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Die Hexe und die Priesterin

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Diese Geschichte stammt aus dem Jahr 2013 und ist demnach schon etwas älter, also bitte berücksichtigen, dass mein heutiger Schreibstil schon wieder ein wenig anders ist.
Außerdem handelte es sich hierbei auch um ein kleines Experiment. Ich habe die Texte zwar nochmal ein wenig überarbeitet, aber den Großteil so gelassen wie er war. Komplett anzeigen

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Prolog

Eines Tages betrat eine junge Frau den gefährlichsten Wald im gesamten Königreich, dessen Wappen einer roten, brennenden Sonne glich.

Warum dieser Wald so gefährlich war? Weil dort seit einigen Jahren eine böse Hexe lebte, die mit ihren übermenschlichen Fähigkeiten alle in Angst und Schrecken versetzte. Sie war so mächtig, dass sie sogar dem Tod mehr als einmal einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte, indem sie seine Opfer aus dessen kalten Klauen befreite, als wäre es nur ein simples Spiel für sie.

Darum fürchteten sich selbst die tapfersten Soldaten vor ihr, einfach jeder, denn nur ein Gott konnte das Schicksal derart beeinflussen. Oder der Teufel. Gelähmt von diesen Gedanken, wagte sich deshalb niemand mehr in diesen Wald hinein. Alle bis auf eine Person, nämlich die besagte Frau, die sich in diesem Moment alleine durch das grüne Dickicht kämpfte. Dem Hexenwald, wie manche ihn ganz schlicht nannten.

Es handelte sich um eine junge Priesterin in Ausbildung. Ihr Name war Stella und sie suchte nach jemandem. Nach wem? Nach der Hexe natürlich, außer ihr lebte sonst niemand in diesem Wald.

Warum sie nach ihr suchte? Weil sie ihr etwas sagen musste. Unbedingt, so wichtig war es. Viel wichtiger, als sich darum zu sorgen, dass die Hexe ihr mit ihren Kräften etwas antun könnte.

Besucher sollte sie angeblich verabscheuen, aber auch davor schreckte Stella nicht zurück. Leider gab es dennoch etwas, das ihr hätte Sorgen bereiten sollen und worauf sie sich nicht ausreichend vorbereitet hatte, bevor sie losgezogen war: Stella hatte die Gefahren des Waldes, der Natur an sich, deutlich unterschätzt, noch dazu besaß sie keinen Orientierungssinn und irrte ziellos durch die Gegend.

Seit gefühlten Stunden lief sie nur im Kreis herum, ohne den richtigen Weg zu finden, falls es überhaupt einen gab. Nicht mehr lange und ihre Suche könnte an dem Unwissen scheitern, mit dem sie es gewagt hatte, ganz alleine im Wald überleben zu wollen. Hier war es unheimlich dunkel, nur winzig kleine Lichtflecken verteilten sich über den Boden, so dicht lagen die Blätterdächer der Bäume aneinander, von denen einer wie der andere aussah. Wie sollte sie also jemals herausfinden, wo sie schon gewesen war und wo nicht?

Kleine und große Äste knackten laut unter ihren Füßen. Dieses Geräusch schreckte sicher nicht nur Kleintiere ab, sondern machte vor allem andere auf sie aufmerksam. Wie sollte sie sich leise vorwärts bewegen, wenn überall zahlreiche Glieder von den Bäumen herumlagen?

Manche Wurzeln standen auch so weit aus dem Boden hervor, dass sie mehrmals beinahe gestolpert wäre oder sogar über einige drüberklettern musste. Wie sollte sie sich ihre Kräfte anständig einteilen, wenn sie solche Anstrengungen nicht gewohnt war?

Eine Frage nach der anderen und mit jeder einzelnen wurde deutlicher, wie verloren sie sich fühlte. Viel schlimmer war allerdings der Hunger, der immer größer wurde. Da sie es eilig gehabt hatte und dachte, es würde nicht allzu schwierig werden, die Hexe aufzuspüren, war sie völlig überstürzt aufgebrochen, ohne Proviant mitzunehmen.

Außerdem musste sie feststellen, dass es nicht unbedingt die beste Idee war, in einer Tunika loszuziehen, weil sie öfter mit dem Stoff irgendwo hängen blieb. Wenigstens gab es hier und da einige Beeren, die ihren Magen erst mal vertrösten konnten, womit ein Problem vorerst gelöst war, leider aber nicht ihr größtes.

Wo war die Hexe? War der Wald wirklich so riesig oder kam es ihr nur so vor? Ob sie schon lange unterwegs war? Das Zeitgefühl war verloren gegangen. Auf jeden Fall fühlte sie sich plötzlich schlapp. Ziemlich schlapp.

Mit letzter Kraft schleppte sie sich vorwärts und hielt kein einziges Mal an, obwohl auch der letzte Funken Energie ihren Körper längst verlassen hatte. Dieser verlangte deshalb dringend nach einer Pause, damit er sich erholen konnte, aber sie durfte jetzt nicht einfach aufgeben. Nicht endgültig. Also lief sie weiter, nein, schwankte vielmehr Schritt für Schritt vorwärts, egal wie sehr ihr Körper auch vor Erschöpfung schrie.

Vor ihren Augen drehte sich nach kurzer Zeit alles, was es nicht gerade leichter machte voranzukommen. Es war, als würde sie mitten in einen Strudel blicken, der sämtliche Farben in der Umgebung in seinem Inneren miteinander vermischte. Erst war es ein buntes Flimmern, danach verloren die Farben mehr und mehr ihre Leuchtkraft und verschmolzen zu einem trostlosen Grau. Anschließend war ihr Sichtfeld dabei sich nun langsam vollständig zu verdunkeln und alles zu verschlingen. In ein hungriges, bedrohliches Schwarz.

Sie stand kurz davor das Bewusstsein und damit die Kontrolle zu verlieren. Ausgerechnet jetzt. Ausgerechnet dann, wenn sie es am wenigsten gebrauchen konnte. Zu allem Überfluss wurde sie nun auch noch von einer Hitzewelle erdrückt, die ihr den Schweiß auf die Stirn trieb und sie letztendlich doch in Knie zwang, weil sie keinerlei Energie mehr übrig hatte, um ihr standhalten zu können.

„Muss weiter“, keuchte sie erschöpft und kroch vorwärts, denn laufen war ihr nicht mehr möglich. Mühevoll versuchte sie ihren Weg fortzusetzen. Ihre Glieder zitterten. „Weiter. Ich muss ...“

... sie finden, bevor es zu spät ist!

So stark ihr Wille auch sein mochte, ihr Körper konnte nicht mehr mithalten. Eigentlich konnte er das bereits seit langem nicht mehr, doch jetzt wollte er ihr nicht mehr gehorchen. Konnte es nicht mehr. Sämtliche Reserven waren aufgebraucht, regungslos blieb sie liegen. Die Hitze stieg immer mehr und fühlte sich inzwischen wie ein Feuer an, das in ihrem Inneren tobte.

Auch die Schwärze hatte sich fast gänzlich ausgebreitet und sie konnte so gut wie nichts mehr erkennen, geschweige denn wahrnehmen.

Moment.

Hatte sich da vor ihr gerade etwas bewegt?

Da war doch ein Schatten, der genau in ihre Richtung näher kam. Bevor sie aber erkennen konnte, ob es sich dabei um ein wildes Tier oder einen Menschen handelte, verlor sich ihr Verstand endgültig in einer endlosen Dunkelheit.

Was man über Hexen weiß

Der Geruch von Kräutern war das erste, was Stella wahrnehmen konnte, als sie langsam wieder zu sich kam. Eine Mischung aus süßlichen und bitteren, nahezu exotischen Düften, die überraschend angenehm waren. Noch nie zuvor hatte sie so etwas gerochen, irgendwie schien es eine seltsame Wirkung auf sie zu haben. So beruhigend und beinahe vertraut.

Zögernd richtete sie sich auf und brauchte erst eine Weile, bis sie einigermaßen klar denken konnte, so sehr befand sie sich noch im Halbschlaf. Blonde, lange Haarsträhnen fielen zerzaust über ihre Schultern nach vorne, also waren sie nicht mehr zu einem Zopf zusammengeflochten, wie es sonst der Fall war. Verschlafen rieb sie sich die Augen und blickte sich anschließend irritiert um. Eine Holzhütte. Zuletzt war sie noch irgendwo tief im Wald gewesen, oder? Und nun saß sie auf einem Bett in einem ihr fremden Haus.

Mehrere schmale Regale reihten sich an den Wänden eng nebeneinander und waren bis auf den letzten Zentimeter mit etlichen Gegenständen vollgestopft, die sie alle gar nicht mit nur einem Blick erfassen konnte. Darunter befanden sich zum Beispiel einige Gläser und andere kleine Behälter, auch eine Vielzahl von verschiedenen Pflanzen, Wurzeln und getrocknete Früchte konnte sie ausmachen und das war bloß ein kleiner Teil von dem, was in den Regalen gelagert wurde. Viele Sachen hatte sie bisher sogar noch nie gesehen.

Ihr Blick löste sich von den Regalen und wanderte durch den restlichen Raum. Die meisten Einrichtungsgegenstände waren, wie das Haus selbst, aus Holz und wirkten schon ziemlich alt. Eigentlich war der Raum an sich nicht allzu groß, wie sie zu Beginn gedacht hatte, was vermutlich an den Regalen und der Vielzahl an Utensilien lag, die dort zu finden waren. Nein, es war alles sehr überschaubar, noch dazu schien es keine weiteren Zimmer zu geben.

Mehr außer einem Tisch mit zwei Stühlen, einer Kochstelle und dem Bett, auf dem sie saß, passte gar nicht in den Raum rein und allein diese Dinge waren wohl schon mit Mühe und Not untergebracht worden. Obwohl dieser winzige Raum auf den zweiten Blick viel zu überfüllt aussah, wirkte es äußerst gemütlich. Dadurch fühlte sie sich auf Anhieb wohl, dabei sollte ihr diese fremde Umgebung eher unbehaglich sein.

