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Nimm mich ...

wie ich bin!
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Noch einmal das erste Kapitel ohne explizit beschriebener Sex. Also nicht wundern, wenn der Text so plump geschrieben ist und von einem in den nächsten Absatz stolpert. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Den Begriff "Sunny side up" benutzen die Amerikaner für Spiegelei. Wörtlich bedeutet es "die sonnige Seite nach oben", was man in diesem Kapitel auch als Lebenseinstellung verstehen kann. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Als Erstes entschuldige ich mich bei allen treuen Lesern für die Verzögerung. Ich wollte deshalb ein Weihnachtsspecial für euch schreiben, aber da ich die Weihnachtserkältung gepackt hat, gibt es das Interview erst zu Neujahr. Ich danke auch Aroona, die sich bereit erklärt hat, die drei zu interviewen.

Die Fragen findet ihre hier:
http://www.animexx.de/weblog/720481/755165/ Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich habe für dieses Scheißkapitel tatsächlich ganze vier Monate gebraucht, weil ich keinen Sport gucke. Es interessiert mich NULL. NADA. Ich habe keine Ahnung von Football, keine Ahnung von Regeln, keine Ahnung von Sportbars, keine Ahnung von Football-Fans, keine Ahnung von Nerd-Gelaber. Ich danke für eure Geduld. Vor allem Danke ich Cherriden dafür, dass sie mir ganz lieb die Footballregeln erklärt hat (Ja, es wird ein Hail Mary am Ende!), m0nstellar und meine Sparkle-Sonnenscherbe für das tolle Betalesen. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Sorry, dass ich das Kapitel zweimal hochgeladen hab. Da war ein Fehler drin.
Falls jemand die andere Version schon gelesen hat: Diese hier ist um 1000 Wörter länger. Komplett anzeigen

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Kapitel 1 ― Fangzähne

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Kapitel 1 ― Fangzähne [zensiert]

Ein Tag, ohne ihn in Rage zu bringen, war ein verlorener Tag.

Voller Vorfreude rieb sich Tamia die Hände, während die gläsernen Türen aufglitten. Sie stolzierte wie eine Königin hindurch, vollführte eine Pirouette auf den glatten Fliesen des Foyers, das durch die großen Fenster vom Tageslicht hell durchflutet wurde. Als gewöhnlicher Soldat wie sie war es unmöglich ohne Berechtigung das Bürogebäude zu betreten, doch zum Glück besaß sie die Überredungskünste einer Frau und der Kamerad, der sich mit einem Küsschen auf die Wange zufrieden gab, ausgezeichnete Kenntnisse über das Sicherheitssystem.

Eine fröhliche Melodie pfeifend, spazierte Tamia durch die geräumigen Flure und steuerte zielsicher auf ein bestimmtes Zimmer zu. Den Weg kannte sie auswendig, da sie oft genug in diesem Büro hatte stehen müssen, um sich von ihm ausschelten zu lassen. Heute aber würde sie den Spieß umdrehen und ihm gehörig auf den Senkel gehen.

Tamia klopfte den Rhythmus eines bekannten Popsongs, riss die Tür auf und trat eigenmächtig in das Büro. Als Lieutenant Sanchez sie erblickte, verfinsterte sich sein Gesicht. Er verschränkte die Arme und grüßte mit einer Stimme, die genauso einladend war wie seine Körperhaltung: nämlich gar nicht. »Was machen Sie hier?«

Lässig im Türrahmen gelehnt, führte Tamia zwei Finger an die Schläfe. »Corporal Rivero meldet sich in persönlicher Angelegenheit.«

»Und die wäre?«, zischte Sanchez. »Wetten Sie wieder darum, wie lange Sie brauchen, um mich zur Weißglut zu bringen?«

»Ich will Ihnen den Stock aus dem Arsch ziehen«, hauchte Tamia und verzog ihren Mund zu einem Lächeln, das Unheil versprach. Sanchez war nämlich ein verklemmter Spaßverderber. Während andere Offiziere lachten, rümpfte dieser die Nase. Während andere Männer einer schönen Frau hinterherguckten, grummelte dieser verächtliche Worte über das schwache und unfähige Geschlecht.

Der Offizier stand ruckartig auf und schlug die Hände auf den Bürotisch. »Verschwinden Sie!«

»Warum sind Sie immer so aggressiv?« Sie lief mit geschmeidigem Schritt auf ihn zu, setzte sich auf den Tisch und schwang ihre Beine hinüber, sodass sie direkt vor ihm saß. Blaugrüne Augen strahlten wütend aus seinem dunklen Gesicht heraus, als er einen Schritt zurückwich. Tamia beugte sich vor und fuhr mit einem Finger über seine raue Wange, doch bevor sie am Kinn ankam, griff er nach ihrem Handgelenk.

»Huch!« Sie schlug die freie Hand vor den Mund. »Das ist sexuelle Belästigung.«

Er schleuderte ihren Arm von sich. »Wer belästigt gerade wen?«

Mit einem frechen Grinsen rieb sie ihr Bein an seinem Oberschenkel. »Wem würde man im Ernstfall eher glauben? Mir ode–«

Sanchez packte sie an den Schultern und donnerte ihren Rücken auf die Tischplatte, bevor er ihr das schmale Display von der Nase nahm und es auf den Boden warf. »Sie Miststück … Video aufnehmen und zu Ihren Gunsten zusammenschneiden?«

Das war nicht ihre Intention, aber ein Video von seinem Tobsuchtsanfall war eine prima Idee, die sie ein anderes Mal umsetzen würde. Heute wollte sie es dabei belassen, Sanchez »ein bisschen« zu reizen. »Ich gehe nicht, bevor ich nicht weiß, ob Sie wirklich alle Frauen im gesamten Universum hassen.«

»Ich hasse Frauen, die mit ihrem Arsch wackeln, weil sie nicht anders wissen, wie sie die Aufmerksamkeit der Männer kriegen.« Seine Finger bohrten sich in ihre Schultern.

Die Situation war viel zu spannend, als dass sie sich aus der Position befreien wollte. Dennoch hatte Tamia ihr Bein aufgestellt, um ihm notfalls kräftig in den Magen treten und aus seinem Büro flüchten zu können. »Und auf was stehen Sie?«

»Wenn Sie es unbedingt wissen wollen: intelligente Frauen, die anpacken können und nicht gleich blaue Flecke bekommen, wenn man sie anpustet.«

Erstaunt hob sie ihre Augenbrauen. Eine ehrliche Antwort hatte sie nicht erwartet.

»Jetzt verschwinden Sie!«, herrschte Sanchez sie mit einer Stimme an, die ihr furchteinflößender als eine Morddrohung klang.

Tamia war noch nicht fertig. Ihre Mission war, ihn dazu bringen, etwas aus seinem Büro zu zerstören. »So schlecht gelaunt wie Sie immer sind, ist es sicherlich Ewigkeiten her, dass eine Frau Sie an sich rangelassen hat. Vielleicht sollten Sie Ihre Ansprüche etwas runterschrauben und es einfach mit einer Popowacklerin treiben.«

»Mit einer wie Ihnen?« Sein Gesicht näherte sich ihrem, sodass sie ein wenig zurückweichen musste, damit sich ihre Nasen nicht berührten. Ein Schönling, ein süßer Bursche, auf den die Teenie-Mädchen standen, war Sanchez gewiss nicht. Seine harten Züge, die ausgeprägten Kieferknochen und seine dichten, dunklen Haare verliehen ihm ein rohes Aussehen, auch wenn sein Dreitagebart sorgfältig gestutzt war. Zu gepflegt, um ihn als einen räudigen Hund zu bezeichnen.

»Also hassen Sie mich«, schlussfolgerte Tamia und grinste zufrieden.

»Sie machen mich verdammt wütend.« Er packte ihren Kiefer und drückte fest zu, sodass sie ihren Mund einen Spalt öffnen musste. »Wenn ich Ihr hübsches Gesichtchen sehe …«

»… dann?«, presste sie neugierig hervor. Noch ein bisschen mehr und er würde die Nerven verlieren.

Anstatt zu antworten, drückte er seine Lippen auf ihre.

»Was zum ...« Irritiert wich sie zurück, aber seine Hand in ihrem Nacken zog sie wieder an ihn heran. Er biss auf ihre Unterlippe, und als der süße Schmerz sie überrascht aufstöhnen ließ, stieß er seine Zunge in sie, nahm sie ein. Scharf und männlich schmeckte er. Wie guter schottischer Whisky, mit rauchig-wärmendem Abgang. Sie schloss ihre Augen und gab sich ihm hin.

Tamia war lange nicht mehr so leidenschaftlich geküsst worden. Die Soldaten, mit denen sie verkehrte, waren alle von großer und kräftiger Statur, doch die meisten von ihnen litten unter der unheilbaren Krankheit, die man im Volksmund »Romantik« nannte. Tamia wollte aber keinen romantischen Jungen. Sie wollte einen Mann. Einen, der sie beim Küssen an die Wand drückte; einen, der sie hart rannahm; einen, mit dem sie ihre schmutzigen Fantasien ausleben konnte.

Ihre Münder sogen sich aneinander fest, ihre Zungen kämpften um das gegnerische Terrain, als ihr bewusst wurde, wer der Mann war, der sie mit festem Griff niedergedrückt hatte. Sie zog an seinen Haaren, bis er von ihr abließ. Keuchend und mit bebender Brust starrte sie ihn an. In seinen vernichtend leuchtenden Augen lag Spott. Und als sei dies noch nicht genug, strich er mit dem Daumen über ihre vom heftigen Kuss geschwollenen Lippen.

Tamia fluchte und trat ihm in den Bauch. Er stolperte rückwärts über den Stuhl und sie sprang ihm hinterher, rammte ihre Schulter in seine Seite. Sanchez knallte mit dem Hinterkopf gegen das Regal und ging zu Boden. Die Augen zusammengekniffen, hob er die Unterarme über den Kopf, um sich von den herunterfallenden Aktenordern zu schützen.

Bevor sie ihre Tat bereuen konnte, war der Lieutenant auf sie zugelaufen und schloss seine Hände um ihren Hals. Es war aber der hemmungslose Kuss, der ihr den Atem raubte. Obwohl sie sich von ihm losreißen wollte, schlang sie ihre Arme um seine Schultern. Was sprach dagegen, ihn nur ganz kurz zu schmecken? Einmal war keinmal.

Die Tischkante bohrte sich in ihr Kreuz und erinnerte sie an ihr ursprüngliches Vorhaben. Sie schlug mit den Fäusten gegen seine Brust. »Lass mich los!«

»Ich habe doch gesagt, dass Sie verschwinden sollen.« Seine Mundwinkel zogen sich belustigt in die Breite. »Jetzt ist zu spät.«

Er beugte sich über sie und nagelte sie auf den Tisch. Herrlich schwer lag seine Brust auf ihr. Als er seinen Körper  an sie presste, spürte sie ihn heiß durch die Kleidung.

»Zum Teufel mit dir, Sanchez!« Sie riss ihm das Jackett seiner dunkelblauen Uniform und das Hemd auf. Silberne Knöpfe sprangen klimpernd in alle Richtungen, rollten unter den Tisch und die Regale.

Tamia wollte nicht darüber nachdenken, was richtig oder falsch war. Der einzige Gedanke, den sie fassen konnte, war, dass sie seinen Körper von jedem Kleidungsstück befreien musste. Sie machte Sachen, bei denen sich Jugendliche unter achtzehn die Augen zuhalten sollten. Sanchez war auch nicht besser. Der fand es sogar ganz cool, dass sie ihre Krallen ausfuhr.

»Ich dachte, du hasst mich«, murmelte sie an seinen Mund.

»Das widerspricht sich nicht damit, dass ich dich kuscheln* will.« Auch er machte Dinge, bei denen man erröten musste. »Du bist ein vorlautes, respektloses, egozentrisches Ding. Am liebsten würde ich dir das Hirn rauskuscheln, sodass du keinen Scheiß mehr anstellen kannst.«

Tamia fauchte ihn erzürnt an, nicht nur weil er sie beschimpft hatte, sondern vor allem weil sie sich für einen kurzen Augenblick darum geschert hatte, dass er sie nicht leiden konnte. »Und ich würde dich am liebsten zerfetzen, dass du verblutest!«

»Nah dran.« Grinsend blickte er auf die blutigen Kratzer auf seiner Schulter.

Seine unverschämte Lässigkeit zog Tamia an, sodass sie sich diesem Arschloch nicht entreißen konnte. Und noch schlimmer: Lieutenant Ruben Sanchez, der Frauenhasser, kniete vor ihr und gab ihr das Gefühl, begehrt zu sein. Heiße Schauer liefen über ihren Rücken, Kribbeln breitete sich bis in die Fingerspitzen aus. Nach Luft ringend, schlug Tamia mit den Handflächen auf den Tisch. Da sie nichts fand, an dem sie sich festhalten konnte, fegte sie in einer verzweifelten Bewegung die Telefonanlage und den Monitor auf den Boden. Ein lautes Krachen, das niemanden in diesem Büro interessierte. Ihre Empfindungen überschlugen sich. Bunte Sterne tanzten vor ihren Augen. Falls im Himmel Speed Metal gespielt wurde, hörte sie jetzt die Engelein singen.

Als sie ihre Augen öffnete und das verschwommene Bild sich schärfte, erkannte sie Sanchez. Noch bevor sie schwelgerisch seufzen konnte, ging es weiter.

Tamia stutzte.

Sanchez hielt inne. »Alles in Ordnung?«

»Du bist … ungewohnt.«

»Soll ich weitermachen?« Ein unsicherer Blick, den sie beinahe sympathisch fand.

»Ja, zum Teufel! Strick** mir einen Wollschal!«

»Sag bitte.«

»Reiz mich nicht!«

Anstatt fortzufahren, legte die Stricknadeln beiseite und rollte die fliederfarbene Wolle auf, bevor er die ersten paar Maschen in seine Patchworktasche stopfte.

»Bitte«, nuschelte sie.

»Ich habe dich nicht gehört.«

»Sanchez, du fieses Arschloch!«, brüllte sie.

»Lass ich gelten.« Er setzte seine Arbeit mit dem filigranen Ahornblatt-Lace-Muster fort. Der Tisch unter ihnen scharrte mit jedem Mal über den Boden.Tamia »äußerte« lautstark ihr Gefallen, ohne sich darum zu kümmern, ob sich andere Personen im Gebäude befanden.

In ihr kribbelte es wohlig. Schnurrend schmiegte sie sich an einen warmen und unglaublich wohlriechenden Körper.

»Na, wach?«, fragte eine tiefe Stimme.

Tamia öffnete ihre Lider und das Blut schoss ihr in die Wangen. Sie war eingedöst. Und noch schlimmer: Sie lag auf Lieutenant Ruben Sanchez. Entsetzt kniff sie ihre Augen zu und wünschte sich, dass es nur ein schlechter Traum gewesen war. Als sie erneut die Augen öffnete, lag er immer noch unter ihr, einen Arm hinterm Kopf verschränkt und den anderen Arm an ihrem Rücken. Sein Jackett, das er ihr übergelegt hatte, rutschte ihr von den Schultern. Darunter war sie vollständig nackt. Wann hatten sie sich eigentlich ausgezogen und wie kamen sie auf den Boden? Und noch schlimmer: Wie sah das Zimmer bloß aus!

»Ich … habe dein Büro zerstört.«

Sanchez lächelte.

Sie hob ihren Kopf, um in seinen Mund zu schauen.

»Ist was?« Wenn er nicht gerade schimpfte, schaffte er wohl nicht mehr als zwei Silben auf einmal. Vielleicht fehlten ihm für Nettigkeiten die richtigen Worte.

»Ich wollte nur schauen, ob du Fangzähne hast.«

»Wie kommst du darauf?«

»Ich habe überlegt, ob du nie lachst, weil du deine Zähne versteckst. Weil du deine Identität als Bestie verraten könntest.«

Er lachte leise und sie spürte es in seiner Brust vibrieren.

»Aber ich kenne den wahren Grund: Du hast ein Grübchen.« Kichernd piekte sie ihm in die Wange. Es freute sie, so etwas Hübsches an ihm entdeckt zu haben.

»Lass das«, schnaubte er und schob ihre Hand aus seinem Gesicht.

»Sei doch nicht immer so grummelig.« Mit zwei Fingern tanzte sie über seinen Oberkörper, sprang über die roten Striemen, die sie hinterlassen hatte, zeichnete erst die längliche Narbe auf seiner linken Brust nach und strich dann sie über das kreisrunde Mal an seiner Seite – wahrscheinlich ein Durchschuss. »Wie sind die eigentlich passiert?«

»Alles Frauen.« Er hielt ihr seine Schulter hin, auf der ein dunkelroter Bluterguss leuchtete – ihre Zahnabdrücke. »Da sagt man, dass Männer das aggressive Geschlecht seien.«

»Bei dir trifft es definitiv zu.« Lachend erhob sich Tamia, sammelte die Kleidung ein und warf ihm seine Hose zu. »Hast wohl lange keine Frau mehr gehabt.«

Als Sanchez sich umdrehte und in seine Hose schlüpfte, sog sich ihr Blick an seiner Rückansicht fest. Bei der kleinsten Bewegung spannten sich die Muskeln an und luden zum Anfassen ein. Dieser Mann war Adonis in seiner Wiedergeburt – selbst mit den Kratzern, die sie ihm zugefügt hatte. Wenn sie lange Fingernägel gehabt hätte, hätte er sicherlich ein Andenken an eine »aggressive« Frau mehr an seinem Körper.

»Bist du deshalb gekommen?«, knurrte er und seine tiefe Stimme prickelte auf ihrer Haut, sodass sie Gänsehaut bekam.

»Erfasst. Ich hoffe, ich konnte dir erfolgreich den Stock aus dem Arsch ziehen. Die anderen werden’s mir danken.« Mit erhobenen Augenbrauen musterte sie ihr zerrissenes Höschen. Egal. Im Kampfanzug sah man sowieso nicht, ob sie Unterwäsche trug.

»Du bist gekommen, um dir einen Fick abzuholen und mich danach zu denunzieren?«

Sein Stimmungswandel erschrak Tamia. Obwohl es ihr ursprüngliches Ziel gewesen war, ihn zu ärgern, wollte sie auf keinen Fall ihn öffentlich bloßstellen, oder – noch schlimmer – dass er seinen Job verlor. Glaubte er wirklich, dass sie die Lust bloß vorgespielt hatte?

»Raus.« In seinen Augen lag kalte Wut.

Wenn sie ihn anzeigen wollte, würde sie nach dem Sex abhauen und sich nicht nackt an ihn schmiegen. Warum verstand er ihren Scherz nicht? »Hey, das war doch nur …«

»Raus.« Er schubste sie aus seinem Büro. »Komm mir nicht noch mal unter die Augen.«

Tamia stolperte gegen die Wand im Flur, und bevor sie verstand, was geschehen war, knallte die Tür knallte hinter ihr zu. Dieses Mal hatte sie es zu weit getrieben.

Kapitel 2 ― Du bist kein Date!

Sanchez ignorierte sie. Bei den Übungen und bei den Besprechungen sah er über sie hinweg, bei der Einteilung in die Teams sprach er bloß von »Sergeant Rowe und Partner« oder »dem anderen Sniper«, an eigenständige Aufgaben war gar nicht zu denken. Hätte Sanchez ihr nicht die Unterwäsche und das Display zukommen lassen – auch wenn sie diskret und unpersönlich in einem Karton, den man für Beweisstücke benutzte, verpackt waren – würde Tamia ihre eigene Existenz bezweifeln. Sie hasste es, ignoriert zu werden, und begann daher, vor dem morgendlichen Appell auf dem Hof herumzuschleichen, um ihn abzupassen. Selbst auf die Mittagspause verzichtete sie, wartete vor der Kantine oder von dem Bürogebäude, aber Sanchez würdigte sie keines Blickes.

Als Tamia das nächste Male die Sitzung verließ, rannte sie ihm hinterher und stellte sie sich ihm in den Weg, sodass er nicht fliehen konnte. Sanchez  blickte mit erhobenem Kopf an ihr vorbei und rannte sie um – wenn er ausgewichen wäre, hätte er ja zugeben, dass er sie wahrnahm.

»Tu nicht so, als wäre ich Luft! Du hast deinen Ellenbogen doch extra rausgehalten!« Tamia rieb ihre schmerzende Schulter und lief ihm hinterher. In wenigen Minuten musste sie bei einer Übung antreten, aber ihr war es gleichgültig, ob sie sich verspätete. Sie wollte ihm sagen, dass es ihr aufrichtig leidtat, wie sie ihn behandelt hatte.

Lieutenant Sanchez, der auf das Bürogebäude zueilte, blieb abrupt stehen. »Warten Sie einen Moment.«

Überrascht stolperte Tamia über ihre eigenen Füße. Sie stellte sich stramm hin und holte tief Luft, um ihr Anliegen vorzutragen. Bevor sie etwas sagen konnte, verzog Sanchez seine Mundwinkel zu einem gehässigen Lächeln. Dann ließ er sie stehen und eilte in das Gebäude. Die automatischen Eingangstüren schoben sich wieder zu. Ohne Berechtigung kam niemand dort hinein.

»Sanchez!« Sie trommelte mit den Fäusten gegen die Glastür. Die beiden Offiziere neben dem Angesprochenen drehten sich um, aber Sanchez lief unbeirrt weiter.

Daher zückte sie ihre Pistole, steckte ein Magazin mit Gummigeschossen ein und wartete, bis sie ihn durch das Fenster in seinem Büro erblickte. Sie zielte auf die Scheibe und schoss das Magazin leer, doch der Sturkopf erschien nicht. Erneut sammelte sie die Patronen auf und lud ihre Pistole. Die ganze Prozedur wiederholte sie drei Mal, bis Sanchez endlich herausschaute.

»Ich muss mit dir sprechen!«, schrie sie hinauf.

Er zog die Jalousien herunter, aber sie konnte noch seine Silhouette dahinter erkennen.

»Sanchez!«, brüllte sie. »Sanchez, beweg deinen Arsch hier runter!«

Ein Fenster öffnete sich und das neugierige Gesicht von Major McCarran schaute heraus. Als sie Tamia erkannte, schüttelte sie lediglich den Kopf. Die Fehde zwischen der Soldatin und Lieutenant Sanchez war allen bekannt. Die Offizierin bemühte sich nicht mal darum, Tamia wegzuscheuchen, sie schloss das Fenster und wandte sich schulterzuckend um.

Schließlich ertönte die dunkle Stimme des Offiziers über das Headset ihres Displays. »Komm rein.«

Tamia legte ihre Fingerspitzen auf das Touchpad und die Tür glitt auf. Da die Fahrstühle im Foyer auf sich warten ließen, rannte sie die Treppen hoch. Schnaufend stieß sie die Tür zu Sanchez’ Büro auf.

»Ist das Kätzchen wieder rollig?«, spottete er. Seine  gleichgültige Miene konnte das Mahlen der Zähne nicht verstecken. Der Kerl war stinkwütend.

»Ich wollte mich entschuldigen.«

»Wofür?«

»Na … weil ich …« Hatte sie ihn verletzt? Beleidigt? Sie konnte das nicht beurteilen, aber sie wusste, dass sie etwas angerichtet hatte, das sie geradebiegen musste. »Ich wollte mich halt entschuldigen. Für das, was ich gesagt habe.«

»Okay. Sie können abtreten.«

Seine Gleichgültigkeit rieb wie Wüstensand an ihrer Haut. Tamia stampfte wütend mit dem Fuß auf. »Es tut mir leid!«

Als wäre das Gespräch beendet, schob Lieutenant Sanchez den transparenten Bildschirm vor sich und konzentrierte sich die Positionierung der Einsatzleiter, wie Tamia von der Rückseite erkennen konnte.

»Ich will es wiedergutmachen.«

»Dann verschwinden Sie aus meinem Blickfeld.«

Tamia rührte sich nicht von der Stelle. Sie akzeptierte nicht, dass er ihr nicht einmal eine Chance gab, sich zu entschuldigen. »Sag mir, was ich tun soll! Die ganze Basis schrubben? Den Soldaten den Brei auf die Teller hauen?«

»Mach, was du willst. Interessiert mich nicht.«

»Es. Tut. Mir. Leid.«

Sanchez verdrehte die Augen. »Du nervst.«

»Und ich werde nicht damit aufhören, bis du meine Entschuldigung angenommen hast!«, schrillte ihre Stimme, sodass es in dem spartanisch eingerichteten Büro hallte.

Entgeistert starrte Sanchez sie an und massierte sein Schläfenbein, als ob er unter einem Tinnitus litt. Schließlich schob er den Bildschirm beiseite. »Hab morgen frei. Kannst mich unterhalten.«

»Ein Date? Wann und wo?«

»Du bist doch kein Date.« Sanchez lachte verächtlich auf. Dann schickte er ihr eine Adresse auf das Display. »Zwölf Uhr.«

Sofort ließ sich Tamia die Route einblenden. Von der Basis bis zum Ziel waren es knapp zwanzig Kilometer. »Holst du mich ab?«

»Wozu?«

»Ich schaffe es nicht bis zwölf. Ich habe vormittags noch Dienst. Selbst wenn ich jogge, brauche ich über eine Stunde.«

»Wolltest du dich nicht entschuldigen?«

»Mhm, ja.«

»Dann nimm den Bus. Abtreten.«
 

Es war halb zwölf – militärische Überpünktlichkeit – als Tamia an einem Wohnkomplex ankam. Hochhäuser ragten in den stahlblauen Himmel und bildeten eine spiegelnde Front, die der Sonne trotzte. Auf ihrem Display leuchtete der Weg bis zum Hauseingang mit der richtigen Nummer. Da sie ihn privat traf, wollte sie allerdings noch fünfzehn Minuten verstreichen lassen, bevor sie klingelte. Doch kaum als sie sich zum Warten auf den Stufen niederließ, ertönte durch die Sprechanlage Sanchez’ Stimme: »Komm rein.«

Die Tür klackte leise und schob sich auf. Ein weiß behandschuhter Portier nickte ihr zu.

»Yo!« Tamia hob die Hand. Sie schlurfte über den Marmorboden und ihre Sneakers quietschten respektlos an den Yuccapalmen vorbei. Es existierte keine Treppe, aber am Ende der Lobby, in der eine lederne Couch stand und darüber drei nach verschiedenen Zeitzonen gestellten Uhren aufgehängt waren, befanden sich Aufzüge. Tamia betrat das metallene Gefängnis, und obwohl sie keinen Knopf gedrückt hatte, setzte es sich in Gang. In der sechsten Etage stieg Sanchez mit ein.

Tamia wich einen Schritt zurück, aber nicht um ihm Platz zu machen, sondern weil sie befürchtete, ihm die Kleider vom Leib zu reißen. Zum zweiten Mal sah sie ihn ohne Uniform – beim ersten Mal war er nämlich nackt gewesen – und er sah zum Anbeißen aus. Die Trainingshose saß lässig auf seinen Hüften, das Shirt spannte an seinen breiten Schultern und seinen Brustmuskeln. Tamia klatschte sich gedanklich auf die Finger, damit sie ihn nicht begrabschte.

»Guten Tag, Lieutenant Sanchez!« Sie salutierte formell. »Corporal Rivero meldet sich wie befohlen.«

»Ja, ja …« Er verdrehte die Augen. »Wenn du nicht musst, geht es auf einmal.«

Ohne ein weiteres Wort zu wechseln, fuhren sie in das oberste Stockwerk, wo eine schmale Treppe auf das Dach führte. Sanchez fischte einen mechanischen Schlüssel aus der Hosentasche, den man heutzutage nur noch selten benutzte, schloss die Tür auf und ließ sie passieren. Vor ihnen breitete sich eine durch Wind und Wetter fleckig gewordene Terrasse aus, die mit den aneinandergereihten Solarmodulen an die Liegen eines überfüllten Strandes erinnerten.

»Bist du oft hier?« Neugierig lief Tamia zwischen den tiefblauen kristallinen Platten umher, während Sanchez die Schultertasche ablegte und ein Segeltuch an den Rohren an der Wand befestigte. Danach klappte er einen Plastikstuhl auf, setzte sich aber auf den Boden. Da er schwieg, fuhr sie fort: »Führst du deine Dates oft hier her?«

»Du bist kein Date. Du bist hier, um mich zu unterhalten.«

»Wie soll ich dich denn unterhalten? Soll ich tanzen?« Sie stemmte die Hände in die Seite und schwang mit der Hüfte. »Soll ich meine Hüllen fallen lassen?« Vor den anderen Soldaten hätte sie sich schamlos ausgezogen.

»Keine Fragen. Unterhalt mich«, gab er eiskalt zurück.

Tamia verzog den Mund. Wie soll sie ihn denn unterhalten, wenn er griesgrämig in der Ecke hockte? Nun gut. Jetzt war sie hier und ihr blieb nichts anderes übrig, als das Beste daraus zu machen. Grübelnd faltete sie ihre Hände hinter dem Rücken und überlegte sich, was sie erzählen sollte. »Dann stelle ich mir eben selbst Fragen. Wie heißt du? … Tamia. Meine Freunde nennen mich Tam.«

Sie warf einen kurzen Blick über die Schulter zu Sanchez. Dieser starrte sie mit unbewegter Miene an, sodass sie sich unverzüglich von ihm abwandte. Sie massierte sich die Nasenwurzel, um sich zu entspannen. Der Typ war privat genauso ätzend wie im Dienst! »Was ist dein Beruf? … Ich bin Soldatin.«

In den letzten Jahren hatte sie hart an sich gearbeitet, um in die Eliteeinheit aufgenommen zu werden. Nun hatte sie es geschafft und war in den USA. Die Arbeit war anspruchsvoll, ihre Kameraden waren nett, doch glücklich machte es sie nicht. Da sie sich aber nicht traute, einen Rückzieher zu machen, ließ sie das Schicksal für sich entscheiden. Sie stellte allerlei Unsinn an und trotzdem sah es nicht so aus, als würde man sie zurück nach Tasmanien schicken. Ihr flegelhaftes Benehmen hatte ihr lediglich eine Menge Strafdienst eingebracht.

»Macht dir dein Beruf Spaß? … Als Spaß würde ich es nicht bezeichnen.« Nur manchmal fühlte es sich so an, als würde sie dadurch ihren Rachedurst stillen können. Tamia stieg über rostige Metallstangen, die anscheinend jemand hier entsorgt hatte, und schaute vorsichtig über das kniehohe Geländer. Tief unter ihr breitete sich die Stadt aus. Die Höhe bereitete ihr ein Kneifen im Magen, dennoch trat sie einen Schritt näher an den Abgrund.

»Was magst du? … Sonne, Musik, scharfe Männer.« Sie warf einen Blick auf ihren gebräunten Arm. »Aber hier ist es viel zu heiß. Halbe Stunde in der Sonne und ich kriege einen T-Shirt-Abdruck.«

»Was kannst du nicht leiden? Lügner und Feiglinge. Und noch schlimmer ist es, wenn sie dadurch nicht zu ihren Worten stehen.« Da ihr schwindlig von der Höhe wurde, drehte sie sich um. Sanchez durchbohrte sie mit seinem Blick, doch schlimmer war das undeutbare Blitzen in seinen Augen. Im Hollywoodfilm wäre er der Serienmörder. Es lief ihr kalt den Rücken herunter, sodass sie in dem Anflug von Panik ihn anfuhr. »Glotz nicht so!«

Sanchez holte zwei Bierflaschen aus der Box und öffnete sie, indem er die Verschlüsse aneinander hebelte. »Setz dich.«

»War das ein Befehl oder bietest du mir den Stuhl an?« Skeptisch musterte sie den Mann, der auf dem Boden saß und ihr ein Bier hinhielt. Man sollte nichts von fremden Leuten annehmen.

»Keine Fragen.«

Schritt für Schritt wagte sie sich näher. Als sie vor ihm stand, griff sie nach dem Getränk, das für ihn bestimmt war. »Ich will nur sichergehen, dass du es nicht vergiftet hast«, behauptete sie.

»Wenn ich dich tot haben wollte«, er nahm einen Schluck aus der Flasche, um seine Gleichgültigkeit zu betonen, »wärst du schon längst im Jenseits.«

»Mir doch egal!« Tamia hatte kein Problem mit stärkeren Männern, aber es ärgerte sie, dass Sanchez seine Überlegenheit zur Schau trug. Beleidigt ließ sie sich auf den Stuhl fallen.

»Vorsi–«

Es rumste und Tamia saß auf dem zusammengefallenen Stuhl auf dem Boden. Der Schmerz zuckte durch das Steißbein. »Du willst mich wirklich nicht tot haben?«

Sanchez lachte in sich hinein. »Das mit den Fragen hat dein kleines Hirn noch nicht verarbeitet, oder?«

Sein Gelächter ignorierend, rappelte sie sich auf und klopfte ohne Hektik den Staub von ihrer Jeans. »Was war das Erste, was du gedacht hast, als du deinen Vorgesetzten gesehen hast?«

Gemächlich stellte sie die wacklige Konstruktion wieder auf und ließ sich darauf nieder. »Zum Glück wurde ich schon vorgewarnt. Ansonsten wäre ich laut schreiend davon gerannt …«

»Genauso laut wie letztens, als du mein Büro zerschrottet hast?«

Als hätte ihr jemand in den Hintern geschossen, fuhr sie herum. Der Stuhl wackelte gefährlich, aber sie konnte ihn noch festhalten.

»Du kannst echt nicht still sitzen, was?« Sanchez grinste so dämlich, dass sie ihm am liebsten eine reinhauen wollte.

