Leere Stille von Roter_Panda ================================================================================ Kapitel 4: IV - Dezember 2000 ----------------------------- Dezember 2000. Die Lautstärke im Tropfenden Kessel war ohrenbetäubend. Ein allgemeines und unverständliches Stimmengewirr erfüllte die Luft wie eine zähe Kaugummimasse, durch die man sich mühsam drängen musste, um das eigene Gegenüber verstehen zu können. Luna ließ verspielt das Wasser der Kondenswasserkreise, die sich von den vielen Butterbierkrügen auf dem Tisch gesammelt hatten, mit einem Schwenk ihres Zauberstabes emporsteigen und verrückte Salti schlagen. Währenddessen erzählte Harry unter Lachtränen und einigem Glucksen, wie Ron im Aurorenbüro aus Versehen ein Packet für die Fluchbrecherabteilung geöffnet hatte. „Und heraus sprangen zehn total durchgedrehte verzauberte Spielzeugautos, die wie wild gewordene Mäuse durch das gesamte Büro sausten. Ron stürzte sich mit hochrotem Kopf auf die Autos, um sie wieder einzufangen und… und… Verzeihung, ich krieg mich gleich wieder“, Harry musste sich unterbrechen und hielt sich lachend und stöhnend zugleich den Bauch. Den Umsitzenden erging es nicht besser. Alle hatten ein breites Grinsen im Gesicht und warfen abwechselnd Harry und Ron einen Blick zu. Letzterer hatte – knallrot wie eine Tomate – bereits sein Gesicht in den Händen vergraben. Er wusste, dass er Harry nicht aufhalten konnte, die Geschichte fertig zu erzählen, also ließ er es über sich ergehen. „Er warf sich also bäuchlings zwischen die Schreibtische auf den Boden und versuchte, diese Spielzeugautos zu ergreifen. Es war zum Schießen!! Das hättet ihr sehen müssen! Und statt einfach einen Zauber zu sprechen, kroch er dort über den Boden und murmelte die ganze Zeit ‚Ich hab‘ sie gleich, ich hab‘ sie gleich‘. Und dann geschah das Beste:“, er pausierte kurz, um die Spannung zu steigern und warf jedem in der Runde einen kurzen Blick zu, „die Autos verbündeten sich gegen Ron!! Sie sammelten sich unter einem Schreibtisch, formierten sich und rückten in Reih und Glied mit heulendem Motor aus. Sie umkreisten den am Boden sitzenden Ron und ließen die Scheinwerfer bedrohlich aufflackern. Es war irre! Und wie auf Kommando rasten sie auf ihn zu – Ron erlitt fast einen Herzinfarkt. – Ja, Ron, tu nicht so – du hättest dein Gesicht sehen müssen! – Aber schlussendlich stießen sie lediglich leicht gegen seine Oberschenkel. Ron nahm das leere Paket und pflückte die Autos, die immer noch versuchten, ihn zu überfahren, wie Erdbeeren vom Boden. Wirklich – mit Abstand das Beste, was in letzter Zeit bei uns passiert ist.“ Mit einem fetten Grinsen schloss Harry seinen Bericht, wischte sich in seinem Stuhl zurücklehnend eine letzte Lachträne aus dem Augenwinkel und warf Ron einen amüsierten Blick zu. „Sorry, ich musste das einfach den anderen erzählen!“ Reihum applaudierten die Freunde Ron zu. „Bravo, Ron! Den Autos hast du es aber gezeigt!“, witzelte Ginny und auch Luna musste verschmitzt lächeln. Ron zuckte mit den Schultern. „Ich war halt in Panik geraten…“, murmelte er. Neville, der neben ihm saß, klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter. „Mach dir nichts draus – mir passieren so Dinge doch schon seit ich denken kann! Es ist nur gut, dass ich nicht mehr im Aurorenbüro bin. Ich hätte es wahrscheinlich geschafft, mich von den Autos tatsächlich überfahren zu lassen…“ Darüber musste auch Ron jetzt lachen und ließ sich etwas aufmuntern. Hermine ergriff die Gelegenheit. „Ja, genau: Neville, wie läuft es denn im Gewächshaus des St. Mungos? Gefällt es dir dort?“ Neville bekam leuchtende Augen und begann, von seiner neuen Arbeit zu erzählen. Die Freunde merkten, wie er darin aufging, weil er seine Leidenschaft endlich auch mit seinem Beruf verbinden konnte. Gemeinsam mit anderen Experten züchtete er neue Heilpflanzen und arbeitete eng mit den Heiltrankmischern des St. Mungos zusammen, um neue Heilmethoden zu entwickeln. Gerade, als er seine Erzählung vom Versuch einer neuen Züchtung beendet hatte, erschien George am Tisch, der frischen Schnee von seinem Tweedmantel klopfte. Eine allgemeine Begeisterung brach am Tisch aus und die Gruppe begrüßte ihn johlend. George schnappte sich einen Stuhl vom Nachbartisch und setzte sich rittlings darauf. Mit einem kurzen Pfiff und einer wilden Handbewegung bestellte er für die ganze Runde neue Butterbiere – ohne darauf zu achten, dass manche noch genug in ihrem Krug hatten. „Heute war ein guter Tag. Die Vorweihnachtszeit ist meine Lieblingsjahreszeit. Das Geschäft läuft wie am Schnürchen – das muss gefeiert werden!