Gerade als sie sich fragte, wo sie überhaupt war und sich zu erinnern versuchte, was sie zuletzt erlebt hatte, lenkte ein lautes Quietschen ihre Aufmerksamkeit auf sich, das sich wie der Klagelaut eines sterbenden Tieres anhörte. Die Tür zur Hütte wurde gerade geöffnet und jemand trat von außen gemächlich herein. Eine zierliche Gestalt, eingehüllt in einem braunen Umhang samt Kapuze, unter der das Gesicht vollständig in den Schatten verschwand. Behutsam schloss die Person die Tür wieder, woraufhin ein weiteres Quietschen zu hören war.

Keine einzige Sekunde lang verspürte Stella Furcht, im Gegenteil. Sie fühlte sich erstaunlich sicher und geborgen, fast wie damals bei ihrer Mutter. Dieses Gefühl hatte sie schon lange nicht mehr erlebt, also musste es sich bei dieser Person um einen guten Menschen handeln, ihr Gespür sagte ihr das.

Hätte dieser Mensch ihr etwas antun wollen, müsste sie gefesselt und geknebelt sein, stattdessen lag sie in dem einzigen Bett, das es hier gab. Zudem hatte man sie sogar ganz alleine im Haus liegen gelassen, was im Grunde für den Eigentümer ein Risiko darstellte und offenbar war die Tür auch nicht abgeschlossen worden, so dass sie jederzeit hätte verschwinden können. Daher gab es für sie wirklich keinen Grund, Angst zu haben.

Hatte sie sich zum Schluss nicht richtig schlecht gefühlt? Bestimmt hatte diese Person ihr geholfen und sich um sie gekümmert, denn sie fühlte sich besser als je zuvor. Richtig erholt.

„Ähm“, fing Stella unsicher an und warf einen kurzen Blick zu dem einzigen, verschmutzen Fenster, hinter dem es recht hell aussah. Also ging sie davon aus, dass es Mittag sein musste. „Guten Tag.“

„Hm?“ Überrascht drehte die geheimnisvolle Gestalt sich in ihre Richtung. „Oh, du bist wach? Schön zu sehen, dann geht es dir wohl besser.“

Was für eine angenehm klare und melodische Stimme diese Fremde hatte, bei der es sich ebenfalls um eine Frau handelte. Davon war Stella überwältigt. „Ja, mir geht es sogar sehr gut. Das habe ich sicher Ihnen zu verdanken?“

„Du brauchst nicht so förmlich zu sein“, wandte sie ein und stellte einen Korb auf dem Tisch ab, in dem sich einige Pilze befanden.

„Verzeihung, Macht der Gewohnheit“, versuchte Stella gleich, ihr Verhalten zu entschuldigen.

Als Priesterin musste sie jedem stets mit Respekt und Höflichkeit begegnen, egal ob reich oder arm, und dazu gehörten auch solcherlei Förmlichkeiten. Sie selbst fand es eher recht lästig, weil sie dabei das Gefühl nie loswurde, durch das Siezen eine unsichtbare Mauer zwischen sich und ihren Mitmenschen zu schaffen. Dabei hatte sie diesen Weg eingeschlagen, um anderen zu helfen und nicht, um sich von ihnen zu distanzieren.

Da sie mit den Gedanken weiter abzuschweifen drohte, schüttelte sie diese ab und fuhr mit dem Gespräch fort. „Mein Name ist Stella. Vielen Dank für deine Hilfe und Gastfreundschaft.“

Zwar konnte Stella ihr Gesicht nicht sehen, wegen der Kapuze, doch sie glaubte, zu spüren, dass ihre Retterin sie misstrauisch beäugte. Welchen Grund hätte sie dafür haben können? Auch ihre Antwort fiel merkwürdig zurückhaltend aus. „Schon gut ...“

Zügig wandte sie sich von ihr ab und zeigte damit, nicht weiter auf das Thema Rettung eingehen zu wollen.

„... Du solltest dich auch noch eine Weile schonen“, fügte sie noch leise bittend hinzu.

Klang so, als glaubte sie, Stella wollte so schnell wie möglich von hier verschwinden. Irgendwie benahm sie sich ein wenig seltsam, aber sie wollte die Frau nicht unnötig noch mehr verunsichern, als sie es offensichtlich schon war, darum wechselte sie das Thema. „Seltsam, ich kann mich nicht genau daran erinnern, was ich zuletzt gemacht habe und warum.“

„Das sind Nebenwirkungen von dem Gift“, erklärte sie und sammelte einige Dinge aus den Regalen zusammen, wobei sie sichtlich darum bemüht war, ihrem Gast möglichst keinen weiteren Blick zu schenken.

Erschrocken weiteten sich Stellas hellgrüne Augen. „G-Gift?!“

„Ja. Du hast einige Beeren gegessen, die für Menschen giftig sind. Erst wird einem nur schwindelig, aber dann bekommt man hohes Fieber und fühlt sich immer schwächer. Ist das Gift weit fortgeschritten, verliert man das Bewusstsein und wacht in der Regel nicht mehr auf.“ Während die Fremde all dies erzählte, hantierte sie an der Kochstelle herum und fing an etwas zuzubereiten. „Fast wäre jede Hilfe zu spät gewesen, aber eine höhere Macht meint es wohl gut mit dir. Da ist ein Erinnerungsverlust leicht zu verschmerzen.“

„Verstehe“, stimmte Stella dem zu und legte sich eine Hand auf ihre Stirn. Neben dem Erinnerungsverlust hatte sie vergessen die Kopfschmerzen zu erwähnen. „Also werde ich ab jetzt immer eine Gedächtnislücke haben?“

„Mit der Zeit wirst du dich wieder an alles erinnern können, aber geh es langsam an.“ Eine angespannte Pause trat ein, bevor sie weitersprach. „Außerdem war es nicht wichtig. Ich meine, sicher nicht. Vorerst ist es wichtiger, dass du dich vollkommen erholst.“

„Vermutlich hast du recht. Nun ja, ich muss aber ziemlich dumm sein, wenn ich einfach irgendwelche Beeren gegessen habe, die giftig sind“, seufzte Stella.

„Dumm würde ich nicht sagen. Du wusstest es nur nicht besser und diese Beeren verführen optisch auch einfach dazu, sie zu essen. Sie riechen sogar sehr gut und schmecken süß, sind aber tödlich.“

„Beeren der finsteren Verführung. Arbeiten mit ganz schön fiesen Tricks“, scherzte sie und wunderte sich über sich selbst, dass sie so locker war.

Darüber musste die Gastgeberin schmunzeln, räusperte sich jedoch kurz darauf und wurde wieder neutral. „Beim nächsten Mal solltest du wirklich jemanden mitnehmen, der sich im Wald auskennt. Erst recht wenn dieser schon als gefährlich gilt.“

Demnach war sie wirklich im Wald unterwegs gewesen, so weit konnte Stella sich also erinnern. Trotzdem blieben einige Lücken vorhanden, weshalb Fragen aufkamen.

„Gefährlich? Warum denn?“, wollte sie in Erfahrung bringen. Sicherlich müsste sie es eigentlich wissen, aber in diesem Augenblick konnte sie sich nicht daran entsinnen.

„Auch das hast du vergessen? Erklärt dein Verhalten“, murmelte die Frau. Stella war sicher, sie traurig seufzen zu hören. „Wegen der bösen Hexe.“

„Hexe?“, wiederholte sie erstaunt und dachte nach.

Hexen galten generell als dunkle Wesen mit unmenschlichen Fähigkeiten, die sie dazu nutzten, Unheil über das Land und seine Leute zu bringen. Sogar Gott hatte sich von ihnen abgewandt, hieß es, darum besaßen sie auch angeblich ein so scheußliches Aussehen, dass dieser kaum zu ertragen war.

Alte, schrumpelige Haut, auch wenn die jeweilige Hexe noch so jung war. Ein krummer, buckeliger Rücken. Abgemagert, egal wie viel sie auch aßen oder das genaue Gegenteil davon: So dick, dass sie sich kaum bewegen konnten. Große Hakennasen. Warzen und andere Flecken auf der Haut. Der Kopf ganz kahl oder die Haare grau. Ein Blick, so irre, dass er selbst die stärksten Männer in die Flucht trieb. Kratzige, schrille Stimmen, von denen man eine Gänsehaut bekam. Für die Beschreibung einer Hexe gab es unzählige Beispiele, manche harmloser, andere nahezu grotesk.

Stella hatte bisher noch nie einer Hexe von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden, aber sie hatte mal indirekt Kontakt mit einer gehabt, über ihre Mutter. Das war schon einige Jahre her, in ihrer Kindheit.

„Und warum gilt sie als böse?“, hakte sie nach, da sie sich ja leider nicht erinnerte. Sicher, jede Hexe wurde grundsätzlich als böse abgestempelt, daher änderte sie ihre Frage auch nachträglich leicht ab. „Ich meine, was hat sie getan?“

Erst schwieg die Befragte eine Weile und kochte dabei weiterhin, wobei sie viel mit Kräutern arbeitete. „Was Hexen so tun. Leute verfluchen.“

Anscheinend war es kein so glückliches Thema für diese Frau, deren Namen sie nicht kannte. Sie hatte sich ihr ja auch nicht vorgestellt. Für Stella war das Thema Hexen dagegen schon immer interessant gewesen, auch wenn es nicht das richtige Wort dafür war.

„Ein Menschenleben zu retten kann man nicht als Fluch bezeichnen“, sagte sie unbewusst vor sich hin und zuckte erschrocken zusammen, als daraufhin ein lautes Scheppern den Raum kurzzeitig erfüllte. Etwas Metallisches war zu Boden gefallen, vermutlich ein Topfdeckel oder eine Kelle, mit was auch immer die Namenlose an der Kochstelle am Arbeiten war.

