Der goldene Käfig von MinaSweven ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- -Prolog- Was nutzt das Vergoldete, wenn es ein Käfig ist. (Karl Talnop) Ein leises Schluchzen, kaum hörbar, und doch voller Angst und Verzweiflung. Es durchdrang die beängstigende Stille für einen kurzen Augenblick, während durch die geschlossenen Fenster ein trüber Schein fiel. Das schwache Leuchten des Mondes, das den düsteren Nachthimmel küsste, und sich seinen Weg bis zu den metallen Gitterstäben am Fenster suchte, ließ eine kleine Träne sichtbar werden, die die blasse Wange eines Mädchens hinunter lief. Ihre Beine hatte sie angewinkelt und diese mit den Armen fest umschlungen. In dieser Haltung saß sie auf der kalten Fensterbank, den Kopf in ihren Händen vergrabend. Ihre Atmung war schnell und unregelmäßig, beruhigte sich jedoch nach einiger Zeit und wurde ganz sanft und leise. Vorsichtig wischte sich die Blondhaarige die Träne mit ihrem schmalen Zeigefinger aus dem Gesicht. Ein leichter rosafarbener Schimmer hatte sich auf ihre Wangen gelegt und ihre vollen Lippen waren leicht geöffnet. Den Kopf wandte sie nun in Richtung des schier grenzenlos scheinenden Zimmers. Die Größe des Raumes strahlte dabei allerdings keinerlei Wohlgefallen oder Wärme aus, stattdessen umso mehr Einsamkeit und Kälte, die in dem Mädchen einen schmerzlichen Schauer auslösten. Ein nachdenklicher, beinahe abwesender Blick schweifte vom Bett bis zu dem Schrank und musterte so ganz genau den Raum, wobei sich ihr nicht ein einziges Blinzeln entlocken ließ. Ein riesiges cremefarbenes Bett, dessen Bettgestell mit aufwändig gestalteten goldenen Verzierungen versehen war, stand an der Wand, gegenüber von dem Fenster, wo sie noch immer saß. Auch lagen viele weiche Kissen mit wunderschönen Mustern in verschiedenen Brauntönen auf dem Bett und links daneben stand ein kleiner Nachttisch, auf dem sich eine goldene Lampe befand, sowie einige Vasen und Bücher. Darüber hing ein abstraktes Gemälde, das jedoch keinerlei Unruhe ausstrahlte, sondern dem Raum ein wenig Leben einhauchte. An den Wänden war eine helle Tapete mit prächtigen goldfarbenen Ornamenten angebracht und auf dem Fußboden war dunkelbraunes Parkett ausgelegt. In einer Ecke des Zimmers stand ein kleiner Schminktisch mit einem prunkvollen Spiegel darauf. Rechts daneben ein riesiger Kleiderschrank, der nah an der Wand stand. Auch ein teures cremefarbenes Sofa, das ebenfalls mit sehr feinen und aufwändigen goldenen Verzierungen gestaltet war, stand gegenüber von dem Schrank und harmonierte perfekt mir dem Rest des Raumes, doch dieses prunkvolle Gemach, das allein dem Mädchen gehörte, zauberte ihr nicht einmal ein kleines Lächeln auf die Lippen. Ihre tiefgrünen Augen verrieten in diesem Moment all ihre Gedanken und Gefühle. Sie konnte nicht verbergen wie unwohl sie sich an diesem Ort fühlte und sogar, dass sie jede denkbare Chance ergriffen hätte, um diesem goldenen Käfig ein für alle Mal zu entfliehen. Kapitel 1: Erinnerung an eine glückliche Kindheit? -------------------------------------------------- Noch immer saß die junge Vampirin am Fenster und schaute nachdenklich nach draußen. Ihr prunkvolles Zimmer, das sich in dem Anwesen des Senatsoberhauptes Asato Ichijo befand, bewohnte sie nun schon seit mehr als zehn Jahren, doch nicht ein einziges Mal während dieser langen Zeitspanne, hatte sie das Gefühl gehabt, sich zu Hause zu fühlen. Besuch blieb meistens aus. Sie hatte keine wirklichen Freunde und das Gefühl von wahrer Zuneigung und Vertrauen waren ihr somit völlig fremd. Die Familienumstände waren tragisch - die Familie zerissen. Allein ihr Vater kam an machen Tagen vorbei, jedoch sehr selten und die Stimmung war bei diesen Treffen meist bedrückend, denn auch er fand keine Ruhe, da er nicht bereit war mit der Vergangenheit abzuschließen. Das Gefühl von der beängstigenden