Dann war es zu spät von rea_seraph ================================================================================ Kapitel 1: Der Eine ------------------- Manche Verbindungen im Leben sucht man sich selbst aus. Andere sind von Gott vorbestimmt. ~~*~~ Ich hatte Dich an der Hochschule für Bionische Forschung in Sheridan Hills kennen gelernt. Vom ersten Blick an warst Du mir Nahe. Es war eine Anziehung, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Die Tiefen Deiner grünen Augen durchbohrten mich geradezu. Von Anfang an irgendwie wissend. Bildete ich mir zumindest ein. Ich suchte Deine Nähe. Und überraschenderweise kamst Du mir auf halbem Weg entgegen und lächeltest mich an. "Du bist ein Erstsemester, ja?" Nickend setzte ich mich neben Dich, auf einen der nicht wirklich ergonomisch geformten Stühle der Kantine. "Was ist Dein Hauptfach?" "Bionische Robotik." Interessiert hebt sich eine Deiner Augenbrauen. Du deutest damit wohl an, dass ich weitererzählen soll. "Das wollte ich schon immer studieren. Verstehen auf welcher Grundlage Technik und Biologie fusionieren können, bis man sie nicht mehr auseinander halten kann." Lächelnd nickst Du. "Das war auch der Grund, warum ich dieses Hauptfach gewählt habe." Von diesem Moment an hatte ich einen Lehrmeister und Freund gewonnen. Ich konnte nicht ganz nachvollziehen, was Du mit einem dünnen, hellhäutigen Nerd wie mir wolltest. Einem Technik- und Spiele Freak, aber ansonsten langweiligen Typen, der vor lauter Sommersprossen manchmal sein Gesicht im Spiegel gar nicht mehr finden konnte. Meine zerzausten schwarzen Haare waren mir ebenso, wie meine matschbraunen Augen ein Gräuel. Aber Dir, Damien... dem großen gutaussehenden Mann mit Deinen grünen, so wunderschönen grünen, Augen und Deinen dunkelblonden Locken, Deinem wachen Verstand, Deinen witzigen Äußerungen und Deinem Herzen aus Gold... Dir schien ich wirklich etwas zu bedeuten. Du sahst mich manchmal an, als würdest Du nur für mich sprechen. Nur für mich Lachen und Weinen. Es verging kaum ein Tag, an dem wir uns nicht sahen. Oder zumindest eine Kurznachricht per Hologramm schickten. Wir wuchsen zu einer perfekt funktionierenden Einheit zusammen. Gemeinsames Frühstück, Lesungen, zusammen Mittagessen, nachmittags lernen und reden bis in die Nacht hinein. Und die Gespräche waren mir das Wichtigste. Sie bestätigten mir immer wieder, dass mein Gefühl mich nicht trog und wir uns tatsächlich so Nahe und ähnlich waren, wie ich es empfand. Eines Nachts klopftest Du an mein Zimmer und führtest mich von einem Dachfenster aus hinaus aufs Vordach der Hochschule. Dort legten wir uns auf eine Decke und starrten gemeinsam in die Sterne. Du erklärtest mir die Geschichten einiger Sternbilder und ich war fasziniert, was Dich alles zu interessieren vermochte. Dann warst Du wieder minutenlang still. Meine Hand in Deiner war warm und es war einer dieser perfekten Momente. Du warst wahrscheinlich der einzige Mensch auf der Welt, der in meiner stummen Anwesenheit all das herauslesen konnte, was ich nicht auszusprechen fähig war. Irgendwann erzähltest Du mir vom frühen Verlust Deiner gesamten Familie bei einem Flugzeugabsturz. Mutter, Vater, kleine Schwester. Alle tot. In einem Augenblick noch unterwegs zu einem Urlaub in die Canaren, bei dem Du wegen Prüfungen nicht mit fliegen konntest, im Nächsten nicht mehr in dieser Welt. Es war graumsam, wie schnell so etwas manchmal gehen