Jagd nach dem Basilisken von Rabenkralle ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- »Das war der Letzte.«   Itachi legte einen Stein auf dem Erdhügel nieder. Es war eines von schier unzählbaren Gräbern, die er in den letzten Wochen und Monaten gegraben hatte und obwohl das zu Grabe tragen der Menschen fast alltäglich für ihn geworden war, wurde es nicht besser. Mit jedem Mal schnürte sich sein mit Traurigkeit überschüttetes Herz ein Stück mehr zusammen, bis es ihm die Luft zum Atmen nahm. Doch seine Miene blieb gefasst, starr. Er war ein ehrbarer Samurai und als dieser hatte er gelernt, seine Gefühle nicht nach außen dringen zu lassen. Als Zeichen der Stärke, aus Selbstschutz, Pflichtgefühl.   Aus den Augenwinkeln blickte er zu seiner einzigen Begleiterin herüber. Sie kniete neben ihm, hatte die Hände zu einem stillen Gebet zusammengelegt und hielt ihre Augen in Gedenken an die vielen Toten geschlossen. Ihr langes rosafarbenes Haar war geflochten und im Nacken zu einem Knoten gebunden und sie trug über ihrem kurzen magentafarbenen Yukata einen leichten, bronzefarbenen Brustharnisch und ein Kurzschwert an ihrer Seite. Ihr Name war Sakura, wie die Kirschblüte, die im Frühjahr den üppigen Garten des Anwesens mit ihrer wunderbaren Farbe verziert hatte. Sie war sechzehn Jahre alt und die Tochter des großen Feudalherren Haruno Kizashi, in dessen Diensten Itachi seit seiner frühen Jugend gestanden hatte. Sein Herr, der ihn als kleinen Jungen aus dem Fußvolk gewählt und zu einem Samurai ausbilden lassen hatte.   Itachi löste sich von dem Anblick der jungen Frau und ließ seinen Blick über die Gräber schweifen. Einundzwanzig Menschen hatte er seit der Morgenstunde, in der sie dieses Dorf erreicht hatten, begraben. Einundzwanzig Menschen, die von einem einzigen Wesen getötet worden waren. Von dem riesigen Schlangendämon, dem Basilisken, der seinen Herrn und den gesamten Hof auf dem Gewissen hatte.   Sakuras entschlossene Stimme holte ihn aus seiner Gedankenwelt in die Realität zurück. »Wir sollten weiterziehen.« Wortlos richtete er sich auf und nickte mit starrer Miene. »Ihr habt Recht, Prinzessin.« Er vernahm ein schweres Seufzen aus ihrer Richtung. »Prinzessin?«, wiederholte sie. »Fang nicht wieder damit an.« Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter und lächelte. »Ich dachte, diese Förmlichkeiten haben wir endlich hinter uns, Sensei. Oder sind wir immer noch keine gleichberechtigten Partner?«   Ihr Gesagtes brachte ihn beinahe zum Schmunzeln. Schon als kleines Mädchen hatte sie ihm kaum Höflichkeit entgegengebracht und der Tod ihrer Familie hatte nichts daran geändert. Die kleine Sakura hatte immer ein loses Mundwerk gehabt und das war einer der Gründe, warum er sie in sein Herz geschlossen hatte. Obwohl er durch den Tod seines Herrn zu einem Rōnin geworden war, fühlte er sich in der Pflicht, für seine einzige noch lebende Tochter zu sorgen. Diese Pflicht erlosch erst, wenn sein Herr gerächt und sie einen geeigneten Gemahl für sie gefunden hatten. Erst dann konnte er seine Ehre als Samurai wiederherstellen.   »Nicht, wenn Ihr mich mit Sensei ansprecht«, antwortete er und ging los. Sakura schloss zu ihm auf. »Gut, ich werde mir das Sensei in Zukunft verkneifen«, sagte sie. »Unter einer Bedingung.« »Und diese Bedingung lautet?«, fragte er beiläufig. »Kein Prinzessin, kein Ihr«, gab sie zurück. »Für dich heißt es nur: Sakura und du.« Itachi warf ihr einen Seitenblick zu. »Wie Ihr wünscht.« Sie strich sich eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht, klemmte sie hinter ihr Ohr und betrachtete ihn argwöhnisch. »Das mit dem Ihr wirst du nie lernen, oder?