Nordwind von Lindwurm ================================================================================ Prolog: der letzte Tag ---------------------- Es war ein sonniger und heißer Tag. Der Himmel war nahezu wolkenlos und die See ruhiger als noch wenige Stunden zuvor. Es würde nicht mehr lange dauern bis der kleine Einmaster an seinem Zielort eintraf und ich konnte es kaum erwarten diese Insel zu sehen. Der Grund dafür war simpel, denn eigentlich durfte Niemand dieses Land betreten, genau genommen wussten nicht einmal viele wo es sich genau befand. Es war der Sitz des hohen Rats der Magier, eine Gruppierung aus den mächtigsten und klügsten Magiern des ganzen Landes, nur sie und ihre Bediensteten waren an diesem Ort gestattet. Mein Vater gehörte zu keinem dieser beiden Gruppen und dennoch war es ihm erlaubt in Ausnahmefällen Botengänge zu tun. Der Ratssitz war vor wenigen Jahren vom Festland aufs offene Meer verlegt worden, denn er war zu oft Ziel von Krieg und Intriegen geworden, zumindest hatte mein Vater mir das einmal erzählt. Er hatte mir nie verraten wie er an den Boten-posten herangekommen war, doch er erwähnte oft wie streng geheim seine Dienste waren und dass ich der Einzige sei, dem er es überhaupt erzählt hätte. Die höchsten Magier des Landes schätzen nichts mehr als ihre Ruhe. „Da, siehst du sie?“ er rief mir vom Steuer aus zu und zeigte vor uns aufs offene Meer, doch es war gar nicht nötig gewesen denn ich hatte die Insel längst entdeckt. „Bist du nervös?“ Ich drehte den Kopf in seine Richtung und nickte heftig, konnte mir aber gleichzeitig mein breites Grinsen nicht verkneifen. Ja ich war nervös, wahnsinnig nervös, aber auch voller Vorfreude. Denn der Grund weswegen wir hier waren war ein völlig anderer als sonst. Seit mein Vater diese Arbeit angenommen hatte war sein einziger Wunsch einen Gefallen der hohen Magier zu erbitten. Vielleicht war sogar genau das von Anfang an seine Motivation gewesen die ‚Drecksarbeit’ zu übernehmen. Mit seinem letzten Ersparten hatte er dieses Schiff gekauft und war oft Tagelang fort um alles zu tun, was die Magier ihm auftrugen. Er brachte oft verschlossene Kisten zur Insel oder vom Rat zum Festland, deren Inhalt immer ein Rätsel war. Anfangs waren auch öfter simple Lebensmittel-Lieferungen darunter oder andere alltägliche Güter, Papier, Tinte, Bücher, Werkzeuge aller Art, doch oft waren die Dinge die ihr Weg auf den Einmaster schafften rätselhaft. Einmal erzählte er sogar dass seltsame Geräusche aus einer der Kisten gekommen waren und er war sicher gewesen, dass es sich um ein magisches Tier gehandelt haben musste, denn er habe solche Geräusche nie zuvor gehört. Immer wieder erwähnte er wie gefährlich dieser Job war, denn nicht selten geriet er in Frachtkontrollen und konnte nicht mehr vorzeigen als einen Brief den man ihm gegeben hatte. Natürlich wusste er nicht was darauf stand, denn Lesen konnten nur die allerwenigsten Seeleute. Doch jedes Mal fürchtete er sich davor, dass diese Zettel nicht genügten und man ihm nach Inhalt oder Herkunft der Lieferung fragte, in diesem Fall würde er sich große Probleme einhandeln, bestenfalls vom Militär die ihn als Schmuggler einsperrten, schlimmstenfalls jedoch vom Rat selbst wenn er seinen Schwur brach und über seine Dienste sprach. Und ja, jeder wusste dass man einen Magier mehr zu fürchten hatte als einen Soldaten. Es war ein schwerer Job, vielleicht sogar einer der Schwersten den man annehmen konnte. Alles nur für diesen Tag. Nach so vielen Jahren hatte man ihm seine Bitte gewährt. Endlich hatte man ihm einen Besuch bei einem der hohen Weißmagier gestattet, um eine Heilung für seinen einzigen Sohn zu finden. Für mich. „Anais Dia Vineros, merk dir diesen Namen gut. Sie ist dein Schutzengel“ hatte er mir vor wenigen Tagen freudestrahlend erzählt und ich hatte genug Grund den klang ihres Namens alleine nichts anderes als schön zu finden. Ich hatte eine Vorstellung von ihr in meinem Kopf, die der Vorstellung eines Engels sehr nahe kam. Elegant, stark und schön. „A.... an... nnai.. is“ ich versuchte ihren Namen hervorzubringen, als ich die Insel langsam näher kommen sah. Sie ist eine Weißmagierin, DIE Weißmagierin des hohen Rats um genau zu sein. Wer wenn nicht sie ist in der Lage mich von meinem Leiden zu befreien. Dann werde ich endlich das können, was mir seit 15 Jahren so unvorstellbar schwer fiel, ich würde sprechen können. „Der Wind steht gut, wir legen gleich an“ sagte mein Vater und lächelte von einem Ohr zum Anderen „Mach einen guten Eindruck, ja? Wir haben ewig gespart um uns das hier leisten zu können“ Ich nickte erneut, sog die salzige Seeluft tief in meine Lungen und atmete geräuschvoll wieder aus. Wie sich meine Stimme wohl anhören würde, wenn sie richtig funktionierte? Würde es mich dann nicht mehr erschöpfen einen ganzen Satz auszusprechen? Würden die Worte endlich fließend und ungebrochen meine Lippen verlassen? Noch konnte ich mir nichts davon vorstellen. Eilig machte ich mich daran zu helfen das Schiff bereit zum Ankern zu machen und ich nahm mir fest vor, wenn wir es das nächste mal betreten würde, würde ich auf den Mast hinaufklettern und so laut jubeln wie ich konnte. Bereits in dem Moment, indem wir angelegt hatten begann der Himmel sich zuzuziehen. Dicke schwarze Wolken erhoben sich am Horizont und schoben sich langsam vor die Sonne, sie versuchten das Blau des Himmels zu fressen. Doch ich war so nervös und voller Aufregung dass ich es nicht bemerkte. -- „Du bist also der Junge, von dem ich so viel gehört habe. Willkommen“ Anais Stimme war erhaben und sanft, ebenso wie ihre Erscheinung. Sie war viel jünger als ich sie mir vorgestellt hatte und unglaublich schön. Ihre rotblonden Locken schienen in meinen Augen beinahe zu leuchten und die Aura die sie umfing brachte mich dazu vor Ehrerbietung zu schlucken und ich senkte leicht den Kopf. „Ich hörte du bist hier um deine Melodie wiederzufinden“ sie lächelte sanft. Es kam mir fremd vor ein Wort wie ‚Melodie’ für die ‚Stimme’ zu benutzen, doch auch das verstärkte das Gefühl dass zwischen Ihr und Mir Welten lagen. Noch nie war ich einem Menschen begegnet, der so anders war. Ich fühlte mich auf eine Weise fremd und winzig klein in ihrer Nähe und plötzlich verstand ich wieso es einfachen Leuten verboten war ihr Reich zu betreten. Man gehörte einfach nicht zu diesen höheren Wesen. „Hh.... j..... h.. ja..... my la... lad..y“ Ich gab mir die allergrößte Mühe diese Worte über die Lippen zu bringen, mein Hals begann sofort zu schmerzen, weil ich ihn zu sehr zwang und ich wünschte mir gleich ich hätte es nicht versucht, denn nun schämte ich mich meine zitternde gedrückte Stimme im Angesicht dieser Meisterin zu zeigen „Quäl dich nicht mein Junge“ entgegnete sie, nachdem sie geduldig gewartet hatte bis die Worte meine Kehle verlassen hatten. „Deine Leiden sind bald vorbei. Bitte folgt mir“ Ich tat was sie sagte. Ich war so nervös und mein Herz schlug so hart in meinem schmerzenden Hals, das ich nicht bemerkt hatte dass mein Vater uns nicht begleitete. Mehr noch, er wurde von mir getrennt und in eine andere Richtung geführt, doch ich war zu gebannt von der Schönheit neben mir, dass das erst viel später meine Gedanken erreichte. „Setz dich doch“ Die schweren Holztüren wurden hinter uns geschlossen, keiner außer Anais und mir war in dem Raum. Die Wände strahlten so weiß und rein dass ich den Eindruck hatte wir seien in eine ganz andere Welt getreten. Was ich kannte waren schmutzige dunkle Holzverschläge, alte zerfetzte Lumpen überall, Kisten und alte morsche Stühle. Ich kannte Häuser, in denen Nichts zum Anderen passte und die vollgestopft waren mit Gerümpel. Das hier war völlig fremd für mich. Alles sah edel und unbenutzt aus, alles aus reinen Farben, die mir noch nie untergekommen waren. Anais wies mit einer eleganten Handbewegung auf eine mit dunkelblauem Samt gepolsterte Liege und wiederholte ihren Satz, als ich einfach gebannt im Türrahmen stehen geblieben war um die Fremdheit des Raumes zu Bewundern. Gehorsam nahm ich platz und sah zu ihr auf, als sie mir eine Hand auf die Schulter legte „Du bist gerade 15, habe ich Recht?“ ich nickte „Ein erwachsener Mann also, bist du ein ebenso guter Seefahrer wie dein Vater? Du hast sicher viel von ihm gelernt?“ ich verstand die Frage nicht, nickte dennoch. Natürlich hatte ich viel von ihm gelernt, auch über das Segeln. Doch wieso fragte sie mich diese Dinge bevor sie mich geheilt hatte? Wenn sie Tatsächlich an meinen Fähigkeiten interessiert war, wäre es doch besser zu warten bis ich ihr auch antworten konnte. „Ich verstehe, das ist beeindruckend. Ich bin sicher du würdest einen hervorragenden Kapitän abgeben. Du wirkst wie ein kräftiger, kluger Junge“ Sie lachte leicht und ich sah sie fragend an. Sie hatte Recht, ich war schon früh von meinem Vater in körperliche Arbeit einbezogen worden, damit ich ihm in vielen Dingen zur Hand gehen konnte. Ebenso war er mir stets ein guter Lehrer gewesen und hatte es nie versäumt mir sein ganzes Wissen über die Welt beizubringen. Demnach war ich sicherlich auch klüger als manch anderer in meinem Alter, dem es viel länger erlaubt war unbesorgt zu toben und zu spielen. Dennoch brannten mir Fragen auf der Zunge, was das Alles mit meiner Heilung zu tun hatte. Doch ich konnte warten, ich war geduldig. Ich würde sie fragen, sobald ich dazu in der Lage war. „nnh...?“ nichts weiter als ein fragender Laut entwich meiner Kehle, bis sie ihre Hand zurückzog und mich sanft anlächelte. „Ganz Ruhig. Leg dich auf den Rücken, ich werde jetzt beginnen“ Sofort? Gab es keine Art der Vorbereitung? Ich war verunsichert. Obwohl dieser Moment so viel für mich bedeuten sollte, war es jetzt viel mehr Angst als Freude die mich erfüllte. Irgendetwas fühlte sich nicht richtig an und ein flaues Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. Dennoch schlug ich alle Warnungen meines Instinkts in den Wind und legte mich auf den Rücken. Anais lächelte noch immer, setzte sich dann mit einer eleganten Bewegung auf einen Stuhl neben mich „Entspann dich und schließ die Augen, es wird schnell vorbei sein und dann bist du ein neuer Mensch“ Ich schloss die Augen und versuchte meine Muskeln zu entspannen. Ein paar Fragen wollten mir in den Kopf dringen. Wieso erlaubten sie meinem Vater nicht hier zu sein? Ist Weißmagie gefährlich? Ich spürte eine sanfte Berührung an der Stirn, die weichen warmen Hände streichelten über meinen kahlen Kopf und es war mir als wären meine Gedanken plötzlich in Watte gepackt. Wieso fragte sie mich, ob ich ein guter Seemann bin, wo sie doch meinen Vater als Boten hatten? Er war noch lange nicht zu alt für diese Arbeit und obwohl er mich ausgebildet hatte war er zweifelsohne der bessere Kapitän. Ich zuckte leicht zusammen als ich ihre Fingerspitzen an meinem Hals spürte. Ich war schon immer sehr empfindlich dort gewesen, doch ich zwang mich gleich wieder zur Ruhe. Sie würde mich ja heilen und mir kein Leid antun. Wieso hatte Niemand das Gold entgegengenommen, was mein Vater und ich mitgebracht hatten um die Heilmagie zu bezahlen? Von Anais Berührung ging Wärme aus. Eine angenehme Wärme aus ihren Fingerspitzen, die sich in meinem Hals ausbreitete, mir kam es sogar für einen Moment so vor als könne ich viel leichter atmen. Ihre Magie breitete sich weiter in mir aus, als sie ihre Hand komplett an meinen Hals legte. Obwohl die erste Angst sie würde zudrücken völlig unbegründet war, biss ich unwillkürlich die Zähne aufeinander. Die Wärme ihrer Hände stieg, ohne Zweifel war das keine normale Körperwärme mehr. Fühlte sich Heilmagie so an? Mir wurde leicht schwindelig. Das Gefühl wie in Watte gepackt zu sein verstärkte sich um ein vielfaches und ich hatte das starke Bedürfnis die Augen aufzuschlagen, doch meine Lider waren schwer wie blei. Ihre Hand wurde heiß, heiß wie die Sonne an einem Sommertag. Es war ein wenig unangenehm und ich war mir nicht sicher ob es normal war, dass es so von Statten ging. Ich wollte die Hand heben um ihr das zu signalisieren, doch auch meine Arme schienen plötzlich nicht mehr auf mich zu hören. Als die Hitze weiter stieg und es mir schien als halte Jemand mir eine brennende Kerze an die Kehle versuchte ich mit mehr Gewalt meine Muskeln zur Bewegung zu zwingen, doch nichts geschah. Es schmerzte. Ihr Finger wurden glühend heiß, die Hitze brannte sich in mich, verbreitete sich und floss durch mein Fleisch wie flüssiges Feuer und vernebelt alle meine Sinne. Ich verbrenne. Panik kam in mir auf. Was passierte hier? Ist es das was passieren muss um mich zu heilen? In den nächsten unendlich langen Sekunden war die Hitze unerträglich. Ich hatte völlig vergessen wo ich war, wer ich war oder was ich tat, da war nur Hitze, Schmerz und Angst. Mein ganzer Körper schrie vor Schmerz, mein Kopf war benebelt, meine Muskeln schienen nahezu zu reißen weil ich mit aller Kraft versuchte gegen die Lähmung anzukämpfen. Doch es half nichts, ich war dieser Hölle schutzlos ausgeliefert und in der Tat, für einen Moment war mein einziger Gedanke der, dass ich sterben würde. Oder schon gestorben war und in die Hölle geschickt wurde, ins ewig Feuer. „Es ist vorbei“ Die Worte drangen kaum zu mir durch, doch als ich sie dann vernahm spürte ich dass ihre Berührung längst verschwunden war. Die Hitze dauerte noch weitere unerträgliche Sekunden an und lies dann nur sehr langsam nach. Doch ich gewann die Kontrolle über meinen Körper zurück. Meine Glieder schmerzten wie nach einem sehr langen Tagesmarsch und meine Hände begannen zu zittern. Zum ersten Mal seit sie begonnen hatte wagte ich es zu schlucken und es war mir als sei mein Hals vertrocknet und ausgebrannt. Ich schlug die Augen auf und sah im ersten Moment nur grelles weiß, als hätte man mich ohne Vorwarnung unterm Deck eines Schiffes ins grelle Sonnenlicht gezerrt. „Nun, ich bin sicher du weißt welche Regeln hier gelten“ Anais saß nicht mehr neben der Liege, sie stand einige Meter entfernt mit dem Rücken zu mir und sah aus einem Fenster aufs Meer. „Du tust alles, was wir dir auftragen. Du fragst nicht nach dem Warum und du siehst niemals in die Kisten“ Ich verstand kein Wort. Obwohl der Schmerz einer merkwürdigen Erschöpfung gewichen war, war ich noch immer wie benebelt. Schwerfällig setzte ich mich auf und sah zu ihr. Ich öffnete den Mund um eine Frage zu stellen „---“ „Bezahlt wirst du erst nach erfolgreicher Lieferung“ sie sprach einfach weiter ohne sich zu mir umzudrehen „Du arbeitest für Niemanden sonst, bis wir dich aus dem Dienst entlassen. Und du erzählst keiner Menschenseele für wen oder was du lieferst“ Nach dem letzten Satz lies sie eine Pause und lachte leise. Dann drehte sie sich zu mir um und lächelte mich an. Ein sanftes, warmes Lächeln. Ein falsches Lächeln, ein überlegenes Lächeln. „Was rede ich da, diese Regel wird wohl nicht mehr nötig sein“ Meine Hände zitterten stärker. Ich starrte die Magierin an und fasste mir an den Hals. Ich öffnete erneut den Mund, doch nichts kam heraus. Kein Ton, kein Stottern, nicht das kleinste Anzeichen einer Stimme. „---“ Entsetzt sah ich sie an. Plötzlich war alle Schönheit und aller Glanz ihrer Gestalt verschwunden. Sie sah auf mich herab wie auf Vieh, wie auf ein Nutztier was sich gerade als hervorragendes Kapital entpuppt hatte. Welten lagen zwischen uns. Welten wie zwischen einem Gott und einem Sklaven. „Geh jetzt Junge. Dein Schiff wartet, es ist bereits beladen worden. Es wird ein einfacher erster Auftrag für dich, du musst nur an deinen Heimathafen zurückkehren und die Lieferung beim Hafenmeister abgeben“ Sie wies zur Tür, die just in dem Moment ein Bediensteter von außen öffnete. Der Mann sah mich nicht an, doch sein Gesicht zeigte wie viel lieber er woanders gewesen wäre als hier. Er wusste genau was hier geschehen war und riss mich erbarmungslos aus der Hoffnung ich sei in einem Alptraum gefangen. „Ich denke es ist überflüssig zu erwähnen, dass du die Fehler deines Vorgängers nicht wiederholen solltest. Doch was soll ich sagen? Ich WEIß dass du es nicht wirst. Nun geh!