Nordwind von Lindwurm ================================================================================ Prolog: der letzte Tag ---------------------- Es war ein sonniger und heißer Tag. Der Himmel war nahezu wolkenlos und die See ruhiger als noch wenige Stunden zuvor. Es würde nicht mehr lange dauern bis der kleine Einmaster an seinem Zielort eintraf und ich konnte es kaum erwarten diese Insel zu sehen. Der Grund dafür war simpel, denn eigentlich durfte Niemand dieses Land betreten, genau genommen wussten nicht einmal viele wo es sich genau befand. Es war der Sitz des hohen Rats der Magier, eine Gruppierung aus den mächtigsten und klügsten Magiern des ganzen Landes, nur sie und ihre Bediensteten waren an diesem Ort gestattet. Mein Vater gehörte zu keinem dieser beiden Gruppen und dennoch war es ihm erlaubt in Ausnahmefällen Botengänge zu tun. Der Ratssitz war vor wenigen Jahren vom Festland aufs offene Meer verlegt worden, denn er war zu oft Ziel von Krieg und Intriegen geworden, zumindest hatte mein Vater mir das einmal erzählt. Er hatte mir nie verraten wie er an den Boten-posten herangekommen war, doch er erwähnte oft wie streng geheim seine Dienste waren und dass ich der Einzige sei, dem er es überhaupt erzählt hätte. Die höchsten Magier des Landes schätzen nichts mehr als ihre Ruhe. „Da, siehst du sie?“ er rief mir vom Steuer aus zu und zeigte vor uns aufs offene Meer, doch es war gar nicht nötig gewesen denn ich hatte die Insel längst entdeckt. „Bist du nervös?“ Ich drehte den Kopf in seine Richtung und nickte heftig, konnte mir aber gleichzeitig mein breites Grinsen nicht verkneifen. Ja ich war nervös, wahnsinnig nervös, aber auch voller Vorfreude. Denn der Grund weswegen wir hier waren war ein völlig anderer als sonst. Seit mein Vater diese Arbeit angenommen hatte war sein einziger Wunsch einen Gefallen der hohen Magier zu erbitten. Vielleicht war sogar genau das von Anfang an seine Motivation gewesen die ‚Drecksarbeit’ zu übernehmen. Mit seinem letzten Ersparten hatte er dieses Schiff gekauft und war oft Tagelang fort um alles zu tun, was die Magier ihm auftrugen. Er brachte oft verschlossene Kisten zur Insel oder vom Rat zum Festland, deren Inhalt immer ein Rätsel war. Anfangs waren auch öfter simple Lebensmittel-Lieferungen darunter oder andere alltägliche Güter, Papier, Tinte, Bücher, Werkzeuge aller Art, doch oft waren die Dinge die ihr Weg auf den Einmaster schafften rätselhaft. Einmal erzählte er sogar dass seltsame Geräusche aus einer der Kisten gekommen waren und er war sicher gewesen, dass es sich um ein magisches Tier gehandelt haben musste, denn er habe solche Geräusche nie zuvor gehört. Immer wieder erwähnte er wie gefährlich dieser Job war, denn nicht selten geriet er in Frachtkontrollen und konnte nicht mehr vorzeigen als einen Brief den man ihm gegeben hatte. Natürlich wusste er nicht was darauf stand, denn Lesen konnten nur die allerwenigsten Seeleute. Doch jedes Mal fürchtete er sich davor, dass diese Zettel nicht genügten und man ihm nach Inhalt oder Herkunft der Lieferung fragte, in diesem Fall würde er sich große Probleme einhandeln, bestenfalls vom Militär die ihn als Schmuggler einsperrten, schlimmstenfalls jedoch vom Rat selbst wenn er seinen Schwur brach und über seine Dienste sprach. Und ja, jeder wusste dass man einen Magier mehr zu fürchten hatte als einen Soldaten. Es war ein schwerer Job, vielleicht sogar einer der Schwersten den man annehmen konnte. Alles nur für diesen Tag. Nach so vielen Jahren hatte man ihm seine Bitte gewährt. Endlich hatte man ihm einen Besuch bei einem der hohen Weißmagier gestattet, um eine Heilung für seinen einzigen Sohn zu finden. Für mich. „Anais Dia Vineros, merk dir diesen Namen gut. Sie ist dein Schutzengel“ hatte er mir vor wenigen Tagen freudestrahlend erzählt und ich hatte genug Grund den klang ihres Namens alleine nichts anderes als schön zu finden. Ich hatte eine Vorstellung von ihr in meinem Kopf, die der Vorstellung eines Engels sehr nahe kam. Elegant, stark und