Lost Future - Dark Paradise? von RaoulVegas (Same as it never was...) ================================================================================ To reminisce of my brother... ----------------------------- Zwei Monate später - Dezember… Die Zeit ist vergangen und die Wunden sind verheilt. Doch leider weiß Michael noch immer nicht, wer er wirklich ist und wie nahe er seinem eigenen Bruder gegenüber steht. Trotz alledem ist er seinem früheren Ich unbewusst so nahe wie es nur geht. Der Blonde hat seine alte Fröhlichkeit und aufgeweckte Art zurückgewonnen, von seinem endlosen Appetit ganz zu schweigen. Die Geschicklichkeit mit seinen Waffen schien er nie wirklich verloren zu haben, sind sie in seinem Inneren doch eingebrannt wie heißer Stahl in Holz. Umso überraschter war Chen, als er Michael das erste Mal trainieren sollte. Der Japaner hatte sich schon gewundert, warum Raph ihm gesagt hat, dass er den Jungen besonders hart rannehmen und mit ihm nicht so nachsichtig wie mit den Foot sein soll. Den ersten Übungskampf hat Raphael äußerst genau über die große Scheibe im Thronsaal beobachtet. Und ganz so wie er es vermutet hatte, war es dann auch gewesen. Michael weiß vielleicht noch immer nicht wie er wirklich heißt und wo er herkommt, doch die Moves, die Splinter ihm vor ewigen Zeiten eingebläut hat, sind zu einem unauslöschbaren Instinkt geworden. Mit einem zufriedenen Lächeln konnte Raph also beobachten, wie Michael mit unglaublicher Eleganz und Schnelligkeit Chens Angriffen ausgewichen ist. Wo der Junge nach dem Aufwachen noch nicht einmal wusste wie die Waffen, die er bei sich trug, heißen oder wie man sie benutzt, so war in diesem Moment davon nichts mehr zu spüren. All seine Bewegungen glichen angeborenen Reflexen, die den Blonden selbst ganz überrascht haben. Diese erstaunlichen Fähigkeiten und Fortschritte haben auch den selbsternannten Sensei Chen mit Stolz erfüllt und so trainiert er Michael besonders intensiv. Doch nicht nur seine wiederentdeckte Kampfkunst erinnert den Führer an seinen kleinen Bruder, seine ganze Erscheinung schreit geradezu danach. Mit seiner fröhlichen und ausgelassenen Art gewinnt er jeden für sich und erhellt damit die Gesichter aller Flüchtlinge wie es sonst hier keinem gelingt. Er ist hilfsbereit und für jeden Spaß zu haben. Sein Hunger kennt keine Grenzen, auch wenn es hier leider noch keine Pizza gibt. Doch immerhin haben sie in all den Jahren allerhand Bücher und Comics gefunden, die der Junge in jeder freien Minute gierig verschlingt. So kommt es dem roten Ninja immer öfter so vor, als wäre nie etwas zwischen ihnen passiert; als hätte es nie einen Krieg gegeben, der sie zehn Jahre voneinander getrennt hat. Mit einer Ausnahme. Da Raph ja hier der Führer ist und Michael zu den Foot-Soldaten gehört, legt der Blonde eine Höflichkeit an den Tag, die er sein früheres Leben lang nie besessen hat. Nur zu gut kann sich Raph noch daran erinnern wie viel Nerven es Splinter gekostet hat, Mikey davon abzubringen jeden der ihm begegnet ist, als seinen Kumpel anzusprechen. So ist es mehr als seltsam für den Saikämpfer von dem kleinen Wirbelwind ehrfürchtig als Meister bezeichnet zu werden. Zudem verbeugt sich der Junge mindestens genauso oft wie Chen vor ihm, was Raph fast in den Wahnsinn treibt. Wüsste er nicht, dass eigentlich Mikey vor ihm steht, würde er denken, dass sich Leo die Haare gebleicht hätte und ihm damit einen ganz miesen Streich spielt. Dennoch hegt der Saikämpfer die Hoffnung, dass sich das mit der Zeit legen wird. Spätestens wenn er sich wieder an alles erinnern kann. Zudem wirkt es äußerst grausam Mikey in der trostlosen Uniform der Foot zu sehen. Er muss zwar sein Gesicht nicht verbergen und das enge Schwarz übt eine unglaubliche Anziehung auf den Einäugigen aus, dennoch scheint es dem Blonden seine ganze Persönlichkeit zu nehmen. Der einzig individuelle Tatsch daran bildet das orange Bandana, das dem Jungen nun als Gürtel dient. Die anderen Foot haben sich in der Zwischenzeit auch daran gewöhnt, so ein junges Kerlchen in ihrer Mitte zu haben. Dennoch ist ihnen der Neid anzusehen, wenn sie trainieren, ihnen jedoch nicht wirklich etwas gelingen will und es Michael scheinbar so leicht fällt. Das ihr Führer ihn in irgendeiner Weise bevorzugen könnte, fällt ihnen noch nicht auf, da Raph sich alle Mühe gibt, es zu unterbinden. So beginnt auch dieser Tag mit einem ausgiebigen Training für alle und dann werden die Missionen für heute vergeben. Da bis jetzt noch kein Schnee gefallen ist und die Temperatur tagsüber noch knapp über dem Gefrierpunkt liegt, ziehen die Foot immer noch in die zerstörte Stadt aus und durchsuchen die Trümmer nach brauchbaren Materialien. Eine Arbeit, die trotz der langen Zeit noch weitere Jahre in Anspruch nehmen wird. Die Flüchtlinge indes arbeiten fleißig weiter daran neue Unterkünfte zu errichten, da fast täglich weitere zu ihnen kommen. Noch etwas schnaufend betreten die Foot-Ninja nach dem Training den Thronsaal, um ihre Aufgaben für heute entgegen zu nehmen. Michael ist ganz besonders aufgeregt, da er hofft, heute endlich auch einmal mit auf Mission gehen zu dürfen, als immer nur den Flüchtlingen bei ihrer Arbeit zu helfen und zu trainieren. Mit leuchtenden Augen steht er zwischen den völlig vermummten Foot und blickt zu seinem Meister hinüber. Dieser drückt in aller Seelenruhe seine Zigarette aus und greift nach dem Papier, auf dem die Truppenverteilung niedergeschrieben ist. Das Gekritzel scheint keine Ordnung aufzuweisen, von Lesbarkeit ganz zu schweigen, dennoch ist Raph sehr zufrieden mit seiner Arbeit, hat sie ihm doch wieder einiges abverlangt. Geduldig überfliegt er die Seite, während sich die Foot in Formation begeben und dann vor ihm auf die Knie gehen. Mit seinen zottigen, blonden Haaren wirkt Michael zwischen ihnen wie ein Stern in absolut finsterer Nacht. Nicht zum ersten Mal muss Raph bei diesem Anblick unweigerlich lächeln, war Mikey für ihn doch schon immer sein Stern, der ihn aus der Dunkelheit befreit hat. Gemächlich erhebt sich der Rüstungsträger von seinem Thron und beginnt die einzelnen Teams ihren Quadranten zuzuordnen. Jedes Team, das seinen Standpunkt kennt, erhebt sich leise und verschwindet dann aus dem Saal. So dünnt sich die Schar von Männern vor Raphael schnell aus. Als einziger übrig bleibt wie immer Michael. Erwartungsvoll rutscht der Junge auf seinen Knien hin und her und blickt seinen Führer mit großen Kulleraugen an. Der Ältere mustert ihn eine ganze Weile schweigend, ohne dass der Nunchakuträger die Hoffnung zu verlieren scheint. Innerlich fällt es dem Saikämpfer ziemlich schwer sein aufgewecktes Gegenüber erneut enttäuschen zu müssen. In seinen Augen ist Michael einfach noch nicht so weit mit den anderen auf Mission zu gehen, ganz zu schweigen davon allein eine derartige Aufgabe zu übernehmen. Zu kurz war die Zeit, die er erst völlig wieder auf den Beinen ist. Außerdem fällt es ihm irgendwie schwer, den Jungen aus den Augen zu lassen. Er fühlt sich für ihn verantwortlich, mehr denn je noch als früher noch, doch er kann ihn schlecht den ganzen Tag an die Hand nehmen. Daher gibt er ihm Aufgaben, bei denen er sich in seiner Nähe befindet und die möglichst ungefährlich sind. Doch je öfter er das tut, desto weniger scheint es Michael zu gefallen, seinen Befehlen Folge zu leisten. „Ok, Michael. Ich möchte, dass du rübergehst und den Frauen beim Waschen und Kochen hilfst. Anschließend wirst du den Männern auf der Baustelle helfen.“, kommt es von dem Clan-Führer. Mit jedem seiner Worte schwindet ein Grad mehr von der Vorfreude des Blonden, bis er schließlich betrübt zu Boden blickt. Er hat sich so auf eine richtige Aufgabe gefreut und nun darf er nur wieder das Hausmädchen spielen. Der Junge beißt sich auf die Unterlippe und seine Hände verkrampfen sich auf seinem Schoß zu Fäusten. Raph sieht ihm deutlich an, dass er angestrengt versucht seine Enttäuschung herunterzuschlucken. Und er kann ihn bestens verstehen. Ihm ging es nicht besser, als Splinter dasselbe früher mit ihnen gemacht hat. Leo und Donnie durften immer die tollen Sachen machen, während er und Mikey zuschauen mussten. Nun, da er erwachsen ist, versteht er, dass Splinter damals genau das Richtige getan hat und versucht es weiterzugeben. Doch genau wie Raph damals, möchte auch Michael jetzt nicht verstehen, warum er einfach nicht ernst genommen wird und man ihm keine richtige Aufgabe zutraut. Es fällt Raphael wahrscheinlich wesentlich schwerer seinen Bruder so zu enttäuschen, als es Splinter damals fiel, aber er will ja nur das Beste für seinen Schützling. Im Gegensatz zu dem Blonden weiß Raph ganz genau, dass Mikey schon damals an Selbstüberschätzung und akuter Konzentrationsschwäche gelitten hat und das hat sich nicht geändert, nur weil er keine Erinnerung mehr an damals hat. Stumm betrachtet der Führer seinen jungen Soldaten. „Hast du mich nicht verstanden?“, fragt er ihn schließlich nach einer weiteren Minute des Schweigens. Leichter Zorn schwingt in seiner Stimme mit. Sonst hat sich Michael trotz seiner Unzufriedenheit immer getrollt und brav gemacht, was man ihm gesagt hat, doch heute nicht. Er hockt weiterhin wie ein trotziges Kind auf seinen Knien und starrt zu Boden. Langsam hebt er nun den Kopf und blickt ihm verständnislos entgegen. Schmollend schiebt er jetzt auch noch die Unterlippe vor, was ihn noch mehr wie ein kleines Kind aussehen lässt. Bei diesem Anblick muss sich der Ältere ehrlich zusammenreißen, um nicht zu lachen. Es kommt und kam nicht oft vor, dass der Blonde in so einen trotzigen Zustand verfällt. Wahrscheinlich weil er damals wusste, dass er bei Splinter da nicht weit kommt und bei seinen Brüdern hat es auch nur selten funktioniert. Doch jetzt ist seine Unwissenheit groß und er denkt vielleicht, dass er Shredder wohlmöglich überreden kann. Doch ihn so kindlich anzuschmollen wird ihm da nicht sonderlich weit bringen. Außer vielleicht er möchte, dass Raph einen Lachanfall bekommt. Der Nunchakuträger ist weiß Gott nicht der Typ, der finster dreinschaut oder besonders aufmüpfig wird, umso lustiger ist daher sein Anblick. Allerdings lässt sich Raph nicht erweichen, es ist immerhin zu Michaels eigener Sicherheit. „Ich hab dich was gefragt, also antworte gefälligst!