestens“, antwortete Temari. Sie trat zum Sessel herüber, löste den Knoten des Tuches und strahlte ihre beste Freundin an, während sie Kairi hinunter ließ. „Gab’s gute Neuigkeiten?“, fragte diese prompt und flachste: „Es werden doch Zwillinge, was?“ „Nein“, erwiderte sie, „er ist definitiv nur ein Kind.“ „Er?“ Sie nickte und sagte mit einem Lächeln: „Es wird ein Junge.“ „Dann sind die Männer in diesem Haus bald wieder in der Überzahl“, bemerkte Matsuri und grinste. „Davon werden Gaara und Kankurou bestimmt begeistert sein.“ Und ihre gute Laune verschwand. „Ja“, erwiderte Temari und sank auf die Couch, „wenn Kankurou ihn nicht umbringt.“ „Wie kommst du denn auf die Idee? Er ist zwar echt stinkig auf dich, aber das würde er seinem Neffen garantiert nicht antun.“ „Ich glaub’s ja auch nicht“, pflichtete sie ihrer Freundin bei, „aber du hättest mal sehen sollen, wie er meinen Bauch vor ein paar Tagen angesehen hat. Wie der böse Wolf, der das Rotkäppchen verschlingen will.“ „Wie der böse Wolf?“ Matsuri prustete los. „Du hast zu viel Fantasie! Bestimmt hat er sich gerade nur über irgendwas geärgert und dich zufällig dabei angesehen.“ „Das glaube ich kaum.“ „Selbst wenn er jetzt einen Groll auf dich und den Kleinen hegt“, sagte sie, „das vergeht spätestens, wenn der Zwerg auf der Welt ist. Einem Baby kann man doch gar nicht böse sein.“ „Dann kennst du Kankurou schlecht“, gab Temari zurück. „Er hasst Kinder – von Kairi mal abgesehen.“ „Und du meinst, sie wird die einzige Ausnahme bleiben?“ „Unter den gegebenen Umständen vielleicht.“ „Ach, totaler Bullshit!“ Matsuri klatschte in die Hände und Kairi, die damit beschäftigt war, das Tragetuch Stück für Stück über den Rand des Sessels auf den Boden zu befördern, schreckte auf. Sie formte in Richtung des Mädchens ihren Mund zu einem Das hast du nicht gehört und fuhr laut fort: „Wenn es in fünfeinhalb Monaten soweit ist, ist seine Wut nicht mehr größer als ein Fliegenschiss. Wenn überhaupt.“ „Und was macht dich da so sicher?“ „Weil ihm seine Familie über alles geht“, antwortete ihre Freundin. „Deshalb.“ „Das merke ich“, murmelte Temari ironisch und wechselte abrupt das Thema: „Ach, rate mal, wen ich gestern getroffen hab.“ Ein Schulterzucken. „Koutarou“, löste sie auf. „Wie unschön.“ Matsuri verzog das Gesicht. „Hat er dir noch mal so ein paar hübsche Beleidigungen um die Ohren gehauen?“ „Überhaupt nicht“, erwiderte sie. „Er hat sich sogar entschuldigt und wir haben uns ganz nett unterhalten. Er trifft sich wieder mit einer anderen Frau und scheint ziemlich glücklich zu sein.“ „Schön“, sagte sie, „wenigstens einer, der nicht mehr sauer auf dich ist.“ „Ich bin auch ziemlich erleichtert, dass es ihm offensichtlich so gut geht.“ „Stimmt, das macht ein gebrochenes Herz weniger auf deiner Liste“, scherzte ihre Freundin. „Und da du Kankurou inzwischen auch dein Geheimnis gebeichtet hast, musst du nur noch eines tun, damit dein Gewissen endlich wieder rein ist.“ Temaris Hände gruben sich in ihren Rock. „Ich hab keine Ahnung, wovon du sprichst“, entgegnete sie trocken. „Natürlich weißt du, wovon ich spreche“, protestierte Matsuri. „Ich weiß nicht, was du dir davon versprichst, wenn du die Sache totschweigst.“ Dass ich endlich über ihn hinwegkomme, dachte sie, dass ich nicht weiter in der Vergangenheit hängen bleibe … Aber wenn sie diese Argumente brachte, sprach sie doch nur gegen eine Wand. Und das hatte sie in der letzten Zeit viel zu oft getan. „Wenn du weiterhin mit mir befreundet sein willst“, sagte sie langsam, „dann lass mich endlich damit in Ruhe.“ „In Ordnung“, stimmte sie zu, „in Ordnung. Aber wenn du mir nur noch einmal die Ohren wegen Shikamaru voll jammerst, werde ich aufstehen und gehen.“ „Wenn du ihn nicht erwähnst, werde ich ihn auch nicht erwähnen“, gab sie zurück. „Und hör bitte auf, seinen Namen zu nennen.“ „Versteh schon“, sagte ihre Freundin voller Mitgefühl. „Etwas, das keinen Namen hat, vergisst man wohl schneller, was?“ --- Es war ruhig im Haus. Zu ruhig. Kankurou war ausgegangen, Gaara war noch nicht aus dem Büro zurück und Kairi schlief seit einer Stunde tief und fest. Außer dem Fernseher, aus dem leise die Melodie des Pausenmenüs hallte, war nichts zu hören. Temari starrte das Pad an und überlegte, ob sie einfach weiterspielen sollte, griff aber stattdessen zur Fernbedienung und schaltete den Flimmerkasten und anschließend die Konsole aus. Sie hatte keine Lust, sich an diesem Abend mit digitalen Untoten und anderem Getier herumzuschlagen. Dafür war sie nach den Geschehnissen des Tages ohnehin zu unkonzentriert. Etwas, das keinen Namen hat, vergisst man schneller, schwirrte es ihr durch den Kopf. Sie wusste nicht, ob sie Matsuris Aussage ohne Weiteres zustimmen konnte. Im Normalfall war es sicher so, aber zwischen keinen Namen haben und den Namen verleugnen bestand noch ein Unterschied. Ein Gewaltiger sogar. Sie spürte ein Rütteln unterhalb ihres Nabels und ihre Hand fuhr intuitiv zu ihrem Bauch. Etwas, das keinen Namen hat, vergisst man schneller. So ein Unsinn. Sie wusste, dass sie ihren Sohn niemals vergessen würde, wenn ihm etwas passieren sollte, bevor er einen Namen hatte. Genauso wenig wie seinen Vater, auch wenn sie es vermied, seinen Namen zu sagen. Ein weiteres Zucken folgte, dann herrschte wieder eine bedrückende Stille. Nicht nur in ihrem Unterleib, sondern im ganzen Haus. Temari stand auf und ging in die Küche. Dort machte sie das Radio an. Sie lauschte einen Moment lang einem Lied, das sie nicht kannte, dann nahm sie sich den Stapel mit den ausgelesenen Tageszeitungen von Gaara vor. Gelangweilt durchblätterte sie eine nach der anderen. Selten blieb sie an einem Beitrag hängen und überflog ihn dann nur, da sie sich mit Neuigkeiten aus der Vergangenheit nicht aufhalten wollte. Sie sortierte eine Zeitung nach der anderen aus, gähnte gelegentlich, da diese Arbeit sie irgendwie ermüdete und – Ihre Augen blieben an einem seitenlangen Bericht über die Chuunin-Prüfung kleben. Interessiert las sie die Verläufe der Finalkämpfe nach, schlug die Seite um – und vergaß den Artikel. Sie betrachtete das abgedruckte Foto und mit jeder Sekunde, die sie es länger ansah, verdichtete sich ihr Hals, bis sie schließlich nach Luft schnappen musste. Sie hechtete zur Spüle, füllte ein Glas randvoll mit Leitungswasser und trank es in einem Zug aus. Temari rieb sich flüchtig die Kehle und setzte sich zurück auf ihren Platz. Sie war froh, dass keiner diese dumme Reaktion auf ein noch dümmeres Bild gesehen hatte und sie rief sich das ins Gedächtnis, was sie am Nachmittag nach dem Verlassen des Krankenhauses beschlossen hatte. Keine Tränen mehr. Nicht deswegen, nicht seinetwegen. Sie lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Bericht, doch weiter als ein paar Zeilen kam sie nicht. Ihre Augen huschten erneut zum Foto. Sie musterte die zwei Jungen, die darauf abgebildet waren. Der Junge mit dem Stirnband ihrer Heimat hatte Schrammen im Gesicht und in seinem Blick stand die pure Enttäuschung geschrieben; der andere aus Iwagakure hatte zwar eine Platzwunde über der Augenbraue, aber stellte ein Siegerlächeln zur Schau. Sie konzentrierte sich auf die beiden und versuchte, den Hintergrund nicht zu beachten, doch dies gelang ihr nur kurz. Unweigerlich huschte ihr Blick zu der Abbildung ihres Exfreundes. Er schaute neutral, beinahe gelangweilt drein und sah auch ansonsten aus wie immer. Und genau das machte sie wütend. Wie konnte er einfach sein Leben weiterleben, während sie sich seit Monaten wegen ihm herum quälte und sich Vorwürfe machte? Während sie ihrer gemeinsamen Tochter die Aufmerksamkeit und Liebe schenkte, die sie verdiente und in der Zwischenzeit auch noch sein Sohn in ihr heranwuchs? Sie erfüllte ihm seinen Wunschtraum, indem sie zuerst eine Tochter bekommen hatte und nun ein Sohn auf dem Weg war, doch von ihrem eigenen Wunsch und Traum von einer intakten Familie war sie weit entfernt. So weit wie nie zuvor. Temari riss die Seite heraus, zerknüllte sie und rollte sie so lange zwischen den Fingern, bis sie die Form einer festen Kugel angenommen hatte. Dann beförderte sie sie mit dem Rest der Zeitung in den Karton zu den anderen, die für den Müll gedacht waren. Sie löschte das Licht, ging ins Wohnzimmer und ließ sich dort wieder auf die Couch fallen. Missmutig betrachtete sie ihre Hände. An den Fingerkuppen zeichnete sich vom vielen Blättern die Druckerschwärze ab und machte die Linien ihrer Abdrücke sichtbar. Spiralförmig bahnten sie sich von innen nach außen und in ihrer Fantasie taten sie sich wie bodenlose Abgründe vor ihr aus – wie der Abgrund, in dem sie sich befand, seit er gegangen war, und in dem sie jeden Tag, den sie verstreichen ließ, immer tiefer versank. Sie schlug die Hände vor die Augen, um sich nicht von diesem Eindruck mitreißen zu lassen, aber es war zu spät. Und obwohl sie sich geschworen hatte, nie wieder wegen ihm zu weinen, tat sie es doch. Kapitel 29: Die Wahrheit übers Lügen ------------------------------------ Kapitel 29: Die Wahrheit übers Lügen Temari starrte teilnahmslos auf den Bildschirm und nahm selbst die Hand, die wild vor ihren Augen herumfuchtelte, nicht richtig wahr. „Hallo!“, schrie ihr jemand ins Ohr. „Erde an Temari! Die Zombie-Apokalypse bricht aus!“ Sie blinzelte und blickte irritiert ihre beste Freundin an. Diese stieß ein Seufzen aus. „Du wolltest doch abspeichern“, erinnerte Matsuri sie. „Oder möchtest du den Film jetzt doch nicht mehr gucken?“ „Doch, doch“, meinte sie monoton und rief das Menü auf. „Dein Glück. Wegen dir hab ich extra meinen Mädelsabend mit Sari sausen lassen.“ „Tut mir leid“, murmelte Temari. „Wenn ich das gewusst hätte …“ „Deine Freundschaft ist mir wichtiger als ihre“, erwiderte ihre Freundin. „Nur dass du es weißt.“ Sie erwiderte nichts und wechselte den Kanal. Das Titelbild des Films, den sie ausgeliehen hatte, war zu sehen, doch sie bestätigte ihre Auswahl nicht. „Was ist denn schon wieder los mit dir?“, fragte Matsuri. „Vor ein paar Tagen warst du noch so glücklich darüber, dass du einen Sohn bekommst und jetzt bist du wieder total depri? Das passt nicht zusammen.“ „Es hängt auch nicht zusammen“, gab sie zurück. „Irgendwie zumindest.“ „Irgendwie zumindest?“, wiederholte ihre Freundin empört. „Entweder freust du dich darüber, dass du einen Jungen erwartest oder nicht. Beides gleichzeitig geht nicht.“ „Ich freu mich wirklich über den Kleinen“, entgegnete Temari, „aber irgendwie …“ „Wenn du dieses Wort noch einmal in diesem Zusammenhang nennst, geschieht ein Unglück!“ „Entschuldige, es ist nur …“ Sie brach ab und startete den Film, doch Matsuri pausierte ihn wieder. „Was ist?“, wollte sie wissen. „Egal, was es ist: Raus damit!“ „Es ist nicht weiter wichtig. Sehen wir uns einfach den Film an und –“ „Ich hab aber keine Lust, was mit dir zu gucken, wenn du nicht bei der Sache bist.“ „Ich bin total bei der Sache“, widersprach Temari. Sie griff nach der Fernbedienung, aber ihre Freundin kam ihr zuvor und klemmte sie zwischen sich und die Couch. „Rede!“, forderte sie sie auf. „Ich möchte aber nicht reden!“ „Benimm dich nicht wie ein bockiges Kleinkind!“ „Das tue ich doch gar nicht“, legte sie fest. „Doch, tust du“, sagte Matsuri mit Nachdruck. „Hat Kankurou dich wieder schief angesehen?“ „Nein.“ „Was ist es dann?“ „Ist doch egal“, meinte Temari. „Ich halte mich nur an unsere Abmachung. Können wir also endlich anfangen, diesen verdammten Film zu gucken?“ Ihre Freundin warf ihr einen mitleidigen Blick zu, dann griff sie wortlos hinter ihren Rücken und drückte Start. --- Matsuri lachte noch Tränen, als der Abspann lief. Um zu verhindern, dass sie sie nicht gleich in ein Gespräch verwickelte und fragte, warum sie nicht einmal gelacht hatte, stand Temari auf und lief ins Bad. Sie schaute in den Spiegel und versuchte ein Lächeln einzustudieren, das ihre Freundin einigermaßen zufriedenstellen würde, doch es brachte nichts. Ihr war nicht nach lächeln zumute, seit sie trotz Gaaras unbeabsichtigter Vorwarnung auf die dumme Idee gekommen war, seine Zeitungen durchzusehen. Dieses dämliche Foto, das wahrscheinlich längst recycelt worden war, ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Hinzu kam, dass sich die Situation mit Kankurou nicht gebessert hatte. Er ignorierte sie immer noch, aber wenigstens hatte er ihr seit dem einen Nachmittag keinen komischen Blick mehr zugeworfen. Nein, er behandelte sie, als existierte sie gar nicht. Und das war fast noch schlimmer für sie, als wenn er sie seinen Ärger spüren lassen würde. Sie wusch sich das Gesicht kehrte ins Wohnzimmer zurück. „Dasselbe wie jeden Abend?“, fragte Matsuri. Temari schüttelte den Kopf und setzte sich wieder. „Ich hab mich zuletzt vor drei Tagen übergeben“, antwortete sie. „Ich glaube, die Phase hab ich endlich überwunden.“ „Na, Gott sei Dank! Das wurde aber auch mal Zeit.