schön. „A.... an... nnai.. is“ ich versuchte ihren Namen hervorzubringen, als ich die Insel langsam näher kommen sah. Sie ist eine Weißmagierin, DIE Weißmagierin des hohen Rats um genau zu sein. Wer wenn nicht sie ist in der Lage mich von meinem Leiden zu befreien. Dann werde ich endlich das können, was mir seit 15 Jahren so unvorstellbar schwer fiel, ich würde sprechen können. „Der Wind steht gut, wir legen gleich an“ sagte mein Vater und lächelte von einem Ohr zum Anderen „Mach einen guten Eindruck, ja? Wir haben ewig gespart um uns das hier leisten zu können“ Ich nickte erneut, sog die salzige Seeluft tief in meine Lungen und atmete geräuschvoll wieder aus. Wie sich meine Stimme wohl anhören würde, wenn sie richtig funktionierte? Würde es mich dann nicht mehr erschöpfen einen ganzen Satz auszusprechen? Würden die Worte endlich fließend und ungebrochen meine Lippen verlassen? Noch konnte ich mir nichts davon vorstellen. Eilig machte ich mich daran zu helfen das Schiff bereit zum Ankern zu machen und ich nahm mir fest vor, wenn wir es das nächste mal betreten würde, würde ich auf den Mast hinaufklettern und so laut jubeln wie ich konnte. Bereits in dem Moment, indem wir angelegt hatten begann der Himmel sich zuzuziehen. Dicke schwarze Wolken erhoben sich am Horizont und schoben sich langsam vor die Sonne, sie versuchten das Blau des Himmels zu fressen. Doch ich war so nervös und voller Aufregung dass ich es nicht bemerkte. -- „Du bist also der Junge, von dem ich so viel gehört habe. Willkommen“ Anais Stimme war erhaben und sanft, ebenso wie ihre Erscheinung. Sie war viel jünger als ich sie mir vorgestellt hatte und unglaublich schön. Ihre rotblonden Locken schienen in meinen Augen beinahe zu leuchten und die Aura die sie umfing brachte mich dazu vor Ehrerbietung zu schlucken und ich senkte leicht den Kopf. „Ich hörte du bist hier um deine Melodie wiederzufinden“ sie lächelte sanft. Es kam mir fremd vor ein Wort wie ‚Melodie’ für die ‚Stimme’ zu benutzen, doch auch das verstärkte das Gefühl dass zwischen Ihr und Mir Welten lagen. Noch nie war ich einem Menschen begegnet, der so anders war. Ich fühlte mich auf eine Weise fremd und winzig klein in ihrer Nähe und plötzlich verstand ich wieso es einfachen Leuten verboten war ihr Reich zu betreten. Man gehörte einfach nicht zu diesen höheren Wesen. „Hh.... j..... h.. ja..... my la... lad..y“ Ich gab mir die allergrößte Mühe diese Worte über die Lippen zu bringen, mein Hals begann sofort zu schmerzen, weil ich ihn zu sehr zwang und ich wünschte mir gleich ich hätte es nicht versucht, denn nun schämte ich mich meine zitternde gedrückte Stimme im Angesicht dieser Meisterin zu zeigen „Quäl dich nicht mein Junge“ entgegnete sie, nachdem sie geduldig gewartet hatte bis die Worte meine Kehle verlassen hatten. „Deine Leiden sind bald vorbei. Bitte folgt mir“ Ich tat was sie sagte. Ich war so nervös und mein Herz schlug so hart in meinem schmerzenden Hals, das ich nicht bemerkt hatte dass mein Vater uns nicht begleitete. Mehr noch, er wurde von mir getrennt und in eine andere Richtung geführt, doch ich war zu gebannt von der Schönheit neben mir, dass das erst viel später meine Gedanken erreichte. „Setz dich doch“ Die schweren Holztüren wurden hinter uns geschlossen, keiner außer Anais und mir war in dem Raum. Die Wände strahlten so weiß und rein dass ich den Eindruck hatte wir seien in eine ganz andere Welt getreten. Was ich kannte waren schmutzige dunkle Holzverschläge, alte zerfetzte Lumpen überall, Kisten und alte morsche Stühle. Ich kannte Häuser, in denen Nichts zum Anderen passte und die vollgestopft waren mit Gerümpel. Das hier war völlig fremd für mich. Alles sah edel und unbenutzt aus, alles aus reinen Farben, die mir noch nie untergekommen waren. Anais wies mit einer eleganten Handbewegung auf eine mit dunkelblauem Samt gepolsterte Liege und wiederholte ihren Satz, als ich einfach gebannt im Türrahmen stehen geblieben war um die Fremdheit des Raumes zu Bewundern. Gehorsam nahm ich platz und sah zu ihr auf, als sie mir eine Hand auf die Schulter legte „Du bist gerade 15, habe ich Recht?