Nordwind von Lindwurm ================================================================================ Kapitel 5: Seeluft ------------------ Ich sollte Recht behalten. Tatsächlich gehörten die Masten, die ich die ganze Woche über angestarrt hatte zur Nightingale. Sie war ein schönes Schiff, alt und robust, aber gleichzeitig elegant und für meine Augen unvergleichbar beeindruckend. Sie war größer als sie aus der Ferne den Anschein gemacht hatte, beinahe zu groß wie das beschädigte Schiff was ich in der Werft gesehen hatte. Drei Masten mit dunkelgrauen Segeln, dunkelblaue und schwarze geschwungene Verziehrungen entlang des Rumpfs, mindestens ein dutzend Kanonen auf jeder Seite und am Heck des Schiffes stand in großen Lettern ‚Nightingale’ „Darf ich euch bekannt machen? Meine FirstLady, die Nightingale“ Fiddicks Worte waren fast überflüssig, denn ich war schon völlig in ihren Bann gezogen. Völlig von selbst blieb ich am Pier stehen und bewunderte dieses schöne Schiff, für einen Moment vergaß ich sogar welche Szene sich kurz zuvor ereignet hatte, vergaß den Schmerz von den Schnittwunden und die Übelkeit in meinem Magen. Wie sie wohl aussah, wenn sie segelte? Ich versuchte es mir vorzustellen, wie ihre Segel sich im Wind bewegten, wie sie sich stark und unbeugsam einem Gewitter stellte und die Wellen gegen die Planken schwappten. Schon als kleiner Junge hatte ich immer den Wunsch gehabt auf einem solchen Schiff zu segeln. „Sie gefällt dir, was?“ Fiddicks Stimme riss mich aus der Faszination und ich sah wie seine gute und unbeschwerte Laune zurückgekehrt war. Ich hatte nicht bemerkt dass er direkt vor mir stand und meinen Blick beobachtete und jetzt fühlte ich mich ertappt „Du lernst sie besser kennen, wenn du erst mit mir segelst“ Ich erwiderte seinen Blick und schämte mich ein wenig dafür abwesend wie ein kleines Kind gestarrt zu haben. Es fiel mir deutlich schwerer den Kopf zu schütteln als sonst. Ich wäre liebend gerne mit einem so schönen Schiff gesegelt, aber ich konnte unmöglich ein Freibeuter werden. Mein Platz war hier. Fiddick ging auf mein Kopfschütteln gar nicht ein, er grinste nur und zog mich weiter am Handgelenk hinter sich her „Komm schon Fährmann. Wir flicken dich erstmal zusammen“ Als wir über die Planke an Deck stiegen wurde mir zum ersten Mal bewusst wie fremd das Festland mir doch immer gewesen war. Sofort bekam ich ein Gefühl von Heimat und Zugehörigkeit. Den größten Teil meines Lebens hatte ich an Deck meines Einmasters verbracht und mich nur dort gänzlich wohl gefühlt. Ähnlich war es hier, obwohl das Schiff und dessen Besatzung mir fremd war. „Captain, Wo warst du so lange? Larry und Barry haben sich mal wieder fast die Köpfe eingeschlagen“, ein schwarzhaariger Mann begann zu lachen und deutete in Richtung eines Jungen, dem man deutlich ansah dass er aus einer Schlägerei kam, die er offenkundig verloren hatte „Hey, wer ist das?“ „Unser neuer Navigator“, grinste Fiddick und lies endlich mein Handgelenk los um mir kameradschaftlich auf die Schulter zu klopfen „Zumindest sobald er das endlich auch so sieht“ Der Mann betrachtete mich durchdringend und hob eine Augenbraue „Wenn du das sagst, Captain. Aber wirf ihn nicht am Ende wieder über Bord wie den alten Jim“. Beide lachten und aus irgendeinem Grund beschloss ich lieber nicht wissen zu wollen was genau mit dem alten Navigator passiert war. Ich erinnerte mich dass Fiddick bei unserer ersten Begegnung bereits etwas davon gesagt hatte er sei ‚schwimmen gegangen’ und mir war klar dass jedes Schiff