Einsamkeit begleitete sie seit ihrer Kindheit. Die Erinnerungen nahmen ihr jeden Tag die Luft zum Atmen, denn sie konnte nicht vergessen, was für schreckliche Dinge sie mitansehen musste und dass es genau diese Dinge waren, die sie innerlich auffraßen. Ihren Kopf hatte sie vorsichtig an die kalte Fensterscheibe gelehnt und führte nun ihre linke Hand zu ihrer Brust, wo sich ihr laut schlagendes Herz befand. Mit den Fingerkuppen strich sie behutsam von oben nach unten über ihre weiche Haut und zuckte bei dieser Berührung leicht zusammen, als sie an ein kleines metalles Schmuckstück fasste. Es war ein silbernes Medaillon, welches sie nach einem kurzen Moment von ihrem Hals nahm und in ihre Hände legte. Mit dem Fingernagel öffnete sie behutsam das glänzende Amulett, in welchem sich ein bereits leicht verblasstes Foto einer erwachsenen Frau befand. Sichtwechsel – Mina: Ich strich liebevoll und mit einer ganz leichten Berührung über das verblasste Bild, da ich große Angst hatte, ich könnte dieses für mich so wertvolle Erinnerungsstück beschädigen. Denn das hätte ich mir niemals verzeihen können und so gab ich stets darauf Acht, ihm keinen einzigen Kratzer oder ähnliches hinzuzufügen. Ich hielt es so vorsichtig in meinen Händen, als ob es jeden Moment zerbrechen könnte. Meine liebe Mutter, wenn du nur wüsstest wie sehr mir deine Stimme fehlt, dein wundervoller Geruch, und auch deine immer zu liebevolle und verständnisvolle Art, die mir in jeder Sekunde meines Lebens Schutz und Geborgenheit versprochen hatten. Wenn du mich ansahst, blieb die Welt um mich herum stehen und ich verlor jegliches Zeitgefühl. Du warst wie die Sonne, die den Himmel mit ihrer unendlichen Wärme erfüllte und schließlich sanft in mein Herz drang, dabei all meine Sorgen vergessen ließen. Ich, deine Tochter Mina Himitsu, kann es mir einfach nicht verzeihen, denn in der Nacht deines Todes stand ich wie erstarrt da und konnte nicht einmal meine Gedanken ordnen, noch irgendeinen Teil meines Körpers bewegen. Ich stand einfach nur da, sah dich an und war nicht in der Lage dir zu helfen... Meine geliebte Familie, die ich so sehr vermisse, gibt es nicht mehr, aber ich kann mich noch ganz genau an alles erinnern. Mein Vater, Seishirō Himitsu ist ein starker Reinblüter, dessen Ahnenlinie weit zurückreicht. Eines Tages begegnete er einer liebevollen und wunderschönen jungen Frau, deren Blick ihn gleich in den Bann zog. Ihre strahlend blauen Augen glichen dem wundervollen Himmel und ihr langes, glänzend braunes Haar flog spielend im Wind. Sie saß alleine unter einem prachtvollen blühenden Kirschbaum und schrieb etwas in ein kleines schwarzes Buch. Mein Vater konnte ihr nicht widerstehen und so setzte er sich, während gerade die Sonne unterging, zu der Frau. Da meine Mutter ein Mensch war, verzauberte ihr Duft meinen Vater vom ersten Moment an. Er beschrieb sie immer als stets lächelnde und fürsorgliche Person, die vor allem künstlerisch sehr begabt war. Sie war sehr erfreut, als sich der fremde Mann zu ihr setzte und schien von der Erscheinung des mächtigen Reinblüters sehr angezogen zu sein, denn sie lächelte ihn den ganzen Abend lang an. Meine Mutter, Tamiko Matsuyuki, schrieb schon seit sie ein kleines Mädchen war Gedichte, doch an diesem Tag wollte es ihr nicht so recht gelingen. Meine Eltern unterhielten sich eine lange Zeit und lernten sich näher kennen. Das erste Treffen der beiden erzählte mir meine Mutter früher sehr oft und lächlte dabei die ganze Zeit, sodass ich deutlich spüren konnte, wie glücklich sie war und wie sehr sie meinen Vater liebte. An diesem folgenreichen Tag entfielen meiner Mutter die richtigen Worte und so half ihr mein Vater das Gedicht zu schreiben. Ich werde es niemals vergessen, denn immer wenn ich traurig war oder auch manchmal wenn ich zu Bett ging, flüsterte sie es mir leise ins Ohr: Der Kirschbaum blüht, ich sitze da im Stillen, Die Blüte sinkt und mag die Lippen füllen, Auch sinkt der Mond schon in der Erde Schoß Und schien so munter, schien so rot und groß; Die Sterne blinken zweifelhaft im Blauen Und leiden's nicht, sie weiter anzuschauen. (''Der Kirschbaum blüht'', Achim von Arnim) Diese Worte beruhigten mich immer wieder auf eine neue Weise, wenn ich sie zuhören bekam. Umso mehr schmerzt es mich, ihren Worten, die sie mit ihrer warmherzigen Stimme hervorbrachte, nie wieder lauschen zu können... Nach einiger Zeit heirateten meine Eltern, obwohl die Beziehung meines Vaters zu einem Menschen nicht gerne gesehen, jedoch akzeptiert wurde, da er ein hohes Ansehen genoss. Ich bin mir sicher, dass es für ihn nicht immer einfach war, dem verführerischem Duft meiner Mutter zu widerstehen, doch biss er sie kein einziges Mal, denn er wollte ihr die Leiden ersparen, auch wenn es bedeutete, dass ihre Liebe eines Tages enden würde. Meine Mutter akzeptierte diese Entscheidung und beide waren fest entschlossen allen zu beweisen, dass eine Beziehung zwischen Mensch und Vampir auch ohne blutbefleckte Taten funktionieren konnte. Bald wurde meine Mutter zum ersten Mal schwanger und mein großer Bruder Satoshi kam auf die Welt. Normalerweise dauert die Schwangerschaft bei Vampiren etwa zwei bis fünf Jahre, doch da meine Mutter ein Mensch war, wurde die Zeit auf eineinhalb Jahre gekürzt. Dann, einige Jahren später, erblickte auch ich die Welt, die ich zu diesem Zeitpunkt so sehr liebte. Meine Familie war für mich das wichtigste auf der Welt. Keinen einzigen Tag wollte ich ohne sie sein und besonders zu meiner Mutter hatte ich ein sehr inniges Verhältnis. Sie brachte mir alles über ihre Welt bei, während ich zeitgleich meine eigene Welt genauer beobachtete, denn obwohl sie ein Mensch war, setzte sich die lange und mächtige Ahnenlinie meines Vater durch und so wurde ich als Edelblutvampir geboren. Für gewöhnlich besitzen solche Vampire große Kräfte, doch ich selbst blieb ein unerklärlicher Sonderfall. Mein Bruder Satoshi konnte hingegen schon sehr früh einige Vampirfähigkeiten anwenden und entdeckte schließlich mit gerade einmal fünf Jahren seine einzigartige Gabe. Es war ihm möglich, eine Illusion zu erschaffen, die man nur sehr schwer von der Realität unterscheiden konnte. Ich war damals verdammt neidisch auf ihn und konnte nicht verstehen, warum ich selbst keine einzige Fähigkeit besaß. Stattdessen brachte mir das Erbgut meiner Mutter nur Probleme, denn obwohl mich eine mächtige und geheimnisvolle Aura, die ich von meinem Vater geerbt hatte, umgibt, begleitet mich auch ein auffälliger Duft, der auf mein teilweise menschliches Blut zurückzuführen ist. Dadurch gab es in meiner Vergangenheit einige unglückliche Zwischenfälle, denn mein Blut machte es für die Vampire in meiner Umgebung schwer dem starken und zugleich herrlich verführerischem Duft zu widerstehen. Mit der Zeit verwandelte sich die Eifersucht auf meinen Bruder in eine große Bewunderung. Ich wünschte mir nichts mehr, als eines Tages eine ganauso starke und einzigartige Gabe wie er zu besitzen. Als mir allerdings schlagartig bewusst wurde, welche Fähigkeit ich besaß, hätte ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als dass sie für immer verschwindet. Denn sie brachte mir kein einziges Mal Glück, stattdessen umso mehr Probleme, sodass ich schließlich in diesen goldenen Käfig gesperrt wurde. Er ist sicherlich schön anzusehen, doch lässt sich die Tatsache nicht leugnen, dass es immer noch ein Käfig ist, der mich hier festhält – mir die Freiheit nimmt. Diese Einsamkeit und die unüberbrückbare Trauer zerreissen mich innerlich und ich verliere langsam jeglichen Lebenswillen, wenn ich weiterhin wie ein Vogel eingesperrt bleibe, ohne die Möglichkeit meine Flügel auszubreiten und die Welt mit all meinen Sinnen