Nordwind von Lindwurm ================================================================================ Kapitel 3: eine Woche --------------------- Mehrere Tage vergingen und Fiddick behielt Recht, wir sahen uns wieder. Jeden Tag um genau zu sein, denn es gab keine Nacht in der die Freibeuter nicht im lachenden Hahn zu finden waren. Natürlich hatte auch Agnes Recht damit gehabt, dass BigMom bester Laune war, nachdem sie erfahren hatte dass die Männer eine ganze Woche im Hafen vor Anker liegen würden. Sie hatte wieder ihren Platz hinter der Bar eingenommen, bestand bei so regem Besuch jedoch darauf, dass ich zum Schutz der Mädchen ein Auge auf die Gäste hatte. Es wurde schnell der Hauptbestandteil meiner Arbeit nachts in der Kneipe zu stehen. Ich gewöhnte mich schnell daran Tagsüber zu schlafen um Nachts bei voller Konzentration und Kraft zu sein, denn immer häufiger gab es ernsthafte Schlägereien. Sicherlich lag es daran dass die Freibeuter einen deutlich exzessiveren Alkoholkonsum hatten als die restliche Kundschaft und eine sehr lockere Zunge. Nicht selten konnte ich beobachten dass sogar mit Entermessern und Pistolen gedroht wurde, doch ehe ich dazwischen gehen konnte schien der meiste Konflikt vergessen und eben die gleichen Männer tranken und sangen wieder miteinander und klopften sich gegenseitig kameradschaftlich auf die Schultern. Es herrschte ein sehr rauer Umgangston zwischen den Männern, den ich unterscheiden lernen musste. Wann war es ernst, wann nur ein Spaß unter Kameraden? Die wirklichen Probleme aber entstanden nicht unter Fiddicks Crew, sondern im Konflikt mit den anderen Männern, Hafenarbeitern hauptsächlich. Es brauchte keine gute Beobachtungsgabe um zu sehen dass niemand die Freibeuter sonderlich leiden konnte. Das war nicht verwunderlich, denn sie waren laut, unverschämt, tranken den Alkohol weg und beschlagnahmten die Mädchen. Sicherlich ging es außerhalb der Kneipen nicht anders zu und es gab nur wenig Verständnis dafür, dass es so etwas wie eine offizielle Erlaubnis zur Piraterie überhaupt gab. Schon am Zweiten Tag nach Ankunft der Nightingale eskalierte ein Streit zum ersten Mal. Ein Hafenmeister den ich als Bran kannte lies ungeschmückt seine Meinung über die Freibeuter verlauten. Er beschimpfte sie als dreckiges Pack wilder Hunde und wünschte ihnen den Galgen an den Hals und er bekam nicht wenig Zustimmung. Ich beobachtete die Szene aufmerksam und konnte nahezu spüren wie dick und geladen die Luft wurde. Natürlich war es mit dieser einen Beleidigung nicht getan, im Gegenteil. Bran war sehr genau im kundtun seiner Meinung und erklärte ausführlich wie sehr Männer wie diese die See verpesteten und die Häfen ausbeuteten. Es war einer der jüngsten Männer der Crew, der die Beherrschung verlor. Ich sag den Stahl in seiner Hand blitzen noch bevor ich seine Beleidigungen vernahm und stand schneller zwischen den Tischen als BigMom mir einen auffordernden Wink hatte geben können. „Kümmert mich einen Scheißdreck wer ihr seid. Ich lasse mich nicht so beleidigen!“ schrie der Freibeuter mit gezogener Klinge und warf Bran einen wilden Blick zu. „Hah! So etwas wie Ehre oder Stolz steht euch nicht, Junge. Jede Ziege ist mehr wert als zwanzig dreckiger Piraten“ entgegnete der Hafenmeister und spuckte einen dicken Klumpen Schleim vor sich auf den Tisch. Beide waren von ihren Stühlen gesprungen und immer mehr Männer standen auf um ihren Sympathisanten zu unterstützen. Die Stimmung kippte, denn der Streit wurde so laut, dass jeder Andere im Raum still wurde. Auf einer Seite des Raumes sammelten sich die Freibeuter, einige lachten herzhaft über den Konflikt, andere fühlten sich ähnlich beleidigt wie ihr junger Kamerad. Immer mehr Waffen kamen in mein Sichtfeld, hauptsächlich von Seiten der Crew, doch dann sah ich auch gegenüber Stahl blitzen. Mit angespannten Muskeln und angehaltenem Atem stand ich zwischen den beiden Gruppen, hob bestimmt beide Hände und versuchte meinen Blick so scharf wie möglich in beide Richtungen zu lenken „Sieh an, der Herr Fährmann“ zischte Bran verachtend „Eilst dem Pack zur Hilfe, ja?! Ich konnte dich noch nie leiden, stummer Bastard. Du bist nicht besser als die!