“ ich nickte „Ein erwachsener Mann also, bist du ein ebenso guter Seefahrer wie dein Vater? Du hast sicher viel von ihm gelernt?“ ich verstand die Frage nicht, nickte dennoch. Natürlich hatte ich viel von ihm gelernt, auch über das Segeln. Doch wieso fragte sie mich diese Dinge bevor sie mich geheilt hatte? Wenn sie Tatsächlich an meinen Fähigkeiten interessiert war, wäre es doch besser zu warten bis ich ihr auch antworten konnte. „Ich verstehe, das ist beeindruckend. Ich bin sicher du würdest einen hervorragenden Kapitän abgeben. Du wirkst wie ein kräftiger, kluger Junge“ Sie lachte leicht und ich sah sie fragend an. Sie hatte Recht, ich war schon früh von meinem Vater in körperliche Arbeit einbezogen worden, damit ich ihm in vielen Dingen zur Hand gehen konnte. Ebenso war er mir stets ein guter Lehrer gewesen und hatte es nie versäumt mir sein ganzes Wissen über die Welt beizubringen. Demnach war ich sicherlich auch klüger als manch anderer in meinem Alter, dem es viel länger erlaubt war unbesorgt zu toben und zu spielen. Dennoch brannten mir Fragen auf der Zunge, was das Alles mit meiner Heilung zu tun hatte. Doch ich konnte warten, ich war geduldig. Ich würde sie fragen, sobald ich dazu in der Lage war. „nnh...?“ nichts weiter als ein fragender Laut entwich meiner Kehle, bis sie ihre Hand zurückzog und mich sanft anlächelte. „Ganz Ruhig. Leg dich auf den Rücken, ich werde jetzt beginnen“ Sofort? Gab es keine Art der Vorbereitung? Ich war verunsichert. Obwohl dieser Moment so viel für mich bedeuten sollte, war es jetzt viel mehr Angst als Freude die mich erfüllte. Irgendetwas fühlte sich nicht richtig an und ein flaues Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. Dennoch schlug ich alle Warnungen meines Instinkts in den Wind und legte mich auf den Rücken. Anais lächelte noch immer, setzte sich dann mit einer eleganten Bewegung auf einen Stuhl neben mich „Entspann dich und schließ die Augen, es wird schnell vorbei sein und dann bist du ein neuer Mensch“ Ich schloss die Augen und versuchte meine Muskeln zu entspannen. Ein paar Fragen wollten mir in den Kopf dringen. Wieso erlaubten sie meinem Vater nicht hier zu sein? Ist Weißmagie gefährlich? Ich spürte eine sanfte Berührung an der Stirn, die weichen warmen Hände streichelten über meinen kahlen Kopf und es war mir als wären meine Gedanken plötzlich in Watte gepackt. Wieso fragte sie mich, ob ich ein guter Seemann bin, wo sie doch meinen Vater als Boten hatten? Er war noch lange nicht zu alt für diese Arbeit und obwohl er mich ausgebildet hatte war er zweifelsohne der bessere Kapitän. Ich zuckte leicht zusammen als ich ihre Fingerspitzen an meinem Hals spürte. Ich war schon immer sehr empfindlich dort gewesen, doch ich zwang mich gleich wieder zur Ruhe. Sie würde mich ja heilen und mir kein Leid antun. Wieso hatte Niemand das Gold entgegengenommen, was mein Vater und ich mitgebracht hatten um die Heilmagie zu bezahlen? Von Anais Berührung ging Wärme aus. Eine angenehme Wärme aus ihren Fingerspitzen, die sich in meinem Hals ausbreitete, mir kam es sogar für einen Moment so vor als könne ich viel leichter atmen. Ihre Magie breitete sich weiter in mir aus, als sie ihre Hand komplett an meinen Hals legte. Obwohl die erste Angst sie würde zudrücken völlig unbegründet war, biss ich unwillkürlich die Zähne aufeinander. Die Wärme ihrer Hände stieg, ohne Zweifel war das keine normale Körperwärme mehr. Fühlte sich Heilmagie so an? Mir wurde leicht schwindelig. Das Gefühl wie in Watte gepackt zu sein verstärkte sich um ein vielfaches und ich hatte das starke Bedürfnis die Augen aufzuschlagen, doch meine Lider waren schwer wie blei. Ihre Hand wurde heiß, heiß wie die Sonne an einem Sommertag. Es war ein wenig unangenehm und ich war mir nicht sicher ob es normal war, dass es so von Statten ging. Ich wollte die Hand heben um ihr das zu signalisieren, doch auch meine Arme schienen plötzlich nicht