auszukosten. Kapitel 2: Trauerspiel ---------------------- In dem riesigen Gemach war alles still, bis auf das leise Ticken der Uhr, das man erst bei genauem Hinhören vernahm. Der Rhythmus, mit dem der Zeiger von einem kleinen Strich zum nächsten wanderte, war gleichmäßig und wirkte beruhigend. Eine Sekunde, eine Minute und sogar eine Stunde vergingen, bis sich Mina, die zuvor lange Zeit am Fenster gesessen hatte und ihren nachdenklichen Blick in die pechschwarze Nacht richtete, rührte. Sie zuckte bei dem lauten Gong der alten Standuhr zusammen, der mit einem dumpfen Echo durch den Raum hallte, und erschrak, als sie bemerkte, wie spät es mittlerweile geworden war. Sie war so sehr in ihre Gedanken vertieft gewesen, dass sie die Zeit völlig vergessen hatte. Nun war es Mitternacht und der kühle Wind, der durch das offene Fenster zog, übermannte ihren weiblichen Körper mit einem eisigen Schauer, woraufhin sie mit ihren Händen an ihren Armen rieb, um sich zu wärmen. Dann schloss sie schnell das Fenster und drehte sich in Richtung des Bettes. Mit leichten Schritten ging sie darauf zu und legte sich hin. Ihre geheimnisvollen grünen Augen starrten an die Zimmerdecke, doch da die einzige Lichtquelle der trübe Schein des Mondes war, der von dunklen Wolken bedeckt wurde, war es selbst als Vampir schwer, etwas zu erkennen. Sichtwechsel – Mina: Es war Mitte Herbst, die Blätter fielen allmählich zu Boden und schon bald würde die Welt von sanft fallenden, weißen Kristallen geküsst werden, die sie nach und nach in eine glanzvolle weiche Decke hüllt. Jedes Jahr betrachtete ich den ansehnlichen Tanz der Schneeflocken und so zog es mich immer wieder in den selben zauberhaften Bann. Doch so schön dieses Schauspiel anzusehen war, ließ es mich deutlich die eisige Kälte spüren und veranlasste mich dazu, mich noch stärker nach der Wärme zu sehnen, die mir vor langer Zeit genommen wurde. Ich schloss meine Augen und konzentrierte mich auf den Wind, der draußen durch die Bäume jagte und dadurch die Blätter durch die Luft wirbeln ließ. Es war eine stürmische Nacht. Ich verweilte einen Augenblick in dieser Position, richtete mich dann wieder auf und ließ meinen Blick zur Tür wandern. Obwohl diese nicht verschlossen war, hielt sie mich hier gefangen. Wenn mich das Senatsoberhaupt Ichio zu sich rief, war dies die einzige Möglichkeit den Käfig zu verlassen, denn nur dann war es erlaubt, mich außerhalb des Raumes aufzuhalten. Sobald ich aus dem Raum trat, hafteten die Blicke der Senatsmitglieder auf mir, da sie den Auftrag hatten mich zu überwachen. Es machte somit keinen Unterschied, ob ich mich nun in oder außerhalb des Raumes aufhielt, ich wurde Tag und Nacht überwacht. Das einzige was sie nicht überwachen konnten, waren meine Gedanken, denn diese gehörten ganz allein mir. Unweigerlich erinnerte ich mich an die Albträume, die mich seit dem schrecklichen Ereignis von damals verfolgten. An diesen Tagen schlief ich sehr unruhig und wachte letztendlich schweißgebadet auf. Benommen und zitternd saß ich dann im Bett und konnte nicht verhindern, dass mir die Tränen in die Augen schossen. Es handelte immer wieder von dem Tag, an dem ich den schrecklichen Anblick meiner Mutter zu Gesicht bekam, wie sie blutüberstörmt vor mir lag, der blutbefleckte Vampir neben ihr. In mir stiegen dieselben Gefühle wie damals hoch und mein Körper erstarrte. Der verzweifelte Versuch mich zu bewegen, erfasste mich auch dieses Mal und vor meinen Augen spielte sich das grausame Ereignis von vorne ab. Bis zu ihrem letzten Atemzug hatte sie mich mit ihren blauen besorgten Augen angeschaut, als wolle sie mich um Verzeihung bitten, dass sie von nun an nicht mehr an meiner Seite sein konnte... Ich sank bestürzt meinen Kopf und versuchte diesen Gedanken so schnell wie möglich zu verbannen, doch es gelang mir nicht. Die Trauer verwandelte sich in