Der Elysianer von ZMistress ================================================================================ Kapitel 17: ------------ Kapitel 17   Seltsam wie langsam die Zeit verging, wenn man an der Unterhose an einem Flaggenmast über einem Haufen übelriechenden Mülls hing und darauf wartete, dass man endlich zu Tode stürzte. Das war doch kein Ende für einen Mann wie ihn! Cletus fühlte sich peinlich berührt, dass er nicht einmal in Gedanken vermochte sich die Situation wenigstens schön zu reden. Statt dessen blinzelte er gegen das bleierne Gefühl in seinen Gliedern an, doch es fiel ihm schwer sich auf das hier und jetzt zu konzentrieren. Zumindest hatte der Schmerz nachgelassen und war einem Gefühl der Taubheit in seinen Beinen gewichen. Ob sie in Elysium wohl jemals herausfinden würden, was mit ihm geschehen war? Würde Arron es erfahren? Wahrscheinlich nicht. Er war sich nicht sicher ob er den Gedanken schmerzhaft oder tröstlich fand. Er konnte das Notboot nur noch schwer ausmachen wie es dunkel zwischen den Sternen an seinem Kabel hing. Es bewegte sich quälend langsam und war doch schon lange unerreichbar weit entfernt. Zumindest würde Rufus sich unterwegs nicht über ihn lustig machen können. Nein, er konnte ja nicht riskieren, Cletus überhaupt zu erwähnen. Goal zu sagen, dass es einen echten Cletus gab. Dass er nichts als ein Schwindler und eine billige Kopie war. Der Gedanke machte ihn wütend. Er hätte Rufus erschießen sollen als der mit Goal wieder auftauchte. Aber hätte ihm Goal dann noch die Gelegenheit gegeben, an ihr Bewusstseinsimplantat zu kommen? Frustriert trat er an den Fahnenmast soweit es seine unglückliche Position zuließ. Dummerweise versetzte ihn das in Schwingungen, die erneut Wellen des Schmerzes durch seinen Unterkörper sandten. Dann hörte er ein Geräusch, das er im ersten Moment nicht richtig einordnen konnte. Es erinnerte ihn an ... an ... das Zerreißen von Stoff ... Erschrocken biss er die Zähne zusammen und hielt wieder still. Wie lange hielt wohl zarte Spitze sein Gewicht. Der Stoff war zwar gewickelt und damit etwas widerstandsfähiger, aber er wollte das Schicksal nicht herausfordern, das Grauen dieses Tages noch zu steigern. Er versuchte trotzdem zu berechnen welche Zugkraft wohl auf den Stoff einwirkte, doch sein brillanter Verstand wollte einfach nicht so klar sein wie gewöhnlich. Nach einer Weile schreckte er hoch und musste sich eingestehen, dass er wohl das Bewusstsein verloren hatte. Oder eingenickt war. Er blinzelte wieder und wäre beinahe zusammengefahren. Das Notboot war zurück. Es baumelte nicht weit von ihm entfernt über seinem Ankerplatz und war drauf und dran wieder anzulegen. Was war geschehen? Hatte Rufus sich verplappert? War Goal umgekehrt um Cletus doch noch zu retten? Das musste es sein! Bestimmt hatte sie endlich gemerkt, mit was für einem stinkenden Hallodri sie sich da auf den Weg gemacht hatte. Und nun war sie hier um ihn aus seiner misslichen Lage zu befreien und sich tränenreich bei ihm zu entschuldigen. Aber er durfte ihr auf keinen Fall seine Erleichterung zeigen! Er musste sie zappeln lassen, damit sie auch merkte wie falsch sie gelegen hatte. "Was redest du denn da für einen Mist?", hörte er Goals wütende Stimme just als sich die Tür des Notboots öffnete. "Jetzt raus hier!" Rufus, der noch immer den von Cletus gestohlenen Anzug trug, stolperte halb rückwarts