»Und du …«, sie zeigte mit dem Finger auf ihn, »du … du hast ein Grübchen!« Zufrieden nahm sie einen tiefen Schluck aus der Bierflasche. Es musste ihn tierisch ärgern, dass sie etwas an ihm gefunden hatte, das er zu verstecken versuchte. »Da weißt du nicht mehr, was du darauf sagen sollst, was?«

»Und du …« Er machte eine theatralische Pause. »Du bist gar nicht blond.«

Tamia wurde bleich. Dieses peinliche Herz, das sie sich aus Langeweile rasiert hatte! Wenn sie nachher in ihr Quartier zurückkehrte, würde sie sich einen Brazilian Hollywood Cut verpassen. Sofort!

»Dein Gesichtsausdruck ist köstlich.«

Wutschnaubend drohte sie mit der Faust, der Stuhl klappte wieder zusammen und sie plumpste auf den Boden. Sie raufte sich die Haare, während sie sein schallendes Gelächter über sich ergehen ließ. »Setz du dich doch auf dieses komische Ding!«

Er zuckte mit den Schultern und sie tauschten Plätze. Demonstrativ verschränkte er seine Arme und kippelte mit dem Stuhl wie ein unartiger Schuljunge. In einem unaufmerksamen Moment trat sie gegen das Stuhlbein und er krachte zu Boden. Sein überraschter Gesichtsausdruck ließ sie ein Lachen herausprusten. Tamia klatschte in die Hände und strampelte mit den Beinen. Sollte er sie doch ausschimpfen! Jede Gelegenheit, in der sie ihn auslachen konnte, musste sie nutzen.

Er war nicht wütend. Seine Stimme hatte sogar einen freundlichen Klang. »Ich finde es viel lustiger, dich dabei zu beobachten, wie du dich kugelst. Du kicherst wie ein kleines Mädchen.« Er ahmte sie nach, was sich so befremdlich anhörte wie ein Wolf, der mit dem Gesang einer Nachtigall den Vollmond anzwitscherte.

Wieder lachte Tamia los und er stimmte mit ein. Sie hatte keine Ahnung, weshalb sie mit hochrotem Kopf japsend und mit schmerzendem Bauch auf dem Boden lag, aber es fühlte sich unglaublich gut an, mit ihm zu lachen.

»Möchtest du dich …« Sie stockte. »Ach ja, keine Fragen. Setz dich doch neben mich.«

»Ich habe Sandwiches gemacht.« Er holte in dünnes Papier eingeschlagene Brote heraus, bevor er sich neben ihr niederließ. »Iss.«

Nachdenklich starrte sie auf die belegten Brote. Er musste gewusst haben, dass sie nur so früh erscheinen konnte, wenn sie auf das Mittagessen verzichtete. Warum hatte Sandwiches vorbereitet, obwohl sie diejenige war, die sich entschuldigen wollte? Sie sah den Mann, der breitbeinig auf dem Boden fläzte, von der Seite an: Nichts am ihm erinnerte an den verkrampften Offizier. Es bedeutete ihr sehr viel, ihn so locker und fröhlich zu sehen. Sie wollte gern herausfinden, wer sich hinter dem Phänomen Sanchez verbarg. »Dass du Nahrung zubereiten kannst …«

»Vorurteile gegenüber einem alleinstehenden Mann?«

Das nicht. Aber es passte nicht zu einem Macho wie ihm, vermeintlichen Frauentätigkeiten nachzugehen. »Hast du keine Haushälterin?«

»Ich lasse niemanden in meinen privaten Wohnraum.«

Ein siegreiches Lächeln huschte über ihre Lippen. Er hatte ihre Frage beantwortet. Mal sehen, wie viel sie noch aus ihm herauskitzeln können würde. »Ruf doch den Pizzaservice.«

»Schlimm, dass ich selbst koche?«

»Lieutenant Sanchez mit ’nem Kochlöffel in der Hand und in der anderen ein Baby mit vollgeschissener Windel. Dann noch zwei, drei Gören, die zankend zwischen seinen Beinen durchlaufen!« Irgendwie war das eine putzige Vorstellung. Leise kicherte sie in sich hinein.

»Ich würde das durchaus machen, wenn mein Partner sich das wünscht.«

Mit weit aufgerissenen Lidern starrte sie ihn an. Hatte Sanchez gerade zugegeben, dass er sich für jemanden einschränken würde? Tamia fühlte sich entwaffnet von seiner Offenheit. Er verriet ohne mit der Wimper zu zucken seine Schwächen, obwohl er wusste, dass sie jede Situation nutzte, um ihn zu ärgern.

»Hast du nicht Angst, dich aufzugeben?« Sie biss vom Sandwich ab. Da es üppig belegt war, fielen ihr Gurkenstücke aus dem Mund. Eilig schob sie sie wieder hinein.

»Wieso? Bist du der Meinung, dass sich die Gesamtheit der Frauen aufgeben muss, weil sie das Geschlecht sind, das die Kinder bekommen darf?«

Auf unergründliche Weise fand sie ihn nicht unmännlich, obwohl er sich freiwillig in die Küche stellte und sich mit Kindern abgeben würde. Ganz im Gegenteil: Sie fand es sogar sehr mutig, dass er ihr gegenüber so etwas zugab. Schließlich bot er ihr damit eine weitere Angriffsfläche. »Woher hast du diese Einstellung?«

»Das hat mir meine Mutter so vorgelebt.«

Tamia wusste nicht, wie sie mit dieser Ehrlichkeit umgehen sollte, und feixte: »Du bist ein Muttersöhnchen!« Sobald sie den Satz ausgesprochen hatte, überfiel sie ein schlechtes Gewissen. Er redete offen mit ihr und sie warf ihm zum Dank Beleidigungen an den Kopf. Wenn das nicht in einem Wutanfall endete …

Sein Gesicht verzog sich aber nicht, obwohl sie es erwartet hatte. Statt der Zornesfalte zwischen den Brauen lag ein melancholischer Ausdruck in seinen Augen. »Kann sein.«

Tamias Streitlust war verschwunden. Sie schlang die Arme um die Knie und starrte peinlich berührt auf ihre Schuhe. Manchmal träumte sie von einer Freundschaft zwischen Mutter und Tochter, wie man sie aus Mädchenzeitschriften oder Filmen kannte. Leider hatte Tamia nie die Chance gehabt, aus dem Stadium der pubertären Rotzgöre zu kommen. »Ich bereue es schrecklich, dass ich damals nicht auf meine Mutter hören wollte«, sprach sie zu sich selbst.

Sanchez gab weder einen gemeinen Spruch ab, noch lachte er sie aus. Er nahm einen Schluck aus der Flasche und hörte ihr zu.

Stockend fuhr sie fort: »Jetzt wünsche ich mir umso häufiger, dass sie noch da wäre und ich sie fragen könnte, was sie in meiner Situation tun würde … ich rede sogar mit ihrem Bild. Blöd, was?«

»Das ist normal.«

Tamia schaute in den wolkenlosen Himmel und hielt ihren Finger unter die Nase, ignorierte das Kribbeln. Sie lachte gekünstelt. »Meinst du?«

»Ich bin mir sicher, dass jeder mal mit verstorbenen Personen redet.« Er reichte ihr ein weiteres Sandwich. »Du musst ordentlich essen.«

»Bin ich dir zu mager?«

»So ein Wildfang wie du braucht Kalorien.« Er zwinkerte ihr aufmunternd zu. »Und auch wenn du zierlich bist, bist du sehr weiblich.«

So viel Freundlichkeit hatte sie nicht verdient. Tamia biss einen großen Happen vom Brot ab, da sie nicht wusste, was sie erwidern sollte. Du bist sehr männlich gebaut. Oder: Du riechst so, wie ich mir Testosteron vorstelle. Das klang wie gekaufter Sex.

»Du … du hast mich doch hierher geholt, damit ich dich unterhalte und nicht damit …« Damit was? Das hatte sie sich selbst noch nicht überlegt.

»Ich habe kein Problem, dir entgegenzukommen.«

Tamia nahm den letzten Schluck aus der Bierflasche und zwang sich, die lauwarme Brühe in der Speiseröhre zu behalten. Sie hasste Lügner und Feiglinge. Sie hasste engstirnige, starrsinnige, mit Vorurteilen behaftete Personen. So einer war Sanchez und nicht sie … oder?

Die Welt drehte sich um hundertachtzig Grad. Sie ertrank in den Tiefen des Himmels. Es gab nichts, an dem sie Halt finden konnte. Die Flasche war leer. Das Brot aufgegessen. Nur ein offenes Lächeln und ein fröhliches Grübchen. So gerne würde sie ein Stückchen näher rücken und ihren Kopf an seine Schulter legen. Aber das ging nicht. Der Mann neben ihr war Ruben Sanchez!

Sie hielt den Atem an und schaute auf ihr TCD. Wenn sie bei einer geraden Sekundenzahl Luft holte, würde sie sich bei ihm anlehnen. Achtundzwanzig, neunundzwanzig, dreißig, …

»Hast du noch einen Termin? Du bist unruhig.«

»Äh, ja.« Die Lüge bereitete ihr Magenschmerzen.

»Du hast es eilig, nicht?«

Sag ihm, dass du noch ein Weilchen bei ihm bleibst! Sag ihm, dass du seine Anwesenheit genießt. Sag es ihm, du feige Sau!

»Ich begleite dich nach unten.« Er packte die leeren Flaschen in die Tasche, stellte den Stuhl zur Seite und nahm das Sonnensegel ab, bevor sie das Dach verließen.

Schweigend stellte sich Tamia in den Aufzug und starrte auf die Digitalanzeige. Die dreißig Stockwerke vergingen zu schnell und Sanchez stieg in seiner Etage aus, ohne dass sie ihm zeigen konnte, was sie fühlte.

»Danke für die Unterhaltung«, verabschiedete er sich.

»Ich fand es …« Sie verstummte.

»Dann sind wir jetzt Quitt.« Noch bevor sich die Tür vollständig geschlossen hatte, hatte sich Lieutenant Sanchez umgedreht.

Quitt. Richtig. Sie wollte sich entschuldigen und er hatte ihr angeboten, ihn an seinem freien Tag zu unterhalten. Das war der Deal gewesen. Mehr nicht.

Kapitel 3 ― Folgen Sie fünfhundert Metern dem Straßenverlauf

Bevor der Fahrstuhl zum Stillstand kam, stolperte Tamia durch die sich öffnende Tür und knallte mit der Schulter gegen das harte Metall. Der Portier sah sie verwundert an. Sie presste ein genuscheltes »Wiederseh’n« heraus und flüchtete aus dem Ausgang. Sie ging nicht über Los, zog auch keine viertausend Dollar, nahm nicht den Bus, sondern lief einfach geradeaus.

Tamia rempelte Fußgänger an, ignorierte die roten Ampeln. »Sanchez, du blödes Arschloch!«, schrie sie. »Zum Teufel mit dir!« Frustriert trat sie gegen eine Mülltonne, die unter einer Straßenlaterne stand. Ein Mann, der mit seinem Kind im Garten spielte, schimpfte über ihren Wutausbruch. Tamia wedelte mit der Faust und keifte zurück. Ein Auto hupte sie an, weil sie rückwärts auf die Fahrbahn trat. Auf der anderen Straßenseite bellte vom Lärm aufgebracht ein Wachhund.

»Lasst mich doch alle in Ruhe!« Sie steckte sich die Kopfhörer tief in die Ohren, drehte die Musik auf vollste Lautstärke und konzentrierte sich auf die leuchtenden Markierungen der Navigation. Die Umgebung konnte sie somit zwar ausblenden, aber die Gedanken an Sanchez ließen sie nicht los. Der durchdringende Blick und die stramme Körperhaltung störten sie nicht. Ganz im Gegenteil – sie faszinierten sie. Das breites Kinn und die markanten Kieferknochen, selbst die Adlernase fand sie nun wahnsinnig männlich. Wenn sie an seine dunkle Stimme dachte, die aus der Kehle eines wilden Tieres stammen musste, bereitete es ihr Gänsehaut. Sie wollte diesen Mann anfassen, schmecken und ihn in sich spüren. Mit ihm Liebe machen.

 »Verdammt!«, fluchte sie und hielt sich ihre stechende Seite. »Ich hasse ihn, ich hasse ihn, ich hasse ihn, ich hasse ihn!«

Und er hasste sie. Er hasste Frauen, die mit dem Arsch wackeln. Frauen wie sie. Wie sie es drehte und wendete, körperliche Anziehung funktionierte auch ohne jegliche Sympathie – das hatte sie schon oft selbst erfahren. Ein Mann brauchte nur einen geilen Körper und den richtigen Hüftschwung haben, um sie zu befriedigen. Das Schlimme war, dass Sanchez das von ihr hielt, was sie von den Männern behauptete, die ihr andauernd hinterherliefen. Sie war bloß ein hirnloses, triebgesteuertes Dummerchen. Besser wäre es, wenn sie dieses blöde Arschloch vergäße.

 

Bis Tamia in der Basis ankam, hatte sich ihre Wut auf Sanchez dermaßen gesteigert, dass sie einem Vulkan Konkurrenz machte. Sie schnaubte, als würden eruptive Gase aus ihren Nasenlöchern entweichen, und ihre Schultern bebten zornig. Die Soldaten, die in den Korridoren des Wohnheims standen, wichen zurück. Ein Tollkühner unter ihnen klopfte einen flotten Spruch und wurde sogleich mit einem Fauchen bestraft.

»Was ist denn mit der Süßen los?«, hörte Tamia hinter sich.

»Sie sollte sich mit Sanchez zusammentun!«, blödelte ein anderer.

Tamia blieb abrupt stehen. Gemächlich lief sie auf den Soldaten zu und schockfrostete sein Grinsen mit ihrem Blick. Zarte Hände legten sich um sein Gesicht, bevor Tamia ihn zu sich herunterzog und ihm, wie der Mafiaboss ein Todesurteil verhängte, einen Kuss auf die Lippen gab. 

»Schreib schon mal dein Testament.« Mitfühlend klopfte sein Kamerad ihm auf die Schulter. Den Rest der Unterhaltung bekam Tamia nicht mit. Sie hatte sich bereits in ihr Quartier zurückgezogen. 

Tamia ging das ganze Prinzessinnen-Programm durch. Eine halbe Stunde lang stand sie unter der Dusche und kippte sich trotz ihrer kurzen Haare so viel rosa Shampoo auf den Kopf, dass sie nach dem Abspülen im farbigen Schaum stand. Als sie aus der Duschnische trat, quoll der Wasserdampf heraus und erfüllte das Zimmer mit dem süßen Duft von Erdbeerkaugummi. Das Handtuch um den Körper gewickelt, setzte sie sich auf das Bett und lackierte sich die Nägel. 

Mit Ruben Sanchez zusammentun! Tamia zischte abfällig durch die Zähne. Das wäre das Letztes, was sie tun würde, sagte sie sich. Ihre Gedanken hingegen kuschelten sich bereits an einen warmen, stattlichen Körper und weigerten sich zu akzeptieren, dass Sanchez sie hasste. Er fand sie doch attraktiv oder hatte sie dies falsch verstanden? Das widerspricht sich nicht damit, dass ich dich ficken will.

Als hätte der Lieutenant tatsächlich gesprochen, fuhr sie hoch. Sie drehte einige Runden im Zimmer, bevor sie Hände wedelnd und mit gespreizten Fingern vor dem Spind stehen blieb. Vorsichtig – damit sie ihre frisch lackierten Nägel nicht ruinierte – nahm sie ein Kleid vom Bügel. Eigentlich hatte sie es sich gekauft, um mit ihren beiden besten Freundinnen die Stadt auf den Kopf zu stellen. Aber nun war Tam in Amerika. Tess und Tilly hingegen auf dem Ehrenfriedhof in Norfolk. 

Das Kleid sah an ihrem Körper aus wie flüssiges Gold und endete knapp unter dem Hintern. Tamia stellte gern ihre schlanken Beine zur Schau, um davon abzulenken, dass ihre Brüste nur händefüllend waren. Nachdem sie sich eine champagnerfarbene Netzstrumpfhose angezogen hatte, umrandete sie ihre Augen mit dunklen Metallicfarben und trug mehrfach Mascara auf. Auf Lipgloss verzichtete sie. Es störte lediglich beim Küssen. Nachdem sie sich ausgiebig in dem winzigen Spiegel über der Spüle betrachtet hatte, schlüpfte sie in die High Heels mit dem höchsten Absatz und trat aus ihrem Zimmer. 

Pfiffe und billige Sprüche empfingen sie. Tamia schlug die unmoralischen Angebote aus, da sie keinen ihrer Kameraden wollte. Erst recht keinen, der wegen chronischem Frauenmangel anfing zu sabbern, wenn er Brüste sah. Tamia wollte eine Herausforderung. Darüber hinaus wollte sie heute niemand Bekanntes sehen.

Sie rief sich ein Taxi, da sie nicht in die Clubs gehen wollte, die man zu Fuß erreichen konnte; sie wollte so weit wie möglich Abstand nehmen. Der Fahrer brachte sie in die angesagteste Disco, der Eintritt war dementsprechend teuer und selbst der Türsteher hatte sich herausgeputzt. Tamia stolzierte an den prächtigen Palmen vorbei, berührte mit den Fingerspitzen das Bezahlpanel und trat ein. Kitschige Chartmusik dröhnte aus den Lautsprechern. Die Diskokugel verteilte bunte Punkte im Saal. Schwitzige Menschen drängten sich Haut an Haut, zuckten unter dem Stroboskop. Tamia stellte sich an die Bar und ließ sich von einem beliebigen Typen zu einem Drink einladen. Während er ihr Schmeicheleien ins Ohr brüllte und ihren Oberschenkel streichelte, nippte sie am Cocktail und hielt nach brauchbaren Männern Ausschau.

Sobald das Glas nur noch zerquetschte Limetten und geschmolzenes Eis beinhaltete, stürzte sich Tamia auf die Tanzfläche. Ein großer Latino mit hautengem, glänzendem Shirt tanzte sie an. Da er nur mittelmäßig aussah, drehte sie ihm den Rücken zu und rieb im Rhythmus der Musik ihren Hintern an ihm. Warmer Atem strich durch ihr Haar, Finger fummelten an ihrer Kleidung. Nach drei Liedern hatte sie genug und suchte sich den nächsten Kerl.

Der Cocktail-Typ hatte anscheinend Gefallen an Tamia gefunden und freute sich, als sie zurück an die Bar kehrte. Dies kam ihr gelegen, denn das tropische Klima im Saal machte Durst. Sie erduldete sein sinnloses Gelaber und leerte mit ihm einige Gläser, bevor sie ihn mit einem mitleidigen Küsschen auf die Wange verabschiedete. Mit dem Bier in der Hand tauchte sie in der tanzenden Meute unter.

Eine Gruppe junger Männer chillte in einer Sitzecke. Tamia warf ein charmantes Lächeln in die Runde und der schwarzhaarige Schönling wusste sofort, dass er gemeint war. Sicherlich war sie nicht die Erste, die ihn ansprach. Mit einer kecken Hüftbewegung forderte sie ihn zum Tanzen auf und er sprang sofort an.

Sein Fuß wippte im Takt, während er darauf wartete, bis das nächste Lied einsetzte. Dann legte er los: Seine geschmeidigen Bewegungen ließen die Jungs und Mädels, die sich in den Käfigen beweisen wollten, alt aussehen. Beeindruckt schlang Tamia ihre Arme um seinen Hals. Der Mann zog sie eng an sich heran, der Zitrusduft seines Aftershaves benebelte ihre Sinne und bereitete ihr Schwindel. Fordernde Hände wanderten an ihrem Hintern, ihre Lippen an seinem Hals, seine Jeans zwischen ihren Beinen. Schweiß rann ihr den Rücken hinunter und seine Stirn glitzerte feucht.

»Lass uns rausgehen.« Er schob sie Richtung Hinterausgang. Bevor die Tür zufiel und die Musik wegsperrte, hatte er sie an die Wand gedrückt. Das nannte sie Tatkraft!

Der Typ probierte, wie viel Zunge er in Tamias Hals schieben konnte, während sie ungeduldig sein Hemd aufknöpfte und über seine glatte Brust fuhr. Makellos. Und ihr zweiter Gedanke: Langweilig. Aber der Mann fand sie keineswegs langweilig. Er zog ihren Ausschnitt nach unten und befreite eine Brust von der Spitzenunterwäsche. Eine Hand wanderte unter ihr Kleid.

»Du gehst aber schnell ran«, kicherte Tamia, wand sich aber von seiner Hand weg, sodass er sein Ziel verlor.

»Du bist so heiß.« Hemmungslos knetete er ihren Busen. Hinter seinem Kopf leuchteten zwei Mondsicheln. 

Zwei? So viel hatte sie doch gar nicht getrunken? Tamia drückte den Schwarzhaarigen von sich, der im nüchternen Zustand vermutlich nicht so gut aussah, wie sie ihn momentan wahrnahm. Er fühlte sich durch ihren Widerstand jedoch angestachelt, riss ein praktisches Loch in ihre Netzstrumpfhose und schob ihren Tanga zur Seite. 

»Lass mich …« Tamias Stimme klang piepsig und überhaupt nicht überzeugend. Anstatt sie loszulassen, schrubbte er an ihrer empfindlichen Stelle, als würde er eine Käsereibe bedienen. »Au! Du tust mir weh!«

»Sorry«, murmelte er und zwirbelte an ihrer Brustwarze.

Das war doch kein Schalter, mit dem man einfach so die Lust hochdrehen konnte! Tamia war erbost, dass er sie so grob anfasste, und trat ihm mit dem Absatz heftig auf die Zehen. 

»Du verdammtes Miststück!« Er schlug ihr mit dem Handrücken ins Gesicht und sie ging zu Boden.

Tamia hielt ihre glühende Wange und starrte ihn an. Sie dachte an Yon, die selbst gegen größere und stärkere Männer ankam. Sie bereute, dass sie kein Nahkämpfer war. Sie erinnerte sich an ihre Freundinnen, die sie vor einem Jahr verloren hatte, sehnte sich nach ihrer Familie, hörte Vaters Stimme, wie er ihr verboten hatte, spät auszugehen, und Mutters Versprechen, sie zur Party zu bringen und abzuholen, sah das zerfetzte Lieblingskuscheltier ihrer Schwester auf dem Boden, bevor …

Der Mann zog sie auf die Beine und stieß sie gegen die Wand. Danach öffnete er seine Hose. Er wollte es doch nicht durchziehen? Mit dem Ding? Wie lächerlich! Dieser schlaksige Kerl wollte sich also mit einer Soldatin angelegen. Der Alkohol verlieh der Situation einen seltsam lustigen Touch und Tam kicherte in sich hinein. Da der Kerl es gar nicht komisch fand, packte fest ihr Kinn. Tam biss hinein. Schreiend zuckte er zurück und sie nutzte die Gelegenheit, um ihm zwischen die Beine zu treten und auf die Straße zu rennen. 

Stöhnend sank der Mann auf die Knie. »Verdammtes Miststück …«

Grelle Scheinwerfer ließen sie wie ein dummes Reh auf der Fahrbahn stehen bleiben. Autos hupten und wichen ihr aus. Hupende Autos? War das ein Déjà-vu? Tam blieb mit ihrem Schuh am Bordstein hängen, knickte mit dem Fuß um und fiel hin. Eine Weile lang blieb sie am Boden, da sie nicht das Gleichgewicht fand, um sich aufzurichten. Schließlich krabbelte sie zur nächsten Straßenlaterne und zog sich hoch. 

Sie fluchte und steckte sich zwei Finger in den Mund, um den Brechreiz auszulösen. Die Tränen stiegen ihr in die Augen, als sich der Mageninhalt endlich auf der Straße ausleerte. Würgend und spuckend hoffte sie, dass der Alkohol oder sonstige Sachen, die sie unwissend zu sich genommen hatte, noch nicht vollständig in ihrem Blut aufgenommen worden waren. 

Ob sie einen Passanten um Hilfe bitten sollte? Oder wäre es besser, wenn sie sich ein Taxi rief? Was wäre, wenn diese Menschen die Situation ausnutzten? Es kam nicht selten vor, dass Taxifahrer mit besoffenen Mädels einen Abstecher zu einem abgelegenen Ort machten. Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu laufen. Aber wo befand sich die Basis? 

Tam gab wirre Befehle an ihr TCD. »Adresse. Nach äh… zurück eben!« Sie lachte über ihre Inkompetenz. »Ich will doch nur zurück!« Ihre Sicht verschwamm. »Nagiva… Viganation. Klingt wie Vagina!«, gackerte sie. »Na. Vi. Gation. Ha! Ich hab’s! Navigation. Rückweg!« 

»Folgen Sie fünfhundert Metern dem Straßenverlauf«, forderte die Frau in ihrem TCD sie auf. Tam tat wie ihr geheißen. Nachdem sie ihre High Heels ausgezogen hatte, setzte sie einen wackligen Schritt nach dem anderen. Ihr Fußgelenk schmerzte höllisch, aber der Schwindel ließ ein wenig nach.

»Nach hundert Metern links abbiegen.« 

Sie hielt die Arme mit ausgestrecktem Daumen hoch. »Links ist da, wo der Daumen rechts ist.« Lachend zählte sie hundert Schritte ab. Als sie an der Straßenecke ankam, umarmte sie die Laterne. »Puh … Wie weit ist es noch? Ich hab keine Lust mehr. Ich will in mein Bett!« 

Tamia hielt sich wacker auf den Beinen und lief weiter. Nach einiger Zeit ragten vor ihr Hochhäuser in den sternenlosen Nachthimmel. Sie war nicht zurück zur Basis gelaufen, sondern zu Lieutenant Sanchez. Ungläubig rieb sie die Augen und schmierte sich das Make-up auf den Handrücken. Rückweg bedeutete nicht der Weg zur Basis, sondern der Rückweg der letzten Strecke.

Vorsichtig trat sie an den Hauseingang heran und fuhr mit dem Finger die Namensschilder auf und ab. Ohne zu klingeln, setzte sie sich auf die Treppenstufen und stützte ihr dreckiges Gesicht in die Hände.

Ein Schatten breitete sich über Tamia aus und das dunkle Seufzen einer bekannten Stimme ertönte hinter ihr.

Kapitel 4 ― K.O.-Tropfen und ein Glas Milch

Sie drehte sich vorsichtig um, denn sie befürchtete ein »Was machst du denn hier?« oder »Wie siehst du denn aus?«.

Der Offizier musterte sie. Er schien zu ahnen, was geschehen war, und fragte: »Polizei?«

Tamia schüttelte mit dem Kopf. Es war nichts passiert, wodurch sie eine Anzeige erstatten musste. 

»Gut.« Erleichtert atmete Sanchez auf, bevor er sie aufforderte, ihm zu folgen. 

Mit gesenktem Kopf humpelte sie hinter ihm her und hoffte, dass der Portier sie nicht beachtete. Als Tamia sich in der spiegelnden Oberfläche des Fahrstuhls sah, erschrak sie. Sie sah nicht wie eine sexy Lady aus, sondern lediglich wie eine heruntergekommene Hure. Auf ihrer Wange waren Fingerabdrücke erkennbar, das Make-up war verschmiert, das kurze Kleid hochgerutscht, die Strumpfhose zerrissen und ihre Knie aufgeschrammt. »Ich weiß aber nicht, … ob ich auf Drogen bin.«

Lieutenant Sanchez griff ihr Kinn, beugte sich zur ihr herab und blickte ihr tief in die Augen. »Pupillen sind geweitet.«

»Oh, mein Gott. Bist du schön!«, stieß sie hervor.

Er ignorierte ihren Gefühlsausbruch. »Gedächtnislücken?«, fragte er knapp wie so oft.

Für einen Moment schloss sie die Lider und ging den Abend durch. »Ich kann mich soweit an alles erinnern.«

Der Fahrstuhl ging auf. Da Tamia beim Auftreten ihr Gesicht verzog, schlang er einen Arm um ihre Taille und er stützte sie beim Laufen. Vor seiner Wohnung blieb sie stehen und weigerte sich, ihm zu folgen. »Du lässt niemanden in deinen privaten Wohnraum.«

»Eintreten«, befahl Sanchez und ihr blieb nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Nachdem sie ihre Schuhe im Flur abgestellt hatte, führte er sie ins Bad und ließ sie dort stehen. »Bin gleich wieder da.«

Tamia bekam nicht mit, wohin er ging, denn die Dusche zog die vollständige Aufmerksamkeit auf sich. Sie war so groß, dass sie die gesamte Wandseite einnahm, und dazu knöcheltief in den Boden eingelassen. Sanchez meinte zwar, ein alleinstehender Mann zu sein, aber so eine extravagante Luxusdusche – auch wenn das Badezimmer ansonsten kühl und puristisch wirkte – passte nicht im Geringsten zu einer Singlewohnung.

Kurz darauf tauchte Sanchez wieder auf und legte Kleidung und ein Handtuch, die anscheinend für Tamia gedacht waren, auf die Waschmaschine. Dann nahm er ihre Hand. Sie errötete. Ungerührt piekte er die Lanzette in ihren Mittelfinger und fing den Blutstropfen im Gehäuse ein. Tamia kam sich dumm vor, weil sie Romantik erwartet hatte. Dabei wollte er sie lediglich nach Drogen untersuchen.

»Lass offen. Ich komme rein, wenn du dich längere Zeit nicht bewegst oder am Boden liegst.« Der Offizier tippte gegen das schmale Display, das er auf seiner Nase trug. Er würde sie durch das Wärmebild beobachten. Dann drehte er sich um und zog die Tür hinter sich zu.

Tamia zog sich das Kleid aus und legte es ebenfalls auf die Waschmaschine. Die Strumpfhose mit dem Loch im Schritt warf sie in den Mülleimer. Sie begab sich unter die Dusche und suchte an der mit dunklem Stein verkleideten Wand vergeblich nach einem Duschkopf oder Schläuchen, fand aber nur ein Bedienpaneel. Ohne sich mit den verschiedenen Programmen auseinanderzusetzen, drückte sie auf die größte Taste und hoffte, dass dies die richtige war. Aus der Decke ergoss sich ein warmer Regenschauer. Tamia duschte lange. Immer wieder rieb sie sich mit Duschgel ein, um das grässliche Gefühl vom Körper zu waschen. Sie schrubbte sich die Schminkschichten vom Gesicht, selbst den Nagellack kratzte sie sich restlos ab. Erst als der Raum einer Dampfsauna glich, schaltete sie das Wasser ab. 

Das Handtuch um den Körper geschlungen, wischte sie über den beschlagenen Spiegel und starrte sich an. Sie sah fertig aus – aber zumindest war der Badvorleger unter ihren Füßen flauschig. Der harte Lieutenant besaß eine weiche Badematte! Tamia kicherte und dann ärgerte sie sich, dass sie so albern wie ein Schulmädchen war. Sie zog das langärmelige Shirt an. Es reichte ihr bis zu den Oberschenkeln und auch die Baumwollhose musste sie an den Beinen und am Bund umkrempeln. Leise öffnete sie die Tür.

Sanchez lehnte am Tresen, der das Wohnzimmer von der Küche trennte, eine Hand in der Hosentasche und die andere am Whiskyglas. Blaugrüne Augen durchbohrten sie auf eine Art, vor der sich Menschen gewöhnlich fürchten. Aber Tamia begriff, dass er sie mit diesem Blick nicht töten wollte. Am Mittag, als sie auf dem Dach dicht neben dem Geländer stand, hatte er sie genauso konzentriert angesehen. Er passte auf sie auf.

»Setz dich.«

Wenn Tamia nicht so müde wäre, würde sie sich die Haare raufen. Setz dich, lass offen, eintreten, unterhalt mich, keine Fragen … Kürzer ging es wohl nicht! Nachdem sie sich auf das Sofa niedergelassen hatte, nahm er auf dem Couchtisch ihr gegenüber Platz und stellte das Glas neben sich auf die massive Steinplatte. Behutsam legte er ihren Fuß auf sein Bein, cremte das Gelenk mit einer Salbe ein und legte einen Verband an.

Ihr Herz schlug schneller bei seinen vorsichtigen Berührungen. »… Wie bist du darauf gekommen, dass ich hier bin?«

Er legte ein Kühlpad auf ihren Knöchel. »Hab dich beobachtet.«

Du mieser Stalker!, wollte sie rufen, aber sie hielt sich zurück. Lieutenant Sanchez hatte sie bei sich aufgenommen und sie versorgt. »Warum denn?«, fragte sie stattdessen.

»Ich trage die Verantwortung für euch. Nachdem dein Partner Sergeant Rowe im Gefängnis gelandet ist, weil ein anderer über die Stränge geschlagen hat, mache ich das so.« 

Nathan Rowe hatte ihr davon erzählt. Er und sein damaliger Partner hatten einspringen müssen, weil ein anderer Soldat wegen einer Barschlägerei in Untersuchungshaft gekommen war. Da Nathan und Wilson unvorbereitet waren, waren sie bei der verdeckten Mission aufgeflogen und im mittelamerikanischen Knast geendet.

»Sergeant Rowe blieb auf dem Stützpunkt und Sergeant Canaw, mit der du auch öfters unterwegs bist, ist mit ihren Kameraden ausgegangen. Du hast dich aber entschieden, allein in eine andere Gegend zu fahren. Da du ansonsten gern in Gesellschaft bist, bin ich davon ausgegangen, dass etwas nicht stimmte.«

Ich wollte dich aus meinem Kopf vertreiben.

Er fuhr ihr über die Wange. »Du wurdest geschlagen.«

Tamia hatte sich ausgiebig im Spiegel betrachtet, um sicherzugehen, dass sie das Make-up vollständig entfernt hatte. Ihr war nicht aufgefallen, dass ihre Wange angeschwollen war. »Beim Training passiert mehr.«

»Es ist eine andere Sache, wenn ein Mann eine Frau schlägt.« Sanchez ballte eine Faust und die Knöchel knackten. Seine harte Miene bewies, wie ernst es ihm war, und dies fühlte sich gut an. »Hast du dich ordentlich gewehrt?«

»Ich hab ihm in die Eier getreten.«

»Mit diesen Schuhen? Autsch.«

Sie lachte leise und er strich ihr ein weiteres Mal über die Wange. 