«   Ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Kapitel Eins ------------ ‌Die Flammen des Feuers tanzten vor Itachis Augen. Sie blendeten ihn, doch er hielt seinen Blick auf sie gerichtet, lauschte ihrem Knistern und dem Knacken der brennenden Äste, das von einem gleichmäßigen Schleifen begleitet wurde. Die Prinzessin schärfte ihr Schwert. In der rechte Hand hielt sie einen Wetzstein und fuhr sorgfältig mit ihm über die gebogene Klinge ihres Kodachi. Vor und zurück, vor und zurück … Der Klang hatte beinahe etwas Hypnotisierendes an sich, aber er widerstand der Versuchung, seinen Verstand für eine Weile dahintreiben zu lassen. Nicht, weil es seinen Tod bedeuten konnte, sondern vor allem den des Mädchens. Dieses Risiko wollte und konnte er nicht eingehen. Das Geräusch erfüllte die Gegend eine Weile mit seinem Laut, bis er verstummte. Itachi riss sich vom Anblick des Feuers los. Seine Begleiterin überprüfte im Schein den Schliff, indem sie vorsichtig mit dem Daumen an der Schneide entlangfuhr. Dies tat sie ein paar Mal, dann nickte sie zufrieden und platzierte den Stein neben sich. »Ihr solltet schlafen gehen, Prin...« Er unterbrach sich. Selbst wenn sie ihn gebeten hatte, dass er sie bei ihrem Vornamen nannte, widerstrebte es ihm nach wie vor, ihn auszusprechen. Auch, wenn sie ihren Adelstitel durch den Tod ihres Vaters eingebüßt hatte, war sein Respekt ungebrochen, den er ihr gegenüber empfand. Deswegen fiel es ihm schwer, mit ihr auf einer Augenhöhe zu kommunizieren. Ihre Augen huschten flüchtig zu ihm herüber und das Lächeln, das sie ihm zuwarf, löste die Starre seiner Zunge. »… Sakura.« Sie griff nach der Schwertscheide, die neben ihr lag, steckte das Kodachi hinein und lehnte es gegen den Baum hinter sich. Anschließend schüttelte sie den Kopf. »Ich übernehme die erste Wache«, sagte sie und bevor er widersprechen konnte – sie wusste, dass er das tun würde –, fuhr sie fort: »Du hast den ganzen Tag die Leute begraben, während ich Blumen für sie gepflückt und Steine gesammelt habe. Du hast den Schlaf mehr verdient als ich.« »Das ist nicht wahr. Ihr verdient ihn genauso sehr wie ich.« Entschlossen blickte er sie an. »Also legt Euch hin.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Sinnlos«, sagte sie, »ich kann ohnehin nicht schlafen.« »Ihr habt es gar nicht versucht«, argumentierte er. »Das muss ich auch nicht. Ich bin hellwach.« Sakura ballte ihre Hand zur Faust und klopfte sich dreimal gegen ihren Brustharnisch. »Ich erledige jeden Dämon, der es wagt, uns zu nahe zu kommen.« Ein vages Schmunzeln huschte über Itachis Gesicht. Er hatte nicht den geringsten Zweifel daran. Sie war flink und talentiert im Umgang mit dem Schwert, sodass ihr kleinere Gegner, wie die, die in der Nacht durch die Wälder streiften, keine Probleme bereiteten. Doch … Er erinnerte sich an die frischen Spuren, die er nach dem Verlassen des Dorfes entdeckt hatte. Er war nah. Sie waren dem Schlangendämon, den sie seit sieben Monaten verfolgten, nah wie nie. »Was wirst du tun, wenn du Vater gerächt hast?« Itachi sah auf. Er war lange mit ihr unterwegs, doch die Frage hatte sie ihm nicht gestellt. Und eine wahrheitsgemäße Antwort darauf konnte und wollte er ihr nicht geben. »Ich weiß es nicht«, antwortete er schließlich und lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Waffen, die er besaß. Sakura runzelte die Stirn, zog die Beine an und verschränkte die Arme vor ihnen. »Du könntest bei einem anderen Daimyō anheuern«, sagte sie. Er schwieg, denn er wusste, dass er das keinesfalls tun würde. Seine Treue galt auf ewig seinem verstorbenen Herrn. »Oder du bleibst Rōnin und verdingst dich als Kopfgeldjäger.