hinaus, dicht gefolgt von Goal, deren Augen zornig blitzten. "Jetzt beruhige dich doch!", flehte er. "Mich beruhigen?", zischte sie in einem Tonfall zurück, den Cletus höchst angemessen fand. "Irgendein Hochstapler löscht mir das Gedächtnis, gibt sich als mein Verlobter aus und stiftet mich beinahe zu einem Genozid an ... und ich soll mich beruhigen?" Cletus hätte am liebsten Beifall geklatscht als ihm bewusst wurde, dass Goal ihn keines Blickes gewürdigt hatte. Er zog in Betracht zu winken oder zu rufen, aber womöglich war es besser abzuwarten bis ihr gröbster Zorn verraucht war um nicht selbst in Mitleidenschaft gezogen zu werden. "Immerhin habe ich's dir noch erzählt, oder?", verteidigte sich Rufus gerade und bestätigte so Cletus' Vermutung, dass er sich verraten hatte. Er schien seinen Plan zumindest für den Moment soweit aufgegeben zu haben, dass er Cletus' Vinylanzug wieder ablegte und in seine abgewetzten Lumpen schlüpfte. "Ich bin der Gute!" Ha! Der Gute? Eine selbstsüchtige Ratte war das, die sein Leben stehlen wollte. "Du bist gleich der Tote, wenn du mir nicht sofot meine alten Erinnerungen wiederbeschaffst." "Aber ... das ist doch der reinste Selbstmord!" Cletus grinste. Goals ursprünliche Datasette hatte Argus mitgenommen und so sehr ihm dieser verräterische Angeber auch auf die Nerven ging, würde er doch mit Rufus kurzen Prozess machen, wenn der versuchte sie zurück zu stehlen. Cletus wünschte er könnte es sehen. Oder besser noch, er könnte Rufus selbst umbringen. Er hasste ihn, hasste es wie ihn dieser niedrige Abschaum kurz vor seinem großen Moment so gedemütigt hatte. Und wie er es dabei noch wagen konnte mit Cletus' Gesicht herumzulaufen. Zum Glück ließ auch Goal ihn nicht so leicht vom Haken. "Glaub mir, Freundchen: Es nicht zu tun, wäre Selbstmord." "Okay. Okay." "Jetzt nimm mir endlich dieses lückenhafte Pseudobewusstsein aus dem Kopf. Und komm ja nicht auf die Idee, sie wieder einzulegen." Moment, was? Er wollte doch noch mit Goal ... "Bin ja schon dabei", sagte Rufus und ließ sie mit einem Knopfdruck bewusstlos zusammensacken noch bevor Cletus etwas sagen konnte. "Undankbare Suse. Gott sei dank ist die Goal auf der anderen Datasette besser auf mich zu sprechen." Cletus knirschte mit den Zähnen. Dieser degenerierte, egoistische Abschaum! Wie sollte ihn Goal denn jetzt noch aus dieser entsetzlichen Lage befreien? Aber daran dachte der Flohsack natürlich nicht. Er machte sich mit einem Seufzer auf den Weg zum Aufzug zurück und warf Cletus lediglich einen kurzen Blick zu, bevor er verschwand. Cletus fluchte ausgiebig, starrte zwischen Goals regloser Gestalt vor dem Notboot und der Tür des Aufzugs hin und her und traf schließlich eine Entscheidung. Er konnte nicht auf Goal hoffen und Argus hatte ihn bereits einmal fallengelassen. Der einzige, auf den er sich verlassen konnte, war er selbst und er hatte nur diese eine Chance. Er biss die Zähne zusammen und trat so fest er konnte an den Flaggenmast. Und noch einmal. Und wieder. Die Schmerzen in seinem Unterleib verursachten Übelkeit, aber das musste es ihm wert sein. Für sein Überleben. Für seine Rache. An seiner linken Hüfte biss der Stoff besonders in seine Haut und er hoffte, dass er dort am meisten unter Spannung stand. Mit einem Wimmern griff er dort nach der Spitzenkante und zerrte, dann legte er sein ganzes Gewicht so gut es ging nach links. Noch