Verunsichert lugte sie ein wenig über ihre Schulter zu Stella herüber, ihr Gesicht blieb jedoch verhüllt von den Schatten der Kapuze. „W-Wie war das?“

„Was?“ Nun hatte Stella begriffen, dass sie eben laut gesprochen haben musste. Nervös winkte sie ab. „Ach, nicht so wichtig. Ich, äh, ich habe nur eine eigene Vorstellung von Hexen, mehr nicht.“

Jeder hasste Hexen. Ausnahmslos. Alle sagten, dass sie böse waren. Ausnahmslos. Wer das Gegenteil behauptete, galt unter seinen Mitmenschen als Außenseiter. In schlimmsten Fällen wurde man sogar selbst als Hexe beschimpft oder für krank gehalten. Einmal wurde jemand als besessen gebrandmarkt und am Ende hingerichtet, damit diese Person keinen Schaden anrichten konnte, indem sie für ihre Herrin spionierte oder schlimmeres tat.

Aus diesem Grund wäre es höchst riskant, offen mit anderen darüber zu sprechen, was sie über Hexen dachte. Erst recht als Priesterin. Man könnte behaupten, das Böse hätte Besitz von ihrer Seele ergriffen und sie umgekehrt. Irgendeine Geschichte eben, die zwar verrückt klang, aber erklären sollte, warum sie nicht die gleiche Meinung teilte wie der Rest der Welt.

Im Grunde hatte sie schon zu viel gesagt und überlegte, wie sie da wieder rauskommen konnte, doch ihre Gesprächspartnerin kam ihr zuvor. „Jeder sollte seine eigene Meinung haben. Ich werde dich deswegen nicht verurteilen. Also ich, nun, würde sie wirklich gerne hören.“

Zum ersten Mal klang die bisher so verschlossene Frau ernsthaft interessiert und offen. Auf eine seltsame Weise sorgte es für ein angenehm warmes Gefühl in Stellas Herzen. Als sie dann auch noch mit einer Tasse in der Hand zu ihr herüber kam und sie ihr reichte, freute sie sich richtig darüber. Dankend nahm Stella sie entgegen. Heißer Kräutertee, das hatte sie also die ganze Zeit über gekocht.

Mit einer weiteren Tasse nahm die Frau am Tisch Platz, setzte sich aber so hin, dass sie sich einander nicht anschauen konnten. „Wenn du natürlich nicht darüber reden willst, dann zwinge ich dich auch nicht dazu.“

„Hm.“ Tatsächlich wäre es erleichternd, endlich mit jemandem darüber sprechen zu können. Nur musste sie vorsichtig sein, nicht dass sie sich selbst irgendwann an einem Pfahl festgebunden wiederfand und als Verrückte verbrannt werden würde oder so. „Darf ich dich vorher fragen, was du von Hexen hältst?“

„Ich?“ Zunächst nahm sie einen kleinen Schluck, nachdem sie gepustet hatte. Dann antwortete sie. Nicht neutral, wie sie sich sonst gab, sondern bedrückt. Spürbar bedrückt. „Ich denke, sie werden missverstanden.“

Pure Erleichterung durchströmte Stella, als sie diese Worte hörte. Sie war so unendlich erleichtert, dass sie anfangen musste zu weinen. Plötzlich liefen ihr Tränen über die Wangen, von einer Sekunde zur nächsten. Zum Glück konnte die Frau es nicht sehen, da sie ja abgewandt von ihr saß. Dieser Ausbruch war ihr nämlich ganz schön peinlich. Wie konnte man nur so nah am Wasser gebaut sein?

Rasch wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht und starrte in ihre Tasse hinab. Lange schon träumte sie geradezu davon, ihre Meinung und Sicht offenlegen zu können. Endlich konnte sie sich diesen Stein vom Herzen reden, den sie schon ewig mit sich herumschleppen musste. „Weißt du, meine Mutter wurde damals von einer Hexe gerettet. Da war ich noch ein Kind gewesen. Meine Mutter war sehr krank. Ihr Herz hatte ihr schon immer Probleme bereitet, aber eines Tages wurde es richtig schlimm und der damalige Priester meinte, sie würde es nicht schaffen. Dann tauchte wie aus dem Nichts diese Hexe auf, warf einen Blick auf meine Mutter und mischte etwas aus ihren Kräutern und anderen Sachen zusammen, die sie dabei hatte, und gab es ihr zu trinken. Nur einen Tag später ging es ihr auf einmal besser, sie war sogar fitter als jemals zuvor. Aber ...“

Bilder aus der Vergangenheit kamen ihr in den Sinn und erweckten die Verzweiflung von damals wieder zum Leben. „Aber es kamen weitere Priester und andere Heilige zu uns, die uns sagten, die Hexe hätte meine Mutter nicht gerettet, sondern verflucht. Dieser Fluch sollte bewirken, dass das Böse in ihr Herz einziehen konnte und ihre Seele nach dem Tod keinen Frieden finden würde. Die Seele meiner Mutter gehörte nun der Hexe und diese wollte sie für ihre Zwecke missbrauchen, wenn die Zeit reif war. Um das zu verhindern, nahm man sie mit. Angeblich, um sie zu reinigen, aber ich habe sie seit jenem Tag nicht mehr wiedergesehen. Auch die Hexe nicht, denn sie war direkt nach ihren Auftauchen auch genauso spurlos verschwunden.“

Zitternd umklammerte sie die Tasse fester. Erneut liefen ihr Tränen über die Wangen, mehr als zuvor. Mühevoll versuchte sie die Trauer runterzuschlucken, jedoch wollte es ihr nicht so recht gelingen.

„Das tut mir leid“, sagte die Zuhörerin. So ehrlich war es ihr noch nie von jemandem gesagt worden. Bis jetzt war so gut wie jeder der Meinung, dass es nötig gewesen war, ihre Mutter von ihr zu trennen. „Du musst die Hexe dafür ganz schön hassen.“

„Was? Nein, natürlich nicht!“, schluchzte Stella entsetzt und blickte von ihrer Tasse auf. Die Frau saß nach wie vor von ihr abgewandt am Tisch, hatte inzwischen aber den Kopf gesenkt. „Die Hexe hat meine Mutter gerettet! Sie hat ein Wunder vollbracht! Es war die Angst der anderen, die dieses Wunder in ein Unheil verwandelt hat. Die Angst vor diesen sonderbaren Fähigkeiten. Vielleicht auch der Neid, ich weiß es nicht, aber wenn ich jemanden hasse, dann ganz sicher nicht die Hexe. Sie wurde doch nur fälschlicherweise als Sündenbock hingestellt.“

„Aber ...“ Ungläubig schüttelte die Frau den Kopf. „Aber was ist mit dir? Hast du keine Angst vor den Fähigkeiten der Hexe? Findest du es nicht unheimlich, dass es ihr gelungen war den Tod zu betrügen und deine Mutter aus dessen Klauen zu befreien?“

„Ich mache mir vielmehr Sorgen.“

„Sorgen?“

„Ja, um die Hexen.“ Abwesend schwenkte sie mit ihrem Blick Richtung Fenster. „Ich frage mich, was sie wohl auf sich nehmen müssen, um gegen so ein mächtiges Monster wie den Tod bestehen zu können.“

„Und ...“ Es hatte den Anschein, als wollte die Frau irgendetwas finden. Vermutlich das gleiche, was normalerweise bei jedem zu finden war, wenn es um Hexen ging: Abscheu. Hass. Etwas in der Richtung. Sie wirkte völlig verwirrt darüber, dass Stella bisher in keinem einzigen Wort etwas Negatives erwähnt hatte und sie fragte sich genau deshalb, warum sie so verbissen nach etwas dergleichen suchte. War ihre Retterin letztendlich doch genauso feindlich gesinnt gegenüber Hexen wie jeder andere auch? Hatte sie sich soeben um Kopf und Kragen geredet?

„Und was, wenn die Hexen anderen Menschen doch bloß aus Eigennutz das Leben retten?“

„Es ist schwierig. Ich finde, ich habe nicht das Recht, mir diesbezüglich was zurechtzulegen. Schließlich weiß ich gar nichts über Hexen, bis auf die zahlreichen üblen Gerüchte, die bis jetzt in die Welt gesetzt wurden. Aber wer weiß schon ganz genau, woher die Hexen ihre Fähigkeiten haben und warum sie Menschen retten? Solange ich das nicht weiß, will ich mir darüber auch kein Urteil bilden.“

„Aber ...“

„Aber eines weiß ich“, warf Stella dazwischen, ehe die andere zu Wort kommen konnte. „Die Hexe hat meine Mutter gerettet, sonst wäre sie gestorben. Aus welchem Grund auch immer, ich konnte sehen, wie es ihr besser ging. Wie sie vor Glück und Erleichterung gelächelt hatte und auch wenn dieses Glück nur von kurzer Dauer war und ihr Lächeln zerstört wurde, als man ihr sagte, sie sei verflucht worden, bin ich der Hexe dafür sehr dankbar.“

„I-Ich ...“, stotterte die Frau und stand auf, war auf einmal total aufgeregt. Nur flüchtig bemerkte Stella, wie sie eine Hand gegen ihre Brust presste, als hätte sie Schmerzen. Es war die Herzseite. „Ich habe was vergessen. Trink bitte den Tee aus, er wird dir gut tun und dir dabei helfen, dich noch schneller zu erholen.“

Hastig stolperte sie um den Tisch herum zur Tür, schlüpfte nach draußen und ließ Stella allein in der Hütte zurück. Jetzt hatte die Verwirrung auch sie in Beschlag genommen. Das Verhalten dieser Person war wirklich ziemlich seltsam. Ob sie nun den nächstbesten Soldaten des Königs darüber informieren wollte, dass sie eine Hexenanhängerin bei sich zu Hause hatte? Bei dem Gedanken musste sie hart schlucken. Andererseits ...