« Itachi spürte, dass ihre Augen auf ihm lagen, doch er unterdrückte es, ihren Blick zu erwidern. »Ich hätte nichts dagegen«, fuhr sie fort, »wenn wir noch ein paar Jahre durch die Länder streifen und uns –« »Das ist ausgeschlossen!«, unterbrach er sie. Sein Tonfall war ungewohnt hart und er spürte einen leichten Ekel in sich aufkommen, dass er auf diese Weise das Wort gegen sie erhoben hatte. »Verzeiht«, setzte er nach und gab den Drang, die junge Frau anzusehen, nach, »aber das ist unmöglich.« »Und warum?«, fragte sie und schaute ihn unentwegt an. »Ich habe kein Zuhause, keine Verwandten mehr. Wohin soll ich gehen?« »Ich werde einen Platz für Euch finden«, sagte er. »Das verspreche ich.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe bereits einen Platz«, entgegnete sie beherrscht. »Und der ist an Eurer Seite.« Itachi horchte auf. Es war das erste Mal seit Jahren, dass sie ihn in dieser Höflichkeitsform ansprach, doch er versuchte, sich die Verwirrung nicht anmerken zu lassen. »Versteht doch«, setzte er an, »es ist zu gefährlich für Euch. Keine Frau sollte ihr Leben mit der Jagd nach Banditen und Dämonen verbringen müssen.« Sakura stand auf und nahm ihr Schwert. »Zu spät«, murmelte sie, »dieses Leben führe ich schon.« Sie steckte es in das Band ihres Yukata, wandte sich ab und ließ ihren Gefährten am Feuer zurück. --- Sie ließ sich ein Stück von ihm entfernt im Gras nieder, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und betrachtete den Sternenhimmel. Automatisch wanderten ihre Augen zu einer Ansammlung Sterne, die wie im Wechsel höher und tiefer angeordnet waren. Es erinnerte sie an eine Schlange. Sakura schluckte. Sie schloss die Lider, um sie nicht länger ansehen zu müssen, doch die Erinnerung an den Morgen, an dem sie alles verloren hatte, überkam sie. »Ihr seht wunderschön in diesem Gewand aus, Prinzessin!« Sakura sah an sich herab und ging ein paar Schritte. Der Kimono mit den vielen Lagen war viel zu schwer und sie wusste jetzt schon, dass sie bei jeder Bewegung darin aufpassen musste, dass sie nicht stürzte und sich lächerlich machte. Sie warf einen sehnsüchtigen Blick auf den Yukata, den sie im Alltag trug und um nicht zu sehr aufzufallen, lenkte sie ihn weiter auf das Fenster. Sie meinte, aus dem Hof Kampfschreie der Samurai und deren Lehrlingen zu hören und sie sehnte sich nach einer Trainingseinheit mit ihrem Lehrmeister. Die Tür wurde aufgeschoben. Die Frau, die ihr beim Anziehen des Kimono geholfen hatte, verbeugte sich demütig und zog sich zurück. »Lass dich ansehen, meine Tochter«, hörte sie ihren Vater sagen. Sie legte keinen Wert auf seine Meinung, wollte das, was er zu sagen hatte, nicht hören und drehte sich nur aus gewohntem Respekt zu ihm um. Er musterte sie von Kopf bis Fuß und nickte. »Wenn du an deiner Haltung arbeitest, wird der Sohn von Namikaze-sama bei dem Anblick deiner Schönheit das Blinzeln vergessen.« Er lachte auf. »Mein Freund wird Augen machen!« Sakura biss sich auf die Unterlippe. »Ich will keine arrangierte Hochzeit«, sagte sie. Die Brauen ihres Vaters zogen sich zusammen. Er gab sich selten ernst, wenn er mit ihr allein war. »Sakura«, begann er langsam, »du bist meine einzige Tochter. Es gehört zu deiner Pflicht, einen Mann zu deinem Gemahl zu nehmen, der unser Ansehen stärkt.« Sie presste vor Wut ihren Mund zusammen, bis er eine dünne Linie war. »Immer geht es nur um Einfluss und Macht!«, gab sie zurück und ballte die Hände zu Fäusten. »Aber was ich möchte, interessiert niemanden. Ich wünschte, ich wäre als normaler Mensch geboren worden.