“ Ihre Freundin atmete auf. „Wie viel hast du durch die Kotzerei jetzt abgenommen?“ „Viereinhalb Kilo.“ „Zum Glück hattest du von der vorigen Schwangerschaft noch welche übrig.“ „Davon sind auch immer noch einige da“, entgegnete sie. „Aber ja, ich bin froh, dass ich wieder vernünftig essen kann.“ „Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich uns ’ne Pizza organisiert.“ Matsuri seufzte. „Da hätte ich jetzt echt Lust drauf. War nämlich in den letzten Wochen nicht ganz leicht, mich in puncto Essen in deiner Gegenwart zurückzuhalten.“ „Seit wann isst du denn gerne?“ „Keine Ahnung“ – sie zuckte die Achseln – „ich möchte ein bisschen zunehmen und irgendwie bin ich auf den Geschmack gekommen.“ „Mein Bruder findet dich zu dünn, oder?“ „Exakt“, bestätigte ihre Freundin. „Dabei heißt es doch, dass man als Frau fast nicht dünn genug sein kann und dann gerät man an einen, der nicht auf hervorstehende Wangenknochen und Schulterblätter steht.“ „Und Hühnerbeine“, ergänzte Temari und der Anflug eines Schmunzelns huschte über ihre Lippen. „Ehrlich, du bist ’ne untergewichtige und knochige Bohnenstange.“ „Sagt diejenige, die in ihrer Jugend selbst nicht viel besser war.“ „Als Kunoichi ist es eben von Vorteil, wenn man möglichst leicht ist.“ „Und warum gilt das Argument bei mir nicht?“ „Möglichst leicht bedeutet nicht nah an der Magersucht.“ „Ich bin nicht –“ Matsuri zog einen Schmollmund und verschränkte die Arme. „Ach, lassen wir das. Verrätst du mir nun, warum du immer noch so mies drauf bist? Der Film war einfach köstlich, aber du hast nicht mal ’ne Miene verzogen.“ „Ich fand’s halt nicht so lustig.“ „Als wir ihn vor drei Jahren schon mal zusammen gesehen haben, kam mir das aber nicht so vor“, bemerkte sie. „Los, raus damit! Was hat dir die Laune verdorben?“ „Wir reden doch nicht mehr über dieses Thema“, erinnerte Temari sie. „Oder hast du das schon vergessen?“ „Ich sagte, dass ich abhaue, wenn du ihn von dir aus erwähnst. Aber wenn ich dich schon danach frage, ist es in Ordnung.“ Sie fixierte ihren Blick auf den Bildschirm. Die Disk war wieder ins Menü gesprungen und das grelle Weiß erhellte das abgedunkelte Wohnzimmer. „Was raus muss, muss raus“, argumentierte Matsuri. „Wem außer mir willst du dich denn sonst anvertrauen?“ „Aber es ist so … lächerlich.“ „Das kann ich erst beurteilen, wenn du es mir erzählt hast.“ Ihre Freundin legte ihr die Hand auf die Schulter und schenkte ihr zur Aufheiterung ein Lächeln. --- „Das nennst du lächerlich?“ Matsuri legte die Stirn in Falten. „Das ist nicht lächerlich, sondern ein ernstes Problem, wenn du mich fragst.“ Temari rieb sich die Schläfen. „Hätte ich bloß nicht in diese verdammte Zeitung gesehen …“ „Und was hätte das an deinen Gefühlen geändert? Überhaupt nichts“, sagte sie. „Verdrängen ist Mist, denn es ist egal, wie gut du dich dabei anstellst, früher oder später bricht es hervor und dann tut es richtig weh.“ Sie erwiderte nichts. „Du hast genau zwei Möglichkeiten“, fuhr ihre Freundin fort, „entweder stellst du dich dem endlich oder du machst so weiter wie bisher und gehst allmählich daran zugrunde.“ Als Temari wieder nichts sagte, setzte sie nach: „Wofür entscheidest du dich? Ein reines Gewissen, dass dich nicht innerlich auffrisst oder ein Dasein als Dauerpatientin beim Psychologen?“ Sie schwieg. Sie wusste es nicht. --- Kairi lachte, warf mit Sand um sich und das Mädchen, das mit ihr spielte, brachte sich flink in Sicherheit. Temari musterte aus den Augenwinkeln die Eltern der etwa Dreijährigen. Sie unterhielten sich und lieferten sich gelegentlich das eine oder andere Wortgefecht, über das sie im Anschluss lachten. Es erinnerte sie an ihre vergangenen Beziehungen und sie kam nicht umhin, ein wenig neidisch auf die andere Mutter zu sein. Sie lenkte ihren Blick wieder auf ihre Tochter, um sich von ihren Gedankengängen abzulenken. Kairi krabbelte fröhlich hinter dem anderen Mädchen her und als dieses sich endlich von ihr fangen ließ, kicherten beide los. Temari lächelte und sie begann, ihren Bauch zu streicheln, was der kleine Junge in ihrem Unterleib mit ein paar sanften Bewegungen quittierte. Sie hob ihr Kinn und schaute in den Himmel. Sie schloss die Augen und spürte, wie ihr eine kaum merkliche Brise über das Gesicht fuhr. Das Wetter war großartig, ihre Tochter hatte eine Spielkameradin gefunden und ihrem Sohn ging es prächtig. Sie hatte wirklich keinen Grund, um an diesem Tag etwas Negatives wie Neid zu verspüren. „Ich bekomme also einen Neffen, hm?“ Ihr Herz schnürte sich einen Augenblick lang auf schmerzhafte Weise zusammen, dann kam sie zu dem Schluss, dass sie sich die Stimme eingebildet haben musste. Warum sollte er sich die Mühe machen und hierher kommen, wenn sie sich jeden Tag zu Hause sahen? „Du hättest es mir ruhig selbst sagen können“, fuhr ihr Bruder fort. „Ich war zwar sauer, aber ich hätte dir für die Info sicher nicht den Kopf abgerissen.“ Temari riss die Augen auf und wandte sich um. Kankurou stand tatsächlich neben der Bank und als ob sie das nicht schon genug verwunderte, grinste er sie an. Sie fragte sich, ob sich jemand mit einem Henge einen schlechten Scherz mit ihr erlaubte, doch sie wusste nicht, wem sie so etwas Geschmackloses zutrauen sollte. „Du redest mit mir?“, fragte sie langsam. „Es hat zwar etwas gedauert, aber ich hab beschlossen, nicht mehr wütend auf dich zu sein“, erklärte er. „Gaara hat mit dir gesprochen, oder?“ „Auch“, sagte er, „aber ich habe dir genug zugemutet, indem ich dich zwei Wochen lang ignoriert habe.“ „Es war wirklich ein verdammtes Scheißgefühl“, erwiderte sie, „aber es war zu Recht.“ „Allerdings. Ich hoffe, dass dir das eine Lehre war.“ Kankurou schmunzelte und setzte sich zu ihr. „Wenn du dich noch einmal von einem Ex schwängern lässt, kündige ich meine Verwandtschaft zu dir.“ „Keine Sorge, das ist völlig ausgeschlossen.“ „Na, ich weiß ja nicht …“ „Du musst mich für ziemlich blöd halten.“ Über das Gesicht ihres Bruders huschte ein weiteres Grinsen. „Möchtest du darauf wirklich eine Antwort haben?“ Sie schüttelte den Kopf und sagte: „Nein, ich weiß selbst, dass ich das in manchen Belangen sein muss.“ „Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung“, flötete er und klopfte ihr auf die Schulter. „Das hoffe ich in deinem Fall zumindest.“ Sie richtete ihre Augen wieder auf Kairi. Es wäre schön, wenn es so wäre, aber so einfach war es dann doch nicht. Ansonsten wäre sie nicht so egoistisch und würde ihr eigenes Wohl ganz nach oben stellen. „Ich dachte, du würdest dich mehr darüber freuen, dass ich wieder mit dir rede“, merkte Kankurou nach einer kurzen Pause an. „Ich kann dir gerne noch um den Hals fallen und dir vor Freude ins Ohr schreien, wenn dir das lieber ist“, gab Temari zurück. „Du weißt ja, dass so ein Verhalten total mein Ding ist.“ „Ich hab dich auch lieb, Schwesterherz. Und wenn du noch so ironisch bist.“ „Das war keine Ironie, sondern mein Ernst.“ Er lachte los und diesmal schlich sich ein amüsiertes Lächeln auf ihre Lippen. Es tat gut, wieder so unbeschwert mit ihm zu reden und jetzt wurde ihr bewusst, wie sehr sie das in den vergangenen Wochen vermisst hatte. „Du hättest übrigens zugeben können, dass du mit Matsuri zusammen bist“, bemerkte sie schließlich. „Zugeben?“, entgegnete er. „Du hast mich doch nie danach gefragt!“ „Gut, vielleicht hab ich das Offensichtliche übersehen, aber sonst erzählst du mir so was auch, ohne dass ich dich gezielt danach fragen muss.“ „Eben weil es so offensichtlich war, dachte ich, dass du irgendwann selbst drauf kommst.“ Er zwinkerte ihr zu. „Außerdem hast du auch eine Weile gebraucht, bis du mir gesagt hast, dass du mit deinem Ex im Bett warst und wieder schwanger von ihm bist.“ „Das ist doch was völlig anderes.“ „Vom Prinzip her nicht“, sagte Kankurou. „Ich hab dir was verschwiegen und du mir umgekehrt auch.“ Temari presste den Mund zusammen. Er hatte zwar in gewissen Maße Recht, aber irgendwie hinkte der Vergleich trotzdem. „Mal ehrlich“, fuhr ihr Bruder fort, „was hast du dir davon versprochen, nicht mal wenigstens kurz zu erwähnen, dass er hier war?“ „Was hätte das genützt?“, fragte sie. „Was hättest du davon gehabt, wenn du gewusst hättest, dass er jetzt doch seine Tochter besucht hat?“ „Eine minimal bessere Meinung von ihm“, antwortete er. „Er wird sich wohl kaum auf die dreitägige Reise hierher begeben haben, wenn er überhaupt kein Interesse an ihr gehabt hätte. Und davon bin ich nun mal ausgegangen, bis du mir die gute Neuigkeit mitgeteilt hast.“ Sie wusste nicht, ob er das Letztere nicht ironisch meinte, doch sie fragte nicht nach. Sie wollte das Thema ungern weiter vertiefen, schließlich führte es zu nichts. „Hast du dir schon überlegt, wo der Kleine schlafen soll?“, fragte er weiter. Es überraschte sie, dass er selbst nicht weiter darauf einging, aber sie beschwerte sich nicht. „Bis zur Geburt sind doch noch mehr als fünf Monate Zeit“, sagte sie. „Außerdem wird er erstmal mit bei mir mit im Zimmer schlafen. Und dann … Zur Not musst du halt deinen Werkraum abtreten.“ „Auf gar keinen Fall!“, protestierte ihr Bruder belustigt. „Vielleicht opfere ich einen Teil meiner Freizeit, um dich zu unterstützen, aber meinen Raum bekommst du nur über meine tote Leiche.“ Sie musste über seine Wortwahl aufrichtig lachen. „Keine Bange“, entgegnete sie. „Bevor ich das tue, ziehe ich lieber selbst auf die Couch. Ich brauche dich schließlich gelegentlich als Aufpasser.“ „Gelegentlich?“ Kankurou hob die Brauen, schaffte es aber nicht, sie lange so forsch anzusehen und setzte mit einem Lächeln nach: „Wenn du meine Hilfe brauchst, scheue dich bloß nicht zu fragen.“ „Danke“, sagte Temari, „aber du hast mir mit Kairi schon mehr als genug geholfen. Das kann ich doch nicht noch einmal von dir verlangen.“ „Erstens hast du es nie von mir verlangt, denn es war meine freie Entscheidung, dir so oft unter die Arme zu greifen“, meinte er, „und zweitens solltest du wissen, dass ich dasselbe für meinen Neffen tun werde, wenn es nötig ist, auch wenn ich die Geschichte seiner Entstehung mehr als diskussionswürdig finde.“ Sie lächelte ihm dankbar zu. „So einen großartigen Bruder wie dich habe ich gar nicht verdient.“ „Allerdings“, stimmte er zu und legte ihr einen Arm um die Schulter, „dabei warst du doch immer die Vernünftigere von uns beiden.“ Ihr Blick schweifte wieder in den Himmel. „Ich glaube, das bin ich schon seit Jahren nicht mehr.“ „Es ist nicht zu spät, um das wieder zu ändern, findest du nicht?“ Sie horchte auf. Es kam ihr sehr zufällig vor, dass er das ausgerechnet jetzt zu ihr sagte. „Hat Matsuri dir irgendetwas erzählt?“, fragte sie. „Nein“, gab er zurück, „wir reden nicht viel über dich, wenn ich mich nicht gerade über dich aufregen muss.“ Sie schmunzelte. „Also war ich euer Gesprächsthema Nummer Eins in den letzten Wochen.“ „Nope“, sagte Kankurou, „du überschätzt dich maßlos, Schwesterherz. So brennend interessieren mich deine fragwürdigen Entscheidungen auch nicht, dass ich stundenlang Theorien darüber aufstellen muss.“ „Selbst wenn sie einen so großen Einfluss auf dein Leben haben werden?“ Er schüttelte den Kopf und drückte sie freundschaftlich. „Selbst dann nicht. Was natürlich nicht heißt, dass ich es in irgendeiner Form verstehe oder gar gutheiße.“ Temari beobachtete erneut Kairi und ihre neue Freundin. Die beiden Mädchen tobten immer noch ausgelassen durch den Sand und wirbelten zu dem Leidwesen eines älteren Paares, das sich gerade auf der nahegelegenen Bank ausruhte, ordentlich Staub auf. Sie war versucht, ihre Tochter dort wegzuholen und an einer Stelle abzusetzen, wo sie niemanden belästigte, doch dann bemerkte sie die amüsierten Blicke der Leute und verwarf den Gedanken wieder. „Aber weißt du“, setzte ihr Bruder nach und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Gespräch mit ihm, „verstehen würde ich es schon gerne.“ Sie zuckte zusammen und schwieg. „Mir ist schon klar, dass du ihn immer noch liebst und es ohne diese Komponente wahrscheinlich nicht dazu gekommen wäre, aber –“ „Wäre es definitiv nicht“, legte sie fest. „Ich war wohl ein bisschen zu naiv, als ich geglaubt habe, dass es wieder so werden kann wie früher.“ „Was ist an dem Abend denn zwischen euch vorgefallen?“, hakte er nach. „Ich meine, außer der Sache, der ich demnächst einen Neffen zu verdanken habe?“ „Viel. Zu viel.“ „Und das heißt?“ „Das Wesentliche weißt du doch schon.“ „Du meinst, dass es im Grunde deine Schuld ist?“ „Ja.“ „Du möchtest es wohl nicht noch etwas für mich präzisieren?“ Temari deutete ein Kopfschütteln an und ihr Bruder ließ ein Seufzen verlauten. „Okay, tappe ich halt weiter im Dunkeln“, sagte Kankurou. „Es geht mich eigentlich auch nichts an.“ Er beobachtete einen Moment seine Nichte und setzte nach: „Aber Schuldfrage hin oder her: Sollte man nicht wenigstens seinen Kindern zuliebe versuchen, einen Kompromiss zu finden?