»Du solltest …«, Sanchez malte sich mit einem imaginären Pinsel wild durchs Gesicht, »das ganze Zeug weglassen. Du siehst in Natura viel hübscher aus.«

Viel Hübscher. Ihr Atem stockte.

Er bemerkte, dass ihr das Kompliment unangenehm war. Daher legte er ihr Bein zur Seite und stand auf. »Möchtest du was zu trinken? Kaffee, Tee, Wasser?«

»Was würdest du von mir denken, wenn ich Milch verlangen würde?«

Sanchez lachte offen und das Grübchen erschien wieder. »Ich finde, dass es durchaus ein rundes Bild ergibt. Du – in viel zu großen, schlabbrigen Klamotten auf meiner Couch.«

»Ich will das, was du trinkst.« Beleidigt stülpte sie ihre Lippen aus und kuschelte sich in das Shirt. Es roch nach frischer Wäsche und unverwechselbar nach Ruben Sanchez.

»Als ob ich dir Alkohol geben würde.« Ohne die Miene zu verziehen, ging er in die Küche und kam nach kurzer Zeit mit einem Whiskyglas wieder. 

Amüsiert musterte Tamia den Tumbler, in dem zwei Eiswürfel in 4 cl Milch schwammen. »Mmh, ein guter Jahrgang!«

Das erste Mal an diesem Tage entspannte sie sich. Sie nippte an ihrer eisgekühlten Milch und schloss die Augen. Seit Ewigkeiten hatte sie nicht mehr die Gelegenheit gehabt, auf einer Couch zu lümmeln. Das letzte Mal war, als sie vierzehn war. Mit ihrer Familie.

»Nicht heulen.«

Tamia zuckte zusammen. »Ich heul doch gar nicht!«

»Tut mir leid. Ich … ich kann mit emotionalen Frauen nicht umgehen.«

»Wie haben es deine Freundinnen bloß mit dir ausgehalten?« Tamia schob trotzig ihr Kinn nach vorn. Sein scharfer Blick brachte sie auf einen bestimmten Gedanken und sie grinste süffisant: »Hattest du überhaupt mal eine?«

»Du bist ganz schön neugierig.«

»Du antwortest nicht auf meine Frage.«

Mit gleichgültiger Miene verschränkte er seine Arme. »Wozu auch?«

»Ich erzähle doch auch von mir!« Sie leerte das Glas in einem Zug und knallte es auf die Tischplatte. Mit Milch wirkte diese Geste aber nicht so cool. Seufzend zog Tamia die Beine an und drückte ein rundes Sofakissen an sich. Was hatte sie veranlasst, an ihre Familie zu denken? Seit dem Neuanfang mit der Versetzung in die USA hatte sie erfolgreich verdrängen können, wie einsam sie war, doch heute war sie gefangen in den Erinnerungen. Oh, wie sehr vermisste, sie ihre Eltern, ihre Schwester, wie sehr vermisste sie Tess und Tilly.

Sanchez setzte sich zu ihr und legte unbeholfen einen Arm um sie. Sein Anblick löste ein leises Kichern in ihr aus. Stocksteif und mit angehaltenem Atem saß er da, sodass Tamia nicht umhinkam, sich aus seiner unbeholfenen Umarmung zu befreien und aufzustehen. 

»Dein Knöchel«, hielt er sie zurück. 

»Er ist nur leicht verstaucht!« Elitesoldaten marschierten selbst mit gebrochenem Fuß. Tamia rüttelte an seinen Schultern und drückte ihn gegen die Lehne. »Sei mal locker!« Als er sich ein wenig entspannte, schob sie seine Beine auseinander und setzte sich auf seinen Schoß. »Jetzt kannst du den Arm um mich legen.«

»Gut so?«

»Streicheln.«

Er gehorchte ihr.
 

Ruben sah an sich herunter. Auf seinem Schoß lag mit seligem Lächeln die Frau, die sich zur Aufgabe gemacht hatte, ihm das Leben schwer zu machen. Den Zwischenfall in seinem Büro konnte er als einmaliges Ereignis abtun. Mit der Einladung – auch wenn er vorgab, sie aus Langeweile zu sich bestellt zu haben – hatte er aber eine Grenze überschritten, an dessen Nähe er sich nicht einmal gewagt hatte. Eine Soldatin sollte dem Militär dienen, nicht ihm als Unterhaltung.

Die vermeintliche Blondine rieb ihre Wange an seinen Oberschenkel und schnurrte im Schlaf. Ob ihr bewusst war, welch niedliche Geräusche sie von sich gab? Ruben freute sich, etwas gefunden zu haben, womit er sie necken konnte. Vorsichtig strich er eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht. Nie fiel es ihm schwerer sich zurückzuhalten.

Sie war ihm zum ersten Mal beim morgendlichen Appell aufgefallen, als eine Lücke zwischen den stramm stehenden Soldaten seinen Blick auf sich zog. Beim zweiten Hinsehen bemerkte er, dass dort kein Mann fehlte: Die Person war einfach nur winzig! Die Akten der Neuzugänge hatte er sich natürlich angesehen, aber er hielt sich nie mit Nichtigkeiten wie Geschlecht oder Körpergröße auf. Die Erkennung auf seinem Display verriet ihm, dass das Subjekt Tamia Rivero hieß, aus dem ersten Regiment aus Tasmanien stammte und nicht einmal 1,70 m maß.

Während Ruben den geänderten Tagesplan mit dem Staff Sergeant besprach, beobachtete er die Soldaten aus dem Augenwinkel, als sein Blick sich mit dem von Rivero kreuzte. Normalerweise wandten sich die Leute von ihm ab, wenn er sie ansah, Tamia aber schenkte ihm ein offenes Lächeln. Und es war um ihn geschehen …

Jahre lang hatte Ruben Sanchez schwer an sich gearbeitet. Er war erbarmungslos zu seinen Untergebenen, trieb sie zu Höchstleistungen. Da er die einzige weibliche Soldatin, die es in die Eliteeinheit geschafft hatte, besonders hart rannahm, wurde ihm eine sexistische Einstellung vorgeworfen. Dabei ging es ihm nur darum, seine Maßstäbe zu wahren. Bei sportlichen Wettspielen mochte es fair sein, die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau zu berücksichtigen. Würde man aber den Frauen gestatten, wie bei den Olympischen Spielen zwanzig Meter weniger weit zu werfen und ein paar Sekunden weniger schnell zu rennen, würden sie auf dem Feld statt einer Goldmedaille die Beine weggesprengt bekommen, weil sie die Granate nicht weit genug werfen konnten. Ruben behandelte die Frauen nicht schlechter, er nahm bloß nicht extra auf sie Rücksicht. Denn in seinem Team gab es keine Geschlechter. Für ihn waren es alles Soldaten, seine Männer – und mit Mann bezeichnete er das Mitglied der Mannschaft.

Wovon der Staff Sergeant redete, bekam Ruben nicht mit. Er starrte Corporal Rivero ungläubig an. Keiner der Soldaten konnte ihn, den verhassten Offizier, leiden, aber diese Soldatin bewies das Gegenteil und strahlte ihn an. Um nicht dem schönen Mund zu verfallen, ballte Ruben die Fäuste, bis die kurzen Nägel schmerzhaft in das Fleisch drückten. Er konnte nicht einschätzen, auf welche Art er sie ansah, aber er hatte ihr Lächeln getötet.

Die Soldatin runzelte die Stirn, dann bildete sich eine steile Zornesfalte zwischen ihren Brauen und sie wandte sich ab. Und das war gut so. Lieutenant Ruben Sanchez vermied persönliche Bindungen zu seinen Männern.

Kapitel 5 ― Sunny side up

Ein warmer Sonnenstrahl kitzelte Tamias Nase. Verschlafen zog sie die Decke über ihren Kopf. Es konnte doch nicht schon Morgen sein. War sie nicht erst vor fünf Minuten eingeschlafen? – Moment mal! Sonnenstrahl? Durch den winzigen Fensterschlitz in ihrem Quartier kam keine Sonne durch!

Tamia fuhr erschrocken hoch. Sofort pochte ihr Kopf und warf ihr den Alkoholkonsum vor. Sie hielt sich die Hand vor die Augen, um sich vor der Morgensonne zu schützen, die durch die Fensterwand direkt in ihr Gesicht schien. Wo war sie und was war gestern passiert? Skeptisch hob sie die dünne Tagesdecke und kontrollierte, ob sie darunter nackt war. Als sie das lange Shirt und die Hose erkannte, fügten sich die Erinnerungen zusammenfügten: Nach einem beschissenen Abend war sie zu Sanchez gelaufen, er hatte ihr Obdach gewährt. Er gab ihr frische Kleidung, ein Glas Milch und ein wenig Trost. Schließlich war sie auf seiner Couch eingeschlafen.

Nun sollte sie aber ihren Kameraden schleunigst Bescheid sagen, dass sie wohlauf war. Sie machten sich sicherlich Sorgen. Das TCD zeigte mehrere verpasste Anrufe von Yon, die andere von den einzigen zwei Soldatinnen in der Kompanie, und im Postfach befanden sich geöffnete – und sogar beantwortete – Mitteilungen.

Yon Canaw 00:03 Uhr: Du bist aber »beschäftigt«. Meld dich, wenn du fertig bist.

Die nächste ging um 01:36 Uhr ein und war von Nathan: Hey Süße! Kommst du heute noch zurück? Wenn du zu besoffen bist, kann ich dich abholen.

Die letzte Nachricht kam eine Stunde später von Yon: Ich mache mir Sorgen.

Wann hatte sie die Nachrichten gelesen oder sogar beantwortet? Eigentlich konnte sie sich lückenlos an den gestrigen Tag erinnern. Verwirrt öffnete sie den Postausgang, in dem sich zweimal die gleiche Mitteilung befand, einmal an Nathan und einmal an Yon.

Mir geht es gut. Mach dir keine Sorgen. Ich bleibe über Nacht. Tamia

Diese Formulierung stammte auf keinen Fall von ihr. Wenn sie selbst eine Nachricht geschrieben hätte, hieße sie: »Yo, Yon! Du Yo-Yo, ich YOLO! XD«. Sanchez musste sie verfasst haben, als sie geschlafen hatte. Wo war er überhaupt?

Tamia ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Die Wohnung war nicht groß – besonders wenn man sie mit der gigantischen Dusche verglich. Von der Couch aus konnte sie über den Tresen in die Küche hineinblicken, auf der anderen Seite befand sich die Fensterwand, die das Panorama eines Parks zeigte. Tamia drehte sich um und sah über die Couchlehne in den Flur, von dem aus man ins Bad und in ein weiteres Zimmer gelangen konnte.

Es war beunruhigend still. Nur hinter der verschlossenen Badezimmertür hörte sie die Waschmaschine im Trockner-Modus schnurren. Ob sie nach ihm rufen sollte? Aber wie sollte sie ihn nennen? Ihn beim Titel anzusprechen, klang zu formell, und der Nachname alleine war respektlos – vor allem nach dem, was er für sie getan hatte. Schließlich entschied sich Tamia für ein neutrales Hallo.

Keine Antwort.

Lautlos stieg sie vom Sofa. Ihr Knöchel piekte unter dem Stützverband, als sie zur gegenüberliegenden Wand huschte. Sie lugte in den düsteren Flur. Im Bad piepte die Waschmaschine dreimal, bevor sie verstummte. Dann war es leise. Kein Wasserrauschen, keine Spülung oder irgendetwas, das auf einen Menschen hinwies. Leider hatte sie ihr Display bei der Kleidung im Bad abgelegt und konnte daher nicht mithilfe eines Wärmebildes Eindringlinge orten.

Die Tür vom Zimmer an der linken Seite war nur angelehnt. Wahrscheinlich war es sein Schlafzimmer, denn nur diesen Raum hatte sie nicht betreten. Tamia presste sich eng an die Wand und betete, dass im Flur der Bewegungsmelder für die Beleuchtung am Tage ausgeschaltet war. Sie streckte den Arm aus und tippte vorsichtig gegen die Tür, die daraufhin wie vom Luftzug bewegt langsam aufging.

Da Tamia sein Schlafzimmer nicht betreten wollte, versuchte sie im Spiegel des Kleiderschranks den Raum vollständig zu erfassen. Der leichte Vorhang wehte vor dem gekippten Fenster. Das Bett sah unberührt aus. Niemand. Völlige Stille.

Ihr Herz klopfte laut und sie spürte den eigenen Puls am Hals schlagen. Ob ihm etwas passiert war? Horrorvisionen schlugen wie Brandungswellen auf sie ein. Still war es, wenn es kein Leben mehr gab. Still war es, als sie ihre Familie entdeckt hatte.

An diesem Tag hatte sie sich nicht an die Abmachung mit ihren Eltern gehalten und war nicht zum Abendessen erschienen. Stattdessen war sie mit ihrer Freundin in einer Eisdiele gewesen und sie hatten sich verquatscht. Als sie und ihre Freundin bezahlten, ging ein Raunen durch die Einkaufspassage. Tamia folgte den Blicken der Menschen: Am Shoppingcenter auf der gegenüberliegenden Straßenseite, auf dessen Fassade normalerweise Werbung lief, waren Nachrichten eingeblendet worden. Zerstörte Gebäude. Schwarzer Rauch stieg in den Himmel, aus dem Fallschirmjäger regneten. Männer mit Gewehren. Panische Flüchtlinge. Schwerverwundete Opfer. Leichen. Und das alles nur wenige Kilometer entfernt. Dort, wo ihr Zuhause war. Gewesen war.

Schritte hallten im Hausflur. Ein Einbrecher? Tamia fuhr herum. Ihr Blick fiel auf die Garderobe, wo Sanchez’ Jacken und sein Holster hingen. Sie nahm sich die Waffe heraus und versteckte sich hinter der Eingangstür. Das Schloss klackte, die Tür öffnete sich. Tamia sprang mit dem unverletzten Beim nach vorn und hielt dem Eindringling den Lauf an den Hinterkopf.

Sanchez hob die Arme und drehte sich grinsend zu ihr um. »Versuch’s doch.«

Natürlich konnte sie nicht schießen, da die Pistole mit seinem Fingerabdruck gesichert war. Seine lässige Haltung ärgerte sie aber. Mit einer schnellen Bewegung drehte sie die Waffe und schlug ihm mit dem Griff gegen die Schläfe.

Sanchez zuckte zusammen. »Eins zu null für dich. Das habe ich nicht erwartet.« Er nahm ihr die Pistole aus der Hand und steckte sie zurück in den Holster. »Aber keine Spielchen mit meinen Sachen mehr, okay?«

»Das war kein Spiel.« Das Adrenalin floss noch durch ihren Körper. »Ich hatte wirklich Angst.«

»Weil ich dich fünf Minuten alleine gelassen habe?«

»Ich habe eben meine Macken!«, rief sie. »Ich hasse es, wenn ich rufe und niemand antwortet!«

»Armes Mädchen«, neckte er.

»Ich hätte dir die Knarre ordentlich über den Kopf ziehen sollen, dass du nicht mehr aufstehst!« Erbost drehte sie sich von ihm weg. Sie atmete tief durch, bevor sie fortfuhr: »Ich … ich gehöre zu den fünf Soldaten, die letztes Jahr in Chiang Mai überlebt haben.« Sie war mit ein paar Kameraden Vorräte einkaufen gewesen, und als sie zurückgekommen waren, war das Lager still. Totenstill.

Sie hatte geglaubt, den Tod ihrer Familie überwunden zu haben. Aber seitdem sie ihre durch Giftgas verblutenden Kameraden, seitdem sie die Leichen von Tess und Tilly am Boden erblickt hatte, träumte sie nachts wieder vom Tod ihrer Eltern und ihrer Schwester. »Meine Familie habe ich auf die gleiche Art verloren. Zur falschen Zeit am falschen Ort.«

Sein Ausdruck wurde ernst. »Es tut mir leid.«

»Nein, es tut mir leid.« Sie räusperte sich und setzte ein schiefes Lächeln auf. »Ich war irrational.«

Sanchez führte sie zurück ins Wohnzimmer. »Belaste deinen Knöchel nicht zu sehr. Setz dich.«

Ein gedehntes und genervtes »Jawohl, Sir« kam aus ihrem Mund, als sie sich rückwärts auf die Couch fallen ließ. »Kannst du nicht mit dem Drill-Instructor tauschen? Ich wünschte, er würde mir auch so oft ›Setz dich‹ an den Kopf knallen.«

»Ich habe Frühstück vorbereitet.« Er verschwand hinter dem Tresen.

»Du hättest mich auch wecken können, dann hätte ich es noch rechtzeitig zurück auf den Stützpunkt geschafft.«

»Du hast ja nicht mal die Telefonanrufe gehört.« In der Küche klapperten die Töpfe.

»Du wolltest mich nur beim Schlafen beobachten. Du Perverser!«

»Wenn du das als pervers empfindest …« Sanchez hob die Pfanne hoch, sodass sie es vom Wohnzimmer aus sehen konnte. »Willst du ein Ei?«

»Ja, bitte.« Da es ihr auf der Couch zu langweilig war, gesellte sie sich zu ihm in die Küche. »Was für perverse Vorlieben hast du denn?«

»Das willst du nicht wissen … Rührei oder –«

»Sunny side up!« Tamia riss freudig die Arme hoch.

»Du bist wirklich ein Sonnenschein.« Es lag nur ein winziges Schmunzeln auf seinen Lippen, aber seine Augen lachten. Dann holte er die Ölflasche aus dem Regal. Sein Rücken sah in dem lockeren Muskelshirt so herrlich aus und sie konnte nicht umhin, ihn zu umarmen und ihre Nase gegen seine Wirbelsäule zu drücken.

»Und du bist eine Mondfinsternis«, murmelte sie in sein Hemd.

»Bist du immer so zutraulich?«

»Nur bei Leuten, die ich gut leiden kann.«

»Du meinst wohl, bei Leuten, die du gut leiden lassen kannst.« Er löste ihre Arme, bevor er einen Schritt zur Seite tat, um die Eierschalen in den Mülleimer zu werfen.

Tamia setzte sich auf die Arbeitsfläche und baumelte mit den Beinen. Er wollte sich nicht umarmen lassen, aber er hatte auch ihr nicht verboten, ihn zu berühren. Das genügte ihr vorerst.

Nach wenigen Minuten schob Sanchez das fertige Spiegelei und sein Omelett auf zwei Teller, setzte Deckel darauf und packte sie in die Tasche. »Komm.«

Ohne Widerspruch folgte Tamia ihm aus der Wohnung. Es hatte ihr noch keine Nachteile gebracht, ihm zu gehorchen. Der Aufzug fuhr in die höchste Etage und sie stiegen die schmale Treppe zum Dach hinauf.

»Ich glaub, ich sitze in einer Zeitschleife fest. Es kommt mir alles so bekannt vor.«

Der Unterschied war, dass die Morgensonne lange Schatten auf die Dachterrasse malte und dass unter dem Segel, das von einem Wasserrohr zum anderen gespannt war, ein zweiter Stuhl und ein kleiner Tisch mit Teller, Tassen und Besteck von unterschiedlichem Fabrikat standen. Sanchez hatte zwischen den grauen Betonplatten eine gemütliche Oase geschaffen.

Tamia beäugte den Stuhl, der mit breitem Klebeband umwickelt worden war, sodass er nicht zusammenklappen konnte. Auch wenn er sie damit aufziehen wollte, weil sie nicht auf dem klapprigen Gebilde sitzen konnte; er hatte an sie gedacht. Mit klopfendem Herzen beobachtete sie, wie er den Tisch deckte: eine Kanne Kaffee, Brötchen, Aufschnitt und die Eier, die er zubereitet hatte. Tamia stellte die gleiche Frage wie am Vortag: »Führst du deine Dates oft hier her?«

»Du bist kein Date. Setz dich.«

»Aber fragen darf ich doch. Oder bin ich wieder eine Unterhaltung?«

»Eher ein angefahrenes Häschen, das ich von der Straße aufgesammelt habe.« Seine beiläufige Antwort versetzte ihr einen Stich in die Brust.

»Solange du mir Fragen beantwortest, kann ich damit leben.« Mit gespielter Gleichgültigkeit goss sie Kaffee in seine, dann ihre Tasse. Hoffentlich bemerkte er nicht, dass sie enttäuscht war. Sie war kein Date, das es wert war, abgeholt zu werden. Sie war nicht mal eine Unterhaltung. Aber warum tat er das alles für sie? Gerne hätte sie gefragt, was sie für ihn bedeutete.

»Eine Frage«, sein Blick drang bis in ihr Inneres, als könnte er ihre Gedanken lesen, »… hast du frei.«

»Kannst du bitte aufhören, mich immer so anzustarren?«, stieß sie genervt heraus.

»Nein. Frage beantwortet.«

»Hey, das war gemein!« Tamia ärgerte sich maßlos, weil sie ihre Chance vertan hatte.

»Pech, wenn du so dumm bist.« Unbeeindruckt strich er Butter auf sein Toastbrot.

Sie schlug mit der Faust auf den Tisch und das Geschirr klirrte. »Ach, leck mich doch!«

Er fuhr mit der Zungenspitze über seine Lippen. »Du kriegst wohl nicht genug.«

»Das war eine einmalige Sache!«

»Ich hoffe doch.«

Erst durch seine Antwort bemerkte Tamia, wie dumm sie reagiert hatte. Warum war sie so trotzig gewesen, anstatt ihm zu gestehen, dass es ihr gefallen hatte? Ernüchtert stocherte sie in dem Spiegelei herum. Liebend gern wollte sie noch einmal von diesem erotischen Mann geritten werden, bis ihr das Hören und Sehen verging. Das Eigelb platzte auf und zerlief. Schließlich fragte sie kleinlaut: »Fandest du es schlecht?«

»Das habe ich nicht gesagt. Ich wurde bloß noch nie so derbe beim Sex beschimpft.« Er balancierte eine Scheibe Wurst auf dem Messer und legte sie sorgfältig auf den Toast. »Außerdem war es nicht dein Büro, das geschrottet wurde. Und du musstest auch nicht zum Captain dackeln, um ihm zu gestehen, dass du über den eigenen Stuhl gestolpert bist, dich in den Kabeln verheddert und die gesamten Geräte auf den Boden gefegt hast.«

Tamia hob erstaunt die Brauen. Ein einziger Satz von ihm genügte, um sie zu verärgern; aber genauso genügte ein Satz, um sie zu erweichen. Sämtliche Geräte waren im Funknetzwerk verbunden. Es existierten keine Kabel. »Hast du das wirklich gesagt?«

Grinsend zuckte Sanchez mit den Schultern, auf der rechten zierte immer noch im schönsten Hellgrün ihr Zahnabdruck.

Tamia schaufelte die Eifetzen auf ihr Brot, stopfte es sich in den Mund und kaute genüsslich, bevor sie nach der Kanne griff. Sie schenkte erst sich selbst eine Tasse ein, dann bot sie ihm mit einer Geste an, ihm ebenfalls nachzugießen. Danach nahm sie ihre Tasse in beide Hände, vertraute dem Klebeband am Stuhl und lehnte sich zurück. Dieser Mann gab nicht viel von sich preis, aber das, was er über sich erzählte, überraschte sie positiv. Der abweisende und humorlose Offizier zeigte sich aufmerksam und fürsorglich. Er hatte eine gute Beziehung zu seiner Mutter, stand auf starke, intelligente Frauen, konnte aber anscheinend nicht mit diesem emotionalen Geschlecht umgehen.

»Du bist schon in Ordnung.« Ein wahnsinniges Kompliment so nebenher gesagt.

»Okay«, nahm er zur Kenntnis.

Okay? Mehr nicht? Tamia rieb sich an der Nasenwurzel. Ein dumpfes Gefühl beschlich sie, eine ganz schlimme Vorahnung. So wie gestern saß sie mit diesem Mann auf dem Dach, so wie gestern verfiel sie ihm mit jeder unerwarteten Aussage mehr, so wie gestern wollte sie wegrennen, weil er sie nicht so mochte wie sie ihn.

Auf Tamias TCD piepte eine private Nachricht. Nathan fragte, ob mit ihr alles in Ordnung sei, da sie nicht zum Frühstück erschienen war. »Ich werde schon gesucht. Ich muss zurück.« Sie stand auf und verneigte sich. »Vielen Dank für die Gastfreundlichkeit.«

»Ich rufe dir ein Taxi.« Sanchez zückte seinen Organizer und bestellte mit knappen Worten einen Wagen. »Zehn Minuten«, gab er Bescheid, wobei er eigentlich »In zehn Minuten wird das Taxi kommen« meinte.

In der Zwischenzeit gingen sie zurück in seine Wohnung, wo Sanchez aufräumte, während Tamia ihre Kleidung anzog, die er am Vormittag gewaschen hatte. Die High Heels nahm sie in die Hand. Abgesehen davon, dass sie mit einer Verstauchung keine fünfzehn Zentimeter hohen Absätze tragen wollte, würde ihr Fuß samt Verband nicht in den Schuh passen.

Sie warteten bereits unten am Eingang, als das Taxi ankam. Während Tamia einstieg, gab der Offizier dem Taxifahrer die Adresse durch. Er wies mit Zeige- und Mittelfinger auf seine Augen hinter dem Display und dann auf die des Fahrers. »Versuchen Sie nicht, von der Strecke abzukommen. Ich komme persönlich und reiße Ihnen die Kehle raus.«

»Is’ ja okee, Mann! Ich tu der ja nischts.« Der Mann hob beschwichtigend seine Hände.

»Schnall dich an!«, befahl Sanchez.

»Jaja …« Tamia lächelte wegen seiner harschen Art, sich um sie zu kümmern.

Dann fuhren sie los. Sie drehte sich um und sah ihn am Hauseingang stehen, die Arme verschränkt und die Lippen zusammengekniffen – wie immer. Seufzend drehte sie sich zurück.

Über ihre Navigationsanzeige erschien eine betrefflose Nachricht von einer unbekannten ID. Sie musste die E-Mail erst öffnen, um das Anliegen zu erfahren.

Ich möchte dich wiedersehen. Nicht als Date, Unterhaltung oder Häschen. Sondern als Tamia.

War es Sanchez’ private Nummer? Hastig fuhr sie herum. Noch immer stand er mit verschränkten Armen am Eingang des Hochhauses. Tamia las die Zeilen nochmals. Überlegte, wie sie seine Nachricht zu verstehen hatte. Schließlich antwortete sie: Wenn die Tamia dich dann Ruben nennen darf, gerne.

Eine Sekunde später erhielt sie die nächste Nachricht. Selbstverständlich.

»Ruben.« Sie murmelte seinen Namen vor sich hin. Es fühlte sich ungewohnt an. »Fahren Sie zurück!«

Der Taxifahrer zögerte und Tamia schrie ihn an. »Haben Sie keine Ohren im Kopf? Zurück habe ich gesagt. Sofort!« Sie gab keine Ruhe, ließ ihn nicht in eine Seitenstraße fahren, sondern drängte ihn, unverzüglich umzudrehen. Das Sicherheitssystem schlug Alarm, als er mitten auf der Fahrbahn wendete. Aber wahrscheinlich war es weniger nervtötend als Tamias schrille Stimme.

Das Auto kam noch nicht zum Stillstand, als Tamia an der Tür rüttelte. Sobald die Sicherung des Schlosses klackte, stürzte sie hinaus. Ihr Knöchel war ihr egal. Die Steinchen auf dem Boden waren ihr egal. Seine Reaktion war ihr egal.

Er kam auf sie zu. »Hast du was vergessen?«

»Ja.« Tamia ignorierte Sanchez’ … nein, Rubens skeptischen Blick. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, nahm sein Gesicht in die Hände und küsste ihn.

Kapitel 6 ― Ich bin so, wie ich bin

Tam riss die Taxitür auf und konnte sich gerade noch zurückhalten, nicht laut über den Hof zu brüllen und jedem einzelnen vertrockneten Kaktus auf diesem Stützpunkt zu verkünden, wie berauscht sie war. Ihr Herz flatterte wie ein junger Vogel beim ersten Flug, nur dass sie viel zu aufgeregt war, um sich vor einem Absturz zu fürchten. Tam drehte sich zum Fahrer, um die Rechnung zu begleichen.

»Dein eifersüchtiger Macker hat schon längst bezahlt.«

Tam beugte sich vor und gab ihm stattdessen ein Küsschen auf die Wange, das er sofort abwehrte. 

»Ey, weg da!« Der Taxifahrer schob sie aus dem Wagen. »Ich will noch den nächsten Tag erleben!«

Ohne in ihr Quartier zu gehen, lief Tam direkt in den Speisesaal. Dort hielten sich die armen Soldaten auf, die am Wochenende Dienst hatten oder deren Familien nicht in der Nähe wohnten. Schnell ließ sie sich von der Küchenkraft irgendein Zeug auf den Teller klatschen, während sie atemlos den Saal nach ihrem Partner Nathan absuchte. Wenn jemand begierig ihren Worten folgte, dann ihr Nay-Nay.

Leider war er nirgends zu sehen, aber Yon winkte ihr zu. So begab sich Tam zu der Schwarzen und ihrer Clique. Diese bestand aus ihr und vier weiteren Männern. Ja, weitere Männer. Als Frau konnte man Sergeant Yon Canaw kaum bezeichnen, da sie sich nur für Waffen, Kampfsport und schnelle Fahrzeuge interessierte.

Einmal hatte Tam versucht, sie zum Shopping zu überreden, aber die andere Soldatin hatte sie nur angesehen, als hätte Tam ihr vorgeschlagen, im pinken Hasen-Fursuit in Sanchez’ Besprechung hineinzuplatzen und Pfadfinderlieder zu singen.

Yon rückte zur Seite, damit Tam Platz nehmen konnte, bewegte aber keinen einzigen Gesichtsmuskel. Es hieß – obwohl Tam es noch nicht erlebt hatte – dass sie unter bestimmten Umständen und in engen Kreisen sogar lachen konnte.

»Ratet mal, wo ich war?«, flötete Tam.

»Ich mag keine Ratespielchen.« Gleichgültig zersägte Yon das Stück Fleisch.

Tam stieß einen entnervten Seufzer aus. »Es macht echt keinen Spaß. Du musst so hier reagieren …« Sie räusperte sich, um mit doppelter Lautstärke und schriller Stimme fortzufahren. »Oh, mein Gott! Mit wem warst du zusammen? Wie sieht er aus? Erzähl!«

Vom Eingang der Kantine kam es aufgeregt zurück. »Ich will Details, Baby!«

Das konnte nur Nathan sein!

Tam blickte auf, in das breite Lächeln des Soldaten, der eine Hand locker in die Hüfte gestemmt hatte und mit der anderen Hand seine Feldjacke elegant über die Schulter warf. Seine Augen glänzten unter den Deckenlampen wie seine perfekt frisierte Haartolle. Tam sprang auf und hüpfte ihrem Partner entgegen, der sie in die Luft hob und herumwirbelte. Danach zog er einen freien Stuhl heran und quetschte sich mit an den Tisch.

»Los! Sag schon, wer?« Nathan funkelte sie mit neugierigen Augen an. »Doch nicht jemand von uns?«

Tam strahlte mit der letzten Atomkatastrophe um die Wette. »Ich gebe euch einen Tipp: Yon hasst ihn.«

»Das kann ja jeder sein!«, schmollte Nathan.

»Nur weil ich nicht jedem an den Hals springe, heißt es noch lange nicht, dass ich alle Leute hasse!«, verteidigt sich die Schwarzhaarige. Sie verschränkte ihre Arme ineinander und schwieg. In ihren Augen konnte man das Gehirn arbeiten sehen. Schließlich fiel ihr die Gabel aus der Hand und hinterließ einen dunkelbraunen Soßenfleck auf den Fliesen. »Das ist doch nicht dein Ernst!«

»Wer?«, wiederholte Nathan. »Jetzt erzähl mal: Mit wem warst du im Bett? Und wie war er?«

»Nicht im Bett. Und er ist …« Tam hüstelte gekünstelt. »Groß.«

Nathan verschränkte seine Finger mit ihren. »Ich will alles wissen!«

»Könnt ihr mit eurem girl talk aufhören?« Ein Soldat an Yons Seite nahm einen großen Schluck Kaffee, als spülte er einen widerwärtigen Geschmack hinunter. »Ich möchte nichts über Schwänze von anderen Männern hören!«

»Ihr seid echt langweilig. In Norfolk würde ich jetzt umringt und ausgefragt werden. Außerdem entscheide immer noch ich, was ich in den Mund nehme.« Tam hob die Hand, woraufhin ihr Partner für den Wortwitz lachend einschlug.

»Wenn es wirklich um Lieutenant Sanchez geht«, mischte sich Eugene ein, »solltest du die Finger von ihm lassen.«

»Das geht dich nichts an«, fuhr sie den weißblonden Soldaten an. Dieser hatte lästigerweise die Aufgabe übernommen, sich um Tam zu kümmern. Nicht nur weil sie zu seinem Team gehörte und erst vor zwei Monaten in die USA gekommen war, sondern auch weil er sie aus der Zeit in Tasmanien kannte. Eugene hatte die Schießübungen geleitet, als sie noch eine Schülerin war, und bei den Lehrgängen der Scharfschützen am Anfang dieses Jahres war er für die Ausbildung der Rekruten zuständig.

»Ich bin der Gruppenführer und ich bin für dich verantwortlich«, erinnerte er sie mit freundlichem Lächeln.