“ Ich richtete meinen Blick zu Bran. Es war nicht das erste Mal dass man mich beleidigte, bei weitem nicht. Ich hatte mir schon vor langem eine harte Schale zugelegt und war jetzt heilfroh darüber. In dem Moment weiß ich nicht recht wieso, doch tatsächlich drehte ich mich zu ihm um und lies die Freibeuter in meinem Rücken. Aus irgendeinem Grund glaubte ich vor ihnen weniger zu befürchten zu haben, obwohl sie deutlich schwerer bewaffnet waren. Ich baute mich vor dem Hafenmeister auf, zu meinem Glück war er fast einen Kopf kleiner als ich und ich konnte so auf ihn herabsehen, dass es mir leichter fiel einen überlegenen Eindruck zu erwirken. Ich hob die Hand, richtete den Finger auf ihn und wies dann zur Tür. Eine deutliche Geste für ihn zu verschwinden, doch er rührte sich nicht. „Du hast mir überhaupt nichts zu befehlen, Bastard“ zischte er wütend und erwiderte meinen Blick ebenso eisern. Und da geschah es. Aus dem Augenwinkel sah ich eine Bewegung und verdankte es einzig meinen guten Reflexen, dass das Messer die Luft durchschnitt anstatt meinen Oberschenkel. Der bewaffnete Hafenarbeiter stolperte ins Leere, fing sich aber einen Schritt weiter wieder und setzte erneut zum Angriff an. Links oben. Mit einem schnellen Schritt zur Seite wich ich aus, doch es war so knapp dass ich hören konnte wie die Klinge dicht an meinem Ohr durch die Luft sauste. In der Bewegung riss ich den linken Ellenbogen in die Höhe und traf den Mann am Rücken was diesen abermals dazu brachte dass er um sein Gleichgewicht kämpfen musste. „Du dreckiger...“ Der Mann knurrte mich aus aufeinander gepressten Zähnen an. Er ballte sie Hand um sein Messer so sehr zur Faust dass die Knöchel weiß hervortraten und ich sah mehr als temporären Zorn in seinem Blick. Dieser Mann schien zu denen zu gehören, die schon immer eine starke Abneigung mir gegenüber hatten und er sah wohl eine passende Gelegenheit mir eins auszuwischen. Wieder kam er auf mich zu, lies dabei einen kurzen Schrei erklingen. Wieder setzte ich an einfach auszuweichen, doch er war schlauer geworden. Kurz vor mir war es nicht seine Messerhand, die er hochriss, sondern die Linke. Mit der vollen Wucht der Bewegung boxte er die Faust in meine Rippen. Der Schlag trieb die Luft aus meinen Lungen und meine Bewegung wurde für einen kurzen Moment schwerfällig, sodass es ihm gelang einen weiteren Treffer zu landen. Ein langer schnitt teilte die Haut an meiner linken Schulter und Blut quoll hervor. Der Schnitt war nicht tief, erfüllte aber seinen Zweck, denn ich hörte wie um mich herum Lachen laut wurde. „Der Fährmann kann also doch bluten“ lachte Jemand irgendwo neben mir „Zeig es dem Bastard“ „Geschieht ihm recht dafür, dass er Piraten verteidigt“ ‚Ich verteidige Niemanden’ dachte ich im Stillen und biss die Zähne zusammen. Dennoch konnte ich nicht leugnen, dass es danach aussah. Tatsächlich waren es die Freibeuter, die auf meiner Seite zu stehen schienen, denn erst jetzt bemerkte ich, dass nicht wenige von ihnen mich anfeuerten. Mein Gegner lies mir jedoch keine Zeit um mehr als einen kurzen Gedanken daran zu verschwenden. Ich hörte eines der Mädchen schreien, als ich erneut mit dem Messer angegriffen wurde. Jemand versuchte von der Seite meinen Arm zu packen, doch ich sah ihn früher als er mich erwischen konnte, packte ihn und zog ihn aus der Menge bis er das