“ Kapitel 1: der lachende Hahn ---------------------------- 14 Jahre später Das alte vergilbte Segel flatterte leicht im Wind. Es war ein guter Tag zum segeln, dachte ich als ich die Reling entlang ging und das alte Holz unter den Fingern spürte. Doch dieses Schiff würde nie wieder segeln. Der alte Einmaster meines Vaters war nun endgültig nicht mehr reparabel, viel zu lang musste er schweres Wetter und raue See überstehen. Ich kann nicht einmal mehr zählen wie oft und wie lang er mit mir unterwegs gewesen war. Ich stieg hinab und landete auf dem alten morschen Holzsteg. Diese Bucht bot einen traurigen Anblick. Es war viel mehr ein Schiffs-Friedhof als alles Andere und als ich meinen Blick über die Wracks und ausgeschlachteten Überreste davon schweifen lies fragte ich mich welche Geschichten sie wohl zu erzählen hatten. Der ungepflegte Mann neben mir knotete mein Schiff fest und nickte zufrieden, wendete sich dann zu mir und zeigte seine faulen Zähne mit einem schiefen Grinsen. Ein vergilbter Lederbeutel voller Goldstücke fand den Weg in meinen Besitz und der Handel war abgeschlossen. Als ich mit einem leichten Nicken ein Lebwohl zu meinem alten Einmaster signalisiert hatte wendete ich mich ab und lief zurück in Richtung Hafen. Ich hatte weiche Knie, denn ich war letztendlich doch an einem Punkt angelangt an dem ich nicht wusste, wie es weitergehen sollte. Das Schiff war seit jenem Tag mein einziger Begleiter gewesen und es an seinen letzten Ruheort zu segeln war mir unvorstellbar schwer gefallen. So viele Jahre lang war ich nichts weiter als der ‚Fährmann’ gewesen. Der Bote und Händler der hohen Magier. Anais behielt all die Jahre Recht, ich hatte nie eine Wahl gehabt. Ich habe nie erfahren was mit meinem Vater geschehen war. Er wurde getötet, daran bestand kein Zweifel und man hatte mir immer wieder eingeschärft seine ‚Fehler’ nicht zu wiederholen, aber nie hat man mir erklärt war seine Fehler gewesen waren oder auf welche Weise sie ihn getötet hatten. Doch nach all den Jahren war der Drang es zu erfahren immer kleiner geworden und die Erinnerung an ihn so blass, dass ich manchmal nach einem Traum aufwachte und nicht mehr erkennen konnte ob dieser alte Mann wirklich jemals eine Verbindung zu mir gehabt hatte. Alles in meinem Kopf war zu einem einfarbigen Brei geworden und ich verlor längst den Überblick darüber, bestand eine lange Zeit nur aus Arbeit und Überleben. Ich hatte über die Jahre viel über den Rat der Magier erfahren, viel mehr als ein Mensch jemals erfahren sollte oder überhaupt wollte. Die Ratsmitglieder hatten schnell die Vorsicht in meiner Gegenwart verloren. Sie redeten offen über Politik, Intrigen, Verrat, Mord, selbst die Namen von Affären und unehelichen Kindern waren mir geläufig. Diese ganzen Geheimnisse die laut ausgesprochen eine mächtige Waffe gegen den Rat gewesen wären nützen mir nichts. Niemand scherte sich um den Jungen, den ‚Fährmann’ der keine Wahl hatte als jedes noch so große Geheimnis mit sich ins Grab zu nehmen. Wem hätte ich es je erzählen sollen? Ohne Stimme, ohne Fähigkeiten zu Lesen oder zu Schreiben und ohne dass auch nur ein einziger Mensch auf der Welt etwas davon wusste was ich tat wenn ich nicht im Handelshafen war? Ich trug vielleicht die größte Bürde, die größten Geheimnisse und das meiste Wissen über den Rat in mir und war doch nur ein vollgeschriebenes Buch, was niemand jemals lesen konnte. Natürlich versuchte ich die ersten Jahre all das zu behalten, ich dachte sogar daran irgendwann Rache zu üben für das Leben was man mir aufgezwungen hatte. Aber der Rachedurst verblasste immer mehr und verschwand schließlich ganz. Ich fühlte mich ausgelaugt, vollgestopft mit Informationen, die ich immer öfter durcheinanderbrachte oder mich kaum erinnern konnte welche Worte aus wessen Mund gekommen waren. Ich war wie ein Fass mit zu viel Schießpulver gefüllt, ich drohte zu bersten und in Flammen aufzugehen ohne dass Jemand davon Notiz genommen hätte. Bei all den Informationen die sich in meinen Kopf gefressen hatten war es kaum verwunderlich, dass andere Dinge verloren gingen. Die Erinnerung an meinen Vater, die Erinnerung an all die Zeit bevor ich zum Lakai des Rats geworden war. Und allem voran die Erinnerung an meinen Namen. Ich wusste ich hatte Einen, natürlicherweise. Mein Vater hatte ihn mir gegeben und mich immer damit gerufen. Seit ich denken kann, waren Er und ich immer allein gewesen, wegen meiner Sprachstörung und meiner ungewöhnlichen Erscheinung hatte ich nie Freunde gehabt und selbst mein Vater war ein völliger Einzelgänger gewesen. Natürlich kannten mich viele vom Sehen her. Der sprachgestörte glatzköpfige Junge war immer Jemand, der am Hafen herumgelaufen war. Und natürlich war es nicht unbemerkt geblieben dass der Mann der zu dem Jungen gehörte plötzlich verschwunden war. Die Fragen nach seinem Verschwinden klangen mir noch Jahre danach im Ohr und ich erinnere mich irgendwann nur noch weggelaufen zu sein, denn kein einziger Mensch konnte den merkwürdigen Jungen verstehen, der völlig verstört war und dennoch keinen Ton mehr von sich geben konnte. Nur Eines wusste irgendwann Jeder. Ich hatte den Einmaster und ich Segelte, war oft Tagelang fort ehe man mein Schiff wieder anlegen sah. Keiner wusste wohin ich verschwand und keiner wusste welche Lieferung ich transportierte. ‚Fährmann’ nannte man mich und das ist seither mein Name. Ich hatte mich so sehr daran gewöhnt, dass mein eigentlicher Name so blass und bedeutungslos geworden war bis er einfach aus meinem Kopf und damit aus der Welt verschwand. Jetzt war ich Niemand mehr. Der Fährmann war am heutigen Tag zu Grabe getragen worden. Kein einziger Auftrag hatte mich mehr erreicht, fast ein ganzes Jahr lang. Selbst die Magier brauchten mich nicht mehr seit es magische Türen gab, die sie hinbringen konnten wohin sie wollten ohne das Meer überqueren zu müssen. Mein Schiff hatte das Leben verlassen und auch ich fühlte mich leer. Wer war der Fährmann ohne Schiff und ohne Lieferung? Der Einmaster wurde nun zerlegt, ausgeschlachtet. Der Gedanke daran war für mich unerträglich, denn es fühlte sich an als würde man mein Fleisch und Blut in kleine Teile zerreißen. Die kleine Menge Geld, die mein ‚Abschiedsgeschenk’ war keine Entschädigung für das, was ich verloren hatte. Seit ein paar Wochen hatte ich neue Arbeit gefunden. So grauenhaft die letzten 13 Jahre für mich auch gewesen waren, ich war immer gut bezahlt worden für meine Dienste und nun fehlte einfach das Geld zum Überleben. Arbeiten für stumme Männer gab es Viele, sollte man meinen. Jeder mochte doch Menschen, die keine Fragen oder Ansprüche stellen konnten. Doch so einfach war es nicht, nicht für mich. Viele kannten mich und trauten mir nicht, da niemand etwas über mich wusste. Viele schüttelten bereits den Kopf, noch bevor ich mich mit einfachen Gesten hätte erklären können und so war ich dort angelangt, wo jeder irgendwann endet wenn er nichts zu verlieren hatte: in einem Bordell. „Da bist du ja endlich wieder, hast deine Pause etwas lang gezogen, hm?“ BigMom, die Besitzerin des Hauses schmunzelte mir entgegen, als sie mich kommen sah „Schätze du wirst mir nicht erzählen was so wichtig war, dass du die Mädchen aus den Augen lässt“ Ich schüttelte leicht den Kopf und erwiderte das Lächeln. Sie war eine sehr nette Frau, immerhin gab sie mir Arbeit ohne zu wissen wer ich eigentlich war und obendrein schien sie mich zu mögen „Sei so nett und trag mir die Fässer hier in den Keller. Der Wein war nicht ganz billig, also sei verdammt vorsichtig“ Ich nickte und tat gleich wie mir aufgetragen. BigMom war eine beachtliche Frau, sie überragte selbst mich um einen halben Kopf. Sie hatte dicke blonde Haare und braungebrannte Haut, ich war mir ziemlich sicher, dass sie aus einem anderen Land kam. Sie brachte deutlich mehr Körper- und Muskelmasse auf die Waage als alle ihre Angestellten, vielleicht war das der Grund weswegen ich niemals Jemanden gesehen hatte, der sich mit ihr anlegen wollte. Jeder respektierte sie und als einzige Bordell-Besitzerin am Hafen war sie so etwas wie eine ‚wichtige Persönlichkeit’ der Gegend. Ein Bordell, ja. ‚Der lachende Hahn’, ein großes altes Haus mit vielen Zimmern, dazu eine Kneipe im Erdgeschoss die neben reichlich alkoholischen Getränken auch weibliche Unterhaltung bot. Zu meinem Glück gehörte ich nicht zu denen, die mit ihrem Körper Geld verdienen mussten. Viel mehr war ich hier für andere Arbeiten. Getränke und Lebensmittel-Lieferungen abladen, einfache Reparaturen an dem wirklich sehr alten Haus und dessen Inventar. Auch war ich nach wie vor für Botengänge zuständig und diente als Begleitschutz wenn eines der Mädchen mal ‚außer Haus’ ihre Dienste verrichtete. Manchmal gab es auch Ärger mit Kunden die nicht zahlen konnten oder anfingen bestimmte Damen zu verfolgen und zu beobachten. Viele Dinge über die man eigentlich nicht sprach – vielleicht war ich auch deswegen der richtige Mann für diese Arbeit. „Hey, BigBoy ist wieder da“ Eines der Mädchen kicherte freudig als ich das Weinfass geschultert durch die Eingangstür zur Kneipe kam „Süßer, wo warst du denn so lange? Hast du etwa eine Andere als uns, die du heimlich triffst?“ fragte eine Andere, beide lachten vergnügt. Ich lächelte sie an und schüttelte ehrlich den Kopf. „Ohh unmöglich. Lügst du uns etwa an? Schau dich Leckerbissen doch an, jedes Mädchen der Stadt leckt sich die Finger nach dir, hihi“ erneut schüttelte ich den Kopf und wurde etwas rot um die Nase. Ich war es auch nach mehreren Wochen nicht gewohnt, dass man so mit mir redete. Genau genommen dass man überhaupt mit mir redete. Doch ich mochte das Gefühl, nicht mehr ganz allein zu sein. Und das unter Menschen die mich mochten wie ich war, auch wenn sie mir manchmal im wahrsten Sinne näher standen als mir geheuer war. Außerdem hatte ich noch etwas gemeinsam mit den Mädchen und meiner Cheffin. Wir alle hatten keine Namen. Zumindest keine, die man kannte oder die von Kunden genutzt wurden. Sicherlich gab es Namen und sicherlich hatte außer mir kein Anderer hier den Eigenen vergessen. Doch es gab mir ein Gefühl der Zugehörigkeit ein Teil von ‚BigMom’, ‚Fenra’, ‚Agnes’ und den Anderen Mädchen zu sein. Ich war gezwungen vor der Kellertreppe stehen zu bleiben, denn zwei der Mädchen versperrten mir den Weg. Beide hatten einen tiefen Ausschnitt und prall hochgeschnürte Brüste, sie waren bereits herausgeputzt für das Unterhaltungsprogramm in wenigen Stunden. „Bist du auch ganz sicher, dass du heute Abend nicht mal ein Fass auf unser Zimmer tragen willst?“ sagte die Rothaarige Agnes und zwinkerte anzüglich „Wir warten doch schon so lange dass du mal an die Tür klopfst. Wir machen dir sogar einen Freundschaftspreis“ Ich lächelte verlegen, aber noch immer höflich und schüttelte erneut den Kopf. Nahezu jeden Tag seitdem ich hier angefangen hatte machten sie mir solche Angebote, doch jeden Tag lehnte ich sie ab. Ich hatte nie viele Erfahrungen in solchen Dingen gemacht und hatte auch bisher nie wirkliches Interesse. Natürlich waren die Damen sehr hübsch und ohne Zweifel konnten sie mit ihren Reizen beinahe jeden Mann um den Finger wickeln. Nur bei mir schienen sie recht wenig Erfolg zu haben. Mit einem enttäuschten Seufzen zogen Beide einen Schmollmund und machten den Weg frei, sodass ich meine Arbeit erledigen konnte. Ich arbeitete gern in diesem Bordell und letztendlich bin ich nach wie vor sehr froh dass ich dort war. Denn sonst hätte ich an genau dem Tag, an dem ich meinem Schiff Lebwohl wünschen musste, niemals diese Begegnung gehabt. -- Es war noch früh am Abend und es war noch nicht ganz dunkel geworden. Nicht einmal eine halbe Stunde war vergangen seit die Kneipe ihre Türen geöffnet hatte und dennoch waren bereits ein halbes Dutzend Seemänner hindurchgetreten und tranken an ihrem ersten Bier oder Rum. BigMom war fort zu einem ‚wichtigen Geschäft’, wie sie mir verkündet hatte, deswegen war es heute meine Aufgabe hinter dem Tresen zu stehen und Getränke auszuschenken. Es war nicht das erste Mal dass ich auch diese Arbeit übernahm, doch ich war noch lange nicht daran gewöhnt. Es war keine komplizierte Arbeit und sie beinhaltete eher die Gäste im Auge zu behalten, damit es keine Zwischenfälle gab. Doch BigMom bestand darauf, dass ich mich in ihrem Laden ‚angemessen’ kleidete, was in dem Falle bedeutete dass ich mit freiem Oberkörper und schwarzer Umrandung um die Augen arbeiten musste. Ich war mir nicht sicher ob es wirklich nötig war oder einfach nur ein Wunsch der Mädchen, die auffallend oft ihre Blicke zu mir anstatt zu den eigentlich Kunden warfen. Ich sah zumindest keinen Nutzen darin, gehorchte aber wie mir aufgetragen. „Danke Süßer~“ Gerade reichte ich Agnes ein Glas Wein, damit die es einem offenbar wohlhabenden Seemann bringen konnte, als die Tür aufging und weitere Kunden hereinkamen. Es war recht selten dass eine ganze Gruppe auf einmal kam, denn die meisten Männer waren allein und ‚heimlich’ hier und umgaben sich lieber mit mehreren Mädchen als mit Trink-kumpanen. Zuerst bemerkte ich die neuen Gäste gar nicht, doch ich wurde aufmerksam als ganze drei der Mädchen plötzlich von ihren Stühlen aufsprangen und voller Freude auf die Besucher zuliefen. Stammkunden? Ich sah die Männer an, es waren fünf an der Zahl. Keiner von ihnen sah sonderlich wohlhabend aus, eher im Gegenteil. Sie trugen schmutzige Hemden, abgetragene Hosen und Lederwesten, zwei von ihnen hatten Kopftücher auf. Seeleute ohne Zweifel, doch ich spannte beinahe erschrocken die Muskeln an, denn sie waren Bewaffnet mit Pistolen und Schwertern, Dolchen und Messern. Noch nie hatte ich so schwer bewaffnete Männer hier drin gesehen und dennoch wurden sie herzlich und völlig unbesorgt begrüßt. Mit fragendem und unschlüssigem Blick sah ich zu Agnes die noch immer mit dem Wein vor der Theke stand und ebenso wie die Anderen deutlich erfreut über den Besuch war. „Oh du kennst sie nicht?