und jeder Captain seine eigenen Regeln hatte. Doch über den Grund wollte ich lieber gar nichts wissen. „Wo ist Firo? Ruf ihn her, unser Freund hier hat etwas zu unachtsam mit der Hafenmafia gespielt“ fragte Fiddick und es dauerte keine fünf Minuten ehe der blonde Junge aus dem Unterdeck gelaufen kam, in der Hand einen kleinen Koffer aus dickem Leder. Ich hatte nicht gewusst dass er offenbar so was wie ein Schiffsarzt war, doch da ich ihn bereits kennen gelernt hatte fiel es mir deutlich leichter ihn mich verarzten zu lassen als einen völlig Fremden. Der Schnitt an meinem Oberschenkel ging tiefer als gedacht und musste mit drei Stichen zusammengenäht werden, doch ansonsten plagte mich viel mehr der Schrecken wie nah ich vor dem Tod gestanden hatte als eine ernsthafte Verletzung. Immer mehr Crewmitglieder wurden auf mich aufmerksam und musterten mich mit verschiedenen Blicken. Man spürte lange keine so tiefe Feindseeligkeiten unter ihnen wie bei den Männern am Hafen, es war mehr Neugier und ein wenig Misstrauen, was im anbetracht der Umstände wohl völlig verständlich war. Keiner außer Firo sagte etwas zu mir solange ihr Captain bei mir stand, es war nicht zu übersehen dass sie ihn und sein Urteil mehr als alles andere respektierten. Ich fragte mich wieso, denn er war deutlich jünger als einige seiner Crewmitglieder und wirkte zumindest nach außen hin wie ein ganz normaler Seemann, der offen gestanden nicht einmal den Eindruck machte als habe er mehr Erfahrung als alle Anderen. Wie viele Male zuvor erwischte ich mich dabei ihn anzusehen. Was war es, was diesen Mann so besonders machte? Selbst unter Seinesgleichen stach er heraus und niemand hätte einen Zweifel daran gehabt dass er das Captain dieses Schiffes war. Doch woran das lag konnte ich nicht ausmachen. „Fertig“, sagte Firo nach einer Weile als er einen letzten Verband um meinen Unterarm gelegt hatte „Ist es gut so? Ich bin noch nicht so geschickt, fürchte ich. Der eigentliche Schiffsarzt ist noch an Land, ich bin nur sein Schüler“ Schnell nickte ich und senkte leicht den Kopf um mich zu bedanken. Es war mir ein Rätsel wieso sie mir überhaupt halfen. Einen wildfremden stummen Mann vor dem Messer zu retten und zu versorgen, nur weil ihr Captain es schlichtweg so beschlossen hatte. Sie mussten seinem Urteil wirklich blind vertrauen und das beeindruckte mich zunehmend. Ich stand auf und bewegte meinen Arm ein wenig, doch tatsächlich lag der Verband gut. Der Schmerz in meinem Schenkel zog mir etwas durchs Bein, doch es war nichts mit dem ich nicht zurechtkommen konnte. Erneut sah ich zu Firo und nickte, auch er schien zufrieden mit seiner Arbeit. Dann wendete ich mich ab und stellte mich für einen Moment an die Reling. Ich schloss die Augen und genoss die frische Briese, die gerade vom Meer her über das Deck zog. Selbst die Übelkeit in meinem Magen hatte sich weitgehend gelegt, obwohl ich das Bild der erschossenen Männer kaum aus meinen Gedanken verdrängen konnte. Ich ahnte dass es mich noch eine Weile begleiten würde, aber mir war auch klar dass Ich an ihrer Stelle gestorben wäre, wäre Fiddick nicht gekommen. Selbst bei all den Dingen, die mir widerfahren waren, selbst nachdem ich meiner Stimme beraubt wurde und so viele Jahre nichts weiter als ein Diener des Rats gewesen war. Selbst nach einem Leben ohne je eine Wahl gehabt zu haben, war ich nicht bereit zu sterben. Ich hatte Angst vor dem Tod wie jeder Andere. „Macht die Lady bereit! Morgen legen wir ab, bis dahin will ich dass ihr alle Vorräte aufgefüllt und alle Reparaturen abgeschlossen habt. Sorgt dafür dass wir keinen von euch Landratten im lachenden Hahn vergessen!