ein Schaukeln, dann noch eins und dann gab der Stoff endlich nach. Cletus hatte eigentlich vorgehabt, sich am Flaggenmast festzuhalten, doch sein Körper fühlte sich zu taub und mitgenommen für solche Manöver an. Er krachte schwer in das Geländer und rutschte auf der richtigen Seite zu Boden. Nun, wenigstens etwas. Mühsam rollte er auf die Knie, doch als er sich erheben wollte, protestierte seine Hüfte schmerzhaft. Er fluchte wieder, halbwegs froh, dass Goal nicht bei Bewusstsein war und ihn so erleben konnte, dann zog er zumindest seine Hose so gut es ging zurecht und humpelte zu seiner Tasche hinüber. Sein Herz klopfte so heftig, dass er es in seinen Fingern spürte, doch zugleich fühlte er sich seltsam ruhig und eiskalt. Er fand den Blaster schnell genug wo er ihn zwischen der Unterwäsche, die Rufus nicht angerührt hatte, versteckt hatte und prüfte ob er geladen war. Wenn er nur jemals Schießtraining gehabt hätte ... Aber egal, um mit einer Ratte fertig zu werden, würde es schon reichen. Er warf Goal einen kurzen Blick zu und sah sie gleichmäßg atmen, dann machte er sich auf den Weg zum Aufzug. Noch immer war eines seiner Beine etwas taub und jeder Schritt sandte Schmerzwellen durch seinen Unterleib, doch er konnte bereits merken wie er sich erholte. Dennoch hielt er sich lieber mit einer Hand an der Wand fest als sich der Aufzug in Bewegung setzte und hielt den Blaster in der linken Hand bereit. Auf dem Weg nach unten versuchte er sich darüber klar zu werden, was er tun würde, wenn er Rufus fand. Ihn auf der Stelle erschießen? Das war vermutlich zu gut für ihn und zudem ein höchstwahrscheinlich unerfreulicher Anblick. Vielleicht konnte er ihn zwingen- Die Tür glitt auf und Rufus stand vor ihm. Cletus löste sich zuerst aus seiner Überaschung, Mit dem Blaster in Brusthöhe beugte er sich leicht vor und grinste. "Hallo." Rufus machte einen erschrockenen Schritt zurück, stieß aber mit den Beinen an das hüfthohe Geländer, das den Weg zum Aufzug säumte. Sein entsetztes Gesicht war einfach großartig. Das Gefühl von Macht und Überlegenheit, das Cletus durchströmte war lange, lange überfällig. Ein Teil von ihm wollte trotz des stets gegenwärtigen Ekels, dass dieser Moment niemals endete. "Na? Überrascht? Du dachtest wohl schon, du hättest es geschafft, hm? Das Glück ist mit den Gerechten und so, hm?" Er gluckste selbstzufrieden. "Tja. Falsch gedacht, mein Freund. Es ist fast schon tragisch. Einmal im Leben entscheidest du dich, das Richtige zu tun. Und schon kostet es dich alles. Deinen großen Traum. Die Liebe deines Lebens. Deinen Heimatplaneten." Der Dreckbeutel starrte ihn an als überlege er, sich auf ihn zu stürzen, aber letztlich war nicht einmal er so dumm, einen Blaster zu unterschätzen. Cletus war entschlossen zu schießen, falls Rufus sich doch als zu lebensmüde erwies, aber im Moment hoffte er, dass es nicht dazu kam. Zum einen war dies eine so unzivilisierte Angelegenheit, die dazu führen konnte, dass sein Outfit von Rufus' Überbleibseln beschmutzt wurde, zum anderen genoss er die Situaton zu sehr als, dass er sich ein schnelles Ende dafür wünschte. Jedenfalls solange er noch ein wenig mehr Salz in die Wunde streuen konnte, so dass Rufus zumindest einen Teil des Schmerz zu fühlen bekam, den er Cletus zugemutet hatte. "Tja. Ich würde dich ja jetzt gerne bedauern, aber das Hochboot ist in Betrieb, die Aufstiegscodes sind