“ „Wenn es ihn gibt“, erwiderte sie tonlos, „sollte man das wohl.“ „Und was wäre das deiner Ansicht nach?“ Sicher nicht das, womit ich ihn in die Ecke gedrängt habe, dachte sie, ließ diese Worte aber unausgesprochen. „Ich weiß nicht“, sagte sie laut. „Kann man überhaupt einen zufriedenstellenden Kompromiss für alle finden, wenn man nicht einmal im selben Land lebt? Irgendeiner muss immer zurückstecken und Opfer bringen. Und was soll man machen, wenn keiner dazu bereit ist?“ „Weiter suchen.“ Weiter suchen … Das klang so lächerlich einfach. Aber es war nicht annähernd so lächerlich wie der Kompromiss, den sie auf Kosten ihrer Kinder für sich geschlossen hatte und der auf lange Sicht niemandem etwas Gutes brachte. Nicht mal ihr selbst. „Hast du ihn schon davon in Kenntnis gesetzt, dass Nummer Zwei unterwegs ist?“, fragte er plötzlich. Sie faltete ihre Finger und unterdrückte so, dass sie aus Nervosität irgendeinen Blödsinn anfing, der sie verdächtig machte und antwortete: „Nein.“ „Dachte ich mir schon“, sagte er. „Und wie willst du es diesmal handhaben?“ Temari starrte auf ihre Hände und ihr Mund öffnete sich, um ihm mitzuteilen, dass sie es gar nicht vorhatte, doch … Nein, das konnte sie ihrem Bruder nicht sagen, wenn sie es sich nicht gleich wieder mit ihm verscherzen wollte. Und genauso wenig wollte sie ihm noch eine Lüge auftischen, die – auch wenn es noch einige Zeit dauerte – garantiert aufflog. Sie wollte ihn überhaupt nicht mehr anlügen. „Du wirst es ihm doch mitteilen, oder?“ Seine Frage bohrte sich in ihr Herz und auf einmal konnte sie sich vorstellen, wie sich Shikamaru gefühlt haben musste, als sie ihm keinen Ausweg mehr gelassen hatte – und wie sich später Kairi und ihr kleiner Bruder fühlen würden, denen sie mit ihrer Entscheidung nicht einmal die Möglichkeit einer Wahl bot. Das konnte sie nicht verantworten, selbst wenn es ihr Ego für das Beste hielt. „Ja“, antwortete sie, „ich werde es ihm schreiben, wenn der Kleine auf der Welt ist.“ Und sie wusste, dass es die Wahrheit war. Kapitel 30: Trautes Heim, Glück allein -------------------------------------- Kapitel 30: Trautes Heim, Glück allein „Na, kommt ihr beide wieder vom Spielplatz?“, fragte Kankurou, als er seine Nichte den Türrahmen entlang tapsen sah. „Ja, sie hat wieder mit ihrer neuen Freundin gespielt.“ Temari setzte sich auf den Sessel. „Ich hab dir übrigens was mitgebracht.“ Sie warf ihrem Bruder einen Stoffbeutel zu und er fing ihn mit Leichtigkeit. „Womit hab ich denn das verdient?“, fragte er irritiert. „Guck doch erstmal hinein. Vielleicht findest du es ja doof.“ Er folgte ihrer Aufforderung, zog einen rechteckigen Gegenstand heraus und präsentierte seiner Schwestern ein breites Grinsen. „Der zweite Teil von Armor of gods!“, stieß er begeistert aus. „Mensch, dass du daran noch gedacht hast …“ „Natürlich hab ich daran gedacht!“, gab sie amüsiert zurück. „Wenn ich dir sage, dass ich dir den Film ausleihe, mach ich das auch. Behalt ihn aber nicht zu lange, wenn du nicht möchtest, dass dein Neffe später in Mädchenkleidern herumlaufen muss.“ „Ich werd ihn heute Abend noch ansehen und morgen zurückbringen“, versprach er. „Das kann ich dem Kleinen schließlich nicht antun.“ „Das wird er dir später bestimmt hoch anrechnen.“ Sie lachte. „Was riecht hier eigentlich so? Hast du dich heute Abend etwa freiwillig hinter den Herd gestellt?“ „Ich?“ Kankurou prustete los. „Nein. Matsuri würfelt gerade irgendwas Essbares zusammen. Quasi zur Feier, dass wir uns wieder vertragen haben.“ Temari sprang geistesgegenwärtig auf und hechtete in die Küche. In der Tür blieb sie stehen. Ihre Freundin wischte gerade die Arbeitsfläche neben dem Herd trocken, in dem eine selbstgemachte Pizza mit verschiedenen Belägen vor sich hin buk. Sie atmete erleichtert aus und Matsuri drehte sich zu ihr um. „Du hast wohl gedacht, dass ich dir wie beim letzten Mal ’nen Saustall hinterlasse, was?“, bemerkte sie. „Saustall?“, wiederholte sie. „Das war ein Schlachtfeld! Ich hab eineinhalb Stunden gebraucht, bis es hier wieder einigermaßen ordentlich war.“ „Kommt nicht wieder vor, versprochen.“ Ihre Freundin warf ihr ein entschuldigendes Lächeln zu. „Hast du dir schon überlegt, was du an deinem Geburtstag essen möchtest?“ „Der ist doch erst in zwei Wochen.“ „Mit der Planung kann man nicht früh genug anfangen. Du wirst schließlich exakt ein Vierteljahrhundert alt.“ „Erinnere mich bloß nicht daran“, erwiderte Temari und seufzte. „Ich komme mir auch so schon irgendwie alt vor. Ich hab dünne Haare, Augenringe und meine Haut sieht aus wie Papier – ich bin ein Zombie!“ Matsuri lachte laut los. „Erstens: Du siehst absolut nicht wie ein gammeliger Untoter aus“, begann sie aufzuzählen, „zweitens: Das alles liegt wenn nur an der Schwangerschaft; und drittens: Du siehst super aus! Glatte Haare stehen dir und wer interessiert sich schon für kleine Schatten unter den Augen? Ehrlich, mir wären sie gar nicht weiter aufgefallen, wenn du es nicht gerade gesagt hättest.“ „Danke“, murmelte sie. „Ich bin schwanger, aber ich kann die Wahrheit trotzdem vertragen.“ „Das ist die Wahrheit. Wenn ich ein Kerl wäre, würde ich mich sofort in dich vergucken.“ Temari musste über diese ungewollt komische Erwiderung schmunzeln. „Ich dachte, du stehst nicht auf mich.“ „Ich sagte ja auch: Wenn ich ein Kerl wäre.“ Ihre Freundin zuckte die Achseln. „Aber da ich das nicht bin …“ „Wie war das noch mit deinen bisexuellen Neigungen?“ Sie winkte ab. „Die sind doch Sand von vorgestern.“ „Umso besser“, sagte sie und scherzte: „Ich möchte dich nur ungern meinem Bruder ausspannen, auch wenn ich mit meinem tollen Aussehen angeblich jeden haben kann.“ „Das ist aber sehr rücksichtsvoll und nett von dir“, meinte Matsuri belustigt. „Ab und zu muss das mal sein“, antwortete sie. „Übrigens“ – sie zeigte auf den Ofen –„die Pizza brennt gleich an.“ Ihre beste Freundin verfiel in Panik, stürzte zum Backofen und riss die Klappe auf. „Jag mir doch nicht so einen Schrecken ein!“ Ihrer Stimme schwang etwas Erleichterung mit. „Sie ist doch perfekt.“ „Dann hör mir doch richtig zu“, erwiderte sie belustigt. „Ich sagte, gleich brennt sie an.“ Matsuri stieß ein paar unverständliche Flüche aus, die sie gleich wieder mit einem Grinsen entschärfte und holte ihr gebackenes Meisterwerk aus der Hitze. Temari nahm das Geschirr und das Besteck mit ins Wohnzimmer und deckte den Esstisch. Als sie damit fertig war, hörte sie, wie die Haustür aufging und sich wenige Sekunden darauf wieder schloss. Kairi bewegte sich in Richtung Flur und sie eilte ihr nach. Mit einem herzlichen Kreischen begrüßte das Mädchen ihren Onkel und Gaara quittierte es mit einem sanften Lächeln. „Du hast doch nicht etwa so früh Feierabend gemacht, um mit uns Pizza zu essen, oder?“, fragte sie überrascht. „Nein, ich muss morgen früh kurzfristig nach Amegakure aufbrechen“, antwortete er. „Das Essen lasse ich mir allerdings nicht entgehen, bevor ich schlafen gehe.“ „Natürlich, die Pflicht. Was auch sonst?!“, entgegnete seine Schwester und lächelte. „Aber es ist schön, dass wir wieder mal alle zusammen sind.“ --- Temari musterte Kairi. Das Mädchen starrte ihr schon seit fünf Minuten beharrlich auf die Finger und jeder Versuch sie abzulenken, war gescheitert. „Okay, okay, du hast gewonnen!“, gab sie nach. „Aber es gibt nur dieses eine Stückchen und nicht mehr.“ Sie reichte ihr den Rest ihres Pizzastücks, ihre Tochter betrachtete es einen Augenblick mit ausgeprägter Skepsis, dann biss sie von einer Ecke ab. Sie kaute, schluckte es herunter und ihre Augen leuchteten. „Da hast du dein Kind gerade wohl sehr glücklich gemacht, was?“, flachste Matsuri. Temari fasste sich an die Stirn. Dass sie ihr im zarten Alter von vierzehn Monaten so einen Mist zu essen gab, sprach nicht besonders für sie als Mutter. „Kopf hoch, Schwesterherz“, sagte Kankurou. „Solange du ihr so was nicht jeden Tag gibst, ist doch alles in Ordnung.“ „Wenn du das sagst …“ „Sag ich“, bestätigte er. „Außerdem fütterst du das andere nicht auch gerade indirekt damit?“ Ihre Hand fuhr automatisch zu ihrem Bauch. „Ja, kann schon sein“, gab sie zu, „aber ich konnte seinetwegen so lange nichts Richtiges essen und ich ernähre mich sonst – hey, was gibt es da zu grinsen?“ „Das war ein Scherz!“, sagte ihr Bruder. „Es ist noch kein Kind krank geboren worden, weil die Mutter in der Schwangerschaft gelegentlich ein Stück Pizza gegessen hat. Wenn du dir über irgendwas den Kopf zerbrechen möchtest, dann lieber über deine Horrorspiele.“ „Ich such mir demnächst ein anderes Genre. Da brauchst du dir gar keine Sorgen machen“, verteidigte Temari sich. Er zuckte die Schultern. „Ich meinte ja nur.“ Sie zog eine Grimasse, dann bemerkte sie, dass der Blick ihrer Tochter auf ihren Teller gerichtet war. „Das kannst du vergessen, junge Dame“, meinte sie rasch. „Du hattest dein Abendbrot. Gleich geht’s in die Wanne und dann ab ins Bett.“ Kairi verzog beleidigt das Gesicht, als hätte sie die Worte ihrer Mutter genau verstanden und starrte nun Gaara an, der amüsiert den brauenlosen Bereich über den Augen hob. Temari schüttelte ungläubig den Kopf und Kankurou und Matsuri brachen in lautes Gelächter aus. --- Nachdem ihre Tochter seelenruhig in ihrem Zimmer eingeschlafen war, kehrte sie zurück ins Wohnzimmer. Kankurou saß wieder auf der Couch und – „Hast du kein eigenes Hobby?“, schmetterte Temari ihm entgegen. „Wenn du mir meinen Spielstand verpfuscht, setzt es was.“ „Jetzt hab ich aber Angst“, flachste er. „Fast so viel Angst wie“ – ein kurzer Aufschrei folgte und er rief vor Schreck das Menü auf – „Was war das?“ „Nur ein anderer Gegnertyp“, erwiderte sie gelassen. „Die Viecher sind ziemlich schnell.“ Sie tätschelte seinen Rücken. „Aber Jumpscares sind ja so billig, nicht wahr, Bruderherz?“ Er machte eine beleidigte Miene. „Billiger geht’s nicht“, murrte er. „Ich hab ja gesagt, die Reihe ist Trash – in jeder Hinsicht!“ „Totaler Müll kann es nicht sein, wenn sich sogar ein hartgesottener Shinobi wie du dabei erschreckt!“, stichelte sie und nahm ihm das Pad aus der Hand. „Ich zeig dir jetzt mal, wie man das macht, wenn man kein Angsthase ist.“ Sie setzte sich zu ihm, beseitige das Problem mit Bravour und Kankurou stieß ein missbilligendes Knurren aus. „Wo sind Gaara und Matsuri eigentlich hin?“, fragte sie beiläufig. „Ihr führt doch eine monogame Beziehung, oder irre ich mich?“ „Finde nur ich deinen Gedankengang ein bisschen widerlich?“, fragte er trocken. „Aber ja, die führen wir. Sie ist nach Hause gegangen, um zu duschen und sich umzuziehen. Wir wollen nachher nämlich noch ausgehen. Und Gaara hat sich schon aufs Ohr gehauen.“ „Jetzt habe ich einen Witz gemacht“, stellte Temari klar. „Aber interessant, wie empfindlich du reagierst. Das ist irgendwie süß.“ „Was soll daran süß sein?“ „Na, dass du sie so verteidigst. Euch beiden merkt man sonst nämlich nicht unbedingt an, dass ihr so was wie ein Paar seid.“ Ihr Bruder verdrehte genervt die Augen. „Das sollte keine Kritik sein“, setzte sie nach. „Ich bin mehr als einverstanden damit, dass ihr nicht bei jeder Gelegenheit rumknutschen, Händchen halten und euch anschmachten müsst. Ich bin nicht scharf drauf, mir peinliches Liebesgetue anzutun und so meine Erbrechen-Phase zu reanimieren, die ich gerade erst losgeworden bin.“ „Da kannst du mal sehen, wie viel Rücksicht wir auf unsere Mitmenschen nehmen“, witzelte er mit einem Augenzwinkern. „Das fällt euch bestimmt unheimlich schwer“, kommentierte sie in ironischer Belustigung, „so romantisch veranlagt, wie ihr beide seid, oder?“ Sie lachten kurz, dann wurden sie von einem Türklingeln unterbrochen. „Dann mach deiner Angebetenen mal die Tür auf“, meinte Temari. „Oder sollte ich sie besser als Schwägerin in spe bezeichnen?“ „Jetzt übertreib mal nicht gleich“, gab Kankurou zurück und stand auf. „Davon sind wir noch weit entfernt.“ „Sicher“, scherzte sie und scheuchte ihn mit einem Handwink aus dem Raum. „Und jetzt lass sie nicht länger warten.“ Sie hörte, wie ihr Bruder über den Flur schlenderte und die Tür öffnete, dann startete sie das Spiel wieder. Sie steuerte die Figur, erkundete einen Gang, den sie bereits gesäubert hatte und – „Es ist für dich!“ Sie schaute über ihre Schulter und blickte Kankurou an, der ins Wohnzimmer lugte. Ein breites Grinsen funkelte ihr entgegen. „Wer oder was ist es denn?“, fragte sie monoton. „Wenn du jetzt Manabu hierher bestellt hast oder so ein dämliches Blinddate angezettelt hast, dann –“ Seine Miene verfinsterte sich und er sah sie mit tadelndem Blick an. „Meinst du, ich hab aus unserem Gespräch vorgestern nicht dazu gelernt?“, erwiderte er. „Traust du mir das wirklich zu, obwohl ich weiß, wie emotional vereinnahmt du bist?“ „Emotional vereinnahmt? Wovon redest du überhaupt?“ „Von dem, wie es mit deinem Gefühlsleben bestellt ist.“ „Ich weiß, was emotional … Ach, vergiss es.