Nordwind von Lindwurm ================================================================================ Kapitel 2: Rum und Frauen ------------------------- Ich war wie erstarrt. Hielt die Luft an, spannte jeden Muskel an. Die Mädchen kicherten, die Männer tranken und wagten es nicht ihrem Protest lauthals Luft zu machen. Captain Fiddick grinste mich an. Dieser sorgenfreie, faszinierend sonderbare Mann grinste Jemanden wie mich an und machte ihm ein solches Angebot. Absolut alles an dieser Situation überforderte mich. Für einen Moment vergaß ich, dass ich ohnehin nicht antworten konnte. Doch selbst wenn meine Stimme bei voller Gesundheit gewesen wäre, mir wäre kein Wort über die Lippen gekommen. „Hey, mach mal halblang Süßer“ Agnes brach die Stille, als sie plötzlich direkt neben mir stand „BigMom wird es sicher nicht gefallen, wenn du ihr ihre Schätze abwirbst, Fiddick“ Sie war die Erste die ihn nicht einfach ‚Captain’ nannte, zudem war sie die Älteste und Vernünftigste der Mädchen, was wohl auch Grund dafür war dass der Freibeuter sich tatsächlich etwas ertappt zu fühlen schien. „Haha, sag ihr das bloß nicht. Sie reißt mir die Eier ab und stopft sie mir in den Hals“ Fiddick begann wieder laut zu lachen und leerte seinen Rum in einem Zug. Seine Männer schienen deutlich erleichtert und die Stille war auch bereits vorbeigegangen. Es wurde wieder lauter und geschäftiger im Raum. Das Thema schien genauso schnell erledigt zu sein, wie es aufgekommen war. „Mehr Rum!“ befahl er als sein leeres Glas auf die Tischplatte krachte und ich war beinahe glücklich, dass dieser sonderbare Augenblick vorbeigegangen war und ich meiner Arbeit nachgehen konnte. Richtig, ein Scherz. Er konnte das Angebot unmöglich ernst gemeint haben. Ich gehörte jetzt hierher, zum lachenden Hahn, zu BigMom und den Mädchen. Das hier war mein Zuhause, nicht mehr die See. Viel später am Abend Die Kneipe war berstend gefüllt. Nicht nur Seefahrer, sondern auch einfach Handwerker und Hafenarbeiter hatten ihren Weg nach der Arbeit hierher gefunden. Es war laut und stickig. Es wurden unheimliche Mengen an Alkohol getrunken und vergleichbare Masse an Tabak verbraucht. Ich hatte längst aufgehört zu zählen wie viele der Mädchen bereits mit einem Begleiter an der Bar vorbei ins Obergeschoss gegangen waren, jedes Mal mit dezentem Nicken in meine Richtung, dass alles in Ordnung war. Es war nicht einfach gleichzeitig die Kneipe im Auge zu behalten und darauf zu achten dass es oben in den Zimmern keine Zwischenfälle gab. Deswegen war es wenig verwunderlich dass es mir leicht fiel die Sache am Anfang des Abends in einen hinteren Teil meines Kopfes zu verdrängen. Das hier war meine Aufgabe, hier wurde ich gebraucht. Immer wieder lies ich meinen Blick über den Raum streifen, tauschte Blicke mit den Mädchen um von ihnen Signale zu bekommen ob sie mich brauchten oder nicht. Es war normal dass ich zwei drei Mal an den Tischen stand und für Ruhe sorgte. Bei der Menge stark betrunkener Männer war es nicht selten dass einer sich nicht an die Regeln hielt. Denn obwohl das hier ein Bordell war und es jederzeit erlaubt war sich von einer Dame mit in die Zimmer nehmen zu lassen, gab es sehr strenge Regeln die BigMom mir immer wieder eingebläut hatte. Nichts war erlaubt, was die Mädchen nicht gestatteten. Das war die oberste Regel, die ich zu kontrollieren hatte, deswegen der ständige Blickkontakt mit ihnen. Solange sie mir ein Nicken oder ein Lächeln gaben, war alles in Ordnung. Wenn aber Jemand