Achterbahnfahrt von Kim_Seokjin (Winterwichteln 2017/2018) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Sag mir, dass du zum Schlafen zu Hause warst, Eita“, forderte Tendou, als er die Tür zur Sporthalle der Shiratorizawa öffnete und das nur allzu bekannte Aufprallen des Balles hörte. Er hatte zwar den Spieler noch nicht gesehen, aber wer sollte sonst schon hier sein. Tendous Gedanken schweiften ab, während er an Semi dachte. Ihr Spiel gegen Karasuno lag nun schon eine ganze Weile zurück und sie hatten sich aus der Mannschaft zurückgezogen. Shirabu war nun Kapitän und musste noch in die Schuhe von Ushijima hineinwachsen, aber das würde der kleine Giftzwerg schon schaffen. Nur um Semi machte er sich Sorgen. Er machte weiterhin Extratrainingseinheiten, auch wenn er nicht mehr zur Mannschaft gehörte. Tendou war nicht bewusst gewesen, wie verbissen sein Kumpel sein konnte. Und natürlich, da stand er. In Trainingskleidung und verschwitzt. Er hatte schon den nächsten Volleyball in der Hand. „So heimisch fühle ich mich hier auch nicht“, kam die brummende Antwort. Semi stellte sich hinter die Aufschlagslinie, fixierte einen Punkt und lief dann los. Der Ball wurde in die Luft geworfen, er sprang und schlug kräftig dagegen. Er traf auf der gegnerischen Seite auf, ging wieder in die Luft und wiederholte den Vorgang, bis er am anderen Ende der Halle liegen blieb. Wie oft hatte er ihm dabei schon zugesehen? Tendou wollte sich gerade nicht an die Zahl erinnern, es war frustrierend. Er gähnte ausgiebig. „Dein Training ist zu Ende. Los, komm! Die Schule fängt bald an.“ „Gleich. Ich kann locker noch drei Bälle schlagen“, vertröstete ihn Semi und machte sich daran den nächsten Ball aus dem Rollkasten zu holen. Tendou hätte gerne etwas darauf erwidert, aber sie waren nicht mehr alleine. Er spürte ein unbehagliches Gefühl im Nacken und da dies nur sehr wenige Personen auslösen konnten, war es nicht schwer zu erraten, um wen es sich handelte. Tendous geladener Gast. Er würde Semi von seinem Trainingswahn abbringen. Ganz sicher! „Es reicht, Semi!“ war auch schon die Stimme von Ushijima zu hören. Er trat an Tendou vorbei, sodass dieser die weiß-lilane Schuluniform und den breiten Rücken bewundern konnte. Tat er nicht. Die Szene war viel zu interessant und so beugte er sich zur Seite, damit er an dem ehemaligen Kapitän des Volleyballteams vorbeischauen konnte. „Wir waren uns einig, dass wir mit dem Volleyball in der Shiratorizawa High School aufhören wollten. Du solltest dich auch daran halten.“ Tendou schwenkte seinen Kopf nachdenklich hin und her. Eigentlich hatte Ushijima damals entschieden, dass er aufhört und sie waren ihm gefolgt. Aber wer wollte hier schon kleinkariert sein? „Du hast das entschieden und es ist ganz meine Entscheidung, wenn ich öfter trainiere.“ „Wofür?“ wollte Ushijima wissen und Tendou verdrehte seine Augen. Es sollte klar sein, warum er dies tat. „Ist das nicht offensichtlich?“ Semi sah mit dem nächsten Ball in der Hand zu ihnen. Man konnte ihm deutlich ansehen, dass er verstimmt war. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, Ushijima herzubringen. Er hätte es vorher eher mit Yamagata versuchen sollen. Nun war es zu spät und er konnte dem ganzen Schauspiel nur stumm zu sehen und hoffen, dass es nicht zu übel endete. „Ich will besser werden.“ „Du hast dein Limit erreicht, Semi“, erwiderte Ushijima ungerührt und verschränkte seine Arme vor der Brust. „Du wirst niemals so gut werden wie der Setter von Karasuno oder gar Oikawa.“ Tendou konnte zusehen, wie jegliche Farbe aus dem Gesicht von Semi wich. Ushijima bewies mal wieder, wie direkt er war und wie wenig Einfühlvermögen er hatte. Man hätte dies auch harmloser ausdrücken können. „Und das weißt du weil?“ Die Stimme des ehemaligen Setters war leise und seine Hände pressten fest gegen den Ball, den er in ihnen hielt. So stark, dass die Knöchel weiß hervortraten. Tendou gefiel die Wendung überhaupt nicht, doch bevor er dazwischen gehen konnte, sprach Ushijima schon weiter. „Du wurdest von Shirabu ersetzt und hast es nicht geschafft ihn zu verdrängen.“ Der Ball fiel auf dem Boden. Schritte hallten durch die sonst so leere Sporthalle. Tendou hatte kurz Angst, dass Semi Ushijima am Kragen des Hemdes packen würde, um ihm eine herunterzuhauen. Aber dieser Gedanke war so absurd und sah in seinem Kopfkino so schräg aus, dass er ihn verwarf. So etwas würde Semi nicht tun! Er tat es auch nicht. Stattdessen blieb er einfach ganz nah vor seinem ehemaligen Kapitän stehen und musste seinen Kopf etwas in den Nacken legen, damit er in sein Gesicht sehen konnte. „Das heißt noch lange nicht, dass ich aufgeben...“ „Sei nicht genauso dumm und starrsinnig wie Oikawa“, unterbrach ihn Ushijima, der vollkommen ungerührt blieb. „Vergleich mich nicht mit ihm!