“ „Aye, Captain!“ Es wurde lauter und geschäftiger an Deck. Jeder schien genau zu wissen, was seine Aufgabe war und aus allen Richtungen kamen Jubel und Erleichterung darüber, dass sie endlich wieder ablegen würden. Firo lächelte mich an und lief zurück unter Deck, selbst Russel und Morgan waren wieder irgendwo in der Masse verschwunden. Ich verstand sie gut, es waren Männer der See genau wie ich und sie fühlten sich unwohl zu lange an einem Ort zu bleiben. Dennoch fühlte ich mich in diesem Augenblick fehl am Platz, denn ich war der einzige an Bord, der sich nicht vom Fleck bewegte. „Du musst dich nicht schämen“ lachte Fiddick plötzlich neben mir und ich fragte mich abermals wie er mein Gesicht hatte lesen können „Du bist mein Gast und keiner meiner Crew wird dir vorwerfen dass du nicht arbeitest“ Er stützte sich mit beiden Armen auf die Reling neben mir und grinste „Also? Jetzt bist du hier, obwohl du dich die ganze Woche so gesträubt hast. Ist es denn so schlimm bei uns?“ Ich schüttelte leicht den Kopf. Im Gegenteil, ich fühlte mich wohl auf dem Schiff, vielleicht sogar mehr als im Bordell bei den Mädchen. Obwohl ich Niemanden hier an Bord wirklich kannte, vertraute ich ihnen mehr als jedem Mann am Hafen und ich war mir sicher nach einiger Zeit würde ich mich in ihrer Gegenwart wohl fühlen. In seiner Gegenwart. Wortlos drehte ich mich zu ihm und verbeugte mich. Ich wusste nicht ob er die Geste verstehen würde, doch es war momentan das Wichtigste was ich zu tun hatte. Ich musste ihm danken. Dafür, dass er mich vor dem Tod bewahrt hatte und dafür, dass ich ihm und seinen Männern begegnet war. Menschen, die mir nicht mit Argwohn und Ablehnung entgegentraten und die mich nicht verurteilt hatten aufgrund meiner Erscheinung und meines Rufs. Dafür, dass sie mich als Person gesehen hatten und nicht als den ‚Fährmann’. Selbst wenn sich unsere Wege morgen trennten, war ich ihnen dankbar für diese Erfahrung. „Hey hey, wow. Ich konnte diese Kerle sowieso nicht leiden, du musst dich nicht bedanken. Komm wieder hoch, was sollen denn meine Männer denken?“, entgegnete Fiddick sofort, er schien genau zu wissen was ich dachte und es schien ihm peinlich zu sein, dass ich mich so formell bedankte. Trotzdem schüttelte ich den Kopf und verharrte in der Verbeugung. Ich fühlte mich dazu verpflichtet meinen Dank zu zeigen, denn ich stand tiefer in der Schuld dieses Mannes als ihm vielleicht bewusst war. Plötzlich hob er eine Hand und legte sie mir verständnisvoll auf den Kopf, tätschelte mich wie einen Hund und seufzte leise „Na schön, alles gut, okay? Ich habs gern gemacht. Und wenn du dich wirklich bedanken willst... sagen wir du schuldest mir einen Gefallen, einverstanden?“ Ich sah auf und sah abermals in dieses unbeschwerte lächelnde Gesicht. Dieses fremde Gesicht, was ich wohl nie ganz verstehen würde. Ich biss die Zähne zusammen und nickte. Wie nur konnte dieser Mann so sorgenlos sein? Eine ganze Weile blieben wir hier an Deck stehen. Die meiste Zeit schweigend, doch immer wieder erklärte Fiddick mir die Namen und Aufgaben der Männer, die gerade in unser Sichtfeld kamen. Es waren viele, ich zählte 26 und schätzte dass es nicht mal alle waren. Natürlich konnte ich mir kaum alle Namen merken, doch ich war beeindruckt wie viel ihr Captain über jeden einzelnen Mann wusste. Er erzählte sogar von Einigen, die sie in den letzten Wochen auf See verloren hatten. Vielleicht