« Der Ärger wich aus dem Gesicht ihres Vaters und er sah sie bedrückt an. Sakura bemerkte, wie er sich mit den Zähnen unentwegt über die Unterlippe fuhr. Das tat er, wenn er nervös war. »Es tut mir leid«, murmelte er, »aber ich habe keine andere Wahl. Wenn nur dein Bruder nicht …« »Er ist aber gestorben«, meinte sie kühl. »Und selbst wenn er überlebt hätte, wäre er viel zu kränklich und zu schwach, um in deine Fußstapfen zu treten. Nichts wäre anders für mich, wenn er noch am Leben wäre.« »Sakura«, er pausierte kurz, »da du das weißt, müsstest du verstehen, wie wichtig –« »Ich verstehe, dass du mich mit dem Sohn einem deiner Kreuzekriecher vermählen willst.« Obwohl ihre Stimme fast nur ein Flüstern war, hörte er sie deutlich. Ihr Vater atmete tief durch. »Ich gebe zu, dass er nicht das Talent hat, ein großer Krieger zu sein, aber er ist ein netter, gutherziger Junge, der dich auf Händen tragen wird.« Sie zog eine Braue hoch. »Und woher weißt du das?«, fragte sie und schnaubte mit gespielter Belustigung. »Weil du ihn jeden Tag siehst?« Sie sah ihren Vater an, dass er sich von ihren Worten gepeitscht fühlte und sie war sich sicher, dass sie es nur der Tatsache, dass er seine einzige Tochter war und mit ihr die Familienehre stieg und fiel, zu verdanken hatte, dass sie sich keinen Faustschlag von ihm einfing. »Sakura«, wiederholte er ernster, »ich will dich zu nichts zwingen, aber wenn du so weiter machst, lässt du mir keine Wahl.« Sie stieß ein ironisches Zischen aus. »Warum soll ich dir die Wahl lassen, wenn du sie mir nicht lässt?« »Ich bitte dich bloß darum, dass du den Jungen triffst!«, erwiderte Kizashi energisch. »Falls du ihn nicht mögen solltest, habe ich noch eine Handvoll junger Männer in der Auswahl, von denen dir einer gefallen wird.« Er schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. Sakura ignorierte es. »Die Mühe kannst du dir sparen«, meinte sie nüchtern. »Ich möchte niemanden heiraten, für den ich außer Sympathie nichts empfinde.« Er ging auf sie zu, legte ihr beide Hände an die Wangen und schaute ihr fest in die Augen. »Gibt es denn jemanden, für den du mehr als das empfindest?« Sie erwiderte den Blick ihres Vaters nicht minder entschlossen und schwieg. Es gab einen Menschen, an den sie ihr Herz verloren hatte, doch die Umstände machten es unmöglich, mit ihm zusammen zu sein. Ihr Vater war ein guter Mensch, aber diese Verbindung würde er auf keinen Fall zulassen. »Liebes«, setzte ihr Vater ein weiteres Mal an, »sage mir, wem dein Herz gehört.« Sie riss sich von ihm los und griff nach ihrem Yukata, der sorgfältig zusammengelegt auf einem niedrigen Tisch lag. »Tu nicht so, als würde dich das wirklich interessieren!«, fauchte sie. Sie verließ den Raum, ohne ihn noch einmal anzusehen. Sakura fühlte, wie Tränen in ihre Augen stiegen. Wenn sie gewusst hätte, dass es die letzten Worte waren, die sie ihrem Vater sagte, hätte sie sich nicht so verhalten, sondern ihm den Respekt entgegen gebracht, den er verdient hatte. Aber es war unmöglich, die Zeit zurückzudrehen. Mit diesem Schuldgefühl musste sie leben. Plötzlich spürte sie einen Windhauch. Ohne zu überlegen, rollte sie sich auf die Seite und griff nach ihrem Schwert. Sie wollte aufspringen, da erschien ein Schatten vor ihr und ein markerschütternder Schrei ertönte. Schwarzes Blut spritzte zu Boden und der grauenvolle Ruf verstummte. Sakura richtete sich auf und stemmte ihre freie Hand in die Hüfte. »Danke«, sagte sie und betrachtete den toten Wespendämon, der sich bereits auflöste, »aber damit wäre ich alleine fertig geworden.« Itachi ging auf die Knie und säuberte die blutverschmierte Klinge seines Wakizashi im Gras. »Ihr saht verträumt aus, von daher dachte ich …« Er beendete seinen Satz nicht, da er nicht unhöflich sein wollte. »Von daher, dachtest du, schadet es nicht, mir vorsichtshalber den Hintern zu retten?