sie anfasste ohne dazu eingeladen zu sein, oder versuchte sie zu verführen sich außerhalb des Ladens zu treffen ohne für die Dienste bezahlen zu wollen war es meine Aufgabe dies zu unterbinden. Ebenso wenn es zum Streit zwischen zwei Männern kam die das gleiche Mädchen haben wollten oder die Trunkenheit zu groß wurde um sich aufrecht zu halten. Auch wenn es einige Zeit gedauert hatte, ehe ich mich an die Umgangsformen im Bordell gewöhnt hatte verrichtete ich meine Arbeit verantwortungsvoll und gut. Auch bei den Mädchen stieg die Trunkenheit mit jeder Stunde und sie dankten mir nicht selten mit Küssen auf die Wange und dezentem Streicheln über den Arm. Diese Gesten waren nach wie vor ungewohnt für mich, doch ich begann mich langsam daran zu gewöhnen. Trotz aller Arbeit und aller Aufmerksamkeit die von mir abverlangt wurde, blieb mein Blick auch immer wieder an Jemand Anderem kleben: Captain Fiddick. Er hatte viel Rum getrunken, ebenso wie seine Crew. Zwei der Männer waren vor einer Weile mit zwei Frauen nach oben verschwunden, doch er saß nach wie vor an seinem Tisch, trank und lachte und erzählte großspurig ausgeschmückt von seinen Raubzügen. Etwas an ihm wollte mich nicht loslassen und immer wieder sah ich in seine Richtung. Die Frauen zu beiden Seiten bezirzten ihn mit Allem was sie zu bieten hatten, berührten ihn ununterbrochen an den Armen oder Oberschenkeln, zwirbelten den Zopf in seinem Bart zwischen den Fingern und zupften an seinen Kleidern. An vielen Tischen war es umgekehrt, die Männer versuchten überall die Gunst der Frauen zu erlangen, doch der Freibeuter tat nichts weiter als dort zu sitzen und die Aufmerksamkeit der Frauen selbst zu genießen. Der Gedanke an die Freibeuter ging mir nicht aus dem Kopf. Was für ein Schiff sie wohl segelten? Sicherlich würde es deutlich größer sein als mein alter Einmaster und sicherlich war Fiddicks Crew deutlich größer als nur diese 4 Männer. Ich sehnte mich nach dem Meer, nirgendwo sonst fühlte ich mich mehr zu Hause als auf einem Schiff mit dem offenen Himmel über dem Kopf und der launischen See unter den Holzplanken. Die stickige Luft am Hafen war mir schon lange zuwider und seit der Rat der Magier keine Aufträge mehr schickte war mein Leben nicht nur arm sondern auch sehr trist geworden. Wenn es nun Tatsächlich eine Möglichkeit gab wieder auf einem Schiff arbeiten zu dürfen? Ein weiteres Mal in dieser Nacht wurde ich dabei ertappt in Gedanken versunken in Richtung der Freibeuter zu sehen, der Captain selbst bemerkte meinen Blick. Ich wendete mich ab als sei mein Blick nur zufällig an diesem Tisch gewesen so wie ich es schon zuvor mehrmals getan hatte. Ich musste mich auf meine Arbeit konzentrieren und nicht auf meine Sehnsucht zur See. Spät in der Nacht als die meisten Betrunkenen sich bereits wieder auf die Straßen und den Heimweg geschleppt hatten und auch viele Mädchen bereits aus den Zimmern zurückgekehrt waren, sah ich aus den Augenwinkeln wie Fiddick mit Fenra und Valira aufstand. Er schwankte deutlich vom Alkohol jedoch nicht schlimm genug dass ich eingreifen musste. Außerdem brauchte es nicht einmal einen Blickkontakt zu den Mädchen um zu verstehen, dass sie ihr Vorhaben erreicht hatten und ihn keinesfalls gehen lassen wollten. Kein Grund für mich irgendwie einzugreifen oder ihnen meine Aufmerksamkeit zu widmen. Ich versuchte den Blick bewusst abzuwenden. Natürlich wusste ich was in den Zimmern geschah und es war zwar selten aber nicht ungewöhnlich dass ein Mann gleich zwei