war das auch ein Grund, weswegen sie ihn so respektierten. Ich sog seine Worte auf wie ein Schwamm und speicherte sie alle so gut ich konnte in meinem Kopf ab, ich wollte mir so viel wie möglich über sie einprägen. Es gefiel mir wie er über seine Mannschaft sprach, weil es mir gefiel dass er sie nicht als Untergebene ansah sondern als Gleichgestellte. Das Wort Familie kam mir in den Sinn, obwohl es für mich nie eine große Bedeutung gehabt hatte. Doch zumindest kam es dem, was ich mir immer unter einer Familie vorgestellt hatte sehr nahe. Das Bild, was ich von Fiddick hatte änderte sich abermals. Der betrunkene Frauenheld wurde wieder zu einer bewundernswerten Figur eines freien Mannes. Jemand, der so anders war als ich und der mir trotzdem schon jetzt näher zu stehen schien als jeder Andere. Und zum ersten Mal kam mir der Gedanke, dass er vielleicht ähnlich von mir dachte. Vielleicht faszinierte ich ihn genauso wie er mich, denn welchen Grund hätte er sonst haben können all das zu tun, was er bisher getan hatte? „Nun mal unter uns. Wie heißt du wirklich? Ich kann mir nicht vorstellen, dass niemand dir einen Namen gegeben hat?“ seine Stimme hatte sich verändert. Sie klang nicht mehr so grob und unhöflich wie sonst. Im Gegenteil konnte man fast schon behaupten er war einfach neugierig und fast ein wenig vorsichtig um keinen wunden Nerv zu treffen. Ich senkte unweigerlich den Blick. Genau wie es beim ersten Mal gewesen war, schämte ich mich auch jetzt ihm keine Antwort geben zu können. Ich kam mir lächerlich vor und leichtsinnig. Er hatte Recht, wie konnte man so etwas wie den eigenen Namen vergessen? Einen ganzen Augenblick lang trat schweigen ein und ich sah nur hinunter auf die leichten Wellen, die gegen die Rumpf der Nightingale schwappten „Hm, da hab ich wohl einen wunden Punkt getroffen. Haha tut mir leid, ich weiß was für ein unsensibler Idiot ich bin“ lenkte Fiddick selbst ein, als er sah wie abwesend ich auf die Frage hin wurde. Dennoch hörte er nicht auf, wechselte nicht das Thema so wie ich es gern gehabt hätte „Und sag mal, was ist mit deiner Stimme? WILLST du nicht sprechen? Oder kannst du nicht?“ Ich schloss die Augen. Niemand hatte mir diese Frage jemals ernsthaft gestellt, es war für alle immer klar gewesen, dass ich stumm war und das Warum hatte nie eine Rolle gespielt. Sogar ich selbst hatte irgendwann aufgehört darüber nachzudenken. Immerhin hatte ich lange Zeit gehabt mich mit meiner Behinderung zu arrangieren, vergaß sogar manchmal dass es etwas Ungewöhnliches war nicht sprechen zu können. Erst seit kurzen kam es mir wieder lästig vor und jetzt wo Fiddick mir tatsächlich diese Frage gestellt hatte, dachte ich daran zurück. Es kam mir vor als sei da wieder dieses Rauschen in meinen Ohren. Irgendwann verblasste jede Erinnerung und reduzierte sich auf nur wenige Dinge. In meinem Fall war es das Rauschen von Hitze, das Spannen von gelähmten Muskeln und das falsche Lächeln der Frau, das mir all die Jahre niemals aus dem Kopf gegangen war. Ich schluckte schwer. Ich erinnerte mich wie trocken mein Hals gewesen war und wie schwerfällig meine Muskeln sich bewegt hatten, nachdem der Zauber vorbei gewesen war. Ich hob die Hand und strich mit den Fingern über meinen Hals, dort wo ihre Finger meine Stimme ausgebrannt hatten. Dann öffnete ich die Augen wieder und sah meinen Gegenüber an, schüttelte kaum merklich den Kopf. Es war nur eine Geste und ein Blick, doch er verstand. „So ist das, huh? Muss eine ziemlich üble Geschichte sein“ Vielleicht irrte ich