“ Sie kicherte als sie meinen Blick bemerkte und wie ich leicht in Richtung der Männer nickte „Stimmt, als sie das letzte Mal hier waren warst du noch nicht bei uns. Captain Fiddick und seine Crew, sie kommen immer hierher wenn sie unseren Hafen anfahren“ ein gut gelauntes Lächeln legte sich auf ihre Lippen und sie seufzte bedauernd, dass sie bereits für einen Anderen Kunden zuständig war „Freibeuter mit den Taschen voller Geld. Und gutaussehend noch dazu, jedes Mädchen ringt um die Gunst des Captains und er ist jeder zugetan, solange sein Glas nie leer ist. Ein perfekter Mann für uns, meinst du nicht? Du solltest ihn kennenlernen“ Sie zwinkerte mir zu und wendete sich dann ab um zurück zu ihrem Kunden zu gehen und ihm den Wein zu servieren. Captain Fiddick? Es war nicht schwer den Mann auszumachen, denn zwei der drei Mädchen hatten bereits links und rechts von ihm ihren Platz gefunden und führten ihn zum größten Tisch im Lokal. Er hatte eine ähnlich ungepflegte Erscheinung wie seine Begleiter, war jedoch kaum älter als 30. Sein Gesicht war braungebrannt und bärtig, ein geflochtener Zopf zierte sein Kinn und schon auf den ersten Blick erkannte ich mehrere Narben. Als er seinen abgetragenen Dreispitz abnahm kamen dunkelbraune zerzauste Haare und ein grünes verwaschenes Kopftuch zum Vorschein. Er wirkte wild und sorglos, lachte laut und hatte bereits beide Arme um jeweils eines der Mädchen gelegt, ehe er auf der Holzbank platz nahm. „BigMom! Fünf Mal Rum und drei Mal was auch immer deine Süßen wollen“ rief er plötzlich quer durch den Raum ohne sich richtig umgesehen zu haben. Seine Stimme klang rauchig, tief und durchdringend, genau so wie man sich die Stimme eines Captains vorstellte. Die Mädchen kicherten „BigMommy ist nicht daheim“ sagte die Eine „Stattdessen haben wir heute noch mehr Schönes zu sehen als nur dich, hihi~“ Fiddick hob eine Braue und richtete seinen Blick erstmals zum Tresen und auf mich. Aus irgendeinem Grund erstarrte ich förmlich. Dieser Mann war mir völlig fremd, aber seine Erscheinung hatte einen Eindruck auf mich den ich kaum deuten konnte. Irgendetwas an ihm flößte mir Respekt ein, ebenso wie eine Neugier wie ich sie schon lange nicht mehr empfunden hatte. Was er wohl erlebt hatte auf See? Wer war er und was tat er? Welche Geschichten konnte er erzählen? Ich hatte schon viel über Freibeuter gehört, Piraten mit einer offiziellen Lizenz der Regierung, aber dennoch Piraten. Schon lange hatte ich mich nicht mehr so sehr dafür verflucht all die Fragen nicht stellen zu können. „Ein Neuer? Ein Mann auch noch, hier bei meinen Mädchen? Hahaha“ er lachte lauthals und wiederholte seine Bestellung „Fünf Rum und drei mal... Wein? Drei Wein“ Erst gute drei Sekunden zu spät reagierte ich auf die Aufforderung, hatte kurz vergessen warum ich eigentlich hier war und füllte hastig die Gläser. Ich hörte die Mädchen kichern und spürte wie meine Ohren rot wurden. Wieso konnte ich mich plötzlich so einfach aus dem Konzept bringen lassen? Ich stellte alle 8 Gläser auf ein Tablett und ging zu dem großen Tisch. Zuerst beachtete man mich nicht weiter und auch zu den anderen vier Freibeutern hatten sich weitere Mädchen gesellt. Erst als ich die Gläser abstellte sah man mich wieder an. Irgendwie war es ein unangenehmes Gefühl, ich fühlte mich nackt und schutzlos. Vielleicht weil ich den Aufzug, indem ich wortwörtlich halb nackt vor schwer bewaffneten Männern stand, vielleicht auch weil ich fürchtete verurteilt zu werden für meine Erscheinung. So wie es schon oft passiert war, so wie der Fährmann nun mal angesehen wurde. „Du arbeitest also für BigMom? Hab dich hier noch nie gesehen“ erhob der Captain als Erster die Stimme „Und zum Henker einen guten Geschmack hatte die alte Schachtel schon immer“ Er lachte erneut, die beiden Mädchen Fenra und Valira sowie seine Männer stimmten mit ein. Nur ich stand reglos da und wusste kaum wie ich mich verhalten sollte. „Er ist erst seit ein paar Wochen hier“ erklärte die blonde Valira, die dem Mann dabei schmunzelnd über die Schuler streichelte „Er macht alles was Mommy ihm aufträgt. Und er beschützt uns wie ein süßer Wachhund“ „Beschützt euch?“ Er wiederholte die Worte und für einen Moment war ich mir nicht sicher ob es ihn verärgerte, dass ich für die Frauen zuständig war die er offenbar gerne als ‚seine’ Mädchen ansah. Erneut musterte er mich von Kopf bis Fuß und ich konnte nur knapp dem Drang entgehen mich umzudrehen und möglichst viel Abstand zwischen mich und ihn zu bringen. Nicht weil ich mich fürchtete, sondern weil ich das Gefühl nicht loswurde dass er mich mit Blicken gänzlich durchschauen konnte. „Wie heißt du?“ Ich schluckte. Natürlich stellte er diese Frage, es war das Natürlichste was man bei einer neue Begegnung fragte. Ich war es immer gewöhnt gewesen den Kopf zu schütteln, noch viel mehr gewöhnt war ich es aber diese Frage gar nicht erst gestellt zu bekommen, weil jeder wusste wer ich war. Der Fährmann. Doch noch nie hatte ich mich geschämt für meine Unfähigkeit zu antworten. Es war das erste Mal dass ich den Blick senken musste weil ich dem fragenden Blick nicht standhalten konnte. Ich öffnete den Mund, doch natürlich kam nichts heraus. Ich schämte mich nicht antworten zu können und ich schämte mich keinen Namen zu haben. „Nenn ihn wie du möchtest“ Fenra antwortete an meiner Stelle und ich bemerkte ihren Blick, der eindeutig Mitleid mit mir hatte. Es war unangenehm sich eine solche Blöße zu geben und ich war es nicht gewöhnt solche Art Schwäche zu zeigen „Du darfst uns doch auch nennen wie es dir gefällt und er ist einer von Uns, nicht wahr?“ „Wollt ihr mir weismachen jeder hier nennt dich, wie er will?“ wieder sah er mich an, erwartungsvoll und scheinbar neugierig. Ich lies den Blick gesenkt, wagte es jedoch nicht zu nicken. Der Augenblick der Stille fraß sich in mich wie eine hungrige Ratte in meinen Gedärmen. „Wer bist du, wenn nicht mal die Mädchen hier deinen Namen kennen?“ „Fährmann“ Einer der anderen Freibeuter am Tisch erhob seine Stimme und zum ersten Mal jagte mein eigener ‚Name’ mir einen unangenehmen Schauer über den Rücken. „Ich kenne den Kerl, Captain. Glaube jeder hier am Hafen kennt ihn“ Er sah mich misstrauisch an und ich sah jedes Vorurteil in seinen Augen, das sich all die Jahre über mich angesammelt hatte „Ist mir neu dass er hier arbeitet, aber ist er eindeutig. Kahler Kopf, kein Wort in der Kehle, kein verdammter Name“ Der Mann nahm einen großen Schluck Rum und knallte das Glas unsanft auf den Tisch „Hab gehört es bringt Unglück mit so Jemandem zu reden“ „Fährmann?“ Captain Fiddick wiederholte den Namen nachdenklich, schnippte dann mit den Fingern als sei ihm ein Geistesblitz gekommen „Aye, Fährmann! Bist du wirklich DER Fährmann?“ Ich atmete tief ein und aus und fand endlich wieder genug Stolz um den Kopf zu heben. Mit flauem Gefühl im Magen sah ich ihm in die Augen und nickte, mein Griff an dem Tablett in meiner Hand festigte sich unbemerkt, weil ich nicht einschätzen konnte wie man auf diese Erkenntnis reagieren würde. Die Meinung der meisten Menschen über mich interessierte mich nicht, ich hatte längst aufgehört zu versuchen so etwas wie ‚Freunde’ zu finden. Doch dieser Mann.. ich hatte keine Erklärung dafür, doch ich wollte nicht dass dieser Mann schlecht von mir dachte. Ich rechnete mit Allem, malte mir nahezu jede Reaktion aus. Ich kannte viele verschiedene: Misstrauen, Ablehnung, sogar Angst. Weil niemand wusste wer ich wirklich war. Weil ich ‚geheimnisvoll’ war, weil ich immer Aufträge bekam und niemand wusste woher. Weil ich immer Fracht brachte und niemand wusste was sie enthielt. Menschen mögen keine Dinge, die sie nicht ergründen können, wenn es Eines gab was ich in den letzten 14 Jahren besonders gelernt hatte, dann war es das. Menschen hassen Fremde. „Das ist perfekt!“ Was? Hatte ich mich verhört? Perfekt? Es wurde still, nicht nur um mich herum, die ganze Kneipe schien für einen Moment still zu werden. Selbst die Männer an den neben liegenden Tischen hatten den Atem angehalten. Der Captain lachte laut und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch „Perfekt“ wiederholte er „Mein Navigator ist durch einen... einen unglücklichen Unfall schwimmen gegangen. Ohne schwimmen zu können, bedauerlicherweise, hahaha! Du bist genau der Mann den ich brauche!“ „Captain! Hast du den Verstand verloren?“ einer seiner Männer war sofort von seinem Platz aufgesprungen „Du hast doch keine Ahnung WER er ist? Die Crew wird meutern, wenn du den verdammten Fährmann aufs Schiff schleppst“ „Ich liebe Abenteuer“ entgegnete Fiddick nur mit einem breiten Grinsen „Außerdem kennt er die See wie kein Anderer, aye? Sonst wäre er kaum allein in der Lage ein ‚Fährmann’ zu sein. Ein perfekter Navigator also“ „Aber Captain, er--?!“ „Ich gehe also richtig in der Annahme du WEIßT, wer der CAPTAIN ist?“ sein Tonfall wurde plötzlich scharf und herrisch, dass selbst die Mädchen leicht zusammenzuckten und der Mann neben ihm verstummte mit einem Mal. Für einen Moment war sein Blick nicht anders zu beschreiben gewesen als furchteinflößend, doch nur eine Sekunde später war wieder ein Grinsen auf seinen Lippen und er sah mich an „Das ist also ein Angebot, Seemann! Werde Navigator auf der Nightingale“ Kapitel 2: Rum und Frauen ------------------------- Ich war wie erstarrt. Hielt die Luft an, spannte jeden Muskel an. Die Mädchen kicherten, die Männer tranken und wagten es nicht ihrem Protest lauthals Luft zu machen. Captain Fiddick grinste mich an. Dieser sorgenfreie, faszinierend sonderbare Mann grinste Jemanden wie mich an und machte ihm ein solches Angebot. Absolut alles an dieser Situation überforderte mich. Für einen Moment vergaß ich, dass ich ohnehin nicht antworten konnte. Doch selbst wenn meine Stimme bei voller Gesundheit gewesen wäre, mir wäre kein Wort über die Lippen gekommen. „Hey, mach mal halblang Süßer“ Agnes brach die Stille, als sie plötzlich direkt neben mir stand „BigMom wird es sicher nicht gefallen, wenn du ihr ihre Schätze abwirbst, Fiddick“ Sie war die Erste die ihn nicht einfach ‚Captain’ nannte, zudem war sie die Älteste und Vernünftigste der Mädchen, was wohl auch Grund dafür war dass der Freibeuter sich tatsächlich etwas ertappt zu fühlen schien. „Haha, sag ihr das bloß nicht. Sie reißt mir die Eier ab und stopft sie mir in den Hals“ Fiddick begann wieder laut zu lachen und leerte seinen Rum in einem Zug. Seine Männer schienen deutlich erleichtert und die Stille war auch bereits vorbeigegangen. Es wurde wieder lauter und geschäftiger im Raum. Das Thema schien genauso schnell erledigt zu sein, wie es aufgekommen war. „Mehr Rum!“ befahl er als sein leeres Glas auf die Tischplatte krachte und ich war beinahe glücklich, dass dieser sonderbare Augenblick vorbeigegangen war und ich meiner Arbeit nachgehen konnte. Richtig, ein Scherz. Er konnte das Angebot unmöglich ernst gemeint haben. Ich gehörte jetzt hierher, zum lachenden Hahn, zu BigMom und den Mädchen. Das hier war mein Zuhause, nicht mehr die See. Viel später am Abend Die Kneipe war berstend gefüllt. Nicht nur Seefahrer, sondern auch einfach Handwerker und Hafenarbeiter hatten ihren Weg nach der Arbeit hierher gefunden. Es war laut und stickig. Es wurden unheimliche Mengen an Alkohol getrunken und vergleichbare Masse an Tabak verbraucht. Ich hatte längst aufgehört zu zählen wie viele der Mädchen bereits mit einem Begleiter an der Bar vorbei ins Obergeschoss gegangen waren, jedes Mal mit dezentem Nicken in meine Richtung, dass alles in Ordnung war. Es war nicht einfach gleichzeitig die Kneipe im Auge zu behalten und darauf zu achten dass es oben in den Zimmern keine Zwischenfälle gab. Deswegen war es wenig verwunderlich dass es mir leicht fiel die Sache am Anfang des Abends in einen hinteren Teil meines Kopfes zu verdrängen. Das hier war meine Aufgabe, hier wurde ich gebraucht. Immer wieder lies ich meinen Blick über den Raum streifen, tauschte Blicke mit den Mädchen um von ihnen Signale zu bekommen ob sie mich brauchten oder nicht. Es war normal dass ich zwei drei Mal an den Tischen stand und für Ruhe sorgte. Bei der Menge stark betrunkener Männer war es nicht selten dass einer sich nicht an die Regeln hielt. Denn obwohl das hier ein Bordell war und es jederzeit erlaubt war sich von einer Dame mit in die Zimmer nehmen zu lassen, gab es sehr strenge Regeln die BigMom mir immer wieder eingebläut hatte. Nichts war erlaubt, was die Mädchen nicht gestatteten. Das war die oberste Regel, die ich zu kontrollieren hatte, deswegen der ständige Blickkontakt mit ihnen. Solange sie mir ein Nicken oder ein Lächeln gaben, war alles in Ordnung. Wenn aber Jemand sie anfasste ohne dazu eingeladen zu sein, oder versuchte sie zu verführen sich außerhalb des Ladens zu treffen ohne für die Dienste bezahlen zu wollen war es meine Aufgabe dies zu unterbinden. Ebenso wenn es zum Streit zwischen zwei Männern kam die das gleiche Mädchen haben wollten oder die Trunkenheit zu groß wurde um sich aufrecht zu halten. Auch wenn es einige Zeit gedauert hatte, ehe ich mich an die Umgangsformen im Bordell gewöhnt hatte verrichtete ich meine Arbeit verantwortungsvoll und gut. Auch bei den Mädchen stieg die Trunkenheit mit jeder Stunde und sie dankten mir nicht selten mit Küssen auf die Wange und dezentem Streicheln über den Arm. Diese Gesten waren nach wie vor ungewohnt für mich, doch ich begann mich langsam daran zu gewöhnen. Trotz aller Arbeit und aller Aufmerksamkeit die von mir abverlangt wurde, blieb mein Blick auch immer wieder an Jemand Anderem kleben: Captain Fiddick. Er hatte viel Rum getrunken, ebenso wie seine Crew. Zwei der Männer waren vor einer Weile mit zwei Frauen nach oben verschwunden, doch er saß nach wie vor an seinem Tisch, trank und lachte und erzählte großspurig ausgeschmückt von seinen Raubzügen. Etwas an ihm wollte mich nicht loslassen und immer wieder sah ich in seine Richtung. Die Frauen zu beiden Seiten bezirzten ihn mit Allem was sie zu bieten hatten, berührten ihn ununterbrochen an den Armen oder Oberschenkeln, zwirbelten den Zopf in seinem Bart zwischen den Fingern und zupften an seinen Kleidern. An vielen Tischen war es umgekehrt, die Männer versuchten überall die Gunst der Frauen zu erlangen, doch der Freibeuter tat nichts weiter als dort zu sitzen und die Aufmerksamkeit der Frauen selbst zu genießen. Der Gedanke an die Freibeuter ging mir nicht aus dem Kopf. Was für ein Schiff sie wohl segelten? Sicherlich würde es deutlich größer sein als mein alter Einmaster und sicherlich war Fiddicks Crew deutlich größer als nur diese 4 Männer. Ich sehnte mich nach dem Meer, nirgendwo sonst fühlte ich mich mehr zu Hause als auf einem Schiff mit dem offenen Himmel über dem Kopf und der launischen See unter den Holzplanken. Die stickige Luft am Hafen war mir schon lange zuwider und seit der Rat der Magier keine Aufträge mehr schickte war mein Leben nicht nur arm sondern auch sehr trist geworden. Wenn es nun Tatsächlich eine Möglichkeit gab wieder auf einem Schiff arbeiten zu dürfen? Ein weiteres Mal in dieser Nacht wurde ich dabei ertappt in Gedanken versunken in Richtung der Freibeuter zu sehen, der Captain selbst bemerkte meinen Blick. Ich wendete mich ab als sei mein Blick nur zufällig an diesem Tisch gewesen so wie ich es schon zuvor mehrmals getan hatte. Ich musste mich auf meine Arbeit konzentrieren und nicht auf meine Sehnsucht zur See. Spät in der Nacht als die meisten Betrunkenen sich bereits wieder auf die Straßen und den Heimweg geschleppt hatten und auch viele Mädchen bereits aus den Zimmern zurückgekehrt waren, sah ich aus den Augenwinkeln wie Fiddick mit Fenra und Valira aufstand. Er schwankte deutlich vom Alkohol jedoch nicht schlimm genug dass ich eingreifen musste. Außerdem brauchte es nicht einmal einen Blickkontakt zu den Mädchen um zu verstehen, dass sie ihr Vorhaben erreicht hatten und ihn keinesfalls gehen lassen wollten. Kein Grund für mich irgendwie einzugreifen oder ihnen meine Aufmerksamkeit zu widmen. Ich versuchte den Blick bewusst abzuwenden. Natürlich wusste ich was in den Zimmern geschah und es war zwar selten aber nicht ungewöhnlich dass ein Mann gleich zwei Begleiterinnen mit sich nahm. Dennoch war es diesmal irgendwie anders. Ich wollte nicht darüber nachdenken und nichts davon wissen. Es war alles in Ordnung, etwas Anderes hatte mich immerhin nicht zu interessieren. „Hey, Fährmann“ Ich hielt für einen Moment die Luft an, als die rauchige tiefe Stimme an mein Ohr drang. Fiddick war neben der Bar stehen geblieben, mit beiden Armen auf seine Begleiterinnen gestützt, die betrunken lachten und kicherten. Er grinste breit und zeigte mit einem Finger auf die Treppe die nach oben führte „Kommst du mit?