Tam rümpfte ihre Nase. »Hat Yon nicht auch mit ’nem Offizier rumgemacht?«

»Eine Beziehung ist etwas anderes. Ich sag ja nichts, wenn du dich durch die Mannschaften schläfst. Aber lass die Finger von Lieutenant Sanchez. Wenn es rauskommt, dass du was mit ihm hattest, gibt es mächtig Ärger – für euch beide, aber besonders für ihn. Wir vergessen die Sache einfach und hoffen, dass sie unter uns bleibt, okay?«

Sein scheinheiliges Verständnis ärgerte sie. Warum ließ Eugene der anderen Soldatin alles durchgehen, während er jedes Verhalten von Tam monierte? Es war schon damals so gewesen. Tam fauchte ihn an: »Hätte ich gewusst, dass die Elitesoldaten so distanziert und unkameradschaftlich sind, wäre ich nie hergekommen!«

Nathan legte seinen Arm um sie und versuchte sie zu beruhigen, aber Tam schob ihn zur Seite und blickte Eugene wild an. »Du bist bloß eifersüchtig, weil ich deine Ex bin …«

»Jetzt ist genug!« Ein harter Ausdruck vertrieb die Wärme aus Eugenes Gesicht.

»Du kannst mir nicht den Mund verbieten.«

Die Luft zwischen Eugene und Tam lud sich elektrisierend auf, als würde zwischen ihnen noch eine Verbindung existieren, die nicht sein sollte. Die anderen am Tisch schwiegen bedrückt, trauten sich nicht sich einzumischen.

»Wie gut, dass ich damals Schluss gemacht habe!« Wutschnaubend fegte sie die Tasse vom Tisch und Yon fing sie rechtzeitig auf, sodass nichts zu Bruch kam. »Du hast dich sowieso nie wirklich für mich interessiert!

»Hör auf, Vergangenes hervorzukramen.«

»Du widersprichst mir nicht mal. Ich hab doch gewusst, dass du nie Gefühle für mich gehabt hast!« Tam ertrug es nicht, dass sie hinter seiner besten Freundin stand. Nicht nur heute, sondern auch damals, als Tam und Eugene noch ein Paar gewesen waren. »Ich habe dich geliebt, du Arsch! Aber du bist in jeder freien Minute in den Garten gerannt, um auf dieses verfickte Mädchen mit dem Apf–«

»Lass Yon aus dem Spiel!«, herrschte Eugene sie an. Zwischen seinen Brauen bildete sich eine tiefe Zornesfalte.

»Nein, tu ich nicht! Deine Prinzessin darf alles tun und lassen, was sie will. Und auf mir hackst du herum! Ich hab sie schon immer gehasst …« Tam biss auf ihre Lippen und drehte sich langsam zu Yon, die sie entsetzt ansah.

»Und ich habe mir Sorgen um dich gemacht«, sagte Yon, während Eugene sich über die Augen rieb – so wie er es tat, wenn er nicht weiterwusste.

»Ich … ich wollte sagen, dass ich dich echt mag, seit ich dich näher kennengelernt habe.« Als Tam in die USA gekommen war, hatte sie sich an die einzige weibliche Soldatin geklammert, bis sie herausgefunden hatte, dass Nathan ein besserer Shoppingpartner war. Doch da sie weiterhin täglich mit Yon die zehn Minuten in der Umkleidekabine und Dusche verbrachte, kamen die beiden Frauen sich trotz unterschiedlicher Einstellung näher, sodass Tam die Schwarze bald als ihre Freundin bezeichnete.

Die Soldaten starrten Tam entsetzt an, sie glaubten ihr anscheinend nicht. Eigentlich war sie stolz darauf, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, doch manchmal rutschten ihr Sachen heraus, die sie lieber für sich behalten sollte. Hass war ein sehr starkes Gefühl, das sie gegenüber Yon niemals verspürt hatte.

Tam nahm ihr Tablett in die Hand und stand auf. »Ich brauche mich wohl nicht zu rechtfertigen.« Sie stellte ihr zur Hälfte gegessenes Mittagessen weg und verließ die Kantine.

 

Eine Beziehung ist etwas anderes. So ein Blödmann. Was wusste er denn schon, was zwischen Sanchez und ihr war …

Tam ließ sich mit dem Gesicht voran in ihr Bett fallen. Ja, was war denn zwischen ihnen? Sie hatte ihn eigenmächtig geküsst, ihn mit verblüffter Miene stehen lassen und nun hoffte sie, dass sich eine Beziehung anbahnte? Naives Mädchen. Er wollte sie doch bloß treffen. Das hieß noch lange nichts.

Die Erkenntnis bohrte ihr wie ein heißer Stachel durch die Brust und Tam sprang auf. Sie hatte Lieutenant Sanchez geküsst! Das war noch tausendmal schlimmer als der Zwischenfall im Büro. Da waren sie vor Sexhormonen übersprudelnd aufeinander losgegangen. Das war eine Handlung aus dem Affekt gewesen. Ein Kuss hingegen bedeutete, dass Gefühle im Spiel waren – zumindest von ihrer Seite aus.

Es klopfte. 

»Hereeeeeeein!«, rief Tam mit genervtem Unterton. Aber als sich die Zimmertür öffnete und sie die Schwarze erkannte, sprang Tam auf und lief ihr entgegen. Sie schämte sich dafür, ihre Freundin verletzt zu haben, und deshalb war sie unglaublich dankbar, dass Yon es war, die den ersten Schritt gemacht hatte. Tam hätte Tage gebraucht, bis sie angekrochen käme. »Komm rein! Du brauchst doch nicht vor der Tür stehen bleiben!«

»Du versperrst den Weg«, stellte Yon nüchtern fest. 

Daher trat Tam zurück und bat sie mit einer einladenden Handbewegung herein. Während Yon sich an den Tisch setzte, füllte Tam zwei Gläser mit Leitungswasser und schob eines mit Schwung über den Tisch, so wie es Barkeeper in Filmen taten. Eigentlich fühlte sie sich nicht so cool, wie sie gerade vorgab, doch sie wusste ansonsten nicht, wie sie sich Yon gegenüber verhalten sollte. »Was kann ich für dich tun?«

»Ich wollte schauen, wie es dir geht«, sagte Yon ohne Umschweife.

Daher zwang sich Tam ebenfalls offen zu gestehen: »Es tut mir leid, was ich gesagt habe.«

»Ich kann dich verstehen.«

Verwundert blickte Tam der Soldatin in die dunklen, unergründlichen Augen. Sie zeigten keine Emotionen, aber Tam glaubte zu sehen, dass Yon es ernst meinte. Eine Beziehung mit Kay traf auf Widerstand, denn die Mitarbeiterinnen in der Kantine duldeten keine Frau neben diesem sexy Offizier. Tam hatte keine Ahnung, was Yon durchmachen musste, aber sicherlich verstand sie die Enttäuschung, wenn die Kameraden den Liebhaber nicht guthießen.

Tam war froh, dass Yon anscheinend von sich aus und nicht auf die Bitte von Eugene gekommen war. Dieser blonde Beach Boy spielte sich nämlich zu gern als Aufpasser auf. Erleichtert lehnte sie sich zurück. »Dich hat also doch nicht Gene geschickt.«

»Wäre das schlimm?« Yon spielte mit dem Glas, ohne einen Schluck davon zu nehmen.

»Er soll mich einfach in Ruhe lassen.«

»Er macht sich auch Gedanken. Er mag dich.«

»Ja … mögen. Man mag Wackelpudding oder Katzen.« Tam seufzte übertrieben. »Er liebt dich über alles und ich bin die, die sich durch die Mannschaften fickt.«

»Ist das noch von Belang?«, fragte ihre Freundin.

»Klar ist mir die Meinung anderer wichtig!« Tam schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Ich meinte nicht die Sache, dass du es mit allen treibst. Er hat auch jede Frau gevögelt, die nicht bei drei auf den Bäumen ist«, erklärte Yon. »Warum stört es dich, dass du nicht die Wichtigste für ihn bist?«

Dies war eine berechtigte Frage, die sie sich noch nie gestellt hatte. Warum war es ihr noch wichtig, wie er über sie dachte? Sie war es doch gewesen, die vor fünf Jahren Schluss gemacht hatte, obwohl sie gemeinsam viel Spaß gehabt hatten und er sie wie eine Dame behandelt hatte, sodass selbst die Kameradinnen, mit denen sie kaum zu tun hatte, neidisch wurden. Ja, er hatte ihr das Gefühl gegeben, etwas Besonderes zu sein. Ja, etwas Besonderes war sie gewesen und dennoch nur die Nummer zwei.

Die Trennung hatte Tam groß gefeiert, hatte mit Tess und Tilly darauf angestoßen, dass sie Eugene endlich los war. Sie wollte nicht zugeben, dass es schmerzte – selbst ihr Tagebuch hatte sie angelogen. Vielleicht hätte Tam einfach nur einmal heulen müssen, vielleicht hätte sie nur einmal zugeben müssen, dass sie verletzt war, um abschließen zu können. Doch sie hatte sich selbst eingeredet, dass es ihr nichts ausmachte, da sich beide im Guten getrennt hatten. »Ich wünschte, er wäre fremdgegangen. Dann hätte ich wenigstens einen Grund gehabt, sauer zu sein.«

Das Gesicht in die Hände gestützt, stellte sie sich vor, wie der heutige Eugene auf sie zukam und sie bat, wieder seine Freundin zu sein, wie er ihr sagte, dass er sie liebte.

Ich liebe dich, Tamia. Eine tiefe, raue Stimme an ihrem Ohr. Sanfte Finger strichen ihr über die Wange. Aus einem dunklen Gesicht strahlten sie blaugrüne Augen an. Darunter ein kleines, lustiges Grübchen. Obwohl es nur eine Imagination war, stellten sich die feinen Härchen auf Tams Arm auf.

Nachdenklich legte Yon ihren Kopf zur Seite. Wahrscheinlich wollte sie verstehen, was Tam beschäftigte. »Du könntest ihm eine reinschlagen. Das hilft ungemein. Dann geht es dir besser.«

Tam starrte die Schwarze entgeistert an. »Hast du mir gerade angeboten, deinen Partner zu schlagen?«

»Du siehst so aus, als würdest du das gebrauchen können.«

»Du bist immer noch so gruselig wie damals in der Schule.« Zum Glück konnte Tams Freundin nicht ihre Gedanken lesen. Sie kreisten nämlich schon lange nicht mehr um Eugene.

Innerhalb eines Wimpernschlags hatte Yon ihr langes Buschmesser gezückt und hielt die glänzende Klinge unter Tams Nase. »Definiere gruselig.«

Lässig strich Tam eine Haarsträhne zurück. »Traust dich eh nicht.«

»Ich will nicht die Erste sein, die in dein Gesicht ritzt.« Yon strich mit der flachen Seite über Tams Wange, bevor sie ihre Waffe in das Beinholster zurücksteckte.

»Könntest du zumindest dabei lachen? Ansonsten versteht man nicht, dass du scherzt.«

»Ich scherze auch nicht.« Die Augen verdunkelten sich, sodass sich die Iris kaum von der Pupille unterschied. Dann zeigte Yon mit ihrem Finger auf Tams erschrockenes Gesicht und prustete vor Lachen los.

»Kein Wunder, dass das Gerücht kursiert, du würdest deine Liebhaber entmannen, wenn sie nicht gut genug im Bett waren!«, rief Tam entgeistert.

Überheblich grinsend stemmte Yon ihre Hände in die Seite. »Einen Ruf muss man sich erst schaffen!«

»Das ist nichts, worauf du stolz sein musst.« Tam überlegte, was für ein Image sie hatte. Die Frau, die mit jedem schlief?

»Es nagt an mir«, begann sie. »Aber nicht, weil ich nicht die Person bin, die er liebt.« Sie zog eine Kaugummipackung aus der Tasche, bot Yon einen Streifen an und steckte sich danach selbst eines in den Mund. Das Papier knüllte sie winzig klein und warf es präzise in den Mülleimer in der Ecke des Zimmers. »Sondern weil ich alles getan habe, um ihm zu gefallen. Schau mich doch an! Warum bin ich hier?«

Schwermütig hob sie beide Arme und präsentierte sich vor Yon. »Erinnerst du dich noch, wie ich ausgesehen habe, bevor ich mit Gene zusammenkam?« Damals hatte sie runde Pausbacken – ein Überbleibsel ihres Babyspecks –, schokoladenbraune Haare, die sich bis zur Hüfte wellten. Nun trug sie die Haare kurz und mit Undercut – seine Frisur. Sie färbte sie blond – seine Haarfarbe. Und obwohl sie nicht so talentiert war wie er, hatte sie so viel trainiert, dass sie ebenfalls als Sniper in die Eliteeinheit aufgenommen worden war.

»Es ärgert mich nicht, dass er mich nicht liebt. Es ärgert mich, dass ich ihm so nachgeeifert habe.«

»Und wieso lässt du deine Haare nicht wieder wachsen?«

»Ich gefalle mir so. Ich bin froh, dass ich so bin, wie ich bin. Ich werde mich nie wieder für einen Typen ändern!« Tam knallte das Glas auf den Tisch, sodass das restliche Wasser überschwappte.

»Wer dich nicht so nimmt, wie du bist, kriegt meine Schuhsohle in die Fresse!« Yon wedelte energisch mit der Faust und Tam kicherte in sich hinein.

[New Year's Special] Das Interview

Als Tamia die Tür öffnete, wurde sie bereits erwartet. Eine zierliche Dame, die nervös vor den beiden schweigenden Uniformierten hin- und herlief, atmete erleichtert auf. »Schön, dass sie da sind, Corporal Rivero.« Sie reichte Tamia die Hand. »Liv Sterling. Ich werde Sie heute interviewen.«

»Kannst mich ruhig Tam nennen«, bot Tamia an. Als angekündigt wurde, dass mit verschiedenen Personen dieses Militärunternehmens ein Interview geführt werden sollte, hatte sich Tam gefragt, wer zum Teufel so viel Geld aus dem Fenster schmiss, um in ihrer Vergangenheit zu wühlen. Victoria Linnea hieß die ideenlose Autorin, die für ihre Geschichten neues Material brauchte und dafür eine beträchtliche Summe ausgab, mit der sie eine ganze Armee an Ghostwriter hätte anstellen können.

Leider kam heute Victoria Linnea nicht persönlich, sondern schickte eine junge Interviewerin. Dabei war Tamia so neugierig zu erfahren, ob sich hinter dem Portraitbild der Autorenvita, auf der eine attraktive Frau abgebildet war, in Wirklichkeit nicht ein fetter, glatzköpfiger Mann saß.

»Möchten Sie etwas trinken?« Liv zeigte auf die Kannen und den Krug mit Wasser, die auf einer Anrichte standen.

»Kaffee, bitte.« 

»Mit Milch und Zucker?« Die Brünette lächelte schüchtern und zarte Röte überzog ihre Wangen.

»Schwarz.« Tamia zog sie sich einen Stuhl heran und setzte sich zu Ruben Sanchez und Yon Canaw. Die Arme verschränkt, die Mundwinkel nach unten verzogen, schauten sie sich an, als würden sie sich gegenseitig das Leben aushauchen wollen. Kein Wunder, dass sich die Interviewerin nicht getraut hatte, sich zu setzen. 

Dennoch konnte Tamia die schlechte Laune der beiden verstehen. Auch sie hätte sich an dem einzigen Tag, an dem Ruben und sie frei hatten, mit schöneren Dingen beschäftigen können. Zum Beispiel mit dem Mann neben sich.

Nachdem Liv den Kaffee eingeschenkt hatte, traute sie sich endlich, sich an den Tisch zu setzen – wobei sie es trotzdem vermied, den beiden grimmigen Personen ins Gesicht zu schauen –, und zückte ihr Notizbuch.

»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gern anfangen. Stellen Sie sich bitte vor.«

»Ich bin Tamia Rivero. So wie der Fluss plus einem O.«

»Sergeant Yon Canaw. 4. Regiment, 1. Kompanie«, antwortete die Schwarze mit militärischer Verbissenheit.

»Sanchez.«

Tamia und Liv drehte sich zu dem einzigen Mann in dieser Runde, der seinen Vornamen nicht preisgeben wollte. Daher zuckte die Interviewerin mit den Schultern und fuhr fort: »Und wie alt sind Sie?« 

»Einundzwanzig«, antwortete Tam.

»Zweiundzwanzig.« Auf Yons eisernem Gesicht regte sich eine winzige Emotion, die man als Überheblichkeit einordnen konnte. 

»Hier gibt’s nichts zu gewinnen.« Lachend stieß Tam ihrer Freundin den Ellenbogen in die Seite.

»Vierunddreißig«, gab Ruben zur Antwort. Im Gegensatz zu Yon bekam er seine starre Miene kein bisschen bewegt. 

Liv nippte am Tee und sah in die Runde. »Wie groß sind Sie?«

»1,69 m«, antwortete Tamia. Ruben unterdrückte einen mitleidigen Lacher, woraufhin sie ihn anzischte: »Ich bin nicht klein!«

»Du bist klein«, mischte sich die Schwarze ein. »1,78 m.«

»Ich bin überhaupt nicht klein!« Tam zeigte mit dem Finger auf Liv. »Die ist klein!«

»Bitte beruhigen Sie sich.« Beschwichtigend hob Liv die Hände, »außerdem ist das hier ein Interview, kein Wettbewerb«, und wandte sich an Ruben. »Lieutenant?«

»1,86 m.«

Liv wickelte eine braune Strähne um den Finger, die sich aus ihrem Dutt gelöst hatte. »Noch eine Rivalitätsfrage … Sind Sie dick oder dünn?«

»Ich gehöre wohl zu den Dünnen.« Tamia schaute zu ihrer Freundin hinüber und ein Gefühl von Neid überkam sie. Yon war ihr nicht nur von der Körper-, sondern auch von der Körbchengröße überlegen. Das alles wäre nicht so schlimm, wenn sie nicht auch noch die schlankere Taille besaß und Beine wie eine Gazelle hätte. Mutter Natur war eine gehässige Frau.

»Ich wäre auch gerne breiter«, gab die Schwarzhaarige zu, die ihre Figur nicht zu schätzen wusste.

»Breiter?«, hakte Liv nach.

»Ja. Wie die Männer bei uns«, erklärte Yon und ihrem Gesichtsausdruck nach scherzte sie kein bisschen. »So ein labiler weiblicher Körper bringt nur Nachteile.«

»Sie können ja einsichtig sein«, bemerkte Ruben zynisch. 

Diese Kampfansage verstand auch Yon, die manchmal etwas schwer von Begriff war, und ihre Augen funkelten herausfordernd.

»Lieutenant?« Die Interviewerin erinnerte Ruben an die Frage. 

»Ich würde mich weder als dick noch als dünn bezeichnen. So ganz normal eben«, antwortete er schließlich. Ruben hatte ebenfalls ein verzerrtes Bild von sich selbst. Wenn der Durchschnittsmann ganz normal eben aussah, gäbe es das Problem vom Geburtendefizit nicht mehr.

»Nun eine weniger anstachelnde Frage«, fuhr Liv fort. »Welche Augenfarbe haben Sie?«

»Braun mit ein bisschen grünen Sprenkeln.« Tamia nahm einen Schluck Kaffee. 

»Schwarz«, sagte die Schwarze – was anderes sollte sie auch antworten? Bevor Tamia klugscheißen und ihr unter die Nase reiben konnte, dass Augen nicht schwarz sein könnten, fiel Ruben ihr dazwischen.

»Grün.«

»Das ist türkis«, korrigierte Tam. 

»Das ist Kupferacetat«, zischte Yon. »Umweltgefährlich, giftig, fungizid. Zum Glück bin ich kein Pilz.

»Das ist türkis. Wie das Meer in der Karibik!«, verteidigte ihn Tam.

»Das ist scheißegal!«, herrschte Ruben sie an. 

Obwohl Tam glaubte, sich an seine Art gewöhnt zu haben, zuckte sie bei seiner schroffen Antwort zusammen. Was er für ein Problem mit »türkis« hatte? Tamia bewunderte seine Augenfarbe und er machte sie dafür an.

»Was ist Ihr Lieblingsessen?« 

»Alles, was echt ist und nicht aus Pulver hergestellt ist!«, rief Yon.

»Dabei hätte ich gedacht, dass Sie Schwarzpulver fressen«, spottete Ruben.

Bevor jemand registriert hatte, dass Yon ihr Messer gezückt hatte, warf sie es drehend in die Luft und fing es wieder auf. Auf ihrem Mund ein scheinheiliges Lächeln, das eine schlimmere Drohung war als ihre Spielerei mit ihrem Khukri.

Tamia legte eine Hand beruhigend auf Livs Schulter, mit der anderen umschloss sie Yons Faust. Schließlich steckte diese ihr Buschmesser wieder in den Holster an ihrem Oberschenkel und Tam wandte sich der Interviewerin zu. »Ich mag Pizza. Pizza Hawaii.«

»Und Sie, Lieutenant?«

»Selbstgemachtes«, antwortete Ruben so kurz wie gewohnt.

»Auch Pizza?«, hakte Tam neugierig nach.

»Meinetwegen backe ich dir auch eine Pizza.«

Tamia schaute ihn von der Seite an. Ob er es nur nebenher gesagt hatte, um sie ruhigzustellen, weil er sie für ihr »türkis« angefahren hatte, oder meinte er es ernst?

Der nächste Punkt holte sie aus ihren Gedanken zurück: »Haben Sie schlechte Angewohnheiten?«

»Was ist denn das für ‘ne blöde Frage!«, stieß Tam hervor, immer noch davon betroffen, dass Ruben sie wegen der Augenfarbe angefahren hatte. 

»Könnten Sie bitte so kooperativ sein und die Fragen beantworten?«

Ruben griff an Tamias Kiefer und zog ihn herunter, sodass sie ihren Mund öffnen musste. In einer hohen Stimme antwortete er: »Ich bin ein vorlautes, freches Ding, das nicht die Klappe halten kann.«

Erbost schlug sie seinen Arm weg. »Und du bist ein griesgrämiger alter Sack, der nie mehr als zwei Silben auf einmal rausbringen kann!«

»Ach ja?« Genüsslich suhlte er sich in seinen beiden Wörtern, bevor er zurückschlug. »Und trotzdem steigst du mit mir ins Bett. Entweder hast du es echt nötig oder …«

Tamia drückte ihm die flache Hand ins Gesicht. »Mein Dildo ist besser als du.«

Liv versuchte ihr Schmunzeln unter Kontrolle zu bekommen und räusperte sich. »Sergeant Canaw. Eine schlechte Angewohnheit?«

Nachdenklich strich die Angesprochene mit dem Daumen und Zeigefinger über ihr Kinn. »Ist Töten eine schlechte Angewohnheit?«

»Man könnte sich darüber streiten«, mischte sich Tam ein, »ob Töten überhaupt eine Angewohnheit sei. Ich hätte lieber die nächste Frage.«

 »Wer interviewt hier eigentlich wen?« Liv hob ihre fein geschwungene Augenbraue und Tam entschuldigte sich brav – aber nicht weil sie etwas bereute, sondern weil es sich gehörte. Daraufhin sah Liv auf ihre Notizen und entschied erst mal für einen Schluck aus ihrer Teetasse. »Sind Sie … noch Jungfrau?«

»Was ist das denn für ein Interview?« Tamia schüttelte den Kopf.

»Schauen Sie mich nicht an!«, verteidigte sich Liv. »Beschweren Sie sich bei der Autorin.«

»Meine Biografie ist bei Animexx unter adult eingestellt. Reicht diese Antwort?« Mit einem dreckigen Grinsen im Gesicht strich Tamia sich die Haare zurück. Danach sah sie Yon an. »Nein, mit Händchenhalten verliert man seine Jungfräulichkeit … nicht.«

»Ich bin nicht Jungfrau«, entgegnete diese nüchtern. »Ich bin Skorpion.«

»Und was ist mit Ihnen, Lieutenant Sanchez?«

Der Offizier lehnte sich zu Liv hinüber und blickte ihr tief in die Augen, sodass diese errötete. »Was glauben Sie denn, meine Liebe?«

»Sind Sie verheiratet oder Single!«, stieß sie nervös hervor.

»Ist das die nächste Frage oder ein Angebot?«

Mit einem professionellen Lächeln rückte Liv den Kragen ihres Blazers zurecht. »Antworten sie auf meine Frage.«

Tam warf einen heimlichen Seitenblick zu Ruben. Sie war gespannt, wie er die Sache definierte, die zwischen ihnen war. Wenn sie weder Unterhaltung noch Date war, was war sie dann? Wollte er sie bloß kennenlernen oder wollte er mehr? Zu gern würde sie wissen, wie Ruben die Sache zwischen ihnen sah. 

»Noch bin ich Single«, antwortete er. »Aber …«

»Wer will Sie denn schon heiraten?« Die Schwarzhaarige zischte verächtlich durch die Zähne. Tamia hätte ihre Freundin erwürgen können. Wieso laberte sie dazwischen, wenn es spannend wurde? 

Ruben tippte auf Livs Notizblock auf die nächste Frage. »Vorlesen.«

Verdutzt von seiner entschiedenen Art, las sie ohne Widerspruch vor: »Gibt es irgendetwas Seltsames über Sie zu erzählen?«

Zeitgleich verschränkten Ruben und Yon die Arme und sprachen mit der gleichen nüchternen Stimme: »Nein.«

»Ihr beide …«, Tam zeigte erst auf die eine, dann die andere Nase, »seid euch so ähnlich. Kein Wunder, dass ihr euch hasst.«

»Lieutenant Sanchez frisst Hundebabys bei lebendigem Leib«, erklärte die Schwarze der Interviewerin.

»Sergeant Canaw entmannt ihre Partner nach dem Geschlechtsakt«, gab Ruben zurück. Da Tam in sich hinein kicherte, strafte er sie mit seinem eiskalten Blick. »Und du freches Biest hast gar nichts zu melden.« 

»Wirklich?« Sie strich ihm neckisch über die raue Wange.

»Tamia!«, zischte er mit hochrotem Kopf und einem Seitenblick zu Yon. Diese zarte Berührung schien ihm peinlich vor der anderen Soldatin zu sein.

Sie schlang ihre Arme um seinen Unterarm und rieb ihr Gesicht schnurrend an seiner Schulter. »Wenn ich aufhören soll, musst du mir noch ein paar Fragen beantworten, denen du immer ausgewichen bist: Hattest du überhaupt schon mal eine Freundin? Und von welchen perversen Vorlieben willst du mir nicht erzählen?«

»Lass los!«

»Sie vergessen das Wörtchen Bitte ziemlich häufig.« Mit höflicher Stimme, aber auch mit einem schelmischen Blitzen in ihren hellen Augen erinnerte Liv den Offizier an die sozialen Normen. »Nun erzählen Sie schon. Die Leser und Leserinnen sind sicherlich neugierig.«

»Ich hasse neugierige Gören.« Zwischen seinen Augenbrauen bildete sich eine tiefe Furche und er machte den Eindruck, als wolle er nicht nur hilflose Hundewelpen, sondern auch zierliche Interviewerinnen reißen. Wenn es einen Orden für grimmige Gesichter gäbe, würde seine Uniform so vollgeklebt sein, dass kein Stück Stoff mehr sichtbar wäre.

Jedoch wusste Tam, dass er sich bedrängt fühlte und übernahm das Wort: »Ich bin schon ziemlich seltsam. Ist das verwunderlich? Yon und ich – eigentlich alle Soldaten, die aus Tasmanien und Afrika stammen – haben einige Macken mehr als andere …«

Sie pustete lässig eine Strähne aus ihrem Gesicht, um zu überspielen, wie angespannt sie war, als sie Rubens Hand warm auf ihrem Oberschenkel spürte. Verwundert schaute sie zu ihm hoch. Für einen winzigen, zerbrechlichen Moment erschien das Grübchen neben seinem Lächeln und verschwand wieder, bevor die anderen beiden Frauen etwas bemerkten. »Ich war fünfzehn, als ich im Waisenhaus aufgenommen wurde und zur Soldatin ausgebildet wurde …«

»Es klingt vielleicht cool, wenn ich sage: Ich bin Scharfschütze. Ein niedliches, blondes Mädchen mit ‘nem fetten Gewehr … Das mag vielleicht für Filme und Comics mit diesen toughen Frauen stimmen.« Tamia nahm einen Löffel aus dem Glas auf dem Tisch und rührte ihren Kaffee um, obwohl sie ihn ohne Milch und Zucker trank. Dann sah sie der Interviewerin in die Augen. »Ich kämpfe nicht fürs Vaterland. Ich bin Söldner, ich kämpfe für Geld. Ich bin nicht mal mitten im Geschehen. Ich hocke im Verborgenen und lauere meinen Feinden auf. Männern und Frauen. Vielleicht hatten sie ein großes Lebensziel oder Kinder oder …« Tamia seufzte. »Töten ist scheiße. Krieg ist scheiße. Wenn ich könnte, wäre ich schon längst weg.«

Unangenehm berührt vom bedrückten Schweigen, stand Liv auf. Sie goss Kaffee nach und legte jedem ein sternförmiges Plätzchen mit Marmeladenklecks auf die Untertasse. Tam schnippte den Keks in die Luft und fing ihn mit dem Mund auf. Puderzucker rieselte von ihren Lippen.

Yons und ihr Tactical Communication Device, welches sie am Unterarm trugen, piepten. Tamia sah zu Ruben hinüber und bemerkte erst jetzt, dass sein Display sich dunkel getönt hatte und er Informationen studierte.

Die Schwarzhaarige stand auf und verabschiedete sich von Liv Sterling. Dann stellte sie sich vor Ruben stramm hin und salutierte, bevor sie aus dem Raum eilte. Wenn es um einen Einsatz ging, handelte Sergeant Yon Canaw tadellos.

Liv schaute auf ihren Fragebogen, dessen Punkte nur bis zur Hälfte beantwortet worden waren. »Vielen Dank für das Interview.«

»Hat uns gefreut, sie kennengelernt zu haben.« Ruben reichte ihr die Hand. Danach wandte er sich zu Tam. »Abtreten.«

Ohne sich umzudrehen, eilte sie zum Waffenlager. Und somit war auch der einzige freie Tag hin.

Kapitel 7 ― Ohne Regen kein Regenbogen

Zwischen rostroten, gelben und grünen Seefrachtcontainern kauerten Tam und ihr Partner. Über ihnen schimmerte der Mond hinter einer Wolkendecke und unter ihnen reihten sich im Licht der Hafenbeleuchtung lange, flache Lagerhallen. Auf dem gegenüberliegenden Pier luden himmelhohe Portalkrane Waren auf ein Feederschiff.

Die kühle Brise zerzauste Tam das Haar. Sie band es zu einem festen Zopf, damit keine lose Strähne sie bei der Arbeit störte, und atmete tief die Meeresluft ein, die trotz des fischigen Geruchs angenehmer als die flirrende Hitze in Arizona war. 

Es war bereits das dritte Mal seit sie vor zwei Monaten in der Spezialeinheit aufgenommen wurde, dass die International Combat Support Corporation Ziel eines Angriffs geworden war. Als Militärfirma nahm die ICSC Aufträge an, um sowohl Staaten als auch privaten Organisationen, denen es an militärischen Kräften fehlte, zu unterstützen. Personenschutz, Geiselbefreiung, Kampf gegen Terrorismus oder organisierte Kriminalität und Arretieren von Verbrecherbanden gehörten zur Tagesordnung. Daher war ein Einsatz wie heute, bei dem die eigenen Leute angegriffen wurden, ein Verlustgeschäft für die Firma: keine zahlenden Auftraggeber, aber jede Menge Ausgaben. Zum Glück waren diesmal nur Güter abhandengekommen.

»Meine süße Tee-Tee sieht richtig gefährlich aus«, neckte Nathan, der ihr diesen Spitznamen verpasst hatte, nachdem sie ihn immer wieder Nay-Nay genannt hatte.

Tam positionierte ihr Scharfschützengewehr und legte sich breitbeinig dahinter. »Ich hab ja auch eine fette Waffe in der Hand, mit der ich dir aus fünf Kilometern Entfernung dein Hirn aus’m Schädel pusten kann.« Sie spürte durch ihre Handschuhe die Wärme ihrer Waffe, während sie sich vibrierend auflud.

»Ich meinte deine Frisur.« Nathan kreiste auf seinem Display die Personen ein, die er geortet hatte, und schickte die Bilder auf ihres. »Normalerweise erkennt man unter dem ganzen blonden Gewuschel nicht, dass da alles wegrasiert ist – sehen wie normale Hafenarbeiter aus. Werde sie im Blick behalten.«

Tam hörte die Schlagworte »blondes Gewuschel« und »wegrasiert« und fuhr hoch. Sie erinnerte sich an jeden Millimeter seines siegessicheren Grinsens, das sie gar nicht mehr so boshaft empfand – nun fand sie es sogar charmant? Es war nun zwei Wochen vergangen, dass er ihr erlaubt hatte, ihn beim Vornamen zu nennen, dennoch kam es ihr holprig über die Lippen, als sie seinen Namen flüsterte: »Ruben«. Der Wind frischte auf. Wolken rauschten über ihnen hinweg.

»Was hast du gesagt?«

»Sie sind da!«, lenkte Tam ab. Sie zeigte auf den von weitem anfahrenden Jeep und hoffte die Peinlichkeit übergehen zu können. 

Dann stieg er aus. Obwohl er wie alle anderen Soldaten in dem schwarzen Kampfanzug steckte, erkannte sie ihn sofort an seiner Haltung und an seinem festen Schritt. Schnell zoomte Tam näher an sein Gesicht heran, bevor er sich den Helm aufsetzte. Sein harter Ausdruck, als er Befehle an seine Männer gab, ließ sie aufseufzen.