“ knirschte Semi mit den Zähnen. „Er hätte sein Potenzial bei uns an der Shiratorizawa deutlich mehr steigern können.“ Und natürlich musste er den Setter von Aoba Johsai erwähnen. Tendou schüttelte seinen Kopf und trat hinter Ushijima hervor. „Stimmt, dann hättest du gar nicht erst mit so jemanden wie mir spielen müssen“, blaffte Semi zurück. „Und ab hier reicht es. Ihr habt genug gesagt. Ich helfe Eita-kun aufräumen und du gehst schon mal vor, Wakatoshi“, Tendou ärgerte sich, dass er es nicht geschafft hatte, seinen Freund noch von dem letzten Kommentar abzuhalten. Wenn er genau darüber nachdachte, dann waren viel zu viele Worte gefallen, die Semis Stolz und Ego verletzt hatten. Ushijima schien nicht zu verstehen und sah ihn einen Moment ratlos an, ehe dieser ihm dann anzeigte, zu gehen. Sein Blick änderte sich und dann drehte er sich tatsächlich um. Wahrscheinlich würde er ihm später noch einige Fragen beantworten müssen. „Warum hast du dich eingemischt, Satori?“, wurde er da auch schon von Semi angefahren und setzte sein typisches Grinsen auf, als er sich seinem Freund zuwandte. „Ich hatte Angst, du würdest ihn anspringen und die Augen auskratzen“, log er und musste aufpassen, dass er sich nicht noch eine von ihm einfing. Bei ihm hatte Semi sicherlich weniger Skrupel. Doch statt, dass die Wut überkochte, machte der Weißhaarige eine wegwerfende Handbewegung. „Verwechsle mich nicht mit Shirabu!“ Tendou stutzte einen Moment, ehe er zu lachen begann. Semi hatte sich derweil schon daran gemacht ein paar Bälle einzusammeln und so folgte er ihm, immerhin würde die erste Stunde bald beginnen. **** Ein anstrengender Schultag war vorbei und das Training hatten sie auch überlebt. Die Drittklässler hatten heute ihre ersten Prüfungen geschrieben. Tendou und Yamagata hatten sich kurz blicken lassen, um zu schauen, wie sie sich machten. Goshiki hatte sich gefreut und war natürlich gewachsen, als sie ihn gelobt hatten. Kawanishi hatte einfach nur genickt und dann weiter seinen Kram gemacht. Er hatte sich noch nie viel aus Lob gemacht, auch wenn er natürlich Kritik annahm. Shirabu fand die Überwachung anstrengend und hatte eigentlich auch auf Ushijima gehofft, jedoch hatte dieser sich nicht blicken lassen, aber das würde er sicherlich noch. „Shirabu-san...“, wurden dann seine Gedanken unterbrochen, als er sich gerade umzog. Er sah auf in das besorgte Gesicht von Goshiki. Ein genervtes Seufzen verließ seine Lippen und er wartete, dass der Welpe weitersprach. „Weißt du, was Semi-san macht? Er war schon so lange nicht mehr beim Training.“ „Nein, es interessiert mich auch nicht!“, gab er kühl zurück. Was ging es ihn an, was einer seiner Senpais tat? Gar nichts! Wenn überhaupt, würde er sich für Ushijima interessieren. Shirabu war sich sicher, dass dieser Zuhause lernen würde. Ein weiterer Blick auf Goshiki zeigte ihm, dass der Jüngere keinesfalls mit dieser Antwort zufrieden war und ihn nicht in Ruhe lassen würde. Kawanishi verabschiedete sich und somit waren sie allein. Shirabu zuckte genervt mit den Schultern. „Wahrscheinlich sitzt er Zuhause und lernt genauso wie Ushijima. Vielleicht tun sie es ja auch zusammen.“ Auch wenn sich bei dieser Aussage sein Magen umdrehte. Er wollte sich die Beiden nicht so nah beieinander oder gar alleine vorstellen. Es war schon schlimm genug, dass er nun nicht mehr Ushijimas Setter war und sei es auch nur für ein Jahr. Er wollte sich nicht vorstellen, wie es wäre, wenn er ihn ersetzen würde. „Nein ganz sicher nicht. Sie haben sich doch zerstritten“, unterbrach Goshiki Shirabus Gedanken. Er war gerade dabei sein T-Shirt anzusehen. Sein Kopf steckt schon draußen, während er überrascht zu dem Größeren sah. Dieser versuchte sein Grinsen zu verstecken, brach dann aber doch in Gelächter aus, dabei war das Thema eigentlich gar nicht zum Lachen. Aber er sah wohl nicht so schlau dabei aus. Er zog es richtig an, nahm sich das weiße Hemd, um es darüber zu ziehen und weil Goshiki sich immer noch nicht beruhigt hatte, bekam dieser einen Schlag in die Rippen, sodass er aufjaulte. „Man lacht seinen Senpai nicht aus!“, mahnte er und Goshiki nickte schnell. „Sie haben sich also gestritten und du machst dir Sorgen. Hast du nicht andere Probleme?“ „Schon, aber die zwei sind doch Freunde und sollten sich längst vertragen haben“ Jetzt war wirklich jede Fröhlichkeit aus Goshikis Gesicht verschwunden und er sah bedrückt auf seine Füße hinab. Shirabu war es zu anstrengend sich allzu lange mit ihm zu unterhalten. Genau deswegen ging er diesen Gesprächen aus dem Weg oder unterband sie schnell. Hier hatte er irgendwie den Absprung verpasst und konnte ihn einfach nicht so stehen lassen. Nachdenklich knöpfte er sich die Knöpfe zu, während Goshiki sich nicht rührte. „Ich klopfe dir nicht aufmunternd auf die Schulter und sage alles wird gut. Da musst du zu jemand Anderen gehen“, brummte er und schnipste ihm gegen den Arm. „Zieh' dich weiter an. Ich will nach Hause und auf dem Weg erzählst du mir, was passiert ist.