„Würde sie einen Soldaten holen wollen, hätte sie sich vorher nicht noch einmal die Mühe gemacht, mir zu sagen, dass der Tee mir helfen würde, mich besser zu erholen.“

War sie zu naiv? Auf alle Fälle entschied sie, nicht die Flucht zu ergreifen und darauf zu vertrauen, dass kein Soldat auftauchen würde. Davon abgesehen wusste sie nicht mal, wo sie war. Durch das schmutzige Fenster konnte man nichts erkennen. Zudem waren da noch diese Kopfschmerzen und der Hoffnungsschimmer, jemanden gefunden zu haben, mit dem sie endlich über Hexen reden konnte, ohne ständig nur von Verbrennungen und andere Formen der Hinrichtung zu sprechen.

... Und wenn ich mich irre?

Seufzend nahm sie einen großen Schluck von dem Kräutertee, der mittlerweile lauwarm war und spuckte ihn sofort in die Tasse zurück. „Igitt! Ist das bitter!“

Was man über Hexen wissen sollte

Die Frau war am Abend zurückgekehrt, ohne einen Soldat im Schlepptau zu haben. Stella konnte gar nicht beschreiben, wie erleichtert sie darüber gewesen war. Dafür wurde sie aber von ihr nun förmlich ignoriert, statt dass sie einfach nur den Blickkontakt zu meiden versuchte. Selbst wenn Stella sie vorsichtig ansprach, blieb die andere stumm, und da sie ihre Retterin nicht unnötig bedrängen oder gar nerven wollte, schwieg sie seitdem lieber ebenfalls.

Irgendwie hatte sie es nach dem plötzlichen Aufbruch ihrer Gastgeberin doch geschafft, mit Hängen und Würgen diesen Kräutertee zu trinken. Gute Medizin war ja angeblich bitter und diese hier erfüllte diese Aussage in jederlei Hinsicht, so was Widerliches hatte sie zuvor noch nie im Mund gehabt. Nachdem sie die Tasse aber komplett geleert hatte, verschwanden wie durch Zauberhand ihre Kopfschmerzen und eine wohlige Wärme strömte durch ihren Körper. Dieser Zustand hielt bis jetzt an und darum war sie sehr froh.

Zwischendurch war sie zwar kurz eingenickt, hing ansonsten aber ihren Gedanken nach. Das Thema Hexen begleitete sie ja schon seit langer Zeit, doch durch das Gespräch mit der Namenlosen war der Drang, mehr über sie zu erfahren, stärker als je zuvor. War sie deswegen im Wald unterwegs gewesen? Um die dortige Hexe aufzusuchen und sich schlau zu machen?

Falls ja, warum tat sie es ausgerechnet erst jetzt? Sie hätte es schon früher tun können. Es musste noch mehr dahinter stecken, jedoch konnte sie sich immer noch nicht erinnern. Zum verzweifeln.

Die Nacht war angebrochen. Glaubte sie zumindest, denn hinter dem schmutzigen Fensterglas war es nun dunkel. Weil sie zuvor am Tag ein Nickerchen gemacht hatte, war sie nun hellwach und konnte nicht mehr schlafen. Nachdenklich blickte sie durch den Raum und genoss den Geruch der Kräuter. Daran könnte sie sich gewöhnen. Gut möglich, dass sie es schon getan hatte.

Schließlich blieb ihr Blick an der Frau hängen, die zurückgelehnt in einem Stuhl am Tisch saß und im Gegensatz zu ihr schlief. Stella wusste genau genommen gar nichts über sie, hatte zwischenzeitlich sogar befürchtet, an eine hexenfeindliche Person geraten zu sein, die sie nach ihrer Erzählung nun für verrückt hielt und doch war von Anfang an ein vertrautes Gefühl da gewesen, wie bei ihrer Mutter, was nach wie vor seltsam war.

Manche Besucher der Kirche hatten ihr schon davon erzählt, dass sie einem Menschen begegnet waren, mit dem sie sich sofort stark verbunden fühlten, obwohl sie diesen zum ersten Mal sahen. Ihr Ausbilder meinte, dass so etwas nicht ungewöhnlich wäre, sondern eine wunderbare Sache. Er hatte gesagt, es hätte etwas mit Schicksal und den Erinnerungen aus einem anderen Leben zu tun. Diese beiden Faktoren sorgten dafür, dass man Menschen, die einem zu irgendeiner vergangenen Zeit mal wichtig gewesen waren, niemals aus dem Gedächtnis strich und ihnen früher oder später wieder über den Weg lief. Aus diesem Grund konnte es auch passieren, sich auf den ersten Blick unsterblich in jemanden zu verlieben.

Gedankenverloren verharrte sie mit ihrem Blick auf ihrer Retterin. Ob ihre Anwesenheit sich für sie deshalb so vertraut und angenehm anfühlte? Eine seltsame Entdeckung verdrängte diese Überlegung.

„Hm?“ Stella kniff die Augen zusammen. „Was ist das?“

Da war etwas Dunkles. Sicher, es war Nacht, zurzeit war das normal, aber etwas Dunkles umgab die Frau, nein, verließ ihren Körper, schwebte an die Decke und verschwand durch diese. Sah beinahe aus wie eine Art Rauch. Eine schwarze Aura? Sogleich huschte ein kalter Schauer über ihren Rücken, trotzdem stand Stella auf und schlich leise zu ihr.

In ihrer Nähe könnte sie nun auch etwas spüren. Aus irgendeinem Grund schoss ihr der Begriff negative Strömungen durch den Kopf und ihre Haut fing an zu kribbeln. Fühlte sich ein bisschen wie feine Nadeln an, die ihr mit jedem Stich die Wärme entzogen und gegen Kälte austauschten. Sie fröstelte und rieb sich die Arme.

Priester waren dafür bekannt, ein besonderes Gespür für außergewöhnliche Regungen wie solche zu haben, auch Stella besaß dieses Talent, sonst wäre sie wohl nicht so leicht in der Kirche aufgenommen worden und sie ahnte, dass dieser Rauch schädlich war, worum es sich auch handeln mochte. Besorgt streckte sie eine Hand aus, um nach der Schulter der Schlafenden zu greifen und sie zu schütteln, doch so weit kam es nicht.

Plötzlich fegte scheinbar aus dem Inneren der Frau eine kräftige Druckwelle nach außen und schleuderte Stella durch die Luft, bis sie von einer Wand aufgehalten wurde. Bei dem Aufprall stockte ihr kurzzeitig der Atem und ein stechender Schmerz zog sich durch ihren Rücken. Auch Gegenstände flogen kreuz und quer durch die Luft, prallten aneinander oder ebenfalls gegen die Wände. Dieser Lärm musste die Hausherrin wachgemacht haben, denn sie sprang vom Stuhl hoch. Mit ihrem Erwachen ließ dieser kräftige Wind augenblicklich nach und Stella fiel mitsamt den anderen Gegenständen zu Boden.

„Oh nein!“, keuchte die vermeintliche Verursacherin betroffen. Ohne zu zögern eilte sie zu Stella hinüber und beugte sich zu ihr runter. „Das wollte ich nicht! Ist alles Ordnung mit dir?!“

Der Wind musste ihr die Kapuze vom Kopf gerissen haben, denn Stella konnte endlich ihr Gesicht sehen. Vor Schmerz konnte sie die Augen zwar nur halb offen halten, aber das reichte völlig aus, um festzustellen, was für ein hübscher Anblick sie war: Helle, reine Haut. Langes, geschmeidiges, schwarzes Haar und goldene Augen. Leuchtendes Gold. So etwas Faszinierendes hatte sie noch nie gesehen.

„Warum“, murmelte sie vor sich hin. Durch diesen unglaublich starken Schmerz im Rücken war ihr Körper dabei, sich davor zu schützen, indem er sie ins Traumland schicken wollte. Ausgerechnet jetzt. „Warum versteckst du dich unter dem Ding?“

„Was?“ Sorge spiegelte sich in ihren Augen wider.

„Du bist so ... wunderschön.“

Das waren die letzten Worte, die sie über die Lippen brachte. Danach wurde ihr schwarz vor Augen.
 

***
 

Erneut war es der Geruch von Kräutern, den sie bei ihrem Erwachen als erstes wahrnahm. Dieser süßlich-bittere, exotische Duft, den sie bereits lieben gelernt hatte. Langsam öffnete sie die Augen und blickte an die hölzerne Decke der Hütte. Zum ersten Mal schoss ihr die Frage durch den Kopf, wie lange sie überhaupt schon hier war?

Müde setzte sie sich aufrecht hin und rieb sich den letzten Schlaf aus den Augen. Hatte sie geträumt oder konnte sie vergangene Nacht tatsächlich das Gesicht der Frau sehen? Schmerzen hatte sie jedenfalls keine mehr, nicht mal ein bisschen, und aufgeräumt sah der Raum auch aus, zumindest wäre es unmöglich, dieses Chaos ohne weiteres in Ordnung zu bringen, das diese Druckwelle angerichtet hatte.

Die – nach wie vor namenlose – Frau stand an der Kochstelle und bereitete irgendwas zu, wobei sie sehr konzentriert war. Das hoffte Stella, denn sie wollte unbedingt wissen, ob sie nur geträumt hatte oder nicht, auch wenn ihr folgendes Vorhaben als recht unhöflich eingestuft werden könnte. Erst recht bei einer Person, die sie immer noch nicht sonderlich gut kannte, egal ob sie von ihr gerettet worden war oder nicht.

Vorsichtig stand sie auf und bewegte sich so lautlos wie möglich auf die Hausherrin zu. Vor lauter Nervosität trommelte ihr Herz gegen die Brust und veranstaltete damit ein regelrechtes Konzert, das in ihren Ohren rauschte. Kurze Zeit später stand sie hinter ihr und nahm allen Mut zusammen, bevor er sie wieder verlassen konnte. Ohne Zurückhaltung griff sie nach der Kapuze und zog sie zu sich nach hinten.