« Er antwortete nicht und entlockte ihr damit ein gewohnt genervtes Seufzen. »Ich merke schon: Du wirst nie auf meine Kosten Scherze machen, oder?« Der Rōnin steckte das Schwert zurück. »Niemals.« »Dabei hast du die anderen Samurai-Anwärter am Hof gerne veralbert«, bemerkte sie. »Ich wünsche mir manchmal, du würdest mir als Zeichen deiner verborgenen Anerkennung wie den Jungen damals auf die Stirn tippen.« Itachi wandte sich zu ihr um. Mit seinen schwarzen Haaren, die er zu einem Zopf nach hinten gebunden hatte und in seinem indigoblauen Hakama verschmolz er fern der Helligkeit des Feuers nahezu mit der Umgebung. »Das habt Ihr bemerkt?«, fragte er. Es war eins der wenigen Male, in denen sie etwas wie Erstaunen in seiner Stimme hören konnte. »Das und dein Lächeln, wenn du dich weggedreht hast.« Sie lächelte ihm zu und richtete ihren Blick in den dunklen Himmel. Dann fuhr sie fort: »Ich wusste immer, dass du nicht so gefühlskalt bist, wie du dich gibst.« Er ging an ihr vorbei und sagte: »Kommt zurück zum Feuer und legt Euch schlafen.« »Nein.« Sie deutete ein Kopfschütteln an, das er nicht sehen konnte. »Ich glaube, ich bleibe noch hier und beobachte die Sterne.« »Lasst Euch nicht wieder von einem Dämon überraschen.« Sakura, die nicht gerechnet hatte, dass er darauf etwas erwidern würde, fuhr zu ihm um. Er war zwischen den Bäumen verschwunden. Sie starrte noch einen Moment in die Dunkelheit, dann sank sie mit einem warmen Gefühl in der Magengegend zurück ins Gras. Das Schmunzeln auf ihren Lippen blieb, bis sie eingeschlafen war. Kapitel Zwei ------------ Ein fernes Klingen holte Sakura aus dem Schlaf. Am liebsten hätte sie sich auf die Seite gedreht und wäre liegen geblieben. Sie unterdrückte den Wunsch, sich auf die Seite zu drehen und liegenzubleiben, und schlug die Augen auf. Es war noch dunkel und nur am Horizont deutete sich der erste Schimmer der sich ankündigenden Morgendämmerung an. Das Gras war vom Tau feucht, die Luft angenehm frisch und die ersten Vögel stimmten ihr fröhliches Lied an. Alles hätte wie ein friedlicher Morgen auf sie gewirkt, wenn nicht das Klirren aneinander schlagender Schwerter an ihre Ohren gedrungen wäre und den Gesang der Waldbewohner begleitet hätte. Ein Kampfschrei untermalte den metallischen Klang. Die Auseinandersetzung fand in ihrer Nähe statt. Sakura griff nach ihrem Kodachi, sprang mit einem Satz auf und lief los. Trotz ihrer Schnelligkeit machte sie kaum Geräusche, als sie durch das hohe Gras huschte. Es war das Resultat jahrelangen Trainings, das ihr in den vergangenen Monaten mehr als einmal das Leben gerettet hatte. Hinter einem Baum ging sie in Deckung. Sie presste sich mit dem Rücken gegen den Stamm und wagte einen vorsichtigen Blick auf das Geschehen. Eine stämmige, großgewachsene Gestalt hieb mit seinem Katana auf ihren ehemaligen Lehrmeister ein. Dieser parierte mit Geschick jeden Schlag und wich gleichzeitig den Stichen mit dem Kurzschwert, das der Fremde in seiner anderen Hand trug, in einem leichtfüßigen Tanz aus. Ausweichen, parieren, angreifen, zurückweichen. Es war exakt die Abfolge, die Itachi ihr einst gelehrt hatte. In der Dunkelheit konnte sie nur seinen Umriss sehen und dennoch erkannte sie, dass jeder Schritt, jedes Ausweichmanöver saß. Ihr Lehrmeister hatte von seiner Eleganz, die sie damals schon an ihm bewundert hatte, nichts eingebüßt. Der Angreifer täuschte einen Stich mit der Rechten an und holte mit links aus. Itachi riss im letzten Moment sein Katana hoch und beim Aufprall der Schwerter stoben Funken. Sein Gegner, der sein ganzes Gewicht in den Schlag gelegt hatte, schrie wütend auf. »Rückt das Mädchen heraus!