“ Auch wenn es ihn gar nicht wirklich interessierte, schob er in Gedanken hinzu. „N-natürlich!“, nuschelte Goshiki und versuchte, nun alles gleichzeitig anzuziehen, was natürlich in die Hose ging. Oder eher gesagt, er auf seinem Hintern landete und für einen langen Moment überrascht zu Shirabu sah. Dieser hatte nichts Besseres zu tun, als schadenfroh zu grinsen. „Dann können wir auch einen Plan schmieden, wie wir sie dazu kriegen, dass sie sich wieder vertagen. Danke Shirabu-san. Du bist der Beste!“ Er wollte kotzen. Davon war nie die Rede gewesen. **** Das Studium hatte begonnen. Sie gingen zwar auf dieselbe Universität, aber begegneten sich so gut wie nie. Volleyball spielte Semi nicht in der Universität, sondern in seiner Freizeit. Dafür kümmerte er sich nun mehr um seine musikalische Ader und war dem Orchester beigetreten. Trotz des nicht vorhandenen Kontaktes bekam er von Ushijimas Unfall mit. Wenn er genau darüber nachdachte, dann konnte er ihn gar nicht umgehen, dass ließ Tendou überhaupt nicht zu. Dauernd sprach er darüber und wenn er es nicht tat, dann schrieb er ihm Nachrichten. Heute Nachmittag würde fast die gesamte Mannschaft im Krankenhaus vorbeischauen. Semi hatte abgesagt. Sie hatten sich nichts zu sagen und auch wenn es ihm Leid tat, was Ushijima passiert war, so fühlte es sich einfach falsch an. Sie hatten es nicht einmal beim Schulabschluss geschafft ein paar Worte zu wechseln und stattdessen stumm nebeneinander auf dem Foto gestanden, auf welchem Tendou bestanden hatte. Warum also stand er jetzt im Krankenhaus vor Ushijimas Zimmer? Semi wusste es nicht. Was er allerdings wusste war, dass er die weißen Wände nicht mochte. Sie taten in seinen Augen weh und der strahlende Sonnenschein machte es noch unangenehmer. Daher war er die Strecke bis zum Krankenzimmer mit gesenktem Kopf gelaufen. Seine Hände steckten in der Hosentasche. Aber das schützte ihn nicht vor dem Geruch nach Desinfektionsmittel. Es hing in der Luft und ließ sich nicht aus seiner Nase vertreiben. Es jagte ihm einen eisigen Schauer über den Rücken. Trotzdem war er nicht umgekehrt. Aber nun zögerte er. Seine Hand schwebte über der Türklinke. Er musste nur hinunter drücken und hineingehen. Es war ganz einfach. Die Anderen wären schon da und er würde kurz auffallen, aber konnte sich dann einfach einreihen und seine Genesungswünsche überbringen. Warum zögerte er dann? Semi lachte leise und bitter auf. Er wusste doch den Grund nur zu genau. Es würde eine Entschuldigung von ihm erwartet werden, Semi war aber nicht bereit dies zu tun, ebenso wenig wie eine von Ushijima kommen würde. „Es wäre nur logisch...“, murmelte er zu sich selber und wollte seine Hand sinken lassen, als er auf einmal eine starke Hand auf seiner Schulter spürte und erschrocken zusammenfuhr. „..., dass du endlich die Klinke herunterdrückst?“ beendete Yamagata den angefangenen Satz von Semi mit einer Frage. „Ich bin ganz deiner Meinung und Kawanishi-san wahrscheinlich auch.“ Kurz blickte Yamagata über seine Schulter. Semis Blick folgte ihm und da stand tatsächlich der Jüngere. Er nickte. „Macht Sinn.“ Jetzt blieb ihm wohl keine andere Wahl. Verstimmt sanken seine Mundwinkel etwas hinunter, weil jemand anderes ihm die Entscheidung abnahm. „Wie lange habt ihr mir schon zugesehen?“ „Nicht so lange“, log Yamagata ganz offensichtlich, sonst würde er nicht so grinsen. Semi wusste das und sein ehemaliger Schulkamerad ebenso. Daher schnaubte er nur. „Seit du den Aufzug verlassen hast“, antwortete ihm Kawanishi dann ehrlich und zuckte über das leicht empörte Gesicht Yamagatas nur mit den Schultern. Semi hätte gerne gelacht, wäre er nicht immer noch etwas beleidigt darüber, dass man ihn heimlich beobachtet hatte. Abwartend sahen ihn die Beiden an. „Gehen wir nun endlich rein?“ „Was habe ich den für eine Wahl?“ murrte Semi leise zu sich und spürte wieder die Hand von Yamagata auf seiner Schulter. „Gar keine, also bring es endlich hinter dich.“ Kawanishi übernahm den Part, die Tür zu öffnen und Yamagata schob ihn hinein, dabei hätte er sich gar nicht mehr gewehrt. Es wäre feige, nun abzuhauen und davon hielt er gar nichts. Allerdings erschien es so, als hätten sie einen schlechten Zeitpunkt ausgesucht. Es waren viele Eindrücke, die Semi verarbeiten musste. Shirabu, der ihnen am nächsten stand, sah vorwurfsvoll und abwertend zu Goshiki und Tendou. Die Zwei standen am Bett von Ushijima. Goshiki kreidebleich und erschrocken, während Tendou beschwichtigend lächelte. Rheon, der am Fenster stand, schien noch nicht so Recht zu wissen, ob er dazwischen gehen sollte oder nicht. Und zu guter Letzt ein wütender Ushijima in seinem Krankenbett. Trotz dessen,dass er lag und sein linker Unterarm und die Wade eingegipst waren, hatte er immer noch seine einschüchternde Aura um sich. „Ich brauche euer Mitleid nicht und ich habe mit keinem Wort darum gebeten, dass ihr mir gut zusprechen oder mich gar anlügen sollt“, herrschte er sie an. „Geht jetzt!