Gleichgewicht verlor und krachend auf dem Holzboden neben mir landete. Da sah ich wieder den Stahl vor meinen Augen blitzen und entkam nur knapp. Ich hatte nie vorgehabt meinerseits anzugreifen, doch der Mann lies mir keine Wahl. Ich erwischte sein Handgelenk und zog ihn an mich heran um ihm den linken Handballen von unten gegen das Kinn krachen zu lassen. Der Schlag hatte gesessen und ich hörte ein unschönes Knacken in seinem Kiefer. Er fiel zurück und ging zu Boden. Ein lautes Jubeln kam von Seiten der Freibeuter und es wäre gelogen zu sagen dass ich nicht ein wenig stolz darauf war zwei Gegner zu Boden gebracht zu haben. „Das REICHT“ BigMoms laute durchdringende Stimme schallte durch den Raum und alles verstummte „RAUS aus meinem Haus!“ Bran wollte widersprechen, doch er kam gar nicht dazu „Und dich will ich vor nächster Woche nicht mehr hier sehen, Hab ich mich klar ausgedrückt??“ BigMom war wütend, sehr viel wütender als ich sie zuvor erlebt hatte und sie war eine Frau mit der sich niemand anlegen wollte. „RAUS! ALLE!“ Ein schmerzverzerrtes Ächzen kam von dem Mann am Boden. Ich sah zu ihm herab und sah wie Blut aus seinem Mund und der Nase tropfte. Ich vermutete dass er sich auf die Zunge gebissen hatte bei meinem Schlag, doch vielleicht hatte ich ihn sogar wirklich ernsthaft verletzt. So oder so brannte sein Blick vor Wut und mir wurde klar, dass wir uns ohne Zweifel nicht zum letzten Mal begegnet waren. Für den Moment aber war die Gefahr vorbei. Die meisten der Männer knurrten und beklagten sich, doch keiner wagte es BigMom die Stirn zu bieten. Sicherlich auch zum großen Teil deswegen weil sie fürchteten ein Hausverbot zu bekommen, die schlimmste Strafe für einen gelangweilten Mann am Hafen. Ich gab mir die größte Mühe keinem eine Chance zu geben etwas anderes zu denken als dass ich nach wie vor die Oberhand hatte und lies den Angreifer so lange nicht aus den Augen, bis auch er sich aufgerappelt hatte und aus der Tür verschwunden war. Die Freibeuter gingen zuletzt und waren merkwürdig guter Laune. Sie schienen zufrieden damit, einen unterhaltsamen Kampf gesehen zu haben. Einige klopften mir sogar im vorbeigehen auf die Schulter oder grinsten mich an. „Nicht übel“ Eine bekannte Stimme drang an mein Ohr und ich musste nicht einmal hinsehen um das breite Grinsen ihres Besitzers zu erahnen „Wirklich gar nicht übel“ Einen Moment später war die Kneipe leer. Nur BigMom, die Mädchen und Ich waren zurückgeblieben. „Alles in Ordnung? Tut es sehr weh?“ Fragte Valira aufgeregt und deutlich eingeschüchtert. Auch die anderen Mädchen standen um mich herum und sahen mich besorgt an. Es war ein ungewohntes Gefühl, dass sich überhaupt Jemand um mich sorgte. Ich schüttelte den Kopf und legte ein sanftes Lächeln auf und sah wie ein allgemeines erleichtertes Seufzen durch die Mädchen ging. „Agnes, verbind seinen Arm. Ihr anderen verschwindet auf eure Zimmer“ BigMom war noch immer wütend und scheuchte die Mädchen fort, sah dann mich mit ernster Miene an „Du bist hier um so was zu VERHINDERN, nicht um es zu verursachen, Bursche“ Ich öffnete den Mund um mich zu verteidigen. Wollte sagen, dass ich genau das versucht hatte und dass es nicht meine Schuld sein konnte dass ich angegriffen wurde. Doch ich sah in ihrem Blick, dass sie ohnehin kein Wort davon akzeptiert hätte und so atmete ich nur geräuschvoll aus und nickte. „Wenn so etwas noch mal vorkommt, suche ich mir Jemand anderen für den Job“ Das war der letzte Satz den sie ausspie ehe auch sie den Raum verlies und die Tür hinter sich ins Schloss fallen lies. Natürlich kam es nicht noch einmal vor, zumindest nicht solange ich in der Kneipe meinen Dienst tat. Ich nahm es mir sehr zu Herzen mich auf Niemandes Seite zu schlagen und schritt in den folgenden Tagen