Überrascht wandte sich das Opfer ihrer Aktion zu ihr um und sah sie direkt an. Stella hielt den Atem an. Kein Traum. Sie hatte nicht geträumt! Helle, fast weiße Haut, so makellos, ohne jegliche Unebenheiten. Langes Haar, so schwarz wie die Nacht und glänzend wie Seide. Augen so leuchtend wie Gold und unergründlich tief. Im Zusammenspiel mit dem Haar wirkte ihr Augenpaar fast wie zwei strahlende Monde am nächtlichen Himmelszelt. Ihr Gesicht war so unbeschreiblich schön. Jung und doch von Reife erfüllt. Alles passte perfekt zusammen.

Stella konnte lange nichts anderes tun, außer sie unentwegt anzustarren und merkte auch nicht, dass ihr Mund halb offen stand. Irgendwann wurde ihr aber bewusst, was sie hier gerade tat, dennoch konnte sie nicht den Blick abwenden. Sie war total gefangen von diesem Anblick und es war ihr gleichzeitig peinlich. Für gewöhnlich achtete sie nie auf Äußerlichkeiten und fand sogar, dass diese viel zu wichtig genommen wurden, aber jetzt stand sie hier und war total gebannt von ihrem Aussehen.

Verlegen senkte ihr Gegenüber irgendwann den Kopf und strich sich durch die Haare. „Du bist also wach. Es scheint dir gut zu gehen.“

„Äh, also ...“ Nun wandte auch Stella verlegen den Blick ab. „Ich, äh, ja. Tut mir leid, ich wollte nicht aufdringlich sein. Ich wollte nur wissen, ob ...“

„Schon gut. Du wolltest nur wissen, ob du geträumt hast oder nicht, richtig?“

„Ja, genau“, bestätigte sie, doch es blieb ihr unangenehm.

Da das Wasser in einem der Töpfe überzukochen drohte, drehte die Frau sich um und fuhr da fort, wo sie vorhin unterbrochen worden war. „Also, du kannst dich gerne schon mal an den Tisch setzen. Ich habe Frühstück gemacht.“

„Oh, danke, das ist nett.“

Dem Angebot ging Stella gern nach und nahm deshalb Platz an dem Tisch in der Mitte des Raumes. Sie gab keinen Laut mehr von sich und starrte stur auf die Oberfläche des Tisches vor sich. Auch wenn Stella sie gar nicht mehr ansah, schwirrte ihr ohne Unterlass dieses hübsche Gesicht im Kopf herum und vergrößerte den Ärger, den sie auf sich selbst empfand. Auf keinen Fall wollte sie sich so sehr von Äußerlichkeiten beeinflussen lassen, was sollte sie nur dagegen tun?

... Aber diese goldenen Augen. So etwas gibt es normalerweise doch nicht. Wie ist das möglich? So schön.

„Argh!“ Für eine Sekunde setzte ihr Verstand aus und sie schlug mit dem Kopf auf den Tisch, was sie nur einen Wimpernschlag später bereute. „Aua! Verdammt! Ah, nein, jetzt habe ich auch noch geflucht!“

„Hier“, warf die Frau ein und stellte ihr einen Teller hin, auf dem ein Frühstück serviert wurde, wie man es von fast jedem, gewöhnlichen Haushalt kannte: Brot, Eier und etwas Speck. Nur die grünen Kräuter waren ein netter Zusatz. „Du solltest dir nicht so viele Gedanken machen und dir vor allem nicht selbst weh tun, sonst bleibst du noch länger mein Patient.“

„J-Ja. Und Danke.“

Anschließend saßen sie beide am Tisch, nur stocherte Stella bloß in ihrem Essen herum, ihre Gesellschafft dagegen ließ es sich schmecken. Diese hatte die Kapuze nicht mehr aufgesetzt, wodurch Stella wieder und wieder dazu verleitet wurde, einen Blick zu ihr rüber zu werfen. Sie war ihr durch und durch ein Rätsel. Außer, dass sie von ihr gerettet wurde, wusste sie gar nichts von dieser Frau. Dabei wüsste sie zu gerne ihren Namen.

Luna“, erhob ihr Gegenüber unerwartet das Wort. „Mein Name, den habe ich dir noch nicht gesagt.“

Überrascht fror sie erst in ihrer Bewegung ein und benötigte einen Moment Zeit, bis sie sicher sein konnte, sich das nicht nur eingebildet zu haben.

„Wow. Danke“, meinte Stella dann begeistert, sackte aber beschämt im Stuhl zusammen, als Luna amüsiert zu schmunzeln anfing.

„Sag mal, soll das ein Gesicht sein?“, nickte sie zu ihrem Teller rüber.

In der Tat hatte Stella unbewusst die Lebensmittel zu einem Gesicht zusammengeschoben, das lächelte. Schnell fing nun auch sie an zu essen. „Mmmh, köstlich!“

„Danke“, erwiderte Luna, nur sagte sie dies so eindringlich und glücklich, dass sie kaum das Frühstück gemeint haben konnte. Darum fragte Stella nach, wofür, immerhin hätte eigentlich vielmehr sie gute Gründe, sich zu bedanken.

Die Antwort, die sie darauf bekam, verwirrte sie nur umso mehr. „Dafür, dass du mich siehst.“

„Wie meinst du das?“

„Du interessierst dich doch für Hexen, oder?“, sprach Luna das Thema von sich aus an und legte das Besteck zur Seite. „Wusstest du, dass normale Menschen das wahre Ich von ihnen nicht sehen können?“

Erstaunt weiteten sich Stellas Augen. „Was?! Wie meinst du das?“

„Die Menschen können nur das falsche Bildnis einer Hexe sehen, solange ihr Herz auch nur ansatzweise mit negativen Strömungen gefüllt ist. Oder besser gesagt: Negative Eigenschaften. Und davon kann sich so gut wie niemand freisprechen. Jeder besitzt in irgendeiner Art und Weise Macken und Kanten, die in Bösartigkeit ausarten könnten, aber nicht müssen.“

„Ah, ich weiß, worauf du hinauswillst.“ Stella nickte verstehend. „Jeder Mensch besitzt sowohl eine gute, als auch eine böse Seite. Das richtige Zusammenspiel macht die perfekte Mischung aus.“

„Ja, schon. Aber das heißt auch, dass eine Hexe dazu verdammt ist, niemals wirklich gesehen zu werden. Menschen ohne jegliche negative Strömung gibt es nicht. Höchstens jene, die sie zwar in sich tragen, die positive Seite jedoch so stark ist, dass sie durch diesen Schleier durchblicken kann und auch solche Menschen sind selten.“

Neugierig beugte Stella sich vor. „Ich verstehe nicht ganz. Meinst du, dass sich jemand mit negativen Strömungen, wie du es nennst, nicht die Mühe macht, die inneren Werte zu erkennen?“

„So leicht ist das leider nicht“, seufzte Luna zutiefst bedrückt und ließ den Kopf hängen. „Die Menschen behaupten zwar immer, Hexen würden sie verfluchen, doch in Wahrheit ist es genau andersherum. Hexen sind diejenigen, die durch einen Fluch missverstanden werden. Dieser Fluch sorgt dafür, dass alles, was sie tun, in den Augen der Menschen als schlecht dasteht. Sie sehen nicht nur grässlich aus, sondern wirken vor den Leuten auch bedrohlich in ihrer Art wie sie sprechen und handeln. Es ist wie ein überzeugendes Trugbild, das die wahre Natur verschleiert und einfach alles und jeden denken lässt, sie wären ...“

Luna hielt inne. Schluchzend ließ sie den Kopf noch tiefer sinken und beende mit zitternder Stimme ihren Satz. „Das ist die Strafe.“

Vollkommen überrumpelt von dieser unfassbaren Information bezüglich Hexen, fiel Stella nach hinten in den Stuhl zurück und schüttelte den Kopf. „Eine Strafe? Aber wofür denn?“

„Für ihre Existenz“, versuchte sie zu erklären, was ihr nicht sonderlich leicht fiel, da sie bitterlich zu weinen schien. „Hexen besitzen Fähigkeiten, die ein gewöhnlicher Sterblicher nicht besitzen dürfte. Darum ist alles, was sie ausmacht, eine Strafe. Angefangen von diesem Trugbild, das zur Abschreckung dienen soll, bis hin zur Unsterblichkeit, durch die die Einsamkeit eine unbeschreibliche Größe annimmt.“

Spätestens jetzt war Stella mit diesen Details überfordert. Eine Frage reihte sich an die nächste. Zu allem Überfluss rissen sie diese Worte emotional so sehr mit, dass auch ihr zum Weinen zumute war. Sie wusste gar nicht, wo sie zuerst anfangen sollte, wählte dann jedoch der Punkt, der sie am meisten beschäftigte. „Moment mal, Hexen sollen unsterblich sein? Aber ich habe doch schon oft genug davon gehört, wie sie auf verschiedene Weisen hingerichtet wurden und ...“

Schlagartig kehrte ihre Erinnerung zurück. Hinrichtung. Genau. Man wollte sie hinrichten lassen. Die Hexe, die im Wald in der Nähe des Königreiches lebte, das Stella ihre Heimat nannte. Ein Trupp Soldaten sollte ausgesandt werden, um sie zu holen. Wenn nötig auch mit Gewalt. Lange hatte man sie ignoriert, aus Angst vor ihren Fähigkeiten und weil sich niemand sicher war, ob es sich nur um lebhafte Gerüchte handelte oder wirklich eine existierte.

Allerdings wollte man bald einen Handelsweg durch eben diesen Wald schaffen, um die Routen somit zu verkürzen. Dabei war die Hexe selbstverständlich ein Dorn im Auge. Darum sollte ein Trupp losgeschickt werden, um die Gegend gründlich nach ihr abzusuchen und sie hinrichten zu lassen, sollte es sie geben. Und es gab sie. Das wusste Stella. Es war ein Bauchgefühl. Eines, das so stark war, wie sie es noch nie erlebt hatte.