»Tee-Tee!«

»W-was?« Blut rauschte ihr in die Wangen. Ihr und Nathans Display waren miteinander verbunden, daher sah er ebenfalls, was sie sah.

»Konzentriere dich!«, fuhr Nathan sie an. »Und stöhn nicht so. Onanieren kannst du, wenn wir wieder zurück sind.«

»Ich bin ’ne Frau.« Ein Regentropfen fiel auf ihre Nase. Sie wischte ihn nicht weg, da ihre Hände fest das Gewehr umklammerten.

»Macht es einen Unterschied? Mann, Frau, … wir sind alle Men–«

»Hör auf zu sülzen!« Tam hatte keine Lust auf Diskussion über Liebe und Gleichberechtigung. Sie konzentrierte sich auf die Ausgänge des Zielobjektes, der Lagerhalle, in dem die gestohlene Warenladung geortet worden war. Gemeinsam mit Nathan und zwei weiteren Sniper-Teams war ihre Aufgabe, den Soldaten den Rücken zu decken, während diese die Halle stürmten und die Feinde festnahmen. 

Hinter den Stahlwänden bewegte sich nichts, das sie mit dem Infrarot-Modus ihres Displays erfassen konnte. Die Feinde trugen wahrscheinlich wärmedämmende Kleidung, daher konnte Tam sich lediglich auf den Funk ihrer Kameraden und ihres Kommandeurs verlassen.

Dicke Tropfen klatschten auf die Stahlcontainer und auf die Wege, hinterließen schwarze ausgefranste Punkte. Nathan fluchte: »Das stand nicht im Wetterbericht!«

»Hast wohl vergessen von Arlington auf Keelung umzuschalten«, sagte Tam zynisch.

»Ich meine es ernst!«

Obwohl ihre Augen auf den Ausgang gerichtet waren, hörte sie an seinem Ton, dass er die Nase rümpfte. Das tat Nathan, wenn er wirklich angepisst war.

Lieutenant Sanchez’ Kommando erklang über den Transducer direkt in ihr Ohr. In Dreiertrupps stürmten die Soldaten das Lagerhaus.

Nathan fummelte an seinen Kopfhörern. »Ich hör nichts …«

Dies war aber keine technische Störung. Es gab nichts zu hören: kein Knallen von explodierenden Geschossen, kein Krachen von harten Materialien, nicht einmal erschrockene Ausrufe.

Tamias Herz pochte wild, sie erinnerte sich an den Zwischenfall in Chiang Mai. Damals hatten sich die Soldaten aufgeregt, ohne ersichtliche Aufgabe in Thailand stationiert worden zu sein. Tagaus, tagein hatten sie sich die Zeit im Lager totgeschlagen oder waren für ein kurzweiliges Vergnügen in die Stadt spaziert. Man hätte den Auftraggeber kontrollieren müssen, hatte man in den oberen Rängen der Militärfirma gesagt. Bis heute fühlte sich niemand dafür verantwortlich. 

»Nichts!«, ertönte ein Kamerad durch den Funk. »Hier ist niemand.«

Kalter Wind pfiff zwischen den Containern hindurch und kroch Tamia in den Kragen. Hagelkörner prasselten auf sie nieder. In ihren Erinnerungen gefangen, starrte sie auf die anschwellenden Fluten im Hafenbecken.

 »Die Kisten sind leer.« – »Versteh ich nicht …« – »Verdammt, was soll das? Wurden wir etwa …?« Verwirrte Stimmen mischten sich mit dem peitschenden Sturzregen – in dem Aufruhr der Befehl zum Rückzug. Nun verstanden alle, dass sie in einen Hinterhalt gelockt worden waren. Im Nachhinein war man immer schlauer, gegebenenfalls tot.

Harte Regentropfen schlugen ihr gegen das Gesicht. Tam spürte den warmen Rücken ihres Partners an ihrem, während sie erneut das Hafengelände nach feindlichen Einheiten kontrollierte. Es brauchte lediglich eine einzelne Person im Verborgenen stehen und mit einem Raketenwerfer auf die Lagerhalle schießen, in der ihre Kameraden herumwuselten – nein, es genügte eine einzige Sprengladung im Lager, um das gesamte Team auszulöschen. 

»Weg hier!« Nathan packte Tamia am Handgelenk.

Die Finger fest um das Gewehr geschlossen, stemmte sie sich gegen den heulenden Wind, der ihre Haare aus dem Zopf riss und gegen ihr Gesicht peitschte. Solange sie es vermochte, würde sie hier stehen bleiben und jedem Arschloch, das sich meuchlings an ihre Kameraden heranmachte, die Rübe wegblasen. 

Nathan schnappte zornig mit dem Mund, doch der Sturm verschlang sein Gebrüll. Obwohl sie in seinem Griff zappelte und weiterhin die Stellung halten wollte, zerrte er sie mit sich. Als Tam die bedrohliche Lage verstand, als sie verstand, dass sie weggespült werden würde, gab sie nach und folgte ihrem Partner. 

Sie sprangen auf den unteren Container, von dort aus auf den Boden und rannten über den Platz. Das Wasser spritzte bei jedem Schritt bis zu den Knien, der Regenschleier nahm ihnen die Sicht. Über den überfluteten Asphalt rutschten die Fahrzeuge, die zu nah am Kai geparkt hatten. Sirenen heulten, Schiffe tanzten ungestüm auf den Wellen. Die Soldaten rannten auf die Mannschaftstransporter zu, die mit laufenden Motor darauf warteten, bis alle Männer eingestiegen waren. 

Lieutenant Ruben Sanchez stand neben der Heckklappe des Transporters. Er klappte das Visier hoch, um besser sehen zu können, was in diesem Hafen geschah. Während er dem Funk lauschte, legte sich sein Gesicht in Zornesfalten. »Die Güter haben das Lager nie verlassen und unser System wurde gehackt?«, brüllte er in den Transducer – aus Wut, oder um gegen die tosenden Fluten anzukommen. 

»Einzelne Person oder kleine Gruppierung« und »umprogrammierte Wolkenimpfer«, hörte Tam die Schlagworte. Dieses Desaster war kein Zufall, es war eindeutig eine Kriegserklärung an die ICSC. Tam blieb neben Ruben stehen, als Nathan ins Innere des Transportflugzeugs flüchtete.

Regen rann über Rubens Gesicht und spülte seine Verbitterung davon. Übrig blieb nur noch stille Resignation. Vorsichtig legte Tam ihre Hand auf seinen Unterarm, dann lief sie hinein. Sie glaubte, gesehen zu haben, dass seine müden Mundwinkel sich für einen winzigen Augenblick gehoben hatten. Ob es ein Versuch gewesen war, sie anzulächeln? Selbst wenn es nicht so war, hatte er sie zumindest wahrgenommen.

 

Der Tag nach einem Einsatz war dienstfrei. Da Tam trotzdem vom morgendlichen Weckruf um vier Uhr aus dem Bett geschmissen wurde und danach nicht mehr einschlafen konnte, machte sie sich einen gemütlichen Vormittag. Als Soldatin kam sie selten dazu, sich ausgiebig um ihr Aussehen zu kümmern, daher nutzte sie jede Gelegenheit, um dies nachzuholen. Nach der Körperpflege zog sie sich Zivilkleidung an und gerade als sie sich die Hände gewaschen hatte, um sich die Nägel zu lackieren, klopfte es an der Tür. Unweigerlich sprang Tam auf, fuhr mit den Fingern grob durch die Haare und zog ihre Jeans etwas tiefer, damit sie lässig auf den Hüften saß.

»Herein!«

Die Tür ging auf und ein weibliches Gesicht schaute ins Zimmer.

»Ach, du bist es nur …« Tam ließ sich zurück ins Bett fallen. So illusorisch es auch war, sie hatte gehofft, dass Ruben käme.

»Hast du schon gefrühstückt?«, erkundigte sich Yon.

»Nope.« 

»Schade. Ich wollte fragen, ob wir gemeinsam trainieren.«

»Erstens: An einem freien Tag? Und zweitens: Mit dir?« Tamia hätte wissen müssen, dass Yon nicht vorhatte, mit ihr Essen zu gehen. Die Schwarze wollte sich bloß erkunden, ob Tam genug Kalorien zu sich nahm. Beim Sport machte sie neben Yon eine echt lächerliche Figur und das brauchte sie sich nicht geben. 

Demonstrativ schnappte sich Tamia die Nagellackflasche vom Nachttisch und schüttelte sie. Tam liebte den regenbogenfarbenen Lack. Er schillerte je nach Lichteinfall in verschiedenen Nuancen. Yon zog einen Stuhl hervor, drehte ihn um und setzte sich rittlings an den Tisch. Die Gute ahnte wahrscheinlich, dass es länger dauern würde. 

»Täte dir gut.«

»Danke schön!«, zischte Tam. Die Aussage ihrer Freundin war gleichzusetzen mit »Du bist nicht in Form« und körperliche Fitness war für sie die Quintessenz des Lebens. Daraus ließe sich wiederum die Bedeutung »Du bist scheiße« ableiten.

»Ich meinte ja nur, dass du ein bisschen aufbauen solltest …«

»Ich weiß, die Männer machen mich im Training fertig, aber ich bin nun mal Scharfschütze, kein Nahkämpfer!«, empörte sich Tam. Dann huschte ein fieses Grinsen über ihr Gesicht. Sie öffnete den Nagellack und rührte gemütlich in der Farbe, streifte den Pinsel gründlich am Rand ab, bevor sie sich dem ersten Nagel widmete. Die Flasche verschloss sie nicht, da sie wusste, dass Yon den Geruch nicht leiden konnte.

»Das machst du extra.« 

»Du hast auch extra mich gefragt, obwohl du weißt, dass ich Boxen nicht sonderlich mag.« In der Tat verstand Tam nicht, wieso Yon das nicht verstehen wollte. Anscheinend genügte das gleiche Geschlecht nicht, um innerhalb von zweieinhalb Monaten zusammenzufinden.

»Lackier mir die Nägel!« Die Schwarze hielt ihr die flachen Hände hin und funkelte mit tödlich schwarzen Augen. 

Erschrocken wich Tam zurück, bis sie verstand, dass dies Yons Art war, Frieden zu schließen. Kichernd setzte Tamia sich an den Tisch. Während sie sorgfältig den regenbogenfarbenen Lack auftrug, rang sie mit sich selbst und schließlich brachte sie hervor: »Sag mal, … wie ist es eigentlich, mit einem Offizier zusammen zu sein?«

»Warum fragst du?« Yon löste ihren konzentrierten Blick von den Fingernägeln. »Du meinst doch nicht, dass du …«

»Dass ich was?«, hakte Tam nach, obwohl sie den Rest des Satzes erahnen konnte.

»Du willst doch nicht mit …« 

»Du darfst seinen Namen ruhig aussprechen. Er ist nicht Voldemort!« Beleidigt verschränkte Tam ihre Arme. »Beim letzten Mal klang es noch so, als würdest du mich unterstützen!« 

»Sorry, ich kann diesen Kerl nicht leiden.«

»Hast du nicht großspurig behauptet: Wer mich nicht so nimmt, wie ich bin, dem trittst du in die Fresse?«

Zerknirscht nahm Yon das Fläschchen und versuchte mit der Zunge zwischen den Lippen, die restlichen drei Nägel ihrer rechten Hand zu bepinseln. Eine Weile sah Tamia ihr dabei zu, dann stand sie kopfschüttelnd auf und kramte in einer Schublade nach Nagellackentferner. 

Während sie den Farbunfall auf Yons Fingern korrigierte, fing diese an zu erzählen: »Es fühlt sich so an, als wäre man gar kein Paar. Selbst wenn man ein Unteroffizier ist, geht man getrennte Wege im Alltag. Die Pausen sind kurz, außerdem hängen die Offiziere in deren Kasino ab und wir Mannschaften in unserer Kantine. Es bleibt nur das Wochenende … Und wenn nicht mal das geklappt hat, haben wir uns manchmal sogar vor dem Tagesdienst getroffen.«

»Um vier Uhr in der Früh?«, stieß Tam erstaunt hervor. »Das ist ja der Overkill!«

»Wenn man sich unbedingt sehen will, tut man so unvernünftiges Zeug.« Yon rieb sich mit dem Handrücken über die Augen und seufzte. »Es kam trotzdem vor, dass ich mitten beim Date sitzen gelassen wurde. Mir war klar, dass er als Captain der Kompanie immer springen musste, wenn was geschieht … trotzdem hat es wehgetan.« 

Tam sah ihre Freundin, die auf ihre schillernden Nägel starrte, verwundert an. Die eiskalte Soldatin, die keine Gefühle an sich heranließ, war verletzlich. »Was soll ich tun?«, fragte Tam mehr sich selbst als ihre Freundin. 

Yon zuckte mit den Schultern. »Ich stecke nicht in deiner Haut. Meine Lösung ist nicht deine.«

»Du hast recht.« Entschlossen sprang Tam auf, und als Yon sie mit hochgezogenen Brauen ansah, wedelte Tam mit ihren gespreizten Fingern. »Musst so hier machen. Trocknet besser.« Dann ließ sie Yon sitzen.

 

Selbst ist die Frau! Zwei Wochen waren vergangen, nachdem sie Ruben mit weit aufgerissenen Augen an der Straße vor seiner Wohnung stehengelassen hatte, und in diesen zwei Wochen kam keine einzige Reaktion. Wie sollte sie erfahren, ob ihr eigenmächtiger Kuss eine Missetat gewesen war? Ganz einfach: Sie musste ihn fragen.

Unschlüssig schlich Tam vor dem Offizierskasino herum und hoffte, dass sie ihn zufällig traf, und gleichzeitig wünschte sie sich das Gegenteil. Die Offiziere verließen die Kantine und kehrten in das Bürogebäude oder die Lehrräume zurück. Ruben war nicht unter ihnen. Dabei war sie sich sicher, dass dieses Arbeitstier auch an seinem freien Tag vor seinen Akten hockte. 

Tam schaltete den Stalker-Modus ihres Displays an und blickte durch die Wände in sein Büro. Obwohl sie nur sein Wärmebild sah, war es unverkennbar seine Statur, sein Gang, seine Gestik. Ruben lief energisch auf und ab, wischte mit den Händen in der Luft – wahrscheinlich sah er sich Informationen an oder bearbeitete diese. Ruckartig blieb er stehen und schlug gegen die Wand. Dann fiel er in seinen Sessel zurück und stützte den Kopf in die Hände. Es tat ihr leid, ihn so zu sehen. Nicht nur wegen des verpatzten Einsatzes hatte er zusätzliche Arbeit mit der Nachbereitung, er schien auch persönlich davon getroffen zu sein, dass ein Fehler unterlaufen war.

»Hey, Tam. Kommst du mit raus?« Nathan, der mit seinen Kameraden aus dem Speisesaal kam, legte einen Arm um ihre Schulter und zerzauste ihr die Haare.

»Ich … ich habe noch gar nichts gegessen.«

»Dann solltest du dich beeilen. Du hast noch zwei Minuten.«

»Ach, verdammt!« Tam entfernte seine Hand aus ihrer Frisur. Wo war der ganze Vormittag hin und wieso waren nicht einmal ihre Nägel lackiert? »Ich hab keinen Bock, für ’n Frühstück in die Stadt zu laufen.«

»So wie der da.« Jarrett Young, ein Soldat, den Tam von Anfang an nicht leiden konnte, wies durch die Glastür zum Innenhof, wo Ruben entlanghetzte. 

»Hey Tee-Tee. Ich fahre dich.« Nathan forderte sie auf, ihm zum Parkplatz zu folgen.

Da sie immer noch vor dem Eingang der Kantine standen, steuerte Ruben direkt auf sie zu. Tamia trat einen Schritt vor, wollte in ansprechen, aber er winkte sie energisch beiseite und verschwand hinter der Tür. Sie hörte ihn mit einer Mitarbeiterin diskutieren, die ihm stotternd verständlich machen wollte, dass er zu spät käme und die Küche bereits geschlossen war.

»Haha, geschieht ihm recht!«, feixte Jarrett.

»Er hat eben gearbeitet …« Tam schaute über die Schulter in die Richtung der Kantine, während Nathan seine Hand um ihre Hüfte legte, um sie hinauszuführen.

»Selbst schuld, wenn er zu dumm ist, um den Einsatz ordentlich vorzubereiten.«

»Er kann nichts dafür!«, fauchte sie.

»Was bist du denn so zickig? Hast du deine Tage?« Der Soldat grinste breit.

»Halt die Fresse!« Tamia flippte generell schnell aus – vor allem, wenn sie ohnehin schlecht gelaunt war. Jedoch gab es Themen, die sie selbst im ausgeglichenen Zustand in Rage brachten, und dazu gehörten die weiblichen Körperfunktionen.

Jarrett prustete ein herablassendes Lachen aus. »Was bist du plötzlich auf seiner Seite? Bist du etwa in Sanchez verknallt?«

Kreischend ging Tam auf ihn los, aber Nathan hielt sie fest und schleifte sie auf den Parkplatz. Die Hand an ihrem Nacken zog er sie an sich heran und drückte sie an seine Brust. »Was ist los? So kenne ich dich gar nicht.«

»Sorry, ich bin furchtbar gereizt … er geht mir nicht aus dem Kopf.« Tag und Nacht drehten ihre Gedanken um eine einzige Person. Manchmal, wenn es still in ihrem Zimmer war, glaubte sie, seine zweisilbigen Befehle zu hören. »Nay-Nay, ich bin verknallt.«

»Bist du dir sicher, dass du es nicht nur willst, weil er ein Bad Boy und schwer zu haben ist?«, grübelte ihr Partner.

»Dann würde es mir doch reichen, ihn einmal gehabt zu haben, oder?« Tam schlang ihre Arme um seinen Rücken. »Ach, ich weiß es nicht … Jedes Mal, wenn ich ihn sehe, schreit mein ganzer Körper vor Sehnsucht. Ich will ihn. Mit allem Drum und Dran. Ich will in seinen Armen liegen. Ich will mit ihm Zärtlichkeiten austauschen. Ich will ihn lachen hören. Ich will sein Grübchen sehen.« Sie erinnerte sich, wie er auf dem überfluteten Hafengelände gestanden hatte und der dreckige Regen über sein Gesicht geronnen war. »Ich will ihm beiseite stehen. Ich will, dass er mich braucht.«

Tam seufzte tief, als könnte sie damit ihre Sorgen wegpusten. Ein paar gemeinsame Stunden führten noch lange nicht zu einer Beziehung, darüber hinaus glaubte sie nicht, dass Ruben und sie eine gemeinsame Basis für eine Partnerschaft finden würden. »Könntest du nicht auf Frauen stehen? Dann hätte ich mich bestimmt in dich verliebt«, flüsterte sie in Nathans Hemd.

Ihr Partner kicherte leise in sich hinein, bevor er sie auf den Scheitel küsste. »Lass dir einen Schwanz wachsen und wir können …« Er schaute auf. 

Tam folgte seinem Blick und drehte sich um. Vor dem Eingang zur Kaserne stand Lieutenant Sanchez und beobachtete sie mit erhobenen Augenbrauen. Unangenehm berührt löste sie sich von Nathan. »Ruben …«

Der Offizier öffnete seinen Wagen per Kopfdruck, die Scheinwerfer leuchteten auf und die Zentralverriegelung klackte, bevor er über den Parkplatz stolzierte. Vor Tamia machte er halt und durchbohrte sie mit seinen leuchtenden Augen. »Wir sprechen uns.«

Kapitel 8 ― Verstehe einer die Frauen

Ruben trat das Gaspedal durch, der Motor heulte auf und die Reifen quietschten. Mit Karacho heizte er über den Parkplatz. Die Klimaanlage gab ihr Bestes, um das tropische Klima in diesem Fahrzeug auf eine erträgliche Temperatur zu bringen. Aber da Ruben mit seiner rasenden Wut entgegenarbeitete, surrte die Lüftung nutzlos vor sich hin.

Er hatte zwar kein Problem damit, an seinen freien Tagen in der Firma anzutanzen, aber das Meeting war reinste Zeitverschwendung gewesen. Seine Vorgesetzten, die sich anscheinend den Rang erkauft hatten, begriffen die ernste Lage nicht. Sie schwenkten ihr Weinglas, genossen die Aussicht auf die blaue Erde und laberten so pathetisch daher wie Anführer einer Sekte, anstatt auf die Ursache des misslungenen Einsatzes einzugehen. 

Es ging nicht um läppische Fehler. Es ging darum, dass eine kleine Gruppierung, denen es an modernen Waffen und Technologie, mit wenigen Experten ein weltweit agierendes Militärunternehmen den Hinterhalt locken konnte. Immer wieder.

Wahrscheinlich war dies den Generälen auf der Mondbasis egal. Wahrscheinlich waren die Soldaten für sie bloß austauschbare Schachfiguren. Schachfiguren für das Machtspiel zwischen der ICSC und den Rebellen. Das Einzige, was Ruben für seine Männer tun konnte, war, sie hart ranzunehmen, damit sie im Gefecht auf sich selbst aufpassen konnten.

Ruben bremste scharf, weil ein bescheuerter Soldat ihm vor den Wagen lief. Im Kofferraum rumpelten Reserverad und Verbandskasten, eine Flasche, die jemand auf der Heckablage vergessen hatte, wirbelte nach vorn und knallte gegen das Handschuhfach.

»Haste keine Augen im Kopf?«, brüllte der Soldat und wedelte mit der Faust.

Ruben ließ die verdunkelte Fensterscheibe herunter und schenkte seinem Gegenüber, der die Ärmel hochkrempelte und sich auf handfeste Argumente vorbereitete, ein breites Lächeln. Der Soldat zuckte zusammen, stellte sich stramm hin und stammelte irgendetwas von einem guten Morgen. Ruben hatte sich bereits von ihm abgewandt und warf einen Blick über die Schulter durch die Heckscheibe, um zurückzusetzen, … und sah Tamia. Diese schaute erschrocken in seine Richtung und an ihrem Arsch klebte immer noch die Hand von dem Kerl mit der Schmalztolle. Schnell justierte Ruben den Rückspiegel, um die beiden nicht mehr ertragen zu müssen, und fuhr los.

Der Wagen donnerte durch die Auffahrt, ohne dass der Wachmann ihn aufhalten konnte, und bog auf den Privatweg. Statt das Tempo zu drosseln, trat Ruben das Gaspedal durch und benutzte diesen Weg, der nicht für eine höhere Geschwindigkeit gedacht war, als Beschleuningungsstreifen auf die Hauptstraße. Dort reihte er sich in den Verkehr ein und schaltete die Automatik an – es mussten ja nicht Unbeteiligte durch seine schlechte Laune zu Schaden kommen.

Die Ampel sprang auf gelb und der Wagen hielt automatisch an, obwohl es noch eine Fünftelminute dauerte, bis sie rot aufleuchtete. Ruben nahm dies zum Anlass, um in hässliche Fluchtiraden auszubrechen. Er war stinkwütend. Aber nicht, weil das Meeting schlecht gelaufen war. Nicht, weil Tamia sich an Rowe geschmiegt hatte – dieser Soldat war ihr Partner und vor allem so warm wie das Wasser in der Flasche unter dem Beifahrersitz. Er war stinkwütend, weil er nichts gegen seinen unbändigen Zorn tun konnte. Tamia war eine erwachsene Frau, die selbst bestimmte, was sie tat – sei es, ob sie mal bei dem einen im Arm lag oder sich mal von einem anderen begrabschen ließ. Ruben hatte kein Recht, sie für sich zu beanspruchen. Vor allem nicht, wenn er keine Affäre oder gar Beziehung mit ihr anfangen, sondern lediglich ein paar nette Stunden mit ihr verbringen wollte.

 

Ruben parkte in der Tiefgarage des Wohnhauses – dort, wo kein einziger Sonnenstrahl eindrang. Bevor er ausstieg, schnappte er sich die Mineralwasserflasche, die während der Fahrt hin- und hergeschüttelt worden war und nun gefährlich brodelte. Er sah sie skeptisch an. Wer von ihnen wohl als Erstes überschäumen würde? 

Energischen Schrittes begab er sich in den Aufzug und hämmerte auf den Knopf. In diesem Moment kam ein junger Mann angerannt, aber als dieser Ruben erblickte, hielt er mit erschrockener Miene an und zeigte durch eine Handbewegung nach hinten, dass er noch auf jemanden warten würde. Ruben zuckte gleichgültig mit den Schultern, und nachdem die Tür sich zugeschoben hatte, sah er sich in der spiegelnden Metalloberfläche. Verbissen, aggressiv, hässlich. Mit so einem Menschen, vor dem selbst die eigene Mutter Angst hatte, würde er auch nicht fahren wollen. 

In der Wohnung angekommen, wechselte er die Uniform gegen eine Jogginghose und ein ärmelloses Shirt, dann verdrückte er einen geschmacklosen Energieriegel – sein Ersatz für das Frühstück. Er setzte sich das Display auf und verband es mit der privaten ID seines Organizers. Statt eines Pop-ups mit einer Nachricht von höchster Priorität überfluteten leichtgekleidete Damen mit anzüglichen Sprüchen seine Retina. Entnervt schob er die Weiber beiseite. Er brauchte definitiv einen besseren Werbeblocker!

Endlich verließ Ruben die Wohnung. Da dieses Wohnhaus außer der Feuerleiter keine Treppen besaß, musste er auf den langsamen Fahrstuhl warten. Die Tür ging auf und gab die Sicht auf den gleichen Jugendlichen von vorhin frei. Als dieser Ruben erkannte, zog er das Basecap ins Gesicht und huschte an ihm vorbei. Ruben lachte laut. Was für eine Lusche! 

Gemächlich joggte Ruben zum Park hinüber, in dem sich die sportbegeisterten Menschen tummelten. Junge Leute heizten sich gegenseitig auf dem Basketballplatz an, Skateboarder übten am Treppengelände um den Brunnen ihre Kunststücke, vereinzelt keuchten Jogger auf dem dafür angelegten Weg. Auch die Sprinkler arbeiteten eifrig und spuckten im Sekundentakt Wasser über die Pflanzen, die in diesem Breitengrad ansonsten innerhalb eines halben Tages eingehen würden.

Ruben rannte los. Er versuchte, sich auf die Atmung zu konzentrieren und die Umgebung auszublenden, aber die Eindrücke um ihn herum schlugen auf ihn ein, wie er normalerweise auf den Sandsack eindrosch. Auf der Wiese hüpfte ein Hund kläffend um seinen Besitzer. Vor dem Brunnen saßen zwei alte Männer auf der Bank und meckerten lautstark über die Penner in diesem Park. Eine Mutter beobachtete telefonierend den stahlblauen Himmel, während sich das Baby aus dem Kinderwagen lehnte, um an das heruntergefallene Spielzeug heranzukommen. Ruben stellte sich darauf ein, auf das Kind zuzuspringen und es aufzufangen. Zum Glück hatte die Mutter das Kleine bereits zurückgezogen, mit einem schnellen Griff den Beißring aufgehoben und ihn an ihrer Hose abgewischt. 

Ruben beschleunigte sein Tempo. Vielleicht konnte er sich körperlich so sehr verausgaben, dass kein Sauerstoff mehr fürs Gehirn übrig blieb. Und tatsächlich – umso mehr Lunge und Muskeln brannten, desto weniger brannte seine Wut.

Nach einer knappen Stunde, und nachdem er das Modekatalog-Duo, das eher spazieren ging als joggte, zum vierten Mal überrundet hatte, hielt er an einer Parkbank an und dehnte die Beine an der Lehne. Die beiden in Blau und Rosa gekleideten Frauen holten ihn nach einer Weile ein und ließen sich auf der Bank ihm gegenüber nieder. 

Ob er sogleich die zweite Laufeinheit beginnen sollte? Gedankenversunken zog Ruben den unteren Zipfel seines Shirts hoch und wischte sich damit über die Stirn. Auf der anderen Bank kicherte es. Er blickte hinüber und die Modepüppchen wandten sich hastig von ihm ab.

Tut mir leid, dass ich so barbarisch meine Kleidung benutze und nicht wie ihr mir mit den schneeweißen Schweißbändern das feuchte Näschen abtupfen kann. Plüsch kommt mir nicht ans Handgelenk! Demonstrativ wischte er mit dem Shirt das Gesicht ab, bevor er es auszog und zum Trocknen über die Bank hängte. Die Beine von sich gestreckt, fläzte er sich hin, legte Nacken und Arme auf die Lehne, und schloss die Lider. Sollten sie doch lästern, von den Soldaten war er Schlimmeres gewohnt.

Die Vormittagssonne brannte auf ihn nieder, aber heute war er zu träge, um sich in den Schatten zu setzen. Er ignorierte die regen Stimmen der Menschen und lauschte dem säuselnden Brunnen. Bald darauf knirschte der Kiesboden vor ihm. Ruben öffnete ein Auge und das auch nur bis zur Hälfte. Enge weiße Shorts mit rosa Streifen an den Seiten, ein Tanktop im gleichen Rosaton, ein gebräunter Arm, der Ruben ein Papiertaschentuch in die Hand drückte. Die Frau rannte zu Babyblau zurück und tuschelte mit dieser.

Was sollte er damit? Seinen verschwitzten Nacken abwischen? 

Ein zerkauter Tennisball rollte unter der Bank hindurch zwischen seine Turnschuhe. Sofort kam der Hund angewetzt und drängelte sich zwischen Rubens Beine, um nach dem Ball zu schnappen. Dann kam sein Herrchen angehechelt. »’Tschuldigung.«

Anstatt darauf einzugehen, beäugte Ruben mit gerümpfter Nase das Taschentuch zwischen seinem Daumen und Zeigefinger. Ach nein. Da stand mit pinkem Lippenstift eine Nummer aufgeschrieben. Verstehe einer die Frauen.

Der Hundebesitzer bemerkte Rubens verständnisloses Gesicht und erklärte: »Du sollst ihr schreiben.«

Ruben warf einen Blick zu den beiden Joggerinnen, die ungeduldig auf der Parkbank saßen und seine Reaktion beobachteten. »Was denn?«

»Na, dass du sie treffen willst.« Der Mann klopfte dem Labrador den Hals.

»Und wenn ich es mir noch überlegen will?«

»Innerhalb von zwei, drei Tagen solltest du dich schon melden. Ansonsten kannst du es gleich lassen.«

Nachdenklich kratzte sich Ruben am Hinterkopf. Zwei, drei Tage waren nicht viel bei seinem Dienstplan, aber er hatte ihr ja nicht versprochen, sich in den nächsten paar Tagen mit ihr zu verabreden. Er hatte lediglich gesagt, dass er sie grundsätzlich wiedersehen mochte. Sie wusste doch, dass er viel zu tun hatte. 

»Dann lass ich es wohl gleich«, entschied Ruben, steckte dem Mann das Taschentuch zu und zeigte auf die Joggerin. »Die in rosa.« Dann verließ er den Park.

 

Als Ruben am nächsten Tag nach der Besprechung den Raum verließ, wartete Tamia mit gesenktem Kopf im Flur und spielte nervös am Knopf ihres Hemdes. Dann wanderte ihr vorsichtiger Blick seine Beine hoch, über den Oberkörper und kreuzte sich schließlich mit seinem. Er wusste nicht, welcher Ausdruck auf seinem Gesicht lag, aber sie zuckte zusammen und riss vor Schreck den Knopf ab. 

Ruben straffte die Schultern und bewahrte Haltung, er ließ keine Gemütsregungen an sich heran, aber gedanklich schlug er sich die flache Hand ins Gesicht. Wir sprechen uns. Was hatte er sich bei diesem Satz bloß gedacht? Wahrscheinlich gar nichts.

Nun stand Tamia vor ihm und zitterte wie ein Violinist, der sein Vibrato bis zur Sehnenscheidenentzündung ausreizte. Bei den meisten Menschen war es ihm gleichgültig, wenn sie vor seiner Erscheinung zurückschreckten. Ruben fand es sogar amüsant, mit einem einzigen Blick jemanden – wie zum Beispiel den komischen Typen im Fahrstuhl – einschüchtern zu können. Manchmal wäre es aber von Vorteil, wenn er die Gesichtsmuskeln im Griff hätte. Er wollte Tamia nichts Böses, sie sollte sich nicht vor ihm fürchten. Was sollte er ihr nun sagen, damit sie sich beruhigte?

»Komm.« Toll. Ein einziges Wort hatte er über die Lippen gebracht und dazu auch noch einen Befehl. Frauen reagierten sehr empfindlich auf solche Ausdrucksweisen.

»Wohin denn?« Tamia stopfte sich den Hemdzipfel in die Hose.

Ruben stutzte bei der Frage. Erwartete sie, dass er sie irgendwohin schick ausführte? Sie wusste doch, dass in der kurzen Pause gerade genug Zeit war, um sich in der Kantine ein paar Kalorien hineinzuschieben, bevor man wieder auf den Truppenplatz wetzte.

Sie sah ihm direkt in die Augen und hielt seinem Blick stand, und da er nicht antwortete, verzog sie ihren Mund zu einer Schnute. »Darf ich wieder nicht fragen?«

»Mittag.«

»Mittag was?«

»Mittag. Essen.« Und währenddessen ein paar Worte wechseln.

Schnurstracks lief er zum Offizierskasino und Tamia rannte ihm hinterher, da sie nur mit seinen riesigen Schritten nur mithalten konnte, wenn sie beim Laufen mit beiden Beinen vom Boden abhob. Ruben dachte an den Hundebesitzer und den Ratschlag, wann man sich gewöhnlich melden sollte, und fragte sich, ob Tamia es ihm übelnahm, dass er sie zwischen die Termine schob? Er hätte sich gern mehr Zeit für sie genommen, doch dafür müsste er sie weitere Wochen warten lassen. Heimlich warf Ruben ihr einen Seitenblick zu. Sie war nicht sauer, sie lächelte. So wie sie ihn an ihrem erst an Tag in dieser Kompanie angeschaut hatte, schenkte sie ihm auch jetzt ein offenes, verständnisvolles Lächeln. 