“ Ich öffnete den Mund vor Verwirrung. Mitkommen? Ich? Nach oben in die Zimmer? „Hihi vergiss es Captain~ Wir haben den Süßen schon oft bezirzt“ kicherte Valira zu seiner Rechten „Ja und er hat uns jedes Mal versetzt, dabei sind wir alle ganz wild auf ihn“ stimmte Fenra zu seiner Linken zu und zog ein schmollendes Gesicht „Nichtmal zu Agnes wollte er ins Zimmer. Der Süße ist einfach schüchtern“ „Aye, ich verstehe“ Fiddick grinste, löste sich für einen Moment von den Mädchen und stütze sich auf die Bar, als er ins wanken geriet. Er senkte die Stimme und sah mich durchdringend an „Kommst du mit, wenn ich die Mädels hier unten lasse?“ Ich sah ihn verwirrt an und verstand nicht sofort was er andeutete. Er und Ich? Sein breites Grinsen und sein eisernen Blick zeigten eindeutig, dass er nicht scherzte, eher im Gegenteil. Er meinte dieses Angebot offenbar ernst. Umso mehr war ich überfordert und wusste kaum wie ich mit der Situation umgehen sollte. Mir wollte so plötzlich nicht einmal die Idee kommen einfach mit dem Kopf zu schütteln, vielleicht wäre die Sache damit bereits erledigt gewesen. „H-Hey, du willst uns doch nicht etwa alleine lassen?“ sagte Valira empört aber auch deutlich amüsiert „Komm schon Captain, wir haben sooo lange gewartet. Du siehst doch dass er nicht will“ „Hehe, so eine Schande“ grinste Fiddick, legte die Arme um Ihre Hüfte und gab Fenra einen Klaps auf den Hintern was sie gleich wieder zum Kichern veranlasste „Das nächste Mal“ Beide Mädchen lachten und schienen deutlich erfreut über die Idee mich tatsächlich mitzunehmen. Alle drei schwankten die Treppen hinauf und ehe sie ganz aus meinem Blickfeld verschwunden waren, warf der Freibeuter mir einen weiteren kurzen Blick zu. Ich starrte ihnen hinterher, selbst als sie bereits um die Ecke verschwunden waren. Es war nicht das erste Mal, dass die Mädchen mich zu solchen Dingen einluden. Doch das hier, das war etwas ganz anderes. Das hier war merkwürdig gewesen. Ich seufzte schwer und sah auf die dunkle Holzplatte vor mir. Was für ein sonderbarer Tag heute war. Vierzehn Jahre lang hatte es kaum Jemanden gegeben, der wirklich mit mir gesprochen hatte und heute grenzte es an ein Wunder, wie viele Menschen das Wort an mich richteten. Ich war immer nur Mittel zum Zweck gewesen seit mein Vater fort war. Im Leben des Fährmanns hatte es nie große Probleme gegeben denn Kommunikation war nie Teil meiner Aufgaben. Schwere körperliche Arbeit waren kein Problem für mich ebenso wenig mein Schiff sicher zu segeln und Wetter und Gezeiten zu lesen. Die einzigen Menschen, die direkten Kontakt zu mir hatten waren Ratsmagier, deren Hofstaat und die Händler, bei denen ich Waren ablieferte oder einlud und alle schätzten es sehr wenn sie nichts weiter als ein Nicken vom Fährmann bekamen. Es war wohl richtig zu sagen, dass ich den Umgang mit Menschen verlernt hatte und nun davon überfordert war. Ich hatte kein Gefühl dafür welches Verhalten ‚normal’ war, welche Antworten man gab oder was man in einem Gespräch vom Gegenüber erwartete. Ich fühlte mich zurückversetzt in die Zeit, in der mein Vater versucht hatte andere Jungen aus der Gegend mit mir bekannt zu machen. Ich war überfordert mit anderen Menschen, überfordert mit sozialen Umgangsformen. Natürlich hatte ich damals keine Freunde gefunden, genauso wie später als ich älter war. Selbst jetzt war ich noch ein Kind in solchen Dingen. Die Nacht war nahezu vorbei. Der lachende Hahn war wie leergefegt und nur der schwere Geruch von Alkohol, Tabak und Schweiß zeugte von vielen Gästen. Die letzten Betrunkenen wurden mit einem Lächeln der Mädchen zur Tür gebracht und jedes Mal kam ein leichter Luftzug frischer Meerluft herein die aber ebenso schnell und erbarmungslos von der Kneipe verschluckt wurde. Ich hatte bereits einen Eimer Seifenwasser neben mir stehen um die Unmengen an gebrauchten Gläsern zu reinigen und einige Mädchen waren unterwegs in das nächste Badehaus um sich zu waschen und die Kleider zu wechseln. Ich fühlte mich erschöpft und ausgelaugt und war beinahe erleichtert das leise Klicken zu hören als Agnes den Türschlüssel herumdrehte um das Etablissement endgültig für den Tag zu schließen. „Ertragreiche Nacht“ sagte sie gut gelaunt und setzte sich mir gegenüber an die Bar um nach einem Handtuch zu greifen „Ein Glück für uns, dass Fiddicks Freibeuter im Hafen sind. Sie steigern unsere Einnahmen enorm. BigMom wird sich freuen“ Um ihre Aussage zu unterstreichen griff sie mit einer Hand zwischen ihre Brüste und zog einen Stapel Geldscheine hervor, wedelte sie einen Moment lang amüsiert in der Luft um sie dann wieder verschwinden zu lassen „Und es kam zu keiner Schlägerei. Das haben wir wohl dir zu verdanken Süßer!“ Ich lächelte, schüttelte dann aber bescheiden den Kopf. In dieser Nacht hatte es tatsächlich keine wirklich ernsthafte Auseinandersetzung gegeben, doch ich bezweifelte dass es an meiner Anwesenheit gelegen hätte. Agnes fing an die sauberen Gläser mit dem Handtuch trocken zu wischen und sie ineinander zu stapeln bis ich ihr leicht an den Arm tippte um ihre Aufmerksamkeit wieder zu bekommen. „Was ist denn?“ fragte sie gleich und sah in mein unsicheres Gesicht. Ich hob die Hand und wies in Richtung der Treppe, die zu den Zimmern führte. Als sie nicht verstand nickte ich kurz zu dem Tisch an dem die Freibeuter gesessen hatten. Valira, Fenra und der Captain waren nicht aus ihrem Zimmer zurückgekommen. Agnes folgte meinen Gesten und verstand, begann gleich etwas zu kichern „Sie sind noch oben, nicht wahr? Die Glücklichen“ Ich schaute etwas verwirrt. Konnten wir denn das Haus einfach so schließen, wenn noch ein Gast da war? Und überhaupt musste es mehrere Stunden hergewesen sein, seit sie nach oben gegangen waren „Mach dir keine Sorgen BigBoy, da oben ist alles in Ordnung. Fiddick ist ein sehr... ausdauernder Mann und Valira und Fenra werden sicherlich erschöpft sein und eine Weile Ruhe brauchen, sobald sie fertig sind“ Sie schmunzelte, vermutlich auch weil sie sah dass meine Gesichtsfarbe sich ein klein wenig verändert hatte. Natürlich tauchten unweigerlich Bilder in meinem Kopf auf. Bilder, die vielleicht nicht im Geringsten der Wahrheit entsprachen, die jedoch völlig genügten um mir ein unbehagliches Gefühl zu geben. „Ist dir das peinlich? Du bist so süß! Lass ihn einfach zur Hintertür raus wenn er runterkommt“ Ich nickte stumm. Sie hatte Recht, es war mir peinlich, mehr noch unangenehm. Obwohl solche Gefühle in einem Bordell sicherlich fehl am Platz waren. Es würde noch eine Weile dauern, bis ich mich daran gewöhnt hatte. So sehr ich mir auch gewünscht hätte dieses neue ‚Wissen’ über den Captain zu vermeiden, so trug es doch maßgeblich zu meiner Meinung über ihn bei. Ehrlich gesagt war das keine sonderlich Hohe, denn seine Erscheinung und sein Verhalten entsprach genau der eines Mannes, mit dem man möglichst wenig zu tun haben wollte. Er war ungepflegt, roch nach Alkohol und Tabak und hatte keinerlei Anstand um nicht alles auszusprechen was ihm auf der Zunge lag. Seine Interessen schienen sich ebenso nur auf Gold, Rum, Tabak und Frauen zu beschränken und es war kein Wunder dass er Freibeuter war, denn einen solchen Mann würde niemand freiwillig für sich arbeiten lassen. Er schien sein leben genauso zu leben wie es ihm beliebte, völlig frei von Gesetz und Anstand. Er verkörperte alles, was ich nie gewesen war. Und trotz allem konnte ich meine Neugier nicht von ihm ablenken. Nur eine kurze Weile später ging die Sonne auf und tauchte den Hafen in orange-rotes Licht und die Stille der Nacht war vorüber. Schon früh liefen die ersten Handelsschiffe in den Hafen ein, man hörte Glocken läuten, Quartiermeister ihre Befehle blaffen und das ständige Klirren und Ächzen von Bootstegen und beladenen Holzkisten und Fässern. Agnes hatte alle Fenster geöffnet bevor sie gegangen war, um die Nachtluft endlich aus dem Raum zu lassen und die leichte salzige Brise tat gut in den Lungen. Ich war nun allein in der Kneipe, räumte die Stühle auf die Tische und beseitigte Allen Dreck, der sich die Nacht über angesammelt hatte. Die Müdigkeit hing mir zunehmend in den Knochen, doch ich wusste dass BigMom mich tadeln würde, wenn die Arbeit nicht gänzlich erledigt war. Dennoch blieb ich einen Moment am Fenster stehen und sah hinaus zum Hafen. Ein großer Schoner mit Drei Masten lag an den Docks und ich fragte mich, ob es das Schiff der Freibeuter war. Ich atmete tief ein und schloss für einen Moment die Augen. Zwischen all dem Lärm der Hafenarbeiter hörte ich die Möwen und die Wellen, die leicht an die Bucht klatschten. Ein Geräusch was mich sehnsüchtig stimmte. Ja, ich vermisste die See, die Luft, sogar das Unwetter und die Gefahr an Deck. Immer wieder versuchte ich mir einzureden, dass mein Leben nun hier weitergehen würde. Doch die See war mein zu Hause. „Fährmann, hahaaaa“ Ich zuckte erschrocken zusammen und drehte mich um. Ich hatte für einen Moment vergessen, dass da noch dieser Gast war. Fiddick stand plötzlich am unteren Ende der Treppe und grinste zufrieden „Du bist noch da, was ein Glück“ Bei aller Befremdlichkeit und allem Unwissen meinerseits, konnte selbst ich dem Mann deutlich ansehen wie seine Nacht verlaufen war. Sein Hemd stand offen und gab den Blick frei auf einen tattoowierten, muskulösen Oberkörper. Sein Haar war noch zerzauster als zuvor und das Kopftuch sowie sein Dreispitz waren vermutlich im Eifer der Nacht irgendwo liegengelassen worden. Außerdem waren da deutliche Abdrücke von Lippenstiften an Hals und Brust und er schien sich nicht im Geringsten darum zu kümmern dass sein Auftreten auch den letzten Funken Respekt ihm gegenüber zunichte machte. Ein merkwürdiger Mann. „Kann nicht verstehen, wie du dir diese Nacht hast entgehen lassen, ha!“ grunzte er vergnügt und ging ein paar unsichere Schritte auf mich zu „Glaub mir, diese Mädels!“ Er hob beide Finger als wolle er mir einen wichtigen Rat erteilen „Die würden auch einen stummen Mann wieder zum schreien bringen“ Er prustete lauthals los, fand seinen eigenen Witz wohl wahnsinnig geistreich. Ich seufzte etwas und verdrängte den Gedanken daran was wohl geschehen wäre, wäre ich wirklich mitgekommen. Anstatt ihn irgendeines Kommentars zu würdigen ging ich an ihm vorbei zur Hintertür und zeigte ihm damit deutlich an dass es Zeit war zu gehen. Ihn schien das allerdings wenig zu beeindrucken, er kam wieder auf mich zu und blieb so nah vor mir stehen, dass ich seinen alkoholisierten Atem riechen konnte. „Ich mag dich, du bist verrückt“ hauchte er mir seine Worte entgegen und ich rümpfte leicht die Nase „Du wirst ein verdammt guter Navigator werden, das kann ich riechen!!“ Der Mann tippte sich an die Nase und zog die Luft geräuschvoll ein, als könne er tatsächlich irgendetwas Besonderes an mir riechen. Etwas genervt verdrehte ich die Augen. Ich hatte nicht erwartet dass dieses Thema tatsächlich noch mal hochkommen würde, doch was konnte man einem betrunkenen Mann schon glauben? Er musste gehen, ich war müde und erschöpft und musste über einiges Nachdenken, da konnte ich keinen gedankenlosen Freibeuter in meiner Nähe gebrauchen. Mit einer auffordernden Geste öffnete ich die Tür, durch die gleich so grelles Tageslicht in den Raum flutete, dass Fiddick sich die Hand vor die Augen halten musste. Zu meinem Glück verstand er die Aufforderung, grinste jedoch nach wie vor „Ich WILL dich, Fährmann. Auf der Nightingale. Sie ankert hier mindestens eine Woche, oder so lange sie muss bis ich dich abgeholt habe“ Ich sah ihn an, zeigte jedoch keinerlei Reaktion auf das erneute Angebot „Also guut, jaja gut gut“ Er hob beschwichtigend die Hände, wohl um keinen Streit heraufzubeschwören. Er sah mich durchdringend an, genauso wie er es getan hatte bevor er mit den Mädchen auf ihr Zimmer gegangen war. Und wieder hatte ich das Gefühl er könne mich vollkommen durchschauen, als wüsste er genau was ich dachte und könne mich lesen wie ein offenes Buch „Ich gehe, zumindest für heute. Aber wir sehen uns wieder, schon bald. Das ist ein Versprechen, aye?