“ Temari erhob sich, kniff ihrem Bruder im Vorbeigehen sanft in den Nacken und beschleunigte einen Moment lang ihren Gang, um ihm nicht die Möglichkeit zu geben, sich dafür zu revanchieren. Kankurou ging allerdings nicht darauf ein und murmelte: „Ich bin dann in meinem Zimmer, falls du mich brauchen solltest.“ „Ich werd dran denken, falls mich gleich irgendein Kerl überfallen sollte oder mir sonst irgendwie zu nahe kommt“, entgegnete sie amüsiert. „Dann ruf ich dich und ich kann euch beiden gleichzeitig eins mit meinem Fächer drüber geben.“ „Da fürchte ich mich eher vor einer Niesattacke, so eingestaubt, wie das Teil ist“, stichelte er zurück. Sie wandte sich zu ihm um und sah, wie er ihr ein weiteres Grinsen zuwarf und in sein Zimmer flüchtete. Temari schmunzelte und setzte ihren Weg fort. Sie ging im Kopf noch ein paar Leute durch, die als Besuch in Frage kamen und blieb kurz bei Baki hängen. Da sie sich aber nicht vorstellen konnte, dass sich ihr ehemaliger Lehrmeister schon als Sensei für Kairi in elf Jahren verpflichten wollte und auch sonst keine Ahnung hatte, was er ausgerechnet von ihr wollen würde, verwarf sie ihn als potenziellen Gast. Wahrscheinlich war es doch nur Matsuri, die sich mit Kankurou zusammengeschlossen hatte, um sie zu veralbern. Sie griff zur Klinke und zog die Tür, die ihr Bruder bis auf einen dünnen Spalt angelehnt hatte, auf. Mitten in der Bewegung hielt sie inne. Sie blinzelte, biss sich auf die Unterlippe, dann drehte sie sich um und warf dabei die Haustür mit Schwung wieder zu. Sie hörte nicht, dass sie zufiel, als sie über den Flur zurück ins Wohnzimmer stürmte. Nein, sie vernahm nur das Rauschen ihres Blutes in ihren Ohren und das Klopfen ihres Herzens, das auf Hochtouren arbeitete. Wütend warf sie sich aufs Sofa, schnappte sich den Controller und spielte, um ihren Ärger, der so plötzlich über sie gekommen war, abzubauen. Sie verspürte den Drang, Kankurou für diesen makaberen Scherz wie eines dieser digitalen Ungeheuer zu behandeln. Ihr verdammter Bruder, der in diesem Moment wahrscheinlich auf seinem Bett hockte und sich scheckig vor Schadenfreude lachte … Temari ließ den Charakter, den sie steuerte, das nächstbeste Getier plätten und beobachtete, wie es sich in einen Aschehaufen verwandelte. Sie fluchte und warf das Pad beiseite. In ihrem Inneren brodelte es und sie merkte, dass ihre Stimmung auf ihr Baby übergegangen war. Das vermutete sie zumindest, denn es machte mit ein paar sanften Tritten oder Schlägen auf sich aufmerksam. Für diesen unlustigen Spaß bekam ihr Bruder noch die Quittung – und Matsuri ebenfalls, wenn sie herausfand, dass sie in diesen schlechten Witz involviert war –, aber nun war es besser, wenn sie sich ihrem ungeborenen Sohn zuliebe beruhigte. Sie lehnte sich zurück, massierte ihren Bauch, atmete tief durch und das half ihr, ihr Gemüt wieder ein wenig herunterzukühlen. Ihr Herzschlag verlangsamte sich allmählich und mit ihm die Regungen ihres Kindes, bis sie nur noch das gewohnte, unregelmäßige Zucken spürte. Abermals nahm sie das Pad in die Hand. Ihr linker Daumen wanderte zum Analogstick, die Figur im Fernseher tat einen Schritt … „Was ist denn mit dir los?“ Die Stimme, die sie so gut kannte und von der sie nicht geglaubt hatte, dass sie sie noch einmal hören würde, bahnte sich durch ihren Gehörgang und als sie ihr Ziel erreichte, realisierte sie auch, wem sie gehörte. Es war seine Stimme. Shikamarus Stimme. Kapitel 31: Eine surreale Wirklichkeit -------------------------------------- Kapitel 31: Eine surreale Wirklichkeit Es war keine Verwandlungskunst von Matsuri. Nein, er war es tatsächlich. Und obwohl sie wahrscheinlich glücklich darüber sein sollte, war sie es nicht. Sie hatte nicht das geringste Verlangen danach, ihm vor Freude über das plötzliche Wiedersehen um den Hals zu fallen. „Was mit mir los ist?“, wiederholte Temari beherrscht. „Was mit mir los ist? Du schleichst dich mitten in der Nacht davon, tauchst nach mehr als drei Monaten wieder auf und fragst mich ernsthaft, was mit mir los ist?“ Sie hielt den Controller fest umklammert, der Charakter im Spiel führte einen lustigen Tanz auf und feuerte einen unkontrollierten Schuss nach dem anderen ins Leere ab. „Ich weiß, es hat lange gedauert, aber –“ „Spar dir deine Ausreden“, unterbrach sie ihn. „Wenn du glaubst, dass alles vergeben und vergessen ist, nur weil du dich jetzt doch her bequemt hast, hast du dich geschnitten.“ Sie hörte etwas, das wie ein Seufzer klang. „Von dir kam der Vorschlag, dass wir in Ruhe über alles reden“, fuhr sie fort, bevor er etwas sagen konnte. „Doch was war stattdessen? Ich wache auf und du bist weg! Was zur Hölle soll ich da deiner Meinung nach denken?“ „Es tut mir leid, dass ich ohne etwas zu sagen gegangen bin“, sagte Shikamaru und sie wusste nicht, wie sie seinen Ton deuten sollte. „Du weißt doch, dass Abschiede nicht so meins sind.“ Sie biss die Zähne zusammen und ihre Hände malträtierten das Pad so sehr, dass das Gehäuse ein bedenkliches Knacken von sich gab. Sie ließ von ihm ab und warf es auf den Tisch. Die Schritt- und Schussgeräusche aus dem Fernseher verstummten und nur die leise Hintergrundmusik war noch zu hören. „Ist das alles, was dir dazu einfällt?“, fragte Temari bitter. „Ich weiß, dass es nicht unbedingt die feine Art war“, erwiderte er ruhig, „aber so dramatisch, wie du es gerade darstellst, war es auch nicht.“ Ihre Hände ballten sich zu Fäusten und ihre Nägel bohrten sich in die Innenseiten ihrer Handflächen. Dass er es so herunterspielte, machte sie wütend. „Nicht so dramatisch?“, fragte sie aufgebracht. „Hast du sie noch alle? Du hast nicht die geringste Ahnung davon, was ich in letzter Zeit wegen dir durchmachen musste! Also hör auf, es als nicht so dramatisch abzutun, wenn du keine Ahnung hast!“ Er sagte daraufhin nichts und sie war froh, dass er nach wie vor irgendwo hinter ihr zwischen Couch und Tür stand und sie ihn nicht sehen musste. „Ich hab mir schon gedacht, dass du im ersten Moment nicht allzu begeistert sein würdest“, begann er letztendlich, „aber dass du so dermaßen sauer –“ „Sauer trifft es nicht mal im Entferntesten, was ich gerade auf dich bin“, fuhr sie ihm ins Wort. „Ich hab monatelang geglaubt, dass du mich verarscht hast und jetzt stehst du hier in meinem Wohnzimmer – was schon surreal genug für mich ist – und denkst, dass es mit einem ›Shit happens, Schwamm drüber!‹ getan ist?“ Abermals bekam sie keine Antwort von ihm und das untermauerte nur ihren Eindruck, dass sie mit ihrer Annahme einen Treffer ins Schwarze gelandet hatte. „Warum bist du überhaupt hergekommen?“, wollte sie wissen. „Hat Kankurou dir eine Morddrohung geschickt oder was hat dich dazu gebracht hier aufzukreuzen?“ Shikamaru antwortete nicht sofort, dann fragte er: „Warum hast du angenommen, dass ich dich verarscht habe?“ Ihre Fingernägel gruben sich noch tiefer in ihre Haut und als sie drauf und dran war, die Beherrschung zu verlieren, setzte er nach: „Hast du meine Nachricht nicht gelesen?“ Sie überlegte kurz, ob sie in ihrer Enttäuschung darüber, dass er abgehauen war, irgendetwas Wichtiges verdrängt hatte, aber ihr fiel nichts ein. „Von welcher Nachricht sprichst du?“ „Ich hab sie damals auf den Tisch vor dir gelegt“, erklärte er. „Wie konntest du sie übersehen?“ „Ich hab sie nicht übersehen! Da war –“ In ihrem Kopf blitzte eine vage Erinnerung auf. „Wie sah sie aus?“ „Es war ein Notizzettel. Er war grün oder so ähnlich …“ Ihr Blick fiel auf den Notizblock im Regal. Das letzte grüne Blatt hatte sie vor ein paar Wochen aufgebraucht und davor hatte sie einige weggeworfen, die Kairi an dem besagten Morgen zerfetzt oder angekaut hatte. Sie konnte nicht sagen, ob auf einem irgendetwas gestanden hatte, denn sie hatte sie in ihrer Eile unbeachtet in den Müll befördert. Sie wusste auch nicht, was er angeblich darauf geschrieben hatte und ob er überhaupt die Wahrheit sagte, aber wenn doch … Sie kam sich auf einmal so dumm vor. Dumm, weil die Möglichkeit bestand, dass sie ihn die ganze Zeit über zu Unrecht verflucht hatte; und dumm, weil sie sich diesen selbstgemachten Leiden völlig umsonst so lange ausgesetzt hatte. „Bist du dir sicher, dass du das getan und nicht nur geträumt hast?“, fragte sie und zum ersten Mal in diesem Gespräch schwang ihrer Stimme so etwas wie Unsicherheit mit. Temari spürte seine Hand auf ihrer Schulter, doch obwohl sie zwar verwirrt, aber immer noch wütend auf ihn war, streifte sie sie nicht ab. „Ganz sicher“, bestätigte Shikamaru ihr. „Warum sollte ich dich anlügen?“ Es gab ihrer Ansicht nach tausend Gründe für ihn, das zu tun, doch sie beschloss, ihm zu glauben. Erstmal. „Kannst du dir vorstellen“, setzte sie verärgert zum Sprechen an, „was mit deiner tollen Nachricht, diesem winzig kleinen Stück Papier, das du auf einen viel zu niedrigen Tisch in der Reichweite einer damals fast Einjährigen abgelegt hast, passiert sein könnte?“ „Hat sie sie etwa zerrissen?“ „Oder gegessen“, ergänzte sie. „Ich weiß es nicht. Gelesen habe ich jedenfalls nichts.“ Ein kurzes und beklemmendes Schweigen brach aus. „Warum zum Teufel hast du sie nicht in die Küche gelegt oder an den Spiegel im Bad geklebt?“, fuhr sie angesäuert fort und immer mehr Fragen bildeten sich in ihrem Kopf, die sie beantwortet haben wollte. „Warum bist du nicht wenigstens bis nach dem Frühstück geblieben? Warum hast du nicht mit mir geredet, obwohl du es mir versprochen hattest? Warum hast du mir zwischendrin nicht ein winziges Lebenszeichen von dir geschickt, das mir zumindest im Ansatz gezeigt hätte, dass du Kairi und mich nicht vergessen hast?“ Als sie merkte, dass ihre Stimme an Sicherheit verlor, brach sie ab. Sie wollte sich vor Shikamaru nicht die Blöße geben und in Tränen ausbrechen. Geweint hatte sie wegen ihm in der Vergangenheit schon viel zu viel. Der Druck seiner Hand auf ihrer rechten Schulter verstärkte sich etwas, doch das tröstete sie nicht. „Ich dachte, dass es in dem Punkt nicht viel Sinn macht, mit dir zu reden“, sagte er. „Wenn du so dermaßen überzeugt von einer Sache bist und mit Gegenargumenten kommst, die ich nicht mal entkräften kann, was soll man da schon großartig bereden? Du rückst nicht von deinem Standpunkt ab und wenn ich das genauso mache, fängst du an, unfair zu diskutieren. Wir haben schon damals im Krankenhaus gesehen, wohin das führt.“ Temari erinnerte sich noch gut an dieses Hin und Her, seine Argumente, die für ihn gegen ein Kind gesprochen hatten und ihre eigenen, in der Hoffnung, sie könnte ihn vom Gegenteil überzeugen. Dieses alberne Spiel, das sie veranstaltet hatte, anstatt ihm einfach zu sagen, dass sie zu dem Zeitpunkt schon schwanger gewesen war und seine Begründungen somit zumindest für sie keine Relevanz mehr hatten. Doch sie war feige gewesen und gegangen, genauso, wie er es Anfang Mai getan hatte – mit dem Unterschied, dass er wiedergekommen war. „Außerdem haben wir uns zwischen den Prüfungen nie geschrieben, weil es das nur noch schwerer als ohnehin schon gemacht hätte“, fuhr er fort. „Wenn ich gewusst hätte, dass sie mich noch so lang da behalten würden, hätte ich mich vielleicht gemeldet, aber so …“ „Sie haben dich da behalten?“, fragte sie langsam. „Und das heißt?“ „Man konnte mich wegen der Prüfung nicht gleich gehen lassen. Der Rat war einstimmig der Meinung, es wäre zu umständlich, sie so kurzfristig einem anderen Leiter zu übertragen.“ Sie verstand nicht genau, was er ihr damit sagen wollte, aber die Geschichte klang nach einer Ausrede. Sie war selbst oft genug in die Prüfung involviert gewesen, um zu wissen, dass niemand unentbehrlich war. „Sicher“, sagte sie ironisch. „Falls du auf Genma anspielst“, erwiderte Shikamaru unerwartet schnell, „er konnte mich nicht ersetzen. Er schlägt sich immer noch mit einem komplizierten Bruch herum, der nicht richtig verheilt ist. Und außer ihm kommt momentan nun mal niemand in Frage.“ Sie schwieg. „Wenn du mir nicht glaubst“, setzte er nach, „schreib das Krankenhaus an. Sie werden dir seine Akte zwar nicht schicken, aber …“ „Schon gut“, meinte Temari mit einem Kopfschütteln. „Aber die Prüfung ist seit zwei Wochen vorbei. Warum warst du dann nicht schon vor einer Woche hier?“ Sie war gespannt, was für eine Antwort er ihr darauf geben würde. Es konnte nur eine dumme Ausflucht sein. „Ino hat letztes Wochenende geheiratet“, sagte er. „Und sie hätte mich umgebracht, wenn ich dabei gefehlt hätte.“ Ihre Mundwinkel zuckten unfreiwillig zu einem Lächeln. Seine Erklärung war so simpel, dass sie fast über sie gelacht hätte, wenn ihr der Sinn danach gestanden hätte. Und leider besaß sie eine Logik, die sie ihm nicht vorwerfen konnte. „Ich wusste nicht, wie es dir geht und dachte, dass es angerechnet auf die Zeit, die ich hier bin, auf die paar Tage nicht mehr ankommt.“ „Dann hängst du sie an deinen Urlaub an, was?“, murmelte sie tonlos. „Urlaub?