Mister Liar von yamimaru ================================================================================ Epilog: ~ Passion turned to love ... ~ -------------------------------------- Verschlafen brummend streckte er sich und vergrub sein Gesicht noch einmal im Kissen, bevor er den Kopf hob und sich leise gähnend etwas aufrichtete. Er fragte sich, was ihn geweckt hatte, denn das kaum vorhandene Licht in der Hütte zeugte davon, dass die Sonne noch nicht aufgegangen war. Mit der Rechten rieb er sich über die schlafverkrusteten Augen und richtete seinen Blick auf seinen Mann, der leise schnarchend noch immer im Traumland verweilte. Ein amüsiertes Lächeln legte sich auf seine Lippen, weil der andere so, wie er alle viere von sich gestreckt hatte, einem Seestern Konkurrenz machte. Außerdem war ihm während der Nacht allem Anschein nach erneut zu warm gewesen, denn die Bettdecke hatte er bis auf einen kleinen Zipfel, der seine Körpermitte mehr schlecht als recht bedeckte, von sich gestrampelt. Mit dem Zeigefinger streichelte er über die etwas stopplige Wange, bevor er sich wieder hinlegte, das Gesicht gegen die nackte Brust geschmiegt, auf der er in den letzten Tagen so oft eingeschlafen war.   Ihre Flitterwochen neigten sich bereits dem Ende zu und heute würde der letzte Tag sein, den sie noch für sich hatten, bevor es morgen zurück nach Japan gehen würde. Sein Mann hatte darauf bestanden, dass sie sämtliche Elektrogeräte wie Handy, Laptop und dergleichen die ganzen drei Wochen über nicht einschalteten und er hatte um ehrlich zu sein felsenfest damit gerechnet, dass sie sich spätestens nach dem zweiten Tag vor lauter Langeweile die Köpfe einschlagen würden. Aber jetzt, wo er hier so gemütlich lag und seinem lebendigen Kissen beim Schnarchen zuhörte, fühlte er nichts als eine seltsame Ruhe und Zufriedenheit in sich, die ihm so fremd war, dass sie ihn geängstigt hätte, würde sie sich nicht so gut anfühlen.   Beinahe wäre er noch mal eingeschlafen, aber das immer lauter werdende Rauschen des Meeres lockte ihn nach draußen. So ließ er wenig später das warme Bett hinter sich, um noch ziemlich schlaftrunken Hosen und Shirt vom Boden aufzuheben und hineinzuschlüpfen. Das dämmrige Licht des heraufziehenden Morgens hätte ihm nicht ausgereicht, um erkennen zu können, dass er sich in seinem Tran das falsche Shirt übergezogen hatte, aber der angenehme Duft des Parfüms, welches seine bessere Hälfte nun einigen Jahren benutzte, verriet es ihm. Für einen Moment blieb er auf der hölzernen Plattform stehen, die ihre auf Stelzen gebaute Hütte umspannte und von der aus steile Holzstufen nach unten an den Strand führten. Ihr kleines Domizil der letzten drei Wochen war einer traditionell hawaiianischen Strohhütte nachempfunden, wobei an ihr bis auf die Optik eher wenig Traditionelles war. Dennoch, schön war sie allemal anzusehen. Aber besonders der Ausblick von hier oben hatte es ihm vom ersten Moment an angetan. Und heute, wo sich auf dem offenen Ozean vor der Küste Hawaiis ein Sturm zusammenbraute, sah das Meer wie die gigantische Naturgewalt aus, die es eben war. Die Wellen türmten sich weitaus höher als in den letzten Wochen, kleine Schaumkronen zierten die Wellenkämme, bevor sie sich einige Meter vor dem Strand an einer natürlichen Barriere aus Steinen und Korallen brachen, um fast sanft anmutend über den hellen Sand zu rollen. Tief atmete er die salzige Luft ein, die vor Sonnenaufgang noch so herrlich frisch war. Das Parfüm seines Mannes vermischte sich mit dem charakteristischen Aroma des Meeres und dem süßen Duft der zahllosen bunten Blumen, die überall in kleinen Holztrögen am Geländer der Plattform befestigt waren.   