“ Semi fragte sich unweigerlich, was vorgefallen war. Er konnte sich nicht vorstellen, dass irgendeiner Ushijima auf den Schlips getreten war. Sie machten sich, wenn überhaupt, nur Sorgen um ihn. Es war kein großer Ausbruch von dem ehemaligen Kapitän, aber diesen erwartete Semi auch nicht von ihm. Er wollte ihn auch nicht miterleben. Die dunklere und tiefere Stimmlage reichte vollkommen aus. Sie machte klar, dass eine Grenze überschritten worden war und man ihn gefälligst in Ruhe lassen sollte. Ushijima hatte seinen Blick von seinen Besuchern abgelenkt und sah aus dem Fenster. Rheon entschied sich dazu, nun doch etwas zu tun und schob sowohl Goshiki, wie auch Tendou von dem Krankenbett weg. „Lass gut sein, Satori.“ „Das war dann ein kurzer Besuch“, murmelte Kawanishi hinter Semi und er hörte wie sie den Raum wieder verlassen. Shirabu drehte sich auch mit einem wütenden Blick um. Da würde sicherlich noch der eine oder andere bissige Kommentar fallen. Auch er selber bekam einen wütenden Blick von dem Setter zugeworfen, den er aber einfach überging. Semi konnte überhaupt nichts dafür, was da vorgefallen war. Goshiki ließ seinen Kopf hängen und so konnte er nicht erkennen, wie das Gesicht des Jüngeren aussah. Semi konnte es sich aber vorstellen. Niedergeschlagen, schockiert und traurig. Aber Yamagata würde sich sicherlich um ihn kümmern. Er tat es immer, ebenso wie Tendou. Dieser war erstaunlich still und hatte seine Lippen aufeinander gepresst. Als er Semi sah, lichtete sich sein düsterer Gesichtsausdruck etwas. „Eita-kun, du bist ja doch gekommen!“, freute er sich und sorgte damit dafür, dass Semis Mundwinkel einige Millimeter in die Höhe wanderten. Es war so absurd, dass der Rotschopf wieder sein leicht verrücktes Grinsen zur Schau trug. Rheon schob ihn allerdings weiter aus dem Zimmer und deutete auch an, dass er gehen sollte. Doch er bewegte sich nicht und formte mit seinen Lippen ein stummes „Gleich!“. Rheon hob fragend eine Augenbraue, schloss jedoch die Tür hinter sich. Stille legte sich über den Raum. Ushijima sah noch immer stoisch aus dem Fenster und Semi rührte sich nicht von seinem Platz an der Tür. Draußen sah es so aus, als würde es gleich anfangen zu regnen, dunkle Wolken hingen am Himmel. Das Zimmer wirkte nun ohne den Besuch sehr leer. Zwei, drei Blumengestecke standen auf einem Tisch. Ein kleiner Flachbildschirm hing an der Wand gegenüber dem Bett. Auf dem Schränkchen am Bett hatte Ushijima Zeitschriften und sein Handy liegen, ansonsten war das Zimmer leer. „Habe ich nicht deutlich gemacht, dass ich meine Ruhe möchte?“, fragte Ushijima nach einigen Minuten und richtete seinen Blick dann doch auf seinen ungebetenen Gast. „Oh doch, sehr sogar“, antwortete ihm Semi wahrheitsgemäß. „Allerdings habe ich nicht mal eine Begrüßung bekommen.“ Ushijima sah ihn einen Moment stumm an, ehe er seine Aufmerksamkeit auf etwas Anderes richtete. Natürlich war für ihn diese Aussage absolut unsinnig. „Findest du nicht, dass du etwas zu harsch reagierst hast, indem du sie einfach rausschmeißt?“, wollte Semi dann wissen. Er war noch nicht bereit, zu gehen. „Sie haben ihre Worte nicht böse gemeint und das weißt du ganz genau. Sie machen sich Sorgen um dich und dann gehört es sich, dass man seinem Freund, Senpai und ehemaligen Kapitän gut zuspricht.“ „Hast du mitbekommen, was vorgefallen ist?“ Statt auf ihn zu reagieren, stellte Ushijima lieber eine Gegenfrage. Semi schnaubte und schüttelte seinen Kopf. „Das weißt du genauso gut wie ich, da noch nicht im Raum war. Ich kenne Satori und Tsutomu gut genug um zu wissen, dass sie dies nicht getan haben. um dich zu verärgern. Vor allem Tsutomu würde so etwas niemals tun. Und du weißt das genauso gut wie ich.“ „Trotzdem will ich keine Lügen darüber hören, dass alles wieder gut wird!“ Semi hob seine Hände in einer hilflosen Geste in die Luft. „Wird es das denn nicht?“ Es herrschte einige Minuten Stille zwischen ihnen. „Das ist noch nicht sicher. Ich habe einen komplizierten Bruch im Handgelenk und muss noch mindestens einmal operiert werden.“ Semi lachte leise und trat nun doch endlich näher an das Bett heran. Ushijima beobachtete ihn dabei. Er scheuchte ihn nicht weg, aber sein Blick zeugte von Missfallen. „So wie ich das verstehe, lügen sie aber nicht. Sie sehen die Dinge einfach nur positiv und das solltest du auch tun.“ „Wenn man aber weiß, dass wenn es nicht klappen wird und man somit kein Volleyball mehr spielen kann, ist das nicht so einfach“, entgegnete Ushijima stur. Semi konnte auch diese Seite verstehen. Er wäre sicherlich griesgrämiger und pessimistischer, wenn er dort liegen würde. Es bedeutete, dass die Welt von Ushijima einstürzen würde. Es wäre grauenhaft, denn er hatte Potenzial professionell zu spielen. „Vertrau den Ärzten!