“, kommt es betont streng von dem Rüstungsträger. Der Junge gibt ein missgünstiges Schnauben von sich. „Ich habe Euch sehr wohl verstanden, doch ich kann es einfach nicht akzeptieren!“ Michael versucht wütend zu klingen, doch ein Anflug von Traurigkeit mischt sich in seine Stimme. Versucht geduldig legt Raph seine Ellenbogen auf die Armlehnen, verschränkt die Finger vor seinem Gesicht und bettet sein Kinn darauf. Er trägt seinen Helm nicht, daher kann der Jüngere genau sehen wie es in dem Gesicht des anderen arbeitet. „Du versuchst dich also meinem Befehl zu widersetzen, hab ich das richtig verstanden?“ Das einzelne, gelbgrüne Auge funkelt dem Blonden mit aufkommender Wut entgegen. Nicht wissend, zu was sein Meister alles in der Lage sein kann, stellt sich der ehemalige Hamato ihm jedoch entgegen. „Ich widersetzte mich Eurem Befehl keineswegs, ich hätte nur gern einen anderen!“, erwidert er immer noch schmollend. Beinahe herablassend betrachtet Raphael ihn erneut. Früher hätte Mikey es nicht gewagt ihm zu widersprechen, doch gerade deswegen macht es Raph jetzt so neugierig wie lange er es aushalten wird. Der Junge kann sich noch so sehr anstrengen, er wird seine Meinung dennoch nicht ändern. Doch der Blonde hatte schon immer eine ausgeprägte Hartnäckigkeit an sich, wenn ihm etwas nicht passte. „Das ist überaus interessant. Und wenn ich dir keine andere Aufgabe gebe?“, hakt der Rote nach. Falls es überhaupt noch möglich ist, setzt der Kleinere nun ein noch schwollenderes Gesicht auf und verschränkt trotzig die Arme vor der Brust. An Unhöflichkeit ist der Anblick kaum noch zu überbieten, doch Raph sieht es noch gelassen und versucht streng zu bleiben. „Dann verlange ich eine Erklärung von Euch, warum ich nicht mit den anderen auf Mission gehen darf!“, platzt es ungehalten aus dem Jungen heraus. Langsam wird es dem Führer nun doch etwas zu bunt. „Ist dir eigentlich klar wie respektlos du hier gerade mit mir redest, junger Mann?“, fragt er ihn daher und lehnt sich drohend nach vorn. Zu seiner Überraschung ignoriert der Junge ihn jedoch. Er steht sogar auf und kommt zwei Schritte auf ihn zu. „Ihr sagt mir ständig, was ich für ein toller Kämpfer bin und das die anderen nicht mal ansatzweise so gut sind wie ich! Also warum lasst Ihr mich dann keine vernünftige Aufgabe erledigen?“ Seine Stimme ist deutlich lauter geworden und hat ihren traurigen Unterton völlig verloren. Nun scheint er einfach nur noch enttäuscht und wütend zu sein. Inzwischen gefällt Raphael dieses Spielchen aber überhaupt nicht mehr. Wenn er weiterhin so mit sich reden lässt, werden bald alle Foot glauben, sie könnten so mit ihm umspringen, wenn ihnen etwas nicht passt. Und dann wird alles, was er sich mühevoll aufgebaut hat, in totalem Chaos enden. Mit einem wütenden Knurren erhebt sich der Foot-Clan-Führer von seinem Thron und stellt sich vor den Jungen. Dieser blickt ihm furchtlos entgegen und weicht keinen Zentimeter zurück. Grob packt Raphael ihn am Kragen und hebt ihn schier mühelos auf Augenhöhe, als wäre er nichts weiter als ein Kissen. Überrascht zuckt der Junge etwas zusammen und versucht sich frei zu strampeln. Der Ältere lässt ihm jedoch keine Chance. „Nun hör mir mal genau zu, du Früchtchen! Wenn ich dir eine Aufgabe gebe, dann hast du sie gefälligst auch ohne Wenn und Aber zu erledigen. Andernfalls werde ich dir deinen Hinter versohlen, dass du die nächsten zwei Wochen nicht mehr sitzen kannst, ist das klar!“, knurrt er dem Blonden entgegen. Dieser zuckt nun doch etwas ängstlich zusammen und blickt ihn hilflos an. „Ja, aber…“, setzt er dennoch vorsichtig an. Doch Raph wirft ihn einfach grob zu Boden. Schmerzlich richtet sich der Junge etwas auf und blickt zu ihm hoch. „Es mag zwar sein, dass du der Beste unter meinen Kämpfern bist, doch das gibt dir noch lange nicht das Recht frech zu werden. Dir fehlt einfach die Erfahrung. Du musst dich blind auf deine Kammeraden verlassen können und sie sich auf dich. In einem Team gibt es kein ‚ich will‘, sondern immer nur ein ‚wir machen‘. Und bis du das begriffen hast, wirst du auch weiterhin Wäsche waschen, Kochen und auf dem Bau helfen! Und jetzt geh mir aus den Augen, ehe ich dich für den Rest des Tages unter Arrest stelle!“ Wütend deutet Raphael auf den Ausgang und hofft, dass er zu dem Jungen durchgedrungen ist. Er will ihn nicht bestrafen müssen und schon gar nicht verhauen, doch sollte er auch weiterhin Wiederworte geben, bleibt ihm nichts anderes übrig. Scheinbar hat seine Ansprache aber Wirkung gezeigt. Ziemlich kleinlaut erhebt sich der Junge, entschuldigt sich in aller Höflichkeit und schlurft dann zum Ausgang. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fällt, lässt sich der Saikämpfer ziemlich deprimiert auf seinen Thron fallen. Es tut ihm schon ziemlich weh, so hart zu ihm gewesen zu sein. Andererseits war Raph früher weit ungehaltener zu ihm. Hat ihn fast täglich auch ohne ersichtlichen Grund verprügelt und sich nicht ein Wiederwort gefallen gelassen. Damals hätte es Mikey gar nicht gewagt, ihm so vehement zu widersprechen. Seine Gefühle spielen völlig verrückt. Doch er kann dem Jungen ja schlecht auf die Nase binden, dass er sich Sorgen um ihn macht oder gar, dass er in ihn verknallt ist und sich nichts sehnlicher wünscht, eine zügellose Nacht mit ihm zu verbringen. Dann würde er erst recht jeglichen Respekt von seiner Seite verlieren. Diese verdammte Amnesie! Mit einem langgezogenen Seufzer dreht sich der Rothaarige eine neue Zigarette und zündet sie an. Doch schon nach einem Zug schmeckt sie so widerlich, dass er sie wieder ausdrückt. Im Moment scheint Rauchen nicht das richtige Mittel zu sein, um sich etwas abzulenken, also muss er sich wohl etwas anderes einfallen lassen. Er gibt ein neuerliches Seufzen von sich, ehe er sich einen von Chens Berichten greift, die auf einem kleinen Tischchen neben seinem Thron liegen. Vielleicht kann er darin ja etwas Erfreuliches lesen, das seine Stimmung etwas hebt. In der Zwischenzeit wandert Michael mit hängenden Schultern den Flur entlang, die Treppe hinunter und holt sich aus seinem Schlafzimmer eine Jacke. Bei Temperaturen knapp über null Grad wird er sie auf jeden Fall brauchen. Auf dem Weg zurück zur Treppe kommt er an etlichen Lagerräumen vorbei. Hinter den Türen werden alle Dinge, die die Foot im Laufe der Jahre gefunden haben und die jetzt noch nicht sonderlich brauchbar sind, gelagert. Sortiert nach verschiedenen Kriterien warten die meisten von ihnen darauf wieder benutzt zu werden. Bei vielen Dingen, wie zum Beispiel Radios oder Fernsehgeräten, wird es aber wohl noch Jahre dauern, bis die Zivilisation so weit ist ihre Meinung wieder in alle Welt zu senden. Nachdenklich steht der Blonde vor einer der Türen. Die Räume sind immer verschlossen, damit niemand auf irgendwelche dummen Ideen kommt und nur Raph und Chen haben Schlüssel dafür. Zudem wird streng Buch darüber geführt, was dort lagert und wer etwas davon bekommen hat. Einige Male konnte Michael aber schon einen Blick hineinwerfen, so weiß er, dass dort viele interessante Dinge liegen, die er nur zu gern einmal benutzen würde, es ihm aber verboten ist, sie zu haben. Doch im Augenblick ist ihm alles ziemlich egal. Das Gespräch mit Shredder ist kein bisschen so verlaufen wie er es sich vorgestellt hat. Er ist deswegen immer noch beleidigt. Das er für sein Verhalten ernsthaft bestraft werden könnte, ist ihm einerlei. Er möchte seinen Tag einfach nur ein wenig aufregender gestalten. Etwas unsicher blickt er sich nach allen Seiten um, ehe er eine kleine Haarnadel aus seiner Tasche zieht. Geduldig bewegt er sie in dem Schlüsselloch. Es braucht eine ganze Weile, ehe er das erlösende Kicken hört und der Knauf sich drehen lässt. Mit einem letzten Blick nach allen Seiten schlüpft er in das Lager hinein. In einem Regal neben der Tür findet er ein Sturmfeuerzeug und macht sich damit Licht. Hier drinnen gibt es zwar auch Lampen, doch er fürchtet, dass ihr Licht für jemanden der vorbeigeht, unter der Tür sichtbar sein könnte. Geduldig schlendert Michael an den einzelnen Regalen vorbei und sieht sich um. Schließlich findet er in einem davon, was er gesucht hat und verstaut alles in der Innertasche seiner Jacke. Anschließend legt er das Feuerzeug zurück und verschwindet schnell. Früher oder später wird natürlich jemand merken, dass die Tür nicht mehr verriegelt ist, aber immerhin könnte es ja jeder gewesen sein. So macht er sich keine weiteren Gedanken und verschwindet auf die Nachbarinsel, um beim Waschen und Kochen zu helfen. Schnell stellt sich jedoch heraus, dass die Frauen nichts für ihn zu tun haben und auch eigentlich lieber unter sich wären. So gern sie den Jungen auch alle haben, so unbehaglich fühlen sie sich bei der Arbeit in Gegenwart der Foot-Soldaten. Dem Nunchakuträger ist es egal und so begibt er sich nach draußen, wo die Männer dabei sind neben dem alten Krankenhaus neue Unterkünfte zu errichten. Hier wird sich sicher etwas finden, wobei er helfen kann. Suchend schaut er sich um. Auch hier machen die Männer nicht gerade den Eindruck, als würden sie sich über seine Anwesenheit freuen. Wenn nicht gearbeitet wird, unterhalten sie sich ausgelassen mit ihm über Gott und die Welt. Doch kaum sind sie auf der Baustelle, ist jeder nur mit sich selbst beschäftigt. Kaum jemand wechselt ein Wort mit einem anderen und jeder versucht sich aus dem Weg zu gehen. Die Männer arbeiten zwar an demselben Projekt, doch zusammenarbeiten tun sie dabei nicht wirklich. Jeder macht sein eigenes Ding und ignoriert die anderen dabei fast völlig. So kommt es nicht selten vor, dass sich die Männer