Langsam und in Gedanken versunken stieg er die Stufen zum Strand hinab, erfreute sich am Gefühl des kühlen, rauen Sands unter seinen bloßen Füßen und ging hinunter ans Wasser. Der Wind verfing sich in seinen Haaren und die Luft trug feine Tröpfchen der weiter draußen aufgewirbelten Gischt mit sich. Wie ein feiner Schleier legten sie sich über sein Gesicht und seine nackten Arme, ließen ihn leicht frösteln. Kurz vor dem Meer hielt er inne, lächelte, als sich das Wasser wenige Zentimeter vor seinen Zehen wieder zurückzog. Er machte einen beherzten Schritt nach vorn und sofort sank er im nassen Sand ein wenig ein. Es patschte leise, als er seinen Fuß in kindlich anmutender Faszination ein paar Mal hob, nur um ihn wieder auf den nachgiebigen Untergrund zu senken, bevor die nächste Welle kam und die entstandenen Abdrücke und Muster hinfort wusch. Gemächlich setzte er sich wieder in Bewegung, ließ das Wasser seine Knöchel kitzeln und reckte seine Arme in die Luft, um sich mit einem lauten Gähnen zu strecken.   Nie in seinem Leben hätte er damit gerechnet, dass er den Urlaub derart genießen würde. Genau wie er nie gedacht hatte, jemals zu heiraten und darüber so glücklich zu sein. Er war immer davon überzeugt gewesen, dass das Singleleben das einzig Richtige für ihn war. Dass er sich für den Rest seines Lebens mit gelegentlichen Affären oder, wenn es sein musste, kurzzeitigen Beziehungen zufriedengeben würde, weil er seine Freiheit mehr schätzte als alles andere.   Zunächst war es reine Neugierde gewesen, ein fast schon morbide zu nennendes Interesse an Sex mit dem gleichen Geschlecht. Nachdem er seine Kuriosität also befriedigt hatte, hätte sein Leben in den altbekannten Bahnen weiterlaufen müssen. Wie gut dies geklappt hatte, sah man jetzt. Denn aus dem ersten Mal waren mehrere geworden, hatte sich eine Affäre, eine Beziehung, eine Partnerschaft entwickelt. Und nun? Nun waren sie an dem Punkt, dass sie bereits seit einem halben Jahr verheiratet waren, endlich die Zeit gefunden hatten, ihre Flitterwochen nachzuholen, und das Verrückteste überhaupt war, dass er sich wohlfühlte. Verdammt wohl sogar. Keine Bedenken, ihm könnte etwas entgehen, weil er sich nun so eng an einen anderen Menschen gebunden hatte. Keine Langeweile, obwohl sie so viel Zeit miteinander verbrachten. Keine Angst, im Stich gelassen zu werden. Er fühlte sich, als wäre er endlich angekommen, zufrieden, glücklich; und all diese Gefühle waren wie ein riesiger Ballon in seinem Inneren, der wuchs und wuchs und ihn insgeheim befürchten ließ, irgendwann von ihm entzweigerissen zu werden. Er wollte schreien und lachen gleichermaßen, wollte seine Arme in den Himmel recken und wie ein Kind kreischend über den Strand rennen. Sich jauchzend in den nassen Sand werfen und sich an den Regentropfen erfreuen, die sein Haar und die Kleidung durchnässen würden. Blinzelnd sah er nach oben in den heller werdenden Himmel, über den sich langsam dunkle Wolken zu schieben begannen. Sein Lächeln wurde breiter. Vielleicht würde er seine Wunschvorstellung heute mit seinem Mann noch verwirklichen können, denn welch schöneren Abschluss ihres Urlaubs konnte es schon geben?   Er wischte sich die Haare aus der Stirn, drehte sich um und blickte den Weg zurück, den er gegangen war. Seine Fußspuren hatte das Meer schon lange verschluckt, aber dafür konnte er in der Ferne auf der Plattform ihrer Hütte eine ihm nur allzu bekannte Gestalt ausmachen. Er hob die Hand, winkte und die Geste wurde erwidert, während seine Schritte ohne sein bewusstes Zutun schneller geworden waren. Der Sand blieb an seinen Füßen kleben, als er das Wasser hinter sich ließ und die wenigen Meter bis zur Treppe zurücklegte.   „Guten Morgen!“, rief er über das Tosen des Meeres hinweg, noch bevor er die erste Stufe überwunden hatte.   „Morgen.“ Yukke lächelte ihn an und schüttelte gespielt resigniert den Kopf. „Ist meine Klamotten zu stibitzen, dein neues Hobby geworden?“ Er zupfte an dem T-Shirt, nachdem Tatsuro auf die Plattform getreten war.   „Es war ein Versehen?“ Seine Aussage hörte sich mehr wie eine Frage an, während an seinen Mundwinkeln ein freches Grinsen zupfte. Aber statt sich weiter herauszureden oder sich für etwas zu entschuldigen, von dem sie beide wussten, dass er es immer wieder tun würde, legte er seine Arme um Yukkes bloßen Oberkörper und zog ihn an sich.   „Himmel, Tatsuro!““, beschwerte sich sein Mann sogleich und konnte es nicht verhindern, dass seine Stimme mindestens eine Oktave höher klang als sonst. Er grinste nur breit und rührte sich nicht. Yukke versuchte indes, seinen Fingern zu entgehen, die er weitgefächert auf seinen Rücken gelegt hatte. „Wir sind hier auf Hawaii, es hat bestimmt schon vierundzwanzig Grad, und trotzdem sind deine Flossen so kalt wie die eines Fischs.“   „Sieht so aus, als müsstest du mich wärmen, mh?“   „Sieht so aus, als müsstest du dir einen neuen Ehemann suchen, weil der alte gerade einen Herzinfarkt erlitten hat.“   Tatsuro lachte leise, begann über Yukkes deutlich wärmere Haut zu kraulen und zarte Küsse auf seinem Hals zu verteilen. „Vielleicht kann ich ihn aber auch wiederbeleben?“   „Ne, aussichtslos, der Patient ist tot, eindeutig.“   „Dreh dich um.“   „Was?“   „Du sollst dich umdrehen, bevor du das Beste verpasst.“ Tatsue hatte den Kopf gehoben und dreist vom vorherigen Thema abgelenkt, als er sah, wie am Horizont langsam die Sonne aufging. Yukke kam nach etwas zögern seiner Aufforderung nach, drehte sich in seinen Armen herum, und gemeinsam traten sie näher an das Geländer der Plattform heran. In einem satten Rot leuchtend schob sich der glühende Feuerball langsam aus dem Meer, tauchte die vormals grauen Wolken in zarte Rosé- und Orangetöne, und verwandelte die Szenerie vor ihren Augen in ein schier unwirkliches Bild. Eine ganze Weile standen sie stumm da, betrachteten lediglich dieses beeindruckende Naturschauspiel, bevor ein dicker Regentropfen Tatsuros Nase traf und ihn zusammenzucken ließ. Blinzelnd blickte er in den Himmel und ein zufriedenes Lächeln schlich sich auf seine Lippen.   „Ist das Marry you?“   „Hm?“   „Das, was du schon die ganze Zeit vor dich hin summst.“ Yukke wandte sich ihm zu, nachdem die Sonne hinter den dicken Wolken verschwunden war und strich ihm eine Strähne seines lang gewordenen und bestimmt ziemlich zerzausten Haars hinters Ohr.   „Ich glaube schon“, grinste er und summte probehalber noch mal, weil ihm bewusst gar nicht aufgefallen war, dass ihm ein Lied durch den Kopf gegangen war. „Ja, ist Marry you. Passend, oder?“   „Na ja, vom Text her aber nicht.“   „Och, du Banause, du musst doch zwischen den Zeilen lesen.“   „Bitte entschuldigen Sie, der Herr. Ich bin untröstlich. Wären Sie so gütig mir den verborgenen Wert ihrer Schöpfung zu erklären?“, gab Yukke mit pompöser Stimme von sich und brachte ihn damit zum heiteren Auflachen.   „Ist doch ganz einfach …“ Er beugte sich ein Stück herab und näherte sich Yukkes Lippen.   „Ach, ja? Ist es das?“   „Ja.“ Sanft eroberte er den Mund seines Mannes für sich, wühlte seine Hände in die kurzen Strähnen und küsste ihn lange und ausführlich. Erst als der Regen langsam zunahm, löste er sich, griff nach Yukkes Hand und zog ihn hinter sich her, die Treppe nach unten.   „Wo gehen wir denn jetzt hin?“, fragte er etwas überrumpelt wirkend, aber Tatsuro zuckte nur mit den Schultern und erklärte ihm, dass er schon lang mal wieder im Regen spazieren gehen wollte. „Schön, dass ich da auch gefragt werde.“ Yukke grummelte kurz, verstärkte jedoch im nächsten Moment den Griff seiner Hand und lief nun neben ihm, statt sich hinterherziehen zu lassen. „Sagst du es mir jetzt?“   „Was denn?“   „Die wirkliche Bedeutung von Marry you.“   Tatsuro blieb stehen und schaute seinem Mann lächelnd ins Gesicht. „Na, dass ich dich liebe.“       ~ The End ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)