“, wiederholte er und er klang in ihren Ohren fast ein wenig belustigt. „Meinst du wirklich, dass ich hier gerade im Urlaub bin?“ Wenn sein Unterton nicht ein seltsames Gefühl in ihr ausgelöst hätte, das ihre Eingeweide zu einem Tanz aufforderte, hätte sie ihm definitiv eine sarkastische Bemerkung entgegen geschmettert, doch … Nein, das war unmöglich. Das war absolut unmöglich. Das musste ein abstruser Traum sein. In Wirklichkeit war er gar nicht hier und redete mit ihr, sondern sie träumte sich alles nur zusammen. Genau, sie war beim Fernsehen oder Buchlesen auf der Couch an der Stelle, an der sie nun saß, eingeschlafen und ihr Gehirn spielte ihr wieder einen Streich. Anders konnte sie es sich auch nicht erklären, warum Kankurou so ruhig geblieben war. Der echte Kankurou wäre ihrem Exfreund schon nach dem ersten Blick an der Vordertür an die Kehle gesprungen, aber ihr Traumbruder war gelassen und gut gelaunt mit einem Grinsen in sein Zimmer verschwunden. Und das war in der Realität ein Ding der Unmöglichkeit für ihren verdrossenen Bruder, der seit Kairis Geburt so wütend auf Shikamaru war. Genauso wie sich ihr Unterbewusstsein die Existenz einer Nachricht zusammenspinnte, weil sie es sich so sehr wünschte – und dass er gerade in diesem Moment hinter ihr stand und mit ihr redete. Sie schloss die Augen und versicherte sich in Gedanken, dass nichts von dem, das seit dem Klingeln an der Tür geschehen war, echt sein konnte. Sie wiederholte es immer und immer wieder und irgendwann – sie wusste nicht, ob Sekunden, Minuten oder gar Stunden vergangen waren – fühlte sie auch die eingebildete Hand auf ihrer Schulter nicht mehr. Sie holte tief Luft, setzte ihren rechten Daumen und Zeigefinger an, um sich in den Oberschenkel zu kneifen und so durch den ausbleibenden Schmerz die Bestätigung zu bekommen, dass sie sich in einem Traum befand und – „Für dich kommt es vermutlich zu spät“, hörte sie ihn sagen, „aber ich habe mich hierher versetzen lassen.“ Temari kniff so stark zu, wie sie konnte. Die Stelle oberhalb ihres rechten Knies puckerte unangenehm, sonst veränderte sich nichts. Sie befand sich immer noch in dieser surrealen Wirklichkeit, die nur eine Fantasie sein konnte, nein, sein musste. Der echte Shikamaru ließ sich nicht von einem kleinen Gegenargument überzeugen und gab ohne Weiteres seine selbstauferlegten Pflichten auf. Alles, was darauf hinwies, konnte auf keinen Fall echt sein, selbst wenn sie sich noch so sehr wünschte. „Es ist keine Versetzung auf Lebenszeit“, sprach er weiter. „Auch wenn du das mit uns offensichtlich abgeschlossen hast, wirst du mich wegen der Kleinen eine Weile ertragen müssen. Die zwei Jahre bleibe ich, egal, was zwischen uns beiden ist.“ Zwei Jahre. Da war sie. Die Einschränkung, die gefehlt hatte und ihr bestätigte, dass sie doch nicht in einem Traum gefangen war. Der ausschlaggebende Punkt, der die Realität wie ein Steinschlag auf sie einprasseln ließ. Er hatte sich versetzen lassen und das nach den unschönen Worten, die sie ihm gesagt hatte. Das war viel mehr, als sie jemals erwartet hatte. Er hatte einen Kompromiss gesucht und ihn gefunden, auch wenn er limitiert war und das Problem nicht auf Dauer löste. Schritte, die sich entfernten, holten sie aus ihrer Gedankenwelt zurück. „Warte!“, rief Temari entschlossen und wandte sich zu ihm um. „Klar, am liebsten würde ich dir für die letzten Monate immer noch ein paar Ohrfeigen verpassen, aber wenn du denkst, dass dieses dumme Missverständnis irgendetwas an dem geändert hat, das ich für dich empfinde, irrst du dich gewaltig.“ Shikamaru blieb stehen und während sie auf seinen Rücken starrte, fuhr ihre Hand zu ihrem Bauch. Der eine Punkt war geklärt, also blieb noch der andere. „Aber“, setzte sie an, verstummte jedoch. Es kam ihr unangebracht vor, ihm diese Neuigkeit geradeheraus zu sagen, schließlich war es keine belanglose Nebensächlichkeit, die man soeben nebenbei erwähnen konnte. Nein, es war ein ziemlicher Einschnitt ins Leben und den Fehler, es ihm irgendwo zwischen Tür und Angel mitzuteilen, ohne zu wissen, ob er es überhaupt verstanden hatte, hatte sie schon einmal gemacht und war es definitiv nicht wert, wiederholt zu werden. „Aber?“, fragte er monoton, was sie unmöglich auf seine Gefühlslage schließen ließ. „Na ja“, sagte sie, „es gibt da noch ein kleines Problem.“ Ein kleines Problem … Wie war sie nur auf diese Formulierung gekommen? Klein war ihr Kind nach gewissen Maßstäben schon, aber ein Problem war es ganz sicher nicht. Nicht für sie. „Du bist noch mit diesem Typen zusammen, oder?“ „Nein, mit ihm hab ich schon vor Monaten Schluss gemacht“, erwiderte sie. „Glaubst du etwa ernsthaft, ich könnte länger mit jemandem zusammen sein, den ich betrogen habe?“ Er antwortete ihr darauf nicht, sondern fragte: „Was ist es dann?“ Sie rückte ein Stück zur Seite und sagte: „Setz dich.“ Er rührte sich nicht vom Fleck. „Komm her – verdammt noch mal! – und setz dich“, forderte sie ihn beherrscht auf. „Das bist du mir schuldig.“ Shikamaru drehte sich zu ihr um und zum ersten Mal, seit er gegangen war, schaute sie ihn bewusst an. Sie spürte ein Durcheinander in sich aufkommen, doch sie ignorierte es. Temari griff automatisch nach einem Kissen und sie war versucht, mit ihm ihren Bauch zu verdecken, bis ihr klar wurde, wie albern das war. Er sollte schließlich zu ihr kommen, damit sie ihm sagen konnte, dass sie noch ein Kind erwartete und da war eine Verschleierungstaktik der völlig falsche Ansatz. Sie tat das Kissen zurück an seinen Platz, wandte sich nach rechts und bemerkte, dass er bereits neben ihr stand. Er musterte sie flüchtig und bemerkte tonlos: „Du bist schwanger?!“ Perplex davon, dass er es so direkt ansprach und dabei nicht einmal eine Miene verzog, nickte sie nur. „Ist es …?“ „Ja“, bestätigte sie ihm, „es ist dein Kind.“ Er setzte sich, lehnte sich zurück und schaute an die Decke. „Ich hab zwar dran gedacht, dass es passiert sein könnte, aber …“ „Daran hättest du besser gedacht, bevor wir ohne Verhütung Sex haben“, erwiderte sie ohne jeglichen Vorwurf in der Stimme. „Und jetzt sag nicht, dass du mir vertraut hast. Das glaub ich dir auf keinen Fall, nachdem ich dir schon Kairi angedreht habe.“ Er sagte nichts. „Ich versteh wirklich nicht, was du dir dabei gedacht hast“, setzte sie nach. „Du hättest mich wenigstens fragen können, ob ich die Pille nehme.“ „Und du hättest selbst nichts sagen können?“, gab er zurück. „Natürlich hätte ich das. Dieses Kind ist auf dem Mist von uns beiden gewachsen, keine Frage, aber ich weiß zumindest, warum ich das Risiko eingegangen bin – was keine Entschuldigung sein soll –, doch was ist mit dir? Einfach unüberlegt loszulegen, ohne die Konsequenzen zu bedenken, passt nicht zu dir.“ „Wer sagt denn, dass mir die Konsequenzen nicht bewusst waren?“ „Wenn sie dir bewusst waren“ – ihr Blick löste sich von ihm und glitt zusammen mit ihrer linken Hand zu ihrem Bauch – „versteh ich es noch weniger.“ Temari begann, sanft über ihre Rundung zu streichen und schon kurz darauf spürte sie, wie ihr Sohn mit Bewegungen reagierte, die sie angenehm kitzelten. „Und ich verstehe nicht“, sagte Shikamaru, „warum du dich entschieden hast, dir das anzutun, wenn du dachtest, dass es mit uns vorbei ist.“ „Für mich kam es nie infrage, das Kind nicht zu bekommen“, antwortete sie. „Außerdem trägt der Kleine nicht die geringste Schuld daran, dass wir so dämlich waren.“ „Der Kleine?“ Sie musste über seine unerwartete Nachfrage schmunzeln. „Ja“, sagte sie, „wir bekommen wahrscheinlich einen Sohn.“ Sie musterte ihn aus den Augenwinkeln, doch es überraschte sie nicht, dass sich seine Mimik nicht verändert hatte. Er war, was Gefühle betraf, noch nie ein offenes Buch für sie gewesen. Beide schwiegen und da er nicht den Anschein machte, dass er das sobald änderte, bemerkte sie: „Du hast meine Frage, warum du die Möglichkeit in Kauf genommen hast, dass ich wieder schwanger werden könnte, noch nicht beantwortet.“ Seinem Blick nach zu urteilen, schien er seine Worte abzuwägen, dann sagte er: „Es war mir egal, ob es passiert.“ Sie zog die Augenbrauen zusammen. Mit so einer simplen und dummen Erklärung hatte sie nicht gerechnet. „Ich wollte immer zwei Kinder“, fuhr er fort, „und da ich geglaubt habe, dass zwischen uns wieder alles in Ordnung ist, dachte ich: Wenn es passiert, soll es halt so sein.“ „Seit wann gibst du was auf so einen schicksalhaften Blödsinn?“, fragte sie. „Es war ein dummer, zufälliger Zufall und sonst nichts.“ „Zufall, Schicksal … Ist das nicht völlig egal?“ „Ja“, stimmte sie ironisch zu, „es ist genauso egal, wie deiner Meinung nach die Tatsache, dass du mich wieder geschwängert hast … Es ist mir ein Rätsel, wie du das einfach so hinnehmen kannst.“ „Hinnehmen ist die einzige Option, schließlich bleibt mir keine andere Wahl“, erwiderte er nüchtern. „Aber selbst wenn ich sie hätte, würde ich mich nicht anders entscheiden. Ehrlich, es ist mehr als okay für mich, dass du noch ein Kind bekommst.“ Es war schön, dass sie seinen Standpunkt geklärt hatten, wenn er sich nicht außerhalb ihrer Logik befunden hätte. „Du hast Kairi bis jetzt nur an einem einzigen Abend für ein paar Stunden um dich gehabt. Wie kann da ein zweites Kind für dich okay sein, wenn du dich noch nicht einmal an das Erste gewöhnt haben kannst?“ „Gewöhnt vielleicht nicht“, gab Shikamaru zu, „aber mit ihm angefreundet.“ Unerwartet nahm er ihre freie Hand. Sie ließ es zu, auch wenn sie seine Geste nicht erwiderte. „Möchtest du wissen, mit welcher Erwartungshaltung ich vor drei Monaten hergekommen bin?“ Da sie ein Nicken andeutete, erzählte er weiter: „Mit gar keiner. Sie hat mich die ersten elf Monate ihres Lebens nicht einmal gesehen und ich war sicher, dass sie auf mich wie auf einen Fremden reagieren würde. Und dann war ich hier und sie war gleich von Anfang an so aufgeschlossen und neugierig, als würde sie mich schon länger kennen.“ Temari konnte ihm nachfühlen, wie bewegend das bei der ersten Begegnung auf ihn gewirkt haben musste. „Du hast einfach Glück gehabt“, sagte sie und lächelte. „Von Leuten, mit denen sie sonst nichts zu tun hat, hält sie sich eher fern – von Kindern mal abgesehen. Vielleicht hat sie ja geahnt, wer du bist?!“ „Jetzt redest du schicksalhaften Unsinn.“ „Die menschliche Intuition hat nichts mit Schicksal zu tun hat“, korrigierte sie ihn. „Erst recht nicht die von Kindern.“ „Gut“, sagte er, „das weißt du sicher besser als ich.“ „Ist das auch der Grund, warum du dachtest, dass ein zweites Kind nicht so furchtbar wäre?“ „So wie du es ausdrückst, klingt es zwar blöd“ – er schnaubte belustigt – „aber ja, irgendwie schon.“ So bescheuert seine Erklärung auch war: Sie konnte nicht anders, als zu lachen. „Es ist echt seltsam“, meinte sie, „dass ausgerechnet du, der sonst nur rationale Entscheidungen trifft, sich von etwas Emotionalem leiten lässt.“ „Seit ich das letzte Mal hier war, ist das Wenigste überlegt“, entgegnete er. „Aber du scheinst dich in dem Gebiet inzwischen auch ziemlich gut auszukennen.“ „Was dich betrifft sicherlich.“ Ihre linke Hand auf ihrem Bauch ruhte nun und sie bewegte lediglich die Finger sanft hin und her. „Auch wenn ich jetzt nicht so unbedingt drauf aus war, dass Kairi so schnell ein Geschwisterchen bekommt.“ „Warum hast du dann von dir aus nichts gesagt?“ „Es ist ein wenig komplizierter“, sagte sie. „Aber um es vereinfacht auszudrücken: Ich war naiv und verwirrt. Und als du mich geküsst und ausgezogen hast, wollte ich nur noch Sex. Für Vernunft war an dem Abend irgendwie kein Platz.“ Shikamaru schmunzelte. „Das klingt wirklich nicht besonders nach dir.“ „Wenn der Exfreund nach sechzehn Monaten vor der Tür steht und plötzlich doch seine Tochter sehen möchte, von der er zu dem Zeitpunkt mindestens elf Monate wusste, ist wohl kaum jemand ganz er selbst.“ Temari lachte kurz auf und fragte: „Was hast du eigentlich gedacht, als sie so auf dich zukam?“ „Gedacht? Nicht viel.“ „Nicht mal ein ›Verdammt, meine Tochter mag mich, obwohl sie mich gar nicht kennt‹?“ „Es könnte schon sein, dass mir irgendwas in der Richtung durch den Kopf gegangen ist.“ Sie wartete darauf, dass er weiter sprach und schließlich setzte er nach: „Im ersten Moment war es merkwürdig, eben da ich nicht damit gerechnet hatte, doch dann war es“ – er suchte nach dem passenden Wort – „nun ja, schön. Unglaublich schön sogar.“ Sie zog ihre Hand zurück, legte sie auf seine und drückte sie. „Irgendwann kam mir dann der Gedanke ›Scheiße, das hast du jetzt schon so lange verpasst‹ und mir wurde bewusst, wie dumm die Gründe waren, die ich vorgeschoben habe, um nicht herzukommen“, fuhr er fort. „Ich wollte auf keinen Fall, dass ich noch mehr von ihr verpasse und deshalb hab ich dich gefragt, ob du nicht mit mir mitkommen würdest. Dass du so klar mit Nein antworten würdest, hätte ich allerdings nicht gedacht.