mich, doch ich sah einen Anflug von Enttäuschung in seinem Blick „Ein Jammer. Ich hatte gehofft deine Stimme doch irgendwann mal zu hören. Ich will wissen wie sie klingt“ Ich verstand nicht was er damit meinte, noch wieso er ein Interesse an meiner Stimme haben sollte. Außerdem verstand ich es nicht, wie es ihm möglich war mich so einfach zu lesen. Ich war vor ihm noch Niemandem begegnet, mit dem ich mich so einfach ‚unterhalten’ konnte, selbst ohne die Fähigkeit zu Sprechen. „Naja, was solls. Du bist was du bist. Larry hier drüben fehlen 7 Finger“ Er lachte laut „Morgan hat nur noch ein Auge und Ivan ist taub wie ein Fisch“ Dann lehnte er sich mit dem Rücken an die Reling und zwinkerte mir aufmunternd zu „Schätze keiner ist perfekt und meine Klappe ist groß genug für uns beide! Immerhin brauche ich deine Fähigkeiten zum Navigieren nicht zum Sprechen“ Ich starrte ihn wortlos an. Was nur war so sonderbar an diesem Mann? Was in aller Welt machte ihn so sorgenfrei, so völlig frei von jedem Vorurteil? Ich öffnete den Mund als würde ich etwas sagen wollen. Schon seit langer Zeit hatte ich kein so starkes Verlangen mehr gespürt zu sprechen. Zu gerne hätte ich ihm alles erzählt, wer ich bin, warum ich immer nur der Fährmann war, warum mein Name mir verloren gegangen war. Ihm wollte ich sagen was ich dachte über die Freibeuter und wie sehr ich mich nach der See sehnte. Ich hatte das Gefühl dass er der Einzige war für den es sich gelohnt hätte zu sprechen. Aber egal wie sehr ich es versuchte oder wie laut ich die Worte herausschreien wollte, kein Ton verlies meine Lippen. Meine Kehle begann zu schmerzen vor Anstrengung und ich gab auf, verfluchte mich dafür rein gar nichts tun zu können. Eine Hand lag plötzlich auf meinem Unterarm „Es hat keinen Zweck sich zu zwingen. Ein beinloser Mann lernt irgendwann auf den Händen zu laufen, aber seine Beine bringt das nicht zurück“ Ich war überrascht von so weisen Worten aus seinem Mund und fühlte mich abermals wie ein ahnungsloses Kind „Ich weiß nicht recht warum, aber ich verstehe das Meiste was du sagen willst. So schwer zu verstehen bist du gar nicht. Ich hab eher das Gefühl, dass dir noch nie Jemand wirklich zugehört hat“ Ich sah ihn an und seufzte schwer. Er hatte Recht, selbst BigMom und die Mädchen verstanden mich nie wirklich, weil kaum Jemand die Zeit aufbrachte sich ehrlich damit zu beschäftigen. Wenn es überhaupt mal Gespräche gegeben hatte, waren sie sehr einseitig. BigMom gab mir meist nur Aufgaben oder ermahnte mich wenn etwas nicht so lief wie gedacht, aber ich konnte mich nicht erinnern dass wir uns mal wirklich ‚unterhalten’ hatten. Die Mädchen redeten viel mit mir, aber eben nur auf die Weise, dass sie ohnehin keine Antwort von mir erwarteten und mich dabei oft nicht einmal ansahen. Der Einzige, der mir wirklich als Gesprächspartner einfiel war mein Vater. Damals konnte ich zwar noch sprechen, doch ich war bei allem sehr langsam und man brauchte eine wahnsinnige Geduld um mich wirklich zu verstehen. Das ständige Stottern und die langen Pausen zwischen den Wörtern waren etwas, was die Meisten dazu veranlasste mich mitten im Satz zu unterbrechen oder ihn sogar selbst an meiner statt zu Ende zu bringen. Nur mein Vater hatte immer geduldig gewartet, bis ich fertig ausgesprochen hatte was mir auf der Zunge lag. Doch seit er tot und ich völlig stumm war hatte sich alles geändert. Wer hatte schon die Geduld Jemandem ‚zuzuhören’ der sich nur ohne Worte verständigen konnte? „Bist du schon lange bei den Ladys im lachenden Hahn?