eine ungeheure Wut, die in mir hochstieg, woraufhin ich meine Hände fest in die Bettdecke krallte. Mein Herz hämmerte heftig gegen meine Brust, beinahe bekam ich keine Luft und mein zuvor so kalter Körper wurde schlagartig von einer heißen Welle erfasst, die ihn von Kopf bis Fuß glühen ließ. Meine Hand fasste an die Stelle, wo sich mein Herz befand und ich richtete meinen Blick entschlossen nach vorne. Ich schwor mir, herauszufinden wer diese grausame Tat begangen hatte! Vor Wut hatten meine Augen eine rötliche Farbe angenommen, was ich deutlich spüren konnte, allerdings war das nicht der einzige Grund. Ich bemerkte, wie trocken mein Hals wurde und unersättlich nach Blut dürstete. Es war, als ob sich eine Schlinge um meinen Hals gelegt hätte, die sich immer fester zu zog. Mit meinen Fingern umschlung ich meinen Hals, konnte spüren wie die Halsschlagader unangenehm pochte, und wie meine Atmung lauter und unregelmäßiger wurde. Ich schämte mich für das Verlangen nach Blut, denn schließlich war meine Mutter ein Mensch gewesen und trotzdessen war es genau dieses Blut, das ich tief in mir unglaublich begehrte. Schnell griff ich zu der kleinen Schachtel, die auf dem Nachttisch lag, öffnete sie und entnahm eine kleine weiße Tablette. Diese sogenannten Bluttabletten, die das Verlangen nach menschlichem Blut unterbinden sollen, hatte der Senat vor einiger Zeit anerkannt. Den Geschmack konnte man jedoch keineswegs mit richtigem Blut vergleichen, denn es schmeckte schlichtweg fade, doch die Hauptsache war, dass sie ihren Zweck erfüllten. Ich ließ die Tablette in ein Glas fallen und füllte es mit Wasser, sodass sich die Flüssigkeit darin rot färbte. Dann setzte ich das Glas an meinen Mund an und nahm einen großen Schluck, spürte dabei die wohltuende Wirkung, die die Gier stillte und das unangenehme Gefühl besänftigte. Ich sank zu Boden und wartete einen Augenblick, bis auch meine Augen wieder ihre grüne Farbe angenommen hatten. Die Erschöpfung, die sich langsam in meinem Körper ausbreitete, ließ mich aufstöhnen. Es war nicht das erste Mal, dass ich so reagiert hatte und wusste deshalb genau was ich tun konnte, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Ich stützte meine Hände am Boden ab und richtete mich auf. Meine Beine zitterten noch immer und ich fühlte mich schwach. Bevor ich zur Tür ging, atmete ich ein letztes Mal tief ein und fasste an das silberne Medaillon, in dem ich das Bild meiner Mutter hütete. Vorsichtig öffnete ich die Tür und blickte durch den kleinen Spalt, um nachzusehen, ob sich Vampire in der Nähe befanden. Da ich niemanden sah, setze ich meinen Fuß leise nach draußen und schlich hindurch. Anschließend drehte ich mich um, drückte die Türklinke mit leichten Kraftaufwand nach unten und schloss sie so unbemerkt. Noch einmal ließ ich meinen Blick nach vorne schweifen. Vor mir lag ein schier endlos langer Gang, der ausschließlich durch einige Kerzen, die an der Wand angebracht waren, beleuchtet wurde. Mit leichten, auf Zehenspitzen gehenden, Schritten ging ich auf das goldene Geländer, das am Ende des Ganges zu erkennen war, zu und hoffte dabei inständig nicht bemerkt zu werden. Denn sollte dieser Fall eintreffen, würden sie mich umgehend zurück auf mein Zimmer schicken. Während ich Schritt für Schritt voranging, schlug mein Herz unglaublich schnell und einige Schweißtropfen liefen meine Stirn hinunter. Nach einer mir endlos vorkommenden Zeit, erreichte ich das Geländer und schlich dann weiter nach rechts die Treppe herunter, bis ich endlich vor einer großen schwarzen Tür stand, deren Griffe vergoldet waren. Da ich auch jetzt mein Ziel noch nicht erreicht hatte, wich die Angst entdeckt zu werden, nicht von mir. Stattdessen wurde sie nur noch größer und so öffnete ich mit zittrigen Händen achtsam die große Tür. Dahinter war alles dunkel, nicht ein einziges Licht brannte