eingegeben ... Ich will Elysium einfach nicht länger warten lassen. Immerhin erwarten die einen Bericht von mir." Er grinste böse. Rufus ballte die Fäuste und Cletus hob vorsichtshalber seine Waffe eine Spur an. Er war hier noch nicht fertig. "Ich hätte auch bereits aufbrechen können. Aber ... was soll ich sagen? Mein schlimmer Rücken. Ich will einfach nicht alleine rudern", erklärte er in beinahe vergnügtem Tonfall. Es war auch im Grunde die Wahrheit. Natürlich wollte er nicht ohne Goal nach Elysium zurückkehren. Immerhin war sie ein Hauptgrund gewesen, dass er sich überhaupt auf dieses ganze Wagnis eingelassen hatte. Aber er war sich auch bewusst, mit welch primitiver Technik diese Notboote gebaut worden waren - für echte Notfälle und nicht für den Bedarf hochgeborener Elysianer wie es angemessen gewesen wäre - so dass man sie mit Muskelkraft und einem Rudersystem an ihrem Kabel bewegte. Nichts für seine ohnehin strapazierten Bandscheiben. "Also: Gib mir die Backup-Datasette. Goals Erinnerungen an euren 'Fehlstart' dürften noch im Kurzzeitspeicher liegen. Die sind schnell gelöscht. Gib sie mir!" "Ha! Das könnte dir so passen!" Dieses Mal machte Rufus tatsächlich einen Schritt, allerdings nicht auf Cletus zu sondern die Rampe hinab. Doch weit kam er nicht. Argus stand am Fuß der Rampe zum Aufzug als habe er sich plötzlich aus der Dunkelheit der Halle gebildet. "Was ist hier los?" Rufus blieb wie erstarrt stehen und Cletus' Grinsen wuchs in die Breite. "Ah, der Organon! Immer pünktlich. Immer zuverlässig." Zumindest wenn es ihnen nicht in den Sinn kam, ihre Verbündeten im schlimmstmöglichen Zeitpunkt fallen zu lassen. Aber jetzt musste Argus seinen Fehler ja wohl einsehen. "Ich glaube, hier ist eine kleine Entschuldigung fällig. Sieht so aus als ob die Ratte ihren Käse nicht geschluckt hätte, Amtmann." Argus regte sich nicht und Cletus entschied, nicht auf die Entschuldigung zu warten und sich vielleicht sogar lächerlich zu machen. Er musste eine Position der Stärke behalten. "Aber ich bin nicht nachtragend. Wenn mir Rufus die Backup-Datasette aushändigt, werde ich unseren Plan wie besprochen durchführen. Jetzt mehr denn je." "Du hast den Mann gehört, Rufus. Gib ihm die Datasette." Gut. Zumindest hatte er Argus wieder auf seiner Seite. Der Drecksack allerdings starrte zwischen Cletus und Argus hin und her. Er schien so verzweifelt, dass Cletus befürchtete, er könnte etwas Dummes tun, das zu einer Menge unappetitlicher Umstände führen konnte. Und er war nicht wild darauf Blutflecken von der Datasette zu reinigen bevor er sie wieder in Goals Laufwerk schob. "Komm schon, Rufus", sagte er beschwichtigend. "Sei vernünftig. Ich werde ohnehin nach Elysium gehen. Du kannst daran nichts mehr ändern. Wenn du mir die Daten jetzt gibst, kannst du wenigstens noch Goal retten. Also, haben wir eine ... Abmachung?" "Niemals!" Die Antwort kam so schnell, dass Cletus sich sicher war, dass Rufus sie gar nicht richtig durchdacht haben konnte. Innerlich verdrehte er die Augen. Musste er der kleinen Ratte wirklich erklären, warum das eine schlechte Entscheidung war? "Tja. Dann muss ich wohl selbst rudern", sagte er mit gespielter Enttäuschung. "Schade. Schade. Schade. Aber ich hätte mir eigentlich denken können, dass dir dein Stolz wichtiger ist als Goals Leben. Ich wette, du hast schon eine tolle Lügengeschichte parat, wenn sie aufwacht und