“ „Und deshalb bist du auf die Idee gekommen, dich versetzen zu lassen?“, fragte sie mit einem ernüchterten Lächeln. „So in etwa.“ „Aber warum nicht ganz, sondern nur für zwei Jahre?“ „Falls es mit uns als Familie nicht funktioniert.“ „Und weil du hoffst, dass ich es mir in der Zeit doch noch anders überlege, damit du deine Versprechen einlösen kannst“, ergänzte sie. Er wich kurz ihrem Blick aus, dann gab er zu: „Ja, das auch.“ „Und wenn ich stur bleibe?“ „Dann bleibe ich eben hier.“ „Aber was ist mit –“ „Du hattest Recht“, unterbrach er sie. „Mein König ist hier. Und kein Versprechen sollte wichtiger sein als er.“ Sie ließ ihn abermals los und rückte ein Stück näher. Dann nahm sie seine andere Hand und platzierte sie an der Stelle, an der ihr gemeinsamer Sohn in etwa liegen musste. „Und der andere ist hier“, bemerkte sie und lächelte. „Das heißt, wenn es denn zwei Könige geben kann.“ „Sicher“, antwortete er. Er drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf und fragte: „Sollte ich etwas merken?“ Sie deutete ein Kopfschütteln an und sagte: „Ich glaube eher nicht. Ich merke es selbst erst seit einer guten Woche.“ Seine Hand bewegte sich zaghaft hin und her und sie verspürte wieder dieses Zucken. „Jetzt zum Beispiel regt er sich ein wenig.“ „Hm“, meinte er mit einem Achselzucken, „ich bin wohl nicht sensibel genug.“ „In ein paar Wochen sieht es bestimmt anders aus“, sagte sie aufmunternd. „Es sei denn, er ist so faul wie deine Tochter. Kairi hat bis zum Schluss nicht viel davon gehalten, sich großartig bemerkbar zu machen.“ „Das hatte sie wohl von mir, was?“ Temari lachte, schenkte sich allerdings einen Kommentar darauf. Sie lehnte sich an die Rückenlehne der Couch an, schloss die Augen und spürte bewusst, wie er über ihren Bauch strich und ihr Kind von innen sanft dagegenhielt. „Wann hättest du mir eigentlich von ihm geschrieben?“, fragte Shikamaru plötzlich. Seine Worte hallten durch ihren Kopf und der Schädel schien sie bei jedem Kontakt wie ein immer lauter werdendes Echo zurückzuwerfen, bis es kaum noch auszuhalten war und sich ihr alter Bekannter, den sie so hasste, zurückmeldete – ihr schlechtes Gewissen. Ihre Lider gingen auf und sie fixierte ihren Blick auf den Fernseher. Der Charakter, den sie gewählt hatte, stand immer noch in dem dunklen Gang und die Umrisse seines Polygonmodells bewegten sich kaum merklich auf und ab. „Wenn er auf der Welt ist.“ Sie ließ ihm nicht die Gelegenheit, etwas darauf zu erwidern und setzte nach: „Zuerst wollte ich dir schreiben, nachdem ich die dreizehnte Woche erreicht hatte.“ „Du bist doch schon weiter, oder?“ „Ja.“ Sie nickte. „Ich bin in der siebzehnten Woche.“ Da er schwieg, fuhr sie fort: „Ich hatte tatsächlich schon etwas geschrieben, aber ich konnte es nicht abschicken. Ich war einfach zu enttäuscht. Und verletzt.“ „Und deswegen hast du beschlossen, es so wie bei Kairi zu machen?“ „Nein“, sagte sie. „Ich hatte beschlossen, dir gar nicht zu schreiben.“ Er zog seine Hand nicht zurück, hielt allerdings inne und sie spürte ein gewisses Unbehagen in sich aufsteigen. „Ich dachte, es wäre für alle das Beste“, setzte sie nach, „doch irgendwann wurde mir klar, was für eine egoistische Scheiße das war. Bis nach der Geburt zu warten wäre natürlich immer noch alles andere als fair gewesen, aber …“ Sie brach ab und schaute ihn nun direkt an. „Es tut mir wirklich leid, dass ich so verdammt falsch lag. Wenn Kankurou mir nicht ins Gewissen geredet hätte, könnte ich jetzt nicht mal in deine Richtung sehen, ohne vor Scham sterben zu müssen.“ „Es muss dir nicht leidtun“, sagte er. „Ich hätte an deiner Stelle vermutlich nicht anders gehandelt.“ „Du musst das nicht sagen, damit ich mich besser fühle“, gab sie zurück. „Da gibt es überhaupt nichts schönzureden.“ „Kann schon sein, aber was bringt es, etwas zu bereuen, das gar keine Relevanz mehr hat? Nur weil du auf einem Ego-Trip warst, den ich gewissermaßen sogar verstehen kann, ändere ich meine Meinung nicht.“ Sie lächelte müde. „Dann sollte ich mich wohl glücklich schätzen, was?“ „Und ich genauso.“ „Warum denn?“ „Weil du mich nach dem Ganzen nicht komplett abgeschrieben hast.“ „Bedank dich bei deinem Sohn“, sagte Temari. „Die Schwangerschaftsübelkeit war eine exzellente Ablenkung.“ „Ist es denn so schlimm?“ „Inzwischen geht es, aber die neun Wochen nach Kairis Geburtstag waren … nun ja, weniger toll. Um es harmlos auszudrücken.“ „Nicht nur in der Hinsicht, oder?!“ „Ich sag’s mal so: Das ständige Übergeben war das geringere Problem.“ Sie nahm wieder seine Hand. „Aber was passiert ist, ist passiert. Also vergessen wir’s. Ändern können wir es ohnehin nicht mehr.“ Sie sah noch ein flüchtiges Lächeln, dann beugte Shikamaru sich zu ihr herüber und küsste sie. Auch wenn sie wusste, dass es mit dem Vergessen sicher noch ein wenig dauerte, zögerte sie nicht und erwiderte seinen Kuss. Einen Kuss, der vor einer Stunde noch undenkbar gewesen wäre und der sie immer noch an der Realität zweifeln ließ. Sie schlang ihre Arme um seinen Nacken und lehnte sich zurück. Seine Hand glitt von ihrem Bauch an die Seite und auf die Sitzfläche, wo er sich abstützte, dann ließ er sich von ihr mitziehen. Plötzlich ertönte ein Räuspern und beide hielten inne. „Wolltest du mich nicht rufen, wenn dir jemand zu nahe kommt?“ Temari richtete sich auf und schaute direkt in das breite Grinsen ihres Bruders. „Ich hab alles im Griff, danke“, sagte sie. „Hast du nichts Besseres zu tun, als uns zu beobachten?“ „Das war reiner Zufall“, verteidigte Kankurou sich. „Ich hole nur den Film und bin sofort wieder weg.“ Da er sich nicht bewegte, meinte sie sarkastisch: „Das sehe ich.“ „Ach, lass mir doch die paar Sekunden“, gab er zurück. „Dich mal ansatzweise glücklich zu sehen ist ja eine ziemliche Seltenheit geworden.“ Sie blickte ihn einen Augenblick lang perplex an, dann zwickte sie ihm fest in den Oberarm. „Wofür war das denn?“, beschwerte er sich und ging rasch auf Sicherheitsabstand. „Du hast es gewusst!“, fluchte sie. „Du verdammter Arsch hast es gewusst!“ „Was denn?“ „Na, dass er herkommt! Das hast du – verdammt noch mal – gewusst!“ Kankurou massierte seinen Arm und murmelte: „Das ist doch absurd …“ „Dann ist es auch ein absurder Zufall, dass du seit zwei Tagen wieder mit mir redest? Das hängt also nicht hiermit zusammen?“ Ihr Bruder seufzte. „Hey, das hatte ich schon vor, bevor Gaara die Versetzung erwähnt hat“, sagte er. „Es hat’s nur ein wenig beschleunigt.“ „Ihr wusstet es auch noch beide?!“, fragte Temari empört. „Dir traue ich ja zu, dass du es mir nicht gesagt hast, um mir eins reinzuwürgen, aber Gaara?“ „Ich wollte dir keins reinwürgen, sondern die Überraschung nicht verderben“, verbesserte er sie. „Außerdem wusste ich es auch erst seit vorgestern. Und Gaara hat mir nicht den Anschein gemacht, als hätte er überhaupt den kleinsten Schimmer davon, was zwischen euch beiden abgegangen ist. Er dachte sicher, dass du längst Bescheid weißt. Oder was hast du ihm erzählt?“ Fassungslos starrte sie vor sich hin. „Nichts“, antwortete sie. „Nur, dass er der Vater ist … ansonsten überhaupt nichts.“ „Siehst du, selbstgemachte Leiden“, meinte Kankurou und für seine Klugscheißerei hätte sie ihm am liebsten auch noch in den anderen Arm gekniffen. „Wenn du offen mit ihm darüber gesprochen hättest, wärst du schon vor Wochen erlöst worden.“ Er ging im großen Bogen um die Couch herum, damit seine Schwester ihn bloß nicht erreichte, und angelte mit einem anmutigen Ausfallschritt den Film vom Tisch. Die Aktion wirkte so komisch, dass Temari ihren Ärger über ihn vergaß. Ihr Bruder musterte sie und grinste erneut. „Ach, Schwesterherz“, warf er im Anschluss ein, „was hat mich wirklich verraten? Kein normaler Mensch würde auf die Idee kommen, dass ich wieder mit dir rede, nur weil ich kurz zuvor erfahren habe, dass dein Exfreund“ – seine Augen huschten zu Shikamaru herüber – „ich meine, dein Freund – oder Was-auch-immer – hierher unterwegs ist.“ „Dein Grinsen vorhin, als ich zur Tür gegangen bin“, sagte sie, „und die Tatsache, dass ich ihn lebendig vorgefunden habe.“ Sein Grinsen verschwand und er zog die Brauen zusammen. „Für wen hältst du mich eigentlich? Für eins dieser blutrünstigen Monster, die du so gerne platt machst?“ „Das nicht“, erwiderte sie. „Aber was hast du neulich noch gesagt? ›Ich geh nach Konoha und bring ihn um!‹ Oder wie war das noch?“ „Von mir aus“, gab er zu. „Aber hab ich’s getan? Nein.“ „Ja, weil ich dich drum gebeten habe.“ „Es war kein Bitten, sondern ein Flehen“, merkte Kankurou belustigt an und eilte zur Tür. „Ich verzieh mich dann. Viel Spaß bei – Nein, ich will’s gar nicht wissen!“ Er zog eine Grimasse und verschwand in den Flur. „Danke“, rief Temari ihm nach, „ich hasse dich auch!“ „Ja, ja“, flötete er. „Du mich auch!“ Die Haustür fiel ins Schloss, dann klang nur noch eine leise Melodie durch den Raum. „Du hast also immer noch dieses fragwürdige Hobby?!“, fragte Shikamaru schließlich. Sie wandte sich ihm zu und entgegnete: „Was ist an Videospielen bitte fragwürdig?“ „Generell erstmal nichts“, sagte er, „aber sollte man von Horror nicht lieber die Finger lassen, wenn man schwanger ist?“ Sie seufzte. „Wenn man so schreckhaft wie ein wildes Tier ist, vielleicht“, gab sie zurück. „Aber okay, ich mach’s ja schon aus.“ Sie stellte den Fernseher und die Konsole aus und fragte anschließend: „Und was nun?“ Er antwortete ihr, indem er sie an sich zog und küsste. --- Langsam erwachte Temari aus dem Schlaf. Sie lugte mit einem Auge auf die Uhr an der Wand. Es war zehn nach sechs und aus dem Babyfon war noch nichts zu hören. Sie drehte sich auf den Rücken, richtete ihren Blick an die Decke und rieb sich die Schläfen. Einen bizarren, aber schönen Traum hatte sie gehabt und obwohl er sich gerade als rege Fantasie herausstellte, war ihr nicht zum Losheulen zumute. Nein, sie ließ die letzten Eindrücke noch ein wenig auf sich wirken und gab sich diesem Luftschloss hin, das sie sich erträumt hatte. Und bis sie abklangen, hoffte sie, dass Kairi aufwachte, damit sie sie vom Selbstmitleid und der Erkenntnis, wie sehr sie ihren Vater brauchte, ablenkte. Ihre Hand tastete sich unter ihrer Bettdecke vor. Sie fuhr unter ihr T-Shirt zu ihrem Bauch und begann, ihn liebevoll zu streicheln. Es dauerte nicht lange und sie vernahm die Regungen ihres Sohnes, dem lebhaften Goldfisch, dem sein kleiner Teich schon bald zu eng wurde. Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Sie mochte die Vorstellung dieser Metapher, über die sich ihre beste Freundin sicher amüsiert hätte. Temari atmete ein, dann runzelte sie die Stirn. Sie tat es noch einmal, weil sie glaubte, dass die Nachwirkungen des Traumes ihr einen Streich spielten, doch es veränderte sich nichts. Instinktiv verpasste sie sich eine Ohrfeige. Ihre Wange kribbelte ein wenig, der Geruch verschwand allerdings nicht. Sie blinzelte ungläubig. Sie hatte zwar von ihm geträumt, aber wie zum Teufel konnte sie nach ihm riechen? Träume konnten einen ins Schwitzen bringen, doch dass der Körpergeruch eines anderen an einem hing, wenn man alleine war, war unmöglich. Und selbst wenn es tatsächlich passiert wäre, würde sie jetzt nicht ihr Schlafshirt tragen. Auf einmal saß sie gerade im Bett. Entgeistert zog sie den Kragen ein Stück von sich, nahm einen tiefen Atemzug und ihre Innereien verknoteten sich. Es war keine Einbildung. Sie roch definitiv nach ihm und das wiederum hieß – Sie ließ sich zurückfallen und schlug sich die Hände vor den Kopf. Das T-Shirt trug sie, weil sie letzte Nacht auf Toilette gegangen war. Und sie lag alleine in ihrem Bett, weil er gegangen war. Er hatte mit ihr geredet, mit ihr geschlafen und nun war er weg. Genauso wie beim letzten Mal. In ihrem Schädel pochte es lautstark von dieser Erkenntnis, doch ansonsten fühlte sie nichts. Es war so unwirklich für sie, dass sie weder Wut, noch Enttäuschung verspürte. Ihre Hand strich weiter unablässig über den Bereich unterhalb ihres Nabels und schließlich lächelte sie selbstironisch. Glücklicherweise bekam sie schon ein Kind, also war es ausgeschlossen, dass er sie noch einmal geschwängert haben konnte. Der Gedanke, dass ihr diesmal wenigstens diese Überraschung erspart blieb, beruhigte sie enorm. Temari schlug sie die Decke zurück und stand mit dem Beschluss auf, in die Küche zu gehen, sich einen Tee zu kochen und dann in Ruhe darüber nachzudenken, was sie tun sollte. Sie öffnete die Tür, trat auf den Flur und stockte. Sie war sich sicher, dass sie Kairis Zimmertür gestern Abend geschlossen hatte, aber nun war sie nur noch angelehnt. Sie tat einen Schritt und warf einen Blick durch den Spalt. Ihr Herz übersprang einen Schlag, die wirren Gedankenfetzen in ihrem Kopf lösten sich in Nichts auf und nichts als eine unglaubliche Erleichterung blieb zurück. Mit dem Handrücken fuhr sie sich über die Augen, um sicherzugehen, dass es keine Halluzination war, anschließend betrat sie leise das Zimmer. Sie blinzelte noch ein paar Mal, dann wusste sie, dass sich der Alptraum von vor drei Monaten nicht wiederholt hatte. Shikamaru saß auf dem Boden vor Kairis Bett und beobachtete sie durch die Holzstäbe hindurch. Sie lag auf dem Rücken, die Arme weit von sich gestreckt und da sie wie meist mit offenstehendem Mund schlief, präsentierte sie unbewusst ihre vorderen Milchzähne. „Wie kommt es, dass du schon auf bist?