und die Fenster waren von schweren Vorhängen verdeckt. Allerdings war es für mich kein Problem, mich zu orientieren, denn ich kannte diesen wundervollen kleinen Ort nur zu gut. Schon öfters hatte ich mich heimlich dorthin begeben ohne jemals entdeckt zu werden. Ich wusste, dass die Mitglieder des Senats um diese Uhrzeit arbeiteten und sich somit hinter geschlossenen Türen befanden.Ich ging zu einem der vielen Fenster und zog den schweren Vorhang zur Seite. Draußen konnte man mittlerweile jede Menge Sterne erkennen, die am dunklen Nachthimmel strahlten. Doch am hellsten von allen schien der große leuchtende Vollmond, der mein Gesicht noch blasser werden ließ. Ich liebte diesen Anblick und wäre vermutlich noch eine Weile länger stehen geblieben, wäre ich nicht aus einem anderen Grund dort gewesen und so wandte ich mich der Mitte des Raumes zu, wo ein glänzender schwarzer Flügel stand. Ich begann zu lächeln und mein Blick wirkte leicht verträumt. Dieses Instrument war für mich wie ein kleiner Lichtblick am Ende eines langen Tunnels. Nur dadurch war es möglich, meine Sorgen für einen kurzen Moment zu vergessen. Wenn ich spielte, vergaß ich alles um mich herum. Ich lauschte ausschließlich den wundervollen Tönen, die beim Anschlag der Tasten erklangen und direkt in mein Ohr flogen. Sie waren der Ausdruck meiner Seele. Ich ging freudestrahlend auf das Klavier zu und setze mich auf den ledernen Hocker, der davor stand. Meine Finger legte ich behutsam auf die weißen Tasten und begann zu spielen, sodass eine wunderschöne, doch zugleich traurige Melodie ertönte. Zum Glück war dieses Zimmer schalldicht, wodurch ich meinen Gefühlen freien Lauf ließ und mich voll und ganz auf mein Spiel konzentrierte. http://www.youtube.com/watch?v=vGyHv1GHFKg Das Lächeln auf meinen Lippen verschwand nach einer Weile, meine Augen wurden glasig und mein Blick verschwamm. Ich spürte eine große Leere in mir, die gleichzeitig meinen ganzen Körper ausfüllte. Mir wurde leicht schwindelig und so unterbrach ich die Melodie, vergrub mein Gesicht in meine Hände und fing an zu weinen. Tränen liefen über meine Wangen und suchten sich ihren Weg zum kalten Steinboden. Ich hasste mein Leben so sehr und hielt es einfach nicht mehr aus, noch länger eingesperrt zu sein, aber das schlimmste war, dass meine Familie nicht bei mir war. Mein Vater und Satoshi waren doch das einzige, was mir blieb und selbst das hatte mir der Senat genommen. Weinend sank ich auf die Knie und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Jahrelang hatte ich Ichio angefleht mich gehen zu lassen und ihm bei all seinen Befehlen gehorcht, doch er erfüllte mir meinen Wunsch nicht. Er sagte stets, ich solle ihm mehr Dankbarkeit zeigen, da er es war, der mich damals gerettet hatte, doch so empfand ich nicht für ihn. Er war kein Held, der mich vor dem bösen Vampir beschützte, der zuvor meine Mutter tötete, sondern ein Ungeheuer, dass mir die Freiheit raubte und meine geliebte Familie mit seinen eigenen Händen zerriss. Nun bin ich hier gefangen, weil sie mich schützen wollen – sperren mich wie einen Vogel in einem Käfig ein. Sie sagen, ich sei zu kostbar, um mich in die gefährliche Welt da draußen zu begeben – und das obwohl ich es doch bin, die alles zerstört hat. Wie kann so jemand kostbar sein?! Allein wegen mir musste meine Mutter sterben! Allein wegen dieser unheilvollen Gabe... Plötzlich öffnete sich die Tür und wurde so aus meinen Gedanken gerissen. Ich erschrak und befürchtete, dass mich ein Senatsmitglied bemerkt hatte. Mein Herzschlag wurde schnell und ich weitete meine Augen, starrte in die Leere. Dann drehte ich mich schnell um und blickte in die bernsteinfarbenen Augen eines älteren Mannes, der mich besorgt ansah. Ich konnte kaum glauben, wer dort vor mir stand. Hosted by Animexx e.V. 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