merkt, dass du ihr ein Erste-Reihe-Ticket für den Weltuntergang besorg hast." Das wirkte. "Ähm ... warte noch!" "Verschwende nicht meine Zeit. Gib mir die Datasette oder lass es bleiben." Dass Rufus ganz offensichtlich mit nur sehr beschränkter Intelligenz gesegnet war, war noch nie offensichtlicher als in diesem Moment. Sein Minenspiel glitt von Verzweiflung über Ratlosigkeit bis hin zu Resignation. Er war völlig unfähig etwas vor ihm zu verbergen. Er hätte sich nie mit jemandem von Cletus' Kaliber anlegen dürfen. "Du hast gewonnen", murmelte er und senkte den Blick. "Hier ist die Datasette." Cletus griff gierig nach dem Bewusstseinsimplantat, das ihm Rufus hinhielt und lachte schallend. Er hatte es tatsächlich geschafft. "Wie ungewohnt einsichtig von dir. Und ich wette, Goal wäre dir auch sehr dankbar." Triumph durchfloss ihn wie exquisiter Champagner. Und Rache. Rache für die Demütigung, die er erlitten hatte. "Leider wird sie nie erfahren, dass du überhaupt existiert hast. Hach. Deponia wird so ein schönes Feuerwerk für unsere Hochzeit abgeben." Er lachte wieder, erst verhalten, doch dann ließ er seinen Gefühlen ganz freien Lauf, kostete diesen Sieg bis ins letzte aus. Beinahe hörte er über sein Lachen Rufus nicht, der ihm zuflüsterte: "Ich hasse dich."   * * *     "Und Sie können damit wirklich umgehen?" Cletus hob den Kopf und warf Argus einen wütenden Blick zu, dann wandte er sich wieder Goals Datasette zu. Er musste dies schnell über die Bühne bringen, bevor der Amtmann wieder auf dumme Ideen kam und versuchte ihn irgendwie zu ersetzen. "Unter diesen suboptimalen Bedingungen leiste ich hervorragende Arbeit, das kann ich Ihnen versichern," knurrte er zurück. "Sie sollen ihr lediglich das Kurzzeitgedächtnis löschen und keine anderen Erinnerungen erzeugen", sagte Argus als wäre das Herumspielen an menschlichen Erinnerungen eine Kleinigkeit, die man im Vorbeigehen erledigen konnte. "Ich möchte ungern, dass meine zukünftige Ehefrau nur noch irgendwelchen Nonsens brabbelt. Das würde sich in gehobenen Kreisen nicht gut machen, ganz davon zu schweigen, dass es womöglich unbequeme Nachfragen auf den Plan ruft." Argus schnaubte, was der Modulator seines Helms zu einem sehr unangenehmen Ton umwandelte. "Was immer Sie tun, tun Sie es schneller. Der Oberkontrollrat ist bereit zum Aufbruch und wird sehr bald misstrauisch werden, wenn er nicht bald wieder von mir hört." Cletus fand das Verzeichnis, nach dem er gesucht hatte und begann kurzerhand die Daten mit dem jüngsten Zeitindex zu löschen. Er war sich nicht sicher wie spät es war, doch wenn er die letzte halbe Stunde auslöschte, sollte er doch auf der sicheren Seite sein. Oder vielleicht doch die ganze letzte Stunde, nur um ganz sicher zu gehen. "Haben Sie Ulysses bereits davon berichtet, dass sie Rufus in Gewahrsam genommen haben?", fragte er und warf einen Blick zum Aufzug hinüber, vor dessen Tür Rufus von zwei Organonsoldaten festgehalten wurde. Argus nickte. "Ich habe ihn informiert, dass die Aufstiegscodes wieder in unserer Hand sind, beziehungsweise in Ihrer," er gestikulierte in Cletus' Richtung. "Und dass wir den deponianischen Dieb gestellt haben und verhören. Allerdings dauern solche Verhöre meist nicht sonderlich lange, bevor wir zur Exekution kommen." Cletus zog die Datasette wieder aus seinem Multitool und lächelte zufrieden. "Nun, dann soll er jetzt nicht