Schwungvoll stieß Ruben die Tür auf und schob Tamia in die Kantine, die für die Offiziere bestimmt waren. Die Mitarbeiterin hinter dem Tresen versuchte Tamia hinauszubefördern, indem sie sie mit der Hand wegscheuchte. 

»Hier dürfen die Mannschaften nicht rein«, warnte die Frau mit dem Namenschild, auf dem »M. Cox« stand.

Tamia drehte ihren Kopf zu ihm hoch, und nachdem er ihr bestätigend zugenickt hatte, breitete sich ein Grinsen auf ihrem Gesicht aus. »Ich bin als Gast hier.«

»Als Gast …«, wiederholte Cox nachdenklich. In ihrem Gesicht konnte man die Zahnräder rotieren sehen, ihre Lider weiteten sich mit der Erkenntnis und sie schlug ihre Hand vor den Mund, um nicht entsetzt loszukreischen. Dennoch drang ein Fiepsen durch ihre Finger.

»Reiß dich zusammen und bedien mich, Süße!« Tamia zeigte auf die Speisen hinter der Theke. »Ich hätte gerne das Zeug da.«

Verdattert tat die junge Frau wie ihr befohlen wurde und füllte zwei Teller mit Gemüselasagne, während Tamia zwei Flaschen Wasser aus dem Kühlregal nahm und auf das Tablett stellte, das Ruben in der Hand hielt. Seine Kollegen musterten Tamia und ihn argwöhnisch – was verständlich war. Vor einigen Wochen waren sie noch Todfeinde gewesen und nun ließen sie sich gemeinsam beim Essen blicken.

»Bin ich eigentlich deine Freundin?«, fragte Tamia beiläufig. 

»Freundin ist ein Scheißwort.«

»Verstehe … bin ja nicht mal ein Date.« 

Obwohl sie hinter ihm herlief, konnte er sich durch den Tonfall ihr enttäuschtes Gesicht deutlich vorstellen. Ruben wollte ihr nicht wehtun, aber sie musste auch verstehen, dass sie nicht alles von ihm verlangen konnte. Bei dem Wort »Freundin« lief es ihm kalt den Rücken herunter.

Tamia kicherte wie ein kleines Mädchen – wahrscheinlich wollte sie ihre Enttäuschung verbergen. Dann seufzte sie kaum hörbar. »… haben ja nicht mal Händchen gehalten.«

War ihr das Wörtchen so wichtig? Es hatte ihr doch ausdrücklich gesagt, dass er sich von den Bezeichnungen wie »Date«, »Unterhaltung«, oder wie sie sich benennen mochte, distanzieren wollte. Er wollte sich mit ihr, mit Tamia, treffen. Zielstrebig auf einen leeren Tisch zusteuernd, griff er nach hinten und fasste ihre Hand.

»Oh!«

Ruben lachte leise in sich hinein. Sie hielten vor seiner Kollegenschaft Händchen und sie brachte lediglich eine Interjektion der Überraschung hervor.

»Ist das okay für dich? Jetzt wissen alle, dass …«

Er setzte sich an den Tisch, bevor er ihr den Teller und das Getränk auf ihren Platz stellte. »Das ist doch eindeutig. Du kommst hier nur rein, wenn du eine Angehörige bist.«

»Ich könnte deine Schwester sein«, wandte sie ein und zog sich einen Stuhl hervor.

»Ich halte Händchen mit meiner Schwester! Sicher.« Ruben schraubte den Deckel auf und nahm einen Schluck direkt aus der Flasche. »Es gibt nur eine Möglichkeit, wenn ich mit einer Frau aufkreuze.«

»Frau«, kicherte Tamia. »Das hört sich so unglaublich alt an … ich kann mich immer noch nicht daran gewöhnen, dass ich selbst Alkohol kaufen darf.«

Erschrocken prustete er das Wasser über den Tisch. »Aber du bist volljährig, oder?«

»Guckst du nicht in meine Akte?« Grinsend suhlte sich Tamia in seinem Entsetzten. 

Als sie ihm zugewiesen wurde, hatte er natürlich in ihre Akte geschaut, aber er hielt sich nicht mit Geschlecht, Herkunft oder Alter auf. Selbst ein mintgrünes Einhorn fände Platz in seinem Team, solange es die erforderlichen Leistungen erbrachte.

»Na? Rufst du gerade meine Daten ab?«

»Hör auf, so blöde zu grinsen. Ich beantworte keine Fragen.« Ruben verschränkte die Arme und Tamia lachte ihn aus. Beim Lachen klang ihre Stimme ein wenig heiser, aber genau das gefiel ihm. In Verbindung mit ihrer Körpergröße und ihren feinen Gesichtszügen, wirkte es sogar niedlich. 

»Du kannst mich ja wieder rausschmeißen. Weil ich keine Angehörige bin.« Mit einer süffisanten Miene schob sie ihren Stuhl zurück und stand auf.

Dieser Frau spielte mit ihm! Hitze rauschte durch seine Adern. Kaum jemand war so selbstbewusst, sich gegen ihn aufzulehnen, aber Tamia bot ihm die Stirn und machte sich auch noch über ihn lustig. Hoffentlich wusste sie, welche Konsequenzen das mit sich trug. 

Er hielt sie am Handgelenk fest. »Setz dich.«

Ihr freches Grinsen verschwand, und als sie sich wieder auf den Stuhl niederließ, meinte Ruben, einen Hauch an Zärtlichkeit in ihren Augen zu erkennen. Ein schwerer Kloß bildete sich in seiner Kehle. Er konnte nicht mit gefühlsbetonten Frauen umgehen, da diese – in ihren Emotionen gefangen – irrationale Dinge verlangten, die er nicht erfüllen konnte. Jedoch gab es kein Zurück mehr. Sie beide, Tamia und er, hätten sich schon nach der ersten Begegnung den Rücken kehren müssen. 

»Ich liebe deine zweisilbigen Aussagen«, brachte sie nach kurzem Schweigen hervor.

»Ach, wirklich?« Ruben musterte sie mit gerunzelter Stirn. Frauen neigten zu Gefühlsausbrüchen und sagten Dinge, die sie nicht so meinten. Frauen liebten exotische Teesorten, Schoßhündchen in mit Glitzersteinchen besetzten Handtaschen, die Stiefel der übernächsten Saison – zumindest für eine kurze Zeit. Ein paar Tage später hatten sie nicht nur ihre Liebe vergessen, sondern auch die Tatsache, dass sie diese Liebe überhaupt verspürt hatten.

Vor einigen Jahren hatte er seiner Ex zur Weihnachten eine Halskette geschenkt, die sie einige Wochen vorher im Schaufenster bewundert hatte. Als sie das Geschenk ausgepackt hatte, hatte sie kopfschüttelnd Rubens Geschmack infrage gestellt. Wie komme er bloß auf die Idee, ihr so ein hässliches Ding zu schenken.

Anstatt zu antworten, beugte sich Tamia zu ihm herüber und küsste ihn – einnehmend, besitzergreifend, Tamia. Das zerstörerische Feuer, das in ihm loderte, brach eruptiv heraus; aber er befürchtete nicht, dass es Tamia verschlang. Sie selbst war die Sonne, sie hatte sein Feuer entzündet, sie beherrschte es.

Eine Meldung über eine eingehende Nachricht blinkte auf dem Display und ein Blick bohrte in seinen Nacken. Ich wollte dich nur darauf aufmerksam machen, dass sich dein Fuß im Kabel verheddert hat. 

Ruben hob den Arm mit ausgestrecktem Mittelfinger.

Tamia neigte ihren Körper samt Stuhl zur Seite, um sehen zu können, wem seine Geste galt. »Ärgert dich Kay?«

»Wer sonst.« Ruben stritt sich regelmäßig mit Captain Kay Liam Cohen, weil sich ihre Führungsansätze widersprachen. Kay achtete auf die Bedürfnisse und Motivation der Soldaten und beharrte darauf, sich beim Vornamen ansprechen zu lassen. Einen Vorteil hatte diese kollegiale Art: Kay war so freundlich und interpretierte den Fick von den beiden im Büro als persönliche Auseinandersetzung einer Beziehung. Zu dem Zeitpunkt mochte es nicht zugetroffen haben, jetzt konnte er es nicht mehr verleugnen, dass zwischen ihnen eine Beziehung bestand – was für eine sie auch immer war.

Ruben stützte den Ellenbogen auf dem Tisch ab, legte sein Kinn auf die Faust und beobachtete die junge Frau ihm gegenüber. Sie sah glücklich aus. Genau so wollte er sie sehen – bloß ohne die gaffenden Kollegen. Wieso waren selbst seine privaten Termine bereits ein Vierteljahr im Voraus geplant? Er hatte keine Lust, mehrere Monate zu warten, bis er sich mit ihr verabreden konnte. Wobei … 

»Ich treffe mich heute mit Freunden. Willst du mit–«

»Ja, ich will!« Sein Sonnenschein strahlte ihn an. 

»Du hast mich nicht ausreden lassen.«

»Mit klingt prima. Egal was danach kommt, Hauptsache mit dir gemeinsam.«

Er neigte den Kopf zur Seite, damit nicht mehr sein Kinn, sondern die Wange auf der Faust lag, und versteckte sein Grübchen, das er nicht mehr unterdrücken konnte.

»Ort? Uhrzeit?«, fragte sie verständlicherweise, denn beim letzten Mal hatte er sich geweigert, sie zu fahren.

»Ich bin bis spät auf der Basis. Ich nehm dich gleich mit.«

Ihre Augen wanderten nach links und rechts, als würde sie prüfen, ob jemand lauschte. »Warte ich auf dem Parkplatz im Schatten und schlüpf heimlich zu dir ins Auto?«

»Ich habe kein Problem …«, er küsste ihren Mund, »zu zeigen, dass du mir gehörst.«

»Zu mir«, verbesserte Tamia und wedelte drohend mit der Gabel, bevor sie schließlich anfing zu essen.

»Mir.«

Sie hielt sich die Hand vor den Mund, damit die Lasagne beim Lachen nicht herausfiel. »Kaum sage ich, dass ich deine zweisilbigen Aussagen liebe, kürzt du auch noch fünfzig Prozent weg.«

Ruben konnte immer noch nicht fassen, dass ihr seine knappen Aussagen gefielen. Frauen hassten seine Art: Er sei ungesprächig, unhöflich, unsensibel. Vielleicht wollten sie bloß mit ihm zusammen sein, weil sie ein »Bad Boy« zähmen wollten, ihn ändern wollten. Jeder Versuch endete mit einer tränenüberströmten Frau und dem Vorwurf, Ruben sei ein schlechter Kerl und er werde sich nie ändern. Verstehe einer die Frauen. Zum Glück fühlte Tamia sich zu jung, um als Frau bezeichnet zu werden, außerdem sie liebte seine knappen Aussagen. Vielleicht bestand Hoffnung.

Er löste die Faust, um zum Besteck zu greifen, und enthüllte sein Grübchen. »Ich hole dich um neunzehnhundert.«

Kapitel 9 ― Saturday Night Fever

Punkt 1850T beendete Ruben seine Arbeit und meldete die geschäftliche Sitzung ab. Er pfiff eine fröhliche Melodie, während er den Krawattenknoten lockerte und sich vom Chefsessel erhob. Bevor er das Büro verließ, lief er an dem Punchingball vorbei und gab ihm einen kurzen Jab. Der Lederball, der mit Spanngurten an Decke und Boden befestigt war, schlackerte hin und her, als würde er Ruben zum Abschied winken. 

Fünf Minuten später stand er im Soldatenwohnheim und suchte den Korridor, wo Tamia ihr Quartier hatte. Ruben hielt den nächstbesten Soldaten an. »Wo ist Corporal Rivero untergebracht?«

»Zimmer 0.2.28!«, brüllte dieser im militärischen Ton. 

Zielstrebig lief Ruben den Flur entlang. Die Soldaten, die sich dort aufhielten, wichen zur Seite und gaben den Weg frei. Wenn Ruben an ihnen vorbeilief, salutierten sie und grüßten lautstark, aber sobald er sie passiert hatte, tuschelten sie wie Waschweiber. Schlappschwänze. Erst in den Arsch kriechen und dann lästern.

»Was hat die wohl für Scheiße gebaut, dass er sogar persönlich aufkreuzt?«, fragte jemand besorgt.

Hinter der verbissenen Miene grinste Ruben hämisch. Die Soldaten schienen nicht die geringste Ahnung zu haben, weshalb er sich in den Wohnbereich der Mannschaften begab. Falls die Brünette hinter dem Tresen die Klappe gehalten hatte, wussten nur sie und die Offizierskollegen von ihm und Tamia. Der Abend versprach einige schöne Überraschungen.

Zimmer 0.2.28. Ruben klopfte zweimal, eine Sekunde später öffnete sich die Tür einen Spalt und ein blonder Kopf schaute raus. Tamia musste sich die Haare frisch gefärbt haben, denn der Geruch von Wasserstoffperoxid lag in der Luft.

»Hallo … Ruben«, flüsterte sie behutsam. Sie schien es zu genießen, seinen Vornamen auszusprechen.

Sein Blick wanderte von ihren strahlenden Augen zum schönsten Lächeln in diesem Sonnensystem, dann den schlanken Hals hinunter bis zum BH, der mehr entblößte als stützte. Ruben versuchte sich auf die bunten Schmetterlinge zu konzentrieren, die als Schwarm von ihren Handgelenken starteten, ihre Arme hinaufflogen, über die Schlüsselbeine tanzten und beim verschnörkelten fly in der Mitte ihres Brustkorbs zusammenfanden. Brustkorb. Brüste. Die Lippen zusammengekniffen und die Fäuste geballt, riss sich Ruben zusammen, um seine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen.

»Er geht ihr gleich an den Kragen!« Ein entsetztes Raunen holte ihn zurück.

Ruben packte Tamia an den Schultern und drückte sie ins Zimmer, bevor er die Tür mit einem Tritt gegen die untere Ecke zuknallte. Als er bemerkte, dass er sie angefasst hatte, ließ er hastig von ihr los. »Es ist achtzehnsiebenundfünzig.«

»Ich weiß. Du bist überpünktlich.« Gleichgültig zuckte sie mit den Schultern und wandte sich dem Spind zu. »Hast du etwa erwartet, dass ich schon eine halbe Stunde vorher ausgehbereit hier hocke und auf dich warte?«

»Ich hab gesagt, dass ich du um … äh, dich …« Wie supraflüssiges Helium kroch sein Blick ihre schlanken Beine hoch und napfte sich an ihrem durchtrainierten Po fest. »I-ich meinte, neuzize… ah–«

»Was?« Die halbnackte Frau drehte sich um, stemmte eine Hand in die Hüfte und starrte ihn mit hochgezogenen Brauen an. »Hey! Ruben? … Guck mir in die Augen, wenn ich mit dir rede!«

»Tu … ich doch«, brachte er stockend hervor.

»Ach ja?« Tamia hielt sich die flache Hand vors Gesicht. »Welche Farbe?«

Das war gemein! Wie sollte er in diesem Zustand darauf kommen? Ruben versuchte sich zu erinnern und riet: »Braun! Entschuldigung. Grün. Nein, doch braun …«

»Gerade noch mal so.« Lächelnd nahm sie die Hand herunter. Die Iris war tatsächlich braun; ein intensives Braun mit grünen Schattierungen. Er prägte sich ihre Augen ein, brannte sich das Bild in sein Gehirn – nicht nur, um weitere Fettnäpfchen zu vermeiden. Sie kam auf ihn zu, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihm sanft die Lippen. Ihre warme, nach wildem Honig duftende Haut rieb an seiner Uniform. 

Er wollte sich lediglich mit ihr treffen, rief Ruben sich ins Gedächtnis. Kein Date, kein Sex, er wollte lediglich ein paar nette Stunden mit ihr verbringen. »Zieh dir«, stieß er stöhnend hervor. »… was an.«

»Ich hab doch was an!« Demonstrativ wackelte sie mit der Hüfte, an der ein Bändchen das hauchdünne bisschen Stoff zwischen ihren Beinen festhielt. Danach tänzelte sie durchs Zimmer und widmete sich wieder dem Kleiderschrank. Tamia wirkte wie ein Teenie, der sich für Samstagnacht fertigmachte. Und er wirkte wie ein Teenie, der seine Hormone nicht im Griff hatte.

Ruben konzentrierte sich, einen vollständigen Satz hervorzubringen. »Ich binde mir auch kein Schleifchen um den Hals und behaupte, ich hätte was an.«

»Fänd ich sexy.« Sie hielt ein winziges Kleidchen in die Luft, schüttelte den Kopf und packte es wieder zurück.

»Zieh dir gefälligst etwas Ordentliches an! Irgendwas, das deinen Arsch bedeckt«, schimpfte er und bereute sogleich den harten Ton. Ruben räusperte sich. »… bitte?«

Beleidigt schnaubte sie durch die Nase. Dann fasste sie mit den Händen hinter den Rücken, um den Verschluss des Büstenhalters zu öffnen, und ließ ihn auf den Boden fallen. Als Nächstes streifte sie sich diesen Hauch von Nichts über den Hintern. Die Bänder rutschten ihre Beine hinunter und lagen wie das Zeichen für die Unendlichkeit um ihre Füße. Tamia kickte das Höschen vom Knöchel. Nun war sie völlig nackt. Anstatt sich zu schämen, bückte sie sich und wühlte in der unteren Schublade.

Das machst du doch extra. Ruben stieß zischend die Luft aus, lehnte sich an die Tür und starrte an die Decke. Langsam zählte er bis zehn, bevor er einen Blick wagte. Das Warten hatte sich gelohnt: Nun trug sie eine ordentliche Unterhose, die ihre Backen bedeckte. »Na endlich.«

»Gut Ding braucht Weile.«

»Wir sind spät dran.« 

»Hab dich nicht so!« Tamia zwängte sich in eine mit Nieten und Reißverschlüssen versehene Lederhose; um den Busen schnallte sie sich einen breiten Gürtel.

Fassungslos starrte er sie an. Tamia sah aus wie diese Frauen in den teuren Hochglanzmagazinen. Vor zwanzig Jahren hätte er sicherlich ein Poster von ihr in sein Jugendzimmer gehängt. Nun war er aber vierunddreißig und Männer in seinem Alter sollten keinen jungen Mädels hinterhersabbern. »Du ziehst dir was über.«

»Nachts sind es dreißig Grad! Außerdem entscheide ich, was ich anziehe.« Tamia verschränkte die Arme vor dem nackten Bauch und strafte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick, der mit jeder Sekunde, die er schwieg, verlegener wirkte. »… Findest du es doof?«

»Nein, es ist nur …« Nervös fuhr er mit beiden Händen durch die Haare, denn ihre Unsicherheit verwirrte ihn. Er wollte Tamia beruhigen, er wollte ihr irgendetwas sagen, was Frauen in solchen Situationen gerne hörten. Komplimente gingen aber häufig nach hinten los. Wenn Mann sie nicht überzeugend vermittelte, wurden ihm die Worte im Munde umgedreht. Und plötzlich hieß es, dass die Frau zu dick, zu dünn, zu groß, zu klein, zu blass wäre … oder einfach hässlich aussähe.

»Ich wollte dir gefallen«, gestand sie mit leiser Stimme.

»Wir treffen meine Kumpels!« Und er wollte nicht, dass seine Freunde sie begafften. Die Erklärung schien Tamia nicht gut genug zu sein, denn sie setzte ein Lächeln auf, das ihre Enttäuschung nicht verbarg. Weiber, dachte er. Sag doch einfach, was los ist! 

Sie drehte sich von ihm weg und fuhr mit der Hand durch die aufgehängten Jacken und Hemden in ihrem Spind, sodass die Bügel laut aneinander klackten. Sie war eindeutig wütend. Ruben verstand den Grund zwar nicht, aber sie in Rage zu sehen, war ihm angenehmer als das kleine, unsichere Mädchen, das ihm vor wenigen Minuten gegenüberstand.

Ruben schloss die Augen und versuchte sich in das Gefühlsleben einer Frau hineinzuversetzen. Warum war sie wütend? Er hatte doch nicht gesagt, dass er ihren Aufzug doof fand! Er hatte bloß gesagt, dass sie heute seine Freunde trafen. Warum interpretierten diese Wesen mit den homozygoten Geschlechtschromosomen auch jede Aussage negativ? Schließlich bemerkte er, verschwiegen zu haben, dass er sie verdammt heiß fand. »Es bedeutet bloß, dass dein Outfit für diesen Anlass nicht geeignet ist. Es ist nur, dass …«

Tamia fuhr herum. »Nur was?«

Innerhalb einer Millisekunde entfiel ihm der gesamte Wortschatz, er sah nur diese leidenschaftliche Frau vor sich. Die Augen funkelten erzürnt, die Schneidezähne gruben sich in ihre weichen Unterlippen, an der er zu gern nippen würde. Als hätten seine Hände ein eigenes Leben, legten sie sich an Tamias schmalen Hals und drückten sie gegen die Wand. Hart presste er seinen Mund an ihren und verlangte sofortigen Einlass. Sein Vorsatz, sich bloß ein paar »nette Stunden« mit ihr zu verbringen, bekam eine neue Bedeutung.

Tamia riss den Kopf zur Seite. »Ich bekomme keine Luft!«

Er hielt sie an die Wand gedrückt, während er in ihr Ohr raunte. »Nur dass ich keinen Bock habe, den ganzen Abend wie ein alter, geiler Sack dir sabbernd hinterherzulaufen. Erst recht nicht vor meinen Freunden.«

»Aha?« Ihre feste Stimme legte sich wie ein Strick um seinen Hals und drohte ihn zu erdrosseln.

Ruben drückte die Erregung in seinen Lenden gegen ihren Bauch. »Verstehst du es jetzt?«

»Ich gefalle dir?«, fragte sie ungläubig.

»Gefallen? Ich fall gleich tot um, weil kein Blut mehr mein Hirn erreicht.« Endlich ließ er von ihr ab, um sich zu beruhigen. »Beeil dich bitte. Wir kommen so was von zu spät!«

»Tut mir leid ... Ich hab voll lange überlegt, was du an mir mögen könntest.« Tamia schlang die Arme um seinen Bauch und legte ihre Wange an seinen Rücken. »Ich wollte nicht eingeschnappt sein.«

»Und ich wollte nicht so spitz wie nach einem halbjährigen Auslandsdienst sein.« Ruben löste sich von ihr und ging auf Abstand. »Es ist nicht besonders hilfreich, wenn du deine … Brüste an mich reibst.«

Wie der Mond die Erde umkreiste, folgte Tamia ihm und lief um ihn herum, bis sie ihm ins Gesicht lachen konnte. »Soll ich dir helfen, Druck abzulassen?« Sie streichelte über seine stoppelige Wange.

»Nein!«, herrschte er sie an, sodass sie erschrocken die Arme hochriss. Sanft fasste er ihr Handgelenk und küsste entschuldigend die Handfläche. »Sorry, Mia. Ich habe dich wieder angeschrien.« Testosteron machte aggressiv.

»Tamia.«

»Mehr als zwei Silben auf einmal kriege ich nicht über die Lippen«, begründete er, obwohl es ihm nur zufällig herausgerutscht war. »Gib mir fünf Minuten.«

»Ich dachte, wir haben es eilig?«

»Mia!« Ruben warf erst ihr, dann unauffällig der Beule zwischen seinen Beinen einen mahnenden Blick zu. So konnte er auf keinen Fall hinausgehen.

»Mia«, wiederholte sie nachdenklich. »Dafür brauche ich keine Jacke anziehen.« Tamia stellte sich an den Spiegel und öffnete ein Schminktäschchen. »Kannst ruhig wichsen. Ich guck dir nicht zu.«

Ruben verdrehte die Augen und setzte sich zum Warten auf ihr Bett. Es roch himmlisch nach seiner Lieblingssoldatin. Er biss sich auf die Zunge, damit der Schmerz ihn von seinen Fantasien ablenkte. Schließlich löste sich Tamia vom Spiegel und schnappte die Handtasche, die über dem Stuhl hing. Dann griff sie nach seiner Hand und zog ihn aus dem Zimmer. Ruben war verdutzt, plötzlich im Korridor zu stehen; die Soldaten, die dort neugierig warteten, starrten ihn genauso perplex an. 

Ruhe bewahren, sprach er sich zu. Er zwang ein selbstsicheres Grinsen auf seine Lippen und gab Tamia einen Klaps auf den Hintern. »Vorwärts marsch.«

Kapitel 10 ― Sugardaddy

Tamia hielt für einige Sekunden die Luft an, damit ihr Puls nicht so raste, doch er hämmerte rücksichtslos an ihrem Hals. Der Mann an ihrer Seite war Ruben Sanchez, ihr Kommandeur, Lieutenant Stock-im-Arsch, der seit dem ersten Tag nur vernichtende Blicke für sie übrighatte. Und ausgerechnet mit diesem Mann ging sie aus, ausgerechnet dieser Mann nahm mittlerweile so viel Platz in ihrem Herzen ein, dass sie glaubte, es zerspränge. Tamia klammerte sich fest an seinen Unterarm und schmiegte beim Laufen ihr Gesicht an seine Schulter. Ihre Wangen glühten und schmerzten vom Dauergrinsen, das sie vor Euphorie nicht abstellen konnte. Gleichzeitig verspürte sie auch Angst. Sie hatte Angst davor, einem Mann so sehr verfallen zu sein, dass es sie umbringen würde, wenn er sie abwies.

Gewaltsam riss der Lärm sie aus der Traumwelt heraus, als Ruben ihr die Tür zu einer Bar öffnete. Die Leute tummelten sich an der Theke, belagerten die Tische oder drängten sich vor der Ecke auf der anderen Seite des Raumes, in der zwei Kommentatoren als lebensgroße Hologramme miteinander diskutierten. Ruben bahnte sich zielstrebig den Weg durch die Menge, während ihm Tamia im Schutz seines breiten Rückens folgte. Aus der vordersten Tischreihe winkte ein Mann, der mit seiner Größe gar nicht hätte den Arm heben brauchen. Zwischen den herumwuselnden Menschen thronte er auf dem Stuhl wie ein Fels in der Brandung – wobei jede Brandung neben diesem Koloss wie das Badewasser im Jacuzzi wirkte.

»Hey, Sancho! Du bist spät dran.« Der Typ setzte seinen Bierkrug ab. »So unzuverlässig kenne ich dich gar nicht.«

Der andere Mann am Tisch, ein Afroamerikaner mit Basecap und Trainingsjacke, zeigte auf den freien Sitz. »Den konnte ich nur verteidigen, weil ich behauptet habe, dass Brons für seinen fetten Arsch zwei Stühle braucht.«

»Halt die Klappe, Schneewittchen.« Der Fels neigte sich zur Seite und blickte hinter Ruben. »Gehört sie zu dir?«

»Das ist Tamia«, stellte Ruben sie vor. »Tamia, das sind Benjamin Bronson und Joshua Moore.«

Tamia machte einen Knicks, denn dies gehörte sich so. »Freut mich, Sie kennenzulernen.«

»Nenn mich doch Ben.« Sein Blick klebte an ihrem Bandeau-Top, an der Stelle, wo die Schnalle den Blick auf das Tal zwischen ihren Brüsten freigab. Ruben schlug ihm hart gegen die Schulter, doch der Fels in der Brandung wackelte kein bisschen – und die Klappe hielt er auch nicht. Ben grinste Tamia unverschämt an. »Was kostest du?«

Aus Rubens Kehle löste sich ein leises Knurren und in den Augen funkelte die Bereitschaft, sein Gegenüber zu zerfleischen. Tamia aber war von ihren Kameraden derbere Sprüche gewohnt, deshalb hielt sie den Mann zurück, der besitzergreifend vor ihr stand, und antwortete mit höflichem Lächeln: »Fünfhundert Dollar für den Abend. Zahlen Sie zweihundert drauf, ziehe ich mich aus. Noch mal zweihundert Dollar und Sie dürfen sogar anfassen.«

»Sancho, äh… Ruben hat sicherlich schon die fünfhundert für den Abend bezahlt, oder?« Grinsend zückte Ben seinen Organizer, um eine Überweisung zu tätigen. »Ich geb dir die zweihundert. Jetzt mach dich frei.«

»Rühr sie nicht an.« Ruben hielt sie am Handgelenk fest, zog den Stuhl hervor, der am weitesten von Ben entfernt stand, und brannte mit seinem Blick ein Loch zwischen Tamias Augenbrauen. »Was willst du trinken?«

In so einer Situation war es klüger ihm wortlos zu gehorchen. Tamia setzte sich zwischen Ruben und Joshua Moore. »Ein Bier.«

»Scherz beiseite. Woher kommst du?« Ben stützte sich auf dem Tisch ab, der besorgniserregend knirschte. »Du hast einen lustigen Akzent.«

»Ich stamme aus einem kleinen Dörfchen und bin in die USA gekommen, um Karriere zu machen. Hier hab ich Ruben kennengelernt. Seitdem arbeite ich für ihn«, erzählte sie in einer naiven Kleinmädchenstimme, während sie angestrengt jeden einzelnen Gesichtsmuskel kontrollierte, um nicht vor Lachen loszuprusten.

»Er hat dir versprochen, dich groß rauszubringen.« Der Fels lachte schallend und Joshua legte die Hand schützend über sein Glas, damit sein Freund nicht hineinsabberte.

Tamia nickte. Je nachdem, wie man die Umstände bewertete, konnte man ihre Bestätigung als Halbwahrheit verbuchen.

Eine Nachricht von Ruben erschien auf ihrem Display. Soso. Ich bin also dein Zuhälter.

Wenn du es so haben willst, antwortete sie. 

»Ja. Es war Liebe auf den ersten Blick.« Als Tamia den Satz aussprach, kribbelte es in ihrem Magen, und sie hielt die Luft an, um die Schmetterlinge in ihrem Bauch zu töten. »Auch wenn er die Mädels regelrecht abfistet, … ich mag’s.« Es war der normale Umgangston, dass die Soldaten sich gegenseitig als »Mädels« bezeichneten, und »abfisten« bedeutete bloß, dass sie bis an ihre Grenzen gedrillt wurden. Kein ungewöhnlicher Jargon.

Ben verschluckte sich am Bier. Hustend klopfte er sich mit der Faust auf die Brust. Als er wieder zu Atem kam, wandte er sich an Ruben. »Du hattest schon immer ein Faible für … extravagante Frauen, oder?«

»Normal ist langweilig.«

»Mal ehrlich. Was arbeitest du?«, hakte Ben nach.

Sie wagte einen Seitenblick zu Ruben, der die Augen verdrehte und sich zurücklehnte. Wie alle Soldaten vermied sie, ihren Beruf zu nennen, doch es hatte noch nie so viel Spaß gemacht. »Ist nicht kompliziert: Mit gespreizten Beinen daliegen und mit großen langen Dingern spielen.« Tamia lächelte zuckersüß. »Mir wurde gesagt, dass ich sehr gut darin bin. Nicht wahr, Ruben?«

»Mhm. Ja.«

»Du bist MG-Schütze«, folgerte Joshua, ohne sich vom Hologramm abzuwenden.

»Ooohhh! Jetzt verstehe ich! Wir schauen uns ein Spiel an!« Auf Projektion lief eine Kapelle über den Platz, dahinter formierte sich eine Gruppe von ähnlich aussehenden Frauen, die wie die Kellnerinnen in dieser Bar dunkelrote Hotpants, tiefausgeschnittene Tops und weiße kniehohe Stiefel trugen. Ob Ruben solche Kleidung an ihr gefallen würde? »Ich will auch so ein Fan-Outfit.«

»Das ist eine Cheerleader-Uniform.«

»Was gucken wir heute eigentlich?«, flüsterte sie ihm mit vorgehaltener Hand zu.

Allerdings bewies Joshua ein gutes Gehör. »NFC Title Game.«

»Was ist NFC? Nentucky fried chicken?« Tamia griff in die Schale mit Erdnüssen und füllte eine Faust. Entsetzt öffnete Joshua den Mund. Daher balancierte sie eine Erdnuss auf den Daumen, um sie in seinen Mund zu schnippen. Ein mahnender Blick von Ruben hielt sie zurück.

»Das ist das Halbfinale«, griff Ben ein. »Der Gewinner geht zum Super Bowl.«

Mit diesem Begriff konnte Tamia etwas anfangen, davon hatte sie schon mal gehört. Zufrieden warf sie die Erdnuss in die Luft und fing sie mit dem Mund auf. »Erklärt mir jemand die Regeln?«

Ben hob die Mundwinkel zu einem zweideutigen Grinsen und raunte: »Du nimmst das Ei in deine Hände …«

»Achte nicht auf den Idioten.« Joshua machte eine abwinkende Handbewegung, als würde er eine lästige Fliege verscheuchen. »Es geht in erster Linie um Raumgewinn …« Er stockte, als ihm bewusst wurde, dass er einer Frau – dazu auch noch blond – die Regeln erklärte.

»Weiter?«, hakte Tamia nach. Ihre Neugierde verbat es nachzugeben.

Joshua sah sie skeptisch an, dennoch fuhr er fort: »Die Mannschaft, die im Ballbesitz ist, hat vier Versuche, um den Ball in die gegnerische Endzone zu bringen …«

Mit wissbegierig funkelnden Augen rückte sie näher. Die Ellenbogen auf den Tisch aufgestellt und die Finger ineinander verflochten, lauschte sie konzentriert den Erklärungen. Sie hatte sich schon immer für Angriffstaktiken interessiert. »Football scheint ein echt strategisches Spiel zu sein.«

»Das ist es!« Joshua nickte anerkennend.