“ Verstohlen zwinkerte er mir zu und klopfte mir mit der Hand auf die Schulter, ehe er durch die Tür hinaus in die frische Morgenluft schritt. Ich sah ihm hinter und war mir beinahe sicher, dass er sich noch mal umdrehen und noch etwas sagen würde, doch diesmal ließ meine Ahnung mich im Stich. Ich konnte nur seinen Rücken anstarren, wie er sich immer weiter entfernte und schließlich um eine Ecke verschwand. Dieser Mann verunsicherte mich, noch nie war Jemandem wie Ihm begegnet. Er wirkte so unbekümmert von der Welt, völlig frei von jeder Sorge, frei von allem was Andere sagten. Er war egoistisch und überheblich, doch irgendwie hatte er auch die Fähigkeit diese Eigenschaften als etwas Positives für sich sprechen zu lassen. Denn er traf seine eigenen ungefärbten Entscheidungen, die er über alles hinwegzusetzen schien. Wie sonst konnte er sich einfach entscheiden einen fremden Mann, über den er nichts wusste außer dass er einen schlechten Ruf hatte, eine Stelle auf seinem Schiff anzubieten? Dachte er nie über Konsequenzen nach? Hatte er überhaupt darüber nachgedacht? Ich konnte ihn nicht verstehen und vielleicht war genau das der Grund wieso er mich faszinierte. ‚Navigator’ ich formte das Wort stumm mit den Lippen. Ich stand noch immer im Türrahmen und sah in den Himmel hinauf der langsam aber sicher eine hellblaue klare Farbe annahm ‚Navigator der Nightingale’ Kapitel 3: eine Woche --------------------- Mehrere Tage vergingen und Fiddick behielt Recht, wir sahen uns wieder. Jeden Tag um genau zu sein, denn es gab keine Nacht in der die Freibeuter nicht im lachenden Hahn zu finden waren. Natürlich hatte auch Agnes Recht damit gehabt, dass BigMom bester Laune war, nachdem sie erfahren hatte dass die Männer eine ganze Woche im Hafen vor Anker liegen würden. Sie hatte wieder ihren Platz hinter der Bar eingenommen, bestand bei so regem Besuch jedoch darauf, dass ich zum Schutz der Mädchen ein Auge auf die Gäste hatte. Es wurde schnell der Hauptbestandteil meiner Arbeit nachts in der Kneipe zu stehen. Ich gewöhnte mich schnell daran Tagsüber zu schlafen um Nachts bei voller Konzentration und Kraft zu sein, denn immer häufiger gab es ernsthafte Schlägereien. Sicherlich lag es daran dass die Freibeuter einen deutlich exzessiveren Alkoholkonsum hatten als die restliche Kundschaft und eine sehr lockere Zunge. Nicht selten konnte ich beobachten dass sogar mit Entermessern und Pistolen gedroht wurde, doch ehe ich dazwischen gehen konnte schien der meiste Konflikt vergessen und eben die gleichen Männer tranken und sangen wieder miteinander und klopften sich gegenseitig kameradschaftlich auf die Schultern. Es herrschte ein sehr rauer Umgangston zwischen den Männern, den ich unterscheiden lernen musste. Wann war es ernst, wann nur ein Spaß unter Kameraden? Die wirklichen Probleme aber entstanden nicht unter Fiddicks Crew, sondern im Konflikt mit den anderen Männern, Hafenarbeitern hauptsächlich. Es brauchte keine gute Beobachtungsgabe um zu sehen dass niemand die Freibeuter sonderlich leiden konnte. Das war nicht verwunderlich, denn sie waren laut, unverschämt, tranken den Alkohol weg und beschlagnahmten die Mädchen. Sicherlich ging es außerhalb der Kneipen nicht anders zu und es gab nur wenig Verständnis dafür, dass es so etwas wie eine offizielle Erlaubnis zur Piraterie überhaupt gab. Schon am Zweiten Tag nach Ankunft der Nightingale eskalierte ein Streit zum ersten Mal. Ein Hafenmeister den ich als Bran kannte lies ungeschmückt seine Meinung über die Freibeuter verlauten. Er beschimpfte sie als dreckiges Pack wilder Hunde und wünschte ihnen den Galgen an den Hals und er bekam nicht wenig Zustimmung. Ich beobachtete die Szene aufmerksam und konnte nahezu spüren wie dick und geladen die Luft wurde. Natürlich war es mit dieser einen Beleidigung nicht getan, im Gegenteil. Bran war sehr genau im kundtun seiner Meinung und erklärte ausführlich wie sehr Männer wie diese die See verpesteten und die Häfen ausbeuteten. Es war einer der jüngsten Männer der Crew, der die Beherrschung verlor. Ich sag den Stahl in seiner Hand blitzen noch bevor ich seine Beleidigungen vernahm und stand schneller zwischen den Tischen als BigMom mir einen auffordernden Wink hatte geben können. „Kümmert mich einen Scheißdreck wer ihr seid. Ich lasse mich nicht so beleidigen!“ schrie der Freibeuter mit gezogener Klinge und warf Bran einen wilden Blick zu. „Hah! So etwas wie Ehre oder Stolz steht euch nicht, Junge. Jede Ziege ist mehr wert als zwanzig dreckiger Piraten“ entgegnete der Hafenmeister und spuckte einen dicken Klumpen Schleim vor sich auf den Tisch. Beide waren von ihren Stühlen gesprungen und immer mehr Männer standen auf um ihren Sympathisanten zu unterstützen. Die Stimmung kippte, denn der Streit wurde so laut, dass jeder Andere im Raum still wurde. Auf einer Seite des Raumes sammelten sich die Freibeuter, einige lachten herzhaft über den Konflikt, andere fühlten sich ähnlich beleidigt wie ihr junger Kamerad. Immer mehr Waffen kamen in mein Sichtfeld, hauptsächlich von Seiten der Crew, doch dann sah ich auch gegenüber Stahl blitzen. Mit angespannten Muskeln und angehaltenem Atem stand ich zwischen den beiden Gruppen, hob bestimmt beide Hände und versuchte meinen Blick so scharf wie möglich in beide Richtungen zu lenken „Sieh an, der Herr Fährmann“ zischte Bran verachtend „Eilst dem Pack zur Hilfe, ja?! Ich konnte dich noch nie leiden, stummer Bastard. Du bist nicht besser als die!“ Ich richtete meinen Blick zu Bran. Es war nicht das erste Mal dass man mich beleidigte, bei weitem nicht. Ich hatte mir schon vor langem eine harte Schale zugelegt und war jetzt heilfroh darüber. In dem Moment weiß ich nicht recht wieso, doch tatsächlich drehte ich mich zu ihm um und lies die Freibeuter in meinem Rücken. Aus irgendeinem Grund glaubte ich vor ihnen weniger zu befürchten zu haben, obwohl sie deutlich schwerer bewaffnet waren. Ich baute mich vor dem Hafenmeister auf, zu meinem Glück war er fast einen Kopf kleiner als ich und ich konnte so auf ihn herabsehen, dass es mir leichter fiel einen überlegenen Eindruck zu erwirken. Ich hob die Hand, richtete den Finger auf ihn und wies dann zur Tür. Eine deutliche Geste für ihn zu verschwinden, doch er rührte sich nicht. „Du hast mir überhaupt nichts zu befehlen, Bastard“ zischte er wütend und erwiderte meinen Blick ebenso eisern. Und da geschah es. Aus dem Augenwinkel sah ich eine Bewegung und verdankte es einzig meinen guten Reflexen, dass das Messer die Luft durchschnitt anstatt meinen Oberschenkel. Der bewaffnete Hafenarbeiter stolperte ins Leere, fing sich aber einen Schritt weiter wieder und setzte erneut zum Angriff an. Links oben. Mit einem schnellen Schritt zur Seite wich ich aus, doch es war so knapp dass ich hören konnte wie die Klinge dicht an meinem Ohr durch die Luft sauste. In der Bewegung riss ich den linken Ellenbogen in die Höhe und traf den Mann am Rücken was diesen abermals dazu brachte dass er um sein Gleichgewicht kämpfen musste. „Du dreckiger...“ Der Mann knurrte mich aus aufeinander gepressten Zähnen an. Er ballte sie Hand um sein Messer so sehr zur Faust dass die Knöchel weiß hervortraten und ich sah mehr als temporären Zorn in seinem Blick. Dieser Mann schien zu denen zu gehören, die schon immer eine starke Abneigung mir gegenüber hatten und er sah wohl eine passende Gelegenheit mir eins auszuwischen. Wieder kam er auf mich zu, lies dabei einen kurzen Schrei erklingen. Wieder setzte ich an einfach auszuweichen, doch er war schlauer geworden. Kurz vor mir war es nicht seine Messerhand, die er hochriss, sondern die Linke. Mit der vollen Wucht der Bewegung boxte er die Faust in meine Rippen. Der Schlag trieb die Luft aus meinen Lungen und meine Bewegung wurde für einen kurzen Moment schwerfällig, sodass es ihm gelang einen weiteren Treffer zu landen. Ein langer schnitt teilte die Haut an meiner linken Schulter und Blut quoll hervor. Der Schnitt war nicht tief, erfüllte aber seinen Zweck, denn ich hörte wie um mich herum Lachen laut wurde. „Der Fährmann kann also doch bluten“ lachte Jemand irgendwo neben mir „Zeig es dem Bastard“ „Geschieht ihm recht dafür, dass er Piraten verteidigt“ ‚Ich verteidige Niemanden’ dachte ich im Stillen und biss die Zähne zusammen. Dennoch konnte ich nicht leugnen, dass es danach aussah. Tatsächlich waren es die Freibeuter, die auf meiner Seite zu stehen schienen, denn erst jetzt bemerkte ich, dass nicht wenige von ihnen mich anfeuerten. Mein Gegner lies mir jedoch keine Zeit um mehr als einen kurzen Gedanken daran zu verschwenden. Ich hörte eines der Mädchen schreien, als ich erneut mit dem Messer angegriffen wurde. Jemand versuchte von der Seite meinen Arm zu packen, doch ich sah ihn früher als er mich erwischen konnte, packte ihn und zog ihn aus der Menge bis er das Gleichgewicht verlor und krachend auf dem Holzboden neben mir landete. Da sah ich wieder den Stahl vor meinen Augen blitzen und entkam nur knapp. Ich hatte nie vorgehabt meinerseits anzugreifen, doch der Mann lies mir keine Wahl. Ich erwischte sein Handgelenk und zog ihn an mich heran um ihm den linken Handballen von unten gegen das Kinn krachen zu lassen. Der Schlag hatte gesessen und ich hörte ein unschönes Knacken in seinem Kiefer. Er fiel zurück und ging zu Boden. Ein lautes Jubeln kam von Seiten der Freibeuter und es wäre gelogen zu sagen dass ich nicht ein wenig stolz darauf war zwei Gegner zu Boden gebracht zu haben. „Das REICHT“ BigMoms laute durchdringende Stimme schallte durch den Raum und alles verstummte „RAUS aus meinem Haus!“ Bran wollte widersprechen, doch er kam gar nicht dazu „Und dich will ich vor nächster Woche nicht mehr hier sehen, Hab ich mich klar ausgedrückt??“ BigMom war wütend, sehr viel wütender als ich sie zuvor erlebt hatte und sie war eine Frau mit der sich niemand anlegen wollte. „RAUS! ALLE!“ Ein schmerzverzerrtes Ächzen kam von dem Mann am Boden. Ich sah zu ihm herab und sah wie Blut aus seinem Mund und der Nase tropfte. Ich vermutete dass er sich auf die Zunge gebissen hatte bei meinem Schlag, doch vielleicht hatte ich ihn sogar wirklich ernsthaft verletzt. So oder so brannte sein Blick vor Wut und mir wurde klar, dass wir uns ohne Zweifel nicht zum letzten Mal begegnet waren. Für den Moment aber war die Gefahr vorbei. Die meisten der Männer knurrten und beklagten sich, doch keiner wagte es BigMom die Stirn zu bieten. Sicherlich auch zum großen Teil deswegen weil sie fürchteten ein Hausverbot zu bekommen, die schlimmste Strafe für einen gelangweilten Mann am Hafen. Ich gab mir die größte Mühe keinem eine Chance zu geben etwas anderes zu denken als dass ich nach wie vor die Oberhand hatte und lies den Angreifer so lange nicht aus den Augen, bis auch er sich aufgerappelt hatte und aus der Tür verschwunden war. Die Freibeuter gingen zuletzt und waren merkwürdig guter Laune. Sie schienen zufrieden damit, einen unterhaltsamen Kampf gesehen zu haben. Einige klopften mir sogar im vorbeigehen auf die Schulter oder grinsten mich an. „Nicht übel“ Eine bekannte Stimme drang an mein Ohr und ich musste nicht einmal hinsehen um das breite Grinsen ihres Besitzers zu erahnen „Wirklich gar nicht übel“ Einen Moment später war die Kneipe leer. Nur BigMom, die Mädchen und Ich waren zurückgeblieben. „Alles in Ordnung? Tut es sehr weh?“ Fragte Valira aufgeregt und deutlich eingeschüchtert. Auch die anderen Mädchen standen um mich herum und sahen mich besorgt an. Es war ein ungewohntes Gefühl, dass sich überhaupt Jemand um mich sorgte. Ich schüttelte den Kopf und legte ein sanftes Lächeln auf und sah wie ein allgemeines erleichtertes Seufzen durch die Mädchen ging. „Agnes, verbind seinen Arm. Ihr anderen verschwindet auf eure Zimmer“ BigMom war noch immer wütend und scheuchte die Mädchen fort, sah dann mich mit ernster Miene an „Du bist hier um so was zu VERHINDERN, nicht um es zu verursachen, Bursche“ Ich öffnete den Mund um mich zu verteidigen. Wollte sagen, dass ich genau das versucht hatte und dass es nicht meine Schuld sein konnte dass ich angegriffen wurde. Doch ich sah in ihrem Blick, dass sie ohnehin kein Wort davon akzeptiert hätte und so atmete ich nur geräuschvoll aus und nickte. „Wenn so etwas noch mal vorkommt, suche ich mir Jemand anderen für den Job“ Das war der letzte Satz den sie ausspie ehe auch sie den Raum verlies und die Tür hinter sich ins Schloss fallen lies. Natürlich kam es nicht noch einmal vor, zumindest nicht solange ich in der Kneipe meinen Dienst tat. Ich nahm es mir sehr zu Herzen mich auf Niemandes Seite zu schlagen und schritt in den folgenden Tagen immer schon ein, bevor irgendjemand ein Messer ziehen konnte. Weder Bran noch der Mann mit dem Messer den man mir später als Tuck vorstellte ließen sich noch mal blicken und auch den jungen Freibeuter konnte ich nicht mehr entdecken. Wie erwartet änderte sich die Spannung in der Kneipe jedoch kaum. Ich beobachtete immer mehr, dass sich der Raum sprichwörtlich in zwei Lager geteilt hatte, auf einer Seite die Einheimischen, auf der Anderen die Freibeuter. Jeder der den Raum betrat war dazu gezwungen sich für eine Seite zu entscheiden und das hatte sich natürlich schnell im ganzen Hafenviertel herumgesprochen. BigMom passte diese Situation gar nicht doch selbst sie konnte nichts daran ändern, nur für Ruhe und Ordnung sorgen. Ich für meinen Teil war der Meinung dass es sogar besser so war. Wenn sich die Gruppen von alleine isolierten herrschte zwar eine unangenehme Luft, aber auch so etwas wie eine unsichtbare Wand zwischen ihnen, die weitere Konflikte vermied. Dennoch waren alle angespannt, besonders die Mädchen. Es begann ein wortloser Wettstreit zwischen den Männern, wer die meisten oder gar die beliebtesten Mädchen für sich gewinnen konnte und an jedem Morgen klagten sie darüber wie sehr sich das auch auf ihr Verhalten in den Zimmern niederschlug. Abermals stellte ich fest dass die Freibeuter mit der Situation völlig anders umgingen als alle Anderen. Mir war schnell klar, dass sie es ähnlich wie ich schlichtweg gewohnt waren abgegrenzt und mit misstrauischem Auge beobachtet zu werden und sie hatten sich damit arrangiert. Sie waren ausgelassen, scharfzüngig und gut gelaunt wie zu Beginn auch und scherzten auch Tage nach dem Vorfall noch über den triumphalen Gewinn von der Faust über das Messer. Ich konnte nicht vermeiden, dass Einige von ihnen mir näher kamen. Beispielsweise Russel, ein ungehaltener Mann mit brauner ledriger Haut und langen verfilzten Dreadlocks verpasste keine Gelegenheit mir im Vorbeigehen auf die Schulter oder den Arm zu klopfen und etwas wie „mit dir legt der sich nicht mehr an“ zu sagen. Der strohblonde Firo war einer der Jüngsten und erzählte denen, die nicht dabei gewesen waren immer wieder was passiert war. Natürlich übertrieb er dabei und schmückte die Auseinandersetzung bei jedem Mal weiter aus, sodass es sich selbst in meinen Ohren wie eine epische Jahrhundertschlacht anhörte. Als drittes war da ein Mann, der deutlich älter war als die meisten der Crew und aus irgendeinem Grund von allen nur ‚Qualle’ genannt wurde. Er bot mir immer wieder an mir den tatsächlichen Umgang mit Schwert und Messer beizubringen, weil er Talent in mir sah. Ich verstand all den Aufruhr nicht, hatte ich doch kaum etwas getan. Der Kampf hatte kaum länger als zwei Minuten gedauert und um ehrlich zu sein war ich überzeugt davon dass ich nicht mehr als Gewinner dastehen würde, wäre er nicht unterbrochen worden. Dennoch widersprach ich nicht, denn mir war klar dass es nicht darum ging was wirklich passiert war. Es ging viel mehr darum eine interessante und erzählenswerte Geschichte daraus zu machen, von der es sich lohnte zu erzählen. Erstaunlicherweise hörte ich kaum ein Wort darüber aus dem Mund, aus dem ich es erwartet hätte. Der Captain der Crew schmunzelte zwar jedes Mal wenn das Thema erneut aufkam, mischte sich aber nie ein. „Bursche, komm her“ BigMoms Stimme war es die meinen Blickkontakt mit Fiddick an diesem Abend unterbrach. Etwas ertappt sah ich zu ihr und erkannte deutlich in ihrem Blick wie wenig begeistert sie davon war dass ich mich immer mehr zu den Freibeutern hingezogen fühlte. Ich gehorchte und kam zu ihr hinter die Bar wo sie mich mit ernstem Blick strafte „Sie mögen geschätzte Kunden sein, aber halt dich besser fern“ erklärte sie mit einer Stimme, die ich mir immer bei einer tadelnden Mutter vorgestellt hatte „Fiddick liegt mir ständig in den Ohren dass er dich mir abwerben will, von so einem Unsinn will ich gar nichts hören, verstanden?