“, verkündete er und grinste in die Runde. Die Gespräche hatten sich etwas verteilt, als Hannah Abbott kam und die Bestellungen verteilte. Harry beglückwünschte sie dazu, dass der Tropfende Kessel schon seit Monaten gut besucht war und wohl gut zu laufen schien. Seitdem sie den Pub übernommen hatte, hatte sie der Kneipe wortwörtlich einen neuen Anstrich gegeben, sodass sie keinerlei Ähnlichkeiten zu der dunklen und schwach besuchten Spelunke aus ihrer Schulzeit aufwies. Hannah bedankte sich, strahlte in die Runde und erlaubte sich trotz des Hochbetriebs, mit ihren ehemaligen Schulkameraden etwas in Erinnerungen zu schwelgen. Luna beobachtete dabei, wie Neville während des Gesprächs mit Hannah nervös wurde und förmlich an Hannahs Lippen zu kleben schien. Nachdenklich ließ sie den Blick zwischen Neville und Hannah hin und hergleiten, bis sie schließlich in ihrer verträumten Art und Weise das Wort an Hannah richtete und diese in ihren Erzählungen unterbrach: „Hannah, wusstest du, dass Neville seit einiger Zeit im Gewächshaus des St. Mungos arbeitet? Vielleicht kann er dir bei deiner kränkelnden Baldringageranie dort hinten helfen. Das würde er garantiert gerne tun, oder nicht, Neville?“ Alle Blicke richteten sich auf Neville, der etwas verloren dasaß und nicht wusste, wie ihm geschah. Ginny schaltete sofort und nickte wild. „Ja, genau! Neville hat mir auch schon einmal Tipps bei meiner Pflanzenpflege gegeben – ohne ihn wären all meine Pflanzen längst ersoffen.“ Ehe Neville schüchtern eine halbe Zusage stammeln konnte, nachdem Hannah sich tatsächlich dankbar für Hilfe gezeigt hatte, stand Luna auf, zog Neville von der Bank und schob ihn auf Hannah zu. „Na los, schaut sie euch direkt an! Wir sind ja nicht jeden Tag hier – vielleicht wäre es morgen schon zu spät für die arme Pflanze!“ Neville folgte Hannah etwas bedröppelt und schien zunächst noch zu verlegen, um ein Wort herauszubekommen. George schüttelte schon den Kopf und wettete gegen Ron mit zehn Sickel darauf, dass Neville das Gespräch in den Sand setzen würde. Doch plötzlich konnten die Freunde beobachten, wie Neville bei der Pflanze angekommen aufblühte, Hannah selbstsicher gegenüberstand und mit ihr ein angeregtes Gespräch führte – und so schnell wohl nicht wiederkommen würde. Die zurückgebliebene Runde grinste sich vielsagend an – nur George schob Ron widerwillig zehn Sickel zu. Harry lachte. „Mann, Luna, was du immer siehst, was uns anderen entgeht!“ Darauf stießen sie an und verbrachten den Abend noch lange in fröhlicher Runde, wobei einiges Butterbier und der ein oder andere Feuerwhiskey floss. Ginny bekam ein wohliges Gefühl, während sie Harry in so ausgelassener Stimmung sah. Ein so unbeschwertes Erlebnis wie an diesem Abend hatte sie sich schon lange wieder für ihn gewünscht. Erleichtert atmete sie auf und sie merkte, dass auch ihr nun etwas leichter ums Herz wurde. Als es später wurde, verabschiedeten sich Harry und Ginny von den Freunden. Ron versuchte inzwischen, Neville lallend Liebestipps zu geben, während George im Begriff war, gegen Luna im Armdrücken zu verlieren, weil Hermine ihr heimlich unterm Tisch mit dem Zauberstab half. Lachend über dieses doch recht absurde Bild machten sich Harry und Ginny auf den Weg zum Ausgang. Harry war heiterer Stimmung und sagte noch zu seiner Freundin, dass es schön gewesen sei, so entspannt den Abend zu verbringen, als er aus der Menschenmenge im Pub etwas vernahm: „Da ist er! Da ist Harry Potter!“ Augenblicklich ertönte ein Jubel und die Pubbesucher klatschten Harry begeistert entgegen. Harry, der bereits mit dem Rücken zum Schankraum stand, blieb erstarrt stehen. Das Rauschen des Applauses drang an seine Ohren und schien sich wie ein Echo in seinem Kopf von einem Ohr zum anderen zu werfen und in chaotischen Wirbeln zu überschlagen, immer schneller, lauter und erdrückender werdend. Ohne es beeinflussen zu können, blitzten Bilder vor seinem inneren Auge auf, verbunden mit einem tiefen Bedürfnis zu flüchten, aber auch mit dem Gefühl einer Starre und Hilflosigkeit, die er nicht zu kontrollieren vermochte. Da bemerkte er Ginnys beruhigende Hand auf seinem Rücken, die ihn wie ein Rettungsring aus dem Strudel seiner Gefühle ins Hier und Jetzt zurückzog. Er atmete kurz durch, rang sich ein Lächeln ab, nickte kurz der jubelnden Masse zu und verließ dann zügig den Tropfenden Kessel. Während er mit Ginny nach Hause apparierte, dröhnte der brausende Applaus noch in seinen Ohren. Er freute sich auf die Stille seines Schlafzimmers. Mit den verschlossenen Fenstern. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)