Begleiterinnen mit sich nahm. Dennoch war es diesmal irgendwie anders. Ich wollte nicht darüber nachdenken und nichts davon wissen. Es war alles in Ordnung, etwas Anderes hatte mich immerhin nicht zu interessieren. „Hey, Fährmann“ Ich hielt für einen Moment die Luft an, als die rauchige tiefe Stimme an mein Ohr drang. Fiddick war neben der Bar stehen geblieben, mit beiden Armen auf seine Begleiterinnen gestützt, die betrunken lachten und kicherten. Er grinste breit und zeigte mit einem Finger auf die Treppe die nach oben führte „Kommst du mit?“ Ich öffnete den Mund vor Verwirrung. Mitkommen? Ich? Nach oben in die Zimmer? „Hihi vergiss es Captain~ Wir haben den Süßen schon oft bezirzt“ kicherte Valira zu seiner Rechten „Ja und er hat uns jedes Mal versetzt, dabei sind wir alle ganz wild auf ihn“ stimmte Fenra zu seiner Linken zu und zog ein schmollendes Gesicht „Nichtmal zu Agnes wollte er ins Zimmer. Der Süße ist einfach schüchtern“ „Aye, ich verstehe“ Fiddick grinste, löste sich für einen Moment von den Mädchen und stütze sich auf die Bar, als er ins wanken geriet. Er senkte die Stimme und sah mich durchdringend an „Kommst du mit, wenn ich die Mädels hier unten lasse?“ Ich sah ihn verwirrt an und verstand nicht sofort was er andeutete. Er und Ich? Sein breites Grinsen und sein eisernen Blick zeigten eindeutig, dass er nicht scherzte, eher im Gegenteil. Er meinte dieses Angebot offenbar ernst. Umso mehr war ich überfordert und wusste kaum wie ich mit der Situation umgehen sollte. Mir wollte so plötzlich nicht einmal die Idee kommen einfach mit dem Kopf zu schütteln, vielleicht wäre die Sache damit bereits erledigt gewesen. „H-Hey, du willst uns doch nicht etwa alleine lassen?“ sagte Valira empört aber auch deutlich amüsiert „Komm schon Captain, wir haben sooo lange gewartet. Du siehst doch dass er nicht will“ „Hehe, so eine Schande“ grinste Fiddick, legte die Arme um Ihre Hüfte und gab Fenra einen Klaps auf den Hintern was sie gleich wieder zum Kichern veranlasste „Das nächste Mal“ Beide Mädchen lachten und schienen deutlich erfreut über die Idee mich tatsächlich mitzunehmen. Alle drei schwankten die Treppen hinauf und ehe sie ganz aus meinem Blickfeld verschwunden waren, warf der Freibeuter mir einen weiteren kurzen Blick zu. Ich starrte ihnen hinterher, selbst als sie bereits um die Ecke verschwunden waren. Es war nicht das erste Mal, dass die Mädchen mich zu solchen Dingen einluden. Doch das hier, das war etwas ganz anderes. Das hier war merkwürdig gewesen. Ich seufzte schwer und sah auf die dunkle Holzplatte vor mir. Was für ein sonderbarer Tag heute war. Vierzehn Jahre lang hatte es kaum Jemanden gegeben, der wirklich mit mir gesprochen hatte und heute grenzte es an ein Wunder, wie viele Menschen das Wort an mich richteten. Ich war immer nur Mittel zum Zweck gewesen seit mein Vater fort war. Im Leben des Fährmanns hatte es nie große Probleme gegeben denn Kommunikation war nie Teil meiner Aufgaben. Schwere körperliche Arbeit waren kein Problem für mich ebenso wenig mein Schiff sicher zu segeln und Wetter und Gezeiten zu lesen. Die einzigen Menschen, die direkten Kontakt zu mir hatten waren Ratsmagier, deren Hofstaat und die Händler, bei denen ich Waren ablieferte oder einlud und alle schätzten es sehr wenn sie nichts weiter als ein Nicken vom Fährmann bekamen. Es war wohl richtig zu sagen, dass ich den Umgang mit Menschen verlernt hatte und nun davon überfordert war. Ich hatte kein Gefühl dafür welches Verhalten ‚normal’ war, welche Antworten man gab oder was man in einem Gespräch vom Gegenüber erwartete. Ich fühlte mich zurückversetzt in die Zeit, in der mein Vater versucht hatte andere Jungen aus der Gegend mit mir bekannt zu machen. Ich war überfordert mit anderen Menschen, überfordert mit sozialen Umgangsformen. Natürlich hatte ich damals keine Freunde gefunden, genauso wie später als ich älter war. Selbst jetzt war ich noch ein Kind in solchen Dingen. Die Nacht war nahezu vorbei. Der lachende Hahn war wie leergefegt und nur der schwere Geruch von Alkohol, Tabak und Schweiß zeugte von vielen Gästen. Die letzten Betrunkenen wurden mit einem Lächeln der Mädchen zur Tür gebracht und jedes Mal kam ein leichter Luftzug frischer Meerluft herein die aber ebenso schnell und erbarmungslos von der Kneipe verschluckt wurde. Ich hatte bereits einen Eimer Seifenwasser neben mir stehen um die Unmengen an gebrauchten Gläsern zu reinigen und einige Mädchen waren unterwegs in das nächste Badehaus um sich zu waschen und die Kleider zu wechseln. Ich fühlte mich erschöpft und ausgelaugt und war beinahe erleichtert das leise Klicken zu hören als Agnes den Türschlüssel herumdrehte um das Etablissement endgültig für den Tag zu schließen. „Ertragreiche Nacht“ sagte sie gut gelaunt und setzte sich mir gegenüber an die Bar um nach einem Handtuch zu greifen „Ein Glück für uns, dass Fiddicks Freibeuter im Hafen sind. Sie steigern unsere Einnahmen enorm. BigMom wird sich freuen“ Um ihre Aussage zu unterstreichen griff sie mit einer Hand zwischen ihre Brüste und zog einen Stapel Geldscheine hervor, wedelte sie einen Moment lang amüsiert in der Luft um sie dann wieder verschwinden zu lassen „Und es kam zu keiner Schlägerei. Das haben wir wohl dir zu verdanken Süßer!“ Ich lächelte, schüttelte dann aber bescheiden den Kopf. In dieser Nacht hatte es tatsächlich keine wirklich ernsthafte Auseinandersetzung gegeben, doch ich bezweifelte dass es an meiner Anwesenheit gelegen hätte. Agnes fing an die sauberen Gläser mit dem Handtuch trocken zu wischen und sie ineinander zu stapeln bis ich ihr leicht an den Arm tippte um ihre Aufmerksamkeit wieder zu bekommen. „Was ist denn?“ fragte sie gleich und sah in mein unsicheres Gesicht. Ich hob die Hand und wies in Richtung der Treppe, die zu den Zimmern führte. Als sie nicht verstand nickte ich kurz zu dem Tisch an dem die Freibeuter gesessen hatten. Valira, Fenra und der Captain waren nicht aus ihrem Zimmer zurückgekommen. Agnes folgte meinen Gesten und verstand, begann gleich etwas zu kichern „Sie sind noch oben, nicht wahr? Die Glücklichen“ Ich schaute etwas verwirrt. Konnten wir denn das Haus einfach so schließen, wenn noch ein Gast da war? Und überhaupt musste es mehrere Stunden hergewesen sein, seit sie nach oben gegangen waren „Mach dir keine Sorgen BigBoy, da oben ist alles in Ordnung. Fiddick ist ein sehr... ausdauernder Mann und Valira und Fenra werden sicherlich erschöpft sein und eine Weile Ruhe brauchen, sobald sie fertig sind“ Sie schmunzelte, vermutlich auch weil sie sah dass meine Gesichtsfarbe sich ein klein wenig verändert hatte. Natürlich tauchten unweigerlich Bilder in meinem Kopf auf. Bilder, die vielleicht nicht im Geringsten der Wahrheit entsprachen, die jedoch völlig genügten um mir ein unbehagliches Gefühl zu geben. „Ist dir das peinlich? Du bist so süß! Lass ihn einfach zur Hintertür raus wenn er runterkommt“ Ich nickte stumm. Sie hatte Recht, es war mir peinlich, mehr noch unangenehm. Obwohl solche Gefühle in einem