gegenseitig anrempeln und dann in Streit geraten oder sogar kurz davor stehen sich zu prügeln. Langsam dämmert es dem Jungen bei diesem Anblick, was Raph wirklich gemeint hat, als er sagte, in einem Team gehe es nicht um ‚ich will‘ sondern um ‚wir machen‘. Michael würde zwar gern helfen, doch niemand lässt ihn. Ihm kommt der Gedanke, dass Shredder nicht ihn selbst mit seiner Ansprache gemeint hat, sondern alle hier. Und eigentlich soll der Blonde nicht an seinem Sozialverhalten arbeiten, sondern die anderen dazu bringen, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Er soll ihnen ein Gemeinsamkeitsgefühl zeigen, weil er von allen Soldaten am aufgeschlossensten ist und sich unter normalen Umständen auch mit jedem versteht. Doch wie in aller Welt soll er das nur anstellen, wenn keiner der Männer ihm auch nur zuhören möchte? Nachdenklich blickt er sich um und sucht nach etwas, das er tun kann. Alle hier, er selbst eingeschlossen, sind Flüchtlinge. Doch es klafft irgendwie eine große Lücke zwischen denen, die als Shredders Soldaten fungieren und denen, die nur ihre Arbeit verrichten. Die normalen Flüchtlinge möchten eigentlich so gut wie nichts mit den Foot zu tun haben, da sie ihnen besser gestellt vorkommen und die Gedanken an den Krieg noch in ihnen verwurzelt sind. Immerhin dürfen die Foot in dem sicheren Bunker wohnen und müssen sich nicht an der alltäglichen Arbeit beteiligen, bekommen aber dennoch Essen und saubere Kleidung von ihnen. Indes müssen sich die Flüchtlinge selbst um alles kümmern und sind ständig darauf angewiesen, dass Shredder so gnädig ist, sie hier überhaupt wohnen zu lassen. Was wäre, wenn ihr großer Führer mal einen wirklich schlechten Tag hat und beschließt, sie alle loswerden zu wollen, so wie die letzten Foot? Das wollen sie sich gar nicht vorstellen. Daher sehen sie Michael auch nicht als helfende Hand an, sondern eher als eine Art Spion, der herausfinden soll, ob die Flüchtlinge vielleicht so etwas wie einen Aufstand planen. Dass dem überhaupt nicht so ist und Raph wirklich nur das Beste für sie alle will, glauben die Wenigsten. Schließlich entdeckt Michael etwas, das er tun kann. Viele Rohstoffe, die die Männer hier verbauen, stammen aus alten Autos. Da die Wagen eh nicht mehr zum Fahren zu gebrachen sind, weil sämtliche Straßen durch Trümmer so gut wie unpassierbar sind, werden sie ausgeschlachtet. So wurden beispielsweise die ganzen kaputten Fenster des alten Krankenhauses durch Autoscheiben ersetzt. Ähnlich wurden auch die Gummis zum abdichten verwendet; Sitze dienen als Stühle oder als Schlafplatz; aus dem Metall wurden Schuppen und andere Dinge gefertigt und die Kabel wurden für die Stromversorgung benutzt. Wie der Bunker, wird auch alles auf dieser Insel durch Wasserkraft angetrieben. Die kräftigen Fluten des East River trieben einen großen Generator an, der die Insel mit Strom versorgt. So gibt es Licht, Heizung und warmes Wasser. Dennoch finden so gut wie keine Elektrogeräte Anwendung. So wird die Wäsche trotz allem auf altmodische Weise in einem Kessel und mit Waschbrettern gereinigt, gekocht wird zumeist auf offenem Feuer und Unterhaltungsmedien gibt es gar nicht. Das Leben gleicht eher dem von vor zweihundert Jahren. Stören tut das im Grunde niemanden, auch wenn sich der ein oder andere ganz sicher wünscht, er könnte mal wieder auf der Couch sitzen und Musik hören oder einen Film schauen. Das wäre durchaus möglich, da in den Lagerräumen auch allerhand TV-Geräte, CDs, Videorekorder, DVDs und Radios lagern. Allerdings werden sie nur sehr selten benutzt und auch nur zu besonderen Anlässen, damit die Leute nicht in alte, faule Verhaltensweisen zurückfallen, die Manhattan jahrzehntelang beherrscht haben. Faulheit ist etwas, dass sich die Leute in dieser neuen Welt nicht mehr leisten können und sich auch nicht wieder angewöhnen sollen. Wenn sie ihre Arbeit jedoch gut machen, werden sie mit solchen Dingen belohnt. So wird zum Beispiel einmal im Monat eine Art Filmnacht abgehalten, wo die Leute vor einer großen Leinwand beisammensitzen oder es gibt einen Tanzabend am Lagerfeuer. Michael hat jedoch das Gefühl, dass diese kurzen Freuden alter Gewohnheiten die Leute letztendlich nur traurig stimmen, da sie viel zu schnell vorüber gehen und sie nicht selbst bestimmen können, wann es wieder so weit ist. Auch dabei müssen sie auf Shredders gute Laune hoffen. Eigentlich ziemlich ungerecht, wo der Führer doch jeder Zeit Zugang zu solchen Gerätschaften hat und sie benutzen könnte, wann immer ihm der Sinn danach steht. Die Leute wissen jedoch nicht, dass so etwas absolut nicht in Raphaels Interesse liegt. Klar hat er früher gern Musik gehört und sich einen Film angesehen oder Videospiele gezockt, doch wirklich fehlen tut ihm das Ganze jetzt nicht. Zumal er auch wirklich genug andere Dinge im Kopf hat und daher gar keine Zeit dazu findet. Das Fernsehen vermisst Michael auch nicht wirklich. Natürlich gefallen ihm die Filme, die manchmal gezeigt werden sehr, doch es würde ihn nicht stören, wenn es sie nicht gäbe. Bei Musik sieht es da schon ganz anders aus. In seinem früheren Leben war Mikey äußerst begeistert von Musik und hat ständig vor sich hin gesungen und sich auch mal selbst daran versucht, das ein oder andere Lied zu schreiben oder es auf der Gitarre nachzuspielen. Daran kann er sich jetzt zwar nicht mehr erinnern, aber der Drang von Musik umgeben zu sein, brennt in ihm wie ein kleines Feuer, das sich nicht löschen lässt. Mit dem Gedanken, sich von der Musik etwas beflügeln zu lassen, setzt sich Michael in eines der Autos, das noch ausgeschlachtet werden muss. Das rege, aber schrecklich schweigsame, Treiben der anderen Männer hört nicht auf, ganz so als würden sie gar nicht wahrnehmen, dass er überhaupt hier ist, um ihnen zu helfen. Im Gegenteil. Wie schon die Frauen, scheinen sich die Männer eher von seiner Gegenwahrt gestört zu fühlen. Sie werfen ihm missgünstige Blicke zu, wenden sich schnaubend ab und die wenigen Unterhaltungen zwischen ihnen ersterben. Jeder konzentriert sich nur noch auf sich selbst und keiner möchte wirklich etwas mit ihm zu tun haben. Doch außerhalb der Arbeit unterhalten sie sich normalerweise sehr angeregt über Gott und die Welt mit ihm. Wirklich traurig wie der Blonde findet. Wie soll man so bloß ein ‚wir machen‘ zu Stande bekommen? Seufzend lässt sich der Junge auf den zerschlissenen Fahrersitz fallen und holt die Dinge aus seiner Jacke, die er aus dem Lagerraum hat mitgehen lassen. Dabei handelt es sich um ein paar Batterien, einen tragbaren CD-Player und ein halbes Dutzend CDs. Seelenruhig schiebt er die Batterien in den dafür vorgesehenen Schlitz und entknotet das Kopfhörerkabel. Dann reiht er die verschiedenen CDs auf dem Armaturenbrett auf und greift sich eine davon. Bei den CDs handelt es sich alles um Mixaufnahmen, also von keiner bestimmten Band. Eher ein Best of der 80er und 90er Jahre. Verträumt betrachtet der Junge die funkelnde Scheibe, die unsichtbar mit Musik beschrieben ist, ehe er sie in den Player drückt. Die Bands und Songtitel auf der Hülle sagen ihm überhaupt nichts. Könnte er sich jedoch daran erinnern, würde er sich wohl freuen, dass einige seiner absoluten Lieblingslieder dabei sind. Während er auf Play drückt, beobachtet er die Männer, die sich inzwischen völlig von ihm abgewendet haben. Ihre finsteren Gesichter passen herrlich zum grauen, kalten Dezemberwetter. Die Wolken hängen so tief und schneegeschwängert am Himmel, dass man fast das Gefühl hat, man würde sich daran den Kopf stoßen. Die Temperatur liegt zwar noch knapp über null, doch die Luft riecht schon so stark nach Schnee, dass es wahrscheinlich heute Nacht, spätestens Morgen die ersten Flocken geben dürfte. Und wenn das erst passiert, dann ist die Stimmung unter den Arbeitern noch weit getrübter, als jetzt. Falls sie dann überhaupt noch arbeiten können. Von alledem vollkommen unbeeindruckt beginnt sich die CD in dem Player zu drehen und kurz darauf spielen die ersten Noten. In diesem Moment scheint die Welt wie verwandelt zu sein. Die launischen Gesichter der Männer werden auf einmal nichtssagender und gehen schließlich in der Musik unter. In Michaels Kopf breitet sich eine ganz andere Welt aus. Eine Welt, die nur er hören kann und außer ihr gibt es nichts anderes. Ein zufriedenes Lächeln breitet sich auf dem jungen Gesicht aus und seine Augen beginnen zu funkeln. In diesem Moment scheint es nichts Schöneres zu geben, als diese Musik. Sie erfüllt sein ganzes Denken und hebt seine getrübte Stimmung so hoch, als wäre heute der erste Frühlingstag und alles würde neu beginnen. Gefangen in dieser magischen Welt aus fremden Stimmen, lehnt sich der Junge einen Augenblick zurück und schließt die Augen. Die Männer, die an dem Auto vorbeigehen, denken sogar er würde dort sitzen und schlafen und sind dadurch nur noch verstimmter. Ohne von alledem zu wissen, legt Raphael den letzten Bericht zurück auf den Tisch. Wie er darin gelesen hat, ist so gut wie alles für den ersten Schneefall vorbereitet. Es gibt genug Essen, Wasser und auch warme Kleidung um etliche Tage auszuharren, sollte es extrem werden und sie vielleicht sogar einschneien. Der Rote hält dies zwar für ausgeschlossen, doch man weiß ja nie. Die Welt hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Der Mensch produziert keine Treibhausgase mehr und pustet auch sonst nichts Schädliches in die Luft, was zu extremen Wettererscheinungen führen könnte, wie es manchmal vor dem Krieg der Fall war. Andererseits haben sie im Ernstfall auch nichts, dass ihnen hilft. Sie können nur warten bis es zu tauen beginnt und sich dann ins Freie kämpfen. Doch zumindest werden sie nicht erfrieren. Die Strömung des East River ist so stark, dass es nahezu unmöglich ist, dass er jemals zufrieren und so die Generatoren lahmlegen würde. So etwas wie Zufriedenheit macht sich in dem ungewollten Führer breit. Auf dem Papier sieht jedoch alles ziemlich