«, rief er und stach erneut zu. »Ich weiß nicht, von welchem Mädchen Ihr sprecht«, sagte er. Seine Stimme klang nicht die Spur beeindruckt oder eingeschüchtert. »Ich sagte Euch bereits, dass ich allein unterwegs bin.« »Lügner!« Der fremde Samurai stieß ein Brüllen aus, das Sakura durch Mark und Bein ging. Ihr Griff um ihr Kodachi verstärkte sich intuitiv. Sie war sich sicher, dass ihr Gefährte mit dem Fremden fertig werden würde und doch machte sie sich bereit, jederzeit einzugreifen. Ein weiterer Schlagabtausch folgte, nach dem der Mann unerwartet zurückwich. Dieser steckte blitzschnell sein Kurzschwert weg und griff die mit Spitzen besetzte Keule, die an seinem Gürtel befestigt war. Er stieß zu und die Waffe streifte Itachis Seite, bevor er sich mit einem Sprung aus seiner Reichweite bringen konnte. Er beachtete den Schmerz nicht und brachte sich mit einer flinken Drehung hinter seinen Gegner, der durch die Blindheit seiner Wut ins Straucheln gekommen war. Der Rōnin stieß ihm den Griff seines Schwertes in den Rücken, doch anstatt das Gleichgewicht zu verlieren und zu fallen, fuhr er mit irrem Blick zu ihm um und ließ die Keule auf ihn niedersausen. Abermals wollte Itachi ausweichen, aber der Knüppel streifte sein Handgelenk und schlug ihm das Katana aus der Hand. Die Wucht des abrupten Aufpralls fuhr seinen Arm bis zur Schulter hoch und betäubte ihn vor Schmerz. Er ließ sich nur einen Moment lang von ihm überwältigen, doch dieser gab dem Samurai die Gelegenheit, ihn zu Boden zu reißen. Er schlug im Gras auf, der Mann verdrehte ihm den Arm und er verlor sein Wakizashi. Ein Druck auf seinen Brustkorb, den er verspürte, als der Samurai sich auf ihn setzte, presste die Luft schmerzhaft aus seinen Lungen. Er versuchte den Arm zu heben, mit dem er sein Kurzschwert gehalten hatte, jedoch hielt sein Gegenüber ihn fest umklammert, sodass er nicht in der Lage war, einen Finger zu krümmen. Und sein anderer Arm, der von dem Schlag wie Feuer brannte, war nutzlos. Als Itachi darauf wartete, dass eine Klinge seinen Hals durchtrennte, dachte er an die Prinzessin. Erzürnt und beschämt biss er sich auf die Unterlippe, bis sie blutete. Er war nicht mehr in der Lage, sie zu beschützen, bis sie in Sicherheit war. Er hatte das Versprechen, das er seinem Herrn gegeben hatte, gebrochen. »Ist Euch wieder eingefallen, wo das Mädchen ist?«, fragte sein Gegner und unterschrieb damit sein Todesurteil. »Falls nicht, werde ich sie –« Itachi sah, wie sich die Augen des Mannes weiteten. Blut tropfte auf ihn herunter, dann bemerkte er, dass aus dem Hals seines Gegners eine Klinge hervorragte. Der Druck auf seine Handgelenke wich, die Pupillen des Samurai verschwanden im Kopf und er brach leblos über ihm zusammen. »Hier bin ich«, sagte Sakura trocken. Mit einem Ruck zog sie ihr Kodachi aus der Leiche, musterte ihren Begleiter und lächelte vor Erleichterung. »Wie es aussieht, war ich gerade rechtzeitig hier.« Dieser konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken, erwiderte jedoch nichts. Er wuchtete den toten Körper von sich herunter und raffte sich auf. Ihre Blicke ruhten einen Augenblick aufeinander, bis er auf die Knie ging und den Kopf senkte. »Ich bin Euch zu großem Dank verpflichtet«, sagte er demütig. Sakura stemmte eine Hand in die Hüfte und seufzte. »Bist du nicht«, legte sie fest. »Eine Hand wäscht die andere. Also erhebe dich und hör auf, so förmlich zu sein.