“ Semi sah nicht ein, diesen Kommentar durchgehen zu lassen. „Du bist sturer als Satori!“ Er nahm es als Kompliment und zuckte mit den Schultern. „Das solltest du wissen. Wann ist die nächste OP?“ „In drei Tagen.“ Semi sah die ungestellte Frage nach dem Warum in Ushijimas Gesicht. „Dann sehen wir uns dann wieder“, klärte er ihn auf und ging dann zur Tür. „Vergraule deine Besucher bis dahin nicht.“ Semi wartete keine Antwort ab, sondern verließ den Raum endlich, nur um dann in die Arme der Anderen zu laufen, die er dann beruhigen durfte. Allerdings weigerte er sich, alles von ihrem Gespräch zu erzählen. Wichtig war nur, dass sie Ushijima weiterhin besuchen würden können. **** „Du bist spät!“, begrüßte Ushijima seinen Gast, als dieser nach dem Anklopfen eingetreten war. Es war schon dunkel und die Besucherzeit war noch eine Stunde, wenn er sich nicht verguckt hatte. „Ich habe nicht gesagt, wann ich herkommen werde“, konterte Semi und stellte seinen Geigenkoffer auf dem Tisch, ehe er zum Bett trat. „Ich habe auch noch ein Leben und heute stand eine Orchesterprobe an.“ Ushijima betrachtete den Koffer. Es war ein ungewohnter Anblick. Er kannte Semi nur mit einer Sporttasche über der Schulter. „Du spielst also wirklich Geige?“ „Satori hat es dir also erzählt?“, schlussfolgerte er und setzte sich auf einen Stuhl neben dem Bett. Ushijima nickte. „Ich würde dir ja anbieten, dass ich dir etwas vorspiele, aber hier drin wird der Klang nicht sonderlich gut sein. Was mich aber viel mehr interessiert, wie lief die OP?“ „Die Ärzte sagen es verlief gut.“ Die Worte kamen nur zögerlich über Ushijimas Lippen. „Sie konnten die Plattenstellung korrigieren und es wird morgen schon einmal geröntgt.“ „Das klingt doch vielversprechend.“ Semi empfand es zumindest so. „Warum bist du nicht erleichtert?“ „Selbst wenn ich höre, dass alles gut verlaufen ist. Was ist, wenn es später Komplikationen gibt? Wenn ich kein richtiges Gefühl mehr habe oder ein anderes Problem auftritt?“ Es war ihm deutlich anzusehen, dass er nicht gerne darüber sprach. „Dann kannst du dich diesem Problem widmen, wenn es so weit ist und dir nicht jetzt schon unnötig Gedanken machen. Es bringt dir nichts außer unruhige Nächte. Fühlst du denn jetzt etwas?“ Semi streckte seine Hand aus und berührte die Fingerspitzen, die noch dank des angewandten Jods rot waren. Sie zuckten zumindest unter seinen Fingern und er zog sie nach der kurzen Berührung zurück. Tendou hätte sicherlich einen Stift genommen und leicht zugeschlagen. „Momentan befindet sich viel zu viel Schmerzmittel in meiner Blutbahn und ich fühle mich, als hätten sie mich in Watte gepackt. Da glaubst du, dass ich so etwas merke?“, wich Ushjima aus und Semi glaubte, dass ihm diese kurze Berührung unangenehm war. Dabei war doch gar nichts dabei. „Deine Finger haben gezuckt.“ Ushijima brummte, ehe er knapp nickte. „Entspann' dich, was diese Sorge betrifft. Morgen kriegst du dann Antworten. Weißt du, wie es weiter geht?“ „Nach acht Wochen wird noch einmal geröntgt und ein Physiotherapeut schaut im Krankenhaus schon nach mir und danach werde ich auch eine Zeit zu ihm gehen müssen. Nach einem Jahr kommen die Platten raus“, kam die trockene Erklärung von Ushijima. Er hatte nur kurz die Fakten genannt und Semi überlegte, ab wann er wieder spielen dürfte. Doch er unterließ es zu fragen, immerhin wollte er ihn nicht wieder auf negative Gedanken bringen. Es klopfte an der Tür und nachdem Ushijima geantwortet hatte, sah eine Krankenschwester in das Zimmer, um daran zu erinnern, dass die Besuchszeit nun zu Ende wäre. „Dann mache ich mich wieder auf den Weg. Wenn du magst, kannst du dich morgen melden, wie das Gespräch mit den Ärzten verlief“, verabschiedete sich Semi und erhob sich von dem Stuhl. „Wann kommst du das nächste Mal vorbei?“ Er hatte nicht mit dieser Frage gerechnet und stockte in seiner Bewegung, ehe er sich langsam zu Ushijima umwandte. „Mein Wochenende ist voll. Wir haben einen Auftritt, aber nächste Woche komme ich gerne vorbei. Haben sich die Anderen noch nicht angemeldet?“ „Doch. Morgen kommen Tendou und Rheon. Übermorgen Yamagata mit Goshiki und Kawanishi“, wurde Semi aufgeklärt. „Wann kann ich dich mal Geige spielen lassen?“ „Ich lasse mir etwas einfallen und du versumpfst mir nicht in negativen Gedanken. Wenn doch, weißt du, wie du mich erreichen kannst. Bis die Tage.“ **** Rheon lehnte an der Wand und lauschte dem Geigenspiel von Semi. Er hatte sich erst bemerkbar machen wollen, als er die gemeinsame Wohnung betreten hatte. Aber dann war ihm das Aufnahmegerät aufgefallen, welches auf dem Wohnzimmertisch lag und so hatte er geschwiegen. Nun legte Semi allerdings die Geige in den Koffer und das Aufnahmegerät wurde gestoppt, so er sich räuspern konnte. Semi machte einen kleinen Satz und sah ertappt zu ihm. „Ich wollte nicht stören“, grinste Rheon und stieß sich von der Wand ab und durchquerte den halben Raum, damit er in die Küche konnte. „Seit wann nimmst du dich beim Spielen auf?