schön aus, es wäre gut sich auch vor Ort davon zu überzeugen. Der Gedanke gefällt ihm und er könnte wirklich mal etwas frische Luft vertragen. Und vielleicht wäre es auch ganz gut, mal nachzusehen, ob Michael seine Aufgabe erfüllt oder nicht. Der Blonde hatte sich zwar für sein Fehlverhalten entschuldigt und versprochen, die ihm aufgetragene Arbeit zu erledigen, doch Raph weiß nur zu gut, was für ein Sturkopf sein kleiner Bruder früher gewesen ist. Gemächlich erhebt sich der Saikämpfer von seinem Thron und streckt sich ausgiebig. Nachdem er noch einmal herzhaft gegähnt hat, macht sich Raph auf den Weg zur Nachbarinsel. Während dieser Wanderung setzt sich Michael wieder aufrecht hin und fängt damit an, die Dichtungen aus den einzelnen Scheiben zu ziehen, um so das Glas freizubekommen. Ein Lied wechselt dabei das andere ab und der Junge merkt gar nicht mehr, dass er ja eigentlich nicht allein ist. So lässt er sich von den Rhythmen mitreißen. „We built this city We built this city on rock and roll We built this city We built this city on rock and roll.” Schon bald wird seine Stimme lauter und die ersten Männer drehen sich verwundert zu ihm um. Sie tauschen verwirrte Blicke aus. So etwas haben sie hier noch nicht erlebt. „Say you don't know me Or recognize my face Say you don't care Who goes to that kind of place Knee deep in the hoopla Sinking in your fight Too many runaways Eating up the night.” Ungeniert macht der Junge einfach weiter und scheint dabei nicht zu merken, dass er überhaupt so laut singt, dass ein anderer es hören könnte. Als der Nunchakuträger die Seitenscheibe aus ihrer Halterung zieht und sie zu den anderen im Lagerraum des Krankenhauses bringen will, wippt er im Takt mit dem Fuß und wackelt sogar ein wenig mit seinem Po. Mit der Scheibe beladen dreht er sich schließlich zu den Männern um und erstarrt augenblicklich mitten in der Strophe. Es gelingt ihm gerade noch so, das Glas nicht fallenzulassen. Er schluckt schwer, als er in ihre Gesichter blickt. Doch irgendwas ist komisch. Sie wirken gar nicht wütend, vielmehr überrascht und erfreut? Michael ist sehr unsicher und blickt sich scheu um. Im Geiste malt er sich schon aus, dass Raph ihn dafür bestrafen wird und ihm rutscht das Herz in die Hose. Bevor seine Panik ihn jedoch übermannen kann, erhebt einer der Männer die Stimme. Wie ferngesteuert stellt der Blonde die Scheibe dabei ab und zieht sich die Kopfhörer aus den Ohren. „Ich kenne das Lied! Damit bin ich aufgewachsen!“, verkündet der Mann den anderen. Plötzlich setzt ein angeregtes Tuscheln unter ihnen ein wie es der Junge noch nicht erlebt hat. Es ist fast so, als würden sie fröhlich an einem Lagerfeuer hocken, statt hier in der Kälte zu stehen und zu schuften. Weitere Männer melden sich, dass sie das Lied kennen und sie fangen an darüber zu diskutieren wie denn der Titel war und wer es gesungen hat. Zwei von ihnen versuchen sogar dort weiterzumachen, wo Michael eben geendet hat, doch sie sind sich uneinig wie die Strophe richtig geht. Der ehemalige Turtle traut seinen Augen nicht. Sie scheinen ihm überhaupt nicht böse zu sein. Ganz im Gegenteil, sie scheinen sich zu freuen, mal etwas Musik bei der Arbeit hören zu können. Ein erfreutes Lächeln breitet sich auf seinen Zügen aus und ihm kommt eine brillante Idee. Während die Männer in ein immer hitzigeres Gespräch verfallen und Raph inzwischen die Oberfläche erreicht hat, verschwindet Michael einfach. Erbost erblickt Raphael die Arbeiter, die allerdings alles andere zu tun zu haben scheinen, als arbeiten. Von seinem kleinen Schützling ist auch nichts zu sehen, dabei hat er ihn schon bei den Frauen vermisst, die ihm sagten, dass er eigentlich hier sein müsste. Suchend blickt sich der Saikämpfer nach seinem jungen Soldaten um. Schließlich sieht er wie der Junge mit einem dicken Kabel in den Armen zu den Männern zurückkehrt. Aus sicherer Entfernung beobachtet der Führer wie Michael die Motorhaube eines der Autos öffnet und das Kabel mit der Batterie verbindet. Die Tanks aller Autos sind leer. Nur gelegentlich werden die Batterien über den Generator mit Strom versorgt, um die Lampen als Lichtquelle zu benutzen. Dazu schalten sie die Wagen dann in den Leerlauf. Mittlerweile haben die Männer bemerkt, dass der kleine Foot-Ninja das Kabel angeschlossen hat und nun die Motorhaube hinunterlässt. Vorfreude breitet sich in ihren Gesichtern aus. Doch Raph versteht nicht, was das Ganze soll. Es ist praktisch helllichter Tag, wozu sollten sie also ein Kabel anschließen, wenn sie kein Licht machen wollen? Aufgeregt läuft Michael um den Wagen herum, lässt sich auf den Fahrersitz plumpsen und dreht den Schlüssel in den Leerlauf. Sämtliche Leuchten auf dem Armaturenbrett flammen auf. Die Benzinanzeige beginnt hektisch zu blinken, doch sie wird strikt ignoriert. Michael hat nur Augen für das Radio. Geschickt fummelt er die CD aus dem tragbaren Player und schiebt sie in den Schlitz unter dem Radio. Er wählt den Song an, den er gerade gehört hat und öffnet dann alle Türen, damit jeder ihn hören kann. Als das Lied zu spielen beginnt, dreht er die Regler hoch und steigt auf das Autodach. In dröhnender Lautstärke donnern die Noten über die Insel hinweg und die Stimmen der Sänger schallen weit hinaus in den Wald. Raphael versteht gar nichts mehr. Doch die Männer verfallen schlagartig in ein aufgeregtes und erfreutes Jubeln. Kurz darauf stimmen sie alle mit ein und ihre vereinten Stimmen erhellen den grauen Tag. „Marconi plays the mamba Listen to the radio Don't you remember? We built this city We built this city on rock and roll We built this city We built this city on rock and roll We built this city We built this city on rock and roll Someone always playing Corporation games Who cares they're always changing? Corporation names.” Die Ausgelassenheit scheint keine Grenzen mehr zu kennen. Jeder von ihnen hat sich anstecken lassen. Wie durch ein Wunder reißt sogar die düstere Wolkendecke an einigen Stellen auf und die Sonne schickt ihre hellen Strahlen auf die kühle Erde. Dies scheint die Anwesenden sogar noch mehr zu beflügeln und ihre Stimmen werden noch einen Schlag lauter. Unzählige Erinnerungen an eine fast vergessene Zeit leben in ihnen wieder auf. Erinnerungen an einen besonders schönen Tag, den ersten Kuss oder das langersehnte Date mit einem Mädchen – alles Dinge, die sie dachten verloren zu haben, als der Krieg die Welt und ihre schönen Gedanken in Fetzen riss. „We just want to dance here Someone stole the stage They call us irresponsible Write us off the page Marconi plays the mamba Listen to the radio Don't you remember? We built this city We built this city on rock and roll We built this city We built this city on rock and roll We built this city We built this city on rock and roll.” Beschwingt durch den Rhythmus der Musik ergreifen die Männer ihre Werkzeuge und setzen singend ihre Arbeit fort, diesmal gemeinsam. Sie nehmen Michael in ihrer Mitte auf, als hätten sie nie etwas anderes getan. Raphael kann es nicht fassen. Mit offenem Mund steht er da und beobachtet wie die Männer und Michael Hand in Hand arbeiten und dabei ausgelassen dieses alte Lied singen. Langsam geht ihm ein Licht auf. Alles, was den Leuten gefehlt hat, war etwas, das sie antreibt. Der Drang zu Überleben bestimmt ihren Alltag schon lange nicht mehr und so sehnen sie sich nach etwas anderem, das sie aufbaut und ermuntert weiterzumachen. Und was könnte den Gemeinschaftssinn der Menschen mehr antreiben als Musik, die sie alle verbindet? Ein Lächeln breitet sich auf seinem sonst so harten Gesicht aus. Michael hat seine Aufgabe endlich verstanden wie es scheint. Den Menschen wieder einen Sinn geben und sie antreiben. Der Rote hat sich zwar nicht vorgestellt, dass es so ablaufen oder gar so simpel sein könnte, aber am Ende zählt ja auch nur, dass er es geschafft hat. Mikey hatte schon immer ein ganz besonders sensibles Händchen für die Gefühle anderer und konnte sich sehr gut in sie hineinversetzen. „It's just another Sunday In a tired old street Police have got the choke hold Oh, and we just lost the beat Who counts the money? Underneath the bar Who rides the wrecking ball? Into our guitars Don't tell us you need us 'Cause we're just simple fools Looking for America Calling through your schools.” Sie fröhlich zu stimmen, war stets etwas, dass zu seiner Lebensaufgabe gezählt hat und er scheint dieses Talent nach alledem nicht verloren zu haben. Fast schon verträumt lauscht Raph dem Chor ungleicher Stimmen und denkt zurück an die Zeit, als die Welt noch eine andere war. Schließlich landet er wieder im Hier und jetzt und stellt fest, dass das Lied nicht besser sein könnte. Nicht weil alle es zu kennen scheinen, sondern weil die Botschaft genau zu ihrer Situation passt. Sie bauen zwar keinen neue Stadt, noch nicht, aber sie tun es gemeinsam und mit Musik im Herzen. *10 Jahre nach der Terrorherrschaft, die eine Schneise von Tod und Zerstörung durch New York gezogen hat, ist die Luft erfüllt vom Klang der Hammerschläge, vom Geruch neuen Bauholzes, und die Menschen sind durchdrungen von Optimismus und einem Gefühl der Unverwüstlichkeit. Wenn er gewusst hätte, dass es so einfach ist, hätte er ihnen wohl schon viel früher etwas Musik auf der Baustelle gestattet. Doch er war immer der Ansicht, dass sie das vielleicht zu sehr ablenken könnte und dann Unfälle passieren. „I'm looking out over that golden gate bridge Out on a gorgeous sunny Saturday I've seen that bumper-to-bumper traffic Don't you remember, remember? Here's your favorite radio station In your favorite radio city The city by the bay, the city that rocks The city that never sleeps.” Doch wenn Raph es sich so überlegt, sind es alles erwachsene Männer, die ihre Arbeit verstehen und ganz gewiss vorsichtig sein werden. Ein weiteres Lächeln huscht über sein Gesicht und er lässt den Blick schweifen. Wie er schon in Chens Bericht lesen konnte, sieht es hier