Zwischen Fieber und Stolz von Shizana (ZdW-Jubiläumsspecial) ================================================================================ Kapitel 6: Pflicht vs. Schuld ----------------------------- Um mich herum wird es laut. Müde schlage ich die Augen auf und blinzle gegen das helle Licht der Deckenbeleuchtung. Ich liege auf weichem Polster. Vor mir erkenne ich auf Kipp einen Raum mit Spinden. Ach ja, richtig. Ich bin noch immer im Meido; im Pausenraum, um genau zu sein. Waka hatte mich hierher gebracht, damit ich mich auf die Couch legen kann. Inzwischen geht es mir besser, glaube ich. Zumindest dreht es sich nicht in meinem Kopf, als ich mich etwas aufstütze. Ich bin nur müde und mir ist kalt, ein wenig. „Sieht so aus, als sei sie wach“, höre ich jemanden sagen. Der nüchterne, stoische Klang kommt mir bekannt vor. Kento, ohne Zweifel. „Geht es dir besser?“, fragt jemand anderes und ich sehe in ein Paar besorgter rehbraune Augen direkt vor mir. Sawa, erkenne ich bald, und setze mich auf. „Du bist so eine Idiotin, weißt du das? Herzukommen, obwohl du krank bist und Fieber hast. Hast du wenigstens deine Medizin dabei?“ Müde schüttle ich den Kopf. „Nein. Wie lange habe ich geschlafen?“ „Ich weiß nicht genau. Als ich vor zehn Minuten reinkam, lagst du schon da“, erklärt sie mir. „Wo ist Waka-san?“ „Vorne im Café“, antwortet mir Kento. Seine Schritte sind gemächlich, als er zu uns Mädchen herantritt. Ich muss den Kopf heben, um in sein gesenktes Gesicht blicken zu können. „Heute ist kein Butler anwesend, deswegen übernimmt er diese Position. Er wird nicht nach hinten kommen, um uns zu verabschieden.“ „Uns?“, frage ich irritiert zurück. „Wer ist »uns«?“ „Dich und mich. Ich fahre dich heim.“ „Langsam“, werfe ich ein, während ich mich richtig zur Seite aufsetze. „Bitte nochmal von vorne. Ich war eine Weile weggewesen, wie man gesehen hat, und habe ein paar Dinge nicht mitbekommen.“ „Waka-san hat Kento-san gebeten, dich nach Hause zu bringen“, erklärt Sawa an Kentos Stelle. Ich bin ihr dankbar dafür, aber diese Information wirft mich kurz aus der Bahn. „Wie jetzt? Ich komme auch allein nach Hause“, erhebe ich vorsichtig Widerspruch. „Ich habe mich nur kurz ausruhen müssen. Ich fahre mit der Bahn und laufe nur ein kurzes Stück. Du hättest nicht extra herkommen müssen, Kento, das tut mir leid.“ „Ich bin nicht deinetwegen hier“, entgegnet er trocken und sieht ungerührt zu mir herunter. „Ich hatte Erledigungen im »Meido no Hitsuji«. Der Boss hat mich aufgehalten, als ich aufbrechen wollte. Er hat gefragt, ob ich zu Fuß oder mit dem Auto unterwegs bin und mich anschließend beauftragt, dich bei dir zu Hause abzusetzen. Er mutet dir nicht zu, dass du den Weg allein schaffst.“ Argh, wie peinlich ist das denn bitte? Alle machen so einen Aufriss, nur weil ich krank bin. Gut, vielleicht bin ich nicht so fit wie sonst, aber das ist übertrieben. Wäre ich nur besser zu Hause geblieben. „Das ist lieb von dir, aber das muss wirklich nicht sein“, protestiere ich lächelnd. Ich will nicht, dass man mir die Beschämung und Verärgerung über mich selbst anmerkt. „Stell dich nicht so an“, wirft Sawa mir vor und lehnt sich kritisch zu mir hinunter. „Was ist denn dabei? Jeder kann sehen, dass es dir nicht gut geht. Ich würde dich auch nicht allein irgendwohin gehen lassen, wenn es meine Entscheidung wäre. Lass dich doch einfach von ihm nach Hause fahren und leg dich zurück ins Bett.“ „Ihr übertreibt alle“, murmle ich leise, unwillig. Sawas Gesicht wird streng. „Tun wir nicht. Wann hast du zuletzt deine Medizin genommen?“ „Ich weiß nicht genau“, zögere ich und versuche nachzudenken. „Heute Morgen gegen acht, glaube ich.“ „Bist du wahnsinnig?!“, scheltet sie mich. Ich glaube, so wütend habe ich sie noch nie erlebt. „Wir haben es inzwischen nach halb drei! Du wirst dich jetzt von Kento-san nach Hause fahren lassen, nimmst deine Medizin, legst dich hin und ruhst dich aus. Keine Widerrede!“ „Aber …“ „Lässt sich nichts machen“, wirft Kento unbetroffen ein. „Wenn sie der Überzeugung ist, dass sie keine Hilfe braucht –“ „Doch, tut sie! Keine Aber, auch von dir nicht, Kento-san!