“ „Es ist eine Ausnahme“ Der Geigenkoffer wurde sorgfältig geschlossen, dabei musste Semi Rheon auch nicht ansehen. „Ushijima hat gefragt, wann er mich mal spielen hören kann.“ „Ah!“ Rheon ging nach der erhaltenen Antwort weiter, holte zwei Gläser und eine Wasserflasche. „Wann bringst du es ihm?“ „Nächste Woche.“ Semi sah ihn noch immer nicht ins Gesicht, aber er wusste, dass er schon zweimal wieder im Krankenhaus gewesen war. „Das heißt, ihr habt euren Streit beiseitegelegt?“ horchte er vorsichtig nach und bekam vorerst nur ein Kopf schütteln von seinem Mitbewohner, da dieser sein Instrument in sein Schlafzimmer brachte. „Wir haben bis jetzt nicht darüber gesprochen“, antwortete Semi dann doch noch, sobald er zurück war und sich das zweite Glas nahm. Er nahm einen Schluck. „Aber es stört mich auch nicht mehr.“ Rheon betrachtete seinen Freund einen Moment stumm. Dieser wich seinem Blick nicht aus und damit war klar, dass Semi nicht log. „Das freut mich zu hören. Ich bin heute mit Kochen dran, richtig?“ Rheon streckte sich und bekam dann die Bestätigung durch Semi, der freudig nickte. „Tz! Du bist morgen dran, also überleg dir etwas.“ „Da komme ich später nach Hause.“ Semi hatte rote Ohren und Rheon wusste, ohne nachfragen zu müssen, dass er dann zu Ushijima gehen würde. „Dann übermorgen, um das Kochen kommst du nicht drum herum.“ „Backen würde ich lieber“, murrte Semi. Rheon schüttelte darüber nur seinen Kopf. Er mochte die süßen Leckereien, die sein Mitbewohner zaubern konnte, aber zum Abendessen nahm er dann doch lieber etwas Deftigeres. „Solange es nicht zu viel Zucker enthält und es sich als abendliche Mahlzeit eignet, kannst du auch backen. Ich bin dann vorerst duschen.“ Rheon war sich nicht sicher, ob sein Mitbewohner die letzten Worte noch mitbekam, da er die Augenbrauen angestrengt zusammen gezogen hatte und mit den Fingern immer wieder gegen seine Lippe tippte. Er war eindeutig in Gedanken. Somit musste Rheon sich wohl überraschen lassen. **** Der Garten der Ushijimas war penibel gepflegt. Semi fragte sich, ob sie einen Gärtner dafür hatten oder sich Ushijimas Mutter darum kümmerte. Er konnte sich die gut organisierte und dazu viel zu hübsche Frau einfach nicht bei der Gartenarbeit vorstellen. Dreck an ihren Händen, der Kleidung – nein, das ging nicht in seinen Kopf. Und so weit er wusste, würde Ushijimas Oma dies auch nicht tun, diese war nämlich bettlägerig, wie er gerade erfahren hatte. Wieder wanderte er über den feinsäuberlichen Steingarten, zu dem Koi-Teich und dann zu den säuberlich gestutzten Bonsais. „Es tut mir Leid, dass der Garten nicht so ordentlich ist“ Unzufrieden ruhte sein Blick kurz auf dem Außengelände, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder auf Semi richtete, der ihn derweil perplex anstarrte. „Willst du mir sagen, du kümmerst dich darum?“ „Natürlich, meine Mutter betritt den Garten selten und meine Großmutter kann es nicht mehr. Sie hat mich aber alles gelehrt und war glücklich darüber, dass ich diese Arbeit mache“, klärte Ushijima ihn auf. „Es ist beruhigend.“ Semi stellte sich seinen Freund dabei vor, wie er den Zengarten rechte oder wie die Bonsai in Form brachte. Es war nicht so abwegig wie die Mutter, aber dennoch ein ungewöhnlicher Anblick in seinem Kopfkino. „Ich… habe mich damit nie beschäftigt“ Er zuckte mit den Schultern und gab damit zu, dass er keine Ahnung davon hatte. „Ich kann es dir gerne einmal zeigen, wenn ich meinen Arm wieder voll belasten darf“, bot Ushijima an und schenkte dann den grünen Tee mit seiner rechten Hand in die Tassen. Semi druckste ein wenig herum, ehe er doch nickte. Dann würde er zumindest wissen, ob er mit seinem Kopfkino falsch oder richtig lag. „Wie läuft es mit dem Physiotherapeuten?“ Da schien er ein nicht ganz so freudiges Thema anzuschneiden, denn die Mimik von Ushijima verdüsterte sich augenblicklich. Er schwieg und hatte dabei seine Lippen zusammen gepresst. Sein verletzter Arm, der mittlerweile ohne Gips war, ruhte auf seinem Schoss und er ballte die Hände zu einer Faust. Semi öffnete seinen Mund, um das Thema zu wechseln. Es wäre wahrscheinlich ein sehr plumper Versuch geworden, aber besser als dieses Schweigen, was unwahrscheinlich unangenehm war. „Er sagt, ich soll langsamer machen und mein Handgelenk und die Muskulatur nicht überfordern.“ Semi schloss seinen Mund wieder und überlegte seine nächsten Worte einen Moment. „Das klingt für mich logisch. Auch wenn ich mich mit Medizin nicht besonders gut auskenne.