“ Ich war überrascht. Hatte der Mann tatsächlich bei BigMom selbst so etwas verlauten lassen? Und das sogar mehr als nur einmal? Mein Blick schien deutlich genug überrascht zu sein, dass ihre Miene sanfter wurde und sie leicht seufzte „Schau mich nicht an wie ein ahnungsloses Kind. Wie alt bist du? Dreißig? Sicherlich noch jünger. Piraten sind nicht das Richtige für dich und ich sage das nicht nur, weil ich dich hier bei meinen Ladys brauche. Dieser Mann..“ sie machte eine kurze Pause und sah in seine Richtung „Dieser Mann ist ein Menschenmagnet, jeder verfällt ihm früher oder später, kein Wunder also dass du da nicht anders bist als die Mädchen. Ich taue ihm keinen Meter über den Weg, also lass dich nicht von ihm um den Finger wickeln“ Ich war etwas unschlüssig wie ich auf diese Warnung reagieren sollte. Schnell tippte ich mir selbst auf die Brust und schüttelte den Kopf, doch schon im nächsten Moment war ich mir nicht mehr so sicher. Ich wendete den Blick abermals zu den Freibeutern und bekam abermals ein siegessicheres Schmunzeln zur Antwort. Ich war nicht wie die Mädchen, ich spürte kein Bedürfnis mich irgendwie auf diese Weise an ihn heranzumachen oder gar mit auf ein Zimmer zu nehmen. Dennoch konnte ich nicht abstreiten, dass ich der Crew und ihm mit jedem Tag ein Stück näher kam und dass ich ihnen Gegenüber immer nachlässiger wurde, obwohl sie stets schwer bewaffnet waren. Sogar einige ihrer Namen hatten sich in meinem Kopf gehalten, obwohl ich sie zum Teil nur ein einziges Mal gesehen hatte. Vielleicht hatte sie Recht, vielleicht hatte ich mich bereits um den Finger wickeln lassen ohne es selbst zu bemerken. „Geh nach oben und zieh dich um, ich habe heute eine Andere Aufgabe für dich“ abermals unterbrach BigMom meine Gedanken „Du wirst nicht mehr in der Bar arbeiten, solange die Crew im Hafen ist, es gibt einige Botengänge, die du für mich tun kannst. Ich kümmere mich alleine um alle anderen Angelegenheiten“ Ich sah zu ihr auf und ich sah einen Blick, den ich sehr gut kannte. Es war ein Blick, der Gehorsam verlangte und keine Widerrede duldete. Und zum ersten Mal seit einer längeren Zeit fühlte ich mich unwohl dort wo ich war. Sofort senkte ich den Kopf und nickte um mich gleich darauf abzuwenden und dem Befehl nachzukommen, so wie ich es 14 Jahre lang getan hatte. Als ich die Treppe nach oben ging, wurde mir noch etwas Anderes klar. Ich war enttäuscht darüber nicht mehr in der Bar arbeiten zu dürfen. Es war ein Gefühl was ich kaum kannte, denn wenn man immer ohne eine Wahl gelebt hatte, hatte man keine Zeit Ansprüche zu stellen oder gar Enttäuschung zu erleben. Damit würde mein Kontakt zu den Freibeutern wohl zu Ende gehen, denn wo wenn nicht hier würde ich ihnen begegnen? In nicht mal ganz drei Tagen war die angekündigte Woche vorüber und sie würden wieder in See stechen, bis dahin hatte BigMom sicherlich mehr als genug Arbeit für mich um mich von den Männern fern zu halten. Vielleicht war es gut so dass sie diese Entscheidung für mich getroffen hatte. Vielleicht war es zu gefährlich nach all den Jahren eine Entscheidung mir selbst zu überlassen. In der Mitte der Treppe blieb ich kurz stehen und sah noch einmal zu dem Tisch, an dem die Freibeuter nun jede Nacht gesessen hatten. Noch immer war der Blick des Captains auf mich gerichtet. Ich erwiderte seinen Blick und hob kaum merklich die Hand zu einer Abschiedsgeste. Der Moment ging schnell vorbei und ehe ich mich wieder abwendete konnte ich sehen wie das ständige Grinsen in seinem Gesicht plötzlich erlosch. Kapitel 4: auf Messers Schneide ------------------------------- Ich erinnere mich sehr schlecht an die Zeit bevor ich Fährmann war. Ich weiß, dass ich oft alleine war, weil Vaters Aufträge nicht selten mehrere Tage andauerten. Immer wenn ein solcher Auftrag kam zählte ich die Tage, Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge bis er zurück kam mit einem Beutel Münzen und einem müdem Gesicht. An unserem letzten gemeinsamen Tag auf See hatte ich sogar versucht die Stunden zu zählen und zu beobachten wie sich der Stand der Sonne am Himmel stetig änderte. Als ich auf der Liege lag in diesem unnatürlich weißem Raum hatte ich selbst die Sekunden gezählt, unendliche Sekunden voller Schmerz, ehe die Magie vorbei war. Danach verlor Zeit jegliche Bedeutung für mich. Ich tat meine Arbeit völlig ungeachtet der Tageszeit oder der Dauer. Manchmal kamen mir Tage wie Wochen vor, manchmal Wochen wie Tage. Sah ich die rot-orangen Farben der Sonne, die zur Hälfte im Meer verschwand wusste ich kaum ob sie unter- oder aufging. Es spielte schlichtweg keine bedeutende Rolle. Jetzt aber erinnerte ich mich sehr deutlich daran, wie es war Zeit zu zählen. Drei Tage waren eine sehr kurze Zeit gemessen an den Abläufen, die ich über Jahre gewohnt war. BigMom hatte nicht gelogen, sie hatte tatsächlich einige Botengänge, die ich für sie erledigen musste. Überwiegend waren es Briefe, aber auch Wein und Bierfässer die ich quer durch die Stadt bringen musste. Sicherlich konnte man sich dabei nicht über Langeweile beklagen, denn es war körperlich anstrengende Arbeit. Dennoch hatte sich eine innere Unruhe in mir breit gemacht, die mich immer wieder dazu veranlasste in den Himmel zu sehen und den Stand der Sonne zu beobachten. Noch zwei Tage. Die Freibeuter sah ich nicht mehr. Die meisten der Botengänge beschränkten sich auf Stadtviertel die weit entfernt vom Hafen waren und es gab keinen Zweifel daran dass das kein Zufall war. BigMom wollte mich fernhalten von den Männern, vom Hafen und von der See und war ziemlich erfolgreich damit. Manchmal wenn ich zum Bordell zurückkehrte sah ich die Masten des Schiffes über die Häuser ragen die ich für die Nightingale hielt. Jedes Mal war ich erleichtert sie immer noch dort ankern zu sehen, doch jedes Mal erinnerte ich mich daran dass es nichts daran änderte, dass sie bald verschwunden sein würde. Ich hatte aufgehört darüber nachzudenken, ob dieses Schiff eine Chance auf Freiheit oder eine weitere Fessel gewesen wäre, wenn ich es tatsächlich betreten hätte. So oder so träumte ich jede Nacht von der See. Von Gewittern und Wellen, flatternden Fahnen und geblähten Segeln, kaltem Holz unter meinen Füßen und salziger Luft in meinen Lungen. Ich träumte von echter Freiheit. Noch ein Tag. Es war ein Brief an den Hafenmeister, den ich an diesem Tag ausliefern sollte. Natürlich hatte man mir nicht gesagt was darin stand, aber dass er wichtig war und mir fiel auf, dass der Umschlag ungewöhnlich dick und deutlich schwerer war als gewöhnlich. Ich hatte kein Problem damit große Geldsummen zu transportieren, hatte ich doch für den Rat sogar noch deutlich wertvollere Fracht überbracht. Den Brief jedoch zu dem Mann zu bringen, der Anfang der Woche für einen solchen Trubel in der Bar verantwortlich gewesen war und ganz sicher nicht gut auf mich zu sprechen, das war etwas Anderes. Es war der einzige Auftrag im Hafenviertel und BigMom hatte deutlich betont dass sie ihn mir nicht gerne gab und dass ich vorsichtig sein sollte. Natürlich war es unmöglich die Hafenwerft zu erreichen und zu durchqueren ohne gesehen zu werden. Die Halle war riesig und ziemlich dunkel, obwohl es helllichter Tag war. Zur See hin fehlte die vierte Wand und ein Großteil des dunklen Holzbodens war auf dicken Holzstämmen im Wasser gebaut. Eine Fregatte, die gut 1/3 der Halle einnahm lag am Pier und war von zwei Seiten von einem Gerüst umgeben. Bei genauerem Hinsehen war einer der Masten geborsten, das Geländer an mehreren Stellen zersplittert und selbst im Rumpf erkannte ich mehrere klaffende Löcher. Das Schiff war beeindruckend, doch sehr in Mitleidenschaft gezogen und ich fragte mich aus welcher Schlacht es wohl gekommen war um so auszusehen. Es schmerzte mich ein so schönes Schiff in diesem Zustand zu sehen. Ein gutes dutzend Handwerker war an Deck und auf dem Gerüst darum um die Schäden zu reparieren und es herrschte eine geschäftige Lautstärke von Werkzeugen und Rufen. Einen Moment lang vergaß ich sogar meine Vorsicht, so sehr faszinierte mich eine solche Schiffswerkstatt. Ohne Zweifel war meine Neigung zur See meine größte Schwäche, denn es fiel mir schwer überhaupt den Blick abzuwenden und den Hafenmeister zu suchen. Ich kam an einigen Männern vorbei, die zwar ihre Stimme nicht erhoben, mich aber mit argwöhnischen bis feindseligen Blicken bedachten. Ein unwohles Gefühl breitete sich in mir aus, doch ich zwang mich zur Ruhe. Wenn ich nur aufmerksam genug war und mir keine Blöße geben würde, würde schon nichts passieren. Manche Arbeiter begannen zu flüstern sobald ich weit genug entfernt war um sie verstehen zu können, Andere ignorierten meine Ankunft und konzentrierten sich zunehmend auf ihre Arbeit um gar nicht erst mit mir oder einem möglichen Konflikt zu tun zu haben. Auch Bran sah mich lange bevor ich ihn erreicht hatte. Er stand oben auf dem Gerüst neben der Fregatte um den Arbeitern Befehle entgegen zu blaffen und war bei stetig schlechter Laune. „Tzz, was willst du?“ zischte er abfällig als ich vor dem Gerüst zum stehen kam „Du hast Nerven hier aufzutauchen“ Ich sah zu ihm hoch ohne einen Anschein von Angst oder Ärger zu zeigen, denn ich hatte lange gelernt dass es als Bote immer besser war seine Arbeit neutral und gleichgültig zu verrichten. Als ich den Umschlag mit BigMoms Kennzeichen darauf aus der Tasche zog, verflog zumindest ein Teil von Brans Wut „Na endlich, das wurde Zeit!“ entgegnete er deutlich besser gelaunt als noch einen Moment zuvor. Er stieg das Gerüst herab und nahm den Brief entgegen, öffnete ihn sofort und zählte die Geldscheine darin, ohne sie aus dem Umschlag zu nehmen. Ich konnte nicht sehen wie viel es war, doch an seiner Miene alleine erkannte ich dass es kaum wenig sein konnte. Meine Gedanken formten unmittelbar die Frage, wofür das Geld wohl war. Schmiergeld? Bestechung? Oder einfach nur die Pacht des Bordells? Ich verstand kaum etwas von solchen Dingen. Es war ohne Zweifel wichtig und da ich wusste dass das Verhältnis zwischen Bran und BigMom nicht das Beste war konnte ich von vornherein ausschließen dass es sich um etwas anderes als eine Notwendigkeit handelte. „Was stehst du immer noch da? Verschwinde!“ sein Tonfall hatte sich gleich wieder in ein unfreundliches Grummeln verwandelt und er machte eine abweisende Handbewegung in meine Richtung „Na los! Und sag BigMom das nächste Mal schickt sie gefällig eines der Mädchen. Oder wie auch immer du kommunizierst“ Ich nickte gehorsam und wendete mich ab. Es wäre eine Lüge zu behaupten dass ich nicht froh war diesen Ort schnell wieder verlassen zu können, ganz gleich wie sehr er mich faszinierte. Trotzdem zwang ich mich meinen Schritt nicht unnötig zu beschleunigen und die stechenden Blicke in meinem Nacken zu ignorieren. Es war zuvor nie nötig gewesen sich in große Menschenmassen zu begeben geschweige denn eine der Werften zu betreten von denen ich wusste dass Niemand darin gut auf mich zu sprechen war. Abermals wurde mir klar wieso ich stets die Hauptstraßen mied und lieber so wenig wie möglich Menschen um mich hatte. Der Fährmann war ein Einzelgänger und jeder wusste das. Ein erleichtertes Gefühl überkam mich nachdem ich das Tor des Gebäudes hinter mir gelassen hatte und um die nächste Ecke gebogen war. Liebend gerne hätte ich mehr Zeit in der Werft alleine verbracht und die Schiffe und Handwerker bei ihrer Arbeit beobachtet, doch die Reaktionen die ich mit meiner Anwesenheit dort verursachte waren mir so unangenehm dass selbst dieser Wunsch dagegen blass war. Weit genug entfernt um wieder für mich alleine zu sein blieb ich einen Moment stehen und atmete durch. Diese Blicke die man mir zuwarf, das Geflüster, die Feindseeligkeit, es waren Dinge an die ich mich nie gänzlich gewöhnen würde. Wieso nur war es dort so anders als im Bordell? Und wieso waren diese Männer so vollkommen anders als die Freibeuter? „Hey hey nicht so schnell“ Ich erstarrte und drehte mich nicht einmal um zu dem Mann der die Stimme erhoben hatte. Dass Tuck mich für den Schlag gegen seinen Kiefer nicht einfach davonkommen lies hatte ich erwartet. Doch dass er gleich drei weitere Männer bei sich hatte, die mir nun alle Fluchtwege abschnitten war eine Überraschung. Ich war mir sicher sie waren entweder eben noch in der Werft gewesen oder von Jemandem dort informiert worden dass ich hier war. „Ich glaube du schuldest mir eine Entschuldigung, Bastard“ „Hey, der ist doch völlig unbewaffnet. Wenn du ihn abstechen willst, kannst du das doch locker alleine“, sagte einer der Männer, der vor mir den Weg blockierte. Er musterte mich argwöhnisch und hatte wohl beschlossen dass ich absolut kein Gegner für sie war. „Ihr sollt auch verdammt noch mal nur dafür Sorgen, dass er nicht wegrennen kann“ zischte Tuck verärgert und ich hörte wie er ein Messer aus der Metallenen Scheide zog. Erst jetzt drehte ich mich zu ihm um und sah ihn ausdruckslos an. Sein Gesicht schien merkwürdig geschwollen und ich sah dass sein Unterkiefer deutlich blau-grün angelaufen war und das obwohl die Verletzung mehrere Tage alt war. Vielleicht hatte ich ihn härter erwischt als Anfangs gedacht. „Dein herablassender Blick macht mich noch viel wütender!“ knurrte er gleich „Glaubst du, du bist was Besseres als ich? Du dreckiger Bastard, diesmal wird weder Mama noch das Piratenpack dich retten kommen“ Ich atmete geräuschvoll aus und sah mich für einen kurzen Moment um. Er hatte Recht, wir standen in einer ruhigen Gasse, zu einer Seite eine Mauer die zumindest zu hoch war um sie einfach so zu erklimmen, auf der Anderen Seite eine alte ungenutzte Scheune. An beiden Seiten des Weges standen er und seine Männer und würden einen Teufel tun mich entkommen zu lassen. Ich wurde nervös, zwang mich aber äußerlich zur Ruhe und analysierte meine Chancen wie sie waren. Über die drei anderen Männer wusste ich nichts, außer dass ich zwei von ihnen schon mal in der Bar gesehen hatte, doch Tuck war definitiv kein erfahrener Kämpfer. Seine Bewegungen waren zu plump und zu leicht zu durchschauen und er gehörte zu der Sorte Mensch, die mehr Kraft in der Stimme als in den Beinen haben. Den Punkt hatte ich ihm also definitiv voraus. „Hör auf mich so anzustarren!! Gott, ich schneid dir dein scheiß Gesicht vom Fleisch“ Er griff genauso an wie beim ersten Mal. Frontal, ohne Geschick und ohne wirklich darüber nachzudenken. Er verwendete viel zu viel Kraft darauf geradeaus zu stürmen, dass er in der Lage gewesen wäre schnell genug die Richtung zu wechseln. Mit Leichtigkeit wich ich ihm aus und lies ihn erst einmal ins Leere laufen. Natürlich machte ihn das noch wütender und zumindest stolperte er nicht, sondern bremste nur um sich schnell wieder zu mir umzudrehen. Wieder griff er an, wieder genauso wie beim ersten Mal. Doch etwas hatte sich geändert und das war ein wichtiger Punkt. Denn diesmal hatte Ich keinen Grund mehr um nicht zurückzuschlagen. Noch bevor er ganz bei mir war machte ich einen schnellen Schritt auf ihn zu, griff nach dem Handgelenk seiner Messerhand und drehte ihm so den Rücken so, dass ich ihn mit einem kräftigen Ruck rücklings über die Schulter werfen konnte, sodass er klatschend und mit einem erschrockenem Ächzen auf dem Erdboden landete. Er begann zu husten und ihm entging nicht, dass selbst seine Begleiter sich ein Schmunzeln nicht verkneifen konnten. „Haltet die Schnauze!!