mehr auf mich zu hören. Als die Hitze weiter stieg und es mir schien als halte Jemand mir eine brennende Kerze an die Kehle versuchte ich mit mehr Gewalt meine Muskeln zur Bewegung zu zwingen, doch nichts geschah. Es schmerzte. Ihr Finger wurden glühend heiß, die Hitze brannte sich in mich, verbreitete sich und floss durch mein Fleisch wie flüssiges Feuer und vernebelt alle meine Sinne. Ich verbrenne. Panik kam in mir auf. Was passierte hier? Ist es das was passieren muss um mich zu heilen? In den nächsten unendlich langen Sekunden war die Hitze unerträglich. Ich hatte völlig vergessen wo ich war, wer ich war oder was ich tat, da war nur Hitze, Schmerz und Angst. Mein ganzer Körper schrie vor Schmerz, mein Kopf war benebelt, meine Muskeln schienen nahezu zu reißen weil ich mit aller Kraft versuchte gegen die Lähmung anzukämpfen. Doch es half nichts, ich war dieser Hölle schutzlos ausgeliefert und in der Tat, für einen Moment war mein einziger Gedanke der, dass ich sterben würde. Oder schon gestorben war und in die Hölle geschickt wurde, ins ewig Feuer. „Es ist vorbei“ Die Worte drangen kaum zu mir durch, doch als ich sie dann vernahm spürte ich dass ihre Berührung längst verschwunden war. Die Hitze dauerte noch weitere unerträgliche Sekunden an und lies dann nur sehr langsam nach. Doch ich gewann die Kontrolle über meinen Körper zurück. Meine Glieder schmerzten wie nach einem sehr langen Tagesmarsch und meine Hände begannen zu zittern. Zum ersten Mal seit sie begonnen hatte wagte ich es zu schlucken und es war mir als sei mein Hals vertrocknet und ausgebrannt. Ich schlug die Augen auf und sah im ersten Moment nur grelles weiß, als hätte man mich ohne Vorwarnung unterm Deck eines Schiffes ins grelle Sonnenlicht gezerrt. „Nun, ich bin sicher du weißt welche Regeln hier gelten“ Anais saß nicht mehr neben der Liege, sie stand einige Meter entfernt mit dem Rücken zu mir und sah aus einem Fenster aufs Meer. „Du tust alles, was wir dir auftragen. Du fragst nicht nach dem Warum und du siehst niemals in die Kisten“ Ich verstand kein Wort. Obwohl der Schmerz einer merkwürdigen Erschöpfung gewichen war, war ich noch immer wie benebelt. Schwerfällig setzte ich mich auf und sah zu ihr. Ich öffnete den Mund um eine Frage zu stellen „---“ „Bezahlt wirst du erst nach erfolgreicher Lieferung“ sie sprach einfach weiter ohne sich zu mir umzudrehen „Du arbeitest für Niemanden sonst, bis wir dich aus dem Dienst entlassen. Und du erzählst keiner Menschenseele für wen oder was du lieferst“ Nach dem letzten Satz lies sie eine Pause und lachte leise. Dann drehte sie sich zu mir um und lächelte mich an. Ein sanftes, warmes Lächeln. Ein falsches Lächeln, ein überlegenes Lächeln. „Was rede ich da, diese Regel wird wohl nicht mehr nötig sein“ Meine Hände zitterten stärker. Ich starrte die Magierin an und fasste mir an den Hals. Ich öffnete erneut den Mund, doch nichts kam heraus. Kein Ton, kein Stottern, nicht das kleinste Anzeichen einer Stimme. „---“ Entsetzt sah ich sie an. Plötzlich war alle Schönheit und aller Glanz ihrer Gestalt verschwunden. Sie sah auf mich herab wie auf Vieh, wie auf ein Nutztier was sich gerade als hervorragendes Kapital entpuppt hatte. Welten lagen zwischen uns. Welten wie zwischen einem Gott und einem Sklaven. „Geh jetzt Junge. Dein Schiff wartet, es ist bereits beladen worden. Es wird ein einfacher erster Auftrag für dich, du musst nur an deinen Heimathafen zurückkehren und die Lieferung beim Hafenmeister abgeben“ Sie wies zur Tür, die just in dem Moment ein Bediensteter von außen öffnete. Der Mann sah mich nicht an, doch sein Gesicht zeigte wie viel lieber er woanders gewesen wäre als hier. Er wusste genau was hier geschehen war und riss mich erbarmungslos aus der Hoffnung ich sei in einem Alptraum gefangen. „Ich denke es ist überflüssig zu erwähnen, dass du die Fehler deines Vorgängers nicht wiederholen solltest. Doch was soll ich sagen? Ich WEIß dass du es nicht wirst. Nun geh!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)