Anfangs hatte sie vorschlagen wollen, loszuziehen und zu versuchen die Hexe von ihrer Boshaftigkeit zu reinigen. Als Priesterin zählte dies unter anderem zu ihren Aufgaben, auch wenn sie darin kaum Erfahrung hatte. In Wirklichkeit hatte sie die Hexe aber nur warnen wollen. Leider wurde ihr Vorschlag vehement abgelehnt und so hatte sie sich ohne entsprechende Erlaubnis auf den Weg gemacht.

Der Wald war groß gewesen. Sie hatte es unterschätzt. Viele Tage war sie unterwegs gewesen, ohne entsprechende Vorbereitungen, hatte sich verlaufen und diese Beeren gegessen, aus Hunger. Ja, jetzt fiel ihr das alles wieder ein. Die geplante Hinrichtung. Die Hexe.

„Oh nein!“, stieß Stella entsetzt aus und fuhr hoch. „Die Hexe! Ich muss sie warnen! Soldaten werden kommen um sie zu holen! Man will sie töten! Ich muss ...“

Ehe sie irgendetwas tun konnte, hatte Luna sie längst in einer sanften Umarmung eingeschlossen. Perplex stand Stella da und rührte sich nicht. Spürte die Wärme, die auf sie überging und dafür sorgte, dass sich ihr Körper in dieser Sekunde unglaublich leicht anfühlte.

„Ich weiß“, flüsterte Luna und umarmte sie noch stärker. „Du hast es im Schlaf gesagt, bevor ich dich behandelt habe. Während ich dich in meine Hütte brachte, hast du es wieder und wieder gesagt. Die Nachricht ist also angekommen.“

„Was?“ Eine Ahnung beschlich sie, die sie erst jetzt in Erwägung zog, nachdem ihre Erinnerung zurückgekommen war. „Sag mal ... steht deine Hütte im Wald?“

Sie nickte stumm.

„Du bist die Hexe?“

Sie nickte abermals ohne ein Wort.

„Warum ... bist du dann noch hier?“ Verständnislos wanderte ihr Blick nach oben zur Decke. „Wieso bist du nicht abgehauen, wenn du es doch wusstest?!“

„Weil ich dich dann hätte zurücklassen müssen und das wollte ich nicht. Du wärst gestorben, wenn ich mich nicht um dich gekümmert hätte.“

Stella biss sich auf die Lippen und kniff die Augen zusammen. „Dann musst du aber jetzt abhauen! Noch ist es vielleicht nicht zu spät!“

„Keine Chance. Sie sind schon im Wald unterwegs. Der Wind hat es mir verraten.“

In ihrer Stimme lag nicht die kleinste Spur von Angst verborgen. Keine Angst oder Sorgen, dass man sie erwischen könnte. Nichts. Stattdessen klang sie glücklich, was Stella nicht verstand. Stimmte es etwa, dass Hexen unsterblich waren? Aber warum hatte sie dann schon von so vielen Toten ihrer Art gehört? Warum blieb sie so gelassen? Warum floh sie nicht?

„Wenn sie dich hier im Wald finden, werden sie denken, ich hätte dich verflucht und werden dir mit Sicherheit etwas antun.“ Nach diesen Worten löste sie die Umarmung und sah Stella an. Ihr Gesicht war noch total nass und ihre Augen leicht rot unterlaufen vom Weinen, aber sie lächelte. „Es tut mir so leid. Ich habe hin und her überlegt, was ich tun könnte, finde aber immer nur eine Antwort: Ich muss sterben.“

Wonach Hexen sich sehnen

Sekunde. Hatte Stella sie richtig verstanden? Sagte sie gerade etwa, sie musste sterben? Wieso sagte sie so etwas? Selbst wenn diese wahnwitzige Vorstellung von Unsterblichkeit der Wahrheit entsprach, sollte sie so etwas Schreckliches nicht sagen, geschweige denn noch dabei lächeln, als würde es ihr nichts ausmachen.

„Es macht mir nichts aus“, sprach Luna an, was Stella soeben noch gedacht hatte. Konnten Hexen etwa Gedanken lesen? „Bis vor kurzem hätte es mir noch was ausgemacht, aber jetzt nicht mehr.“

Verzweifelt blickte Stella sie an und verstand gar nichts mehr. Alles, was sie wollte, war, dass sie nicht hingerichtet wurde, bloß weil irgendein Fluch laut ihrer Aussage dafür sorgte, dass Menschen in einer Hexe nur das Böse sahen. „Und warum jetzt nicht mehr?“

Wie auf Stichwort wurde Lunas Lächeln noch breiter und ein paar letzte Tränen liefen über ihre geröteten Wangen. „Weil ich jetzt so unbeschreiblich glücklich bin.“

Ob es daran lag, dass Stella von Natur aus sensibel war oder schlicht ebenfalls weinen musste, sobald es jemand anderes tat, konnte sie nicht sagen, doch auch ihr kamen die Tränen.

Luna weitete ihre Erklärung schließlich mehr aus. „Ich bin so dankbar dafür, dass ich dich gestern gefunden habe und dich kennenlernen durfte, auch wenn es nur für eine sehr kurze Zeit war. Deine Sichtweise, mit der du Hexen betrachtest und die Gedanken, die du dir um sie machst, obwohl die ganze Welt sie als Unheil bezeichnet, hat mich wirklich sehr berührt. Anfangs konnte ich es erst nicht glauben, dass mir nach all den unzähligen Jahren endlich so ein Mensch begegnet. Ich hatte die Hoffnung längst aufgegeben, aber jetzt weiß ich, dass es dich gibt und du hast mir meinen Mut zurückgegeben.“

„Du tust so, als sei ich das Wichtigste auf der Welt für dich. Dabei kennst du mich doch gar nicht und ich kenne dich nicht“, widersprach Stella und schüttelte den Kopf.

„Ich weiß“, meinte Luna und schmunzelte leicht. „Und doch stehen wir hier und weinen uns wegen dem jeweils anderen die Augen aus.“

„Das ist nicht witzig“, betonte sie und legte beide Hände auf Lunas Schultern. „Ich will nicht, dass du stirbst!“

„Weil es falsch ist?“

„Niemand sollte gewaltsam aus dem Leben gerissen werden! Egal ob Mensch, Hexe, Tier oder welche Formen von Lebewesen es sonst noch geben mag!“ Warum regte sie sich so auf? Was hatte dieses Herzrasen zu bedeuten? Auf einmal wollte sie die Hexe, Luna, nicht mehr einfach nur warnen, sondern beschützen.

„Du bist zu gut mir“, sagte diese in einem Ton, der Stella richtig wütend machte. Eine Wut, die ihr bekannt vorkam.

„Rede nicht so über dich!“, widersprach sie ihr und fing an, sie zu schütteln. „Du darfst nicht so schlecht von dir sprechen, als wärst du es nicht wert! Ich hasse es, wenn du das tust!“

„Warum?“

„Was?“, hielt Stella inne. Richtig, warum sagte sie so was? Es fühlte sich wie eine lästige Gewohnheit an, solche Worte von Luna zu hören und sich darüber aufzuregen zu müssen.

„Du hast es auch von Anfang an gespürt, oder? Dieses vertraute Gefühl zwischen uns.“ Das Lächeln schwand nicht aus Lunas Gesicht, aber ein trauriger Glanz schimmerte in ihren Augen. „Ich würde dich wirklich gern besser kennenlernen, aber meine jetzige Kraft reicht leider nicht aus, um uns beide vor den Soldaten zu schützen. Erinnerst du dich an die Nacht? Du hast es gesehen, oder? Etwas Dunkles, das meinen Körper verlassen hat, nicht wahr? Es wäre zu kompliziert und ich habe auch nicht die Zeit, um es dir ausführlich zu erklären, aber: Das waren sozusagen Abfallstoffe, eine noch niedere Form als negative Strömungen die entstehen, wenn wir unsere Fähigkeiten einsetzen und die nur in Ruhephasen abgebaut werden können und müssen. Sonst können sich unsere Reserven nicht wieder füllen und darum habe ich momentan nur noch so viel übrig, dass ich dich allein vor den Soldaten schützen kann.“

Stella wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie war gekommen, um Luna zu warnen und zu retten, doch es lief bisher genau andersherum, nicht so wie geplant. Diese Hexe hatte ihr das Leben gerettet und sich um sie gekümmert. Zwar hatte sie schon immer geahnt, dass diese Leute sicherlich nicht so bösartig waren, wie jedermann behauptete, aber nun hegte sie keinerlei Zweifel mehr daran. Wäre Luna böse oder würde schlechte Absichten verfolgen, hätte sie Stella im Wald sterben lassen und sie schamlos zurücklassen können, um ihre eigene Haut zu retten.

Mit dieser Situation war Stella völlig überfordert. Die Lage schien so aussichtslos. „Aber ich ... ich will dich doch auch noch besser kennenlernen.“

„Stella, du hast bis jetzt für mich gekämpft. Kannst du mir auch noch einen Gefallen tun?“

Unsicher sah sie Luna an. Sie fürchtete sich vor der Bitte, die sie stellen würde, aber nickte ohne Worte und sah, wie sich Erleichterung in der Mimik ihres Gegenübers ausbreitete. „Vertraue mir, bitte.“ Mit diesen Worten löste sie sich von Stellas Griff und entfernte sich einige Schritte von ihr. „Und vertraue dem Schicksal.“

„Dem Schicksal?“, wiederholte Stella ratlos.