“ endlich wechselte der Captain das Thema. Ich schüttelte den Kopf und er begann zu lachen „Schade. BigMom lässt sich einfach nicht überreden ein paar der Schönheiten rauszurücken. Ich dachte du könntest ein gutes Wort für mich einlegen. Es ist ziemlich langweilig auf See. Ein paar Ladys an Bord wären ein hervorragender Zeitvertreib. Wenn du verstehst, was ich meine“, zwinkerte er mir zu. Ich seufzte leicht, natürlich verstand ich was er damit meinte. Letztendlich war er nach wie vor der Mann, der seit sie angelegt hatten jede Nacht im lachenden Hahn verbrachte. Doch ich wusste auch dass Seemänner sehr abergläubisch waren und laut Aberglaube brachten Frauen auf See das größte Unglück. Ich bezweifelte, dass er ernsthaft darüber nachdachte eines der Mädchen mit auf sein Schiff zu nehmen. Außerdem hatte er Recht, BigMom würde es niemals erlauben, erst Recht nicht einem Mann wie ihm „Schätze das würde nicht lange gut gehen“ lenkte er plötzlich selbst ein, als hätte er meine Gedanken gelesen „Entweder das Unglück bricht über die Nightingale ein, oder die Männer stechen sich gegenseitig die Augen aus, weil sie sich um jedes Weib streiten würden. Aber jeder Mann muss sich austoben können, aye? Wir legen meistens nur einmal im Monat irgendwo an um Spaß zu haben. Wäre doch gar keine schlechte Sache den Spaß an Bord zu bringen“ lachend klatschte er mir die Hand auf den Rücken und ich fragte mich, ob er noch etwas anderes im Kopf hatte als Frauen, Gold und sein Schiff. Ein starker Wind kam auf und salzige Luft peitschte uns entgegen. So manch einer im Hafen und auf dem Schiff hob schützend die Hände und fluchte über den plötzlichen Zug. Ich hingegen drehte mich in Richtung des Windes und schloss entspannt die Augen. Ich mochte die Seeluft, alles an ihr. Egal ob sie kalt oder peitschend oder schmerzhaft war. Sie war für mich der Inbegriff von Freiheit „Wow“ Fiddick stieß leicht seine Schulter gegen meine „Das ist das erste Mal dass ich dich lächeln sehe. Steht dir tausendmal besser als diese Trauermiene“ Ich sah ihn verdutzt an. Hatte ich gerade gelächelt? Er grinste, breiter als sonst und mit einem Ausdruck als würde er sich über Nichts auf der Welt mehr freuen. „Du liebst die See, oder? Das kann man dir ansehen. Ich sag dir was, du gehörst nicht an den Hafen und du gehörst in kein Bordell, deswegen wirst du dich da auch nie vollkommen wohl fühlen. Ich verstehe das, weil es mir genauso geht. Wir gehören nicht hier her, wir gehören da raus! Peitschender Wind, brechende Wellen, salzige Seeluft in den Lungen und schaukelnde Planken unter den Füßen“ Ein Schauer lief mir über den Rücken. Was hatte er da gerade gesagt? Genau das, was ich schon fühlte seit ich hier im Hafen festsaß, was jeden Tag meine Gedanken beherrscht hatte? Es waren genau die Worte, die ich selbst gesagt hätte wäre ich in der Lage dazu gewesen. „Dir gefällt mein Schiff, aye? Und dir gefällt meine Crew. Du wirst beides noch viel besser kennenlernen, sobald du dich mir anschließt. Ich kann dir ein zu Hause geben und ich kann dir Freiheit geben“ Diesmal entgegnete ich nichts. Meine Gegenwehr schrumpfte immer mehr, denn er lies mir weder Raum noch einen Grund seine Entscheidung anzufechten. Er sah mich an und legte das Grinsen auf, welches ich nun schon so oft gesehen hatte und welches trotzdem keinen Deut an Faszination für mich eingebüßt hatte. Er grinste und streckte mir die Hand entgegen „Ich zeig dir mehr von meinem Schiff. Kommst du mit, Fährmann?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)