Bordell sicherlich fehl am Platz waren. Es würde noch eine Weile dauern, bis ich mich daran gewöhnt hatte. So sehr ich mir auch gewünscht hätte dieses neue ‚Wissen’ über den Captain zu vermeiden, so trug es doch maßgeblich zu meiner Meinung über ihn bei. Ehrlich gesagt war das keine sonderlich Hohe, denn seine Erscheinung und sein Verhalten entsprach genau der eines Mannes, mit dem man möglichst wenig zu tun haben wollte. Er war ungepflegt, roch nach Alkohol und Tabak und hatte keinerlei Anstand um nicht alles auszusprechen was ihm auf der Zunge lag. Seine Interessen schienen sich ebenso nur auf Gold, Rum, Tabak und Frauen zu beschränken und es war kein Wunder dass er Freibeuter war, denn einen solchen Mann würde niemand freiwillig für sich arbeiten lassen. Er schien sein leben genauso zu leben wie es ihm beliebte, völlig frei von Gesetz und Anstand. Er verkörperte alles, was ich nie gewesen war. Und trotz allem konnte ich meine Neugier nicht von ihm ablenken. Nur eine kurze Weile später ging die Sonne auf und tauchte den Hafen in orange-rotes Licht und die Stille der Nacht war vorüber. Schon früh liefen die ersten Handelsschiffe in den Hafen ein, man hörte Glocken läuten, Quartiermeister ihre Befehle blaffen und das ständige Klirren und Ächzen von Bootstegen und beladenen Holzkisten und Fässern. Agnes hatte alle Fenster geöffnet bevor sie gegangen war, um die Nachtluft endlich aus dem Raum zu lassen und die leichte salzige Brise tat gut in den Lungen. Ich war nun allein in der Kneipe, räumte die Stühle auf die Tische und beseitigte Allen Dreck, der sich die Nacht über angesammelt hatte. Die Müdigkeit hing mir zunehmend in den Knochen, doch ich wusste dass BigMom mich tadeln würde, wenn die Arbeit nicht gänzlich erledigt war. Dennoch blieb ich einen Moment am Fenster stehen und sah hinaus zum Hafen. Ein großer Schoner mit Drei Masten lag an den Docks und ich fragte mich, ob es das Schiff der Freibeuter war. Ich atmete tief ein und schloss für einen Moment die Augen. Zwischen all dem Lärm der Hafenarbeiter hörte ich die Möwen und die Wellen, die leicht an die Bucht klatschten. Ein Geräusch was mich sehnsüchtig stimmte. Ja, ich vermisste die See, die Luft, sogar das Unwetter und die Gefahr an Deck. Immer wieder versuchte ich mir einzureden, dass mein Leben nun hier weitergehen würde. Doch die See war mein zu Hause. „Fährmann, hahaaaa“ Ich zuckte erschrocken zusammen und drehte mich um. Ich hatte für einen Moment vergessen, dass da noch dieser Gast war. Fiddick stand plötzlich am unteren Ende der Treppe und grinste zufrieden „Du bist noch da, was ein Glück“ Bei aller Befremdlichkeit und allem Unwissen meinerseits, konnte selbst ich dem Mann deutlich ansehen wie seine Nacht verlaufen war. Sein Hemd stand offen und gab den Blick frei auf einen tattoowierten, muskulösen Oberkörper. Sein Haar war noch zerzauster als zuvor und das Kopftuch sowie sein Dreispitz waren vermutlich im Eifer der Nacht irgendwo liegengelassen worden. Außerdem waren da deutliche Abdrücke von Lippenstiften an Hals und Brust und er schien sich nicht im Geringsten darum zu kümmern dass sein Auftreten auch den letzten Funken Respekt ihm gegenüber zunichte machte. Ein merkwürdiger Mann. „Kann nicht verstehen, wie du dir diese Nacht hast entgehen lassen, ha!“ grunzte er vergnügt und ging ein paar unsichere Schritte auf mich zu „Glaub mir, diese Mädels!