konnte. Und egal welcher Idiot mal gemeint hatte "Zeit heilt alle Wunden", der hatte noch nie wirklich seelische Pein ertragen müssen. Manche Wunden heilten nicht. Manche verschorften nur und man kratzte sie sich immer wieder auf, um nicht zu vergessen. Denn Vergessen war noch schlimmer als Vermissen. Leiden war noch besser als Verdrängen. Manche Wunden heilten nicht. Nicht ganz. Und an jedem Jahrestag Deines schrecklichen Verlustes, den ich nun mit Dir gemeinsam beging, betrauerten wir Die Abwesenheit Deiner Familie in dieser Welt wie eine frische Wunde. Du wurdest ganz still in meinen unzähligen Umarmungen. Jeder andere Tag war für uns ein Feiertag. Wir luden uns gegenseitig schick zum Essen ein, machten zwanglose Picknicks, laßen uns gegenseitig vor und gingen auf wilde Partys. Schauten gemeinsam nächtelang Serien. Viele Jahre... sieben Jahre. Du teiltest mit mir Erinnerungen an Familienfeiern. An glückliche Geburstage. Wie sehr Du die Farbe blau liebtest, seit Dir Deine Mam ein Hoverboard in genau dieser Farbe geschenkt hatte. Noch mehr Erinnerungen als Du erfuhrst, dass ich selbst niemals eine Familie hatte. Dass ich in einem Institut aufgewachsen war und mich nicht erinnern konnte, dass ich jemals zu jemandem gehört hätte. Du warst für mich da. Du fülltest meine Leere mit Deinen Erinnerungen. Du teiltest alles mit mir. Bis ich bereit war auch mein größtes Geheimnis mit Dir zu teilen. Ich war nicht menschlich. Nicht ganz. Ich war teilweise Erfindung und Schöpfung. Eine Einheit, mit dem technischen Skelett eines Roboters, umfasst von einer bionischen Masse aus einer gestohlenen Eizelle und gestohlenen Spermien. Der Wissenschaftler, der mich gebaut oder eher erschaffen hatte, war für sein Vergehen wider der Natur weg gesperrt worden. Das war, denke ich, auch gut so. Ich konnte für diesen Mann nicht wie für einen Vater fühlen. Hassen konnte ich ihn jedoch auch nicht, weil ich ohne ihn nicht existieren würde... es war zeitweise sehr schwierig für mich. Nicht zuletzt weil ich nicht darüber reden konnte. Als ich in das Institut gegeben worden war, geschah dies in der Hoffnung, dass ich nicht wüsste, was ich war und so ein normales Leben führen konnte. Aber das Wissen über meine Wahrheit war tief in mir verankert. Wie die schleichende Erkenntnis, dass ein Apfel faulig ist, war mir von jeher bewusst gewesen, dass ich nicht vollständig menschlich war. Dass etwas nicht stimmte. Lange konnte ich nicht genau sagen, was los war. Aber als ich mich bei der Arbeit an einem Projekt einmal zu tief schnitt sah ich das Metall wo Knochen sein sollten. Und es kostete mich ziemlich viel Nerven die Wunde selbst mit einem strengen Verband zu verarzten, bis alles soweit zugewachsen war, damit keiner mehr diese Abnormität entdecken konnte. Von da an war mir nur zu sehr bewusst, dass ich mich von gefährlichen Apparaturen, oder Sportarten fernhalten musste, wenn ich nicht wollte, dass jemand hinter mein Geheimnis kam. Ich wollte auch keinesfalls die wenigen Menschen aufschrecken, die wussten was ich war. Wer wusste schon, ob die mich nicht einfach ausschalten konnten. Ich hing an meiner Existenz. Was auch immer sie war. Oder für andere bedeuten sollte. Dir, Damien, bedeutete ich auf jeden Fall eine Menge. So wie Du mir. Du ließt mich vollkommen menschlich fühlen. So tief und wahr, dass ich ganz offen und ehrlich sein wollte. Denn Du warst so viel mehr für mich als ein