« Er stand auf, hielt den Blick aber gesenkt. Gerade, als sie den Mund aufmachen wollte, um ihrer Aussage mehr Ausdruck zu verleihen, fiel ihr auf, dass er sich die Seite hielt. Rote Flüssigkeit lief zwischen seinen Fingern hindurch und beim genaueren Hinsehen sah sie, dass sein Hakama mit Blut getränkt war. Besorgt stürzte sie zu ihm herüber. »Warum hast du nicht gleich gesagt, dass du verletzt bist?«, fragte sie, ohne eine Antwort zu erwarten. »Setz dich hin. Ich schaue mir die Wunde an.« »Ihr braucht Euch diese Mühe nicht machen«, sagte er sofort. »Es ist nichts weiter als –« »Es ist keine kleine Streifwunde!«, fuhr sie ihm ins Wort, da sie erraten konnte, was er sagen wollte. »Das ist eine ernstzunehmende Verletzung. Bitte lege deinen falschen Stolz ab und lass sie mich ansehen.« Da Itachi wusste, dass Einwände nichts nützten, sobald sich die Prinzessin etwas in den Kopf gesetzt hatte, beschloss er, keinen Widerstand zu leisten. Er ging ein Stück und ließ sich neben dem heruntergebrannten Feuer nieder. Sakura ging neben ihm auf die Knie. Sie bedeutete ihm, den oberen Teil seines Hakama aus dem Bund zu ziehen und betrachtete die Wunde im Schein der Glut. Drei lange Striemen zogen sich unterhalb seines rechten Rippenbogens. Der mittlere Schnitt war der längste und tiefste und aus ihm trat kaum Blut hervor. Erleichtert atmete sie aus. »Du hast Glück gehabt«, sagte sie. »Die Blutung stoppt bereits und nichts muss genäht werden. Wenn du dich eins, zwei Tage ausruhst, können wir unsere Reise beruhigt fortsetzen.« Itachi starrte unbeteiligt vor sich hin. Er wollte die Reise nicht unterbrechen – nicht einmal für ein paar Stunden –, mit dem Ziel, das er so nah vor Augen hatte. Der Basilisk war nicht mehr weit und selbst eine eintägige Pause reichte, dass seine Spuren verwischt und sie wochenlang, wenn nicht monatelang, zurückgeworfen wurden. Dennoch ihm war bewusst, dass eine Rast ein notwendiges Übel war. Wenn er dem Dämon gegenübertreten wollte, musste er im Vollbesitz seiner Fähigkeiten sein. Die geringste körperliche und geistige Beeinträchtigung schrumpfte die Wahrscheinlichkeit eines Sieges auf ein Minimum und das konnte und wollte er nicht riskieren. Was aus ihm wurde, war ihm gleichgültig. Wenn er sein Leben bei der Begegnung verlor, nahm er es in Kauf, doch das Leben der Prinzessin, die darauf bestand, dass sie ihn bis zum Ende begleitete, setzte er keinesfalls aufs Spiel. Er verspürte ein unglaubliches Brennen in seiner Wunde, das ihn aus seinen Gedanken riss. Sakura tupfte die Wunde behutsam mit einem Tuch ab. Itachi erkannte, dass es das bestickte Taschentuch ihrer Mutter war. Er hatte es vor sieben Monaten in den Trümmern des Schlosses gefunden und ihr überreicht. Es war eines der wenigen Andenken, das sie aus ihrem früheren Leben noch besaß. Und nun besudelte sie es mit dem Blut eines unwürdigen Rōnin wie ihn. Diese Geste ehrte und beschämte ihn gleichermaßen. »Bekommt Ihr es wieder sauber?«, fragte er, da sie sich ohnehin nicht davon abhalten lassen würde, es zu benutzen. Sie lachte. »Nein«, entgegnete sie gefasst, »aber die Lebenden sind mir wichtiger als die Erinnerungen an die Verstorbenen.« Er wollte etwas darauf erwidern, als sie fortfuhr: »Außerdem ist es nur ein Stück Stoff und wenn ich mich erinnern möchte, habe ich noch mein Kodachi und meine Kette. Mach dir keine Gedanken.« Itachi musterte aus den Augenwinkeln ihren Hals. Sie trug den goldenen Anhänger in der Form einer Blüte, der ihr Familiensymbol darstellte, seit Wochen nicht mehr. Er war davon ausgegangen, dass sie ihn verloren hatte. Das dem nicht so zu sein schien, besänftigte sein Gewissen. Er wandte seinen Blick ab und fragte: »Ihr habt sie noch?« Sie nickte. »Sie hat sich vor einiger Zeit an einem Strauch verfangen und ist gerissen. In der nächsten Stadt lasse ich die Glieder ersetzen.