“ Er hob beide Finger als wolle er mir einen wichtigen Rat erteilen „Die würden auch einen stummen Mann wieder zum schreien bringen“ Er prustete lauthals los, fand seinen eigenen Witz wohl wahnsinnig geistreich. Ich seufzte etwas und verdrängte den Gedanken daran was wohl geschehen wäre, wäre ich wirklich mitgekommen. Anstatt ihn irgendeines Kommentars zu würdigen ging ich an ihm vorbei zur Hintertür und zeigte ihm damit deutlich an dass es Zeit war zu gehen. Ihn schien das allerdings wenig zu beeindrucken, er kam wieder auf mich zu und blieb so nah vor mir stehen, dass ich seinen alkoholisierten Atem riechen konnte. „Ich mag dich, du bist verrückt“ hauchte er mir seine Worte entgegen und ich rümpfte leicht die Nase „Du wirst ein verdammt guter Navigator werden, das kann ich riechen!!“ Der Mann tippte sich an die Nase und zog die Luft geräuschvoll ein, als könne er tatsächlich irgendetwas Besonderes an mir riechen. Etwas genervt verdrehte ich die Augen. Ich hatte nicht erwartet dass dieses Thema tatsächlich noch mal hochkommen würde, doch was konnte man einem betrunkenen Mann schon glauben? Er musste gehen, ich war müde und erschöpft und musste über einiges Nachdenken, da konnte ich keinen gedankenlosen Freibeuter in meiner Nähe gebrauchen. Mit einer auffordernden Geste öffnete ich die Tür, durch die gleich so grelles Tageslicht in den Raum flutete, dass Fiddick sich die Hand vor die Augen halten musste. Zu meinem Glück verstand er die Aufforderung, grinste jedoch nach wie vor „Ich WILL dich, Fährmann. Auf der Nightingale. Sie ankert hier mindestens eine Woche, oder so lange sie muss bis ich dich abgeholt habe“ Ich sah ihn an, zeigte jedoch keinerlei Reaktion auf das erneute Angebot „Also guut, jaja gut gut“ Er hob beschwichtigend die Hände, wohl um keinen Streit heraufzubeschwören. Er sah mich durchdringend an, genauso wie er es getan hatte bevor er mit den Mädchen auf ihr Zimmer gegangen war. Und wieder hatte ich das Gefühl er könne mich vollkommen durchschauen, als wüsste er genau was ich dachte und könne mich lesen wie ein offenes Buch „Ich gehe, zumindest für heute. Aber wir sehen uns wieder, schon bald. Das ist ein Versprechen, aye?“ Verstohlen zwinkerte er mir zu und klopfte mir mit der Hand auf die Schulter, ehe er durch die Tür hinaus in die frische Morgenluft schritt. Ich sah ihm hinter und war mir beinahe sicher, dass er sich noch mal umdrehen und noch etwas sagen würde, doch diesmal ließ meine Ahnung mich im Stich. Ich konnte nur seinen Rücken anstarren, wie er sich immer weiter entfernte und schließlich um eine Ecke verschwand. Dieser Mann verunsicherte mich, noch nie war Jemandem wie Ihm begegnet. Er wirkte so unbekümmert von der Welt, völlig frei von jeder Sorge, frei von allem was Andere sagten. Er war egoistisch und überheblich, doch irgendwie hatte er auch die Fähigkeit diese Eigenschaften als etwas Positives für sich sprechen zu lassen. Denn er traf seine eigenen ungefärbten Entscheidungen, die er über alles hinwegzusetzen schien. Wie sonst konnte er sich einfach entscheiden einen fremden Mann, über den er nichts wusste außer dass er einen schlechten Ruf hatte, eine Stelle auf seinem Schiff anzubieten? Dachte er nie über Konsequenzen nach? Hatte er überhaupt darüber nachgedacht? Ich konnte ihn nicht verstehen und vielleicht war genau das der Grund wieso er mich faszinierte. ‚Navigator’ ich formte das Wort stumm mit den Lippen. Ich stand noch immer im Türrahmen und sah in den Himmel hinauf der langsam aber sicher eine hellblaue klare Farbe annahm ‚Navigator der Nightingale’ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)