auf der Baustelle ziemlich gut aus. Das Krankenhaus ist vollständig winterfest gemacht, Vorräte, Wasser und Kleidung verstaut und bereit für ihren Einsatz. Die letzten Stunden oder Tage vor dem ersten Schneefall nutzen die Männer nun lediglich, um noch kleinere Arbeiten zu erledigen. Sie haben einen Schuppen fertig gestellt, indem vorwiegend die Werkzeuge und Baumaterialien Platz finden und sie schlachten die letzten Autos aus, damit wieder genügend Platz vorhanden ist, um neue Wagen vom Festland herzubringen. An einigen anderen Stellen sind schon Vorbereitungen für einen weiteren Anbau zu sehen, der starten kann, sobald der Winter sich wieder verzieht. Alles in allem ist Raphael sehr zufrieden. Jeder scheint mittlerweile auch seinen Platz in der Gemeinschaft gefunden zu haben und so wird Michael bei der nächsten Mission der Foot wohl dabei sein können. „Marconi plays the mamba Listen to the radio Don't you remember? We built this city We built this city on rock and roll We built this city We built this city on rock and roll We built this city We built this city on rock and roll!” Zufrieden wartet Raph ab, bis das Lied zu Ende ist und dann macht er sich auf den Rückweg nach South Brother Island. Ehe der Tag von der Nacht abgelöst wird, hat er noch jede Menge zu tun. Zum Beispiel muss er sich nun überlegen, für welche Mission er den Blonden einteilen kann, ohne ihn damit zu überfordern oder gar die anderen Foot. Schon damals brauchte Mikey eine gewisse Führung. Selbst Entscheidungen treffen gehörte nicht zu seinen Stärken und Leo musste ihm sehr oft mehrmals ausführlich erklären, was er zu tun hatte. Raph ist sich sicher, dass seine Foot nicht gerade angetan von so etwas sein werden. Doch allein kann er Michael unmöglich losschicken. Dafür ist er einfach noch zu unerfahren, auch wenn er seinen Ninja-Sinn nicht verloren hat. Doch er könnte ihn zusammen mit Chen in einen Truppe stecken, wenn dieser Zeit dafür hat. Dann können die beiden gemeinsam losziehen und dann wäre der Blonde auf jeden Fall in guten Händen! Der Gedanke ist durchaus annehmbar, also wird er Chen später einfach fragen, ob er diese Aufgabe ein paar Mal übernehmen kann, bis Michael sicher genug ist mit den anderen mitgehen zu können. Kurz nach Mitternacht… Es ist schon lange Zeit zum Schlafen und Raphael hat sich aus genau diesem Grund auch schon vor Stunden ins Bett gelegt, doch Schlaf findet er nicht wirklich. Das Ganze ist nicht sonderlich neu für ihn. Seit er sich mehr oder weniger dafür entschieden hat, der neue Shredder zu sein und hier eingezogen ist, gab es nur wenige Nächte, in denen er unbeschwert Ruhe finden konnte. Und er muss sich schon anstrengen, um zurück zurechnen, wann er das letzte Mal wirklich ohne Unterbrechung durchgeschlafen hat. Zwar ist alles schon so lange her und er hat sich zumindest oberflächlich damit abgefunden, den Großteil seiner Familie nie wiederzusehen, doch in seinem Inneren wütet es trotzdem. Seit er weiß, dass Mikey zumindest körperlich wieder bei ihm ist, ist es viel besser geworden, doch Durchschlafen fällt ihm trotz alledem schwer. Nach all den vielen Jahren gibt er sich immer noch die Schuld am Tod seiner Brüder und seines Meisters und dies lässt ihn einfach nicht zur Ruhe kommen. Er denkt zwar nicht mehr so oft an sie, doch sein Unterbewusstsein kämpft dennoch weiterhin damit. So verbringt er nicht selten eine Nacht, die von schrecklichen Albträumen durchzogen ist und ihm somit immer wieder um den erhofften Schlaf bringt. Hunderttausend Mal musste er daher schon mit ansehen, wie seine Familie vor seinen Augen zu Grunde gerichtet wurde. Der Gedanke, nicht eingreifen zu können, bringt ihn dabei fast um den Verstand. Ihre flehenden, von Angst durchzogenen Gesichter. Die Augen von Tränen erfüllt, die Körper geschunden und dazu das ewigwehrende Lachen von Oroku Saki! Es ist, als würde er selbst tausend Tode sterben, da es die furchtbare Erinnerung daran immer wieder aufreißt. Wenn der Traum vorüber ist, findet er auch nur selten wieder Schlaf und bleibt stattdessen die ganze Nacht wach und denkt an die alten Zeiten zurück, in denen sie mit dem Shellraiser durch die glitzernde Stadt gefahren sind und die Gegend unsicher machten. An die vielen, schönen Stunden, die sie zusammen verbracht haben, Pizzaessend auf der Couch oder schwitzend beim Training. Manchmal gelingt es ihm aber auch wieder einzuschlafen, doch das macht es nicht besser, denn dann geht der Albtraum wieder von vorne los. Ein endloser Kreislauf des Grauens. Raph liegt ruhelos in seinem viel zu großen, viel zu leeren Bett und wälzt sich stöhnend von einer Seite auf die andere. Krampfhaft versucht er dem Schrecken vor seinem inneren Auge zu entkommen, doch es ist zwecklos, solange er nicht das ganze Ausmaß gesehen hat. Hilflos ruft er im Traum gefangen nach seinen Brüdern und seinem Sensei. Doch sie können ihn nicht hören, werfen ihm nur ihre gequälten Blicke zu. Ihre Schmerzensschreie dröhnen in seinem Kopf und drohen damit ihn zum Platzen zu bringen. „Nein, bitte nicht…!“, wimmert er verzweifelt und klammert sich mit aller Kraft am Laken fest. Die Decke hat er schon völlig von sich gestrampelt. Langsam und ungeachtet gleitet sie zu Boden und bleibt dort als unförmiger Haufen zurück. Endlich erreicht er das gnadenlose Ende des Traums. Er sieht mit an wie seine Familie von Shredder in Stücke gerissen wird und dann in den Fluten des East River versinkt. Dem Saikämpfer ist durchaus bewusst, dass es sich so nicht abgespielt hat, doch es fühlt sich an, als wäre es Wirklichkeit. Er sieht wie ihre entstellten Gesichter im Wasser versinken und hört Sakis durchtriebenes Lachen und dann… …Dann erwacht er mit einem erstickten Schrei. Wie vom Blitz getroffen sitzt er kerzengerade im Bett, schnappt angestrengt nach Luft und fühlt sich wie erschlagen. Desorientiert blickt er sich im Zimmer um und betet dafür, dass der Albtraum zu Ende ist. Schließlich lässt er sich mit dem Rücken gegen die Wand fallen und versucht sein Herz zu beruhigen. Verloren sieht er sich in dem großen Raum um, der ihm so sehr wie ein Gefängnis vorkommt. Schon nach dem ersten Albtraum vor zehn Jahren hat er sich angewöhnt, dass Nachttischlicht nicht mehr auszumachen, wenn er schlafengeht. Der warme Lichtkegel gibt ihm zumindest etwas Sicherheit, dass er nicht mehr in dieser schrecklichen Finsternis gefangen ist. Dennoch hat es ihn einiges an Überwindung gekostet, etwas so kleinkindermäßiges tun zu müssen, nur um nicht schreiend in der Dunkelheit zu sitzen. Nicht zum ersten Mal denkt er dabei zurück an die Zeit, als noch alles in Ordnung schien. Damals war es Mikey gewesen, der des Öfteren von Albträumen heimgesucht wurde. Ein wehmütiges Lächeln huscht über sein erschöpftes Gesicht, als er daran denkt wie der Blonde dann immer zu ihm gekrochen kam. Es war so wunderbar ihn in den Armen zu halten und ihm dabei die Sicherheit zu geben, die er in seinem eigenen Zimmer verloren hatte. Eine einzelne Träne schiebt sich aus Raphaels verbliebenem Auge und er wischt sie langsam weg. Ein Seufzen entkommt ihm. Wie gern hätte er jetzt Mikey hier bei sich im Bett, nur um sich besser zu fühlen und vielleicht doch etwas Schlaf zu finden. Doch Michael ist nicht mehr der anhängliche Junge von damals. Körperlich schon, doch im Kopf kann er sich nicht mehr daran erinnern, was sie alles miteinander geteilt haben. Und es sehe bestimmt äußerst komisch aus, wenn er jetzt zu dem schlafenden Jungen ins Zimmer huscht und ihn fragt, ob er den Rest der Nacht bei ihm verbringen kann, weil er sich allein unwohl fühlt. Oh, nein! Die Zeiten solch ungezwungener Nähe sind vorbei und der Nunchakuträger würde das Ganze vielleicht sogar falsch interpretieren und denken, dass er ihm nur an die Wäsche will. Ganz egal. Auf jeden Fall wäre es dem Jungen schrecklich unangenehm und würde Raph ganz sicher auch in kein gutes Licht als Meister rücken. Solche Wünsche kann er sich also gleich aus dem Kopf schlagen. Dennoch überfällt ihn regelmäßig ein Gefühl von hilfloser Begierde, die nur sein kleiner Bruder beenden kann. Wie schon all die Jahre zuvor verzehrt er sich noch immer nach ihm und sehnt sich nichts mehr herbei, als eine Nacht mit ihm. Tragischer Weise weiß er beim besten Willen nicht, wie er den Jüngeren in diese Richtung dirigieren soll, ohne gleich zu aufdringlich zu wirken oder in seinen Augen als perverser Lüstling da zustehen. Schließlich ist er fast doppelt so alt wie Michael und ihm im Rang deutlich überlegen. Warum muss auch immer alles so schwierig sein? Hatte er doch gehofft, dass es wesentlich einfacher sein würde, wenn Michael sich hier erst eingelebt hat. Wahrscheinlich überstürzt er das Ganze einfach nur, weil er es sich schon so endlos lange wünscht? Doch Raph war nie besonders geduldig. Selbst wenn er es versucht, macht ihm sein Körper einen Strich durch die Rechnung, indem er dieses nagende Gefühl alles andere überlagern lässt. Wieder ein Seufzen. Jetzt ist es wohl angebracht, sich erst mal einen freien Kopf zu verschaffen, andernfalls könnte es sein, dass Michael heute Nacht noch einen äußerst unschönen Besuch bekommt. Schwerfällig schwingt er die Beine aus dem Bett und hebt die herabgefallene Decke wieder auf. Anschließend schlüpft er in seine Stiefel und wirft sich seinen Bademantel über. Ihm ist bewusst, dass es draußen jetzt vielleicht Minusgrade hat und er sich erkälten könnte, wenn er nur in Stiefeln, einer Shorts und dem Bademantel an die Oberfläche geht, doch es ist ihm egal. Vielleicht werden die Albträume weniger, wenn er im Fiberwahn gefangen in seinem Bett liegen muss? Die Hoffnung besteht zumindest. Außerdem will er ja nicht die ganze Nacht draußen bleiben, sondern nur ein oder zwei Kippen rauchen und dann wieder versuchen einzuschlafen. Sein Körper fühlt sich wie gerädert an und einige seiner Gelenke geben ein unschönes Knacken von sich, als er langsam Richtung Tür schlurft. Leicht verzieht der Rothaarige dabei