immer schon ein, bevor irgendjemand ein Messer ziehen konnte. Weder Bran noch der Mann mit dem Messer den man mir später als Tuck vorstellte ließen sich noch mal blicken und auch den jungen Freibeuter konnte ich nicht mehr entdecken. Wie erwartet änderte sich die Spannung in der Kneipe jedoch kaum. Ich beobachtete immer mehr, dass sich der Raum sprichwörtlich in zwei Lager geteilt hatte, auf einer Seite die Einheimischen, auf der Anderen die Freibeuter. Jeder der den Raum betrat war dazu gezwungen sich für eine Seite zu entscheiden und das hatte sich natürlich schnell im ganzen Hafenviertel herumgesprochen. BigMom passte diese Situation gar nicht doch selbst sie konnte nichts daran ändern, nur für Ruhe und Ordnung sorgen. Ich für meinen Teil war der Meinung dass es sogar besser so war. Wenn sich die Gruppen von alleine isolierten herrschte zwar eine unangenehme Luft, aber auch so etwas wie eine unsichtbare Wand zwischen ihnen, die weitere Konflikte vermied. Dennoch waren alle angespannt, besonders die Mädchen. Es begann ein wortloser Wettstreit zwischen den Männern, wer die meisten oder gar die beliebtesten Mädchen für sich gewinnen konnte und an jedem Morgen klagten sie darüber wie sehr sich das auch auf ihr Verhalten in den Zimmern niederschlug. Abermals stellte ich fest dass die Freibeuter mit der Situation völlig anders umgingen als alle Anderen. Mir war schnell klar, dass sie es ähnlich wie ich schlichtweg gewohnt waren abgegrenzt und mit misstrauischem Auge beobachtet zu werden und sie hatten sich damit arrangiert. Sie waren ausgelassen, scharfzüngig und gut gelaunt wie zu Beginn auch und scherzten auch Tage nach dem Vorfall noch über den triumphalen Gewinn von der Faust über das Messer. Ich konnte nicht vermeiden, dass Einige von ihnen mir näher kamen. Beispielsweise Russel, ein ungehaltener Mann mit brauner ledriger Haut und langen verfilzten Dreadlocks verpasste keine Gelegenheit mir im Vorbeigehen auf die Schulter oder den Arm zu klopfen und etwas wie „mit dir legt der sich nicht mehr an“ zu sagen. Der strohblonde Firo war einer der Jüngsten und erzählte denen, die nicht dabei gewesen waren immer wieder was passiert war. Natürlich übertrieb er dabei und schmückte die Auseinandersetzung bei jedem Mal weiter aus, sodass es sich selbst in meinen Ohren wie eine epische Jahrhundertschlacht anhörte. Als drittes war da ein Mann, der deutlich älter war als die meisten der Crew und aus irgendeinem Grund von allen nur ‚Qualle’ genannt wurde. Er bot mir immer wieder an mir den tatsächlichen Umgang mit Schwert und Messer beizubringen, weil er Talent in mir sah. Ich verstand all den Aufruhr nicht, hatte ich doch kaum etwas getan. Der Kampf hatte kaum länger als zwei Minuten gedauert und um ehrlich zu sein war ich überzeugt davon dass ich nicht mehr als Gewinner dastehen würde, wäre er nicht unterbrochen worden. Dennoch widersprach ich nicht, denn mir war klar dass es nicht darum ging was wirklich passiert war. Es ging viel mehr darum eine interessante und erzählenswerte Geschichte daraus zu machen, von der es sich lohnte zu erzählen. Erstaunlicherweise hörte ich kaum ein Wort darüber aus dem Mund, aus dem ich es erwartet hätte. Der Captain der Crew schmunzelte zwar jedes Mal wenn das Thema erneut aufkam, mischte sich aber nie ein. „Bursche, komm her“ BigMoms Stimme war es die meinen Blickkontakt mit Fiddick an diesem Abend unterbrach. Etwas ertappt sah ich zu ihr und erkannte deutlich in ihrem Blick wie wenig begeistert sie davon war dass ich mich immer mehr zu den Freibeutern hingezogen fühlte. Ich gehorchte und kam zu ihr hinter die Bar wo sie mich mit ernstem Blick strafte „Sie mögen geschätzte Kunden sein, aber halt dich besser fern“ erklärte sie mit einer Stimme, die ich mir immer bei einer tadelnden Mutter vorgestellt hatte „Fiddick liegt mir ständig in den Ohren dass er dich mir abwerben will, von so einem Unsinn will ich gar nichts hören, verstanden?