„Ja, ich meine ... Stella und Luna. Denkst du, das ist Zufall?“

Jetzt, wo sie es ansprach, bemerkte auch Stella, dass die Bedeutungen der Namen erschreckend gut zueinander passten. „Mein Ausbilder sagt immer, es gibt keine Zufälle.“

„Ein weiser Mann.“ Mit leichten Schritten bewegte sie sich auf die Tür zu, griff nach der Klinke und öffnete sie, ging jedoch noch nicht raus. „Weißt du, wonach Hexen sich am meisten sehnen?“

Stella schüttelte den Kopf. Nicht, weil sie es nicht wusste, sondern weil sie es nicht hören wollte. Luna sagte es ihr dennoch. „Wir sehnen uns danach gesehen zu werden. Verstanden zu werden. Wir wollen nicht mal gerettet werden. Wir wollen einfach nur leben.“

„Das kannst du“, versuchte Stella sie umzustimmen. „Wir finden eine Lösung!“

„Aber ich habe meine Lösung doch schon gefunden“, entgegnete Luna zufrieden und nickte ihr zu. „Das mit deiner Mutter tut mir wirklich sehr leid. Sie hatte ein starkes Herz, nur deswegen hat sie es geschafft, wieder auf die Beine zu kommen. Viel Hilfe war dabei nicht nötig gewesen. Du bist ihr sehr ähnlich. Also bleib auch du stark, bis wir uns wiedersehen, okay? Diesmal enttäusche ich dich nicht.“

Plötzlich schien die Zeit anzuhalten. Wie erstarrt stand Stella da und sah Luna hinterher, wie sie die Hütte verließ und die Tür hinter sich schloss. Einige Sekunden lang war sie nicht dazu imstande, sich zu rühren, weil sie diese Erkenntnis verarbeiten musste, die sie soeben gänzlich aus der Bahn warf. Die Hexe, die damals ihrer Mutter geholfen hatte, war Luna? War die Welt so klein oder das Schicksal so groß?

Kaum war ihr dieser Gedanke durch den Kopf gegangen, zog sie ein merkwürdiges Geräusch in die Realität zurück. Es hörte sich so an, als würden tausende Regentropfen auf das Dach der Hütte niederprasseln und im harmonischen Einklang miteinander ein melodisches Rauschen dabei wiedergeben und zwischen diesem wohlklingenden Geräusch mischte sich dann plötzlich eine Stimme. Eine tiefe Männerstimme, die laut und fordernd wie ein Störfaktor zwischen dem Rauschen hervorstach.

„Endlich haben wir dich gefunden, Hexe!“

Die Soldaten! Sie waren also hier. Sie hatten Luna gefunden. Sie würden sie mitnehmen. Sie würde hingerichtet werden.

... Nein!

Sofort hatte Stella die Kontrolle über ihren Körper wiedergefunden und stürmte geradewegs zur Tür. Abgeschlossen! Mehrmals drückte sie die Klinke.

Klick! Klick! Klick!

Nichts. Also ging sie zum Fenster und schlug ohne darüber nachzudenken mit dem Ellenbogen dagegen. Nichts. Rasch schnappte sie sich einen von den Stühlen und schlug ihn mit voller Wucht gegen das Glas. Nichts.

... Das gibt’s doch nicht!

Draußen ertönte abermals die strenge Stimme eines Mannes, vermutlich der Anführer des Trupps. „Du wirst mit uns kommen! Wenn du dich wehrst, werden wir dich mit Gewalt dazu zwingen müssen!“

„Nein!“, schrie Stella und schlug mit dem Stuhl ein weiteres Mal auf das Fenster ein. Nichts. „Nein, lasst sie in Ruhe!“

Nochmal schlug sie zu. Wieder nichts. Sie ließ den Stuhl fallen und schlug nun mit den Fäusten gegen die Scheibe. Natürlich auch nichts. Herzrasen. Verzweifelt huschte sie nochmal zur Tür und rüttelte dort erneut an der Klinke. Nichts. Also warf sie sich mit ihrem Körper dagegen. Nichts.

... Nein! Nein! Nein!

Das prasselnde Geräusch hielt an. Es war bestimmt kein gewöhnlicher Regen. Luna musste etwas mit der Hütte angestellt hatten. Warum?

„Luna! Lass mich raus! Hörst du?!“, rief sie so laut sie nur konnte. „Hört mich jemand?! Nehmt sie nicht mit! Ich kann alles erklären! Sie ist nicht böse! Das ist alles nur ein Missverständnis! Hallo?! Hallo! Luna!“

Ununterbrochen schlug sie auf die Tür ein. Schrie. Und schlug. Schrie. Und schlug. Niemand hörte sie. Waren die Soldaten längst mit ihr verschwunden? Hatten sie Stella nicht gehört? Was hatte Luna getan? Warum ging sie freiwillig in den Tod, nur um sie zu schützen?

„Du kennst mich doch gar nicht, warum?“, fragte Stella in die Stille hinein. „Warum? Komm zurück. Ich will dich doch noch besser kennenlernen.“

Irgendwann sackte sie an der Tür zusammen, als sie erkannte, dass sie hier nicht rauskommen würde. Offenbar kannte Luna sie bereits ziemlich gut oder es war nur zu vorhersehbar, dass sie versuchen wollte, ihr Opfer zu verhindern. Ihr gingen nochmal ihre letzten Worte durch den Kopf.

... bis wir uns wiedersehen, okay?

Wiedersehen. Luna hatte sie darum gebeten, ihr zu vertrauen. Konnte sie das auch? Diesmal würde sie sie nicht enttäuschen? Hatte sie das denn je getan? Eigentlich waren sie Fremde füreinander. Wie konnte man da also einander vertrauen? Andererseits: Was hatte dieser Schmerz zu bedeuten, den Stella empfand? Sicher, sie fand es immer traurig, wenn jemand starb. Erst recht bei einer Hinrichtung und sie weinte dabei auch immer, aber noch nie hatte sie dabei solch einen sehnsüchtigen Schmerz im Herzen verspürt.

Das vertraute Gefühl, das von Anfang an da gewesen war, lag es daran, dass sie Luna als Kind schon einmal gesehen hatte, als diese ihrer Mutter das Leben rettete oder lag die Antwort noch tiefer in der Vergangenheit? Und diese Faszination, als sie zum ersten Mal ihr Gesicht sah? Ihr wahres Ich, wie sie durch ihre Erklärung durchsickern ließ? Was hatte all das zu bedeuten?

„Luna“, murmelte Stella und legte den Kopf auf die Knie. Sie schloss die Augen und versuchte, zumindest im Geiste bei ihr zu sein.
 

***
 

Stella hatte die Hütte erst verlassen können, als es bereits zu spät war. Luna war hingerichtet worden. Verbrannt, was die klassischste Methode dafür war, wenn das Volk einer Hexe das Leben nahm, im Namen des Gesetzes.

Der Regen, den sie bis zum Schluss wahrgenommen hatte, war gar keiner. Leider konnte sie sich nicht erklären, was es sonst gewesen sein könnte, denn als sie draußen vor der Hütte stand, konnte sie nichts Auffälliges entdecken. Ihr fiel jedoch gleich auf, dass weder der Boden noch die Hütte nass waren.

Was für ein Zauber es auch gewesen sein mag, sie vermutete, dass es die Behausung für das menschliche Auge von Außenstehenden unsichtbar gemacht hatte. Andernfalls hätten die Soldaten die Hütte garantiert abgebrannt oder sie zumindest durchsucht und auf den Kopf gestellt, wenn sie sie gesehen hätten.

Auf die Art hatte Luna also ihre letzten Reserven eingesetzt, um sie zu schützen und als sie starb, schwand auch die Magie. Am liebsten wäre Stella dort geblieben, aber es sprach zu vieles dagegen. Zum einen hatte sie keine Erfahrung darin, sich allein durch die Mittel des Waldes am Leben zu erhalten und zum anderen plante man, eine Handelsroute durch diesen zu bauen. Früher oder später hätte sie also jemand entdeckt und in einer Zeit, in der Hexen ein großes Thema waren, galten Leute die einsam und allein im Wald lebten als äußerst verdächtig.

Also machte sie sich auf dem Weg zurück nach Hause. In das Königreich, das Luna hatte hinrichten lassen. Dabei ließ sie sich Zeit, weil sie nicht miterleben wollte, wie die Leute diesen Tod feierten. Das hätte sie nicht ertragen.

Wie sollte es jetzt weitergehen? Sie hatte viel zu viele neue Erkenntnisse über Hexen gewonnen und ihr Bild über sie glich nun in keinster Weise mehr dem der anderen. Niemandem konnte sie davon erzählen, ohne als verrückt abgestempelt zu werden. Dabei schienen die Hexen Hilfe zu brauchen.

Wenn ein Fluch die Menschheit glauben ließ, sie wären böse, musste ihn auch jemand auf sie ausgesprochen haben. Irgendjemand war für dieses Leid verantwortlich, dass sie durchleben mussten. Ganz allein. Es gab noch so vieles, was ihr unklar war. So vieles, was sie gerne verstehen wollte.

Richtig, es hatte im Grunde erst begonnen. Was sie erlebt hatte, war gerade erst der Anfang. Gewiss würde sie nicht so tun, als wäre all dies niemals passiert und als ahnungslose Priesterin ihr Dasein fristen, sobald sie ihre Ausbildung abgeschlossen hatte. Nein, jemand musste den ersten Schritt machen. Jemand musste den Hexen beistehen. Sie musste nur einen Weg finden, ihnen zu helfen.

Außerdem hatte Luna ihr gesagt, sie würden sich wiedersehen und auch wenn es schwerfiel, wollte Stella daran glauben. Sobald der Tag kam, würde ihr Abenteuer erst richtig anfangen. Abenteuer? Nein. Ihre Mission. Ihr Schicksal. Ihr gemeinsames Schicksal, dass sie auf magische Weise mit Luna verband.

Zuversichtlich kehrte sie nach Hause zurück, diesmal überraschenderweise ohne sich zu verlaufen, und wartete seitdem darauf, sie wiederzusehen. Eine Fremde, die sich insgeheim längst fest in ihrem Herzen verankert hatte, wo sie es schon immer gewesen war.