« Sakura drehte das Taschentuch in ihrer Hand um und tränkte die saubere Seite mit einer Flüssigkeit. Der Geruch von Alkohol stieg ihm in die Nase und ihm wurde bewusst, dass es der Sake war, der in seiner Verletzung brannte. Sie war nicht nur eine passable Kämpferin, sondern besaß auch viel medizinisches Wissen. »Wenn die Wunde nicht mehr blutet«, begann sie, als sie mit dem Desinfizieren fertig war, »verteile ich den Rest der Heilsalbe darauf, den ich noch habe.« »Ich danke Euch«, murmelte und neigte abermals den Kopf. Sie deutete ein Kopfschütteln an und lächelte ihm zu. »Bist du noch irgendwo verletzt?« Itachi dachte sofort an seinen Arm. Er pochte nach wie vor, doch der Schmerz war erträglich geworden. An der Stelle, an der eine Spitze der Keule sein Gelenk gestreift hatte, war ein blutiger Kratzer, der jedoch keiner Behandlung bedurfte. Außerdem wollte er ihr keine zusätzliche Mühe und Sorgen bereiten. »Nein«, antwortete er. Ihm entging ihr skeptischer Blick nicht, doch Sakura ließ es auf sich beruhen. Sie verschloss die kleine Flasche, in der noch Sake übrig war, mit einem Korken und steckte sie in den Beutel zurück, den sie an dem Band ihres Yukata befestigt hatte. Ihre Augen huschten zu dem Körper des Kriegers herüber, den sie getötet hatte. »Bleiben wir oder suchen wir uns ein Versteck?«, fragte sie nachdenklich. »Ich glaube zwar nicht, dass der Mann Kameraden hat, die ihn hierhin begleitet haben, aber …« Sie verstummte. Itachi richtete sich auf. Er verstand nicht, was sich der fremde Samurai oder Rōnin von seinem Alleingang versprochen hatte, doch sicher war, dass seine Leiche wilde Tiere und Dämonen anlocken würde. »Gehen wir«, sagte er und reichte ihr die intakte Hand, um ihr aufzuhelfen. Sakura schlug seine Geste mit einer dankbaren Miene aus und stand auf. Sie hechtete los, hob im Laufen schwungvoll sein Wakizashi vom Boden auf und zog im Anschluss sein Katana aus einem Gebüsch. Danach überreichte sie ihm die Waffen. Er deutete aus Dankbarkeit eine Verneigung an und steckte die beiden Schwerter zurück in ihre Scheiden. Das Gefühl der Gewichte an seinen Seiten vermittelte ihm einen Hauch Sicherheit. »Du musst mir nicht für jede Kleinigkeit danken und dich verneigen«, erwiderte sie heiter. »Wir sind nicht mehr Lehrmeister und Lehrling, sondern Gefährten. Wir achten aufeinander und helfen einander.« Sakura lief einige Schritte vor. Itachi schaute ihr nach und setzte sich in Bewegung. Das unangenehme Pochen im Arm und das Stechen in seiner Wunde begleiteten ihn, doch beides war dank der Behandlung seiner Begleiterin zu ertragen. Sein Blick blieb auf ihr, während er ihr folgte. Der elegante Haarknoten hatte sich gelöst und ein paar Strähnen hingen aus ihrem geflochtenem Zopf, der ihr bis zum Rücken reichte und bei jedem Schritt hin und her schwang. Die Worte, die sie gesagt hatte, hallten in seinem Kopf wider. Es war erstaunlich, wie sehr das vorlaute und unbekümmerte Mädchen, das sie einst gewesen war und das er drei Jahre lang im Nah- und Schwertkampf unterrichtet hatte, in der kurzen Zeit ihrer Reise gereift war. Plötzlich wurde Sakura langsamer. Sie drehte sich im Gehen zu ihm um, musterte ihn und bemerkte mit einem schiefen Lächeln: »Obwohl es momentan eher auf mich wirkt, dass ich verstärkt auf dich Acht geben muss.« Sie lachte auf und da sie keine Erwiderung von ihm erwartete, fuhr sie wieder um. Itachis Mundwinkel formten ein Schmunzeln. Sie war erwachsener geworden, aber es war schön, dass sie in der grausamen Welt, in der sie nun lebte, nicht vergessen hatte, wer sie war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)