“ Ich war überrascht. Hatte der Mann tatsächlich bei BigMom selbst so etwas verlauten lassen? Und das sogar mehr als nur einmal? Mein Blick schien deutlich genug überrascht zu sein, dass ihre Miene sanfter wurde und sie leicht seufzte „Schau mich nicht an wie ein ahnungsloses Kind. Wie alt bist du? Dreißig? Sicherlich noch jünger. Piraten sind nicht das Richtige für dich und ich sage das nicht nur, weil ich dich hier bei meinen Ladys brauche. Dieser Mann..“ sie machte eine kurze Pause und sah in seine Richtung „Dieser Mann ist ein Menschenmagnet, jeder verfällt ihm früher oder später, kein Wunder also dass du da nicht anders bist als die Mädchen. Ich taue ihm keinen Meter über den Weg, also lass dich nicht von ihm um den Finger wickeln“ Ich war etwas unschlüssig wie ich auf diese Warnung reagieren sollte. Schnell tippte ich mir selbst auf die Brust und schüttelte den Kopf, doch schon im nächsten Moment war ich mir nicht mehr so sicher. Ich wendete den Blick abermals zu den Freibeutern und bekam abermals ein siegessicheres Schmunzeln zur Antwort. Ich war nicht wie die Mädchen, ich spürte kein Bedürfnis mich irgendwie auf diese Weise an ihn heranzumachen oder gar mit auf ein Zimmer zu nehmen. Dennoch konnte ich nicht abstreiten, dass ich der Crew und ihm mit jedem Tag ein Stück näher kam und dass ich ihnen Gegenüber immer nachlässiger wurde, obwohl sie stets schwer bewaffnet waren. Sogar einige ihrer Namen hatten sich in meinem Kopf gehalten, obwohl ich sie zum Teil nur ein einziges Mal gesehen hatte. Vielleicht hatte sie Recht, vielleicht hatte ich mich bereits um den Finger wickeln lassen ohne es selbst zu bemerken. „Geh nach oben und zieh dich um, ich habe heute eine Andere Aufgabe für dich“ abermals unterbrach BigMom meine Gedanken „Du wirst nicht mehr in der Bar arbeiten, solange die Crew im Hafen ist, es gibt einige Botengänge, die du für mich tun kannst. Ich kümmere mich alleine um alle anderen Angelegenheiten“ Ich sah zu ihr auf und ich sah einen Blick, den ich sehr gut kannte. Es war ein Blick, der Gehorsam verlangte und keine Widerrede duldete. Und zum ersten Mal seit einer längeren Zeit fühlte ich mich unwohl dort wo ich war. Sofort senkte ich den Kopf und nickte um mich gleich darauf abzuwenden und dem Befehl nachzukommen, so wie ich es 14 Jahre lang getan hatte. Als ich die Treppe nach oben ging, wurde mir noch etwas Anderes klar. Ich war enttäuscht darüber nicht mehr in der Bar arbeiten zu dürfen. Es war ein Gefühl was ich kaum kannte, denn wenn man immer ohne eine Wahl gelebt hatte, hatte man keine Zeit Ansprüche zu stellen oder gar Enttäuschung zu erleben. Damit würde mein Kontakt zu den Freibeutern wohl zu Ende gehen, denn wo wenn nicht hier würde ich ihnen begegnen? In nicht mal ganz drei Tagen war die angekündigte Woche vorüber und sie würden wieder in See stechen, bis dahin hatte BigMom sicherlich mehr als genug Arbeit für mich um mich von den Männern fern zu halten. Vielleicht war es gut so dass sie diese Entscheidung für mich getroffen hatte. Vielleicht war es zu gefährlich nach all den Jahren eine Entscheidung mir selbst zu überlassen. In der Mitte der Treppe blieb ich kurz stehen und sah noch einmal zu dem Tisch, an dem die Freibeuter nun jede Nacht gesessen hatten. Noch immer war der Blick des Captains auf mich gerichtet. Ich erwiderte seinen Blick und hob kaum merklich die Hand zu einer Abschiedsgeste. Der Moment ging schnell vorbei und ehe ich mich wieder abwendete konnte ich sehen wie das ständige Grinsen in seinem Gesicht plötzlich erlosch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)