das Gesicht und gähnt dann erschöpft. Seine halbherzige Müdigkeit verfliegt jedoch augenblicklich, als der die Tür öffnet und ein merkwürdiges Geräusch vernimmt, das er nicht gleich einordnen kann. Was wohl auch daran liegt, dass er es hier noch nie gehört hat. Irritiert tritt er einen Schritt auf den Flur und blickt sich stirnrunzelnd um. Die Fackeln auf dem langen Gang tauchen alles in ein spärliches, aber vollkommen ausreichendes Licht. Dennoch kann Raphael im ersten Moment nicht erkennen, was dieses merkwürdige Geräusch verursacht. Sein Blick verfinstert sich und er wendet den Kopf noch weiter nach rechts, um den gesamten Flur besser einsehen zu können. Da ihm nur noch das linke Auge geblieben ist, hat er rechts einen toten Punkt, an dem vieles Dunkel bleibt, auch wenn er mit erheblichem Training diesen auf ein Minimum herunter gebracht hat. Als er sich nun linksseitig anstrengt, um alles im Blick zu haben, nimmt er am unteren Rand seines Sehfeldes eine schwache Bewegung wahr. Vorsichtig schaut er nach unten und zuckt dann überrascht zusammen. Dort auf dem Boden, direkt neben seiner Tür, hockt eine Person. Sie hat die Knie angezogen und das Gesicht darin vergraben und – weint? Beim zweiten Hinsehen erkennt der Führer, dass es sich bei diesem Häufchen Elend dort auf den Steinen um Michael handelt. Als ihm dies wirklich bewusst wird, jagt ein heftiger Stich durch sein Herz und löst dabei augenblicklich seinen alten Beschützerinstinkt aus. Langsam geht er neben dem weinenden Jungen auf die Knie und legt ihm vorsichtig eine Hand auf die Schulter. Der Blonde zuckt heftig zusammen und zieht geräuschvoll die Luft ein, ehe er blitzartig den Kopf zu ihm herumdreht. In dem zarten, jugendlichen Gesicht des Nunchakuträgers spiegelt sich all das Elend wieder, das Raph gerade in seinem Traum durchgemacht hat. Seine Wangen glühen, die Augen sind vom Weinen ganz geschwollen und die himmelblauen Juwelen schwimmen in einem endlosen Meer aus Tränen. Seine Unterlippe zittert und als der erste Schreck überwunden ist, fängt er bitterlich an zu Schluchzen. Der Anblick könnte für Raph wohl kaum grausamer sein. Es ist, als würde er in einen Spiegel blicken können, der ihm die Vergangenheit zeigt. Mikey hat zwar nie weinend vor seiner Tür gehockt, doch der Ausdruck in seinem Gesicht ist genau derselbe wie damals. Das Herz des Saikämpfers zieht sich schmerzlich zusammen und er würde jetzt nichts lieber tun, als ihn einfach nur in die Arme nehmen und ihm zeigen, dass es nichts gibt, was seine Tränen begründen könnte. Doch das kann er einfach nicht machen, so sehr er es sich auch wünscht. Die Zeit der brüderlichen Nähe ist einfach noch nicht wieder da und als Führer des berüchtigten Foot-Clans kann er sich so eine Blöße einfach nicht geben, nicht mal, wenn niemand zusieht. Stattdessen schluckt er seine Gefühle hart herunter und mustert den Jungen streng. „Was machst du hier mitten in der Nacht?“, fragt er ihn forsch. Merklich zuckt der Junge unter der rauen Stimme zusammen und senkt beschämt den Blick zu Boden. Er hat Angst und wusste einfach nicht, wohin er sollte. Schließlich ist er ja kein kleines Kind, das nachts zu seinen Eltern ins Bett krabbelt. Er weiß zwar nicht warum, aber in Raph´s Nähe hat er sich irgendwie immer sicher gefühlt, selbst wenn der Rote sich stets abweisend zu ihm verhält. Doch das kann er seinem Meister ja schlecht sagen und er wäre sicher sehr enttäuscht von ihm, wenn er ihm erzählen würde, dass er hier hockt, weil er Angst allein in seinem Zimmer hat. Allein schon bei dem Gedanken ist er selbst von sich angewidert. „Ich hab dir eine Frage gestellt, Soldat!“, kommt es nachdrücklich von dem Älteren, während er sich wieder erhebt. Erneut zuckt der Junge zusammen, zittert heftig und immer mehr Tränen bahnen sich ihren Weg ins Freie. „Ich…“, stammelt er erstickt, doch mehr bringt er nicht zu Stande. Nun langt es dem Rothaarigen allmehlig. Er mag vielleicht oftmals ein echtes Arschloch sein, aber seinen weinenden Bruder konnte er noch nie ertragen. Wieder zieht sich sein Herz schmerzlich zusammen, als würde es in einem Schraubstock klemmen, der immer weiter zugedreht wird. Er kann seine Führer-Fassade nicht mehr länger aufrecht halten, dafür ist die Erinnerung einfach zu stark und die Liebe zu diesem Jungen zu endlos. Er muss ihm einfach helfen! Zwar wird es nicht so sein wie damals, doch vielleicht bringt es sie beide trotzdem näher zusammen. Mitleidig blickt er auf den Jungen hinab, der abermals versucht eine Erklärung für sein Verhalten hervor zu stammeln. Mit einem stummen Seufzen greift Raph in sein Zimmer. Dort hängt an der einen Seite des Spiegels, der neben der Tür steht, seine Lederjacke. Beherzt ergreift er dann die Hand des Jungen und zieht ihn auf die Füße. Erschrocken sieht der Blonde ihn an, vermutet er doch, jetzt betraft zu werden. Überrascht stellt Michael allerdings fest, dass dem ganz und gar nicht so ist. Stattdessen drückt Raph ihm die Lederjacke in die Arme und schließt dann seine Zimmertür von außen. Noch immer mit Tränen in den Augen blickt der Blonde die Jacke fragend an. Derweil wendet sich der Einäugige zum Gehen. Er hat schon ein paar Schritte den Gang entlang getan, als er merkt, dass Michael ihm nicht folgt. Er bleibt stehen und blickt über die Schulter zu dem irritierten Jungen hinüber. „Zieh die Jacke über und komm endlich oder willst du ganze Nacht dastehen und gucken wie ein Reh im Scheinwerferlicht?“ Mit großen Augen sieht der Blonde zu ihm hinüber und presst sich die Jacke an die bebende Brust, doch er macht keine Anstalten Raph´s Worten Folge zu leisten. Innerlich rollte der Führer mit den Augen. Ist der Blonde wirklich so perplex wegen der Geste, dass er sich nicht mehr rühren kann? „Michael!“, kommt es streng von dem Älteren, was den Jungen erneut zusammenzucken lässt. „Das war ein Befehl und keine nette Bitte! Also beweg dich endlich!“ „Ja-wohl…!“, erwidert der Kleinere hastig und schlüpft in die Jacke. Mit schnellen Schritte, aber gesenktem Kopf, folgt er seinem Meister schweigend bis an die Oberfläche. Noch weiß er nicht ganz, was das hier werden soll, doch sein Führer wird schon einen Grund dafür haben. Als sie in die eisige Nachtluft hinaustreten, schlingt der Junge die Arme um seinen Körper und wünsch sich, er hätte wenigstens eine Hose angezogen. Der Rothaarige lässt sich die Kälte jedoch nicht ansehen, obwohl in diesem Moment ein frostiger Windstoß seinen Bademantel bauscht und ihm am ganzen Körper eine Gänsehaut verpasst. Mit flinken Schritten steuert Raphael auf einen Kreis aus liegenden Baumstämmen zu. In ihrer Mitte sind die Reste eines Lagerfeuers zu sein, das die Foot gemacht haben, um dort in ihrer wenigen Freizeit zu reden oder Karten zu spielen. Geschickt schichtet der ehemalige Turtle neues Holz auf und bald darauf brennt ein frisches Feuer. Mit einem Seufzen lässt sich Raph auf einen der Stämme sinken und winkt Michael zu sich heran, der bis eben noch ziemlich verloren neben dem Eingang gestanden hat. Diesmal braucht er jedoch keine extra Einladung, was wohl der Kälte zu verdanken ist. Zitternd setzt sich der Junge mit gebührendem Abstand neben seinem Meister und rückt so dicht wie möglich an die wärmenden Flammen heran. Wie schon im Flur, zieht er auch jetzt wieder die Beine an, schlingt die Amre darum und bettet seinen Kopf auf die Knie. Mit leeren, traurigen Augen starrt er dann in die orangeroten Flammen, die sich in die Nacht erheben. Mitleidig sieht Raph ihn aus dem Augenwinkel an und stochert dabei mit einem Ast in der alten Asche herum. Mit der Spitze des Astes schiebt er einen kleinen Stein in die Glut und wirft den Ast hinterher, ehe er die Stille unterbricht. „Du hast meine Frage noch nicht beantwortet. Was hast du mitten in der Nacht vor meiner Tür gemacht – und warum hast du geweint?“, fordert Raphael nun zu wissen. Bei den letzten Worten schwingt schon fast hörbar Mitleid in seiner Stimme. Vielleicht merkt Michael das in diesem Moment, da er nun antworten kann, wo er es vorhin nicht konnte. „Ich – ich hatte einen Albtraum…“, murmelt er leise, sodass Raph es über das Knistern des Feuers gerade noch hören kann. Neuerliche Tränen sammeln sich in den blauen Augen, die sonst vor Fröhlichkeit überschwappen. Bei dem Wort Albtraum muss der Saikämpfer unweigerlich an den seinigen denken. Kann so was Zufall sein? Eher unwahrscheinlich, wo er sich doch jede Nacht damit rumplagt und dabei noch nie gemerkt hat, dass Michael vor seiner Tür hockt und sich die Augen ausweint. Gedankenverloren dreht sich der Ältere eine Zigarette und entfacht sie an den züngelnden Flammen. Er macht einen langen Zug und stößt den Rauch langsam wieder aus. Dann blickt er abermals zu seinem Sorgenkind. Bekümmert stellt er fest, dass Michael wieder ein paar Tränen über die Wangen laufen. „Erzähl mir, was du geträumt hast.“ Unsicher sieht der Junge zu ihm hinüber und blickt dann wieder ins Feuer. „Ich – ich denke, dass möchte ich nicht…“, erwidert der Nunchakuträger verhalten. Raph nimmt einen weiteren Zug und bläst den Rauch durch die Nase. „Es ist egal, was du möchtest. Es hilft, wenn man darüber spricht, sonst wird es dich nie loslassen.“, erklärt Raphael und könnte sich innerlich selbst für diese dämliche Weisheit ohrfeigen, hat er doch bis heute nicht einmal Chen erzählt, dass ihn jede Nacht derselbe Traum verfolgt. Doch Michael schweigt und starrt nur mit feuchten Augen in die Flammen. Seufzend raucht Raphael weiter. ‚Warum antwortet er mir nicht? Hat er Angst, dass ich lachen könnte? Oder vertraut er mir einfach nicht genug, um sich mir zu öffnen…?