“ Er antwortete mit einem Schulterzucken und Temari hakte nicht weiter nach. Es überraschte sie nicht, dass er lieber hier saß und seine schlafende Tochter betrachtete, die er so lange nicht gesehen hatte. Da musste etwas wie Schlafen einfach zweitrangig sein, selbst wenn man es noch so gerne tat. „Sitzt du schon lange hier?“, fragte sie weiter. „Eine Weile“, sagte er. „Ich hab nicht auf die Uhr gesehen.“ Sie ging auf die Knie und setzte sich zu ihm. „Du hättest mich ruhig wecken können“, meinte sie. „Als ich eben aufgewacht bin, hatte ich ein unschönes Déjà-vu.“ „Entschuldige“, murmelte er, „war keine Absicht.“ Temari lächelte nur, dann lehnte sich an seine Schulter und er legte im Gegenzug einen Arm um sie. Ein paar Minuten saßen sie so schweigend da, bis er fragte: „Darf ich sie wecken?“ „Abgelehnt!“, entgegnete sie prompt. „Sie ist unausstehlich, wenn sie aus dem Schlaf gerissen wird.“ Sie machte eine Pause, dann fuhr sie fort: „Aber wenn du dich den ganzen Morgen mit ihrer Quengelei herumschlagen möchtest, bitte. Erwarte aber bloß keine Hilfe von mir.“ „Schade“, bedauerte Shikamaru und blieb sitzen. „In spätestens einer Viertelstunde wacht sie ohnehin auf“, sagte sie. „Und immerhin ist dein anderes Kind dafür wach. Nur, falls es dich interessiert.“ Er legte seine Hand auf ihren Bauch, sagte allerdings nichts. Sie spürte, wie ihr Sohn ein wenig aktiver wurde, aber sie bezweifelte, dass es schon kräftig genug war, um es von außen zumindest erahnen zu können. Das war einerseits schade für seinen Vater, andererseits vielleicht auch besser so, denn so gab es ihm noch etwas mehr Zeit, damit er es realisieren konnte. Ihr stark ausgeprägter Fünf-Monats-Bauch reichte als Eindruck erstmal aus, schließlich hatte er vor weniger als zwölf Stunden nicht einmal den Hauch einer Ahnung gehabt, dass sein zweites Kind unterwegs war. Bei der Aussicht wunderte es sie schon ein bisschen, dass er sich überwunden hatte und geblieben war. Vielleicht war er nur nicht gegangen, weil es noch zu unwirklich für ihn war. „Bist du dir sicher, dass du das möchtest?“ „Ja“, antwortete er, „warum fragst du?“ „Na ja, als du hergekommen bist, bist du davon ausgegangen, dass du dich nur auf ein Kleinkind einstellen musst. Und dann bist du hier und stellst fest, dass du in weniger als einem halben Jahr noch ein zweites Mal Vater wirst“, sagte sie. „Das muss ziemlich surreal für dich sein, oder?“ „Nein“, erwiderte er. „Ich hab zwar nicht wirklich damit gerechnet, aber so sehr überrascht es mich dann doch nicht, um es als surreal bezeichnen zu können.“ „Aber zwischen einer vagen Vermutung, die irgendwo im Hinterkopf herumschwirrt, und einer Tatsache besteht ein großer Unterschied, findest du nicht?“ „Sicherlich“, gab er zurück, „aber ich komm schon zurecht.“ „Meinst du wirklich?“ „Wirklich“, bestätigte er und drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe. „Und selbst wenn nicht, kann ich deinen Bauch schlecht ignorieren, selbst wenn ich wollte.“ Temari lachte. „Das ist wohl wahr.“ Es raschelte und ihre Aufmerksamkeit fiel zurück auf das Kinderbett. Kairi trat ihre Decke von sich, warf sich ein paar Mal hin und her, dann öffnete sie ihre Lider. Verschlafen schaute sie die beiden Gesichter an, die sie beobachteten. Sie rieb sich ein paar Mal die Augen und gähnte, schließlich setzte sie sich auf und fixierte ihren Blick auf die ihr weniger bekannte Person. Das Mädchen musterte ihren Vater aufmerksam, legte den Kopf schief, blinzelte – und lachte. Epilog: Epilog -------------- Epilog Gaara schaute auf seine Armbanduhr. „Tut mir leid“, bedauerte er aufrichtig, „aber ich muss leider wieder los. Die Versammlung ruft.“ „Ist doch okay“, erwiderte Temari mit einem Lächeln. „Ich hätte nicht mal gedacht, dass du deine kurze Frühstückspause opferst, um herzukommen und dann auch noch riskierst, zu spät dort aufzutauchen.“ „Ich wäre auch hergekommen, wenn sie nur fünf Minuten lang gewesen wäre“, meinte ihr Bruder und lächelte ebenfalls. „Den ersten Blick auf meinen Neffen lasse ich mir auf keinen Fall nehmen.“ Er betrachtete den kleinen Jungen noch einmal, der in den Armen seiner Schwester lag, verabschiedete sich und verließ das Zimmer. Temari seufzte und sank ein Stück am hochgestellten Kopfteil des Bettes herunter. Sie schloss die Augen und drückte ihr Kind, das erst seit sieben Stunden auf der Welt war, etwas fester an sich und lauschte seinen leisen Atemzügen, die warm ihr linkes Schlüsselbein streiften. Körperlich fühlte sie sich wirklich nicht besonders, aber das was sie für dieses kleine Wesen empfand, ließ sie das für ein paar Augenblicke vergessen. Sie küsste ihren Sohn sanft auf die Stirn, strich ihm behutsam über den Kopf und spürte den weichen Flaum seiner kurzen Haare zwischen ihren Fingern. Er hatte schon einen beachtlichen Haarschopf und der Kontrast zu seiner hellen Haut machte dies nur noch deutlicher, denn sie waren in einem tiefen Schwarz. Es klopfte an der Tür, die Klinke senkte sich und zwei Augenpaare linsten sie an. „Dürfen wir reinkommen?“, flüsterte Matsuri. „Oder passt es dir gerade eher nicht so?“ Temari nickte und winkte die beiden herein. Kankurou schloss die Tür leise hinter sich und schlich zusammen mit seiner Freundin zu seiner Schwester herüber. „Wie geht’s dir?“, fragte er besorgt. „Es könnte besser sein“, sagte sie und lächelte matt. „Aber es wird schon wieder.“ Ihr Bruder runzelte die Stirn. „War die Geburt wieder so schlimm?“ „Ich würde lügen, wenn ich sage, dass zwölf Stunden Wehen ein gemütlicher Spaziergang sind“, entgegnete sie, „aber ganz so schlimm wie bei Kairi war es dann doch nicht.“ „Na, wenigstens etwas“, seufzte er und musterte seinen Neffen ausgiebig. „Der kleine Mann hat dich die letzten Wochen schließlich schon genug gequält.“ Bevor Temari ihn empört über seine Äußerung korrigieren konnte, verpasste Matsuri ihm einen Ellenbogenstoß in die Seite. „Gott, bist du unsensibel!“, schalt sie ihn. „Auch wenn’s natürlich weniger schön ist, dass er es sich vorher noch einige Tage lang auf ihrem Ischias bequem gemacht hat, ist es doch irgendwie süß, dass er sich nicht von seiner Mama trennen konnte. Findest du nicht auch, Temari?“ Die Angesprochene musste lachen. „Mehr oder weniger vielleicht. Wegen mir hätte er jedenfalls nicht noch zehn Tage bis nach dem Termin dort drin bleiben müssen.“ „Na ja, seh’s doch mal so: Kairi kam eineinhalb Wochen zu früh, der Kleine eineinhalb Wochen zu spät. Unter dem Strich warst du trotzdem zweimal vierzig Wochen schwanger.“ „Wie du meinst“, sagte sie belustigt und scherzte: „Vielleicht wollte er auch unbedingt ein Februarkind werden, wer weiß?“ Die beiden Freundinnen lachten los und Kankurou schüttelte amüsiert den Kopf. „Wie heißt er eigentlich?“, fragte Matsuri im Anschluss. Temari seufzte. „Wenn ich das mal wüsste …“ „Aber du hattest doch so viel Zeit! Wie kommt es, dass du keinen Namen gefunden hast?“ „Ich habe keinen gefunden, weil ich nicht gesucht habe.“ „Und warum nicht?“, wollte ihre Freundin wissen. „Er kann doch nicht namenlos bleiben! Das ist doch eine furchtbare Vorstellung!“ „Keine Sorge, er bekommt bald einen Namen. Ich gebe seinem Vater noch ein bisschen Zeit, um einen auszusuchen.“ „Dann war es also kein Witz, als du gesagt hast, dass du Shikamaru die Namenswahl überlässt?“ „Nein“, gab sie zurück. „Ich habe ihn schon bei Kairi komplett übergangen, also ist er diesmal an der Reihe.“ Matsuri stieß einen Pfiff aus. „Das ist aber mutig von dir.“ „Wieso?“ „Stell dir mal vor, er sucht einen Vornamen aus, den du furchtbar grässlich findest!“ „Dann ist es eben so“, meinte sie gelassen. „Ich halte mich komplett heraus. Es wird genommen, was er vorschlägt.“ „Und was, wenn die Bedeutung so lächerlich ist, dass sich der Kleine später dafür schämen muss?“ Temari zog die Augenbrauen nach oben. „Ich glaube“, begann sie, „dass du deine Einschätzung von Shikamaru noch mal überdenken solltest. Meinst du wirklich, er würde seinem Sohn einen Namen geben, der ihn ins Lächerliche zieht?“ „Wohl nicht“, lenkte ihre Freundin ein. „Trotzdem weiß ich nicht, ob dein grenzenloses Vertrauen in ihn bewundernswert oder verrückt ist.“ „Vielleicht beides“, sagte sie und ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. „Ich hab schon mehrmals daneben gelegen, was ihn betrifft, also ist es angebracht, wenn ich ihm wenigstens dieses eine Mal uneingeschränkt vertraue, oder?“ „Wenn das kein Liebesbeweis ist, weiß ich auch nicht“, bemerkte Matsuri und schmunzelte. „Ich beneide euch irgendwie. Ihr habt so viel wegen einander durchgemacht und euch trotzdem wieder zusammengerauft. Das muss echte Liebe sein.“ Temari suchte den Blick ihres Bruders, doch dieser zuckte nur die Achseln. „Bist du irgendwie unter die Romantiker gegangen oder was stimmt mit dir nicht?“, fragte sie skeptisch. „Ach, Quatsch!“ Ihre Freundin winkte ab. „Aber in manchen Fällen kann romantischer Kitsch doch mal ganz schön sein.“ Erneut schaute sie Kankurou an. „Du hast sie doch nicht etwa geschwängert?“, fragte sie geradeheraus. „Hast du sie noch alle?“, fuhr er seine Schwester an. „Ich hab jetzt jeden Tag eine zickige Nichte und einen schreienden Neffen um mich, da brauche ich nicht noch ein eigenes Kind, das mir den letzten Nerv raubt.“ Matsuri starrte ihn entrüstet an. „Was soll denn das heißen?“, fragte sie aufgebracht. „Nur dass ich jetzt noch kein Kind möchte“, erwiderte er beschwichtigend. „Und das bedeutet, dass wir ein ernsthaftes Problem haben, solltest du meiner Schwester in Verhütungsfragen nacheifern.“ „Danke für die Blumen“, murmelte Temari sarkastisch und unterdrückte den Reiz, ihrem Bruder eine zu scheuern. „Du bist wirklich ein unsensibler Arsch“, legte ihre Freundin fest. „Dass du mir das zutraust, ist echt daneben. Und dass du diese alte Kamelle, für die sich kein Schwein mehr interessiert, ausgerechnet an dem Tag auspackst, an dem ihr zweites Kind geboren wurde, ist noch mehr daneben!“ „Aber –“, stammelte Kankurou los. „Es sollte keine Kritik oder Beleidigung, sondern lediglich eine kleine Anmerkung sein.“ „Ja, ja, wer’s glaubt …“ Seine Freundin zog eine Grimasse und richtete ihren Blick wieder auf den neuen Erdenbewohner, der nun anfing, sich zu regen. Der Junge zog seine Beine etwas an, seine kleinen Hände wurden zu Fäusten und seine Augenlider gingen ein wenig auf. „Wie niedlich und knautschig!“, stieß Matsuri entzückt aus. „Er ist wirklich zuckersüß!“ Kankurou nahm ihn ebenfalls näher in Augenschein. „Wenn ich nicht wüsste, wer sein Vater ist“ – er grinste breit – „würdest du jetzt in arger Erklärungsnot stecken, Schwesterherz.“ Temari musterte ihren Sohn eingehend. Eine gewisse Familienähnlichkeit konnte sie nicht verschweigen, aber … „Sieht er ihm wirklich so ähnlich?“ „Ähnlich ist kein Ausdruck!“, gab er zurück. „Dieses Kind kann er unmöglich verschweigen.“ „Du bist ein Blindfisch“, bemerkte Matsuri spitz. „Er hat ja wohl eindeutig Temaris Augen geerbt.“ „Okay, der Punkt geht an dich“, pflichtete er ihr bei. „Auch wenn ich nicht weiß, ob dieses Merkmal für einen Jungen von Vorteil ist.“ Seine Freundin schaute ihn einen Moment lang tadelnd an, dann prusteten sie beide los. Temari hätte ihnen für diese Frechheit, die auf Kosten ihres Kindes ging, am liebsten ein paar Ohrfeigen verpasst, wenn sie sich nicht selbst ein wenig über diesen Spruch amüsiert hätte. Sie küsste ihren Sohn, den sie nach den wenigen Stunden schon so sehr liebte, und streichelte mit dem Zeigefinger über seine Hand. Er zuckte bei der Berührung zusammen, doch nach wenigen Sekunden entspannte er sich und sein Gesicht, das noch nicht zu vielen Gefühlsausdrücken fähig war, wirkte eine Spur zufriedener auf sie. Sie beobachtete ihn eine Weile und schließlich fielen seine Augen zu und er schlief wieder ein. Abermals klopfte es an der Tür. Kankurou öffnete sie und kaum, dass der Spalt breit genug war, stürmte Kairi hindurch und lief zum Bett herüber. „Mama!“, rief sie und wedelte aufgeregt mit den Armen herum. „Nicht so laut.“ Temari legte einen Finger auf die Lippen und bedeutete ihr, leise zu sein. „Dein kleiner Bruder schläft.“ Ihre Tochter sah sie groß an, dann murmelte sie „Buder“ und zeigte auf den Bauch ihrer Mutter. Diese schüttelte den Kopf und sagte: „Nein, da drin ist er nicht mehr. Er ist jetzt hier.“ Das Mädchen folgte ihrem Blick, deutete ein Stück höher und fragte: „Baby?