mehr lange warten. Ich habe Goals Erinnerungen überarbeitet. Glauben Sie mir, ich brauche mir nur eine Ausrede einfallen zu lassen und sie wird keinen Verdacht schöpfen." "Gut, dann wecken Sie Ihre Verlobte und sehen Sie zu, dass sie hier wegkommen. Sobald Sie abgelegt haben, werden wir uns die andere Datasette von Rufus holen und ihn dann zum Schweigen bringen." "Meinen Sie wirklich das ist nötig?", fragte Cletus und warf einen weiteren hasserfüllten Blick Richtung Aufzug. "Wäre es nicht poetischer, wenn Sie ihn leben lassen bis das Ende kommt? Er ist ohnehin machtlos es aufzuhalten." Wieder schnaubte Argus. "Sagen Sie mir nicht, wie ich meine Arbeit zu machen habe. Dank Ihrer albernen Kapriolen ist nun wirklich schon genug schief gelaufen." Cletus zuckte die Achseln und machte sich mit der Datasette auf den Weg. Er sah noch einmal zurück wie die Organons Rufus ausßer Sicht zerrte und winkte ihm zum Abschied zu, dann kniete er neben Goals regloser Gestalt vor dem Notboot nieder. Seine Goal. Er strich ihr eine rotgoldene Strähne aus dem Gesicht, dann legte er die Datasette wieder ein. Mit einem Seufzer öffnete sie die Augen und sah sich um. Sie sah unglaublich verwirrt aus, aber auch hilfesuchend und verloren. Dann entdeckte sie ihn und zu seiner Befriedigung wurde ihr Atem sofort etwas ruhiger. "Cletus? Was ... was ist passiert?" Ihm war wieder nach Lachen zumute, doch er durfte sich jetzt nicht verraten. Gut, dass er so ein schauspielerisches Talent hatte. "Eine Menge," antwortete er gleichmütig. "Kannst du dich etwa nicht mehr erinnern?" "Natürlich kann ich mich erinnern!", sagte sie sofort und legte die Stirn in Falten. "Ich ... ich ... ähm ... ich war mit dir auf einem Organon-Kreuzer. Wir wollten Deponia inspizieren. Richtig?" Gut, gut. Das sollte sie auch noch wissen. "Wir sind auf Deponia", erklärte er in geduldigem Tonfall. "Aber unsere Mission ist beendet." Sie sah unsicher zur Seite. "Habe ich geschlafen?" fragte sie und klang beinahe schuldbewusst. Du hättest beinahe all meine Pläne ruiniert, dachte er, aber er schaffte es nicht allzu vorwurfsvoll zu klingen als er ihr antwortete. "Es gab einen Unfall. Du bist vom Kreuzer gefallen. Darum kannst du dich auch an nichts erinnern. Aber schau dich um! Deponia ist verlassen." Sie erhob sich vorsichtig und begann die Rampe hinabzugehen, doch Cletus beeilte sich einen Arm um sie zu legen, in der Hoffnung, dass sie ihm zu dankbar war, um sich loszu machen. Sie blieb tatsächlich stehen und starrte über das Rostrote Meer, das die Nacht in tiefes Schwarz getaucht hatte. Kein Licht konnte man hier in der Ferne ausmachen, lediglich die eigene Beleuchtung der Aufstiegsstation ließ die scharfkantigen Müllberge der Küste erahnen. Doch da die Station quasi zu Elysiums eigener Ausstattung gehörte als Gegenstück zum anderen Ende des Kabels hoch oben über ihnen, würde er auch dieses Licht einfach wegerklären können, sollte sie danach fragen. Glücklicherweise kam sie nicht einmal auf diese Idee. "Unfassbar", hauchte sie leise. "Nichts als Schrott." "Ja. Nichts." Cletus wiederstand nur mühsam dem Drang, sie in Richtung des Notboots zu zerren. "Komm. Lass uns zurück nach Elysium. Wir müssen unsere Hochzeit vorbereiten." "Ja." Sie lächelte, aber er war sich nicht sicher, ob es echt war. Im Grunde war es auch egal. "Lass uns gehen." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)