Eine Kellnerin brachte die Getränke. Den Rücken durchgedrückt und den Po herausgestreckt, damit der dunkelrote Stoff der Hotpants schön an den Backen spannte, beugte sie sich über den Tisch, um die leeren Biergläser einzusammeln. Dann streifte die Rothaarige mit ihren Doppel-Ds Rubens Arm und streichelte als Entschuldigung seine Schulter. Noch im Gespräch mit Joshua vertieft, legte Tamia besitzergreifend die Hand auf seinen Oberschenkel. Die Kellnerin musterte Tamias Brüste und rümpfte die Nase.

In diesem Moment ging ein Jubeln durch die Bar. Die Spieler liefen als lebensgroße Hologramme über den Platz. Tamia interessierte sich nicht weiter für die andere Frau, sondern folgte Joshuas Fingerzeig, als er die einzelnen Spieler mit Namen und Position vorstellte. Eine Sängerin setzte sich an den E-Flügel, der zwischen den beiden Mannschaften stand, und schmetterte eine Soul-Version der Nationalhymne. Joshua stand auf, legte seine Faust auf die Brust und stimmte mit ein. Er war nicht der einzige Fanatiker, die Mehrheit der Gäste hatte sich erhoben und eine ehrfürchtige Miene aufgesetzt. Tamia ließ sich von der feierlichen Stimmung in der Bar mitreißen, sie stellte sich neben Joshua und trällerte »The Star-Spangled Banner«, obwohl sie den Text nur lückenhaft kannte.

Tamia war voll auf das Halbfinale konzentriert und freute sich jedes Mal, wenn Joshua sich vom Hologramm losreißen konnte, um ihr einen Spielzug zu erklären. Unterm Tisch jedoch lag ihre Hand auf Rubens Schenkel, ihre Finger mit seinen verschränkt. Wenn sie unbeobachtet waren, warf Tamia ihm einen kurzen Blick zu und lächelte – und Ruben ließ das Grübchen über seine Wange huschen.

Auch in der Halbzeit stellte Joshua sein Gelaber nicht ab, entweder regte er sich über den Scheißschiedsrichter auf oder freute sich über die coolen Moves der Spieler. Tamia war hin- und hergerissen zwischen der Art, wie Joshua die Angriffstaktiken der letzten Spielzüge erklärte, und der Diskussion der anderen beiden Männer, die um die Notwendigkeit der realistischen Darstellung von Hologrammen hinsichtlich der unter den Röcken hervorblitzenden Höschen der Cheerleader ging. Ben, der bereits drei bierglashohe Burger verdrückt hatte, bestellte das Abendessen für den gesamten Tisch, und bald darauf erschien wieder die rotgelockte Kellnerin.

Sie quetschte sich an Ruben vorbei, obwohl auf der anderen Seite des Tisches genug Platz war, und hielt ihren Ausschnitt unter seine Nase. Ohne Tamia, die sich eine Erdnuss in den Mund schnippte, beziehungsweise die Brüste aus den Augen zu lassen, stellte die Kellnerin das Essen und die Getränke auf den Tisch. »Davon werden sie auch nicht größer«, zischte sie und sammelte die leeren Gläser ein.

Was fällt der dummen Schnepfe ein? Tamia schnappte die Schale mit den Erdnüssen und leerte den Inhalt, als würde sie Alkohol auf Ex trinken. Ihre Zähne mahlten geräuschvoll die Nüsse, während sie in das Schälchen zeigte. »Ist leer. Holen’se Nachschub …« Krümel rieselten aus dem Mund, was sie nicht vom Reden abhielt. »Ham’se Wurzeln geschlagen? Hopp, hopp!«

Die Kellnerin warf mit dem Handrücken die rote Lockenmähne über die Schulter, murmelte etwas von »Alexis«, bevor sie in ihren weißen Stiefeln davonstöckelte.

Lachend nahm Joshua sein Basecap mit dem zornigen roten Vogel ab und setzte es Tamia auf. »Du wolltest doch ein Team-Outfit. Hast du dir verdient.«

»Wieso?«

»Du bist sie losgeworden«, erklärte Ben. Ihn kümmerte es nicht, dass er die privaten Geschichten seiner Kameraden auspackte. »Sie lässt Moore nicht in Ruhe, obwohl es mit Alexis bereits eine Auseinandersetzung gab.«

»Wer ist Alexis?« 

»Schneewittchens Frau.«

Tamia zog die Stirn kraus. Weniger aus dem Grund, dass der Mann, der das Gegenteil von schneeweiß war, Schneewittchen genannt wurde, sondern weil sie begriff, weshalb die Kellnerin so arschig war: Tamia hatte sich prächtig mit Joshua amüsiert. Doch im Gegensatz zu der Rothaarigen wusste sie, wo die Grenzen waren. Selbst wenn sie etwas von Joshua wollte – attraktiv war er alle Fälle! – würde sie ihn nicht anrühren. Tamia führte zwar ein lockeres Liebesleben, vergebene Männer waren tabu! »Sie hat echt keine Skrupel …« 

»Moira kann bloß nicht noch eine Abfuhr auf sich sitzen lassen … Wenn Sancho sie schon nicht mehr an sich ranlässt.«

Nicht mehr? Tamia zuckte zusammen. War die Kellnerin etwa Rubens Freundin gewesen? Hatte er nicht vorhin erst gesagt, dass er diese Bezeichnung scheiße fand und sich davon distanzieren wollte? Tamia konnte sich damit abfinden, nur ein Anhängsel, eine Unterhaltung oder ein Häschen zu sein, solange sie in Rubens Nähe sein durfte, aber sie akzeptierte nicht, dass diese Kellnerin Privilegien genoss, die Tamia nicht gestattet waren. Warum durfte diese blöde Kuh seine Freundin sein und Tamia nicht? Ob es an den fetten Titten und gebärfreudigen Hüften lag? Eifersucht bohrte sich wie Schrapnellkugeln durch Tamias bescheidenen Busen. Sie hasste es, so unweiblich zu sein!

»Entschuldigt mich.« Ruben stand auf, strich sich das Jackett glatt und verschwand in Richtung der Toiletten.

Bedrückt sah Tamia in das Bierglas. Der Schaum war übergeschwappt und bildete einen feuchten Kreis auf dem Tisch. Ihr wurde bewusst, dass sie den Mann, der sich Ruben Sanchez nannte, gar nicht kannte. Zwar hatte er ein paar wenige Details zu seiner Lebenseinstellung anklingen lassen und Tamia damit überrascht, doch gerade dies verdeutlichte, dass sie über ihn – und vor allem seine Vergangenheit – gar nichts wusste. 

»Ich muss mal für kleine Orchideen«, entschuldigte sich Tamia mit zuckersüßem Lächeln und verschwand auf der Damentoilette. 

Nachdem sie sich um mehrere Biere erleichtert hatte, stellte sie sich an das Waschbecken und wusch ihre verschwitzten Hände. Sie ließ sich das kalte Wasser über die Handgelenke laufen, in der Hoffnung, sich damit beruhigen zu können. Der gut beleuchtete Spiegel zeigte aber deutlich rote Flecke, die sie bei Nervosität am Hals bekam. Tamia kramte in der Handtasche nach dem Puder und fand zuerst violetten Lidschatten. 

Du solltest das ganze Zeug weglassen. Du siehst in Natura viel hübscher aus.

Sie warf den Farbstift wieder in die Tiefen ihrer Tasche. Schnell puderte sie sich die glänzenden Wangen und trat aus der Tür, wo sie eine aufgesetzt weiche Stimme hörte, die an die einer Erotikhotline erinnerte. »Was machst du nach dem Spiel?«

»Nach Hause gehen«, antwortete eine tiefe Stimme.

Vorsichtig lugte Tamia um die Ecke. Ihre Vermutung bestätigte sich: Da standen Ruben – zum Glück mit dem Rücken zu Tamia – und die Kellnerin von vorhin. 

»Nimmst du mich mit?«, säuselte die rothaarige Zicke.

»Nein.«

»Ach komm schon … meine Zunge will mit deinem schönen Schwanz spielen.«

»Nein.«

»Was bist du denn in letzter Zeit so abweisend?« Moira verzog die Lippen zu einem hässlichen Schmollmund, wie bestimmte Mädchen es auf Selfies machten. »Ich hasse es, wenn du nicht mal einen vollständigen Satz …« Sie schaute auf und sah Tamia. »Hier gibt’s nicht zu sehen. Hau ab!«

Verwundert drehte sich Ruben um. Als er Tamia sah, lächelte er erleichtert und nahm sie in den Arm.

»Ist das nicht Joshs Seitensprung?« Die Kellnerin verschränkte die Arme und warf ihrer Konkurrentin einen giftigen Blick zu.

»Nein. Sie gehört zu mir.« Mit diesen Worten beendete Ruben das Gespräch. Er führte Tamia an der Hand zurück an den Tisch. Auf dem Weg fragte er: »Du brauchst keine Erklärung, oder?«

Auch wenn Tamia darauf brannte zu erfahren, ob Moira seine Freundin oder nur eine Affäre gewesen war, verbot ihr seine autoritäre Stimme, eine andere Antwort zu geben als Nein.

Ruben hielt inne, drehte sich zu ihr um und nahm ihr Gesicht in die Hände. »Versteh mich nicht falsch. Es ist nicht der Ort für lange Unterhaltungen. Es ist das Nentucky Fried Chicken Game.« Er beugte sich herunter und küsste ihr sanft die Lippen. »Wir haben noch alle Zeit der Welt.«

Die Nadelstiche in ihrem Herzen schmeckten bittersüß. Ihre Finger verfingen sich in seinem Hemd. Tamia zog sich näher an ihn heran. »Es gibt ein nächstes Mal?«

Ruben lachte leise und es vibrierte in seiner Brust. »Warum nicht?«

»Du wolltest doch keine Freundin.«

 Ein Blick von ihm genügte, um sie zu verunsichern; ein Wort genügte, um ihre Welt zum Einsturz zu bringen. Aber er sagte nichts. Er legte sanft die Hand auf ihre Schulter und schob sie zum Tisch. 

»Da seid ihr ja endlich!« Ben zupfte Käse vom leeren Teller. Ihm hatte die Zeit, in der Tamia auf Klo war, gereicht, um die ganzen Nachos zu verputzen. »Was habt ihr so lange gemacht? Das Essen ist kalt.«

»Kalt? Du meinst wohl alle.« Ruben setzte sich, und als Tamia es ihm gleichtun wollte, zog er sie auf seinen Schoß. Er ließ ihr keine Gelegenheit, sich zu wehren, und gab ihr einen Kuss. Direkt vor seinen Freunden.

»Die Kleine hat was Besseres verdient als dich«, meinte Joshua. »Verkack es bloß nicht.«

»Kümmere dich um deinen eigenen Kram, Schneewittchen.«

Tamia ließ Ben die Pommes von ihrem Teller stibitzen, dafür wollte sie die Antwort zu dem Mysterium. »Warum nennt ihr ihn immer Schneewittchen?«

»Na ja, Haut so schwarz wie Ebenholz, Zähne so weiß wie Schnee …« Eine zweite Pommes folgte in seinen Mund. »Und Augen nach durchzechten Nächten so rot wie Blut unterlaufen.«

»Passt außerdem gut zu Brons. Schneewittchen und die sieben Berge«, fügte Ruben nüchtern hinzu.

Tamia lachte laut auf. Ein Berg war Ben alle Male. »Und wer bist du?« Sie strich über die Hand an ihrem Bauch.

Mit geheimnisvoller Miene zuckte er die Schultern. Vielleicht hätte er sein Geheimnis wahren können, wenn sie zu zweit gewesen wären. So verrieten ihn aber die anderen beiden. »Die böse Stiefmutter natürlich.«

»Das Spiel beginnt!«, rief Ruben.

Joshua grinste breit. »Ihr beide seid euch zu ähnlich. Ihr weicht aus, wenn es kritisch wird.«

Umso näher sich das Spiel dem Ende zuneigte, desto angespannter wurde Joshuas Ausdruck. Erst bildete sich eine konzentrierte Falte zwischen den Brauen, dann traten seine Kiefermuskeln hervor, schließlich verkrampften sich seine Hände zu Fäusten, sodass er nicht einmal mehr sein Bierglas anrührte. Tamia brauchte nicht auf den Spielstand zu sehen, um zu wissen, dass es schlecht um die Arizona Cardinals stand. Obwohl das Team nur wenige Punkte im Rückstand war, reichten die letzten Sekunden nicht aus, um den Ausgleich zu schaffen. Joshua vergrub sein Gesicht in den Händen und Ben war trotz Alkohol blass um die Nase. Acht Sekunden.

»Warum steht der Quarterback so weit hinten?«, wollte Tamia wissen, als die Cardinals das letzte Mal angreifen durften, doch keiner antwortete ihr. 

Die Spieler, die sich Receiver nannten, stürmten in das gegnerische Feld. Nun ahnte Tamia, dass das Team in der letzten Sekunde einen verzweifelten Spielzug versuchte, obwohl es sinnvoller war, sein Geld beim Lotto zu verschwenden, als den Ball auf gut Glück über das gesamte Feld zu werfen. Doch genau dies geschah.

Fünf, vier, … Der Quarterback holte zu einem langen Vorwärtpass aus. Der Moderator kommentierte aufgeregt, wie der Ball der im hohen Bogen über das Feld flog. Zwei, eins. Einer der Receiver sprang zwischen den Gegnern hoch, schnappte sich das Ei und hämmerte es hinter die Ziellinie.

»Touchdown! Das gibt’s ja nicht! Touchdown!« 

Das Stadion brüllte, die Bar brüllte, Tamia und Joshua sprangen brüllend auf und schlugen ein. Hinter ihr jubelte Ruben – laut genug, dass sie es trotz des Lärms hörte. Überrascht, jedoch mit fröhlichem Lachen drehte sich Tamia zu ihm um. Der Mann besaß außer Wut ja noch andere Gefühlsregungen! 

Bevor Ruben sie umarmen konnte, überrollte ihn der Fels. Zusätzlich kam Josh angesprungen, sodass Ruben in dem undefinierbaren Männerknäuel verschwand. Langsam lösten sie sich voneinander. Ben bestellte Bier für die Runde – und ihm etwas zu essen. Sie feierten den Sieg der Arizona Cardinals, bis nur noch die Ausdauernden in der Bar hockten. 

Tamia leerte ihr letztes Getränk, nahm ihre Handtasche und knickste zum Abschied. »Auf Wiedersehen, Mr. Moore. Auf Wiedersehen, Mr. Bronson.«

»Du fährst sie doch nach Hause, oder?« Joshua boxte Ruben gegen die Schulter.

Heimlich stahl sie Ruben einen Kuss, dann hopste sie kichernd zur Tür. Sie musste schnell hier raus! Noch ein paar Minuten länger neben diesem Mann und sie würde sich nicht mehr zurückhalten können. Sie würde sich bei ihm anschmiegen und seinen Duft inhalieren, bis ihr schwindlig vor Glück wurde. »Es geht schon. Ich wollte schon immer mal U-Bahn fahren!« 

Ben winkte sie zurück. »Diese Gegend ist nichts für kleine Mädchen.«

»Danke, dass ihr euch Sorgen macht.« Tamia straffte die Schultern und legte das kindliche Lächeln ab. Sie zwinkerte Joshua zu, der von Anfang an geahnt hatte, dass sie als Soldatin arbeitete. »Ich kann auf mich aufpassen.«

Schließlich drehte sie sich um und lief los. Noch fühlte sie sich berauscht vom heutigen Abend. Dieses Gefühl wollte sie genießen, bevor sie die pessimistischen Gedanken einholten. Sie wollte noch ein bisschen fliegen.

Kapitel 11 ― Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Kapitel 11 ― Eckstein, Eckstein [zensiert]

Staubige Luft und zwanzig zusätzliche Grade erschlugen Tamia, als sie aus der Bar trat. Sofort überzog ein Schweißfilm ihre Haut, doch es machte ihr gar nichts aus. Das entgeisterte Gesicht der Kellnerin und das bestätigende Grinsen seiner Freunde, als Ruben und Tam sich geküsst hatten, verschaffte ihr innere Befriedigung, die jegliche Hitze wettmachte. Ein lautes »Yes!« rutschte aus ihr heraus, den Freudenhopser konnte sie gerade noch so unterbinden.

Die Fußgängerampeln vor dem Bahnhof sprangen auf Grün und von allen Seiten strömten die Menschen auf die Mitte der Kreuzung zu, um sich dort zu vermischen und wieder in verschiedene Richtungen auseinanderzugehen. Tamia tauchte in der Menschenmenge unter und ließ sich vom Nachtleben der Megastadt Phoenix und ihren pulsierenden Farben mitreißen. Die Sterne funkelten am Himmel – groß und leuchtend hell. Doch Tamia begnügte sich damit, sie aus der Ferne zu bewundern. Sie wollte nicht nach den Sternen greifen, um festzustellen, dass die bunten Lichter an der Wolkendecke bloß Reflexionen der Hochhäuser waren.

Sie lief über den Bahnhofsvorplatz, als ein Fahrzeug zwischen den Palmen hindurchraste. Kurz vor ihr bremste es scharf ab, quietschend brachen die Hinterreifen aus und hinterließen einen schwarzen Bogen auf dem Asphalt. Fußgänger stoben in alle Richtungen davon, Tamia sprang erschrocken zurück. Die Schmetterlingstüren des Sportwagens schwangen nach oben, dahinter saß der Offizier. Den Fahrersitz weit nach hinten gestellt, damit seine langen Beine Platz fanden, saß er trotz steifer Uniform auf solch lässige Art da, dass es ihr den Atem raubte.

»Steig ein.«

Instinktiv schüttelte sie den Kopf. So sehr sie seine zweisilbigen Befehle auch liebte, sie durfte nicht mit ihm gehen. Heute Nacht sollte es ihr genügen, sich allein im eigenen Bett an seine heißen Küsse zu erinnern. Es war noch viel zu früh, um sich mit den Konsequenzen auseinanderzusetzen. Tamia sollte sich von ihm abwenden und zur Basis zurückkehren – doch sie trat einen Schritt näher.

»Komm. Ich fahr dich nach Hause.« Sein herber männlicher Duft wehte zu ihr herüber, liebkoste ihre Sinne. Jeder Winkel seines Fahrzeuges verströmte pures Testosteron, stärker als Tamia es auf der Hinfahrt wahrgenommen hatte. Aus Angst, sonst über ihn herzufallen, krallte sie ihre Finger in die Handtasche.

»Willst du«, fuhr Ruben zögerlich fort, »auf einen Drink vorbeikommen?«

Um ihre Verlegenheit zu überspielen, zwang sich Tamia ein keckes Lächeln auf die Lippen. »Du hast die Fünfhundert für den Abend noch gar nicht bezahlt und verlangst schon den Extraservice?«

Skeptisch zog er die Stirn kraus, als kennte er es nicht, abgewiesen zu werden. In der Sekunde seiner Sprachlosigkeit trat Tamia einen Schritt zurück, um in der neugierigen Menschentraube hinter ihr zu verschwinden. Doch Ruben hielt sie fest. Warm und rau fühlte sich die Hand an ihrem Unterarm an. Aus den türkisen Augen traf sie ein ernster Blick. »Wie viel bekommst du?«

Tamia schluckte. Sie glaubte, Sehnsucht in seinem Blick zu erkennen – vielleicht war es ihre eigene Sehnsucht, die sich in seinen Augen spiegelte. Jedoch machte es keinen Unterschied, denn beides schmerzte sie.

Flüchtig strich sie über seinen Handrücken, und sofort ließ er sie los, stammelte ein kaum hörbares »Sorry«, das sich anscheinend sowohl auf seine Äußerung als auch auf seinen dominanten Griff bezog. Plötzlich mochte Tamia gar nicht mehr gehen, sie wollte bei ihm bleiben, ihn berühren, seine Wärme spüren. Einsamkeit kroch wie eisiger Wind unter ihre Haut.

Tamia beugte sich in den Wagen, nahm den Organizer, mit dem er die Bezahlung tätigen wollte, aus seiner Hand und steckte ihn zurück in die Tasche seines Jacketts. Ihre Lippen berührten sein Ohr, als sie ihm zuflüsterte: »Die Stunde kostet einen Kuss. Für die ganze Nacht will ich … dein Grübchen sehen.«

Ruben drückte seine Lippen auf ihre; hart, als müsste er sie erobern. Aber das brauchte er gar nicht. Hingebungsvoll öffnete sie ihren Mund und lud ihn ein, sie zu erkunden. Seine Zungenspitze tastete sich vor, suchte nach ihrer und zog sich wieder zurück, nachdem er sie gefunden hatte. Es war ein neckisches Spiel – hier ein Nippen, da ein Zwicken –, das bald in Leidenschaft umschlug. Die Münder aneinander festgesogen, schlangen sie die Arme um den Körper des anderen. Ihre Handtasche verhedderte sich am Blinkhebel, das Lenkrad drückte in ihre Wirbelsäule, als er sie rittlings auf seinen Schoß zog. Für einen winzigen Moment löste er eine Hand von ihr und ließ die Autotüren surrend herunterfahren. Die Fensterscheiben tönten sich tiefschwarz. Nun gab es nur noch Ruben und Tamia.

»Dei-deine Stunden «, sie schnappte zwischen den Küssen nach Luft, » haben hundert Minuten.«

Als Antwort legte er die Hand an ihren Nacken und zog sie wieder an sich heran. Er küsste sie noch einmal und noch einmal, bis die Leidenschaft zur Ruhe kam und beide nur noch zarte Küsse an die Lippen des anderen hauchten.

»Wie lange soll ich denn bei dir bleiben?«, fragte sie und spürte sein Lächeln an ihrem Mund.

»Solange du willst.«
 

Nach einer rasanten Fahrt über den Highway parkte Ruben sein kanarienvogelgelbes Cabriolet in der Tiefgarage, bevor sie sich – mit einem von Tamia gewahrten Sicherheitsabstand – in den Fahrstuhl begaben. Den Blick nach vorn gerichtet, die Handflächen brav an die Oberschenkel gelegt, versuchte Tamia zu verdrängen, dass ein hocherotischer Mann neben ihr stand. Doch allein sein aphrodisierender Geruch reichte aus, um ihr Gehirn binnen wenigen Sekunden mit pornografischen Gedanken zu füllen. Ihr Körper juckte vor Begierde und wollte sich dem Mann hingeben, der ihr lediglich einen Drink versprochen hatte.

»Was heckst du aus?«, knurrte Ruben mahnend.

»War das eine rhetorische Frage?«

»Warum starrst du auf den Notfallknopf?«

»Hast du Angst vor der Kamera?«

»Was hast du vor?«

Tamia schielte zu ihm hoch. Ihr Grinsen floss in die Breite, als sie ihm die Gegenfrage zuflüsterte: »Hast du es schon mal im Fahrstuhl getrieb–?«

»Mia!«

»Habe ich dich aus dem Konzept gebracht?« Wie ein ungezogenes Mädchen kicherte Tamia in sich hinein. Er würde schon sehen, was er davon hatte, ihr die einzige Unterhose aufzuzwingen, die den Hintern ordentlich bedeckte.

Genüsslich zog sie den Reißverschluss herunter. Zwischen dem schwarzen Leder blitzte der cremefarbene Slip hervor. Tamia ließ den Schieber zwischen ihren Beinen hindurchgleiten und schob ihn auf der anderen Seite wieder hoch, bevor sie nach Rubens Hand griff und sie sich auf den Hintern legte. Spätestens jetzt musste er verstehen, dass der Reißverschluss an der Poritze nicht nur Dekoration war.

Ruben verschluckte sich an seinen zwei Silben und hustete. Dann atmete er tief durch – wie man es bei Entspannungsübungen tat –, bevor er es wagte, sie erneut anzufassen und über das Spitzenhöschen zu streichen. Dann fand er, ohne dass er den Stoff beiseiteschieben musste, ihre glatte Haut. Es war aber nicht Tamia, sondern Ruben, der leise aufstöhnte.

»Sechstes Obergeschoss. Tür öffnet sich«, gab der Aufzug bekannt.

»Los. Raus«, befahl Ruben mit beleidigtem Unterton, als ob er nicht akzeptieren könnte, von Tamia aus der Fassung gebracht worden zu sein.

Dann liefen sie gemeinsam zur Wohnung, noch im Flur fragte Tamia nach seinen Vorlieben, doch Ruben antwortete ihr nicht, sondern küsste sie.

»Lenk nicht ab.« Tamia drehte sich um und bohrte den Hackenschuh in seine Brust. Auch wenn sie es gewohnt war, dass er selten auf ihre Fragen antwortete, störte es sie jetzt umso mehr. Nicht nur, weil Ruben wie beim ersten Mal bloß so tat, als fiele er über sie her, um sich dann zwischen ihre Beine zu klemmen und sie zu bedienen. Sondern vor allem, weil sie – bis auf das Höschen und die Schuhe – nackt vor ihm stand und ihm ihren Körper und ihre Seele anvertraute, er hingegen sich ihr gegenüber jedoch verschloss. Es war in Ordnung, wenn Ruben seine Geheimnisse für sich behielt. Doch nun waren sie sich so nah, so intim, dass er ihr zumindest sein Begehren mitteilen sollte. »Wie hast du es am liebsten?«

»Egal.« Er küsste ihr auf die Spitze des Schuhs.

»Ruben!« Energisch riss Tamia ihr Bein los und sah ihm eindringlich in die Augen. »Sag, was gefällt dir?«

Ihr ernster Ton schien ihn zu verwirren, Ruben ließ sie los und erhob sich. Sein angespanntes Schweigen war ihr unangenehm. Unwillkürlich kreuzte Tamia die Arme vor ihrer nackten Brust. Es tat ihr leid, die Stimmung verdorben zu haben. Umso überraschter war sie, als er den Mund öffnete.

»Ich möchte«, Ruben zögerte, »ich möchte mich mal … nicht zurückhalten.«

»Du hast dich bisher zurückgehalten?«, stieß Tamia hervor und dachte an das zerstörte Büro.

»Ich wollte meine Partnerinnen nicht verschüchtern.«

Aber mir vertraust du dich an? Sein Geständnis, auch wenn es so einfach schien, war für Tamia ein Geschenk, dessen Wert ihr bewusst war. Ihr Herz flatterte vor Aufregung. Ohne zu zögern, ohne Bedenken war sie bereit, sich ihm bedingungslos hinzugeben. »Nimm mich, wie du es willst … Bitte.«

»Wirklich?« Das Leuchten seiner Augen war von Lust verschleiert, seine Stimme nur noch ein dunkles Knurren. Cremefarbene Spitze fiel sanft zu Boden. Ein unheilvolles Grinsen huschte über seine Lippen. Dann hielt er sich die Hand vor die Augen. »Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein!«

Wie bitte? Er wollte doch nicht tatsächlich Verstecken spielen? Unsicher trat Tamia einen Schritt zur Seite, ihr Ellenbogen stieß gegen die Vase auf der Kommode. Sie hielt das wackelnde Gefäß fest, als Ruben die Hand herunternahm.

»Du bist ja immer noch da!«, tadelte er.

Lauf! Tamia stolperte ins Wohnzimmer, hinter ihr klirrte Porzellan am Boden. Weit kam sie nicht.

Eine Weile blieben sie regungslos und ineinandergehakt stehen, genossen zitternd das Ausklingen ihrer Lust. Sanft küsste er ihr die Schulter, dann den Nacken an der Stelle, wo er sie gebissen hatte. Tamia richtete sich auf, bevor sie sich jedoch umdrehen und seine Küsse erwidern konnte, gaben ihre Beine nach und sie sank zu Boden.

»Elitesoldatin«, hustete Ruben. Das unverschämte Grinsen in seinem Gesicht machte ihn attraktiver, als er auf die lässige Weise, wie er den Reißverschluss hochzog und seinen Gürtel schloss, ohnehin schon war. Nur die schiefe Krawatte zeugte davon, dass er sich körperlich betätigt hatte. Während saß Tamia verschwitzt, mit zerwühltem Haar und Pudding in den Knien an die Rückseite der Couch gelehnt.

»Meine Beine sind eingeschlafen. Du hast sie abgequetscht.« Tamia verzog die Lippen zu einer Schnute.

»Armes Mädchen.« Er hob sie auf seine Arme, trug sie in die Küche und setzte sie auf die Arbeitsplatte. »Was willst du trinken?«

Ach ja. Ursprünglich war sie auf einen Drink vorbeigekommen. Den sollte sie auf jeden Fall annehmen, bevor sie ihre Kleidung zusammensuchen und zum Stützpunkt zurückkehren würde. »Wasser, bitte.«

Mit einem schnellen Griff holte Ruben zwei Gläser aus dem Hängeschrank, stellte sie neben Tamia ab und goss einmal Wasser und einmal Whisky ein. Danach öffnete er das Tiefkühlfach, um Eiswürfel herauszuholen.

»Bück dich, du Schlampe«, gackerte Tamia.

Mit hochgezogener Augenbraue stand Ruben auf. Da sie nicht aufhörte zu kichern, kippte er ihr das Getränk über den Körper. Tamia zuckte zusammen, aber gab keinen Ton von sich. Sie gönnte ihm nicht den Triumph. »Bin ich dir etwa zu schade für Alko–«

Der goldene Inhalt des Tumblers ergoss sich über sie, doch Tamia ließ nicht zu, dass jemand ihren Redefluss unterbrach. »Ich hoffe für dich, dass es kein billiger Fusel war.«

Der Offizier zuckte mit den Schultern, bevor er sich die restlichen paar Tropfen herunterkippte. Den Eiswürfel pulte er sich wieder aus dem Mund – wahrscheinlich hatte da jemand zu empfindliche Zähne. Das Lachen verging ihr, sie quietschte und diesmal lachte er.

»Seit wann laberst du denn so viel?«, gab Tamia stöhnend zurück.

Er redete schon nicht mehr, sondern bewies ihr, mit welcher Kreativität er sie zu verwöhnen wusste. Tamia war noch empfindlich, sodass es nicht lang dauerte, bis sie weich und erschöpft auf der Küchenzeile lag. Die Lider geschlossen hörte sie, wie er eine Schranktür öffnete und wieder schloss, dann spürte sie, wie Ruben sie sanft trocken tupfte.

»Sind die Schuhe nicht auf Dauer unangenehm?« Ruben friemelte die Riemchen ihrer High Heels auf und erlöste sie von den engen Schnallen.

Tamia öffnete die Augen und der Anblick wärmte ihr Herz. Ein seliges Lächeln umspielte ihren Mund, als sie über seine stoppelige Wange strich. Sein Gesicht war so hart; kaum zu glauben, dass der liebevolle Blick aus ihm entsprang. Tamia lehnte sich an seine Brust und malte mit dem Zeigefinger die Sterne auf der Schulterklappe seiner Uniform nach. »Warum bist du eigentlich angezogen? Und warum liegt da eigentlich Stroh?«

»Du hast keine Anstalten gemacht, mich auszuziehen.«

»Wann hätte ich denn …«, widersprach Tamia impulsiv, aber dann stockte sie. Er hatte recht. Sie hatte wirklich keine Absicht gezeigt, ihn zu entkleiden … Weil sie sich nicht getraut hatte. Weil er so autoritär war und sie sich nicht ebenbürtig fühlte. »Darf ich denn?«

»Selbstverständlich.«

Ruben trug sie ins Schlafzimmer, wo er sie vorsichtig auf die Füße stellte, damit sie nicht ins Wanken kam. Sie schwiegen, trauten sich kaum zu atmen. Sein Brustkorb hob und senkte sich ruhig, als Tamia den Knoten seiner Krawatte löste und sie über den Herrendiener hing. Langsam und bewusst öffnete sie jeden einzelnen Knopf. Der Stoff raschelte, als das Hemd von Rubens Schulter glitt. Sehnige, definierte Muskeln kamen zum Vorschein. Tamia zeichnete die Wölbung der Brustmuskeln nach. Ein heller Streifen, eine verwachsene Narbe, lag auf der Höhe seines Herzens. Verblasst und unscheinbar, im Vergleich zu dem runden Mal an seinem Bauch. Sie betrachtete gemächlich seine Arme, seine Hände und die feinen Narben darauf, die davon zeugten, dass Ruben viel durchlebt haben musste. Doch nichts konnte diesen Körper entstellen.

Tamia sah zu ihm auf, blickte ihm ernst in die blaugrünen Augen und vertraute ihm ihren verborgenen Gedanken an. »Lieutenant … Sie sind ein schöner Mann.« Er lachte kurz auf, als glaubte er ihr nicht.

Sie küsste ihm auf die dunklen Härchen, die vom Bauchnabel unter den Hosenbund liefen; sie öffnete die Gürtelschnalle, streifte die Uniformhose ab und blieb vor ihm knien. »Für mich …« Tamias Atem flatterte vor Anspannung. »Für mich bist du der schönste Mann.«

Ruben beugte sich zu ihr herab, nahm ihr Gesicht in die Hände und zwang sie aufzustehen. Sanft küsste er ihr die Lippen. Nur kurz löste er sich von ihr, um sie zum dritten Mal in den Arm zu nehmen.

»Verwöhn mich doch nicht so«, flüsterte Tamia, als er sie so behutsam auf das Laken legte, als wäre sie ein zerbrechlicher Schmetterling.

»Ich will das.« Ruben beugte sich über sie und strich ihr eine Strähne aus der Stirn. »Ich will dich, Mia.« Er küsste jeden Zentimeter ihrer Haut, liebevoll, sodass sie gar nicht fassen konnte, dass es der gleiche Mann war, der vor kurzem noch wild über sie hergefallen war. Das gedimmte Licht malte weiche Schatten auf sein Gesicht, hinter den gesenkten Wimpern strahlten seine Augen im mysteriösen Türkis. Sein Lächeln fuhr wie ein elektrischer Schlag durch Tamia und überzog ihren Körper mit feiner Gänsehaut.