“ Für diese Antwort bekam er einen strengen und kühlen Blick zugeworfen, der ihn allerdings nicht einschüchterte. Er wusste, warum Ushijima so ungeduldig war. „ Wenn du dein Handgelenk zu sehr belastest, kann es dich zurückwerfen oder gar Schlimmeres passieren, dann wirst du noch länger warten müssen, bis du einen Volleyball in der Hand halten kannst, geschweige denn ihn schmettern.“ Semi richtete auf, so dass er sich halb über den Tisch beugen konnte und seine Hand auf die verkrampfte von Ushijima legen konnte. Er glaubte, einen kurzen Moment Unsicherheit in den Augen seines Freundes aufblitzen zu sehen, ehe sie wieder neutral in seine blickten. Gleichzeitig spürte er, wie sich die Faust lockerte und lächelte vorsichtig. „Ich sage es gerne immer wieder: Hab Vertrauen in dein Umfeld. Wenn du deinem Physiotherapeuten nicht genug entgegen bringst, dann vertraue mir.“ Die Hand entspannte sich weiter, bewegte sich unter seine und er spürte, wie Ushijima seine Finger mit seinen verwob. Eigentlich sollte es nur eine kurze Berührung werden, aber nun wollte er das Halten ihrer Hände nicht lösen und blieb in der doch recht unbequemen Haltung. Seine Knie schmerzten, aber es war nichts im Gegensatz zu seinem schnell schlagenden Herzen und den Schmetterlingen in seinem Bauch. „Das tue ich.“ **** Semi verabschiedete sich von seinen Orchester-Kollegen. Sie hatten ein kleines Konzert in der Universitätsparkanlage gegeben. Ushijima hatte zuschauen wollen und nun war er gespannt, was sein Freund davon gehalten hatte. Es war nicht noch einmal passiert, dass sie sich so nahe gekommen waren. Semi hatte sich nicht getraut und was in Ushijima vorgegangen war, wusste er nicht. Doch er glaubte, dass ihm die ganze Sache unangenehm gewesen war. Dennoch wollte Semi gerne wissen, was das zwischen ihnen Beiden war, denn das dies nicht nur eine normale Freundschaft war, war ihm nur zu bewusst. Er dachte viel zu oft an ihn und manches Mal driftete seine Gedanken sogar viel zu sehr ab. Rheon belächelte ihn dann immer und brachte ihn damit regelmäßig auf die Palme. Wenn es ihm gefallen hatte, dann würde er Ushijima auf ein Essen einladen und mit ihm reden. So war zumindest der Plan. Mit seinem Geigenkoffer in der Hand sah er sich in der kleinen Menschenansammlung um. Er pfiff leise eine der Melodien, die sie gerade gespielt hatten und musste seine Suche nach seinem Freund kurz unterbrechen, als ihn ein paar Mädchen ansprachen. Er lächelte freundlich und wollte sich bei ihnen für ihr Lob bedanken, als er doch Ushijima entdeckte. Er stand bei einer Baumallee und redete mit Oikawa. Semi stockte für einen langen Moment der Atem, als er sah wie vertraut sie miteinander umgehen. Oikawa grinste sein typisches charmantes Grinsen und Ushijimas Mundwinkel hoben sich auch, zumindest war sich Semi sicher. Ihm war schlecht und es wurde nicht besser, als sich die Beiden umdrehten und die Allee entlang gingen. Er blieb stehen und sah ihnen nach. Wollte Ushijima gar nicht mit ihm reden? „Vie-… Vielen Dank. Ich… uhm... muss gehen“, entschuldigte er sich, sobald er seine Stimme wiedergefunden hatte und ging dann schnurstracks davon. Er wollte nicht wissen, wohin die Beiden gingen. Es ging ihn auch nichts an, aber er war verletzt und brodelte vor Eifersucht. Seine schlechte Laune bekam niemand Anderes als Rheon zu spüren, der einfach nur wissen wollte, was aus seinem Date geworden war. Danach verzog er sich in sein Zimmer. **** Es war dumm! Semi wusste das, doch sein Stolz stellte sich ihm einfach in dem Weg, wenn er Anstalten machte, um die Sache mit Ushijima zu klären. Mittlerweile waren schon 15 Tage, 2 Stunden um 47 Minuten vergangen, in dem er nicht mit ihm gesprochen hatte, geschweige denn versucht hatte, auf die Nachrichten zu reagieren. Es waren nur kurze gewesen. Ushijima eben. Semi hatte sie nicht beantwortet und seit neun Tagen meldete Ushijima sich nicht mehr. Egal wie oft Semi auch auf sein Handy sah. Er wusste, dass er ein Idiot war. Rheon hatte ihm das auch schon bestätigt, ebenso wie er ihn ermutigt hatte, endlich mit ihm zu sprechen. „Es handelt sich sicherlich um ein Missverständnis!“, äffte er seinen besten Freund nach. „Krieg deinen Hintern endlich hoch!“ Frustriert warf er ein Kissen nach der Tür, die noch weniger etwas für seine schlechte Laune konnte. Er sah auf seinen MP3-Player. Vielleicht würde ihn Musik ablenken. Er setzte seine Kopfhörer auf und suchte nach einem passenden Stück. Dabei bekam er nicht mit, wie geklopft wurde und nach kurzem Warten jemand eintrat. Erst als er das Räuspern hörte, sah er auf. Er blinzelte einige Male ungläubig. Dort stand Ushijima. „Was machst du hier?“ Statt sich zu freuen, klang die Frage anklagend und unfreundlich. Es wunderte Semi nicht, herrschte in ihm doch eine total Unruhe und Chaos an Gefühlen, die alle als erstes wahrgenommen werden wollten. „Ich hole dich ab. Wir gehen ins Planetarium“, kam die ruhige Antwort von Ushijima, wenn auch etwas zögerlich. Das könnte er sich aber auch nur eingebildet haben, denn der Wunsch, dass er Semi vermisst hatte, war doch groß und weckte eine tiefe Sehnsucht, wieder mehr Zeit mit den Anderen zu verbringen. „Ich wüsste nicht, dass wir verabredet wären“, wies er ihn trotz dessen ab. „Warum gerade ich und nicht… jemand anderes?