“ kläffte Tuck wütend und rappelte sich auf „Los, auf ihn!!“ Nun wurde es schwieriger, mehrere Gegner. Dem Ersten konnte ich knapp ausweichen und ihm ein Bein stellen, der zweite zückte jedoch ein weiteres Messer und erwischte mich am Oberschenkel. Reflexartig wich ich einen Schritt zurück und fand mich mit dem Rücken an der Wand wieder, eine schlechte Position für einen Kampf. Zu meinem Glück war Tuck dumm genug seinen nächsten Angriff mit einem wütenden Schrei anzukündigen und so konnte ich ein Treffer in seinen Magen landen, kassierte damit jedoch einen weiteren Schnitt mit dem Messer, welcher nur knapp neben der alten Verletzung am Oberarm traf. Schmerzend sog ich die Luft zwischen den Zähnen ein, die Situation wurde zunehmend schlechter für mich. Alle vier waren keine erfahrenen Kämpfer, doch ich war es ebenso wenig. Einem von ihnen war ich in Geschick und Kraft überlegen, aber allen zusammen hatte ich kaum etwas entgegenzusetzen. Ein dumpfer Schlag mit dem Handballen traf einen der Männer gegen die Brust und ich konnte ein paar Meter zwischen uns bringen als er rückwärts stolperte. Gerade wollte ich dem Mann hinterher und ihn ausschalten, da wurde ich am Arm gepackt und herumgerissen. Eine Faust landete in meinem Gesicht und ich spürte wie meine Lippe aufriss, ich unsanft auf dem Boden aufschlug und ächzte als es mir die Luft aus den Lungen trieb. „Jetzt willst du sicher um Hilfe schreien, was?“ Tuck lachte überlegen, obwohl ihm selbst wieder Blut aus der Nase lief „Versuchs doch, na los! Schrei“ etwas schwerfällig stemmte ich mich nach oben und konnte den Schuh kaum bremsen, der mir gegen die Brust trat und mich erneut in den Dreck schickte. Der Schmerz schwappte durch meinen Körper wie eine Welle und ich musste nach Luft schnappen. Wortlos wischte ich mir das Blut vom Mund und starrte meine Gegner an. Alle vier standen da, als haben sie kaum etwas abbekommen und mir war schnell klar dass ich auf absolut verlorenem Posten kämpfte. „Du willst nicht schreien, was? Ein Jammer. Ich hatte gehofft dass ich dich zum Jammern bringen kann bevor ich dich dahin schicke wo du hingehörst“ Tuck drehte das Messer in seiner Hand so zur Sonne, dass es gefährlich aufblitzte. Selbst ein Erbsenhirn wie er hatte verstanden dass er gewonnen hatte und das nach kaum mehr als ein paar Minuten. Er grinste triumphierend und spuckte vor mich auf den Boden „Willst nicht mal dein Maul aufmachen für ein paar letzte Worte? Arrogant bis zur letzten Sekunde“ Sollte das etwa tatsächlich mein Ende sein? Der Mann den niemand kennen wollte abgestochen in einer stillen Gasse, ohne dass jemals jemand danach fragen würde was passiert war. Das war ein Ende was wohl gut zu mir passen würde. Ich sah nach vorn an den Angreifern vorbei, über die Häuser hinweg. Dort waren sie immer noch, die Masten der Nightingale, ruhig und anmutig in der salzigen Seeluft. Meine Arme wurden gepackt und man riss mich auf die Füße, zwei der Männer hatten mich in eisernem Griff aus dem es kein Entkommen gab. Tuck stand immer noch vor mir und sagte irgendetwas davon, wie recht es mir geschehe unbemerkt zu sterben und wie gut er sich dabei fühlte, doch ich hörte ihm nicht einmal mehr zu. Ich sah nur weiterhin an ihm vorbei in Richtung des Hafens. Zur Nightingale, zu den Freibeutern, zu Captain Fiddick. Wie wäre es wohl gewesen mit ihnen zu reisen? In diesem Augenblick knallte ein ohrenbetäubender Schuss und eine Wolke roten Sprühnebels färbte mein Sichtfeld. Meine Augen weiteten sich und selbst die beiden Männer die mich festhielten waren wie zu Stein erstarrt. Die Zeit schien für einen Moment still zu stehen und keiner realisierte was passiert war. Tuck war tot noch bevor sein Körper auf dem Boden aufschlagen konnte. Ein sauberer Kopfschuss. Ein zweiter Schuss fiel und der zweite Mann verlor sein Leben noch während sein Blick auf seinen toten Kameraden geheftet war. Der feste Griff, der mich bis eben noch gehalten hatte war plötzlich verschwunden, doch nicht vor Schreck wie ich einen Moment später feststellen musste. Sondern weil beiden übrigen Männern Pistolen an den Kopf gehalten wurden. „Ich kann es überhaupt nicht leiden, wenn man meine Crew bedroht“ Hörte ich eine bekannte Stimme sagen und als ich mich endlich genug gefasst hatte nach oben zu schauen, sah ich den Captain oben auf der Mauer stehen, eine Steinschlosspistole in der Hand und einen wütenden Blick in den Augen „Wenn ihr nicht euer Erbsenhirn im Dreck verteilen wollt wie eure Freunde hier, dann lasst ihr besser eure Drecksfinger von meinen Männern“ Keiner sagte ein Wort und es war plötzlich so still, dass ich nicht sicher war was als nächstes passieren würde. Beinahe rechnete ich damit zwei weitere Schüsse zu hören und zwei weitere Körper, die am Boden aufschlugen, doch es geschah nicht. „Habt ihr das verstanden, aye?“ Fiddicks Stimme wurde laut und hallte so von den Wänden wieder, dass auch ich zusammenzuckte. Ich kannte diesen Mann nur gut gelaunt in Gesellschaft von Frauen und Alkohol, es war ein erschreckender und gleichzeitig beeindruckender Anblick ihn so herrisch zu erleben. „J-Jawohl!!“ stotterte einer der Männer „Bitte... lass uns am Leben!“ „Ich kann es übrigens auch nicht leiden, wenn Jemand fleht wie ein kleines Mädchen“ entgegnete Fiddick und zögerte keine Sekunde die Pistole zu zücken und dem Mann eine Kugel ins Bein zu schießen. Dieser schrie auf vor Schmerz und knickte ein. Ich wusste kaum wie mir geschah oder was das alles zu bedeuten hatte. Ich lehnte mich nur an die Mauer um mich auf den Beinen zu halten und sah zu den beiden Toten am Boden. Das Blut in meinen Adern war eiskalt geworden und ich mir wurde übel. Sicher hatten sie mich töten wollen, doch auf das hier war ich nicht vorbereitet gewesen. Mit einem Satz sprang Fiddick von der Mauer und landete neben mir, er gab seinen Männern ein Nicken und sie ließen die Waffen sinken „Kommt Captain Fiddick nie wieder unter die Augen, sonst nehme ich mir für jedes dreckige Wort aus eurem Mund einen Finger!“ knurrte er befehlerisch und zeigte mit dem Finger auf die beiden Schläger „Und jetzt VERSCHWINDET“ Die Männer zuckten, nickten eingeschüchtert und waren schneller verschwunden, als ich ihnen zugetraut hätte. „Tzz. Warum durfte ich sie nicht einfach abknallen?“ erst jetzt erkannte ich einen den Freibeuter als Russel und den Anderen als einen Mann Namens Morgan. „Weil sie für mich die Nachricht verbreiten, dass der Fährmann unter meinem Schutz steht“, entgegnete Fiddick und trat triumphierend mit der Ferse auf den Hinterkopf des toten Tuck „Wenn du ihnen noch mal irgendwo begegnest erschieß sie, wenn du willst“ Damit gab Russel sich zufrieden, nickte und reichte mir die Hand „Noch alle Arme und Beine dran?“ Ich sah ihn an, sah das Grinsen was sich auf seine Lippen gelegt hatte als sei nichts weiter passiert. Unsicher nickte ich und sah wieder zu den Körpern. Dieser Anblick war so absurd für mich, so unwirklich. Sicherlich wusste ich was Freibeuter taten wenn ihnen Jemand im Weg stand oder sie bedrohte. Doch ich hatte nie einen Menschen vor meinen Augen sterben sehen und es war nicht so einfach zu verdauen wie ich es mir immer vorgestellt hatte. „Huh? Dein erster Toter, wie? Ach, du gewöhnst dich dran, keine Sorge“ Russel klopfte mir auf die Schulter und für ihn war das Thema damit wohl erledigt „Lass uns zurück zur Nightingale Captain. Ich hab keine Lust mich mit der Stadtwache rumzuschlagen, wenn sie hier auftauchen“ Fiddick trat erneut gegen den Kopf des Toten, sah dann wieder auf und nickte „Aye, zurück zur Lady. Und du kommst mit mir, diesmal akzeptiere ich kein Nein“ Ehe ich mich versah umfasste er mein Handgelenk und zog mich hinter sich her. Weg von der Gasse und den Toten, weg vom Bordell und BigMom. Er nahm mich einfach mit sich und ich verschwendete nicht einmal einen Gedanken daran mich dagegen zu wehren. Kapitel 5: Seeluft ------------------ Ich sollte Recht behalten. Tatsächlich gehörten die Masten, die ich die ganze Woche über angestarrt hatte zur Nightingale. Sie war ein schönes Schiff, alt und robust, aber gleichzeitig elegant und für meine Augen unvergleichbar beeindruckend. Sie war größer als sie aus der Ferne den Anschein gemacht hatte, beinahe zu groß wie das beschädigte Schiff was ich in der Werft gesehen hatte. Drei Masten mit dunkelgrauen Segeln, dunkelblaue und schwarze geschwungene Verziehrungen entlang des Rumpfs, mindestens ein dutzend Kanonen auf jeder Seite und am Heck des Schiffes stand in großen Lettern ‚Nightingale’ „Darf ich euch bekannt machen? Meine FirstLady, die Nightingale“ Fiddicks Worte waren fast überflüssig, denn ich war schon völlig in ihren Bann gezogen. Völlig von selbst blieb ich am Pier stehen und bewunderte dieses schöne Schiff, für einen Moment vergaß ich sogar welche Szene sich kurz zuvor ereignet hatte, vergaß den Schmerz von den Schnittwunden und die Übelkeit in meinem Magen. Wie sie wohl aussah, wenn sie segelte? Ich versuchte es mir vorzustellen, wie ihre Segel sich im Wind bewegten, wie sie sich stark und unbeugsam einem Gewitter stellte und die Wellen gegen die Planken schwappten. Schon als kleiner Junge hatte ich immer den Wunsch gehabt auf einem solchen Schiff zu segeln. „Sie gefällt dir, was?“ Fiddicks Stimme riss mich aus der Faszination und ich sah wie seine gute und unbeschwerte Laune zurückgekehrt war. Ich hatte nicht bemerkt dass er direkt vor mir stand und meinen Blick beobachtete und jetzt fühlte ich mich ertappt „Du lernst sie besser kennen, wenn du erst mit mir segelst“ Ich erwiderte seinen Blick und schämte mich ein wenig dafür abwesend wie ein kleines Kind gestarrt zu haben. Es fiel mir deutlich schwerer den Kopf zu schütteln als sonst. Ich wäre liebend gerne mit einem so schönen Schiff gesegelt, aber ich konnte unmöglich ein Freibeuter werden. Mein Platz war hier. Fiddick ging auf mein Kopfschütteln gar nicht ein, er grinste nur und zog mich weiter am Handgelenk hinter sich her „Komm schon Fährmann. Wir flicken dich erstmal zusammen“ Als wir über die Planke an Deck stiegen wurde mir zum ersten Mal bewusst wie fremd das Festland mir doch immer gewesen war. Sofort bekam ich ein Gefühl von Heimat und Zugehörigkeit. Den größten Teil meines Lebens hatte ich an Deck meines Einmasters verbracht und mich nur dort gänzlich wohl gefühlt. Ähnlich war es hier, obwohl das Schiff und dessen Besatzung mir fremd war. „Captain, Wo warst du so lange? Larry und Barry haben sich mal wieder fast die Köpfe eingeschlagen“, ein schwarzhaariger Mann begann zu lachen und deutete in Richtung eines Jungen, dem man deutlich ansah dass er aus einer Schlägerei kam, die er offenkundig verloren hatte „Hey, wer ist das?“ „Unser neuer Navigator“, grinste Fiddick und lies endlich mein Handgelenk los um mir kameradschaftlich auf die Schulter zu klopfen „Zumindest sobald er das endlich auch so sieht“ Der Mann betrachtete mich durchdringend und hob eine Augenbraue „Wenn du das sagst, Captain. Aber wirf ihn nicht am Ende wieder über Bord wie den alten Jim“. Beide lachten und aus irgendeinem Grund beschloss ich lieber nicht wissen zu wollen was genau mit dem alten Navigator passiert war. Ich erinnerte mich dass Fiddick bei unserer ersten Begegnung bereits etwas davon gesagt hatte er sei ‚schwimmen gegangen’ und mir war klar dass jedes Schiff und jeder Captain seine eigenen Regeln hatte. Doch über den Grund wollte ich lieber gar nichts wissen. „Wo ist Firo? Ruf ihn her, unser Freund hier hat etwas zu unachtsam mit der Hafenmafia gespielt“ fragte Fiddick und es dauerte keine fünf Minuten ehe der blonde Junge aus dem Unterdeck gelaufen kam, in der Hand einen kleinen Koffer aus dickem Leder. Ich hatte nicht gewusst dass er offenbar so was wie ein Schiffsarzt war, doch da ich ihn bereits kennen gelernt hatte fiel es mir deutlich leichter ihn mich verarzten zu lassen als einen völlig Fremden. Der Schnitt an meinem Oberschenkel ging tiefer als gedacht und musste mit drei Stichen zusammengenäht werden, doch ansonsten plagte mich viel mehr der Schrecken wie nah ich vor dem Tod gestanden hatte als eine ernsthafte Verletzung. Immer mehr Crewmitglieder wurden auf mich aufmerksam und musterten mich mit verschiedenen Blicken. Man spürte lange keine so tiefe Feindseeligkeiten unter ihnen wie bei den Männern am Hafen, es war mehr Neugier und ein wenig Misstrauen, was im anbetracht der Umstände wohl völlig verständlich war. Keiner außer Firo sagte etwas zu mir solange ihr Captain bei mir stand, es war nicht zu übersehen dass sie ihn und sein Urteil mehr als alles andere respektierten. Ich fragte mich wieso, denn er war deutlich jünger als einige seiner Crewmitglieder und wirkte zumindest nach außen hin wie ein ganz normaler Seemann, der offen gestanden nicht einmal den Eindruck machte als habe er mehr Erfahrung als alle Anderen. Wie viele Male zuvor erwischte ich mich dabei ihn anzusehen. Was war es, was diesen Mann so besonders machte? Selbst unter Seinesgleichen stach er heraus und niemand hätte einen Zweifel daran gehabt dass er das Captain dieses Schiffes war. Doch woran das lag konnte ich nicht ausmachen. „Fertig“, sagte Firo nach einer Weile als er einen letzten Verband um meinen Unterarm gelegt hatte „Ist es gut so? Ich bin noch nicht so geschickt, fürchte ich. Der eigentliche Schiffsarzt ist noch an Land, ich bin nur sein Schüler“ Schnell nickte ich und senkte leicht den Kopf um mich zu bedanken. Es war mir ein Rätsel wieso sie mir überhaupt halfen. Einen wildfremden stummen Mann vor dem Messer zu retten und zu versorgen, nur weil ihr Captain es schlichtweg so beschlossen hatte. Sie mussten seinem Urteil wirklich blind vertrauen und das beeindruckte mich zunehmend. Ich stand auf und bewegte meinen Arm ein wenig, doch tatsächlich lag der Verband gut. Der Schmerz in meinem Schenkel zog mir etwas durchs Bein, doch es war nichts mit dem ich nicht zurechtkommen konnte. Erneut sah ich zu Firo und nickte, auch er schien zufrieden mit seiner Arbeit. Dann wendete ich mich ab und stellte mich für einen Moment an die Reling. Ich schloss die Augen und genoss die frische Briese, die gerade vom Meer her über das Deck zog. Selbst die Übelkeit in meinem Magen hatte sich weitgehend gelegt, obwohl ich das Bild der erschossenen Männer kaum aus meinen Gedanken verdrängen konnte. Ich ahnte dass es mich noch eine Weile begleiten würde, aber mir war auch klar dass Ich an ihrer Stelle gestorben wäre, wäre Fiddick nicht gekommen. Selbst bei all den Dingen, die mir widerfahren waren, selbst nachdem ich meiner Stimme beraubt wurde und so viele Jahre nichts weiter als ein Diener des Rats gewesen war. Selbst nach einem Leben ohne je eine Wahl gehabt zu haben, war ich nicht bereit zu sterben. Ich hatte Angst vor dem Tod wie jeder Andere. „Macht die Lady bereit! Morgen legen wir ab, bis dahin will ich dass ihr alle Vorräte aufgefüllt und alle Reparaturen abgeschlossen habt. Sorgt dafür dass wir keinen von euch Landratten im lachenden Hahn vergessen!