»Ruben, ich …« Weiter kam sie nicht. Ein schwerer Kloß in ihrem Hals hinderte sie beim Sprechen, es machte ihr jedoch nichts aus, da allein seinen Namen auszusprechen, sie mit Glück erfüllte. »Ruben …«

Als wüsste er, was sie zu sagen beabsichtigte, versiegelte er ihre Lippen mit den seinen und gab ihr zu verstehen, dass tiefe Gefühle keine Worte brauchten. Ihr Körper vollendete den Satz, den er unterbrochen hatte. Tamia räkelte sich ihm entgegen, fuhr mit den Händen besitzergreifend über seinen Po, über seinen breiten Rücken, ihre Fingerspitzen streichelten seinen Nacken und verloren sich in seinen dichten Haaren. Sie tauschten sehnsüchtige Küsse aus, ihre Lippen verschmolzen miteinander, als ob nichts auf der Welt sie mehr trennen könnte. Im stillen Einverständnis drang Ruben in sie ein und wurde eins mit ihr. Die rhythmischen Bewegungen, begleitet von ihrem zarten Seufzen, trugen sie durch die Nacht, bis Ruben und Tamia ineinander verschlungen zur Ruhe kamen.
 

Als Tamia aus ihrem Halbschlaf erwachte, dämmerte es bereits. Leise schlüpfte sie aus dem Bett, um nach ihrer Kleidung zu suchen und zum Stützpunkt zurückzukehren. Noch konnte sie rechtzeitig verschwinden und die Frage umgehen, die sie am folgenden Morgen ihm und sich selbst würde stellen müssen. Eine Frage, die sie sich bisher nicht stellen brauchte, weil sie sich nur auf Affären einließ, und vor allem weil sie sich noch viel zu jung fühlte, um sich mit solchen Themen auseinanderzusetzen. Falls sie für Ruben doch mehr war, falls er sie doch zu seiner Freundin machen wollte, obwohl er es – wie er gesagt hatte – scheiße fand, dann sollte sie ihn aufklären, bevor sie sich entschieden, ein Paar zu werden. Sie sollte ehrlich zu ihm sein.

Tamia blickte an die Decke und seufzte schwer. Es war Zeit, sich zu verabschieden. Auf Zehenspitzen schlich sie fort, hob beim Laufen sein Hemd auf, sog seinen Duft ein – dass sie ihn niemals vergesse – und hing es über den Diener. Tamia wollte sich nicht mit dieser Sache beschäftigen. Es hatte sie immer genervt, wenn ihre Kameradinnen davon geredet hatten: von der großen Zukunft, von den eigenen Wünschen, die niemals in Erfüllung gehen würden. In der Tür drehte sie sich noch einmal zu ihm um. Ruben atmete ruhig, sein Rücken schimmerte rötlich im Licht der aufgehenden Sonne. Es tat ihr weh, ihn so zurückzulassen, und so kehrte sie um und küsste ihn ein letztes Mal auf den Nacken hinters Ohr.

Ruben drehte sich zu ihr. Ohne die Augen zu öffnen, schlang er seine Arme um sie, zog sie zurück ins Bett und vergrub sie unter sich. »Ist meine Zeit schon vorbei?«, murmelte er. »Einen Kuss pro Stunde, wolltest du haben, nicht?« Er zählte die Küsse, die er ihr auf die Lippen hauchte. »Du bleibst bis zum Frühstück. Jetzt schlaf.«

Tamia kam bei seinen zärtlichen Befehlen nicht umhin, zu lächeln. Ein paar Stunden mehr würden wohl nicht schlimm sein. Außerdem war die Sonne noch nicht einmal aufgegangen. Tamia schmiegte sich an seine warme Brust. »Jawohl, Sir.«

Kapitel 12 ― Hab mich lieb

Die Sonne schien grell durch das Panoramafenster. An einem Werktag hätte Tamia um diese Uhrzeit schon längst durch den Staub kriechen müssen. Heute war aber kein Werktag, heute war ein hammergeiler Megatag, und so kuschelte sie sich tief in die Decke. Da sie keinen Widerstand fühlte, der existieren müsste, wenn sie das Bett mit jemandem teilte, robbte sie in die Richtung, wo sie Ruben vermutete. Denn der alleinstehende Mann besaß neben der Luxusdusche natürlich auch ein Luxusbett, das doppelt so breit war wie das quietschige Ding in ihrem engen Quartier.

Tamia fand nichts außer ein zerwühltes Laken und fuhr erschrocken hoch. »Ruben?«

Da niemand antwortete, beschleunigte sich ihr Puls. Hektisch sah sich Tamia um. Auf seinem Kopfkissen entdeckte sie ein Notepad, auf dem in sauberer Handschrift peinlich genau stand, wann er gegangen war, wie lange er voraussichtlich brauchte und wann er spätestens zurückkehren würde. Ruben hatte tatsächlich daran gedacht, dass sie es nicht mochte, allein zu sein, und hatte ihr eine Nachricht hinterlassen, damit sie sich keine Sorgen machte. Lächelnd legte sie das Notepad auf den Nachttisch. Zwei Minuten hatte er noch.

In diesem Moment öffnete sich die Wohnungstür und aus dem Flur erklang seine Stimme – leise, damit er sie nicht weckte, falls sie noch schlief. »Ich bin zurück.«

Tamia sprang aus dem Bett und lief ihm entgegen. »Hey«, grüßte sie zärtlich.

»Guten Morgen, Sonnenschein.« Ruben ließ die Tüten aus der Hand fallen, um sie in den Arm zu nehmen, als sie ihm entgegenflog. Eine Weile lang ertrug er ihre stürmischen Küsse, danach schob er sie eine Armlänge von sich, um sie betrachten zu können. Lachend piekte er ihr in die Wange. »Du hast einen Kissenabdruck im Gesicht.«

Sie schnappte spielerisch nach seinem Finger. »Warum hast du mich nicht geweckt? Wir hätten doch gemeinsam einkaufen gehen können?«

»Ich wollte dir Frühstück ans Bett bringen.«

»Warum denn?«, fragte sie erstaunt. Mit Bettwäsche anstatt Stühlen war das bestimmt eine krümelige Angelegenheit. »Ist das nicht furchtbar unpraktisch?«

»Das ist eine romanti… eine Alternative zu der Zigarette danach.«

Er wollte gerade romantisch sagen! Tamia grinste, aber zog ihn damit aber nicht auf. Es genügte ihr, Ruben verlegen zu sehen, ihn so natürlich zu sehen. Ein wohliges Kribbeln lief ihr über den Rücken. Um noch mehr von diesem wunderbaren Gefühl einzufangen, drückte sie die Nase in sein Hemd, atmete seinen Duft tief ein und seufzte vom Glück berauscht.

»Ich hab dir was mitgebracht.« Ruben bückte sich, um ein Päckchen aus der Tüte zu nehmen. Vor ihr kniend, beeilte er sich nicht, sich zu erheben. Sein schelmisches Grinsen machte ihr bewusst, dass er es auskostete, sie unbekleidet vor sich stehen zu haben.

»Das gehört sich nicht!«, rief Tamia empört und hielt sich die Hände schützend vor ihre Scham.

»Du befindest sich in meinem privaten Bereich. Vergessen?« Schließlich stand er auf und küsste sie auf die Stirn. »Und du bist nackt.«

»Ich wollte duschen.«

»Nimmst du es nun an?« Ruben hielt ihr die Verpackung vor die Nase. Funktionsunterwäsche in schlichtem Weiß. Da sie fragend die Augenbrauen hochzog, erklärte er: »Weil ich schon wieder dein Höschen kaputt gemacht habe.«

»Und ich deine Vase.«

»War eh hässlich.« Ruben schob sie ins Bad und entnahm aus einem Schrank ein Handtuch.

»Aber teuer?«, fragte Tamia. Auf der Ablage über dem Waschbecken strahlte ihr eine quietschgelbe Zahnbürste entgegen. Es war die Zahnbürste, die er ihr das letzte Mal gegeben hatte. Tamia hatte sie auf der Ablage liegen lassen und nun stand die Zahnbürste mit der von Ruben gemeinsam im Putzbecher.

»Keine Ahnung, war’n Geschenk.«

»Scheiße! Das tut mir leid.«

»Muss es nicht.« Ruben erschien mit dem Handtuch in der Tür. »Kam mir ganz gelegen. Das Ding stand nur im Flur, weil man keine Geschenke wegwirft.«

Während sie ein Zahnpastawürmchen auf die Bürste drückte, sah sie Ruben durch den Spiegel interessiert an. Zu gern wollte sie wissen, wer die Person war, deren hässliches Geschenk er aufbewahrte.

»Du hast doch immer gefragt, ob ich eine Freundin hatte …«, begann er und hob sein Shirt. »Das da«, Ruben zeigte auf die runde Narbe, »ist passiert, als die mit der Vase mir nicht vertraut hat.«

»Hat schie geglaubt, dasch du fremdgscht?« Der Schaum im Mund machte das Sprechen nicht besonders einfach.

»Ich hab gesagt, sie soll bleiben, wo sie ist. Aber sie ist mir hinterhergerannt, weil sie sich Sorgen um mich gemacht hat … direkt in die Schussbahn.« Lachend fuhr sich Ruben mit den Händen über die Haare, bevor er sich auf die Waschmaschine setzte und seine ausgestreckten Beine kreuzte. »Wollte mir helfen.«

»Nicht wirklich, oder?« Für Tamia war es unverständlich, wie man sich dem Befehl des Kommandeurs widersetzen konnte. Wenn Ruben ihr befahl, die Stellung zu halten, gehorchte sie. Er war ein fähiger Offizier. Nie würde sie auf die dumme Idee kommen, ihm aus Angst hinterherzudackeln. Dies würde bedeuten, dass sie seine Kompetenz hinterfragte. Vertrauen war die Grundlage einer Partnerschaft. Was Rubens damalige Freundin gemacht hatte, wog für Tamia – und wahrscheinlich auch für Ruben – schwerer als ein Seitensprung.

Tamia spülte sich den Mund aus, indem sie ihn direkt an den Wasserhahn hielt, und wusch oberflächlich ihr Gesicht. »Ich hoffe, du hast deshalb Schluss gemacht.«

»Du bist die erste Frau, die mich versteht.«

Weil ich als allererstes Soldatin bin, nicht Frau. Sie steckte mitten in der Pubertät, als sie auf die Militärschule gekommen war. Natürlich versuchte sie ihre Weiblichkeit auszuleben, aber da fehlte was, da würde immer was fehlen. Es war Zeit, sich mit diesem Thema zu konfrontieren, vor dem sie weglaufen wollte. Nun war sie jedoch über Nacht geblieben und weder Ruben noch sie konnten leugnen, dass zwischen ihnen so etwas wie eine Beziehung war. Und die Basis einer Beziehung war Vertrauen und Ehrlichkeit. Langsam bewegte sich Tamia auf ihn zu. Sie stellte sich zwischen seine Beine, legte die Hände auf seine Oberschenkel und blickte ihm in die Augen.

»Hey, Kleine. Was ist denn los?« Ruben strich ihr die Haarsträhnen aus der Stirn und umfasste ihr Gesicht. Die Wahrheit, die sie ihm anvertrauen wollte, versteckte sich vor seinem intensiven Blick.

»Gar nichts! Ich hab nur überlegt, wie es sich auf einer Waschmaschine anfühlt. Der Schleudergang soll sehr … interessant sein.« Mit einem lasziven Lächeln auf den Lippen ließ sie ihre Hände unter sein Shirt gleiten und kratzte über seine Brustmuskeln.

»Du hast echt nie genug, oder?«

»So ist das, wenn man sich ein junges Ding geholt hat. Flur, Wohnzimmer, Küche, Schlafzimmer … jetzt ist das Bad dran.« Ihr Lachen hallte an den Fliesen wider und vertrieb die ernsten Gedanken. »Oder kannst du nicht mehr, alter Mann?«

»Geh duschen!« Beleidigt schubste er sie von sich.

»Kannst also wirklich nicht mehr«, gab Tamia zurück und stieg in die Dusche.

»Nummer eins ist mein Lieblingsprogramm für den Morgen.«

Noch während ihr Finger die leuchtende Eins auf dem Bedienpanel berührte, wurde ihr bewusst, dass es nur eine miese Falle sein konnte. Zu spät. Aus der Decke prasselte eisiges Wasser herab. Tamia kreischte auf, wollte hinausrennen, aber Ruben war schneller. Er stemmte die Arme links und rechts von ihrem Kopf gegen die Wand und drängte sie an die Steinfliesen.

»Ich erfriere!«, keuchte Tamia.

Hinter einem Regenschleier fixierte Ruben sie mit seinen Augen, dessen unbändiges Feuer ihr Blut in Wallung brachte. Niemals, so glaubte Tamia, würde sie sich an seinen Blick gewöhnen. Ihr Herzschlag pochte in den Ohren, als er sich über sie beugte und sie gegen den Schauer abschirmte, sodass es nicht mehr so arg auf sie niederhagelte. Wasser rann über sein Gesicht, seine wunderschönen Lippen, und binnen weniger Sekunden klebte das durchnässte Hemd an seinem Körper und unterstrich jeden seiner harten Muskeln.

Voller Sehnsucht befreite sie ihn von der Kleidung. Ihre Hände glitten über seinen Oberkörper und hielten auf seinem Brustkorb inne, der sich unter seinem schweren Atem hob und senkte. Nackt und stolz stand er vor ihr, wie ein Kriegsgott. Ruben drückte seinen Mund auf ihren und küsste sie leidenschaftlich, brachte ihr Feuer zum Brennen, bis sie von innen erhitzte. Betrunken von seinen Küssen spürte sie die Kälte nicht, nur die Flamme in ihrem Herzen. Und er erinnerte sie daran, wie es war, Liebe zu machen.
 

»Ich muss dich jetzt leider rausschmeißen«, entschuldigte sich Ruben, als er sich mit einem Handtuch die Haare trocken rieb und zum Kleiderschrank in seinem Schlafzimmer lief. »Eigentlich wollte ich noch gemütlich mit dir frühstücken, aber es hat alles etwas länger gedauert. Kann ich dir wenigstens einen Kaffee anbieten?«

»Ist doch kein Problem.« Tamia schlang die Arme um seine Hüfte und küsste ihn auf die Wirbelsäule. Sie wollte es ausnutzen, solange er noch nackt war. »Ich hole mir unterwegs was.«

Vorsichtig befreite er sich aus ihrer Umarmung, damit er sich anziehen konnte. Dabei fiel Tamia nicht die enge Unterhose um seinen Knackarsch ins Auge, sondern die helle Anzughose aus feinem Wollstoff.

»Mit wem triffst du dich?« Als sie ihre Frage aussprach, bemerkte sie, wie eifersüchtig sie klang. Ruben und sie waren aber kein Paar. Das würden sie auch nicht, wenn sie nicht endlich die Karten offen auf den Tisch legte.

»Ich habe gleich eine Verabredung mit Charlotte.«

»Trefft ihr euch öfters?« Da Tamia nicht wusste, was sie in ihrer Verlegenheit tun sollte, nahm sie seine Uniformhose vom Herrendiener und schlüpfte hinein. Vielleicht wollte sie etwas von ihm an sich spüren, bevor es ihr nicht mehr erlaubt würde.

»Jeden freien Samstag zum Mittagessen.«

Es gab also eine Charlotte, mit der er regelmäßig seine Zeit verbrachte. Die Eifersucht kratzte mit spitzen Krallen an ihrer Haut, und um sie unter Kontrolle zu halten, schnallte Tamia den Gürtel auf das engste Loch, legte sich sein Jackett über und setzte sich das Barett auf. Tamia wollte sich der Wahrheit verschließen, und dennoch wollte sie gleichzeitig mehr über ihre Konkurrentin wissen. »Als sie mal abgesagt hat, durfte ich als Unterhaltung dienen.«

»Ja.«

Der Boden unter ihr drehte sich plötzlich und sie taumelte. Ihr eigenes Kichern hallte unnatürlich in ihren Ohren. Wieso stellte sie so dumme Fragen? Wieso antwortete er ihr überhaupt? Das tat er doch sonst nicht. Und wieso war er so gnadenlos ehrlich?

Ruben zog eine Krawatte aus dem Schrank hervor und band sie Tamia locker um den Hals. »Sie sehen fantastisch aus, Lieutenant.«

»Schau mich nicht so an!« Tamia entzog sich ihm. »Du siehst ja aus, als würdest du einen Putsch planen, eine Usurpation, oder wie man das nennt. Und dann werde ich gehängt.«

Grinsend schaute er an die Decke. »Hängen klingt nach einer verlockenden Idee.«

»Sind das deine perversen Vorlieben?« Sind es Vorlieben, die du mit Charlotte teilst?

»Das ist nicht pervers. Das ist ästhetisch«, widersprach er. »Außerdem sehr praktisch. Dann kannst du zumindest nicht mehr zappeln.«

»Du stehst auf submissive Frauen!«

»Nein.« Ruben streckte seinen Körper auf die volle Länge und zeigte, wer der Überlegene war. »Unterwürfige Frauen finde ich langweilig, sie sollen schon ordentlich zappeln und um sich schlagen. Ansonsten macht es keinen Spaß, sie zu bezwingen.«

Tamia legte den Kopf in den Nacken legen, um ihn anzusehen. Seine Stimme war so ernst und drohend, dass sich die feinen Härchen auf ihrem Körper sich aufstellten.

»Rate mal«, er beugte sich über sie, »wieso ich dich nicht längst gefeuert oder versetzt habe.« Sein heißer Atem strich über ihren Nacken, bevor er mit seinen Zähnen über ihre Haut grub. »Damit würde ich zugeben, dass ich nicht mit dir klar käme … und ich hab dich im Griff.« Um seine Aussage zu verstärken, schloss er die Finger um ihren Hals.

Tamia spürte Erregung, doch noch mehr spürte sie Angst und Ungewissheit. Waren die letzten Wochen nur ein Spiel? Rächte er sich für das, was sie mit ihm getan hatte? Nutzte er ihre Gefühle aus, weil sie ihm, obwohl sie ihn anfangs tatsächlich nur ärgern wollte, mehr als alles auf der Welt verfallen war?

»Ruben …?«, brachte sie mit zitternder Stimme hervor.

Sofort ließ er von ihr los. Blaugrüne Augen sahen sie zärtlich an, eine Hand strich ihr eine feuchte Strähne hinter das Ohr. »Ja?«

Hab mich lieb.

Als würde er ihre Gedanken lesen können, drückte er sie an sich und stillte ihre Sehnsucht nach Geborgenheit. Er hauchte besänftigende Küsse auf ihr Gesicht und machte ihr ohne Worte deutlich, dass sie keine Bedenken haben brauchte. Zumindest bildete sie es sich ein.

Als er sie aus seiner Umarmung entließ, damit sie sich anziehen konnte, bereute Tamia, dass sie nicht in der Nacht verschwunden war. Man sollte aufhören, wenn es am schönsten war, und diesen Punkt hatte sie bereits verpasst.

Ruben begleitete sie zum Aufzug – ihrem persönlichen Feind. Jedes Mal, wenn sie sich in diesen Metallkäfig begab, zählte die Digitalanzeige den Countdown bis zum Erdgeschoss und in dieser Zeit musste sie sich entscheiden: Ob sie sich zurückhalten oder sich ihm hingeben sollte. Ob sie es ihm anvertrauen oder verschweigen sollte. Ob er derjenige sein sollte, mit dem sie die Zukunft plante.

Während sie auf den Fahrstuhl warteten, beugte er sich zu ihr herunter, um ihr mit der Nase über die Schläfe zu streicheln und einen Kuss auf ihr Haar zu geben. »Definitiv besser.«

»Was meinst du?«

»Mein Shampoo.«

»So sexy deine Zwei-Wort-Aussagen auch sind, ich verstehe nicht, was du meinst.«

»Ich mag kein Erdbeerzeug.«

Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie begriff, dass er anstatt des Erdbeershampoos sein eigenes an ihr bevorzugte. Tamia lachte. »Tu nicht so hartgesotten. Deine Lieblingsfarbe ist Knallgelb.«

»Aber nicht rosa«, konterte Ruben. »Ich mag nicht, wenn du nach künstlichem Rosa riechst.«

»Hast du gerade indirekt zugegeben, dass du eine Lieblingsfarbe hast?«

Gleichgültig zuckte er mit den Schultern. »Ich hab auch kein Problem zuzugeben, dass ich gern koche und kleine Kinder niedlich finde.«

Tamia zuckte zusammen und wiederholte leise das Wort, das sie eigentlich vermeiden wollte. »Kinder …«

»Findest du das schlimm?«

Pling. Der Fahrstuhl erreichte die sechste Etage, öffnete die Türen und bot ihr Zuflucht. Tamia setzte den ersten unsicheren Schritt nach vorn, traute sich nicht, sich umzudrehen, während sie die Kabine betrat. Durch das spiegelnde Metall beobachtete sie seinen Gesichtsausdruck, als sie ihm die Antwort gab: »Ein bisschen.«

»Hast du was gegen Kinder?« Erstaunt runzelte er die Stirn, und da sie schwieg, stellte er sich in die Lichtschranke der Tür.

Tamia atmete tief durch und nahm ihren Mut zusammen. Zwar fürchtete sie sich vor seiner Antwort, doch die Ungewissheit plagte sie noch viel mehr. »Wenn du mich nicht als Freundin haben willst, akzeptiere ich das … Aber du kannst nicht verleugnen, dass etwas zwischen uns ist. Ich will wissen, was ich für dich bedeute. Bin ich da, damit du regelmäßig Druck ablassen kannst?«

»Ich hab gesagt, dass ich das Wort Freundin nicht mag, weil es klingt nach Teeniebeziehung klingt, die gerade mal eine Woche hält.« Sein Blick wurde sanft, als er ihr mit der Rückseite der Finger über die Wange strich. »Willst du nicht lieber meine Partnerin sein?«

Ihr Herz zersprang. Sie umarmte den Mann, den sie schmerzhaft liebte, hielt ihn fest und atmete tief seinen Duft ein, für den Fall, dass es das letzte Mal war. Sie flog bereits hoch genug, um sich alles zu brechen, wenn sie fiel. Noch höher würde ihren Tod bedeuten. »… Es klingt etwas seltsam, aber ich finde es ehrlicher, wenn ich dir es sage, …«

Die Türen glitten zu und der Fahrstuhl setzte sich in Gang. Vor Nervosität kratzte sich Tamia am Hals, während die Digitalanzeige sie daran erinnerte, dass ihr nicht viel Zeit blieb, um es Ruben zu erklären. »Ich weiß noch nicht, wohin mich das Leben führt. Ich weiß nur, dass ich in diesem Augenblick mit dir zusammen sein möchte. Ich habe zwar keine Ahnung, wie eine Partnerschaft funktioniert, aber ich will mein Bestes geben. Ich will dir geben, was du dir wünscht, aber …« Tamia holte tief Luft.

»Aber?« Ruben entzog sich ihr und verschränkte die Arme. Panisch sah sie auf die Anzeige. Sechs Stockwerke waren viel zu wenig, um ihm alles von Anfang an zu erzählen.

»Ich bin unfruchtbar«, platzte sie heraus, und sie lachte, weil es sich seltsam anfühlte, diese Tatsache auszusprechen. Sie war noch viel zu jung, um über Kinder nachzudenken. Sie wusste ja nicht einmal, ob sie Kinder haben wollte. Sie wusste nur, dass sie unvollständig, keine richtige Frau war.

Wie ihre Kameradinnen auf Tasmanien hatte sich Tamia an den Vorteilen festgekrallt, sich nicht mit monatlichen Blutungen und Schmerzen auseinandersetzen und sich keine Gedanken um eine ungewollte Schwangerschaft machen zu müssen. Die meisten von den Soldatinnen schienen glücklich zu sein, sie waren selbstbewusste Frauen, die ein erfülltes Sexleben führten. Allerdings machte jede von ihnen mindestens einmal im Leben die Erfahrung, von einem Mann fallen gelassen zu werden, weil sie nicht zur Lebensplanung passten. »Falls es für dich ein Ausschlusskriterium ist, solltest du es dir gut überlegen … Ich kann keine Kinder kriegen. Niemals.«

Ruben starrte sie sprachlos an.

»Ich plane nicht weiter als ein paar Wochen, aber ich bin nicht du. Vielleicht weißt du schon, wo du in zwei, in fünf oder in zehn Jahren sein willst. Vielleicht hast du dir schon überlegt, ob ich bis dahin noch eine Rolle spielen soll.« Ihr wurde schwindlig und sie hielt sich den Bauch – dort, wo ihr das genommen wurde, das sie zu einer Frau machte. »Wenn du mich nicht willst, dann sag es jetzt. Lass mich nicht erst fallen, wenn es mich vollkommen zerbricht.«

Über dem Türkis seiner Augen lag ein trüber Schleier. Ruben stieß den Atem aus, richtete den Blick auf die Decke und fuhr mit den Händen über seine kurzen Haare. Erdgeschoss. Die Tür ging auf. Ruben sah hinaus. »Oh. Guten Tag, Charlotte.«

[Fangirl Special] Ruben im Real Life

Ich habe Ruben Sanchez im realen Leben getroffen. Als Kollegen sind wir ins Gespräch gekommen und haben uns dann angefreundet. Er ist genauso groß wie Ruben, genauso alt, hat gleiche Gewichtsklasse wie Ruben, die gleiche Haarfarbe, den gleichen Bart. Er ist ebenfalls Soldat im gleichen Dienstgrad …

Ich habe mir nichts Weiteres dabei gedacht, alles nur Zufall, bis er das verräterische Grübchen offenbart hat.

Oh. My. God.

Ich musste erst mal durchatmen.

Auf meine seltsame Reaktion hin musste ich ihm natürlich aufklären. Ich habe ihm erzählt, dass ich eine Geschichte schreibe und dass er der Antagonist ist – inklusive Grübchen. [Anmerkung: In der Hauptgeschichte ist Sanchez der „Anta“ und seine wahre Intention kommt nicht heraus. Dass er in Ordnung ist, kann man zwischen den Zeilen rauslesen – wenn man aufmerksam liest. Aber sein wahres Ich, so wie Snape bei HP, lernt man nur in der Story auf Mexx kennen.]

In einem Zwei-Wort-Befehl hat er mir deutlich gemacht, dass er meine Geschichte lesen wolle. Da ich iiiiirgendwie nicht Nein sagen konnte, habe ich ihm die ersten paar Kapitel geschickt. Obwohl er Romanzen nicht leiden kann, fand er die Story er interessant, erleuchtend, aber auch verwirrend. Es ist die Geschichte über sich selbst, meinte er. Sowohl die Weltanschauung als auch die kleinen Details stimmten.

Dass er intelligente, witzige Frauen mag, die anpacken können. Dass er Frauen nicht versteht. Dass er gern Whiskey trinkt. Dass er einen furchtbar bösen Blick hat und dass sein Kamerad zu ihm meinte, er solle mal Lächeln, ansonsten würde er als Terrorist festgenommen werden (aber lächeln darf er wegen des Grübchens ja nicht). Dass er gutes Essen mag. Dass er joggen geht, um den Kopf frei zu bekommen … selbst das Wolfgeheul hat er mal mit Kameraden am Lagerfeuer nachgeahmt, worauf die echten Wölfe im Wald geantwortet haben.

Der echte Ruben hat sich bereit erklärt, Fragen zu beantworten. Fanpost nimmt er auch an, Unterhöschen hat Tamia verboten.

Ihr könnt sie mir zukommen lassen und ich sammle sie und leite sie weiter.


Nachwort zu diesem Kapitel:
* Er will sie nicht wirklich kuscheln.
** Er strickt ihr auch keinen Schal. Komplett anzeigen

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Von: abgemeldet
2016-03-26T19:30:35+00:00 26.03.2016 20:30
Ruben Sanchez...♥ Der Traum einer jeden Frau...♥
Schon geil das du ihn getroffen hast hehe..
Ich hoffe du schreibst bald weiter!

Antwort von:  Vickie
27.03.2016 16:43
Finde ich auch!

Ich hoffe, dass ich im April das nächste Kapitel fertig habe!
Von:  FuckMe
2016-03-01T22:51:59+00:00 01.03.2016 23:51
Ich versteh nich, wie du hast den echten Ruben Sanchez kennen gelernt?
Antwort von:  Vickie
27.03.2016 16:41
Ich hab einen Mann kennengelernt, der so wie Ruben ist. Alter, Job, Aussehen, Weltansicht, … und auch andere Sachen. ;)
Von:  Yinyin24
2016-02-23T04:51:06+00:00 23.02.2016 05:51
Auf jeden Fall ist das FF sehr gut dargestellt worden. Ein fettes Lob von mir. Ich war auch zuerst sprachlos als ich diese Szene aufs Handy gelesen. Ich lese FF's nur aufs Handy könnte ich eigentlich in mein Laptop lesen. Aber da bin ich nebenbei mit Freunden am skypen. Hihi =D Sonst ist die Situation zwischen den beiden Pairings Ruben &Tamia sehr einfallsreich. So ein Mann wie Rubin hätte ich auch gern sehr sexy. *miiiaaauu* Hast du super gemacht! Weiter so.<3 Liebe Grüße Yinka :*
Von:  Hisako213
2016-02-02T14:07:44+00:00 02.02.2016 15:07
Hallo :)
Bin zufälligerweise über deine Geschichte gestolpert und bin mega begeistert!
Ich hoffe es geht schnell weiter*hoff*, denn das Ende ist ja mal ultra gemein! Wer ist Charlotte, was macht sie, was will sie, was sagt Ruben zu Tamias Geständniss?
Freue mich mehr zu lesen!
Liebe Grüsse :)
Antwort von:  Vickie
03.02.2016 08:59
Freut mich sehr, dass dir die Story gefällt!
Ich hoffe, dass ich bald wieder zum Schreiben komme und euch was Neues geben kann. :D
Von:  Haru-no-ko
2016-01-29T05:25:51+00:00 29.01.2016 06:25
Wie verrückt ist das denn?!?!? Ist ja richtig Gruselig! Aber auch total Aufregend, wie ich finde!
Meine Güte! Wenn ma da genauer drüber nachdenkt ist das richtig Aufregend :D
Man könnte fast meinen das es richtiges Schicksal ist, dass du ihn kennengelernt hast ;)
Antwort von:  Vickie
03.02.2016 08:59
Ich fand es auch ein bisschen gruselig! XDDD
Von:  Satomi
2016-01-27T17:15:13+00:00 27.01.2016 18:15
Ich sage jetzt nur "Oh mein Gott!!!!!!"
Ernsthaft? Du hast den realen Ruben kennengelernt!?
Wie geil ist das denn bitte!!!??? Ehrlich ich freu mich das du den wahren Ruben kennengelernt hast.
Nicht jeder Autor findet seine ausgedachten Charaktere real wieder.
Ein Fangirl hat er schon mal. ^-^
Antwort von:  Vickie
28.01.2016 10:25
Ja!!! Ich bin immer noch ein bisschen geflasht. Seine Kommentare zu meine OF habe ich auch mit hochrotem Kopf gelesen.
http://www.animexx.de/weblog/file/563155/27d9f4f6d3f777f9d88f/
Kannst du das einsehen?

Kriegt er auch Fanpost von dir? ♥
Antwort von:  Satomi
09.02.2016 22:36
solange du vom Flash nicht umfällst, ist doch alles bestens. ;D
jup~ kanns einsehen... Ruben im Real Life ... find das immer noch extrem genial. :D

Mal sehen *hat noch nie Fanpost geschrieben/gemacht oder whatever*
Aber paar Fragen hab ich bestimmt *indirekte Recherche zur eigenen Story*
Wie machst du das denn, mit der Fanpost mein ich? o.O
*noch immer drüber schmunzelt*
Von:  m0nstellar
2016-01-18T18:49:16+00:00 18.01.2016 19:49
Also ich bin überrascht, dass sie tatsächlich den Mund aufgekriegt hat.
Aber es ist schön zu sehen, dass in dem Stein Ruben ein Funken Emotion steckt. :)
Ich finde die zwei wirklich fantastisch. Die Emotionen der beiden springen auf mich über.
Ich liebe es. :) <3
Von:  Haru-no-ko
2016-01-17T19:59:39+00:00 17.01.2016 20:59
AH nein! ENDE?! WARUM?! NEIN :D
Man ist das spannend, und nun noch Charlotte! OH Man!
Ist das alles Aufregend!
Von:  joshi_chan
2016-01-17T12:29:37+00:00 17.01.2016 13:29
Charlott...
Ein perfektes Ende!

I liiiebe deine Geschichte. Freue mich schon auf das nächste Kapitel ! :)
Von:  Haru-no-ko
2016-01-14T20:01:45+00:00 14.01.2016 21:01
Ich habe vor einigen Tagen angefangen dein FF zu Lesen. Und Wow, ich bin einfach mal Begeistert von dem ganzen Thema, seinen Personen und den Inhalten!!
Ich finde du hast definitiv Talent zum Schreiben!!
Und ich Hoffe das du es nicht aufgibst und uns und den Figuren ein tolles Ende bereitest!!
Ruben und Tam, obwohl Mia auch süß klingt, sind einfach toll zusammen.
Ich hoffe echt das es weiterhin so spannend bleibt!!
Liebe grüße vom Bapf
Antwort von:  Vickie
14.01.2016 22:21
Vielen Dank für dein Lob. :D
Das nächste Kapitel ist fast fertig. Wenn ich gut bin, gibt es sogar noch diese Woche Nachschub.


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