“ Wir beide, sowohl Kento als auch ich, sehen sie aus überraschten Augen an. Ich kann mich nicht entsinnen, Sawa je so bevormundend erlebt zu haben. Einerseits rührt es mich, auf der anderen … nein, eigentlich wollte ich sie nicht zu dieser Haltung provozieren. „Du wirst dich nach Hause bringen lassen. Und du wirst sie nach Hause bringen. Ihr wollt doch sicher nicht, dass ich Ikki-san erzähle, dass ihr euch wie verantwortungslose Kindsköpfe verhalten habt?“   Gegen Sawa gab es kein Diskutieren. Ich wusste ja, dass sie recht hat. Und nicht nur sie, auch Waka, Shin und Toma. Ich gebe inzwischen auch zu, dass ich mich überschätzt habe, aber … „Tut mir leid, dass du jetzt wegen mir diesen Aufwand hast.“ „Nicht der Rede wert“, kommentiert Kento von der Seite, gänzlich auf die Straße fixiert. Ich bin beruhigt, dass er so aufmerksam und konzentriert ist. Es hat keine fünf Minuten gedauert, dass ich mich als Beifahrer neben ihm sicher fühle. „Ich habe mich bereiterklärt zu helfen. Zumal Ikkyu nicht erfreut gewesen wäre, wenn er erfährt, dass ich dich in deinem Zustand allein durch die Straßen gehen lassen habe.“ „Sofern er es erfahren hätte.“ „Hätte er“, meint er überzeugt. „Ich hätte es ihm erzählt.“ „Wieso würdest du das tun?“ „Ikkyu hätte früher oder später angefangen, über dich zu reden. Wir wären zwangsweise auf das Thema zu sprechen gekommen. Wieso sollte ich ihm nicht sagen, dass du im Meido zugegen warst und jemanden gebraucht hast, der dich sicher nach Hause bringt?“ „Lügen ist wirklich nicht gerade deine Stärke.“ „Ich sehe keinen Sinn darin zu lügen. Zu welchem Zweck sollte ich das tun?“ „Schon gut“, sage ich und entlasse ein Seufzen. Müde sinke ich tiefer in das weiche Leder meines Sitzes und lasse den Blick leer nach draußen schweifen. Der Gedanke an Ikki lässt meine Wangen kribbeln. Ich will nicht weiter über Kentos Aussage nachdenken, dass sie über mich sprechen. Da ist nichts dabei. Jeder tauscht sich über die Ereignisse des Tages aus, inklusive anderer Leute. Das hat rein gar nichts zu bedeuten, alles ganz normal. Und dennoch … verdammt! „Danke.“ „Wie ich schon sagte: Nicht der Rede wert.“   Die Fahrt dauert keine halbe Stunde, bis ich die Straße erkenne, in der ich gemeinsam mit Ukyo wohne. Vor dem Wohnblock halten wir am Straßenrand und Kento schaltet den Motor aus. „Bleib sitzen. Ich helfe dir raus.“ Ich warte brav, bis Kento aus seinem Sitz gestiegen und auf meine Seite gewechselt ist. Still staune ich, woher diese Initiative rührt. Ist sie nicht recht unüblich an ihm? Sehe ich wirklich so schlecht aus, dass man mir jede Zurechnungsfähigkeit anzweifelt? „Du übertreibst“, brumme ich leise, während ich mir aus dem Sitz helfen lasse. Das Ganze ist mir so dermaßen peinlich, dass ich mich erneut ärgere, nicht einfach zu Hause geblieben zu sein. Einen tollen Eindruck mache ich auf jene, die ich einst so sehr bewundert habe. Und es wird noch schlimmer. In meiner Duseligkeit trete ich daneben und rutsche an der schrägen Bordsteinkante ab. Zu meiner Rettung fangen mich zwei starke Arme und ziehen mich sicher nach oben. Mein Herz rast vor Schreck, gleichzeitig spüre ich anhand des kühlen Leders an meiner Haut, wie erhitzt meine Wangen sind. „Pass auf“, höre ich Kento über mir sagen. Er klingt nicht sonderlich berührt von dem, was hier gerade passiert ist. „Bist du verletzt?“ „Nein, alles gut. Danke“, fiepse ich heiser und drücke mich von seiner Brust weg. Gott, wie peinlich. Ich bin so ein Dussel, so ein Idiot! Argh, ich will am liebsten im Boden versinken. „Soll ich dich noch bis zu deiner Tür bringen?“ Ich schüttle den Kopf. „Nein, das brauchst du nicht.“ „Sicher?“ „Ja.“ Ich ringe um ein Lächeln, als ich zu ihm hochsehe. „Ganz sicher. Du hast schon genug getan. Danke.“ „Wenn du meinst. Dann werde ich warten, bis du im Haus bist.“ Dagegen kann ich schlecht etwas sagen. Ich bedanke mich erneut und entschuldige mich für die entstandenen Umstände. Als ich mich anschließend herumdrehe, gefriere ich binnen eines Augenblicks. Dort, unweit vom Hauseingang entfernt, steht eine Person auf dem Grundstück. Sie sieht direkt zu uns. Und was noch viel schlimmer ist: gerade jetzt setzt sie sich in Bewegung. Zielgerichtet auf mich zu. „Luka?“, frage ich überrascht. Im gleichen Moment wird mir bewusst, dass dies ein äußerst ungünstiger Zeitpunkt für ein Zusammentreffen ist. „Was machst du hier? Mit dir habe ich nicht gerechnet.“ „Wärst du so gut, mir die Situation zu erklären?“ Ich schlucke ertappt. 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