“ Da war nun wirklich Zögern. Ushijima schien zu überlegen, was er sagen sollte. Semi spürte die Eifersucht in sich brodeln und damit auch die aufkeimende Wut stärker werden. Die Sehnsucht wurde etwas nach hinten gedrängt. „Weil ich gerne etwas mit dir unternehmen möchte.“ Er machte eine Pause und ließ seinen Blick durch das Zimmer schweifen. Semi musste sich nicht umsehen, um zu wissen, dass es nicht gerade ordentlich war. Überall lagen Notenzettel. Sein Laptop war aufgeklappt und auf Energiesparmodus. Kleidung lag auch herum, sowohl gewaschene, wie getragene. Für Ushijima, der Ordnung liebte, musste es hier grauenhaft aussehen und er überlegte, sich dafür zu entschuldigen. Aber der nächste Satz brachte ihn dann doch aus dem Konzept und er musste schlucken. „Ich vermisse unsere Gespräche.“ „Wieso das Planetarium?“ Semi hatte lange gebraucht, um eine Frage in seinem Kopf zu formulieren. Er war kurz davor einen Fehler zu begehen und nach Oikawa zu fragen, aber er hatte sie hinuntergeschluckt. Vielleicht ergab es sich später noch zu einem günstigeren Zeitpunkt. Er wollte Ushijima nun nicht vertreiben, hielt er sich doch an dem letzten Satz fest, als wäre es der sogenannte Strohhalm, der ihn vor dem Ertrinken rettete. „Es gibt dort eine Ausstellung zu Polarlichtern, die sehr gut sein soll.“ Es klang logisch und Semi nickte. Es war eigentlich nicht sein Einverständnis dafür, dass sie gehen würden. Doch Ushijima schien dies darin zu lesen. „Gut, ich warte im Wohnzimmer auf dich.“ Semi vergrub sein Gesicht in den Händen, sobald er alleine war und murmelte Unverständliches Zeug gegen seine Handinnenflächen. Es dauerte sicherlich gute acht Minuten, ehe er sich halbwegs gefangen hatte und nun überlegte, was er anziehen sollte. Er wusste, dass er einen grauenhaften Modegeschmack besaß. Dies hatten seine Freunde ihm nicht erst einmal gesagt, aber Ushijima noch nie, also konnte er bei ihm tragen, was er mochte. Oder nicht? Er wollte ihm nicht unangenehm sein und so räumte er seinen Kleiderschrank zur Hälfte aus, ehe er sich für seine Verhältnisse harmlose Variante, bestehend aus einer ausgewaschenen schwarzen Jeans, einem dunkelvioletten dünnen Strickpullover und einer orangenen Sommerjacke darüber, entschied. Die Ausstellung war interessant, wie Semi zugeben musste und er hatte die Zeit mit Ushijima viel zu sehr genossen. Nun sahen sie sich die Sterne an. Es war dunkel und man hörte die Stimme vom Band. Doch konzentrierte er sich darauf weniger, sondern war sich nur zu bewusst, wie nah sie sich eigentlich waren, wie leicht es wäre seine Hand auszustrecken und die von Ushijima zu berühren. Er biss sich auf die Lippe, weil genau in jenem Moment, musste er wieder an Oikawa denken. Er wusste, dass dieser auf Aliens stand und war sich sicher, dass er auch schon das eine oder andere Mal mitbekommen hatte, dass er hier gewesen sein sollte. Er wollte den Gedanken verdrängen und… doch da hatte er den Mund schon geöffnet und gab einen bissigen Kommentar ab, der ihm schon seit dem Auftauchen von Ushijima auf der Seele lag: „Das hier würde Oikawa sicherlich auch gefallen.“ Schweigen. Neben ihm blieb es still, dann hörte er ein Rascheln. In Semis Ohren rauschte es und es kostete ihm einige Überwindung zu seinem Sitznachbarn zu sehen. Das Gesicht war nicht perfekt zu erkennen in dem gedämmten Licht, aber er sah das Weiß seiner Augen. „Oikawa interessiert mich aber nicht!“, raunte Ushijima dann und Semis Herz machte einen Satz in seiner Brust, ehe es schnell und hart dagegen schlug. Er spürte eine zaghafte Berührung an seiner Hand. Neugierig streckte er seine Finger aus, verwob sie mit Ushijimas. „War er der Grund, weswegen du dich von mir ferngehalten hast?“ „Ich hab euch gesehen, wie ihr nach dem Konzert weggegangen seid“, gestand Semi kleinlaut. Der Druck von Ushijimas Fingern wurde fester. „Wir wollten uns etwas zu trinken holen, weil die Mädchen dich noch aufgehalten haben.“ Semi kam sich unwahrscheinlich dumm vor und schloss für einen kurzen Moment seine Augen. „Er hat sich nach meinem Handgelenk erkundigt und mir den Tipp mit dem Planetarium gegeben.“ Er wusste nicht, was er sagen sollte. Es klang alles so idiotisch und so schwieg er. Ushijimas Daumen strich beruhigend über seine Hand. „Bleibst du nun bei mir?“ „Natürlich!“, kam es wohl etwas zu laut von Semi, weil er Beschwerden hörte, dass man doch bitte leise sein sollte. Er sank etwas tiefer in seinen Stuhl. „Gut!“ raunte Ushijima leise und drückte noch einmal seine Hand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)