Freund. Du warst meine bessere Hälfte. Doch bevor ich die Gelegenheit dazu hatte, funkte mir das Schicksal dazwischen. Heute war ein Tag wie jeder andere. Ich saß in einer meiner zahlreichen Lesungen und tat mein Bestes mein Wissen zu erweitern. So hatte ich wieder Themen, die ich mit Dir vertiefen konnnte. Theorien, die wir gemeinsam weiterspinnen konnten. Dann war es plötzlich so, als würde dem Raum, in dem ich gerade saß, jeglicher Sauerstoff entzogen. Du warst heute nicht an der Hochschule, weil Du wegen Deiner Abschlussprüfung ins Stadtzentrum fahren musstest. Und Du würdest nicht mehr zu mir zurück kehren. Denn wie eine Durchsage gerade durch den Lesungssaal geschallt hatte, warst Du bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Sollte das ein Scherz sein!? Das konnte doch einfach nicht wahr sein? Was hatte das zu bedeuten? Warst Du wirklich fort? Für immer? Wie betäubt stand ich auf, ließ meine Tasche, meine Stifte, meinen Block - einfach alles - liegen, verließ den Saal und fragte im Sekretariat nach dem Krankenhaus, wo Du zu finden sein musstest. Da Du keine Familie mehr hattest, wurde ich sowieso ins Krankenhaus gebeten. Als ich dort ankam, wusste ich nicht wie ich es dorhin geschafft hatte. Im Krematorium durfte ich mich von Dir verabschieden. Ich bat die Schwester mich allein zu lassen. Vorsichtig ging ich auf die Bahre zu. Unter weißem Tuch lagst Du dort. Ab der Hüfte zugedeckt. Ich zog Dir das lange Tuch ein wenig höher, weil ich wusste wie sehr du am Bauch immer gefroren hast. Ich sah Dir ins Gesicht, welches beinahe unversehrt wirkte. Du sahst aus wie ein Engel. So friedlich. Und du warst für immer fort. Ich konnte nicht weinen. Lag es an meinem Wesen, oder hatte ich es einfach noch nicht akzeptiert?! Ich konnte einfach nicht weinen. Ich drückte Deine Hand, küsste sie. Küsste Deine kalten Lippen. Als kein Gegendruck kam, hatte ich das Gefühl zu ersticken. Ich sank zu Boden und umklammerte Deine rechte Hand. Ein Zittern schüttelte meinen ganzen Körper durch. Hatte ich einen Kurzschluss? Würde ich jetzt einfach aufhören zu funktionieren? Zur Seite kippen und das wars dann? Irgendwie fühlten sich diese Gedanken tröstlich an... ..denn wie sollte ein Leben ohne Dich aussehen? Wer brachte mich dazu mein Gemüse aufzuessen? Oder überhaupt zu essen? Wer sang mich in den Schlaf, wenn ich vor lauter Angst nie wieder aufzuwachen stundenlang wachlag? Wer ließ sich im Gegenzug von mir halten, wenn es ihm schlecht ging? Für wen sollte ich noch lachen, leben, atmen? Es war ein tiefes Loch in das ich fiel und ich glaubte nicht, dass ich mich aus eigener Kraft da jemals wieder würde herausziehen können. In den Wochen darauf war ich beschäftigt mich um Deine Beerdigung und unzählige Formalitäten zu kümmern. Das lenkte mich ein wenig von der Erkenntnis ab, dass ich eine leere Hülle war. Dass mich nichts mehr bewegte. Ich eine um die andere Lesung verpasste und es mich einfach nicht mehr interessierte. Als ich zur Testamentsverlesung gebeten wurde, wollte ich es einfach nur schnell hinter mich bringen. Der Notar, ein älterer Herr mit graumeliertem Haar an seinen Schläfen, sah auf, über seine schmale randlose Brille hinweg und begann zu verlesen. Du hattest mir alles hinterlassen. Einfach alles. Aber wozu? Es war ja nicht so, als ob Du das noch mit mir teilen könntest? Also was sollte ich damit? Dein Auto, Deine Wohnung, Deine Unterlagen und .... ... einen