“ „Genau“, erwiderte sie. „Das ist dein kleiner Bruder.“ Kairi kicherte, dann drehte sie sich um und flitzte zur Tür und zu ihrem Vater zurück. Sie zog an seinem Hosenbein, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen und streckte dann die Arme nach ihm aus. Shikamaru hob sie hoch und sie gluckste fröhlich. Temari lächelte. In dem halben Jahr, das seit seiner Versetzung vergangen war, hatten die Zwei eine bemerkenswerte Vater-Kind-Beziehung aufgebaut. Kairi war von Anfang an offen auf ihn zugegangen und hatte ihn als neue Bezugsperson sehr schnell akzeptiert. Tatsächlich war er inzwischen ihre erste Anlaufstelle geworden, wenn sie getröstet werden wollte – und wenn sie etwas haben wollte, von dem sie wusste, das sie es von ihrer Mutter definitiv nicht bekam. Temari hatte schon gelegentlich das Gefühl, dass sie nur noch die zweite Geige spielte, aber das war in Ordnung für sie. Sie hatte ihre Tochter die ersten vierzehn Monate ganz für sich gehabt und es war ihr nicht schwer gefallen, einen Teil ihrer Zuneigung an Shikamaru abzutreten, der sich von Anfang an so rührend um sie gekümmert hatte. Ihr Blick fiel auf die ausgeprägten Ringe unter seinen Augen. Er hatte wie sie die ganze Nacht nicht geschlafen und war erst vor viereinhalb Stunden unter Protest nach Hause gegangen. „Du solltest dich doch ausschlafen!“, begrüßte sie ihn. „Wirklich, was machst du schon wieder hier?“ Er zuckte die Achseln. „Zwei Stunden Schlaf müssen wohl erstmal reichen.“ „Tun sie aber offensichtlich nicht“, legte sie fest. „Warum ist Kairi überhaupt bei dir?“ Sie wandte sich an Kankurou und Matsuri. „Ihr beide solltet doch auf sie aufpassen!“ „Haben wir doch“, verteidigte sich ihr Bruder. „Aber dein Freund musste ja unbedingt die Zimmertür offen lassen.“ Beleidigt rümpfte er die Nase. „Wir haben’s versucht, aber als sie ihn gesehen hat, hatte sie keine Lust mehr, sich mit uns zu beschäftigen.“ Ihre beste Freundin zog die Augenbrauen hoch und nickte zur Bestätigung. „Wir waren für sie genauso interessant wie Fliegendreck, der an der Wand klebt.“ „Echt ’ne Sauerei“, beschwerte sich Kankurou weiter. „Da reiß ich mir für sie ein Dreivierteljahr lang den Allerwertesten auf und das ist der Dank dafür.“ „Beschwerst du dich gerade etwa über zu viel Freizeit?“, fragte Temari. „Absolut nicht“, entgegnete er rasch. „Ehrlich, ich bin froh, dass ich den Nervenzwerg so gut wie los bin.“ Er musterte seine Nichte geringschätzig. Sie erwiderte seinen Blick, beugte sich vor, griff nach seiner Nase und kicherte. Kankurou blickte einen Moment entgeistert drein und lachte ebenfalls los. „Geht’s nicht ein bisschen leiser?“, warf Matsuri ein und hielt ihm die Hand vor den Mund. „Oder willst du deinen Neffen gleich wieder aufwecken?“ Sein Lachen verstummte und er sagte: „Okay, Chefin!“ Danach salutierte er und grinste übertrieben. Seine Freundin verdrehte die Augen, packte ihn am Arm und zog ihn in Richtung Tür. „Wir machen besser einen Abstecher zur Cafeteria“, schlug sie vor. „Mir scheint, dein Gehirn könnte ’ne kleine Abkühlung vertragen.“ „Nö“, protestierte er, „meinem Hirn geht’s bestens. Ich –“ „Du kommst jetzt mit!“, legte sie fest. „Oder willst du ihnen die ersten Momente zu viert als Familie komplett verderben?“ Bevor er antwortete, ging sie weiter und anstatt zu protestieren, ließ er sich widerstandslos von ihr mitziehen. Temari schaute zur Tür, die sich gerade schloss. Die gelegentliche Feinfühligkeit ihrer besten Freundin überraschte sie immer wieder und es beschlich sie das Gefühl, dass sie sich dafür bei ihr erkenntlich zeigen sollte. Sie hörte das Getrappel ihrer Tochter und schaute ihr nach. Kairi war zum Fenster gelaufen und versuchte sich an der Fensterbank hochzuziehen. Als das nicht klappte, sah sie ihren Vater an – mit diesem Hundeblick, der fast schon ein wenig einstudiert wirkte, der bei ihm aber meist funktionierte. „Soll ich?“, fragte Shikamaru. Temari, die über die Masche des Mädchens immer noch staunte, zuckte mit den Schultern. Sie hätte es ihr auf gar keinen Fall erlaubt – was ihr Kind natürlich wusste –, aber nach der letzten Nacht konnte sie ausnahmsweise darüber hinwegsehen. Ein Zickenanfall ihrer Tochter war im Augenblick nicht unbedingt etwas, das sie gebrauchen konnte. Er ging zu ihr und setzte sie hoch und Kairi legte die Hände an die Fensterscheibe und spähte nach draußen in den sandigen Innenhof. „Du bist viel zu nachlässig mit ihr“, bemerkte Temari. „Ich weiß.“ Obwohl ihr sein gleichgültiger Unterton nicht entging, sparte sie sich weitere Kritik. Auch wenn sie es eher weniger guthieß, dass er so oft dem Willen seiner Tochter nachgab, konnte sie verstehen, warum er so handelte. Sie vermutete, dass es seine Weise war, um die vierzehn Monate, die Kairi ohne ihn verbracht hatte, wieder gutzumachen – wobei sie arg bezweifelte, dass er nun ein sehr viel strengerer Vater wäre, wenn er sie von Anfang an um sich gehabt hätte. Nicht bei der Mutter, für die es seit seiner tiefsten Kindheit nichts Wichtigeres gegeben hatte, als Regeln einzuhalten. „Wie geht es euch beiden?“, fragte er schließlich. „Unserem Sohn scheint es großartig zu gehen“, antwortete sie. „Er wird jede Stunde wach, weil er Hunger hat. Und ich“ – sie gähnte – „fühle mich furchtbar. Ich würde ihn dir gerne für ein paar Stunden überlassen und schlafen, aber da du keine Milch gibst, geht das schlecht.“ „Dann kann ich wohl nur für dich hoffen, dass die Abstände schnell länger werden, hm?“ „Hoffen ist gut. Bei meinem Glück dauert das Tage.“ Sie lachte auf und fragte: „Und wie geht’s deiner Hand?“, wechselte sie das Thema. „Ganz gut.“ Shikamaru schüttelte seine Linke demonstrativ aus. „Es sind nur ein paar Quetschungen.“ „Wenn Kankurou das erfährt, wird er sicher enttäuscht sein“, antwortete sie belustigt. „Wegen mir hättest du dich nicht zurückhalten müssen.“ „Ich hab mich nicht zurückgehalten“, sagte sie. „Ich bin einfach schwächlich geworden. Aber das bringt die Zeit wohl mit sich, wenn man sein Kunoichidasein aufgibt und stattdessen nur noch Mutter ist.“ Er schmunzelte. „Dafür, dass du nur noch Mutter bist, ist meine Hand aber ganz schön blau.“ Temari warf ihm ein entschuldigendes Lächeln zu und widmete sich wieder ihrem Sohn. Sein Atem war flach und seine Augenlider zuckten und sie fragte sich, ob er gerade träumte. Vorsichtig fuhr sie ihm über die Haare und achtete darauf, dass sie seinen Hinterkopf nur leicht berührte, um ihn nicht zu wecken. „Hast du dich inzwischen für einen Namen entschieden?“, fragte sie. Shikamaru seufzte nur. „Das ist wohl ein Nein, was?“, bemerkte sie. „Du hast zwar noch einige Tage Zeit, bis du dich festlegen musst, aber ich möchte nicht noch tagelang ›der Kleine‹ sagen müssen, wenn ich von ihm spreche. Das klingt so schrecklich unpersönlich.“ „Das sehe ich genauso“, pflichtete er ihr bei, „aber es ist … so schwierig.“ Nun stieß Temari ein Seufzen aus. „Wenn du ihm den Namen von deinem Vater geben möchtest, kannst du es ruhig sagen.“ „Bloß nicht“, erwiderte er, „das ist doch viel zu abgedroschen. Und meine Mutter rastet völlig aus, wenn wir das machen.“ „Wir?“ Sie hob eine Braue. „Die Namensgebung ist deine Aufgabe.“ „Schon, aber gefallen sollte dir der Name trotzdem.“ „Es geht aber nicht darum, was mir gefällt, sondern um das, was du möchtest“, sagte sie bestimmt. „Bei Kairi hab ich dich auch nicht um deine Meinung gebeten.“ „Das war doch eine ganz andere Situation“, argumentierte er. „Außerdem gefällt mir ihr Name. Ich hätte so oder so Ja gesagt, wenn du mich gefragt hättest.“ „Darum geht’s hier gerade aber nicht. Du bestimmst den Namen allein und Punkt.“ Shikamaru drehte sich wieder zu Kairi um, die nach wie vor in den Hof schaute. „Ich weiß, dass dich das gerade nervt“, setzte Temari nach, „aber es kann doch nicht so schwer sein, einen Namen auszusuchen. Bei Kairi wusste ich nach zwanzig Minuten, wie ich sie nennen möchte, und das war einige Wochen, bevor sie auf der Welt war. Du denkst aber schon seit Monaten darüber nach und hast immer noch keine Idee?! Das kann doch nicht sein!“ „Eine Idee hab ich schon“, sagte er. „Aber …“ „Es ist so ein Familientraditionsding, oder?“, warf sie ein. „Oder sollte ich lieber klanübergreifendes Traditionsding sagen?“ Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht und trotzdem wusste sie, dass sie mit ihrer Vermutung Recht hatte. „Okay“, fuhr sie fort, „dann weiß ich den Anfang des Namens schon mal. Wie lautet die Endung?“ „Ist doch egal“, meinte er rasch. „Ich denk mir was anderes aus.“ „Jetzt sag schon“, forderte sie ihn auf. „Oder soll ich Rätselraten? Hab ich gerade echt Lust drauf, so ausgeruht, wie ich bin.“ „Gut“, gab er nach, „wenn du es unbedingt wissen möchtest …“ Er schwieg einen Augenblick, dann sagte er: „Dai.“ „Shikadai?!“ Sie ließ den Namen kurz auf sich wirken, dann senkte sie die Stimme und flüsterte ihrem schlafenden Sohn zu: „Hast du gehört? Du hast endlich einen Namen.“ „Nein, hat er nicht“, widersprach Shikamaru so bestimmt, dass sich Kairi verwundert zu ihm umdrehte. Er kitzelte sie am Kinn, sie lachte und richtete anschließend ihre Aufmerksamkeit wieder auf das, was sich vor dem Fenster abspielte. Ihr Vater betrachtete sie noch ein wenig und fuhr in einem ruhigeren Tonfall fort: „Ich sagte doch, dass ich mir etwas anderes überlege.“ „Und wozu?“, fragte Temari. „Ich gebe ja gern zu, dass der Name wahrscheinlich nicht meine erste Wahl wäre, aber sonst ist er doch ganz schön.“ „Er macht aber keinen Sinn.“ „Und warum nicht?“, gab sie zurück. „Ino ist schwanger und Chouji ist doch vor Kurzem –“ „Eine Tradition symbolisch aufrechtzuerhalten ist doch genau so abgedroschen wie sein Kind nach einem verstorbenen Familienmitglied zu benennen“, erwiderte er. Obwohl er es in sehr netten Worten verpackt hatte, wusste sie genau, was er ihr damit sagen wollte. Ihr Sohn war hier, drei Tage von Konoha entfernt in der Wüste, und das bedeutete, dass es mit Ino-Shika-Chou nach mehreren Generationen definitiv vorbei war. Sie rutschte auf ihrem Bett noch etwas tiefer und ihre rechte Hand, mit der sie nicht ihr Baby festhielt, vergrub sich in ihrer Decke. Sie hatte sich in den letzten Wochen öfter mit dieser einen Frage beschäftigt und schließlich war ihr eines klar geworden. „Du musst keinen anderen Namen finden.“ Sie suchte seinen Blick und als sie ihn fand, sagte sie: „Ich habe nachgedacht. Wenn du in eineinhalb Jahren zurück musst, komme ich mit dir mit.“ Shikamaru schaute sie einen Moment argwöhnisch an, dann erschien in seinem Gesicht wieder die für ihn typische neutrale Miene. „Das musst du nicht tun“, meinte er gefasst. „Dein Zuhause ist schließlich hier.“ „Mein Zuhause und das unserer Kinder ist dort, wo du bist“, sagte sie. „Egal, ob es nun hier, in Konoha oder sonst wo ist.“ Sie ließ die Decke los und legte ihre Hand wieder auf ihren Sohn. Es war schlimm genug, dass sie überhaupt so lange gebraucht hatte, um das zu erkennen. „Das ist doch Quatsch.“ Er nahm seine Tochter wieder auf den Arm, als sie versuchte, sich mit wilden Balanceübungen auf der Fensterbank hinzustellen, und sagte: „Kairi ist dann drei und bekommt den Schock ihres Lebens, wenn sie so plötzlich auf ihre Onkel verzichten muss.“ „Das wird sicher nicht leicht für sie“, stimmte Temari zu, „aber weißt du, was ihr wirklich das Herz brechen würde?“ Er schwieg. „Wenn sie dich nicht mehr ständig sehen kann“, sagte sie. „Über Gaara und Kankurou wird sie hinwegkommen, aber dich braucht sie.“ Sie lachte kurz auf. „Ich meine, sieh sie dir an: Sie kennt dich gerade mal seit einem halben Jahr und liebt dich trotzdem abgöttisch. Und das nicht erst seit letzter Woche.“ Shikamaru schmunzelte flüchtig. „Und –“ „Shikadai wird einmal verdutzt gucken, weil es eine neue Umgebung für ihn sein wird, aber er wird sein erstes Zuhause schnell vergessen haben.“ „Ich meinte nicht ihn, sondern dich.“ „Du bist einen Kompromiss eingegangen“, begann sie, „also bin ich jetzt dran.“ „Vielleicht bin ich das“, sagte er, „aber eine Versetzung auf Zeit ist nicht mehr als ein halbherziger Kompromiss.“ Er ging zu ihr herüber und setzte sich auf die Bettkante. Kairi kroch auf den Schoß ihrer Mutter und musterte interessiert ihren kleinen Bruder. Sie warf ihren Kopf von links nach rechts und kicherte leise vor sich hin. „Für dich ist es das vielleicht“, begann Temari und nahm seine Hand, „aber für mich nicht.“ „Bist du dir sicher, dass du alles aufgeben möchtest, das du hier hast?“ „Wieso gebe ich alles auf?“ Ihr Blick schweifte zu ihren beiden Kindern. „Das Wichtigste nehme ich doch mit.“ Ihre Augen wanderten zurück zu ihm und sie schloss mit einem Lächeln: „Und hast du etwa schon vergessen, dass du ein paar Versprechen zu erfüllen hast?“ Shikamaru lächelte dankbar. „Wie könnte ich nur?“, erwiderte er und gab ihr einen Kuss. - Ende - Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)