‘ Sorgenvoll mustert er den Jungen, doch seine Gedanken beginnen abzuschweifen. Die blonden Haare des Kleineren glänzen in Schein des Feuers. Seine feuchten Augen funkeln wie Sterne. Seine sonst so gebräunte Haut sieht im wabernden Lichtschein blass aus, bis auf die vom Weinen roten Wangen. In der übergroßen Lederjacke wirkt seine zierliche Gestalt verloren und furchtbar klein. Der Anblick lässt Raph erneut daran denken wie gern er ihn tröstend in die Arme schließen möchte. Doch er schiebt ihn beiseite. Stattdessen lässt er sein einsames Auge weiter wandern. Die Jacke reicht dem Jungen bis über den Po. Der untere Rand eines uralten, verblichenen T-Shirts schaut darunter hervor, welches er zum Schlafen benutzt. Wenn sich Raph eben an ihre Begegnung im Flur erinnert, fällt ihm ein, dass er das Shirt kennt. Ironischer Weise hat Mikey es schon damals getragen und eigentlich gehörte es ursprünglich Donnie. Fragt sich, ob das jetzt wenigstens ein Zufall ist? Wahrscheinlich schon, denn immerhin hätte dieses Shirt auch jeder andere anziehen können, da er die meisten Klamotten seiner Familie an die Flüchtlinge verteilt hat. Allerdings ist sich der Rothaarige sicher, dass es niemandem so gut stehen würde wie Michael. Es ist zwar sehr alt und wird vielleicht nicht mal die nächste Wäsche überstehen, doch an seinem Körper sieht es einfach nur perfekt aus. Der ausgeblichene, violette Stoff reicht ihm bis zu den Knien, sodass fast der Eindruck entsteht, er würde ein Kleid tragen oder er wäre noch ein kleines Kind, das die Sachen seines Vaters trägt. Die zierliche Statur des Nunchakuträgers verschwindet darunter vollkommen, nur die linke Schulter ist entblößt, da dort der Ärmel immer wieder herunterrutscht. Jetzt ist die blanke Schulter zwar nicht zu sehen, doch Raph kann sich noch gut an sie erinnern. Allein ihr Anblick hat ihm schon damals genügt, um heiß zu werden. Jetzt ist es nicht viel besser. Er hat sie auf dem Flur gesehen und konnte sich gerade noch zusammenreißen, den Jungen nicht gegen die Wand zu stoßen und ihn gleich dort auf dem Flur zu nehmen. Jetzt überkommt ihn wieder dasselbe Gefühl und er ist sich nicht sicher, ob er es wirklich unterdrücken will. Zumal Michael ihm nun einen noch viel ansprechenderen Anblick bietet. So wie der Junge dort mit angezogenen Beinen sitzt, ist der Saum des Shirts von seinen Knien gerutscht und gibt seine durchtrainierten Schenkel preis. Die ebenmäßige Haut ist übersät mit hauchfeinen, weißen Narben, die nicht mal den Ansatz dessen aufzeigen können, was er alles in seinem Leben durchgemacht hat. Die sanfte Rundung seines, in Raph´s Auge so unglaublich perfekten, Pos ist ebenfalls sichtbar, einschließlich eines schmalen Streifens seiner hautengen, schwarzen Shorts. ‚Oh, Gott…!‘, geht es dem Führer durch den Kopf und es scheint wahrlich der einzige klare Gedanke darin zu sein. Sein Herz beginnt schneller zu schlagen und sein Atem wird angestrengter. Er schluckt hart und leckt sich verlangend über die Lippen. In diesem Moment ist er nur einen Sekundenbruchteil davon entfernt, den Jungen auf den Stamm hinunter zu drücken und sich rücksichtslos das zu nehmen, was er sich seiner Meinung nach schon seit Jahren verdient hat. Er kann deutlich spüren wie es in seiner Shorts gefährlich eng wird und er all seine Bedenken über Bord wirft. Scheißegal, was Michael davon halten wird und wie laut er auch schreien mag, er wird und kann einfach nicht aufhören! Seine Beherrschung ist völlig am Boden. Als er sich jedoch zu dem Jungen herumdrehen will, um seinen perfiden Plan in die Tat umzusetzen, jagt plötzlich ein glühender Schmerz durch seinen Zeigefinger. Überrascht zuckt er leicht zusammen und lässt die Zigarette fallen, die während seines angestrengten Denkprozesses vollkommen runter gebrannt ist und ihm nun die Haut versenkt hat. Wütend starrt er den qualmenden Stummel im Sand an und tritt dann ungehalten mit dem Stiefel darauf. Michael hat von alledem nichts mitbekommen. Er sieht nur weiterhin verschlossen ins Feuer. Raph hingegen saugt vorsichtig an der verbrannten Haut seines Fingers und wird sich mal wieder bewusst, was er eigentlich gerade gedacht hat und wie kurz er davor war, es wirklich zu tun. Damit würde er jedoch nicht nur Michael verletzten, sondern auch sich selbst, da dann das zarte Vertrauen zwischen ihnen wahrscheinlich für immer dahin wäre. Scheinbar ist Rauchen wohl doch keine so sinnlose Angewohnheit… Langsam beruhigt sich sein Körper wieder und die Erregung nimmt ab. Er räuspert sich, um wenigstens etwas von Michaels Aufmerksamkeit zu bekommen. Zumindest die Augen des Blonden bewegen sich in seine Richtung, mehr jedoch nicht. „Hab ich dir mal von meinem kleinen Bruder erzählt?“, wirft der Rothaarige schließlich in die Runde, als er wieder klar denken kann und dreht sich eine neue Zigarette. Zaghaft und traurig wendet der Junge ihm nun doch das Gesicht zu. Ein paar Dinge hat Raph ihm tatsächlich schon erzählt, doch sie haben in ihm keinerlei Erinnerungen geweckt. „Ein wenig…“ In seiner Vergangenheit schwelgend, klemmt sich Raphael die Kippe zwischen die Lippen. „Mein kleiner Bruder hatte auch ständig Albträume. Er hatte danach immer Angst in seinem Zimmer zu schlafen und kam dann in mein Bett. Für ihn war ich immer sein großer Beschützer gewesen, der stets all die Monster von ihm ferngehalten hat. – Naja, zumindest bis zu dem Tag, an dem ich ihn nicht mehr beschützen konnte…“ Traurigkeit legt sich in seine sonst so harte Stimme. Michael weiß, was damals mit der Familie seines Meisters passiert ist, doch darüber hinaus hat er ihm bisher nur belanglose Kleinigkeiten erzählt. Dass er jetzt etwas so intimes von ihm erzählt bekommt, rührt den Blonden einfach nur. „Ich denke, Ihr wart ein ganz toller Beschützer und Euer Bruder hat Euch sicher sehr lieb gehabt.“, kommt es zaghaft von dem Nunchakuträger. Als Raph ihn daraufhin ansieht, wendet der Kleinere den Blick ab und starrt wieder aufs Feuer. Jedoch kann der Saikämpfer deutlich sehen wie sich die Wangen seines Gegenübers tiefrot verfärben. Ein kleines Lächeln breitet sich auf Raph´s Gesicht aus. ‚Der Gedanke des Beschützers scheint ihm wohl zu gefallen…‘ „Da hast du sicher recht. – Vielleicht magst du mir ja jetzt von deinem Traum erzählen?“, versucht es der Ältere noch einmal. Seufzend blickt der Junge noch einen Moment ins Feuer. Es fällt ihm schwer, offen mit seinem Führer über Dinge zu reden, die nichts mit der Arbeit zu tun haben. Irgendwie erscheint ihm das nicht richtig. Dennoch weiß er nicht, wieso. Verloren grübelt er nach und Raph lässt ihm die Zeit dazu, sitzt nur stumm mit seiner Zigarette neben ihm. Was hat der Blonde eigentlich zu verlieren, wenn er ihm von seinem Traum erzählt? Vermutlich nicht viel, schließlich hat Raphael ihm ja auch etwas erzählt. Ein wenig beginnt der Kleinere zu träumen. Er stellt sich vor wie der Rothaarige mit seinen Brüdern in den Kampf zieht und sich in einer brenzligen Situation vor sie stellt, um sie zu beschützen. Der Gedanke gefällt ihm gut, denn immerhin ist der Saikämpfer eine starke und imposante Persönlichkeit und so schnell erschüttert ihn nichts. Als großer Bruder muss er einfach wundervoll gewesen sein. Michaels Herz krampft sich schmerzhaft zusammen. Wie sehr wünscht er sich, er hätte auch so einen Bruder. Oder hat er ihn vielleicht sogar und hat es vergessen, weil er sich an einfach nichts erinnern kann? Die Vorstellung ist einfach grausam. Ein paar Tränen suchen sich ihren Weg über seine Wangen und er fängt leise an zu schluchzen. Wehmütig sieht Raph zu ihm hinüber. Den Anblick des Jungen kann er jedoch einfach nicht länger ertragen. Daher rückt er zu ihm heran, legt ihm vorsichtig den Arm um die Schultern und drückt ihm beruhigend an seine Brust. Erschrocken zuckt der Jüngere zusammen und versucht Abstand zu gewinnen, doch Raph hält ihn eisern fest. Schließlich beendet Michael seinen Widerstand und lässt sich von ihm halten. Eigentlich ist es sogar ein sehr schönes Gefühl. Seine straken Arme geben ihm das Gefühl, das ihm nichts und niemand mehr schaden kann und er verströmt eine herrliche Wärme, die Geborgenheit verspricht. Mit halbgeschlossenen Augen sitzt er da, lässt sich trösten und fängt langsam an zu träumen. Nicht zum ersten Mal kommt dem Nunchakuträger der Gedanke seinem Meister auf eine Weise nahe sein zu wollen, die eigentlich nicht normal ist. Unweigerlich röten sich seine Wangen wieder und er schluckt schwer. Nein, solche Gedanken muss er sich aus dem Kopf schlagen, sein Meister ist ganz sicher nicht der Typ, der auf andere Jungs steht. „Und?“, fragt Raphael beiläufig, während er die Zigarette ausdrückt. „Ich – also – ich hab geträumt, dass ich an einer Art Strand war. Ich konnte das Wasser hinter mir sehen. Mit mir waren noch andere Leute da, doch ich kannte sie nicht, obwohl sie irgendetwas Vertrautes ausgestrahlt haben…“, setzt der Blonde an. Nachdenklich blickt Raph ins Feuer. „Doch es hatte nichts Fröhliches. Die Leute hatten alle Angst und haben Waffen bei sich gehabt. Ich stand mit den Nunchakus da. Um uns herum stand alles in Flammen…“ Kaum merklich zuckt Raphael zusammen. So wie es sich anhört, hat Michael von dem letzten Kampf gegen Shredder geträumt und das ist nun wirklich nichts, was Raph gern hören würde. „Ist schon gut, du musst nicht weitersprechen. Den Rest kann ich mir denken.“, gibt er daher von sich und irritiert den Jungen damit doch etwas. Fragend blickt der Blonde ihn an. „Hab ich etwas Falsches gesagt?“, fragt er unsicher. Der Rothaarige löst sich von ihm und steht auf. „Nein, du kannst ja nichts für deinen Traum. Doch es hört sich genauso an wie die Schlacht, in der ich meine Familie verloren habe…“ Bedrückt senkt der Junge den Kopf. „Das tut mir leid.“ Doch der Saikämpfer winkt nur ab. Stattdessen greift er nach einem kleinen Eimer in der Nähe, in dem Wasser zum Löschen des Feuers steht. Durch die vorherrschende Kälte hat sich auf der Wasseroberfläche eine feine Eisschicht gebildet. Als Raphael das Feuer ertränkt, wird ihm erst klar wie kalt es inzwischen geworden ist. Sein Atem quillt in dicken Wölkchen aus seinem Mund hervor. „Komm, wir gehen.