Brief. Ich war nicht überrascht, dass Du auf Deinen Tod so gut vorbereitet warst. Wenn man so früh seine Familie verlor, dann wusste man, dass der Tod hinter jeder Ecke lauerte. Daheim in der Wohnung, öffnete ich mit zitternden Händen Deinen Brief und begann zu lesen. Du hattest ihn mir dem Datum auf dem Briefbogen zufolge schon vor drei Jahren geschrieben... "Lieber Cyrus, ich kann gar nicht in Worte fassen, was Du mir bedeutest. Du bist alles, was mich am Leben hält. Als ich Dich kennen lernte, hatte ich schon nicht mehr geglaubt jemals wieder Freude zu empfinden. Du bist meine Sonne und mein Mond. Ich würde Dir einen Heiratsantrag machen, wenn ich den Mumm dazu hätte. Aber zumindest meine Liebe will ich Dir schon gestanden haben, bevor ich gehe. Das ist es, was ich mir vorgenommen habe. Für den Fall der Fälle jedoch, dass ich gegangen sein sollte, bevor ich Dir gesagt habe, dass Du Alles für mich bist, will ich es Dir nun auf diesem Wege mitteilen: ~Meine Arroganz in manchen Dingen lachst Du einfach fort, Du bist für mich jederzeit mein Zufluchtsort, Du sagst nicht viel, bist aber immer da, bist mir niemals fern, immer ganz nah, meine Gefühle sind nur auf Dich ausgerichtet, Dein Name soll mein letzter Atemzug sein, bevor er da oben mich richtet.~ ...ich weiß ich bin fürchterlich kitschig. Aber das hast Du mir ja schon oft gesagt. Und ich liebe es, wenn Du dann so lächelst und sich diese niedlichen Grübchen auf Deinen Wangen zeigen. Bitte stell nichts Dummes an und lebe für mich weiter. Mach alles, was ich nicht mehr geschafft habe! Und mehr! Lies meine Unterlagen und füg Deine eigenen Gedanken hinzu. Mach Karriere und wenn Du erst mal den Nobelpreis gewonnen hast, dann denk an mich mit einem Lächeln. Vergieß keine Tränen, sondern feiere, dass wir uns gehabt haben. Denn Du bist das Beste für mich. Ich hoffe ... nein, ich weiß: ich war auch das Beste für Dich. Für immer Dein, Damien." Gedankenverloren fuhr ich über meine Wangen, suchte nach den erwähnten Grübchen, fand sie und dann konnte ich endlich weinen. Ja, ich weiß. Du wolltest nicht, dass ich Deinen Verlust betrauere. Aber es tat so gut. Auch die Erkenntnis, dass ich menschlich genug war, dass mein Körper zu dieser Funktion fähig war. Aber vor allem deswegen, weil ich endlich ein wenig von dem Druck loswurde, der sich über Tage in mir angestaut hatte. Ich weinte um Dich, um mich und um alles was mir an dieser Situation unfair vorkam. Du warst so jung. Ich war so allein ohne Dich. Wir hatten noch so viel vor. Gemeinsam und jeder für sich. Mit einem lauten Schniefen und zittrigen Händen über meine Augen gewischt, riss ich mich - wie es mir vorkam nach Stunden - zusammen. Es war einfach keine Zeit hierfür. Denn es musste gefeiert werden. Am besten wohl mit Deinem Lieblingswein auf unserem Vordach. Mit einem lauten "Auf Uns!" werde ich unsere Liebe in den Himmel schreien. Dann werde ich mir Deine Unterlagen vornehmen. Ich werde alles tun was Du Dir von mir wünschtest. Ein leiser Gedanke in meinem Hinterkopf bleibt dennoch bestehen: Wie sehr wünschte ich mir, ich hätte mich Dir anvertraut.... Du hättest es faszinierend gefunden, dass ich genau das bin, was du immer gesucht hast. Die Fusion aus Bionik und Robotik. Aber so sollte es wohl einfach nicht kommen.... Dennoch wünschte ich mir, ich hätte mich Dir anvertraut....und dann war es zu spät. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)