Epilog

Seit mehr als einem Jahr ging Stella nun schon täglich in dem nahegelegenen Wald spazieren. Jenem Wald, in dem sie damals ihrem Schicksal begegnet war. Inzwischen zog sich eine Straße quer durch diesen hindurch und nahezu jede Minute fuhr polternd eine Kutsche oder ein anderes Gefährt hier entlang. Ruhig wurde es hier höchstens nachts.

Niemand sprach mehr darüber, dass hier einst eine Hexe gelebt und die Bewohner des Königreiches in Angst und Schrecken versetzt hatte. Niemand außer ihr. Sie erinnerte sich sehr gut an Luna, auch wenn es größtenteils nur traurige Bilder waren, die sie mit ihr verband. Darum konzentrierte sie sich auch nur noch auf die Dinge, die schön waren. Zwar gab es davon nur wenige, doch dafür genoss sie diese Erinnerungen dann umso mehr.

Manchmal kam sie sich so vor, als würde sie auf ihren Geliebten warten. Immerhin ging sie jeden Tag im Wald spazieren, sobald es ihr die Zeit gestattete und hoffte dabei stets darauf, ihr zu begegnen. Jedes noch so kleinste Geräusch hatte ihr Herz zu Beginn ihrer Spaziergänge höher schlagen lagen. Mittlerweile hatte sie sich damit abgefunden, dass sie geduldig sein musste und es nichts brachte, sich verrückt zu machen.

Jedenfalls hatte sie viel darüber nachgedacht, was ihr Luna eigentlich bedeutete. Eine Fremde blieb sie leider in gewisser Weise, daran gab es nichts zu rütteln und doch war es ihr wichtig, sie wiederzusehen. Sie sehnte sich förmlich danach, konnte sogar während der Arbeit oft nur an sie denken. Wie gesagt, manchmal hatte sie von sich selbst den Eindruck, als würde sie auf ihren verschollenen Liebsten warten.

Das überraschende an dem Gedanken war: Sie wies ihn nicht von sich ab.

Einiges hatte sich verändert, seit jener Begegnung, vor allem sie selbst. Aus ihr unerklärlichen Gründen kannte sie sich jetzt erschreckend gut mit der Natur eines Waldes aus und auch mit den Gefahren. Hätte sie ihrem Ausbilder davon berichtet, würde seine Antwort darauf vermutlich lauten: Das Wissen aus einem anderem Leben war zu ihr zurückgekehrt. Vielleicht stimmte es sogar.

Die Hütte mied sie zur Sicherheit, auch wenn es sie sehr reizte, dort hinzugehen. Aber es blieb immerzu die Gefahr, jemandem erklären zu müssen, was sie so tief im Wald gesucht hatte und darauf wollte sie verzichten. Sicher genug konnte man nie sein.

Als sie an einem Strauch mit jenen Beeren von damals vorbeikam, blieb sie an diesem stehen und betrachtete sie kritisch. Gefährlich sahen sie wirklich nicht aus, sondern richtig lecker. Innerlich stellte sie sich aus Spaß die Frage, ob sie Luna vielleicht wieder treffen würde, wenn sie ein weiteres Mal davon aß.

Diesen Gedanken wollte sie gerade verwerfen, als hinter ihr eine Stimme erklang, die ihr vertraut war. Obwohl Stella sie nur für so kurze Zeit gehört hatte. „Denk nicht mal daran. Du müsstest doch dazugelernt haben. Ich will dich nicht wieder retten müssen, auch wenn ich es ohne zu zögern tun würde.“

Vor Nervosität war Stella wie gelähmt. Was, wenn sie es sich nur eingebildet hatte? Hoffnungsvoll faltete sie die Hände ineinander, starrte auf den Boden und versuchte, ihre Sprache wiederzufinden. „L-Luna?“

„Schau doch nach~“, summte sie vergnügt.

Stella atmete tief durch und drehte sich zögerlich um. Tatsächlich. Sie war es. Luna. Der braune Umhang. Die helle Haut. Das schwarze Haar. Die goldenen Augen. Jetzt musste sie sich nur noch davon überzeugen, dass sie real war, also ging sie ohne zu zögern dem Drang nach, der sie bei ihrem Anblick spontan packte.

Hastig lief sie auf sie zu und fiel ihr in Arme. Da sie sich nicht auflöste oder sie durch sie hindurch fiel, war sie eindeutig echt. Das Glück, das sie dabei empfand, war nicht in Worte fassen. Luna war zurück und sie war keine Einbildung. Sie war tatsächlich hier!

„Also mit so einer Begrüßung habe ich nicht gerechnet. Ganz schön stürmisch, für eine Fremde“, schmunzelte Luna verlegen.

Es mochte albern klingen, aber genau dieses Schmunzeln war ihr in guter Erinnerung geblieben. Auch sie musste schmunzeln und umarmte sie noch fester. „Können wir uns wirklich noch als Fremde bezeichnen?“

„Oh, sind wir schon entfernte Bekannte?“

„Wohl eher gute Bekannte“, berichtigte Stella sie, was Luna als Herausforderung zu sehen schien.

„Dann lieber Freunde.“

„Beste Freunde?“

„Klingt gut, aber Schicksalspartner klingt noch besser~.“

„Jetzt übertreibst du aber!“, beendete Stella dieses Spiel und löste die Umarmung, damit sie ihr sacht gegen die Schulter klopfen konnte. Nun realisierte sie erst, was sie soeben getan hatte, und wandte beschämt den Blick ab. „Entschuldige. Ich wollte nicht aufdringlich sein.“

„Warst du nicht. Ich habe dich schließlich auch vermisst, Fremde“, versicherte Luna und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Weißt du, seit ich dich getroffen habe, fühlt sich mein Dasein auf dieser Welt endlich wieder wie leben an, nicht nur als einfaches existieren.“

Diese Bemerkung ließ Stella rot werden, als ihr etwas bewusst wurde. Luna hatte damals gesagt, sie hätte eine Lösung gefunden. Die Lösung war also Stella selbst? Nervös lenkte sie von diesem Thema ab. „Äh, also, sollten wir uns nicht erst besser kennenlernen, bevor wir zu den Schmeicheleien übergehen?“

„Haben wir nicht schon genug Zeit verloren?“

„Auch wieder wahr“, nickte Stella und sah sie ernst an. „Es gibt so einiges zu besprechen.“

Mit einem Lächeln winkte Luna ab. „Erst die schönen Dinge, ja?“

„Na gut, da fällt mir auch direkt was ein.“ Noch einmal schlug sie gegen ihre Schulter, diesmal zwar etwas fester, aber bei weitem nicht so stark, dass es schmerzen könnte. „Wie konntest du es wagen, mich in deiner Hütte einzusperren?! Hast du eine Ahnung, was ich durchgemacht habe?!“

„Nicht doch, ich dachte, wir wollten über schöne Dinge reden!“, wollte sie sich rausreden und fing an zu lachen.

Auch Stella fing an zu lachen und hörte gar nicht mehr auf.

Sie waren zwei Fremde, die sich kaum kannten und gleichzeitig wussten sie mehr voneinander, als sie glaubten. Denn sie wussten, dass ihnen der jeweils andere schon jetzt unglaublich wichtig war und sie gemeinsam alles überstehen könnten, was noch auf sie zukam. Und gewiss standen sie so einigen Hindernissen und Gefahren gegenüber, die sich schon bald zeigen würden.

Aber jetzt ... wollten sie einfach nur die gemeinsame Zeit genießen, die das Schicksal ihnen eingeräumt hatte. Wer wusste schon, wann es sie wieder trennen und ihre Suche nach dem jeweils anderen von vorne anfangen könnte?

„Du, Stella?“

„Hm?“

„Danke, für dein Vertrauen.“

„Du hast mich eingesperrt, also hatte ich kaum eine Wahl“, neckte sie Luna. „Aber: Danke, dass du zurückgekommen bist.“

Gemeinsam setzten sie den Spaziergang fort.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Zum Schluss noch ein paar allgemeine Hinweise zur gesamten Geschichte:
► Das Ziel war es, die Begegnung zwischen zwei Menschen darzustellen, die sich in einem früheren Leben schon mal getroffen und geliebt haben. Ich wollte es so darstellen, dass man sich einige Dinge, die nicht ausreichend geklärt sind, mit etwas Fantasie selbst zurechtlegen kann bzw. muss (keine Ahnung, ob mir das gelungen ist). ABER:
► Mir ist bewusst, dass sich die Geschichte nur wie der Anfang von etwas viel Größerem anhört, als müsste es am Ende erst richtig losgehen. Das hier war aber damals nur als solch eine Kurzgeschichte geplant gewesen und dabei habe ich es dann auch belassen.
Für mich war es dadurch eine gute Inspiration und ein hilfreicher Einstieg, um tatsächlich eine längere Geschichte um Stella und Luna aufzubauen. Die beiden sind deshalb auch heute mit meiner Original-Reihe Diarium Fortunae verbunden. Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Say_Say
2016-01-02T23:51:19+00:00 03.01.2016 00:51
Ich finde es ist eine sehr schöne Geschichte, und auch die Sorgen die du Hattest zwecks offen lassen, ich finde das hast du gut gemacht ich konnte mir noch genug Fantasie benutzen (vor allem der Regen)
Und mein Kopf spinnt gerade wie es wohl weiter geht!
Vielen Danke für diese Geschichte, es hat mir Spaß gemacht sie zu lesen!
Antwort von: Platan
03.01.2016 17:19
Dein Kommentar hat mich sehr überrascht, weil ich nicht mit einem gerechnet hatte. Daher vielen Dank dafür. :D
Es beruhigt mich, dass das Ende doch zum weiterspinnen der Story anregt und nicht schlecht rüberkommt. :)
Danke für's Lesen.


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