“, entgegnet er dem Jüngeren. Michael folgt ihm leicht betrübt, wollte er seinen Meister doch nicht an so etwas erinnern. Noch ehe sie den Einstieg erreichen, fallen die ersten, feinen Schneeflocken vom Himmel. Trotz der Kälte, die den beiden mittlerweile ziemlich in den Knochen steckt, verweilen sie noch einen Moment und betrachten das Schauspiel. Es sieht aus, als würden hunderte, kleiner Sterne zu Boden sinken. Doch dies ist nur der Anfang. Bis zum Morgengrauen wird sich eine zentimeterdicke Schneedecke gebildet haben, die das weitere Arbeiten erheblich erschweren wird. Deutlich beginnt der Blonde zu zittern und Raph schiebt ihn weiter zum Eingang, da er sich trotzdem nicht vom Anblick des fallenden Schnees lösen kann. Im Bunker dagegen ist von Schnee und Kälte nichts zu spüren. Überall ist es angenehm warm, sodass Michael schon nach wenigen Metern die geliehene Jacke auszieht und sich unter den Arm klemmt. Schweigend folgt er seinem Meister den Gang entlang zur Treppe. Diesmal benutzen sie aber nicht den direkten Weg, was den Jungen doch verwundert. Demonstrativ bleibt Raph schließlich vor einer Tür stehen und Michael erkennt schnell, dass es sich um den Lagerraum handelt, aus dem er heute Morgen die Sachen hat mitgehen lassen. Ertappt zuckt er zusammen, in dem Gedanken jetzt noch ordentlich Ärger zu bekommen. „Ich weiß, dass du die Tür aufgebrochen hast. Dass kann ich nicht gutheißen, auch wenn mich dein Geschick beeindruckt.“ Langsam zieht der Saikämpfer den Schlüssel aus der Tasche seines Bademantels und verriegelt die Tür wieder. „Ich hab auch gesehen, was du mitgenommen und damit angestellt hast. Ich war dort, um mir die Baustelle anzusehen, als ihr gerade so fröhlich anfingt zu singen. Falls man dieses schiefe Getöse überhaupt als Singen bezeichnen kann.“ Seiner Stimmlage ist nicht anzumerken, ob er sauer oder einfach nur enttäuscht ist und Michael fühlt sich dadurch nur noch schlechter. Mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf steht er da und wünscht sich, er wäre trotz Albtraum in seinem Zimmer geblieben. „Was machst du denn für ein langes Gesicht, Junge? Immerhin solltest du dich freuen, du hast deine Prüfung endlich bestanden und wirst an der nächsten Mission teilnehmen!“ Nun hört man seiner Stimme einen Funken Stolz und Begeisterung an und der Blonde hebt ungläubig den Kopf. Jetzt versteht er gar nichts mehr. „Ihr seid mir nicht böse?“ „Nein. Vielleicht etwas angefressen, weil du die Sachen ohne meine Erlaubnis entwendet hast. Ansonsten bin ich sehr zufrieden mit dir.“ Ein nachsichtiges und ehrliches Lächeln breitet sich auf den sonst so ernsten Zügen des Führers aus. Dies weckt auch etwas Hoffnung in dem Jungen und er versucht ebenfalls zu lächeln. „Und ich darf ab jetzt wirklich mit auf Mission?“, hakt er nach. „Ja. Aber erst mal nur mit Chen und seinem Team und auch nur wenn er Zeit hat auf dich aufzupassen, ansonsten wirst du hier weiterarbeiten.“, nimmt Raph ihm ein wenig den Wind aus den Segeln. Doch das scheint den Jungen überhaupt nicht zu kümmern. Stattdessen ist ihm die Vorfreude deutlich anzusehen und er muss sich ziemlich zusammennehmen, um Raph nicht gleich um den Hals zu fallen. „Oh, danke, vielen Dank! Ihr werdet es ganz sicher nicht bereuen!“, flötet der Blonde begeistert. „Das will ich auch hoffen und jetzt komm.“ Es dauert nicht lange und sie stehen vor Raphaels Zimmer. Ungeachtet seines kleinen Begleiters betritt Raph das Zimmer. Erst als er am Bett ankommt, merkt er, dass der Junge verloren vor der Tür stehen geblieben ist und ihn ansieht. Noch nie zuvor hat Michael sein Zimmer betreten und auch jetzt sieht er keinen wirklichen Anlass dafür unaufgefordert zu folgen. Etwas verwundert legt Raph die Stirn in Falten. „Willst du den Rest der Nacht da stehenbleiben? Komm endlich rein und mach die Tür zu.“, fordert er ihn auf. Unsicher verweilt der Blonde noch einen Moment auf der Schwelle, dann tritt er ein und schließt leise die Tür hinter sich. Doch irgendwie fühlt er sich jetzt nicht mehr so wohl. Der Rothaarige kommt zu ihm hinüber, nimmt ihm die Jacke ab und hängt sie wieder über die Seite des Spiegels. Dann wendet er sich wieder zum Bett und streift sich auf dem Weg dorthin den Bademantel an. Vergessen landet er vor dem Bett und Michael sieht seinen Meister zum ersten Mal nur in Shorts. Er schluckt hart, als er beobachten kann wie sich unter dem engen, schwarzen Stoff die Muskeln seines Pos und der Hüften bewegen. Mit roten Wangen wendet er den Blick ab und als Raph sich umdreht, kann er sich ein Grinsen nicht verkneifen. Irgendwie niedlich wie er dort so steht und versucht ihn nicht anzustarren, auch wenn Mikey das früher nicht gestört hat. Aber schließlich wusste Mikey sein Leben lang wie seine Bruder in Unterwäsche oder sogar ganz nackt aussehen. Jetzt ist es für ihn jedoch völlig neu, aber irgendwie gefällt es Raph ihn so aus der Fassung zu bringen und er wird noch viel mehr davon verlieren, wenn er erst merkt, was der Ältere eigentlich will. Der Rothaarige geht auf die linke Seite des Bettes, schlägt die Decke zurück und setzt sich auf die Laken. „Nun komm schon her und leg dich hin, ich will endlich schlafen.“, fordert Raph in grinsend auf. Der Gedanke behagt dem Jungen überhaupt nicht. Er soll sich das Bett mit seinem Meister teilen? Das soll doch wohl ein Schmerz sein! „Ich fürchte, dass kann ich nicht.“, erwidert der Blonde zaghaft und wendet sich zu Tür um. Er hat sie gerade mal einen Spalt geöffnet, da legt sich Raph´s Hand auf den kalten Stahl und schlägt sie wieder zu. Erschrocken zuckt der Jüngere zusammen. Er kann die Wärme spüren, die von dem Körper hinter ihm ausgeht und ein Schauer läuft ihm über den Rücken. Dann Raph´s heißer Atem an seinem Ohr. „Du kannst auch auf dem harten Boden liegen, wenn dir das lieber ist, doch du verlässt diesen Raum nicht, ehe ich es dir erlaube.“ Er will dem Kleineren keine Angst machen oder dergleichen, dennoch scheint es eher so zu sein. „Meister, ich…“, setzt Michael an, doch er wird unterbrochen. „Weißt du, bevor ich dich vor meiner Tür fand, hatte ich auch einen Albtraum und ich dachte, gemeinsam wäre es einfacher wieder Schlaf zu finden…“ Ohne ein weiteres Wort begibt sich Raph wieder zurück zum Bett und überlässt den Jungen sich selbst. Grübelnd blickt dieser weiterhin auf das glatte Metall der Tür und versucht seine Gedanken zu ordnen. Seine merkwürdigen Gefühle für Raph drängen sich dabei immer wieder in den Vordergrund. Vielleicht hat er ja doch etwas für ihn übrig? Welcher erwachsene Mann würde sich sonst mit einem Halbwüchsigen das Bett teilen? Unsicher dreht sich der Blonde herum. Raphael hat es sich inzwischen bequem gemacht und wartet auf ihn. Die Müdigkeit ist ihm deutlich anzusehen und auch Michael ist alles andere, als wach. Scheu nähert er sich schließlich doch dem Bett und klettert auf den freie Seite. „Na siehst du, war doch gar nicht so schwer.“, entgegnet ihm der Rothaarige und breitet die Decke über sie beide aus. Noch immer mit einem seltsamen Gefühl legt sich Michael auf das Kissen und Raph tut es ihm gleich. Nur wenige Minuten später kann der Nunchakuträger das gleichmäßige, tiefe Atmen seines Bettnachbarn hören und weiß, dass dieser bereits eingeschlafen ist. Vorsichtig riskiert er einen Blick. Da die Nachttischlampe noch immer an ist, kann er deutlich die entspannten Züge des anderen sehen. Er wirkt so unglaublich friedlich, fast schon unschuldig und sein Anblick erfüllt Michaels Herz mit einer tiefen Zuneigung. Lächelnd betrachtet er ihn und verliert den Rest seiner Scheu. Er rückt sogar ein Stück näher an ihn heran und rollt sich dicht neben ihm zusammen. Langsam schließt er die Augen. Kurz darauf öffnet er sie jedoch wieder, weil sich Raphael auf den Rücken gedreht hat. *Raph hat eine etwas schiefe Nasenscheidewand und beginnt jetzt leicht zu schnarchen, ein Geräusch, das Michael als angenehm empfindet. Es ist gut, das Bett mit einem anderen Menschen zu teilen, einem wirklichen Menschen, der wirkliche Geräusche von sich gibt - und ihm manchmal die Decke wegzieht. Er lächelt in Zwielicht der einzelnen Lampe. Dann kehren seine Gedanken wieder zu seinem Albtraum zurück. Erneut breitet sich ein Unwohlsein in ihm aus, erst recht, weil auch Raph meinte er hätte einen Albtraum gehabt. Sollte er deswegen bei ihm bleiben, damit auch der starke Führer keine Angst haben muss? Irgendwie kann er sich gar nicht vorstellen, dass es überhaupt etwa gibt, dass dem Rothaarigen Angst machen könnte. Raphael meinte aber, dass sein Bruder früher immer schlimm geträumt hat und sich dann nur wohl gefühlte, wenn er bei ihm schlafen konnte. Der Blonde kann das gut nachvollziehen. Raph verströmt eine unglaubliche Aura, die Schutz verspricht. Während der Junge so vor sich hin denkt, dreht sich der Saikämpfer erneut herum. Diesmal jedoch auf die Seite, sodass Michael ihm wieder direkt ins Gesicht sehen kann. Irgendwie scheint er dabei auch näher zu ihm gekommen zu sein. Nur wenige Zentimeter trennen ihre Gesichter noch voneinander. Gerade als sich der Kleinere mit dieser Nähe versucht anzufreunden, streckt Raph unbewusst im Schlaf den Arm aus und legt ihn um die Schulter des verwirrten Jungen. Zur Krönung des Ganzen scheint Raph der Gedanke zu gefallen, jemanden im Arm zu halten, vielleicht denkt er dabei auch an seinen kleinen Bruder? Jedenfalls zieht er Michael nun sogar zu sich heran, bis der Blonde fest in seiner Umarmung liegt. Raph seufzt im Schlaf und drückt sein Gesicht in die wirren, blonden Haare des Jüngeren. Hilflos liegt der Nunchakuträger da und weiß nicht so recht, was er tun soll. Seinem Meister scheint es ziemlich gut zu gehen, doch ihm selbst fällt es schwer, sich so plötzlich fallen zu lassen. Allerdings zieht die Müdigkeit immer heftiger an ihm, sodass er sich nur noch ein paar Momente darüber Gedanken machen kann, ehe ihm die Augen zufallen und er sich fester an sein Gegenüber kuschelt. Unbewusst fügt sich so ein Stück Vergangenheit wieder zusammen und lässt die beiden näher zueinanderfinden… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)