“ „Aye, Captain!“ Es wurde lauter und geschäftiger an Deck. Jeder schien genau zu wissen, was seine Aufgabe war und aus allen Richtungen kamen Jubel und Erleichterung darüber, dass sie endlich wieder ablegen würden. Firo lächelte mich an und lief zurück unter Deck, selbst Russel und Morgan waren wieder irgendwo in der Masse verschwunden. Ich verstand sie gut, es waren Männer der See genau wie ich und sie fühlten sich unwohl zu lange an einem Ort zu bleiben. Dennoch fühlte ich mich in diesem Augenblick fehl am Platz, denn ich war der einzige an Bord, der sich nicht vom Fleck bewegte. „Du musst dich nicht schämen“ lachte Fiddick plötzlich neben mir und ich fragte mich abermals wie er mein Gesicht hatte lesen können „Du bist mein Gast und keiner meiner Crew wird dir vorwerfen dass du nicht arbeitest“ Er stützte sich mit beiden Armen auf die Reling neben mir und grinste „Also? Jetzt bist du hier, obwohl du dich die ganze Woche so gesträubt hast. Ist es denn so schlimm bei uns?“ Ich schüttelte leicht den Kopf. Im Gegenteil, ich fühlte mich wohl auf dem Schiff, vielleicht sogar mehr als im Bordell bei den Mädchen. Obwohl ich Niemanden hier an Bord wirklich kannte, vertraute ich ihnen mehr als jedem Mann am Hafen und ich war mir sicher nach einiger Zeit würde ich mich in ihrer Gegenwart wohl fühlen. In seiner Gegenwart. Wortlos drehte ich mich zu ihm und verbeugte mich. Ich wusste nicht ob er die Geste verstehen würde, doch es war momentan das Wichtigste was ich zu tun hatte. Ich musste ihm danken. Dafür, dass er mich vor dem Tod bewahrt hatte und dafür, dass ich ihm und seinen Männern begegnet war. Menschen, die mir nicht mit Argwohn und Ablehnung entgegentraten und die mich nicht verurteilt hatten aufgrund meiner Erscheinung und meines Rufs. Dafür, dass sie mich als Person gesehen hatten und nicht als den ‚Fährmann’. Selbst wenn sich unsere Wege morgen trennten, war ich ihnen dankbar für diese Erfahrung. „Hey hey, wow. Ich konnte diese Kerle sowieso nicht leiden, du musst dich nicht bedanken. Komm wieder hoch, was sollen denn meine Männer denken?“, entgegnete Fiddick sofort, er schien genau zu wissen was ich dachte und es schien ihm peinlich zu sein, dass ich mich so formell bedankte. Trotzdem schüttelte ich den Kopf und verharrte in der Verbeugung. Ich fühlte mich dazu verpflichtet meinen Dank zu zeigen, denn ich stand tiefer in der Schuld dieses Mannes als ihm vielleicht bewusst war. Plötzlich hob er eine Hand und legte sie mir verständnisvoll auf den Kopf, tätschelte mich wie einen Hund und seufzte leise „Na schön, alles gut, okay? Ich habs gern gemacht. Und wenn du dich wirklich bedanken willst... sagen wir du schuldest mir einen Gefallen, einverstanden?“ Ich sah auf und sah abermals in dieses unbeschwerte lächelnde Gesicht. Dieses fremde Gesicht, was ich wohl nie ganz verstehen würde. Ich biss die Zähne zusammen und nickte. Wie nur konnte dieser Mann so sorgenlos sein? Eine ganze Weile blieben wir hier an Deck stehen. Die meiste Zeit schweigend, doch immer wieder erklärte Fiddick mir die Namen und Aufgaben der Männer, die gerade in unser Sichtfeld kamen. Es waren viele, ich zählte 26 und schätzte dass es nicht mal alle waren. Natürlich konnte ich mir kaum alle Namen merken, doch ich war beeindruckt wie viel ihr Captain über jeden einzelnen Mann wusste. Er erzählte sogar von Einigen, die sie in den letzten Wochen auf See verloren hatten. Vielleicht war das auch ein Grund, weswegen sie ihn so respektierten. Ich sog seine Worte auf wie ein Schwamm und speicherte sie alle so gut ich konnte in meinem Kopf ab, ich wollte mir so viel wie möglich über sie einprägen. Es gefiel mir wie er über seine Mannschaft sprach, weil es mir gefiel dass er sie nicht als Untergebene ansah sondern als Gleichgestellte. Das Wort Familie kam mir in den Sinn, obwohl es für mich nie eine große Bedeutung gehabt hatte. Doch zumindest kam es dem, was ich mir immer unter einer Familie vorgestellt hatte sehr nahe. Das Bild, was ich von Fiddick hatte änderte sich abermals. Der betrunkene Frauenheld wurde wieder zu einer bewundernswerten Figur eines freien Mannes. Jemand, der so anders war als ich und der mir trotzdem schon jetzt näher zu stehen schien als jeder Andere. Und zum ersten Mal kam mir der Gedanke, dass er vielleicht ähnlich von mir dachte. Vielleicht faszinierte ich ihn genauso wie er mich, denn welchen Grund hätte er sonst haben können all das zu tun, was er bisher getan hatte? „Nun mal unter uns. Wie heißt du wirklich? Ich kann mir nicht vorstellen, dass niemand dir einen Namen gegeben hat?“ seine Stimme hatte sich verändert. Sie klang nicht mehr so grob und unhöflich wie sonst. Im Gegenteil konnte man fast schon behaupten er war einfach neugierig und fast ein wenig vorsichtig um keinen wunden Nerv zu treffen. Ich senkte unweigerlich den Blick. Genau wie es beim ersten Mal gewesen war, schämte ich mich auch jetzt ihm keine Antwort geben zu können. Ich kam mir lächerlich vor und leichtsinnig. Er hatte Recht, wie konnte man so etwas wie den eigenen Namen vergessen? Einen ganzen Augenblick lang trat schweigen ein und ich sah nur hinunter auf die leichten Wellen, die gegen die Rumpf der Nightingale schwappten „Hm, da hab ich wohl einen wunden Punkt getroffen. Haha tut mir leid, ich weiß was für ein unsensibler Idiot ich bin“ lenkte Fiddick selbst ein, als er sah wie abwesend ich auf die Frage hin wurde. Dennoch hörte er nicht auf, wechselte nicht das Thema so wie ich es gern gehabt hätte „Und sag mal, was ist mit deiner Stimme? WILLST du nicht sprechen? Oder kannst du nicht?“ Ich schloss die Augen. Niemand hatte mir diese Frage jemals ernsthaft gestellt, es war für alle immer klar gewesen, dass ich stumm war und das Warum hatte nie eine Rolle gespielt. Sogar ich selbst hatte irgendwann aufgehört darüber nachzudenken. Immerhin hatte ich lange Zeit gehabt mich mit meiner Behinderung zu arrangieren, vergaß sogar manchmal dass es etwas Ungewöhnliches war nicht sprechen zu können. Erst seit kurzen kam es mir wieder lästig vor und jetzt wo Fiddick mir tatsächlich diese Frage gestellt hatte, dachte ich daran zurück. Es kam mir vor als sei da wieder dieses Rauschen in meinen Ohren. Irgendwann verblasste jede Erinnerung und reduzierte sich auf nur wenige Dinge. In meinem Fall war es das Rauschen von Hitze, das Spannen von gelähmten Muskeln und das falsche Lächeln der Frau, das mir all die Jahre niemals aus dem Kopf gegangen war. Ich schluckte schwer. Ich erinnerte mich wie trocken mein Hals gewesen war und wie schwerfällig meine Muskeln sich bewegt hatten, nachdem der Zauber vorbei gewesen war. Ich hob die Hand und strich mit den Fingern über meinen Hals, dort wo ihre Finger meine Stimme ausgebrannt hatten. Dann öffnete ich die Augen wieder und sah meinen Gegenüber an, schüttelte kaum merklich den Kopf. Es war nur eine Geste und ein Blick, doch er verstand. „So ist das, huh? Muss eine ziemlich üble Geschichte sein“ Vielleicht irrte ich mich, doch ich sah einen Anflug von Enttäuschung in seinem Blick „Ein Jammer. Ich hatte gehofft deine Stimme doch irgendwann mal zu hören. Ich will wissen wie sie klingt“ Ich verstand nicht was er damit meinte, noch wieso er ein Interesse an meiner Stimme haben sollte. Außerdem verstand ich es nicht, wie es ihm möglich war mich so einfach zu lesen. Ich war vor ihm noch Niemandem begegnet, mit dem ich mich so einfach ‚unterhalten’ konnte, selbst ohne die Fähigkeit zu Sprechen. „Naja, was solls. Du bist was du bist. Larry hier drüben fehlen 7 Finger“ Er lachte laut „Morgan hat nur noch ein Auge und Ivan ist taub wie ein Fisch“ Dann lehnte er sich mit dem Rücken an die Reling und zwinkerte mir aufmunternd zu „Schätze keiner ist perfekt und meine Klappe ist groß genug für uns beide! Immerhin brauche ich deine Fähigkeiten zum Navigieren nicht zum Sprechen“ Ich starrte ihn wortlos an. Was nur war so sonderbar an diesem Mann? Was in aller Welt machte ihn so sorgenfrei, so völlig frei von jedem Vorurteil? Ich öffnete den Mund als würde ich etwas sagen wollen. Schon seit langer Zeit hatte ich kein so starkes Verlangen mehr gespürt zu sprechen. Zu gerne hätte ich ihm alles erzählt, wer ich bin, warum ich immer nur der Fährmann war, warum mein Name mir verloren gegangen war. Ihm wollte ich sagen was ich dachte über die Freibeuter und wie sehr ich mich nach der See sehnte. Ich hatte das Gefühl dass er der Einzige war für den es sich gelohnt hätte zu sprechen. Aber egal wie sehr ich es versuchte oder wie laut ich die Worte herausschreien wollte, kein Ton verlies meine Lippen. Meine Kehle begann zu schmerzen vor Anstrengung und ich gab auf, verfluchte mich dafür rein gar nichts tun zu können. Eine Hand lag plötzlich auf meinem Unterarm „Es hat keinen Zweck sich zu zwingen. Ein beinloser Mann lernt irgendwann auf den Händen zu laufen, aber seine Beine bringt das nicht zurück“ Ich war überrascht von so weisen Worten aus seinem Mund und fühlte mich abermals wie ein ahnungsloses Kind „Ich weiß nicht recht warum, aber ich verstehe das Meiste was du sagen willst. So schwer zu verstehen bist du gar nicht. Ich hab eher das Gefühl, dass dir noch nie Jemand wirklich zugehört hat“ Ich sah ihn an und seufzte schwer. Er hatte Recht, selbst BigMom und die Mädchen verstanden mich nie wirklich, weil kaum Jemand die Zeit aufbrachte sich ehrlich damit zu beschäftigen. Wenn es überhaupt mal Gespräche gegeben hatte, waren sie sehr einseitig. BigMom gab mir meist nur Aufgaben oder ermahnte mich wenn etwas nicht so lief wie gedacht, aber ich konnte mich nicht erinnern dass wir uns mal wirklich ‚unterhalten’ hatten. Die Mädchen redeten viel mit mir, aber eben nur auf die Weise, dass sie ohnehin keine Antwort von mir erwarteten und mich dabei oft nicht einmal ansahen. Der Einzige, der mir wirklich als Gesprächspartner einfiel war mein Vater. Damals konnte ich zwar noch sprechen, doch ich war bei allem sehr langsam und man brauchte eine wahnsinnige Geduld um mich wirklich zu verstehen. Das ständige Stottern und die langen Pausen zwischen den Wörtern waren etwas, was die Meisten dazu veranlasste mich mitten im Satz zu unterbrechen oder ihn sogar selbst an meiner statt zu Ende zu bringen. Nur mein Vater hatte immer geduldig gewartet, bis ich fertig ausgesprochen hatte was mir auf der Zunge lag. Doch seit er tot und ich völlig stumm war hatte sich alles geändert. Wer hatte schon die Geduld Jemandem ‚zuzuhören’ der sich nur ohne Worte verständigen konnte? „Bist du schon lange bei den Ladys im lachenden Hahn?“ endlich wechselte der Captain das Thema. Ich schüttelte den Kopf und er begann zu lachen „Schade. BigMom lässt sich einfach nicht überreden ein paar der Schönheiten rauszurücken. Ich dachte du könntest ein gutes Wort für mich einlegen. Es ist ziemlich langweilig auf See. Ein paar Ladys an Bord wären ein hervorragender Zeitvertreib. Wenn du verstehst, was ich meine“, zwinkerte er mir zu. Ich seufzte leicht, natürlich verstand ich was er damit meinte. Letztendlich war er nach wie vor der Mann, der seit sie angelegt hatten jede Nacht im lachenden Hahn verbrachte. Doch ich wusste auch dass Seemänner sehr abergläubisch waren und laut Aberglaube brachten Frauen auf See das größte Unglück. Ich bezweifelte, dass er ernsthaft darüber nachdachte eines der Mädchen mit auf sein Schiff zu nehmen. Außerdem hatte er Recht, BigMom würde es niemals erlauben, erst Recht nicht einem Mann wie ihm „Schätze das würde nicht lange gut gehen“ lenkte er plötzlich selbst ein, als hätte er meine Gedanken gelesen „Entweder das Unglück bricht über die Nightingale ein, oder die Männer stechen sich gegenseitig die Augen aus, weil sie sich um jedes Weib streiten würden. Aber jeder Mann muss sich austoben können, aye? Wir legen meistens nur einmal im Monat irgendwo an um Spaß zu haben. Wäre doch gar keine schlechte Sache den Spaß an Bord zu bringen“ lachend klatschte er mir die Hand auf den Rücken und ich fragte mich, ob er noch etwas anderes im Kopf hatte als Frauen, Gold und sein Schiff. Ein starker Wind kam auf und salzige Luft peitschte uns entgegen. So manch einer im Hafen und auf dem Schiff hob schützend die Hände und fluchte über den plötzlichen Zug. Ich hingegen drehte mich in Richtung des Windes und schloss entspannt die Augen. Ich mochte die Seeluft, alles an ihr. Egal ob sie kalt oder peitschend oder schmerzhaft war. Sie war für mich der Inbegriff von Freiheit „Wow“ Fiddick stieß leicht seine Schulter gegen meine „Das ist das erste Mal dass ich dich lächeln sehe. Steht dir tausendmal besser als diese Trauermiene“ Ich sah ihn verdutzt an. Hatte ich gerade gelächelt? Er grinste, breiter als sonst und mit einem Ausdruck als würde er sich über Nichts auf der Welt mehr freuen. „Du liebst die See, oder? Das kann man dir ansehen. Ich sag dir was, du gehörst nicht an den Hafen und du gehörst in kein Bordell, deswegen wirst du dich da auch nie vollkommen wohl fühlen. Ich verstehe das, weil es mir genauso geht. Wir gehören nicht hier her, wir gehören da raus! Peitschender Wind, brechende Wellen, salzige Seeluft in den Lungen und schaukelnde Planken unter den Füßen“ Ein Schauer lief mir über den Rücken. Was hatte er da gerade gesagt? Genau das, was ich schon fühlte seit ich hier im Hafen festsaß, was jeden Tag meine Gedanken beherrscht hatte? Es waren genau die Worte, die ich selbst gesagt hätte wäre ich in der Lage dazu gewesen. „Dir gefällt mein Schiff, aye? Und dir gefällt meine Crew. Du wirst beides noch viel besser kennenlernen, sobald du dich mir anschließt. Ich kann dir ein zu Hause geben und ich kann dir Freiheit geben“ Diesmal entgegnete ich nichts. Meine Gegenwehr schrumpfte immer mehr, denn er lies mir weder Raum noch einen Grund seine Entscheidung anzufechten. Er sah mich an und legte das Grinsen auf, welches ich nun schon so oft gesehen hatte und welches trotzdem keinen Deut an Faszination für mich eingebüßt hatte. Er grinste und streckte mir die Hand entgegen „Ich zeig dir mehr von meinem Schiff. Kommst du mit, Fährmann?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)